Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 40: Schmerzen einer Erinnerung -------------------------------------- Dieses Kapitel gehört zwar nicht zu meinen längsten, aber sicher zu den gehaltvollsten. Worum es geht, wisst ihr ja. Ich bin jetzt schon auf eure Kommentare gespannt. Viel Spiel, Spaß und Spannung beim Lesen! P.S.: Es sind einige neue FFs bei mir on ^.- Edit: Betrug! Entweder verzählt sich Mexx bei den Wörtern oder mein Wordprogramm -.- Bei mir waren das über 1600! ________________________________________________________________________________ Katsuya sog scharf die Luft ein. Einige Sekunden sah er in Yamis Augen, rollte sich dann jedoch von dem warmen Schoß und rückte einige Armlängen von ihm weg. „Wenn du mir das nicht sagen willst...“, begann der Ältere vorsichtig, „Dann kann ich das natürlich verstehen.“ Der Blonde wandte den Blick zur Seite. Mörder... Mörder. Mörder! Es trommelte in seinem Kopf, so tief wie ein Glockenschlag, immer näher, immer lauter. Es überrannte ihn. Katsuya hielt sich die Ohren zu und schüttelte den Kopf. „Katsuya...“, der Rothaarige streckte die Hand nach ihm aus. „Lass mich in Ruhe!“, schrie der jedoch. Einige Sekunden war es still. Die Küchenuhr tickte leise. Das Essen war kalt. Die Pfanne stand ungewaschen in der Spüle. „Unterdrück‘ es nicht...“, bat Yami. „Ich...“, der Blonde drückte stärker, als wollte er seinen Kopf zerquetschen, „Blut... so viel Blut...“, er stieß einen kurzen Schrei aus, drückte die Lider zusammen, „Röcheln... Blut... der starre Blick...“ „Katsuya!“, schrie der Ältere auf, blieb aber sitzen. Die verwirrten braunen Pupillen fanden die zwei Amethysten, verharrten in diesem Blick, bis sich Katsuyas Atem beruhigt hatte und er die Arme wieder senkte. „Ganz ruhig...“, Yami machte eine beschwichtigende Geste, „Ich wollte dich nicht so schocken. Entschuldige.“ „Ich- ich-“, der Blonde seufzte und atmete langsam ein, „Ist schon okay. Ich... denke nur nicht gerne daran.“ „Magst du vielleicht wieder herkommen?“, der Kleinere streckte seine Hand aus. Katsuya krabbelte sofort auf ihn zu und ließ sich wieder in den Arm nehmen. „So...“, er wurde wieder gekrault, „Sagst du mir, was passiert ist?“ „Hmhm...“, murmelte er zustimmend. Einige Sekunden schwiegen sich beide an. „Es... das ist jetzt fünf Jahre her...“, begann Katsuya. Ein Husten. Irgendjemand neben ihm zog scharf die Luft ein. Ein Röcheln. Der junge Mann griff an seinen Hals, doch das Blut presste zwischen seinen Fingern hindurch. Ein Schwall Rot kam über seine Lippen. Die Beine knickten ein, sein Oberkörper sank gegen die Wand. Überall Blut. Der Mann. Der Boden. Seine Hände. Blut... „Es ist fünf Jahre her.“, wiederholte Katsuya etwas kräftiger, „Ich war vierzehn und noch nicht lange bei den Boots. Hirutani war damals der Boss der Truppe und er liebte Gewalt. Eines Abends waren wir mit einer kleinen Gruppe unterwegs und in einer Seitenstraße sahen wir einen Typen. Der war... vielleicht so alt wie ich jetzt. Neunzehn. Er hatte tiefe Augenringe, sein Blick war ziemlich hohl und er atmete durch den Mund. Sah aus, als wäre er ziemlich stark auf Droge. Hirutani grinste uns zu und ein paar lachten. Wir waren vier oder fünf... wir sind auf ihn los.“, der Blonde drückte seinen Kopf in Yamis Halsbeuge, „Er lag ziemlich schnell am Boden und wir haben auf ihn eingetreten. Irgendwann hat Hirutani Schluss gemacht und den Typen durchsucht. Aber er hatte kein Geld und keinen Stoff mehr. Also zog Hirutani sein Messer...“ Katsuyas Stimme erstarb. Yami kraulte ihn nur weiter, wartete ab. Ein Schluchzen durchschnitt die Stille. „Er hat ihm gedroht, aber der Typ hat gar nicht zugehört... er war ja komplett zu. Als er blöd gegrinst hat, hat Hirutani ihm in die Wange geschnitten. Aber der Mann hat das gar nicht gespürt... zumindest sah es so aus. Und Hirutani sagte, der müsste wohl mal ein bisschen fester rangenommen werden. Wir zogen alle die Messer. Die... die haben wir nur selten benutzt... nur für leichte Schnitte... meist zum Drohen...“ „Ihr habt zugestochen?“, fragte der Ältere leise. „Erst nicht...“, ein weiteres Schluchzen, „Er... wir haben die Klamotten angeschnitten und aufgerissen... aber einer hat ihn in den Arm geschnitten... und... dann war da Blut... irgendwer hat gelacht...“, Schluchzen, „Ich wollte das nicht... ich wollte das nicht...“ „Was hast du getan?“, Yamis Stimme blieb vollkommen ruhig. „Der Typ hat wieder gegrinst... da hab ich ihm das Messer unter die Nase gehalten. Aber einer hat mich angerempelt...“, leises Schluchzen, „Und wer anders hat zugeschlagen... er ist direkt gegen das Messer geflogen... und dann war da Blut. Überall Blut...“ Der Körper in Yamis Armen erzitterte, doch bis auf das Schluchzen blieb es still. „Katsuya...“, erhob der Ältere die Stimme irgendwann ruhig, „Katsuya, das war ein Unfall.“ Der schluchzte nur auf. „Du bist kein Mörder. Das war ein Unfall.“ „Aber...“, der Blonde krallte sich in Yamis Shirt, „Aber ich habe das Messer hingehalten... ich war das... ich hätte das sehen müssen...“ „Nein.“, er wurde weiter gekrault, „Nein, das konntest du nicht kommen sehen.“ „Aber...“ Einige Sekunden waren erfüllt von haltlosem Schluchzen. „Ja?“ „Ich wusste, dass das falsch war... als wir die Messer zogen... ich hätte etwas sagen sollen...“ „Ich will dir eine Geschichte erzählen.“, unterbrach ihn Yami. Das Schluchzen stoppte, Katsuya drehte den Kopf und schniefte nur leise. „Aber erst putzt du dir die Nase.“, entschied der Rothaarige und reichte dem Jüngeren ein Taschentuch. Der machte davon auch sofort Gebrauch, verzog sich darauf aber wieder in Yamis Arme. „Was für eine Geschichte?“ „Eine wahre Geschichte.“, kündigte der Ältere an, „Stell dir eine einfache Wohngegend vor, nicht vornehm, aber auch nicht arm. Ein Mittelklassewohngebiet mit hübschen kleinen Häusern.“ Katsuya legte seinen Kopf auf der Schulter Yamis ab, die nicht von Tränen nass war. „Da, wo jeden morgen Post und Zeitung geliefert werden, wo die Leute hübsche Mülltonnen haben und ihre Vorgärten pflegen. Es ist abends, Sommer, ungefähr die Zeit des Sonnenuntergangs.“ Ein leichtes Lächeln bildete sich auf den Lippen des Blonden. „Und aus einem Haus dringen Schreie.“ Er wurde sofortig ernst. „Die Frau von gegenüber tritt auf den Balkon, wirft einen besorgten Blick herüber, schaut die Straße hinunter und verschwindet danach im Haus und verriegelt die Türen. Die Nachbarn schalten den Fernseher lauter oder Musik an. Aber die Schreie bleiben. Die ganze Nacht schreit jemand um Hilfe. Am nächsten Morgen kommt ein Freund zu diesem Haus, es sind noch immer Schreie zu hören. Er bricht die Tür auf und durchsucht das Haus. Was glaubst du, was er findet?“ Katsuya zog die Augenbrauen zusammen. „Vier Leichen. Und die Frau, die die ganze Nacht um Hilfe schrie und fast verblutet in ihrem Schlafzimmer liegt.“ Der Blonde sah den Älteren an, als wäre dieser plötzlich vom Wahnsinn ergriffen worden. „Kein Mensch hatte nachgesehen. Kein Mensch hatte herüber gerufen. Kein Mensch hatte die Polizei informiert. Sie alle hatten nur schweigend in ihren Häusern gesessen und darauf gewartet, dass ein anderer es tut.“, Yami machte eine bedeutungsvolle Pause, „Die Frau konnte gerettet werden. Ein Einbrecher hatte die Familie überrascht und alle niedergestochen.“ Katsuya schluckte. Der Rothaarige begann wieder ihn zu kraulen. Die Uhr tickte immer noch. Das Essen war kalt. Die Pfanne ungespült. „Wahres Ereignis?“, fragte der Blonde mit zitternder Stimme nach. „Wahres Ereignis.“, bestätigte Yami, „Und? Was, glaubst du, waren diese Menschen? Würdest du diese Nachbarschaft wollen?“ „Sicher nicht!“, zischte der Jüngere, „Das ist... das...“, er senkte den Blick, „Monster...“ „Was du da als Monster bezeichnest...“, er hob den Blick wieder, „...sind Menschen. Ganz normale Menschen, psychisch vollkommen gesund.“ Katsuya blieb still. „Sie handelten vollkommen menschlich. Sie verdrängten die Schreie. Das passte nicht in ihr Weltbild. Sie hatten Angst herüber zu gehen. Sie hatten Angst nachzufragen. Und warum die Polizei rufen? Was, wenn es nur einen Streit gab? Was, wenn man sich unbeliebt machte, weil keine Hilfe erwünscht war? Was, wenn nur ein Kind einen Streich spielte? Und keiner der anderen tat es. Warum also man selbst?“, der Stricher fuhr über das Tattoo, „Diese Gedanken macht man sich nicht bewusst. Aber es ist das, was das Unbewusste denkt. Die Situation steuert uns manchmal sehr. Die Menschen wollten das Richtige tun und weil sie nicht wussten, was das Richtige war, weil sie unsicher waren, deshalb taten sie das Naheliegenste: Dasselbe wie alle anderen auch.“ Einige Sekunden schwiegen sich beide an. „Du meinst...“, begann der Blonde leise und blinzelte. „Ja.“, beantwortete Yami die ungestellte Frage, „Auch du hast in der Situation das Naheliegenste getan: Dasselbe wie die anderen. Und der Mensch will immer überperfekt sein. Die Situation schaukelt sich hoch. Hirutani brachte es in Gang, indem er zuschlug. Alle anderen machten es nach. Hirutani fühlte sich gestärkt und zog sein Messer. Die anderen machten es nach. Hirutani schnitt dem Mann in die Wange. Die anderen waren unsicher, nahmen die Kleidung. Einer ging weiter und schnitt in den Arm. Und jetzt bedenke deine Position. Du warst jung, unsicher und wolltest dich beweisen. Du hattest Angst vor Ablehnung, du brauchtest die anderen und den Mann sahst du als Opfer an. Du wolltest auch etwas überperfekt sein. Also ahmtest du Hirutani nach und wolltest ihm drohen. Aber die anderen achteten nicht auf dich. Und daraus resultierte der Unfall.“ Katsuya ließ langsam den Blick sinken. „Du bist nicht schuld.“, schloss der Ältere. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)