Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 41: Midnight -------------------- So, da bin ich wieder ^.- Und kann endlich wieder ENS beantworten. ________________________________________________________________________________ „Ich bin nicht schuld...“, flüsterte der Blonde. Nicht schuldig… „Natürlich bist du nicht unschuldig, du hättest definitiv von Anfang an nicht mitmachen sollen und dich überwinden müssen gegen deine Freunde etwas zu sagen, aber auf jeden Fall bist du nicht schuldig.“ Nicht unschuldig… Nicht schuldig… „Was dann?“ Yami kraulte ihn weiter. „Menschlich.“ „Menschen sind nicht schuldig und nicht unschuldig?“ „Oft, ja.“, sein Blick schweifte zum Fenster, „Bei all dem Schlimmen, was passiert, sehen die meisten Menschen weg. Das heißt, sie können nicht unschuldig am Leid der Welt sein. Aber schuldig sind sie auch nur, wenn sie es willentlich vermehren.“ „Und unwillentlich?“ Der Ältere lächelte leicht. „Ich denke, das bezeichnet man als normal.“ „Normal ist das, was die Mehrheit der Menschen tut, richtig?“ „Richtig.“ Katsuya drehte sich auf den Rücken, rückte sich selbst auf den Fliesen in eine gemütliche Position und ließ den Kopf wieder auf Yamis überkreuzte Beine sinken. Sein Blick weilte in dessen Gesicht. „Aber… ist es dann normal, dass man mich als Mörder bezeichnet?“ Der Rothaarige seufzte leise. Der Braunäugige verschränkte die Arme. „Ich weiß es nicht… die meisten Menschen gehen nach dem Anschein und wenn man nicht alle Umstände kennt und sie zu deuten weiß, dann bezeichnet man dich für diese Tat wohl als Mörder, ja. Du spielst auf Kaiba an, hm?“ „Ja…“, der Blonde musterte die Decke, „Ich verstehe nicht, woher er überhaupt davon weiß… ich meine, wir sind weggerannt und mich hat sicher keiner meiner damaligen Freunde angezeigt.“ „Hm…“, Yami strich sich mit einer Hand über das Kinn, „Vielleicht hat er es gesehen?“ „Gesehen?“, ihre Blicke fanden einander, „Tja… ich glaube nicht, dass irgendwer der Anwohner uns gesehen hat… wie du sagst, die meisten gucken weg. Und dass Kaiba da wohnte, kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich…“ Blut. Alles rot. Die Leiche. Weit aufgerissene Augen. Der Mund steht offen. Ein Schrei. „Ich… ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Ich war so geschockt… ich… jemand hat mich mitgezogen. Ich habe geschrieen.“ Katsuya kniff die Augen zu. Blut. Überall Blut. Das Messer fest umklammert. „Wer hat geschrieen?“, fragte Yami nach. „Ich…“ „Hast du an jenem Abend geschrieen?“, er kraulte ihn weiter. „Ich… ich…“ Blut. Messer. Leiche. Kapuze. „Nein! Da… da war ein Mann. Da… ich habe nicht geschrieen… er hat geschrieen. Ein Mann mit einer Kapuze.“ Yami kraulte weiter. „Wer war dieser Mann?“ „Ich weiß es nicht…“ Blut. So viel Blut. Er wollte es nicht sehen. Er wollte die Augen öffnen. „Sag mir, wer dieser Mann war.“ „Lass mich…“, flüsterte Katsuya. „Wer war der Mann?“ Blut. Blut! Der Blonde riss die Augen auf. Yami seufzte nur. „Was… was war das?“, fragte der Jüngere. „Hypnose.“, Yami beendete das Kraulen, „Ich habe dich hypnotisiert. Ich dachte mir schon, dass du die Erinnerung verzerrt haben könntest.“ Katsuya blinzelte nur. „Ein Mann mit Kapuze also? Hm… vielleicht war es wirklich Kaiba.“ „Was redest du da?“, fragte der Blonde relativ desorientiert. „Oh, entschuldige.“, der Violettäugige wandte sich ihm zu, „Traumatische Erinnerungen werden meist verdrängt oder verzerrt. Beim ersten kann man sich nicht erinnern, dass das jemals geschehen ist und beim zweiten wird die Erinnerung verändert. Freud hatte eine Patientin namens Cecile, die sagte immer, die Katzen von Neapel hätten ihren Vater umgebracht. Der Familie hatte sie über den Tod ihres Vaters gesagt, dass er krank gewesen war und in Neapel ins Krankenhaus kam, wo man sie auch hinbrachte, damit sie ihren Vater identifizierte. Bei genauerer Befragung sagte sie aus, dass die Ärzte an ihrer Tür klopften, sie ins Krankenhaus brachten, wo Musik lief und man sie dann zum Zimmer ihres Vaters führte. Das machte Freud natürlich stutzig. Er hypnotisierte sie und es kam heraus, dass es die Polizei war, die an ihrer Tür klopfte, sie in ein Bordell brachte und ihr Vater von einer Prostituierten ermordet worden war. Sie hatte das damals nicht verkraftet, dass ihr Vater bei einer Prostituierten war.“ „A…ha…“, murmelte Katsuya. „Wenn man unter Schock steht, schreit man normalerweise nicht. Du hast verzerrt, dass dich jemand bei dem Unfall beobachtet hat.“ Der Blonde schwieg. „Ich vermute, dass hört sich jetzt sehr ungewöhnlich für dich an.“, Yami schenkte ihm ein Lächeln. „Du hast mit deinem Psychozeugs einen Heidenspaß an mir, oder?“, fragte der Jüngere traurig. „Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen. Ich wollte dich nur erklären. Aber das behagt dir nicht, oder?“ „Hör auf mich zu analysieren!“ „Wichtig ist, dass wir herausgefunden haben, dass Kaiba dich damals wohl beobachtet hat.“ „Hat er nicht!“, schrie er plötzlich und fuhr auf, „Da war kein Mann! Ich habe geschrieen und da war kein Mann!“ Yami schwieg abwartend. „Da war kein Mann!“, schrie Katsuya noch einmal. Er atmete heftig und starrte dem anderen in die Augen, „Da war… war keiner… ich…“ Der Ältere legte nur leicht den Kopf schief. „Da…“ Was redete er hier eigentlich? „Da war ein Mann mit einer Kapuze.“ Natürlich war er da, er erinnerte sich doch wieder. „Warum mache ich gerade so einen Aufstand?“ „Das ist meine Schuld.“, erwiderte Yami leise, „Menschen wollen manchmal einfach nicht analysiert werden, manchmal ist es ihnen zu viel. Ich hab’s übertrieben.“ Katsuya atmete tief durch. „Deswegen sind Therapien auch nur fünfzig Minuten lang.“ „Alles klar…“ Yami ließ seinen Blick zum Tisch schwenken. „Möchtest du das Thema wechseln?“ „Ja.“ Es war als würde sein Kopf Achterbahn fahren. Er wollte nur noch sitzen und nichts mehr tun. Oder schlafen. „Komm, du solltest dich etwas ablenken. Ich mach dir dein Essen in der Mikrowelle warm.“ Oh, ja, er hatte ja Hunger… Der Ältere stand auf, griff nach dem Teller und brachte ihn zurück zur Küchenzeile, während sich Katsuya aufraffte und auf seinen Stuhl fallen ließ. „Kannst du mir den Weg zur Toilette beschreiben?“, fragte Yami nach. „Häh?“ Die Toilette? In der Wohnung? Klar, die war... der Blonde warf einen Blick zur Küchentür… ähm… „Kannst du?“ „Ne…“ „Alles klar.“, der Violettäugige trat um den Tisch um und legte seine Arme um Katsuyas Schultern, „Schließ am besten etwas die Augen.“ Der Jüngere tat wie ihm geheißen. Und alles wurde schwarz. „Uh…“, Katsuya strich sich mit der Hand die Strähnen aus dem Gesicht. Er lag auf etwas Weichem. Und auf ihm eine Decke. Er öffnete die Augen. Ah, das Wohnzimmer. Er musste eingeschlafen sein. „Yami?“, flüsterte er. „Ich bin hier.“, Angesprochener trat ans Sofa und setzte sich an Katsuyas Seite. „Was machst du?“, nuschelte der Liegende. „Lesen.“ „Und was?“ „Den neuen Zimbardo.“, er strich die Strähnen zurück, die dem Jüngeren schon wieder ins Gesicht gefallen waren, „Ein Psychologie-Fachbuch für Einsteiger. Stehen schöne Einführungen drin.“ „Hm…“, der Blonde krümmte sich ein bisschen um den Kopf auf Yamis Schenkel zu legen, „Ich bin eingeschlafen, ’ne?“ „Ja.“, eine Hand begann ihn wieder zu kraulen, „Du hast jetzt achtzehn Stunden durchgepennt.“ „Echt?“, die schlaftrunkenen Bernsteinaugen suchten ihren Weg nach oben. „Du hattest eine Menge zu verarbeiten, denke ich. Hast du Hunger?“ „Bissel….“, der Blonde murrte, „Will lieber schlafen…“ „Nachher wieder.“, der Ältere lächelte, „Na komm, hoch mit dir.“ Wieso denn schon aufstehen? Viel zu früh… „Wie viel Uhr isses?“ „Fünf am Nachmittag.“, Yami knuffte ihn in die Seite, „Na komm schon.“ „Noch fünf Minuten…“ „Jetzt steh endlich auf, du Punkschnecke.“ Katsuya murrte nur. „Soll ich den nassen Waschlappen holen?“ „Nein!“, er saß kerzengerade, „Bin schon wach.“ Der Ältere gluckste. „Willst du wirklich nicht hier bleiben?“, fragte Yami nach. „Nein, ich sollte mal wieder zuhause vorbeischauen.“, der Jüngere seufzte. „… Ja?“ „Ich…“, er warf einen Blick zur Tür, „Ich muss mich dem stellen. Und wenn ich ihn zusammenschlagen muss, damit er mir zuhört.“ Auch der Rothaarige lehnte sich gegen die Wand des Flures. „Was willst du ihm sagen?“ Katsuya betrachtete seine Schuhe. Immer noch Yamis Sneaker. Und seine Klamotten waren schon wieder total muffig. Dabei waren sie doch erst vorgestern frisch gewaschen. Tja… Er könnte sie ja zuhause ein bisschen auslüften lassen. „Dass ich ihn lieb habe.“, flüsterte der Blonde, „Aber dass ich ihn nicht ausstehen kann.“ „Willst du einen Schlussstrich ziehen?“ Und die Unterwäsche musste er wechseln. Bei allen Göttern, es war ein Wunder, dass er keine Flöhe, Läuse oder Zecken hatte. „Keine Ahnung.“ Vielleicht konnte er irgendwo ein paar billige Shirts kriegen? Der Typ über ihnen hatte doch so’n kleinen Laden. „Ich will nur, dass er es weiß.“ „’Kay. Soll ich mitkommen?“ „Schaff’ ich schon.“, er warf dem Kleineren ein Lächeln zu, „Du schuldest sicher einigen Leuten ihre Dates. Das musst du nachholen.“ Yami drückte sich von der Wand ab, der andere tat es ihm nach. „Viel Glück.“, er legte seine Hand auf Katsuyas Schulter und drückte kurz, „Lass dir nicht wehtun.“ Der Blonde verabschiedete sich mit einem weiteren Lächeln und machte sich auf den Weg. Tja, was genau wollte er zuhause? Wieso wollte er gerade jetzt mit seinem Vater reden? Er wusste es auch nicht so wirklich. Irgendetwas war da in ihm, etwas Neues, etwas Starkes. Der unglaubliche Drang danach etwas zu ändern. Wieso jetzt? Wieso nach all diesen Jahren? Wieso gerade dann, wenn er am Ende war? Oder war er es nicht? Konnte es denn noch tiefer gehen? Wahrscheinlich. Es ging immer schlimmer. Es ging immer noch weiter runter. Sein Abgrund war wohl bodenlos. „Vater?“ Ihm schlug wieder einmal der unverwechselbare Geruch von Alkohol, Müll und Urin entgegen. Das Wohnzimmer hatte keiner aufgeräumt. Der Müll lag noch immer überall herum, die Scherben der leeren Falschen und der zertrümmerte Fernseher bedeckten noch immer den Boden. Doch auf der Couch lag keiner. Oh, in der Küche war er schon länger nicht gewesen. Wann hatte sein Vater noch mal gewütet? Letzten Samstag? Auf jeden Fall lagen schimmelige Lebensmittel auf dem Boden. Hatte er in der letzten Woche eigentlich noch etwas anderes als sein Zimmer gesehen? Hatte er das überhaupt? Er erinnerte sich schon nicht mehr. Sein Vater war wohl nicht da... Das Badezimmer sah ungewöhnlich aufgeräumt aus. Klar, hier war sein Vater auch nicht gewesen, oder? Nur der Spiegel lag in Scherben. Hatte er das vorher auch schon getan? Katsuya kniff die Augenbrauen zusammen. Eigentlich nicht, oder? War er seit Samstag mal im Bad gewesen? Auch keine Ahnung, aber das war irgendwie befremdlich. Doch, der zerbrochene Spiegel war neu. Hatte sein Vater noch einmal gewütet? Weil er nicht da gewesen war? Aber die Wohnung lag doch schon in Trümmern. Was sollte man denn noch zerstören können? Er erstarrte. Oh nein… Er stolperte zurück, rannte die zwei Schritte zu seinem Zimmer und riss die Tür auf. Scharf zog er die Luft ein, kniff die Lippen zusammen und ließ den Blick langsam sinken. Seine zwei Pakete Klamotten waren unberührt. Aber der Schreibtisch lag quer über seiner Matratze. Auf diese, die Decke und seinen Boden waren zwei oder drei Flaschen Alkohol ausgegossen worden. Deren Scherben lagen auf dem Beton. Seine Zeichnungen wölbten sich durch die Feuchte. Manche waren verlaufen. Andere zerknittert. Sein Vater hatte auf ihnen rumgetrampelt. Und seine geliebte Statue, der wunderschöne Drache, den seine Schwester ihm geschenkt hatte… Er lag in Scherben. Überall Scherben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)