Myth, Story, Legend von Ireilas (Kurzgeschichten aus Desteral) ================================================================================ Kapitel 14: Die letzte Nacht ---------------------------- Vorsichtig half Madame Yne ihrem geschwächten Leibwächter hoch. Sie wusste nicht, was genau zwischen ihm und dem dunklen Magier damals vorgefallen war, doch näher darauf eingehen wollte sie im Moment auch nicht. Avrial konnte sich kaum auf den Beinen halten, weshalb ihn Yne auch auf dem Weg zurück zum Schiff stützte. Immer wieder schien es, als ob er jeden Moment in Ohmacht fallen würde, weshalb sie immerzu Sprach, um ihn wach zu halten. Sicherlich war der Fluch an seiner Lage schuld; alleine der Kampf hätte ihm nicht so zusetzen können. Taumelnd am Schiff angekommen, schlief Avrial ein und sollte nicht vor dem Morgengrauen erwachen. Er wurde von den Bediensteten, Christy, Juls und Rina, in sein Zimmer getragen, während Ynes Berater in Erfahrung bringen wollte, was genau vorgefallen war. Die Fürstin erzählte, dass sie in der Nähe der Küste von einem dunklen Magier, der ein alter Bekannter Avrials war, überrascht wurden. Er versuchte Yne einen Fluch aufzuhetzen, weswegen Avrial eingriff und in einen Kampf verwickelt wurde. Enttäuscht schüttelte der Berater den Kopf. In seinen Augen war die Sache ganz klar: Avrial hatte als Leibwächter versagt. Es war seine Idee gewesen, diesen Ausflug zu unternehmen und hatte Yne in eine sehr gefährliche Situation hineingezogen. Seine Gedanken gingen schließlich sogar so weit, ihm den Titel als Leibwächter abzuerkennen – fortan sollte die Fürstin wieder von mehreren Soldaten begleitet werden. „Was? Nein, das können Sie nicht tun!“, Yne lief ihrem Berater nach, der durch einen Flur schritt. „Avrial kann doch nichts dafür, es ist allein dieser dunkle Magier schuld! Wenn er nicht gewesen wäre-“ „Aber er war da.“, so der Berater, „Ein Leibwächter hat die Aufgabe, stets bereit zu sein, egal ob Gefahr droht, oder nur etwas sein könnte.“ „Aber-“, Yne war stehen geblieben und sah ihn zornig an. „Das ist nicht fair!“ Ebenso angehalten, drehte der Berater ihr den Kopf zu. „Madame Yne, seid vernünftig – dieser Arcaner hat seine Aufgabe vernachlässigt. Es geht um Eure Sicherheit, das wisst Ihr.“ Die Fäuste geballt, sah die Fürstin ihrem Berater an. Sie war vor Wut den Tränen nahe, wollte aber auf keinen Fall irgendwie auf die Beziehung zwischen ihr und Avrial aufmerksam machen. Schließlich senkte sie den Kopf und nickte. „Ja... Sie haben recht...“, sie brachte diesen falschen Satz nur schwer aus ihren Mund. Zufrieden schmunzelnd, ging der Berater seine Wege. In Wirklichkeit wäre es ihm egal gewesen; ob mit oder ohne Zustimmung, er wollte diesen – in seinen Augen unfähigen – Arcaner aus dem Schloss haben. Am nächsten Morgen saß Yne schon sehr früh an Avrials Bett. Sie wollte dabei sein, wenn er aufwachte. Dass er diesen Tag Zeit hatte sich zu erholen und mit dem morgigen Abend offiziell entlassen werden würde, hatte sie ihm vorerst verschwiegen. Ihr war es nur wichtig, dass es ihm besser ging. Doch nach dem gemeinsamen Frühstück wäre es vielleicht besser gewesen, es ihm zu sagen: er hatte sich in die Bibliothek zurückgezogen, um die arcanische Schrift zu lernen. Der Vorfall machte ihm deutlich, wie Gefährlich Furah geworden war. Wenn er ihn jemals schlagen wollte, musste er in Magie besser werden, viel besser. Yne respektierte seinen Drang nach Wissen. Sie hatte ihm und sich selbst eine Tasse Tee gemacht, ehe sie sich auf den Boden setzte, an seinen Rücken gelehnt. Den ganzen Nachmittag verbrachten sie bei den Büchern. Avrial hatte es geschafft, die ersten elf Zeichen zu identifizieren; bis zur Vollständigkeit fehlten somit nur mehr achtzehn. Hin und wieder warf er seinen Blick hinter sich, zu Yne, die immer deutlicher bedrückt an ihrem Tee nippte. Als er fragte, ob er denn die Studien für heute gut sein lassen soll, schüttelte sie nur den Kopf. Etwas stimmte nicht, das konnte der Magier sehen. So verbrachten die zwei auch noch die Zeit bis zum Abendessen in der Bibliothek. Als sie schließlich in den Speisesaal gerufen wurden, schlug Avrial das Buch zu. Nach dem Essen begleitete er Yne noch in den zweiten Stock. Gerade gingen sie einen Flur entlang, da begann Avrial scherzhaft zu meinen: „Die arcanische Schrift ist schwerer zu lernen, als ich dachte. Ein Buchstabe hat gleich zwei Bedeutungen, wie 'ke' und 'ko'... haha, in der Schule brauchten wir an die vier Jahre, die desteralische Schrift zu lernen – zum Glück haben wir noch etwas Zeit bis dorthin-“ „Nein, haben wir nicht.“, Yne war bedrückt stehen geblieben. Avrial wusste schon länger, dass etwas nicht stimmte. Er blieb ebenfalls stehen und blickte über den Flur. Schließlich griff der Magier nach ihren Händen, als sie den Kopf senkte. „...Was ist denn los? Rede mit mir, Yne.“ Die Fürstin verzog das Gesicht und schloss die Augen. Ein Seufzer entfleuchte ihrem Mund, ehe sie ihre Hände wegzog. „Mein Berater hat entschieden.“, meinte sie leise, „Mit morgigen Abend wird dir das Amt als Leibwächter entzogen.“ „Yne-“ „Du wirst aus dem Schloss geworfen-“, mit einem Schluchzen fasste sie sich ins Gesicht, „Es tut mir leid, Avrial!“ Der Arcaner stand einen Moment schweigend vor ihr. Traurig, aber verständnisvoll, legte er seine Arme um Yne, die sich darauf hin fest an ihn schmiegte. „Schon gut...“, begann er, „Wenn dein Berater so entschieden hat, sollten wir uns beugen.“ „Du weißt, dass wir uns nur noch selten sehen werden...“ Auf ihren leisen Satz hin, zog Avrial die Brauen zusammen und schloss die Augen. „Natürlich.“, in Wirklichkeit hatte er genau diese Tatsache verdrängt gehabt. „Yne-“, er ließ sie los, „Es ist Riskant für uns, aber gibt es denn keinen Weg? Ein Gesetz Ikanas, das man irgendwie umgehen kann? Ein nicht bedachtes Schlupfloch?“ „Ich- ich weiß nicht.“, sie sah von ihm ab, „Möglich wäre es. Dazu müsste ich mir gleich morgen die Gesetze ansehen.“ „Bitte tue das... es ist unsere einzige Chance.“ Yne wischte sich nebenbei eine Träne weg. „Ich weiß.“ Bei ihrem Satz kam schwach hervor, dass sie sich keine großen Hoffnungen machte. Vielleicht war es auch besser so; sollte sie nicht fündig werden, sah es schlecht für die Beziehung aus. Die Stunden vergingen und die Nacht brach herein. Auf den Fluren und Gängen des Schlosses war es still geworden. Nur einzelne Wachen zogen umher, mit Kerzen und Schwert im Hüftgürtel, stets bereit einen Einbrecher zu erwischen. Auch die drei Bediensteten der Soldaten, Christy, Juls und Rina, waren zu Bett gegangen. Natürlich haben sie das Vorhaben des Beraters mitbekommen. Jeder hat das. Aber im Gegensatz zu ihnen schien der Rauswurf von Avrial kaum jemanden zu stören. Wie immer war es Christy, die die Soldaten bei ihrem täglichen Putzgang belauscht hatte und dabei mitbekam, wie die Wachen, lachend, über das Ereignis sprachen. Was ihr besonders im Gedächtnis hängen blieb, war der Satz „Wurde auch Zeit, der Arcaner hatte es sich hier schon richtig bequem gemacht!“ Schmollend über das Gerede, drehte sie sich in ihrem Bett auf die andere Seite und umklammerte ihr Kopfkissen. Wie kann man nur so Rassenfeindlich sein? Männer aus Ikana sind echt das Letzte, so ihre Gedanken. Beim Blick zur Tür nahm sie einen Lichtschein war, der durch die Ritze drang. Eine Wache war in diesem Moment vorbei gegangen und auch schon wieder verschwunden. Doch sah Christy überlegend auf, als da ein zweites Mal jemand vorbei schlich. Ohne Licht. Ebenso wie die Bedienstete, lag Avrial am Ende des Flures in seinem Zimmer. Aufgesetzt, mit dem Kissen an die Wand gelehnt, starrte er eine ganze Weile überlegend gerade aus. Es war seine letzte Nacht im Schloss; warum musste Yne auch erst am Abend mit der Wahrheit kommen? Oder warum nicht später, morgen früh? Dann hätte Avrial wenigstens in Ruhe schlafen können. So saß er da, hellwach und doch müde, über sein zukünftiges Schicksal nachdenkend. Zurück ans Festland konnte er auf keinen Fall. Furah würde ihn höchstwahrscheinlich schon erwarten und kämpfen wollen. Kämpfen... für den dunklen Magier schien alles eher ein „Spielchen“ zu sein, als bitterer Ernst. Avrial hatte gehofft, möglichst viel über die Magie mittels des arcanischen Buches in Erfahrung bringen zu können. Vielleicht durfte er wenigstens das Buch, zusammen mit den Aufzeichnungen Ynes Vaters mitnehmen? Sicherlich würde auch da der Berater quer stehen. Yne war zwar Fürstin, stand aber stets im Schatten der Entscheidungen ihres Beraters. Es würde Avrial nicht wundern, wenn bereits ihr Vater mit ihm öfters nicht einer Meinung war. Der Berater… wenn er nicht den Ersatzerzieher spielen würde – obwohl Yne längst Volljährig war – würde die Lage ganz anders aussehen. Auch wenn sich Avrial nicht sicher war, ob er nicht doch Recht hatte. Wenn er nicht den Ausflug vorgeschlagen hätte, wäre Yne niemals in Gefahr geraten; wobei sie eigentlich die Gefahr wie magisch anzog. Da atmete er einmal tief ein und aus. Die Gedanken drehten sich, begannen von neu, ließen ihm einfach keinen Frieden. Vielleicht war es besser, sich einfach mit dem Schicksal abzufinden. Es war allein schon großes Glück, überhaupt Leibwächter zu werden und Yne stets nahe zu sein. Aber was man einmal hat, gibt man nicht gern wieder her. Besonders, wenn es sich um die Liebe handelte. Plötzlich – die Tür öffnete sich. Abgesehen davon, dass es zu dieser Zeit überhaupt das erste Mal geschah, hatte Avrial jeden erwartet. Jeden, außer Yne, die in einem dünnen Abendmantel unter dem Bogen stand. Die Tür sanft geschlossen, ging die Fürstin voran, auf Avrials Bett zu. „Yne-“, kaum den überraschten Satz begonnen, spürte er ihre Lippen auf seinem Mund. Verblüfft wie er war und doch froh, sie zu sehen, stellte er vorerst keine weiteren Fragen mehr. Die Augen geschlossen, genossen sie einfach den Moment. Schließlich löste sie sich von ihm. „Yne… was tust du hier…?“, flüsterte Avrial, „Wenn dich jemand gesehen hat-“ „Ssht.“, sie hielt sich den Finger vor den Mund und lehnte ihre Stirn an seine. Beide hatten dabei erneut die Augen geschlossen. Nach einiger Zeit der Stille, küssten sie wieder einander. Die Fürstin stand schon gar nicht mehr, sondern hatte sich zu ihm auf das Bett gesetzt. Als sie den Abendmantel von den Schultern gleiten ließ, blickte er schließlich auf. „Nicht- …wir dürfen nicht, nicht jetzt-“ „Wir können nicht mehr warten…“, die lächelte sanft und küsste ihn abermals. „Das weißt du.“ Wie Recht sie doch nicht hatte. Die Chance, jemals wieder so nah beieinander zu sein, war sehr gering. So ließ er es geschehen. Yne in den Arm geschlossen, liebkosten sie sich leidenschaftlich und vergaßen dabei, für eine Nacht, die strengen Regeln Ikanas und ihre verschiedene Herkunft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)