Myth, Story, Legend von Ireilas (Kurzgeschichten aus Desteral) ================================================================================ Kapitel 11: Yne --------------- Als der Neuling Ikanas mit seinem Hab und Gut aus der Tür des Gasthofes trat, konnte die Leiterin nicht anders, als ihm eine letzte Jause mit auf den Weg zu geben. Sie hatte den Magier lieb gewonnen und bemuttert, im weitesten Rahmen, den Avrial zugelassen hatte. Vielleicht hatte es den Grund, dass die Gasthof-Leiterin ihren einzigen Sohn einst im Alter von siebzehn Jahren davon segeln sah, hinaus, in die Ferne Desterals – ohne ihn je wieder gesehen zu haben. Jedenfalls brachte Avrial gerade ein lächelndes „Danke“ hervor, da drückte die dickliche Frau den jungen Mann an sich. „Pass auf dich auf! Sollte es dir je im Schloss zu groß werden, habe ich jederzeit ein Zimmer für dich frei!“ „Vie-“, der Magier rang ein wenig nach Luft, ehe er sich aus dem Griff befreite. „Vielen Dank, ich werde… daran denken.“ Es war gut zu wissen, im Notfall woanders unter kommen zu können; auch wenn es bei einer Ersatz-Mutter war. Die Koffer gepackt, machte er sich auf den Weg durch das Dorf, die Bergstraße hinauf. Noch nie hatte er einen Fuß auf diesen Berg gesetzt – an manchen Stellen war der Weg steil, an anderen Steinig, sodass Avrial alle Mühe hatte, mit Koffern das Schloss zu erreichen. Vielleicht hätte er seine paar Nima nicht aufsparen, sondern einen Kutscher geben sollen, der ihn im Gegenzug den Berg hochbringt. Schnaufend stand der junge Mann endlich unter den breiten Toren. Der Weg war ein gutes Ausdauertraining, wenn man von ganz unten schnell vorankommen wollte. Im ersten Saal mit den zwei großen Treppen angekommen, sah sich der Magier erstmals im Kreis um. Das Anwesen war mittelalterlich gehalten; man merke ihm an, dass es bereits sehr viele Jahre durchgemacht haben muss. Die Wände gräulich, jedoch in manchen erneuerten Räumen gelblich warm mit roten Vorhängen und Teppichen gehalten, hatte es einen gewissen Scharm. „Herr Avrial, nehme ich an…?“ Den Kopf zum rechten Durchgang gedreht, erblickte der Neuling einen älteren Mann mit schulterlangen, schwarzen Haaren. Steif stand er da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Um den Hals trug er eine silberne, lange Kette, mit großem, runden Rubin an dessen Ende. Seine Kleidung war prunkvoll; ein kurzer Mantel in bleichen blau, darunter ein weißes Rüschenhemd. Avrial war gespannt darauf zu erfahren, um wen es sich bei diesem neuen Gesicht handelte. Als er näher trat, verbeugte sich der ältere Herr. „Sir William Steiner; es freut mich sie kennen zu lernen, Herr Avrial. Ich bin treuer Bediensteter und Berater Madame Ynes. Ich wurde von Ihrer Ankunft in Kenntnis gesetzt.“ Seltsam, wenn man bedenkt, dass Avrials Antwort noch immer ausstehend war. Der Mann musterte den Neuling. „Verzeiht… doch ist es meine Pflicht, Ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen, sollten Sie noch immer um den Posten als Leibwächter Madame Ynes werben wollen.“ Und was sollte das nun? Es war Madame Ynes Idee, Avrial als Leibwächter einzustellen. „Aber gerne…“, stimmte der Arcaner schließlich zu, „Wie kann ich mich Beweisen?“ „Nun-“ Unerwartet wurde Avrial hinterrücks von einem der Soldaten attackiert – mit laut ausgestoßenem Geschrei schwang der Wächter sein Schwert gegen den Magier. Zur Seite gedreht, erhob der Neuling die Hand gegen ihn. Eine Barriere blitzte auf, die den Schwerthieb stoppte, ehe sie in die Richtung des Angreifers zersprang und dabei eine Druckwelle auslöste, sie den Soldaten zu Boden warf. Im nächsten Moment stand Avrial drohend über ihn, senkte aber dann den Arm. „Sehr gut.“, der Berater klatschte leicht in die Hände, „Das reicht mir als Demonstration. Nun denn, wenn Sie mir bitte folgen würden…“, der Mann ging voran, während Avrial dem Soldaten einen entschuldigenden Blick zu warf, ehe er dem Berater nachkam. Gemeinsam schritten sie die lange Treppe hinauf, in den zweiten Stock und rechten Flügel. „Wahrscheinlich ist Ihnen nicht entgangen, dass Ausländer wie Sie, ein Arcaner, auf Ikana etwas misstrauen entgegen gebracht werden. Ich muss vielmals um Verzeihung bitten; aber um bei der Wahrheit zu bleiben, stand ich der Idee, Sie als Leibwächter einzustellen, sehr skeptisch gegenüber.“, der Mann räusperte sich, „Diese dummen Vorurteile, nicht wahr?“ Er blieb mit Avrial im langen Gang mit vielen Türen stehen. „Wir befinden uns im Soldatenflügel. Als Leibwächter wird sich Ihr Quartier hier befinden.“, der Mann öffnete die Holztür, mit der Nummerierung 04. „Ihr Zimmer liegt gleich am Anfang des Flügels – sollte es jemals zu Notfällen kommen, können Sie somit schnell reagieren und in den Hauptbereich des Schlosses gelangen.“ „Vielen Dank.“, Avrial verbeugte sich höflich, ehe der Berater einen Schritt zur Seite machte – drei Dienstmädchen huschten an ihnen vorbei. „Mädchen!“, der Mann rief die drei zu sich, die sogleich umdrehten und herbei eilten. „Herr Avrial, dies ist das zuständige Personal der Wächter und Soldaten; sie werden sich auch um Ihre Angelegenheiten kümmern: Dienstmädchen Christy, Juls und Rina.“ Gleichzeitig verbeugten sich die drei, antworteten im Chor: „Es freut uns, Euch kennen zu lernen, Meister Avrial.“, auch sogleich griffen sie nach den Koffern des Magiers. „Lassen sie uns das machen!“, Juls eilte voraus ins Zimmer, ehe ihr die zwei anderen folgten. „Nun, ich werde Sie jetzt alleine lassen, zur Einquartierung.“, der Berater ging langsam ab, „Um zu verhindern, dass Sie sich am Anfang im Schloss verlaufen, folgen Sie den Dienstmädchen in den Speisesaal, sobald das Mittagsmahl vorbereitet ist.“ Dem neuen Leibwächter der Fürstin von Ikana blieb kaum Zeit zur Eingewöhnung. Gleich am Nachmittag wurde er zu seinem ersten Einsatz gerufen: Madame Yne kam die Stufen hinab und hatte ihrem Berater, William Steiner, mitgeteilt, dass sie sehr gerne einen Ausflug zum Strand, hinter dem Schloss machen würde. Der Strand war nur durch einen schmalen Bergpfad zu erreichen und daher nicht öffentlich zugänglich. Sie verbrachte dort gerne viel Zeit in ihrer Kindheit. So ließ der Berater nach Avrial und drei weiteren Soldaten rufen. Madame Yne verschränkte bei dem Anblick allerdings die Arme: „Sir Steiner! Ich habe nicht nach einem Leibwächter gebeten, damit ich weiterhin von Soldaten umzingelt werde!“ „Aber- aber Madame Yne, Ihr-“ „Es ist doch nur ein Ausflug zum Strand – und abgeschiedenen Strand! Gebt Herrn Avrial die Chance, sich alleine zu beweisen.“ So geschah es. Während Madame Yne mit einem lächeln auf ihren zarten Lippen voraus eilte, die Bergstraße entlang, dachte Avrial an die Worte des Beraters, die er ihm kurz nach dem Mittagessen gesagt hatte: „Als Leibwächter sind Ihre Aufgaben simpel: beschützt Madame Yne, komme was wolle. Hierzu müssen Sie die folgenden Regeln beachten: Halten Sie sich im Hintergrund. Seien Sie stets in ihrer Nähe, doch mischen Sie sich nur in Gespräche und Situationen ein, die Ihnen verdächtig oder gefährlich vorkommen. Fallen Sie nicht auf. Madame Yne braucht keinen, der Aufmerksamkeit auf sich zieht. Als Fürstin ist es unter anderem ihre Aufgabe, vom Volk gesehen zu werden – und nicht der Leibwächter. Also; seien Sie wie ihr Schatten. Folgen Sie ihr auf schritt und tritt, auf eine Art und Weise, dass sie das Gefühl hat, jederzeit in Sicherheit zu sein.“ Kaum noch einmal an seine Worte gedacht, blieb Yne bei einer Kreuzung stehen und wank nach Avrial. Als er schließlich schneller ging, bis er bei ihr stand, schüttelte die junge Dame den Kopf. „Also wirklich Avrial, du könntest ruhig mit mir schritt halten.“ Hatte sie ihn gerade geduzt…? „Ihr Berater hat mir-“ „Pff, der alte Geier redet viel, wenn der Tag lang ist.“, Yne bog nach links, den Trampelpfad ein, „Er hält sich für meinen Ersatzvater und denkt, er muss mich immer noch erziehen. Dabei vergisst er gerne, wer hier auf dem Fürstenthron sitzt.“, sie lächelte zu dem Magier neben ihr, „Sag Avrial, magst du Maskenbälle? Das Dorf veranstaltet einmal im Jahr, Mitte Sommer einen groooooßen Ball mit viel Musik und Tanz!“ „Madame Yne-“, Avrial schien perplex von ihrer Art, „Sie- Ihr- wieso habt Ihr die anderen Wachen vorhin abgelehnt? Nachdem was passiert ist-“ Die Fürstin unterbrach ihn mit einem Kichern, anschließend schüttelte sie den Kopf: „Avrial, ich wollte dich als meinen Leibwächter haben, damit wir alleine sein können!“ Der Arcaner war sich in diesem Moment nicht sicher, ob er ihren Satz richtig verstanden hatte. „Schau, ich habe es satt, ständig von Soldaten umzingelt zu sein. Man kann sich nirgends wohin begeben, ohne dass man ständig von der Öffentlichkeit angestarrt wird… zwar wird sich daran wenig ändern, doch weichen die Leute nun wenigstens aus Angst vor den Wachen nicht mehr zurück. Wenn ich ehrlich bin… war das auch der Grund, weshalb ich mich verkleidet aus dem Schloss geschlichen habe…“, sie hielt Avrial belehrend den Finger vor die Nase, woraufhin er stehen blieb: „Und hör auf mich zu Siezen – schlimm genug, dass das mein Herr Berater tut!“ „In- in Ordnung Madame-“ „Wie war das?“ „In Ordnung, Yne.“ „Na also…“, zufrieden ging sie weiter, in den beginnenden Wald vor ihr, „Geht doch.“ Den restlichen Weg entlang redete Avrial über seinen alten Job als Helfer bei den Fischern, als Yne danach fragte. Ihr als Fürstin war solch eine schwere Arbeit fremd – doch interessierte sie sich sehr dafür, zu erfahren, was die Bevölkerung so tat. „Warte-“, Yne hielt den Magier auf, als sie nahe dem Strand auf einer erhöhten Klippe des Weges ankamen. Fragend sah er der Fürstin nach, als sie sich den Abgrund näherte und hinab, ins Wasser sah. Es waren keine gefährlichen Klippen, oder starke Brandung vorhanden. Sie lächelte zu Avrial, als er nachkam. „…Damals bin ich oft mit meinem Vater hierher gekommen.“, erneut blickte sie ins blaue Meer, „Als ich noch klein war, sind wir gemeinsam da runter gesprungen.“ „Hier?“, verblüfft sah sich ihr Leibwächter um, „Hatte dein Vater keine Angst, dass euch etwas passiert?“ „Nein-“, sie lachte, „Der Strand ist gleich dort unten, hinter der Kurve. Wir sind gesprungen und zum Strand geschwommen, ehe sich meine Mutter fragte, wo wir beide steckten.“ „Verstehe…“, Avrial nahm langsam Abstand, ehe er und Madame Yne zurück auf den Weg gingen. „Du scheinst eine schöne Kindheit gehabt zu haben…“ „Ja… das Leben war damals schön… und einfach.“, während sich der Magier wieder in Bewegung gesetzt hatte, war sie immer noch am selben Fleck. Sie hatte einen Gesichtsausdruck, als ob sie gleich anfangen würde, zu weinen. So drehte Avrial doch lieber um und ging zurück, zu ihr. Noch ehe er etwas Tröstendes sagen konnte, schnappte Yne seine Hand – mit einem ganz und gar nicht traurigen Gesicht. „Weißt du was, Avrial? Ich habe eine tolle Idee!“ „Was? Nein!“, der junge Mann versuchte sich nicht von ihr mitziehen zu lassen, als sie auf die Klippen zulaufen wollte. „Wieso denn nicht?“, sie kicherte, „Du bist ein Magier! Selbst wenn es gefährlich werden würde, kannst du uns einfach fliegen lassen, oder so!“ „So einfach ist das nicht-“, sie zog Avrial weiterhin mit sich, „Yne, warte- das geht nicht! Das geht nicht-!“, schließlich machte sie einen großen Satz von der Kippe und sprang – zusammen mit Avrial, der noch während des Sprungs ihren Namen rief. Als beide in das blaue Nass sprangen und durch den langen Fall tief eintauchten, stiegen tausende von kleinen Blasen zur Oberfläche auf. Auch wenn es schön anzusehen war, war Avrial damit beschäftigt, ein wenig in Panik nach der verschwundenen Fürstin zu suchen. Als er sie im dunklen Wasser nicht finden konnte – und ihm die Luft ausging – war er gezwungen, wieder aufzutauchen. Nachdem er nach Luft geschnappt hatte, blickte er hektisch im Kreis umher: „Yyynee!“, er tauchte kurz abermals ein, um sicher zu gehen, dass sie nicht irgendwo bewusstlos trieb, ehe er wieder die Oberfläche absuchte. „Yyyne!“ Nach vielen Minuten spürte Avrial, wie ihn wegen der schwer gewordenen Kleidung die Kraft in Armen und Beinen ausging. Er hatte keine andere Wahl, als zum Strand zu schwimmen. Erschöpft und verzweifelt schlenderte der Leibwächter triefend aus dem Wasser. Er hatte gleich am ersten Tag seine Aufgabe vernachlässigt… „Hahaha!“, Madame Yne saß schnaufend am Strand und drückte lachend ihre nassen, goldenen Haare aus. „Dein Gesicht, Avrial! Du hättest dich sehen müssen! Unbezahlbar!“ „Yne-“, erleichtert und doch verärgert über ihre Tat, kam er zu ihr gelaufen. „Was sollte das eben?! Dir hätte etwas Furchtbares zustoßen können! Machst du das etwa öfter?! Kein wunder, dass du ständig in Gefahr gerätst!“ Immer noch mit einen sanften schmunzeln, blickte die Fürstin hoch, zu dem triefenden Mann. „Bist du fertig…?“ Erledigt von der Aktion, sank Avrial auf die Knie – anschließend legte er sich auf den Rücken, in den Sand. Neben ihm Madame Yne, Arme hinter dem Kopf verschränkt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)