Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 8: Rain in the morning ------------------------------ So, hier mal wieder ein etwas kürzeres Kapitel. Zur Erklärung (mal wieder auf Anregung durch einen Kommentar) sollte ich kurz noch erwähnen, dass Katsuya nicht drogensüchtig ist. Dass er keine Entzugserscheinungen hat, ist hingegen ein Fehler meinerseits - ich bitte um Verzeihung (ich denke, ihr könnt sie euch hinzudenken - oder ihr nehmt seine Kopfschmerzen jetzt als Entzugserscheinung *drop*). In diesem und dem nächsten Kapitel geht es Ryou - ich habe ja schon die verschiedensten Vermutungen gehört, langsam sollte es aufgedeckt werden. Ich wünsche euch also viel Spaß ^.^ Und nochmal danke für die Kommis! Mein letztes Wort hier sei: Überraschung! _____________________________________________________________________________ Wie jeden Morgen wurde Katsuya von seiner Armbanduhr geweckt. Sie piepte so dröhnend und unabänderlich, dass er sie nicht ignorieren konnte. Und er hatte das Gefühl, sie piepte ihm das Gehirn aus dem Kopf. Woher hatte er diese verdammten Kopfschmerzen? Gähnend streckte er sich und sah sich in seinem Zimmer um. Eigentlich war alles wie immer. Seine Matratze unter dem Fenster, sein unbezogenes, fleckiges Bettzeug, die Klamotten in den Pappkartons, schmutzige Wäsche und Müll in den Ecken des Raumes – er könnte mal wieder aufräumen. Und auf seinem Schreibtisch stand die Drachenstatue. Wie jeden Morgen blickte sie zu ihm herab und begrüßte ihn so. Shizuka hatte sie ihm einst geschenkt. Wie viele Jahre war das her? Seine Eltern hatten sich getrennt, als er neun war. Der Drache war sein Abschiedsgeschenk gewesen. Und mehr war ihm auch nicht geblieben. Er wusste nicht mal, ob seine Kleine noch lebte. Zehn Jahre waren nun vergangen… er hatte nicht einen Brief erhalten. Ebenso wenig wie die Adresse, unter der er sie erreichen konnte. Ob sein Vater sie kannte? Selbst wenn, die Erinnerung hatte er sicher schon weg gesoffen. Warum hatte man ihnen nichts gelassen? Ob seine Schwester ihn auch vermisste? Ob sie noch lebte? Er stellte sich unter die Dusche und drehte den Hahn auf. Es kam kein Wasser. „Scheiße!“, fluchte Katsuya. Er schlang sich ein Handtuch um und eilte ins Wohnzimmer. Sein Vater lag immer noch auf dem Sofa, schnarchend, zwei leere Flaschen Wodka hatten sich zu den anderen gesellt. „Alter!“, Katsuya packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn durch, „Hey, betrunkenes Wrack! Schalt dein Hirn ein!“ Langsam öffnete der Ältere die Augen und schlug irgendwann nach dem, der ihn immer noch schüttelte. Dabei traf er Katsuyas Brust, dessen Besitzer ihn losließ und ihn anschrie. „Hast du die Rechnungen nicht bezahlt, du Säufer? Irgendwer hat uns das Wasser abgedreht! Das ist jetzt das dritte Mal dieses Jahr, du verdammtes Arschloch! Kümmer’ dich um den Scheiß oder ich schlage dich einmal zusammen!“ Damit drehte sich der Wütende um und stapfte in sein Zimmer. Fertig angezogen und mit dem neuen Schulzeug bepackt rauschte er ebenso sauer fünf Minuten später aus der Wohnung. Er hasste diesen Kerl! Er hasste diesen verdammten Alkoholiker! Warum musste er so einen Scheißkerl zum Vater haben? Wieso hatte seine Mutter ihn nicht mitgenommen? War er ihr etwa so wenig wert? Warum hatte sie ihn mit diesem Säufer zurückgelassen? Warum hatte sie nur seine Schwester mitgenommen? Warum? Warum? Warum? Warum! Katsuya sackte zusammen und lehnte sich an die Wand neben ihm. Das Schluchzen ließ ihn keine Luft mehr holen. Er rang unter seine Tränen um seinen Atem. Seine Hand presste auf die Stelle, wo sein Herz lag. „Warum…“, flüsterte er und fuhr mit einer Hand an die Stirn. Verdammt! Er hatte den Verband nicht wieder drum gemacht. Jetzt musste er auch noch zur Krankenstation… Er griff nach dem Block und dem Füller, die nun neben ihm auf dem Asphalt lagen. Beides an sich drückend setzte er seinen Weg fort. Katsuya klopfte an der Klassentür und wurde hereingebeten. „Sie sind zu spät.“, setzte sein Englischlehrer ein. „Tut mir Leid, ich musste noch auf die Krankenstation.“, der Blonde fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und wollte seinen Weg zu seinem Platz fortsetzen. „Halt! Glauben sie etwa, diese Ausrede zieht? Auf den Flur mit ihnen!“, der Mann packte ihn am Arm und zerrte ihn aus dem Raum, „Glauben sie ja nicht, ich lasse irgendetwas durchgehen, nur weil ich neu bin.“, giftete er und schlug die Tür zu. Katsuya starrte die Tür an, zog eine Augenbraue leicht hoch, seufzte und stellte sich ans Fenster, das hinter ihm war. Noch einmal seufzend ließ er den Blick über den leeren Schulhof gleiten. Während er die Augen schloss, drückte er die neu verbundene Stirn gegen das Glas. Das war ja mal wieder ein toller Anfang gewesen. Wenn er sich recht erinnerte, so hatte im letzten Jahr auch ungefähr jede Stunde so angefangen. Wollte er nicht einmal etwas richtig machen? Gestern war es doch ganz gut gelaufen. Er hatte bei Kaiba mitgearbeitet, in Mathe hatte er zumindest einen Lehrer, den er mochte und in Hauswirtschaft arbeitete er mit einem netten Typen zusammen. Und jetzt verpatzte er gleich die erste Stunde Englisch. Was sollte er dem Lehrer denn jetzt sagen? Sollte er sich noch mal formvollendet entschuldigen? Ehrlich, Lehrer waren ein schweres Volk. Allen voran Kaiba – er war so undurchschaubar wie ein kilometerweiter Gletscher. Und dieses Lächeln ging ihm nicht aus dem Kopf… es passte einfach nicht. Kaiba war jedem gegenüber eiskalt, nur in Diskussionen fing er Feuer. Er diskutierte mit Ironie und Sarkasmus, beleidigte einen gern mal zwischendurch und unterstützte seine Argumente mit eiskalten Blicken. Aber dieses Lächeln passte nicht. Was sollte das bedeuten? Nein, Kaiba war ein schwerer Fall. Ebenso wie er selbst wahrscheinlich. Was war er schon? Er war Vieles. Um kein Nichts zu sein, hatte er dafür gesorgt, dass ihn alle hassten. Schon kurz nachdem er in die Gosse kam, weil sein Vater seinen Job verlor und sich nur noch der Trinkerei unterwarf. Das war, als er gerade in die Mittelschule gekommen war. Kaum dreizehn Jahre alt war er gewesen… er hatte die Schule geschmissen und das Kämpfen gelernt. Er hatte sich sein Essen zusammengeklaut und ein klein wenig Geld mit dem Austragen von Zeitungen verdient. Er hatte seine Kleidung gewechselt, sich die Haare abgeschnitten und gefärbt. Ein paar Monate später sah er zwar wieder wie vorher aus, aber jeder hatte die Botschaft verstanden. Die Welt hatte ihn ausgestoßen – jetzt stieß er jeden ab. Über sechs Jahre war das her. Was hatte die Zeit aus ihm gemacht? Die Glocke klingelte zum Ende der Stunde. „Guten Morgen, Jonouchi.“ „Morgen, Ryou.“, der Blonde blickte auf das Energiebündel vor ihm, das extra für ihn aufgestanden und zur Tür gelaufen war, „Kannst mich übrigens Katsuya nennen.“ „Kommst du heute Nachmittag wirklich zu mir?“ „Klar.“, Katsuya setzte sich auf seinen Platz und ordnete sein Schulzeug auf dem Tisch. „Juhu!“, rief Ryou und sprang beinahe in die Luft. Ohne Frage, der Kleine war wirklich süß. Ein klein wenig kindisch, schüchtern und anscheinend ewig gut gelaunt – man würde nicht glauben, dass sich etwas Böses dahinter verstecken konnte. Wenn Katsuya ehrlich war, dann war er mehr als gespannt, was er heute Nachmittag hören würde. Warum die anderen nichts mit dem Jungen zu tun haben wollten. Denn der Punk konnte sich nicht vorstellen, was das sein sollte – er schien das genaue Gegenteil von ihm selbst zu sein. „Katsuya?“ „Äh, was?“, er schüttelte den Kopf und wachte aus seinen Gedanken auf. „Ich fragte, ob du wirklich auf der Krankenstation warst.“ „Natürlich! Warum sollte ich lügen?“, fuhr er ihn harsch an. „Entschuldige!“, der Weißhaarige verbeugte sich vor seinem Tisch, „Ich wollte dir das nicht unterstellen! Tut mir Leid, tut mir ehrlich Leid!“ Der Ältere zog ihn sanft wieder nach oben, nachdem er vor Schreck von seinem Stuhl aufgesprungen war. Er sollte vielleicht daran denken, wie ängstlich der Andere auf Wut reagierte. „Ryou… ist gut…“, er strich ihm sanft über die Wange, „Wenn ich jemanden anfauche, dann ist das ganz normal. Ich bin dir nicht böse.“, versuchte er zu erklären. „Okay…“, murmelte der Weißhaarige und lächelte schließlich wieder. „Hey, guckt mal.“, rief einer der Jungen, „Dornröschen hat einen Prinzen gefunden!“ „Wieso Prinzen?“, schrie ein anderer, „Einen König! Den König der Idioten!“ Ein paar Mädchen kicherten. „Küsst euch doch, ihr Schwuchteln!“, meinte einer hinter ihnen. Dann begannen ein paar im Chor: „Schwuchteln! Schwuchteln!“ Katsuya warf einen Blick auf Ryou. Der versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen und schniefte, während seine Muskeln sich alle gespannt hatten, sodass er am ganzen Leib zitterte. Mit einem Seufzer legte der Ältere die Arme um ihn und drückte sein Gesicht an seine Brust. Die Jungen verstummten augenblicklich. Katsuya warf ihnen einen mehr als tödlichen Blick zu und zischte in die Stille: „Glaubt mir, dafür bezahlt ihr nachher…“ Der Rest des Schultages verlief ziemlich ereignislos bis auf die Tatsache, dass Katsuya zum ersten Mal in über einem Jahr die Kantine der Schule betrat. Und wie er schon vermutet hatte, brauchte er das ganze Geld um auch nur ein Essen bezahlen zu können. Nach der Hälfte der Pause verabschiedete er sich von Ryou und verschwand bis zu dessen Ende – der Kleine brauchte nicht zu wissen, dass er die Gruppe Jungen, die ihm schon seit Montag mit ihrem Beleidigungen auf die Nerven ging, verprügelte. Aber wahrscheinlich vermutete er es sowieso, als die Sechs mit ein paar grünen, blauen und violetten Stellen im Gesicht wieder auftauchten. Und er wusste es spätestens, als sie zu dem Lehrer gingen, den sie in der nächsten Stunde hatten um Katsuya anzuschwärzen. Aber bei eben diesem handelte es sich um ihren Mathelehrer, Herrn Muto, der mit einem Lächeln auf den Lippen antwortete, dass Katsuya immer nur so fest zuschlug, wie man es verdient hatte und sie lieber an ihrem Benehmen arbeiteten sollten – Freunde musste man haben. So kamen beide im späten Nachmittag schließlich in Ryous Wohnung an. Sie lag zwar in einer ähnlich schlechten Gegend wie die Katsuyas, aber sie war sauber, die Wände waren tapeziert und nirgendwo war Müll zu sehen. Keine leeren Flaschen, keine Bierdosen, keine schmutzige Wäsche – das war wie das Paradies auf Erden. „Ich hab ein bisschen aufgeräumt.“, meinte der Weißhaarige mit roten Wangen, „Und geputzt.“ „Trinkt dein Bruder?“, fragte der Blonde gleich. „Nein!“, rief Ryou etwas zu schnell für Katsuyas Geschmack. Er zog den Kopf etwas ein unter seinem prüfenden Blick. „Na ja… er hat es früher getan… aber seit wir hier wohnen, hat er keinen einzigen Tropfen mehr gehabt, Ehrenwort.“ Er war doch wirklich zu süß um wahr zu sein. Und er sagte die Wahrheit, das fühlte der Ältere. „Dann lebst du glücklicher als die meisten Menschen. Also was bedrückt deine Seele?“ „Komm.“, der Kleine griff seine Hand und zog ihn in den Raum rechts von der Eingangstür – es war die Küche, „Magst du etwas zu trinken?“ „Hast du Sprudel?“ „Klar.“, er machte zwei Gläser fertig. „Cool.“, Katsuya nahm einen Schluck, „Das hab’ ich ewig nicht mehr getrunken.“ Ryou zog leicht die Augenbrauen hoch, aber fragte nicht. „Dann erzähl mal.“, meinte der Blonde mit einem Lächeln. „Kann ich vorher etwas fragen?“ War das nicht irgendwie klar gewesen? Aber gut, Katsuya würde auch nicht einfach so jedem von seinem Leben erzählen. Also nickte er. „Du hast doch die Jungen heute verprügelt, oder?“ „Klar.“ „Warum?“ Katsuya fühlte sich plötzlich von den hellblauen Augen durchbohrt. Ryou konnte ja glatt Blicke verteilen, die einem Angst einjagten. Nun gut, die Antwort konnte er ja geben. „Weil sie dich beleidigt haben. Vor allen Dingen weil sie dich zum Weinen gebracht haben.“ Der Weißhaarige lächelte glücklich. „Du bist genauso wie mein Bruder.“ „Ich nehme das mal als Kompliment.“, Katsuya zwinkerte ihm zu, „Freunde sollten füreinander da sein.“ Sein Gegenüber lächelte mit noch mehr Strahlen in den Augen. „Darf ich nun deine Geschichte hören?“ „Ja.“, er schloss die Augen, trank einen Schluck und sah ihn dann noch einmal durchdringend an, „Aber wenn du danach nichts mehr mit mir zu tun haben willst, dann sag das bitte. Ich bin zu oft enttäuscht worden und kann die Wahrheit vertragen.“ Katsuya wurde langsam etwas mulmig zumute. Was hatte dieser Junge denn nun erlebt? Und wieso glaubte er, alle Welt würde ihn deshalb verachten? „Also beginne ich am besten mit dem Schockierenden zuerst.“ Er lehnte sich vor, schob das Glas zur Seite und versuchte es sich dabei auf seinem Küchenstuhl etwas bequem zu machen. Er war nicht weniger hart als der Tisch. Seine rechte Schuhspitze tippte auf die Fliesen. „Ich bin schwul.“ Katsuya atmete einmal tief durch. Okay, das war verkraftbar. Bei einem wie Ryou sogar denkbar. Selbst wenn man den Charakter beiseite nahm, sah er immer noch aus wie eine Frau. Aber was sagte schon Aussehen? Aber irgendwo ließ es darauf schließen. So durchdringend wie der Jüngere ihn ansah war das aber sicher noch nicht alles. „Und weiter?“, hackte der Blonde schließlich nach. „Ich bin mit meinem Bruder zusammen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)