Dead Society von Gepo (Die Hoffnung stirbt zuerst) ================================================================================ Kapitel 115: Abusive -------------------- Ich fasse mich kurz, weil ich vor Müdigkeit halbtot bin und übermorgen meine erste Abiturklausur schreibe: Antworten auf die Kommentare gibt es vorraussichtlich morgen, ansonsten Dienstag. Die Kapitel werden weiterhin mittwochs und samstags erscheinen. Bis morgen, Gepo Viel Spaß beim Lesen ^.- (Und auch wenn ich sie gerade wenig würdige, danke für die Kommentare!) ____________________________________________________________________________________ „Nun…,“ eine leichte Röte schlich sich auf Setos Wangen, während er den Kopf zur Seite wandte, die Stimme wieder fest und ein wenig kühl, „Du wolltest Fragen stellen.“ „Hm…“, ein amüsiertes Schmunzeln, was man sonst auf den Lippen des Oberen fand, legte sich auf Katsuyas, „Sehr wahr. Du hast Probleme Gefühle zu deuten. Das macht dich aggressiv. Will ich deine Aggressionen eindämmen, musst du also das Deuten lernen. Dann hast du so einige irreführende Einstellungen… Täterintrojekte, die aufgeklärt werden müssen. Und deine Instabilität, besonders in deinem Verhalten gegenüber anderen… besonders mir. Was machen wir damit?“ „Das habe ich erklärt bekommen.“, der tränenverschmierte Blick legte sich auf Katsuyas Schlüsselbein, „Das ist ein von Borderline bekanntes Symptom. Das kommt, weil ich keine Gefühle deuten kann. Weil ich niemanden einschätzen kann. Ich habe immer… ich habe grässliche Angst verlassen zu werden. Deswegen möchte ich alle Menschen an mich binden. Aber ich habe ebenso viel Angst verletzt zu werden. Von Menschen. Enttäuscht zu werden… deswegen stoße ich sie von mir. Deswegen… heute morgen, da… ich dachte, du würdest mich hassen. Ich dachte, du würdest mich verlassen. Deshalb wollte ich dich verlassen, bevor du mir wehtun kannst. Deswegen… auch jetzt. Ich will dir glauben, dass du mich nicht verlässt. Aber ich weiß, dass du es jederzeit kannst. Dass du mir jederzeit… wehtun kannst.“, in den Saphiren stiegen neue Tränen auf, „Das macht mir Angst. Ich habe grässliche Angst vor dir, deshalb will ich mich vor dir schützen. Aber ich habe genauso viel Angst allein zu sein. Ich finde keine Mitte. Ich schwanke von einem Extrem ins andere. Ich kann… für mich ist diese Welt weiß und schwarz, weißt du?“, der Ältere schluckte, „Ich kann kein Grau sehen. Entweder bist du der wundervolle Mensch, der mich nie verlässt, der mir nie wehtut… oder du bist das Monster, dass mich nur verletzen will. Ich kann nichts dazwischen wahrnehmen. Es ist…“, er seufzte tief, versuchte seine Fassung zu finden, „Das ist immer so. Überall. Entweder idealisiere ich etwas oder ich verdamme es. Ich spalte krankhaft. Kennst du den Abwehrmechanismus Spaltung? Den wende ich dauernd an, für alles und jedes. Weil alles mir Angst macht.“ „Alles?“, er hatte vor… allem Angst? „Ja.“, er versteckte sein Gesicht wieder in Katsuyas Halskuhle, „Nur Sex… das macht mir keine Angst. Da fühle ich mich sicher. Warum auch immer.“ Das musste grausam sein. Angst vor allem. Und aus der Angst kam die Spaltung. Dieses war gut. Jenes war schlecht. Ordnung in einer Welt voller Chaos. Wenn alles durcheinander war, dann musste man in Gut und Schlecht unterscheiden, um überleben zu können. Nur wenn man sicher war… dann konnte man das Graue sehen. Setos Welt war Chaos. Seine Mutter war liebevoll, aber er wusste, dass sie ihn eigentlich nicht wollte. Sein Vater wollte sich um ihn sorgen, aber er war nie da. Sein Adoptivvater versprach ein besseres Leben, aber er wurde nur bestraft. Und immer wieder kamen unerwartete Grausamkeiten. Da war keine Sicherheit. Kein Vertrauen in irgendetwas. Da war nur Chaos. Seine ganze Krankheit… das war nicht krank. Das war normal. Sein Körper tat nichts, als das Chaos auszugleichen. Das war alles. Jedes Symptom – alles hatte nur diesen einen Ursprung. Aus dem Chaos kam die Angst. Aus der Angst kam die Suche nach Ordnung, nach Perfektion. Aus der Unperfektion und der Unvorhersehbarkeit der Menschen der Hass. Aus dem Hass die Abwehr der Menschheit, die Kälte. Aus der daraus resultierenden Einsamkeit neue Angst. Und diese unglaubliche Angst stellte der Körper ab, indem er seine Gefühle vom Bewusstsein trennte. Mit Dissoziationen. Die machten wieder neue Angst. Die Angst verrückt zu werden. Jedes Anzeichen von Andersartigkeit brachte neuen Hass, neue Angst, Panik. Man versuchte perfekter zu sein. Und scheiterte daran. Man begann Menschen zu meiden, einsam zu sein. Und wieder Dissoziationen. Und wenn die nicht mehr halfen, dann kam der Alkohol, die Drogen, alle Arten von Betäubung – bis man seine Gefühle mit Schmerzen betäubte. Schmerzen, die man sich selbst antat. Und wieder mehr anders. Wieder weniger perfekt. Und noch mal alles von vorne, noch schlimmer, noch grausamer. Ein Teufelskreis. Ein Teufelskreis, aus dem man nicht entkommen konnte, wenn man nicht verstand, warum der Körper das tat. Warum geschah, was geschah, warum man fühlte, was man fühlte. Warum man so war, wie man war. Wie Schmerzen, Angst, Trauer – wie all diese Dinge so genannte Krankheiten hervorriefen. Man war nicht ein Produkt seiner Umwelt, jener reagierte anders als andere, das mochte sein – aber egal, was man tat, die Gefühle, die eigene Meinung darüber lösten wohl dasselbe aus. Man war geprägt durch seine Gene, seine Kindheit, seine eigenen Erkenntnisse, seine Umwelt. Man wurde nicht krank, weil man schwach war oder schlecht. Man wurde krank, weil man das erlebt hatte, was man erlebt hatte und das darüber empfand, was man empfunden hatte, weil man aus seiner Vergangenheit gelernt hatte – und zu oft das falsche. Deswegen war es wichtig zu lernen. Immer neues, immer anderes. Deswegen musste man versuchen zu verstehen und nachzuvollziehen. Weil Starre Unglück hieß. Weil Ausharren und sich gegen Neues zu sperren hieß, dass man das Falsche in sich behielt und Fehler immer wieder beging. Ein guter Mensch… das war ein Mensch, der lernte. Der immer Neues entdeckte. Ein glücklicher Mensch. Das war ein Mensch, der aus dem, was er erlebte und was andere erlebten, lernte. Wenn man für Neues offen war und immer mehr Erfahrungen sammelte – sollte man dann nicht glücklich werden können? Wenn man sich entwickelte… und wenn man anderen half sich zu entwickeln. Wenn die letzten Wochen Katsuya eins gelehrt hatten, dann Jenes: Glücklich war der Mensch, der wie ein Kind die Welt erforschte, voller Neugierde und Wissensdurst und in der Lage war, wie ein Erwachsener nach dem Glück für sich und andere zu streben. „Du suchst die goldene Mitte, was?“, fragte Katsuya, „Und um sie zu finden, musst du lernen…“ „Ja.“, Seto atmete tief durch, „Was ich auch noch lernen muss, das… das ist, dass ich nicht weglaufe, auch wenn ich große Angst habe. Ich kann meine Angst nicht lindern, wenn ich mich ihr nicht stelle. Ich will nicht feige sein.“, ihre Blicke trafen sich wieder. „Feige… das klingt negativ.“, stellte der Blonde fest. „Das ist auch negativ gemeint.“, ein fester Ausdruck legte sich auf Setos Züge, „Wenn ich eins nicht sein will, dann feige. Seto Kaiba ist nicht feige. Auch nicht, wenn ich vor allem Angst habe. Das soll das erste sein, was ich ändere. Ich versuche das zu tun, wovor ich sonst zu viel Angst habe.“ „Und was wäre das?“, erkundigte sich der Jüngere. „Ich führe eine Beziehung.“, ein Kuss wurde auf Katsuyas Lippen gesetzt, „Und wehe, du hilfst mir nicht. Dann wird das Kind in mir sich in eine Ecke setzen und schmollen.“ Der Kleinere drückte sich feste an den Oberen, versteckte sein Gesicht und versuchte sein Zittern zu verbergen. Er sollte jetzt definitiv nicht in Lachen ausbrechen. Er sollte ernst bleiben. Er sollte- scheiß drauf. Er prustete gegen Setos Brust, schmiss seinen Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. Oh, Himmel… Himmel… nein, bitte nicht. Nicht schmollen. Nicht dieser absolut kindliche, böse Blick. „Seto, wenn du so weitermachst, werde ich dich so fest umarmen, dass du erstickst.“, drohte der Blonde spaßhaft. Das war echt so was von unfair. Schmollen gegen Hundeblick. Sie konnten wohl beide den anderen austricksen. „Das war mein voller Ernst.“, murmelte eine eher kindliche Stimme Setos beleidigt, „Hilf mir gefälligst.“ „Und was soll ich tun, mein kleiner Drache?“, flötete der unten Liegende. „Och…“, urplötzlicher Wechsel zu einer tiefen, voluminösen und definitiv verführerischen Stimme, „Mir fällt da sicher etwas ein…“ „Ach wirklich?“, ihre beiden Köpfe legten sich in entgegen gesetzte Richtungen schief, sodass ihre Lippen – und Zungen – freien Spielraum hatten. Wenn Versöhnung so aussah, konnten sie hier und jetzt den nächsten Streit beginnen, bitte… „Ich glaub’s ja nich’…“, wie? Was? In Setos Mund steckte seine Zunge, der konnte das nicht gesagt haben, oder? Verdammt, Yami! Den gab es ja auch noch. Katsuyas Lider flogen in die Höhe, die Augen suchten die direkte Umgebung ab – viel braunes Haar, noch mehr Marmorhaut und ein belustigtes Aufblitzen von Saphirblau – und sein Arm schob den Oberen mit sanfter Gewalt von sich. „Yami.“, geweitet richteten sich die braunen Augen auf den gegen den Türrahmen Lehnenden, „Du bist schon fertig?“ Die Augenbraue des Rothaarigen fuhr ein gewaltiges Stück in die Höhe. Wieso zur Hölle zitterten Setos Schultern neben ihm so? Und was sollte dieses unterdrückte Schmunzeln auf Yamis Lippen? Was ging hier ab? Diese… „Idioten.“, zischte der Jüngste und verteilte zwei böse Blicke auf die in Gelächter Ausgebrochenen. Na toll. Waren sie also wieder an dem Punkt angelangt, wo sich die gesamte Welt über ihn lustig machte, ja? War es schlimm, dass es ihm peinlich war, dass sein bester Freund seine Beziehung in- und auswendig kannte? Der Typ wusste ja sogar, wann und wo sie Sex gehabt hatten! Das war so gemein… „Sorry, Kats, du…“, kurzes Prusten, während er sich vom Türrahmen löste und Richtung Bett schritt, „Du siehst nur so unglaublich süß aus mit dieser Sturmfrisur und dem bösen Blick, den sonst nur Seto verteilt. Und dieser völlig verplante Gesichtsausdruck vorhin…“ Wenigstens entschädigte ihn der Älteste mit einem Kuss auf die Wange. „Kann ich schließen, dass Dornröschen wach geküsst wurde?“, wandte sich Yami an eben jenen. „Neeein…“, der braune Schopf legte sich an Katsuyas Schulter, „Ich wurde liebevoll wach befohlen.“ „Aber dir geht es besser?“, der Angekuschelte schloss zur Bestätigung einmal kurz die Augenlider, „Und wie lange bist du schon wach?“ „So ziemlich seit du gegangen bist.“, warf der Blonde in ihr Gespräch ein. „Das sind zwei Stunden gewesen!“, ob es der Schock war oder nicht, der Ältere sank auf jeden Fall neben ihm auf die Bettkante. „Gut genutzte Zeit. Wir haben uns blendend unterhalten. Bis du kamst.“, stichelte der Brünette. „Seto.“, ermahnte der ihn im Arm Haltende. „Schon gut, ich weiß, dass ich gerade störe.“, meinte Yami nur – wenn man ihn kannte, sah man aber, wie sich die Spannung der Augenbrauen gelöst hatte, „Aber ich dachte mir, eure Unterhaltung hätte gerade so etwas wie einen toten Punkt erreicht. Oder kommuniziert ihr seit neuestem rein nonverbal?“ Die beiden tauschten einen bösen Blick aus. „Seto, keine Sticheleien heute, bitte und Yami, reagier einfach nicht drauf.“, wies Katsuya an, seufzte, ließ seinen Blick zwischen beiden hin und her schweifen und wandte sich schließlich an den Jüngeren von beiden, „Wir waren an einem toten Punkt. Ich wollte eigentlich gerade das Thema auf heute Morgen bringen. Bisher hatten wir mehr über seine Probleme und unsere Beziehung gesprochen.“ „Ein anscheinend erfolgreiches Gespräch, wenn er jetzt glücklich in deinen Armen liegt.“, die Amethystaugen wandten sich nach kurzem Zögern dem Blonden zu, während Yami ein Lächeln auf sein Gesicht zwang – denn seine Augen lächelten bei weitem nicht, „Glückwunsch euch beiden.“ „Danke…“, Katsuya schluckte. Das war so gar nicht der Yami, den er kannte. Das war gespielt und das auch noch schlecht. Er sah eher danach aus, als wollte er in Tränen ausbrechen. Wen von ihnen beiden hatte er gewollt? Seto oder ihn? Oder war es nichts in diese Richtung? Schwer zu sagen. Yami war und blieb ein Mysterium. „Ich denke, ich lasse euch das dann mal klären… wenn etwas ist, ihr habt ja meine Nummer.“, der Stricher nickte ihnen zu, atmete tief durch und erhob sich wieder. „Yami…“ „Ja?“, Bernstein traf Amethyst. Was sollte er sagen? Geh nicht? Es tut mir Leid? Was ist los? Es klang alles so falsch. Was sagte man, wenn man jemandem offensichtlich das Herz gebrochen und nichts davon mitbekommen hatte? „Danke.“, dafür, dass er alles nicht noch schlimmer machte, als es war. Dass er seine Gefühle zurückhielt und sich selbst zurückstellte – wie er es immer tat. Dafür, dass er der war, der er war. „Vergiss nur eins nicht.“, ein Lächeln – ein echtes – legte sich auf Yamis Lippen, „Du bist und bleibst mein kleines Küken. Meine Tür steht immer offen.“, oh… es war… er… Katsuya… er war es also gewesen, „Also sei ja gut zu ihm, Seto.“ „Ich werde mein Bestes geben.“, die Bernsteine fixierten den Ältesten. War das… ein Versprechen? Was bei allen Göttern war hier los? „Ich glaube, dir brauche ich gar nicht sagen, dass du auf mein Sorgenkind aufpassen sollst.“, der Kleinste beugte sich zu Katsuya hinab und setzte einen Kuss auf seine Stirn, „Bei dir weiß ich, dass du das schaffst.“, ihr beider Blick richtete sich auf den an die Schulter des Blonden Gekuschelten, „Hat er sich eigentlich entschuldigt?“, raunte Yami dem Jüngsten von der Seite zu. „Ja, hat er.“ Seto schob ob des Gespräches über ihn die Unterlippe vor. „Hat er dir irgendwelche Vorwürfe gemacht, wie dass du Mitschuld trägst oder etwas Derartiges?“ „Nein.“, Katsuya strich ihm zärtlich über die Wange, „Obwohl ich denke, dass ich es tue.“ „Vielleicht.“, Belustigung fand ihren Weg zurück in Yamis Stimme, „Auf jeden Fall scheint sein Selbsthass auch Gutes tun zu können.“ „Wie meinst du das?“, Setos Selbsthass? Etwas Gutes? „Der Normalfall bei jeder Art von Missbrauch ist, dass der Täter seinem Opfer danach auch noch Vorwürfe macht selbst am Geschehen schuld gewesen zu sein, weil er nicht ertragen kann etwas Verwerfliches getan zu haben. Davon gibt es nur zwei Alternativen. Die eine ist, dass der Täter den Missbrauch für moralisch vertretbar hält, die andere, dass er seine Schuld einsieht. Und Nummer eins ist noch weit häufiger als zwei.“, Yami wandte den Blick von Seto ab, „Und du gehörst zu der Art Opfer, die die Schuld auch noch auf sich nimmt.“ „Aber das heute Morgen-“ „War klassischer Missbrauch.“, unterbrach Yami den Jüngeren, „Das kann man noch so sehr schönreden, es ist und bleibt Missbrauch. Gewalt gegen eine andere Person, erst recht eine in einer Abhängigkeit stehende Person ist Missbrauch. Zumindest solange du es nicht als angenehm empfunden hast und es dich nicht einschränkt. Da es eine lebensgefährliche Verletzung war, war sie definitiv einschränkend und dass du es als angenehm empfunden hast, wage ich zu bezweifeln.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)