Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 101: Sterne und Träume ------------------------------ Kapitel 100 ^v^ Jubiläum! Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass ich das letzte Vorwort um folgende Info erweitert habe: Multiplizität ist keine Schizophrenie. Das wurde mal versehentlich in diese Sparte gerechnet, aber es ist definitiv keine. MPS gehört zu den Dissoziationsstörungen. Und danke für die Glückwünsche, ich werde mich anstrengen bei meinen Klausuren ^.^ Und nun viel Spaß beim Lesen! _________________________________________________________________________________ „Zeichnen…“, Katsuya atmete tief durch, hob eine Hand vor sein Gesicht und betrachtete sie, „Ich denke…“, er drehte sie leicht vor seinen Augen, „Ich werde es versuchen.“ „Gut.“, ein Lächeln breitete sich auf Yamis Lippen aus. Der Blonde schloss die Augen und ließ die Hand sinken. „Können wir das Thema wechseln?“, bat er leise. „Natürlich.“, der Ältere nahm die Hand von der Schulter und legte sie auf die, die soeben mit einem leisen Geräusch auf die Couch aufgeschlagen war, „Seto und sinnliches Erleben. Was Seto sehr fehlt, ist ein Bezug zu den Schönheiten der Welt. Versuche vielleicht mal mit ihm die Sterne zu betrachten, einen Spaziergang zu machen oder ihn mit Tieren und Kindern in Kontakt zu bringen. Mach statt Licht mal Kerzen an, bau aus Polstern und Kissen eine Kuschelecke, verteil Räucherstäbchen… all so ein Zeugs. Genau das ist es, was sinnliches Erleben ist. Seto wird auf einiges davon nicht ansprechen. Er kann dir die Gaszusammensetzung jedes Sterns am Himmel mit Koordinaten angeben – wer weiß, ob er die Schönheit des Himmels noch sehen kann. Aber es muss Dinge geben, die auch ihn berühren.“ Seine positiven Gefühle, seinen Sinn für Schönheit anregen… mit Meditation und heißen Bädern und Räucherstäbchen und kuscheligen Sachen und Tieren und Kindern und Sternen… so langsam formte sich ein Bild dessen, was Seto brauchte. „Ich glaube, ich verstehe langsam.“, gab Katsuya nachdenklich von sich, „Ich soll diesen… Homo ludens?“, Yami nickte, „Ich soll den Homo ludens mit so etwas hervorlocken. Mit Schönheit… wäre ein Candle-Light-Dinner eine gute Idee?“ „Eine perfekte Idee.“, stimmte der Ältere zu. „Man bräuchte so ein Haus im alten Stil…“, der Blonde geriet in eine Gedankenspirale, „Mit einem Teich und einem kleinen Wasserfall. Mit Tatamimatten und Schiebetüren und Außengängen… vielleicht irgendwo ein westliches Zimmer mit einem Kamin, in dem an Winterabenden das Feuer brennt… im Sommer gibt es frische Mandarinen, im Herbst warme Schokolade, im Winter Bratäpfel und im Frühling zieht eine kühle Brise durch das Haus. Die Kirschblüten blühen und wir gehen im Park spazieren…“, seine Lider fielen zu, „Wir sind auf einem Feuerwerk und tragen Yukatas. Locker hat er den Arm um meine Hüfte gelegt und mein Kopf lehnt an seiner Schulter. In der anderen Hand hält er die Süßigkeiten, die wir auf dem Jahrmarkt gekauft haben…“ „Hm-hm…“, Yamis Stimme war wie Balsam auf seiner Haut, so tief und lang waren die Töne. „Abends lese ich ein Märchenbuch und er hört mir zu. Seine blaugrauen Augen funkeln vor kindlicher Freude an der Geschichte. Und morgens wache ich in seinen Armen auf und werde mit einem Kuss begrüßt…“ „Das sind schöne Träume.“, flüsterte der Ältere und strich zärtlich über Katsuyas Hand, auf dessen Lippen sich ein Lächeln ausbreitete. „Und zum Frühstück bringe ich ihm seine Tabletten und schnüre mein Handy an meinen Körper, damit ich keinen Anruf verpasse, sollte er irgendwo einen Anfall kriegen und genug Zeit haben mich anzufunken.“ „Aua…“, der Rothaarige zog seine Hand zurück, „Das ist aber kein sinnliches Erleben.“ „Nein, das ist Realität.“, Katsuya öffnete die Augen, „Genau so wie es Realität sein wird, dass er von morgens bis abends arbeitet und sich wahrscheinlich sogar die Wochenenden zuschaufelt. Ob er jemals gesund genug für das alles sein wird, ist auch unklar. Das einzige Problem, was wir nicht haben werden, ist Geld.“ „Ach, Katsuya… seit wann hat die kalte Logik von dir Besitz ergriffen? Du warst so ein übermütiger Homo ludens, woher kommt diese Härte?“, Yami Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. „Aufkommender Sinn für die Realität. Das sind Wunschträume. Natürlich werde ich darauf hinarbeiten, aber ich weiß, dass vieles davon nie wahr wird.“, der Blonde seufzte. „Vielleicht nicht alles, aber einiges schon. Davon ist eine Menge umsetzbar. Das ist alles sinnliches Erleben gewesen, was man auf die eine oder andere Art ausleben kann. Lass dich nur einfach nicht vom Alltag zermatern.“, eine Hand strich ihm über die Wange, „Erinnere dich an deinen Traum. Das ist ein schönes Ziel.“ Wie konnte Yami so wenig enttäuscht vom Leben sein? Warum glaubte er immer an das Gute? Und das, obwohl doch gerade er wissen sollte, dass das Leben nicht mitspielte. Apropos… „Wieso heißt es eigentlich der spielende Mensch?“, wechselte er das Thema. Yami zögerte einen Moment, bevor mit einem leichten Seufzer antwortete: „Weil das Modell aus der Spiel-, Beschäftigungs- und Kunsttherapie kommt. Und weil man als Behandlungsmethode zuerst das Spielen anwendete. Spielen ist wichtig. Es sollte allerdings ein gemeinschaftliches und kein Konkurrenzspiel sein. Und man stellte fest, dass besonders Kinder, bei denen der Homo ludens von früh an unterdrückt wurde, im Erwachsenenalter krank sind.“ „Kinder ohne Kindheit?“, fragte Katsuya wie müde nach. „Einfach Kinder, die nur Konkurrenz und Regeln erlernten. Die nicht frei künstlerisch tätig sein durften oder spielen durften oder experimentieren durften und so weiter.“ „Sollte man Kinder denn regellos erziehen?“ „Keinesfalls.“, Yami schien vor der Aussage schon fast zurückzuschrecken, so entsetzt war sein Ausdruck, „Homo ludens und faber brauchen Gleichgewicht. Kinder brauchen Regeln. Besonders Sauberkeit, Pünktlichkeit und Ordentlichkeit – aber auch da darf man nie übertreiben.“ „Schon klar… goldene Mitte.“, der Jüngere seufzte, „Langsam hängt es mir zu den Ohren raus…“ „Wenigstens merkst du es dir.“, der Rothaarige warf einen Blick auf die Uhr, „Wo wir schon wieder vom Teufel sprechen… hat Seto gesagt, wann er dich abholt?“ „Nein…“, er hatte sich doch nichts getan, oder? „Wie spät ist es?“ „Gleich neun. Ich meine, er kann sich sicher vorstellen, dass wir uns verquatschen, aber dass er sich so gar nicht meldet…“, sie sahen sich in Augen und ließen den Satz unvollständig. „Seto, geh dran… geh dran…“, Katsuya presste das Handy gegen sein Ohr. „Hätte er irgendeinen Grund sich gerade heute etwas zu tun?“, plapperte der Rothaarige, während er am Ende der Couch auf und ab ging. „Brauchen Kranke einen Grund?“ „Ja.“, sie brauchten doch einen? „Aber ein Grund kann alles sein… ein nicht aufgehendes Schloss, ein Anruf, ein Schatten…“ „Beruhige mich noch mehr.“, zischte der Blonde. Verdammt, Seto! Wo war er? Warum ging er nicht dran? „Katsuya… ?“, dem Blonden entwich alle Luft, seine Lider fielen zu und er sackte zusammen, „Katsuya?“ „Bei allen Göttern… ich bin erleichtert, dass du dran gegangen bist.“ „Wieso?“, die letzte Silbe schien in die Länge gezogen zu sein. Der Ton klang sogar freundlich – nicht so kalt und trocken, wie er sonst am Telefon war. „Es ist schon so spät und du hast dich nicht gemeldet.“, versuchte er zu erklären. „Sollte ich das denn?“ „Äh, nein… also… ich hielt es nur für ungewöhnlich.“, kurzes Schweigen, „Ich meine… sonst meldest du dich. Ich habe mir Sorgen gemacht.“, weiterhin Schweigen, „Seto?“, was zur Hölle war jetzt los? „Seto?“, rief der Blonde in das Handy. „Hm…“, ein schwacher Laut von anderen Ende der Leitung. „Seto, was ist los mit dir?“, Yami kroch über das Sofa zu ihm und setzte sich mit besorgter Miene neben ihn, „Seto, bitte sprich mit mir.“ „Ich… ist Yami da?“, die Stimme schien schwach. Nicht, dass Seto nicht immer eher leise am Telefon sprach, er sprach diesmal noch leiser. „Ja, Yami ist hier.“, Schweigen, „Möchtest du mit Yami sprechen?“ „Darf ich?“, diesmal war noch weniger zu hören. „Das ist ganz allein deine Entscheidung.“, hörte sich an, als wäre Seto sehr durch den Wind, „Ich gebe ihn dir.“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen und hoch gehobenen Lidern gab er sein Handy an Yami weiter, der einen ähnlichen Ausdruck auf dem Gesicht trug – Sorge. „Seto?“, der Rothaarige blieb still, während sein Blick auf den Couchbezug gesenkt war, „Seto… glaub’ mir, Katsuya weiß, was das für dich bedeutet.“, Katsuya fixierte die Amethyste, die sich hoben, „Ich weiß nichts. Wirklich nichts. Außer deiner Diagnose.“ Oh… ging es darum, wie viel er Yami von gestern erzählt hatte? Befürchtete Seto, dass er jetzt mit seiner Lebensgeschichte hausieren ging? Verdammt… er hätte Ryou gegenüber die Klappe halten sollen. Vielleicht hätte Seto ihm dann vertrauen können. Natürlich hatte der Ältere Zweifel, wo Katsuya doch schon mal etwas ausgeplaudert hatte, wovon er wusste, dass er es nicht sollte. Er war so ein Idiot… „Nein, ich bin nicht wütend.“, versicherte Yami mit sanfter Stimme, „Seto, warum sollte ich dich anlügen? Ich will dir nicht wehtun.“, Seto war definitiv mit den Nerven am Ende, „Hätte ich es gewollt, hätte ich es längst getan. Meinst du nicht, wenigstens das kannst du glauben? Ich weiß, dass du dich für relativ wertlos hältst, aber mir bist du wichtig.“, Yami atmete tief durch – allerdings so, dass Seto es nicht hörte, „Wir sind doch Freunde, oder?“, für einige Sekunden änderte sich nichts an Yamis Mimik, doch nur kurz darauf spielte ein Lächeln mit seinen Lippen, „Nicht abhauen, ja?“, er stand auf und bedeutete Katsuya ihm zu folgen, „Und drei… zwei… eins…“, er öffnete die Wohnungstür, „Viola.“ „Komm herein.“, meinte der Amethystäugige zu Seto, während er gleichzeitig Katsuya sein Handy zurück reichte. Äh… was? Seto hatte vor der Tür gestanden? Was zur Hölle… ? Setos Gesichtsmuskeln entspannten sich, bevor seine Unterlider kurz zuckten und sich wie ihre Gegenspieler über Setos Augen spannten, sodass nur noch Schlitze übrig blieben, durch die er Katsuya fixieren konnte. „Ganz ruhig, Großer…“, Yami fasste an seinen Unterarm und streichelte mit dem Daumen darüber, nachdem er die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Seto entzog sich dem leichten Griff und steuerte an Katsuya vorbei die Küche an. „Meine Kaffeemaschine ist kaputt.“, informierte der Rothaarige ihn vom Flur aus, nickte dem Jüngsten zu und ging seinem Gast hinterher. Ein Scheppern. Katsuya erwachte aus seiner Starre, schnellte zur Küche und erstarrte im Türrahmen. „Seto…“, Yamis Stimme hatte einen warnenden Unterton. „Lass mich in Ruhe.“, zischte dieser, während er den Platz ansah, auf dem eben noch die Kaffeemaschine gestanden hatte, die nun auf den Kacheln weilte. Seine Hände hoben sich und legten sich über seine Ohren, die Finger im braunen Schopf vergraben. „Seto, setz dich.“, befahl der Andere mit tiefer Stimme. „Nein…“, der Blauäugige schüttelte leicht den Kopf. „Seto.“, der Ton gewann an Schärfe, „Setz dich. Sofort.“ „Nein.“, Seto hingegen schien heiser. Katsuya schluckte. Wohin sollte das führen? Die erste Träne lief Setos Wange hinab. Das konnte nicht Sinn der Sache sein, oder? Was wollte Yami erreichen? „Seto…“ Er antwortete nur noch mit einem Wimmern, während aus den geschlossenen Augen weitere Tränen flossen. „Dann nicht.“, der Rothaarige drehte sich zur Tür und strebte auf sie zu. „Nein!“, schrie der Brünette, öffnete die Lider weit, hastete auf ihn zu, warf sich neben ihm auf die Knie und schlang die Arme um seine Schultern, während er den Kopf an seinen Oberarm drückte, „Tut mir Leid. Geh nicht. Bitte. Es tut mir Leid…“, er flüsterte, „Bitte geh nicht…“ „Seto, ich verlasse dich nicht, das weißt du.“, der jüngere von beiden blieb einfach stehen und drehte sich nicht um einen Millimeter zu seinem Gesprächspartner, „Aber ich bin nicht damit einverstanden, dass du deine Aggressionen an meinen Sachen auslässt. Du bist ganz allein auf die Idee gekommen, dass ich dich nicht mehr mag. Wenn diese Schnapsidee dich so aus der Fassung bringt, dass du das Bedürfnis verspürst etwas zu zerstören, dann mach’ das – aber nicht in meiner Wohnung und erst recht nicht mit meinen Sachen.“ Seto war still. Sein Adamsapfel wanderte einmal auf und ab, bevor sich sein Blick auf das Gerät auf dem Boden richtete. Seine Augenbrauen zogen sich langsam zusammen, bevor er den Kopf senkte, die Schultern hob und seine Stirn gegen Yami lehnte. „Tut mir Leid… ich werde sie ersetzen.“ „Gut.“, der Rothaarige hob den Arm, an dem der Kniende lehnte und legte ihn um ihn, während er sich zu ihm wandte, auch den zweiten Arm auf seine Schultern niederließ und einen Kuss auf sein Haar setzte. Wie einer unhörbaren Melodie folgend schwankte er vor und zurück und zog Seto dabei mit sich. Katsuya holte tief Luft – er hatte es seit geraumer Zeit nicht mehr getan, wie er nun merkte – und lehnte sich gegen den Türrahmen. Wenn man die beiden so sah, drängte sich unweigerlich ein Bild in seine Gedanken. Es war das Bild einer Mutter, die ihr Kind wiegte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)