Myth, Story, Legend von Ireilas (Kurzgeschichten aus Desteral) ================================================================================ Kapitel 18: Trennung -------------------- Man hätte es ahnen müssen. Das verhalten des Beraters, sein stets bemühter Versuch, Madame Yne im Griff zu halten, um selbst aus dem Hintergrund die Fäden Ikanas zu ziehen. Nicht einmal jetzt, von seiner Macht enthoben und in ein tiefes Loch gefallen, gab er seine Rolle auf. Er dachte nicht im Traum daran. Der Großteil Ikanas war auf seiner Seite und auch wenn sich die Nachricht des Nachkommens der Fürstin nur schleppend verbreitete – die Einwohner schliefen bis zum frühen Nachmittag – hatte er genug Stimmen zusammen, um den gemeinsam entwickelten, teuflischen Plan durch zu setzen. Alle Beteiligten schworen einstimmig, die Tat zu vertuschen, auf dass nie die Wahrheit ans Licht kommen würde. Es musste schnell und lautlos geschehen. Der Arzt informierte die Meute, dass Madame Yne alleine bei ihm war. Wieder ein Geschäftsmann berichtete, Avrial auf dem Marktplatz gesehen zu haben. Eine Wache des Schlosses, welche gern in der Kneipe abhing, konnte bestätigen, dass sämtliche Soldaten entweder nicht im Dienst waren, oder von der gestrigen Feier erledigt. Es schien der perfekte Moment zu sein – jetzt, oder nie. Stets die Augen offen, bestieg eine fünfköpfige Meute, die sich zur Durchführung des Plans bereiterklärte, den Weg zum Schloss. Die Männer wollten unter keinen Umständen gesehen werden und folgten den genauen Anweisungen des einstigen Beraters, der jeden Winkel des Anwesens genau kannte. Durch ein offenes Fenster, welches durch die fehlende Glasscheibe mit einem Brett zugenagelt war, stiegen die Männer ein. Wie die Wache aus der Kneipe prophezeite, waren kaum andere Wächter auf dem langen Gang anzutreffen. Nur ein Mann stand am Haupteingang, der, müde wie er war, die an seinem Rücken vorbei schleichende Meute nicht bemerkte. Madame Yne kämmte sich ihr goldenes Haar, während sie auf dem Weg von ihrem Zimmer in eines der Wohnzimmer im zweiten Stock war. Es war schön für sie, einmal nicht an die Arbeit denken zu müssen; so etwas wie Flitterwochen gab es nicht, doch wenigstens den Tag nach der Hochzeit konnte man entspannt verbringen. Allein die Sorge, sich eine Krankheit eingefangen zu haben, beunruhigte sie. Yne wollte ihren Mann schließlich nicht anstecken; noch dazu so kurz nach der Vermählung. Mitten auf dem Flur stand sie, als sie aufschreckte: Sir Steiner versperrte den Weg und lächelte ihr zu. Eigentlich hatte die Fürstin sich nicht wegen ihm selbst, sondern vor seinem entsetzlichen Aussehen erschreckt. „Sir Steiner?“, sie senkte den Kamm. Bevor Yne fragen konnte, was er denn hier mache, kam auch schon die Antwort: „Ich muss noch meine persönlichen Gegenstände aus dem Schloss holen. Dafür war zu wenig Zeit.“, was, ganz ehrlich, keine Lüge war. „Aha...“, sie fasste sich verlegen an den Nacken, als er näher kam, „Und was brauchen Sie dann von mir?“ Der einstige Berater lachte. „Haha, Ihr fällt gleich mit der Tür ins Haus...“, er deutete nach oben, „Im Turmraum sind meine Besitztümer verwahrt... ich... ich war so viele Jahre hier tätig, da machte mir Euer Vater das Angebot, den Turm zu nutzen.“ Yne blinzelte, ohne auf die klägliche Stimme von Sir Steiner einzugehen. „Oh... und Sie brauchen den Schlüssel, nehme ich an?“ „Ja...“, er seufzte, hob dabei die Schultern, „Wisst Ihr, seitdem ich nicht mehr Euer treuer Berater bin, bin ich nicht befugt, einen Schlüssel in die Hand zu nehmen, geschweige denn versperrte Räume des Schlosses alleine zu betreten... aber ich kann keine brauchbare Wache vorfinden – nach dieser Nacht aber auch nicht weiter verwunderlich.“ Yne nickte lächelnd, ehe sie voranschritt. „Dann kommen Sie, ich werde Ihnen den Turmraum aufsperren.“ „Hervorragend... Ihr seid zu freundlich.“ Eine Falle. Es war eine Falle, hätte sich die gütige Fürstin denken müssen. Doch Sir Steiner spielte gut seine Gefühle weg, nicht zuletzt war er nun einmal ein sehr vertrautes Gesicht des Schlosses. So kam es, wie es kommen musste. Yne drückte gerade die alte Türklinke hinab und öffnete die knarrende Holztür, da stieß sie der einstige Berater in den Turmraum. Als sie erschrocken den Sturz mit den Händen abfing, schnappte sie gleichzeitig nach Luft: was war eben geschehen? Sie drehte sich beim aufstehen, um es heraus zu finden. Sir Steiner versperrte die Tür, während sich vier Männer zu ihm stellten. Da er nun seiner Fürstin einen kalten Blick zuwarf, sah sie verwirrt zu den fremden Männern auf. „Was soll das? Was geht her vor...? Sir Steiner, wer-“ „Wir haben lange genug zugesehen.“, war die Antwort, „Und wir sind nicht die einzigen, die so denken.“ „Was?“, Yne schluckte – sie spürte ihr Herz bis in den Hals schlagen, versuchte aber dennoch ruhig zu bleiben, „Es geht immer noch um Avrial... habe ich recht?“ „Um wen denn auch sonst.“, der Berater schnaufte, „Wäre er nicht gewesen, würde Ikana nicht ins Chaos stürzen.“ „Ins Chaos? Ins Chaos!?“, Yne ballte die Fäuste, „Wenn Sie mit „ins Chaos stürzen“ meinen, dass die strengen Regeln endlich fallen, dann ja, wir stürzen Ikana gemeinsam ins Chaos.“ Nun schrie der Berater regelrecht: „Es geht nicht nur um das Gesetz! Begreift es endlich, Ihr habt keinen Menschen geheiratet! Und wir werden auf keinen Fall tatenlos dabei zusehen, wie dieser Arcaner Euch langsam zu Grunde richtet!“ „Was soll das Bedeuten? Wer richtet hier wem zu Grunde!?“ „Seid nicht so engstirnig!“, der Berater machte ein wenig Platz, damit die vier Männer in den Turmraum eintreten konnten; Yne ging darauf hin einige Schritte zurück. „Wir werden Euch und Ikana retten, Madame Yne.“ „Was-“, nun presste sie sich bereits gegen die hinterste Wand. „Ihr- ihr braucht mich nicht retten, vor nichts und niemanden!“ „Nicht vor jemanden. Vor Euch selbst und dem Kind.“ „Dem-?“, die Fürstin verstand nicht. Im ersten Moment dachte sie auch gar nicht richtig nach; sie wollte nicht glauben, was aus ihrem einstigen, treuen Berater wurde, weshalb sie inständig hoffte, ihr würde ein kleiner Attentäter, ein Räuber nach dem Leben trachten und ihr damaliger Vormund wollte sie nur vor diesem bewahren. Um weitere Missverständnisse auszumerzen, deutete Sir Steiner, welcher immer noch bei der Tür stand, auf die Fürstin selbst. „Das Kind, das Halbblut in Euch. Es darf nie das Licht der Welt erblicken! Ihr wisst doch nicht einmal, ob Ihr in den nächsten Monaten aufgrund dessen sterben werdet!“ Nun begann Yne zu verstehen. Warum der Arzt so Eigenartig reagierte, anstatt es ihr zu sagen. Er steckte genauso wie viele Leute aus dem Dorf mit Sir Steiner unter einer Decke. Doch diesen finsteren Gedanken verfolgte die Fürstin nur kurz. Sie sah mit geweiteten Augen an sich hinab und berührte dabei ihren Bauch. Kaum hörbar entflohen ihr die Worte „Ich bin schwanger...“ Da packten sie die Männer, drückten sie an den Armen gegen die Wand. Yne versuchte sich zu wehren, hatte gegen vier dieser Kerle aber keine Chance. Verzweifelt richtete sie ihren Blick gerade aus, auf Sir Steiner, der lächelnd einen Dolch aus der Tasche zog. „Nein-“, nun war es so weit; Yne geriet in Panik. „Nein- nein! Sir Steiner, bitte-!“ „... Es ist die einzige Möglichkeit, Euch nachhaltig zu Beschützen...“, er schmunzelte, „Das versteht Ihr doch...?“ „Neein!“, sie schrie, „Nein, kommen Sie nicht näher! Avrial...!“ Im Moment der wahnsinnigen Tat, war eine ruckartige Windböe in Ikana zu spüren. Ein Verkäufer sah fragend gen Himmel: war Regen im Anmarsch? Vielleicht war diese Böe reiner Zufall. Doch als sie Avrials Gesicht streifte, während er die lange Bergstraße zum Schloss hinauf trat, könnte er schwören, Ynes Stimme vernommen zu haben. Auch, wenn er nicht genau wusste wieso, fing er an schneller zu gehen, bis er dabei war zu laufen. Die kürzlich gekauften Rosen begannen bei seinem schnellen Tempo rote Blüten zu verlieren, doch war ihm das egal. Ihm war alles egal, er wollte nur mehr Yne sehen. Wissen, dass es ihr gut ging und sie sich herzerweichend lächelnd bei seiner Ankunft zu ihm umdrehte. Doch als er im Saal ankam und vor den großen Stufen stand, war niemand zu sehen. Keine Wachen, keine Bediensteten, keine Liebste; Avrial ließ den Rosenstrauß fallen und hetzte die Stufen hinauf, Richtung Schlafgemach. Gerade hatte er den Flur erreicht, da war ein verzweifelter Ruf zu hören. „Yne!“, nun begann er zu rufen. „Yne!“ Obwohl das Schloss so groß war, konnte er genau hören, woher der Laut stammte; war es sein Instinkt oder der Drang, Yne zu finden – er eilte so schnell er konnte bis ans Ende des Flügels, zu den Stufen des Turmraumes. „Yne! Hörst du mich! Yne, ich komme!“ Fast wäre Avrial gestolpert, fing sich aber, gegen die Wand geworfen und lief weiter, immer weiter. Er stieß die Tür vor sich auf – ehe der darauf folgende Anblick eine Ewigkeit dauerte. In Avrials Augen schien die Welt für einen Moment den Atem angehalten zu haben... Auf dem kalten Steinboden lag Yne, kraftlos, mit einer Hand den Bauch haltend. Sie hatte versucht zur Tür zu gelangen, war dafür aber bereits zu schwach gewesen. „Yne-!“, hastig zu ihr gelaufen, nahm Avrial sie vorsichtig in den Arm. „Yne- nein... nein, öffne die Augen- öffne die Augen, bitte!“ Auf seine Stimme reagierend, drehte Yne den Kopf, ehe sie müde ihren Liebsten erblickte. Die Situation kam so schnell, so unerwartet, dass der Arcaner ein wahres Gefühlschaos erlebte. Panik, Zweifel, Wut... Trauer. Eng seine Frau an sich gedrückt, griff er nach ihrer Hand, die stets auf dem Bauch lag. Ihr eigentlich weißes Kleid war regelrecht in Blut getränkt, was Avrial erst jetzt bemerkt hatte. Vorsichtig hob er die Hand seiner Liebsten und sah mit Schreck die tiefe Wunde unterhalb ihrer Brust. „Was ist geschehen...?“, fragte er leise, ihre Hand drückend, „Wer war das? Wer war das, Yne!?“ „D-“, sie zuckte vor Schmerz, „D-das- e-“ „Nein-“, er griff zu ihrer Stichverletzung, „Es ist ok, du musst nicht Reden- spare deine Kraft, Yne-“ Die Fürstin schien, als würde sie langsam wegdämmern. „Yne?“, ein wenig hob er sie, „Yne? Hörst du mich- Yne!“ „E-es...“, schnell hielt er seinen Kopf näher zu ihrem, um ihre Worte zu hören. „Es- tut mir- l-leid Av...“ Sacht schüttelte der Liebste darauf den Kopf. Während seiner Antwort fiel ganz unbemerkt die erste Träne. „Was muss dir denn Leid tun? Es ist gut... es muss dir nichts Leid tun...“ „Doch...“, meinte sie heißer, „Ich- ich- wollte doch-“, sie zuckte abermals, jedoch nur mehr schwach. „Dein- Grund... sein...“ „Yne-!“, Avrial spürte deutlich, wie ihre Kraft in allen Körperteilen verloren ging. Als sich ihr Kopf zur Seite drehte und sich langsam ihre blauen Augen schlossen, flüsterte sie mit letzter Kraft „Ich liebe dich.“ Avrial konnte es nicht fassen. Er begriff es nicht. War das eben wirklich geschehen? War das ein Alptraum? Ein schrecklicher, einziger Traum? Ewig dauerte der Moment an. Der Moment der Stille. Yne lag regungslos in seinen Armen, während er sie anstarrte. Avrial war zu geschockt, zu gelähmt, auch nur irgendetwas zu tun – und sei es nur zu blinzeln. Schnelle Schritte waren zu hören; erst diese rissen den Arcaner aus dem ewig währendem Alptraum, in dem er steckte. Er sah zur Tür und entdeckte Sir Steiner, zusammen mit anderen geschockten Bewohnern des Dorfes. Auch ein paar Wachen waren herbeigelaufen, als sie den verzweifelten Ruf Ynes vorhin wahrnahmen. Viele der starrenden Menge schlugen die Hände vors Gesicht, ehe der einstige Berater an die Türschwelle kam. „Nein... was haben Sie getan...?“, er holte Luft und deutete fassungslos auf die regungslose Fürstin in seinen Armen. „Sie ist tot! Er hat sie umgebracht!“ „N-nein!“, Avrial schnappte selbst nach Luft, sah nach seinen blutigen Händen. „Nein, das war ich nicht! Ich-“ „Sie haben sie umgebracht! Es war nur eine Frage der Zeit!“ Nun begannen auch die anderen Bewohner den Kopf zu schütteln. Die Wachen waren sichtlich Enttäuscht, ehe die Leute in einem wahren Durcheinander auf den Magier einredeten: „Das kann nicht sein!“, „Wieso haben Sie das getan?“, „Ihr Mörder!“, „Nicht Madame Yne...!“ Aviral verlor allmählich die Kontrolle; immer wieder rief er „Nein- nein, das war ich nicht! Das war ich nicht!“, doch niemand hörte zu. Yne lag Tod in seinen Armen, das teuerste, das einzige, was ihn an diese unfaire Welt band – und die Bewohner Ikanas waren zu engstirnig, so verhasst auf den Magier, dass sie keine Sekunde daran zweifelten, der Arcaner könnte unschuldig sein. Schließlich platzte Avrial fast vor Wut, als er Madame Yne noch vorsichtig zu Boden legte und kopfschüttelnd die Worte „Geht weg... geht weg, alle!“ sprach. Doch sie standen immer noch da. Ihn beschuldigend, warfen sie immer noch mit Sätzen, wie „Sie Monster!“, „Sie war doch so unschuldig!“ und „Mörder!“ um sich. Schnell aufgestanden, brüllte Avrial die Worte heraus: „Ihr sollt verschwinden!!“, ehe er die Hände nach vorne riss und in seine Wut eine gewaltige Windböe erzeugte. „VERSCHWINDET, ALLE!“ Sämtliche Schaulustige wurden weit in den Flur zurückgeworfen, ehe die Leute in Panik gerieten – während die Bewohner aus dem Schloss liefen, setzte sich Sir Steiner zufrieden auf dem Flur auf. Es würde nicht mehr lange dauern und Avrial hielt nichts mehr an diesem Ort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)