Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 76: What we own ----------------------- Ave magister, morituri te salutant! Ich grüße hiermit alle Schulgänger -.- Und wie ich manche immer und immer wieder versichere, die Katastrophe, also der zweite Wendepunkt, sind noch lange hin. Sie wird definitiv nicht in den nächsten paar Kapiteln einbrechen, ihr braucht euch also noch nicht für die Apokalypse zu wappnen ^.^" Mich erheiterte währenddessen die Drohung, dass man mir etwas antut, wenn sich die beiden in den nächsten zwanzig Kapiteln nicht küssen. Ich hatte länger keine Drohung mehr - wenn sie davon zeugt, dass ich nicht urplötzlich meinen Schreibstil ändern muss und dieser verstanden wurde, finde ich Drohungen gar nicht mal so schlimm, fällt mir auf. Was allerdings nicht heißt, dass ich nach diesem Kapitel plötzlich Drohungen möchte - von denen ich noch nicht sicher bin, ob manche von euch sie mir nicht doch schreiben wollen ô.o Viel Spaß beim Lesen ^.^ Und danke für die vielen Vermutungen und Textreflektionen, die ihr mir schreibt! _________________________________________________________________________________ Die hellen Lichter des Operationssaales schimmerten golden auf und die Narkose, die nur seine Stimme, nicht jedoch sein Bewusstsein und den Schmerz betäubt hatte, verlor ihre Wirkung. Und so schrie er. Er schrie. Schrie, bis die Gesichtszüge des Arztes im grünen, blutbespritzten Kittel verschwammen und seine Arme sich um ihn legten. Ihn erdrückten. Er schrie. „Katsuya!“, durchfuhr eine schneidende Stimme den Saal, „Katsuya, komm zu dir!“ Die Decke nahm einen hellen Ton an und nach einem Blinzeln formte sich der OP komplett in sein Zimmer. Katsuyas Atem rasselte. Sein Körper bebte. Doch die Arme hielten ihn still. „Katsuya, was ist los? Was hast du geträumt?“, ein vertrautes Gesicht schob sich in seinen Blickwinkel. Blaue Augen. Kaibas Augen. Kaiba war da. Alles gut. Er hatte nur geträumt. „Ka… Kaiba?“, sein Atem stabilisierte sich, „Herr Lehrer?“ „Ich bin hier.“, versicherte der Ältere mit ruhiger Stimme, „Keine Sorge, ich bin da.“ Katsuya betrachtete ihn mit weit aufgerissenen Lidern, schloss diese und ließ sich auf seine Matratze zurücksinken. Es war vorbei. Nur ein Traum. Nur ein Traum. „Ich habe dich schreien gehört.“, erzählte der Brünette, der sich aufsetzte und seitlich zu dem Jüngeren hinab sah, „Ich dachte schon, wir hätten Einbrecher…“ „Hätten mir besser gefallen…“, murmelte der Liegende, der sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht strich, „Das war krank…“ „Was hast du geträumt?“ „Ich war im OP…“, erzählte er, „Mit einem Arzt und einer Krankenschwester. Der Arzt war mein Vater. Er hat mir das Herz raus geschnitten und der Schwester gegeben. Und die hat mit einem Skalpell drauf eingestochen. Und die ganze Zeit hat ein Kind geschrieen. Hoch und spitz. Ich… was zur Hölle war das?“ „Yami sagt, Träume seien verschlüsselte Botschaften aus dem Unbewussten. Wir können ihm das ja zur Deutung geben.“ Der Blonde schloss wie erschlagen die Augen. „Ich gehe wieder schlafen.“, kündigte Kaiba an, „Solltest du auch versuchen. Noch eine gute Nacht.“, fahrig strich er dem Jüngeren über die Stirn, gähnte und erhob sich. Kopfschüttelnd und sich mit zwei Fingern die Nasenwurzel massierend verließ er den Raum. Die braunen Augen richteten sich sehnsüchtig auf die Tür. Es hätte Katsuya sicherlich nichts ausgemacht, wenn der Andere länger geblieben wäre. Er schlang die Arme um seinen Oberkörper und rollte sich zur Seite. Wenn irgendwer kommen würde… Fest schlang er die Decke um sich. Der Traum hatte eine eisige Kälte hinterlassen. „Katsuya?“ „Ich bin wach.“, erwiderte der Liegende nur und starrte weiter auf das Laken. „Hast du die Augen noch mal zugemacht?“, Kaiba erhielt keine Antwort und griff mit einem Seufzen in Katsuyas Nacken um ihn zu kraulen, „Die Traumwelt kann brutal sein. Aber es sind nur Träume. Es ist nicht real.“ „Ist es nicht krank so etwas zu träumen?“, murmelte der Blonde leise und hob seinem Blick. „Es zeigt nur, dass du psychisch derzeit nicht auf der Höhe bist. Und das kann dir kaum einer verübeln.“, der schon fast zärtliche Ton in Kaibas Stimme legte sich wie ein Verband um sein blutendes Herz, „Und jetzt komm, wir müssen zur Schule.“ Schule… am liebsten würde er einfach im Bett bleiben. Das wäre so viel einfacher. Ob Kaiba sich um ihn kümmern würde? Würde er? „Was ist los?“, fragte der Lehrer mit – für seine Verhältnisse – ernsthaft besorgtem Gesichtsausdruck und beugte sich zu dem jungen Mann hinab, „Katsuya?“, die Konturen verzerrten sich leicht in Katsuyas Sicht. Der Brünette seufzte tief, hob den Jüngeren mit einem Arm in Höhe seiner Schulterblätter an und lehnte den spannungslosen Körper an sein knitterfreies Hemd, „Sprich mit mir, sonst kann ich dir nicht helfen.“ Mit einem Ruck schlang der Blonde seine Arme um den Älteren und krallte sich an dessen Schultern fest. Es kam kein Ton über seine Lippen außer ein kurzes Fiepen, worauf nur Stille folgte. „Vorschlag…“, murmelte der Brünette leicht entnervt, „Du machst dich fertig und ich mache dir eine heiße Schokolade. Die kühlt schnell ab, also sei unten, bevor sie kalt ist, ja?“ Schoko…lade… oh ja… Schoko… Kaibas Schokohaar… süß und… warm… Mit einigem Zögern nickte der Jüngere stumm und gab Kaiba frei. „Ist deine Sicht klar?“, fragte der Ältere nach. „Ja… ich… ich denke schon.“, und was musste er jetzt tun? Wieso war er hier? Was hatte er gerade vor? „Ich warte dann unten.“ „Nein!“, rief Katsuya aus und krallte sich wieder fest, „Nein, nein, nein…“ „Hast du verstanden, was ich dir gerade gesagt habe?“ „Nein… nein… nei…n…“ Mit einem fast brutalen Griff würde er von dem anderen weggedrückt. Ein schallendes Geräusch. Sein Blick traf die Wand. Kaiba? Wieso war da eine Wand? Die Haut seiner linken Wange brannte. Ein Gefühl. Schmerz. Katsuyas Lider weiteten sich. Da war Schmerz. Ein brennender Schmerz. Blinzelnd wandte er den Kopf zur Seite. Kaiba. Hände an seinen Schultern. Ein Blick. Irres Eis. „Katsuya?“, Zittern in der Stimme. Seine Augen in Bewegung. Doch nur Kaibas Saphire im Fokus. Es war sein Kopf, der sich bewegte. Links und rechts, links und rechts. Ein Kopfschütteln. Schmerz stach wie ein Dolch in sein Gehirn. Seine Züge verzogen sich gequält. Eine kühlende Hand auf seiner Wange. Zärtlich. „Schlagen sie mich…“, flüsterte jemand. Ein Etwas. „Das habe ich.“, erklärte das Gegenüber ruhig. „Noch mal.“ „Nein.“ Von oben und unten wanderten Wände in sein Blickfeld. Die Lider waren verengt. Hass. Diese Person. Hass. Druck auf seinen Kiefern. Ein Monster bäumte sich auf in ihm. Der andere Körper wurde nach hinten gedrückt. Auf die Matratze. Ein Aufflackern von Angst in Blau. Heftiges Schließen. Der Kopf flog zur Seite. Wimmern. Andere Seite. Das Gegenüber wurde geschlagen. Dreimal. Viermal. Er sah nur zu. Er sah von oben zu. Er sah… die Faust. Das Haar. Das blonde Haar. Das braune Blondhaar. Das- „Nein!“, schrie Katsuya auf und schlug die Hände vor die Augen. Wer war er gewesen? Wo war er gewesen? Wo war er jetzt? „Gottverdammt…“, fluchte jemand unmittelbar vor ihm, „Katsuya, sieh mich an.“ Wer? Was? Katsuya? Katsuya… er war Katsuya. Gehorchend ließ er die Hände sinken und öffnete die Augen. Blau. Eiskaltes Blau. Gerötete Wangen. Lippen. Sehr rote Lippen. Blutige Lippen. „K… Kaiba? Herr Kaiba?“, er blinzelte zweimal, „Was ist… war ich das?“, seine Hände zitterten. „Ich würde sagen, du hast derzeit etwas viel Energie… was fühlst du?“, der Ältere schob ihn von sich und setzte sich auf. „Erleichterung.“, der Blonde senkte die Stimme, „Schuld.“ „Willkommen in der Realität… geh dich fertig machen.“ „Fertig?“, fragte er verwirrt. „Für die Schule.“ „Sie sind verletzt.“, stellte Katsuya tonlos fest. „Darüber sprechen wir nachher. Dusch’ erstmal und zieh’ dich an.“, der Lehrer nickte in Richtung des Bades, „Ich warte unten auf dich.“ Der Jüngere bewegte sich nicht. „Jetzt.“, setzte Kaiba schärfer hinterher. Der Blonde gehorchte. Was hatte er getan? Was hatte er getan? Mit weit aufgerissenen Lidern starrte er in den Spiegel. Bei allen Göttern, was hatte er getan? Er hatte Kaiba geschlagen! Verdammt, warum? Warum hatte er das getan? Warum zur Hölle war er so ausgerastet? Schluchzend schlang er die Arme um seinen Oberkörper. Er konnte da nicht runter gehen. Er konnte nicht. Kaiba musste ihn hassen. Kaiba hasste ihn. Kaiba… er hatte ihn geschlagen… er hatte Kaiba geschlagen… er schüttelte langsam den Kopf. Er hatte dieses unglaubliche Verlangen gehabt. Dieses Verlangen zuzuschlagen. Warum wollte er Kaiba schlagen? Eine dumpfe Leere pochte in seiner Brust. Es war nicht Kaiba, den er schlagen wollte. Die Person, die er geschlagen hatte, war blond. Wie zur Hölle hatte er Kaiba plötzlich als blond wahrnehmen können? „Wirklichkeit ist subjektiv…“, murmelte der Braunäugige seinem Spiegelbild zu, während sein Zittern abnahm, „Der Mann, den ich sah, war blond… wen wollte ich schlagen?“, er betrachtete den Spiegel, „Mich?“, er löste seine Arme und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, „Oder ihn?“ Das strähnige, blonde Haar. Der Dreitagesbart. Die muffelige Kleidung. Die Wanderschuhe. Der ständige Geruch nach Schweiß und Alkohol. Bei den Göttern… wie oft hatte er zuschlagen wollen. Wie oft? Und es nie getan. Nie… „Katsuya?“, jemand klopfte an die Badezimmertür. „I- i- ich… ja?“, er wich zurück, bis er sich gegen die Wand presste und starrte ängstlich die Tür an. „Ich werde jetzt rein kommen.“, kündigte der Ältere an, bevor die Klinke sich nach unten drehte und die Tür langsam geöffnet wurde. Kaibas Unterlippe wies einen Riss auf, in dem sich ein wenig Blut gesammelt hatte. Der Rest glänzte, wie als hätte man eine reflektierende Folie über das Rot gelegt – er musste eine Heilsalbe benutzt haben. Sein restlicher Teint war ungewöhnlich gleichmäßig. Katsuya musste nur kurz an sein geschminktes Gesicht zu erinnern, um zu sehen, dass der Ältere mindestens eine Schicht Grundierung aufgelegt hatte. Eine kaum sehbare, wohl bemerkt – was einmal sagte, dass Kaiba Make-up besaß und zwar für sich und außerdem, dass er es auch zu benutzen wusste. Und dass das hier nicht das erste Mal in seinem Leben war, dass er kleinere Blutergüsse im Gesicht abdeckte, die sich sicher schon angekündigt hatten. Denn auf den ersten Blick sah er aus wie immer – noch schöner, wenn man genau darauf achtete. „Es tut mir Leid…“, wimmerte der Blonde, während er an der Wand hinab rutschte, „Es tut mir so unglaublich Leid…“, er winkelte die Knie an und legte die Arme darum, „Tut mir Leid…“ „Ich glaube, wir müssen an deinem Verhalten für Problemlösungen arbeiten.“, meinte der Ältere seufzend, kam bis auf zwei Schritte heran und ging in die Knie, „Komm her.“, einen Moment später breitete er die Arme aus, „Na los, komm her.“ Er würde ihn schlagen. Er würde ihm wehtun. Er würde ihn verletzen. Er… er… er hatte ihm versprochen ihm nicht wehzutun. Beim letzten Mal hatte er es nicht getan. Er… er sah nicht so aus, als würde er es tun. Er… Kaiba würde ihm nicht wehtun. Allen seinen Mut zusammennehmend lehnte sich der Jüngere nach vorne und krabbelte auf den Brünetten zu. „Gut so.“, sprach ihm der Ältere zu und zog Katsuya in seine Arme, „Gut gemacht.“, als wäre er nicht mehr als eine Feder wurde er von Kaiba hoch gehoben, nachdem ein Arm sich in seine Kniekehlen gelegt hatte, „Du hast zugenommen.“, stellte der Brünette mit ungewöhnlich sanfter Stimme fest, während er ihn Richtung Küche trug, „Und anscheinend auch etwas Vertrauen zu mir.“ „Warum sind sie nicht böse?“, flüsterte der Blonde. „Ich blocke meine Gefühle.“, informierte der Andere, „Dein Angriff hat bei mir ein paar alte Wunden aufgerissen. Aber was soll’s? Zur Strafe musst du dich um mich kümmern, falls ich gleich einen dissoziativen Schub kriege. Aber bitte nicht mit Mörderkaffee.“ Ein leichtes Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. Dissoziativ? Nicht depressiv? „Ich hatte damit gerechnet, dass du mich schlagen würdest, es war also nicht sehr überraschend.“, also hatte er keine akute Angst geweckt, „Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit und was auch immer du noch vorhin gespürt hast, sind Anzeichen eines Psychoschubs. Wahrscheinlich einer Panikattacke. Dich zu schlagen hätte dich entweder weiter rein gerissen oder einen aggressiven Schub ausgelöst. Zum Glück war es das zweite. Mir war es ehrlich gesagt lieber, dass du auf mich einschlägst, als deine Angst gegen dich selbst zu richten.“ „Vielen Dank…“ „Schon gut. Ich kann es nachvollziehen. Die ersten Wochen sind immer die schwersten.“ „Die ersten Wochen… nach was?“, fragte der Jüngere nach. „Nach einer so harten Umstellung. Eigentlich wäre es am besten, wenn du erstmal einige Wochen nur zuhause bleibst. Sichere Umgebung und so. Aber ich denke, dass der Besuch der Schule besser ist. Da bist du abgelenkt und hast einen strukturierten Alltag.“ „Sie sind auch in Psychologie gebildet, oder?“ „Tja…“, noch immer richtete der Brünette die Augen nicht auf das Bündel in seinen Armen, dass er gerade auf einem Küchenstuhl absetzte, „Ein wenig. Ich kenne mich eigentlich nur in klinischer, Schul- und Wirtschaftspsychologie aus.“ „Wieso in klinischer?“, fragte der Jüngere nach und griff nach der heißen Schokolade, die direkt vor ihm dampfend in einem dicken Becher wartete. „Tja…“, Kaiba setzte wieder einmal seine bedeutungsvolle Pause – hieß, dass es ihm schwer fiel weiter zu sprechen, „Ich wollte nur wissen, wie man die ganzen Krankheiten nennt, die ich so habe… da habe ich mich halt umfangreich informiert…“ Wie immer – Kaiba machte keine halben Sachen, wenn er etwas tat. Und Katsuya könnte schwören, dass er genau wusste, wovon er sprach, wenn er von Angst erzählte. Und vor allen Dingen hegte er eine sehr starke Vermutung: Dass dem kleinen Seto niemand bei einer Panikattacke geholfen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)