Wie Schwarz und Weiß von schmoergelmotte ================================================================================ Kapitel 2: Schlimmer geht's immer --------------------------------- Hallo ^^ Danke für die Kommentare zum ersten Kapitel *verbeug* Und natürlich für das Interesse an dieser Story aus meiner Feder ^___~ Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Thema doch mehr Leute interessiert, als diejenigen, mit denen ich eh schon über Neo-Nationalsozialismus und politischen Auseinandersetzungen geredet habe *zu Nathera wink* Ich betone noch einmal, dass ich selber keine politische Orientierung besitze und darüber auch sehr froh bin. Ich habe das Gefühl, man hat das alles dann besser im Blick ^^" Na ja, viel Spaß beim Lesen ^___~ Kapitel 2: Schlimmer geht's immer „Sag mal, habt ihr heute Zeit?“, fragte Jan und blickte erwartungsvoll zu Michael und Patrick, die ihm gegenüber in einem der hinteren Vierer des Linienbusses saßen. Der Platz neben ihm war frei bzw. hatte dort seine Tasche Platz gefunden. „Sorry, geht nicht. Lara kommt heute“, meinte Patrick entschuldigend. „Würd’ ja sagen, wir kommen zu zweit, aber die war ja jetzt zwei Wochen auf so ’nem Austausch. Da will ich die erst mal wieder allein sehen.“ Lara war Patricks Freundin und das schon über ein Jahr. Sie war ebenfalls Punk, laut, extrovertiert und im Gegensatz zu den Jungs recht fleißig in der Schule. Erst gestern war sie von einem Englandaustausch wiedergekommen. „Ja, schon klar, kann ich verstehen“, meinte Jan verständnisvoll, klang allerdings ein wenig beleidigt. „Und was ist mit dir, Michi?“ Der Blick seiner trübgrünen Augen glitt zu dem anderen Punk, der ihm genau gegenüber saß und verträumt aus dem Fenster sah. Draußen war es schon ziemlich hell, auch wenn es immer noch ein wenig dämmerte. Schon jetzt war keine einzige Wolke mehr am Himmel zu sehen. Das würde heute sicher ein schöner, sonniger Tag werden. „Hm? Was?“, schrak Michael auf und sah den Kleineren fragend an. Dieser grinste schief. „Na, wo warst du denn mit deinen Gedanken?“ Wenn man Jans größtes Laster neben Nikotin, Alkohol und Musik aufschreiben müsste, wäre es sicher die Neugier gewesen. „Ach, so hier und da“, antwortete Michael und streckte sich leicht. „Eigentlich musste ich an den schönen Unterricht denken, den ich wieder mit Glatze-Fratze verbringen darf.“ Missmutig kaute er auf seinem Unterlippenpiercing rum. Er hatte nun wirklich keine Lust, noch länger neben diesem Typen zu sitzen und dabei waren es erst zwei Schulstunden gewesen. Und heute würden es sogar sechs sein. Oh mein Gott, gib mir die Kugel… „Ich bemitleide dich ja wirklich sehr“, gab Jan daraufhin zu und stupste Michaels Knie mit seinem Fuß an. „Zwischen Jessica und Marco hab ich es eigentlich noch ganz gut getroffen.“ „Das denke ich allerdings auch“, erwiderte Michael daraufhin missmutig. „Niemand hatte bei der Verteilung so viel Pech wie ich, abgesehen von Niclas vielleicht, der sich neben dieses andere Nazi-Schwein setzten musste…“ „Okay, neben Nils Lehmann zu sitzen, ist auch nen hartes Stück“, meinte Patrick und fummelte an seinem leicht zerkratzten Handy rum, um Lara zurück zu schreiben. „Die sind alle beide scheiße“, grummelte Michael und seufzte. „Was wolltest du eigentlich, Jan?“ Dieser sah Michael einen Moment lang perplex an. Anscheinend hatte er selber schon vergessen, dass er seinen Kumpel gerade angesprochen hatte. Doch dann schien der Groschen zu fallen. „Aaach so, ja“, meinte Jan als wäre ihm gerade ein Lichtlein aufgegangen und beugte sich ein wenig vor. „Ich wollt wissen, ob du heute Zeit hast. Wird sicher geiles Wetter, da könnten wir an den Baggersee oder einfach nur so rumhängen!“ Die trübgrünen Augen funkelten schon fast vor Euphorie. In solchen Momenten wirkte der sonst so ruhige Junge wie ein kleines Kind. „Ja, klar, warum nicht“, stimmte Michael dem Vorschlag zu. Ein wenig Ablenkung würde ihm ganz gut tun. Laut dröhnte die harte Rockmusik aus dem schwarzen, alten VW Golf, als dieser über die Kreuzung Richtung Schule schoss. „Oh man, Thomas, du fährst wie ne besenkte Sau!“, beschwerte sich Nils Lehmann und die beiden anderen Neonazis, die auf den Rücksitzen saßen, nickten hastig zustimmend. „Du kannst auch gerne laufen, wenn dir mein Fahrstil nicht passt“, murrte Thomas, als er scharf um eine Kurve bog. „Eigentlich hab ich nichts gegen deinen Fahrstil“, meinte Nils abwehrend und lehnte sich seufzend mehr in den Beifahrersitz. „Aber so wie du gerade fährst, seh ich uns bei der nächsten Kreuzung am Pfeiler kleben.“ „Ach, laber keinen Scheiß“, murmelte Thomas gereizt. „Ich hab alles unter Kontrolle. Ich bin nur gereizt wegen dieser kleinen Mistmade von einem Punk, neben dem ich gleich sechs Stunden verbringen darf!“ Erneut stellte er die Musik ein Stück lauter. Nils schüttelte den Kopf. Es war sinnlos, jetzt noch etwas zu sagen, denn Thomas würde es entweder eh nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Aber schon gerade fiel es einem schwer, gegen die Musik anzuschreien. Da kannst du dir jetzt die Stimme sparen. Er konnte durchaus verstehen, warum sein Kamerad so missmutig war. Wer wollte schon gerne neben jemanden sitzen, der politisch die genau entgegen gestellte Richtung hatte und mit dem man sich schon häufiger geprügelt hatte? Er selber hätte da auch absolut keinen Bock drauf gehabt, aber zum Glück saß nur dieses Weichei Niclas neben ihm, der die Klappe eh kaum aufbekam. Hey, den könnt ich rekrutieren! Ein heftiger Ruck riss ihn jäh aus dem Pläneschmieden für die Gewinnung neuer Kameraden. Der Sicherheitsgurt zog sich schmerzhaft an seine Brust und ließ ihn leise aufkeuchen. Erschrocken blickte er auf und stellte fest, dass sie sicher und wohlbehalten in einer Parklücke standen und Thomas sich neben ihm anscheinend nicht besser gelaunt, dafür aber umso hektischer von seinem Sicherheitsgurt befreien wollte. Grundgütiger, ich dachte schon, wir kleben echt am Pfeiler! Erleichtert aufatmend schnallte er sich los und stieg aus. Während er sich seine Tasche schnappte, klappte er seinen Sitz nach vorne, damit die beiden Jungs hinter ihnen auch aussteigen konnten. Thomas hatte es indes geschafft, sich von seinem Gurt zu befreien und stieg mit missmutiger Miene aus. Sein Blick schweifte zur Bushaltestelle, wo gerade sein „heißgeliebter“ Sitznachbar aus einem grauen Bus stieg. „Kann der nicht einfach den ganzen Tag fehlen“, grummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart und schloss seinen Wagen ab. Während Nils sich noch von den beiden anderen Kameraden verabschiedete, schlenderte Thomas bereits lustlos den Gehweg entlang. Bei dem Tempo, das der Kleinere hinlegte, fiel es Nils nun wirklich nicht schwer, ihn wieder einzuholen. Seufzend schlenderte er neben diesem her. „Ist schon scheiße, oder?“, fragte er, jedoch eher um überhaupt was zu sagen, als dass er wirklich eine Antwort verlangte. Doch er bekam sie mit einem schlichten Wort. „Ja.“ Nils rollte die Augen. Es war nervig, wenn Thomas so drauf war. Er war für ihn mehr als nur ein einfacher Kamerad. Er war ein Freund. Sie waren schon Freunde gewesen, bevor sie sich der Neonazigemeinschaft hier angeschlossen hatten. Wenn Thomas so drauf war, dass er nur wenig sprach und sich nicht mal mehr richtig aufregte, war es schon weit. Doch plötzlich beschleunigten sich die Schritte des anderen wieder energisch und Nils musste sich wirklich beeilen, mitzukommen. „Thomas…?“, nannte er den anderen fragend beim Namen, doch dieser reagierte nicht, sondern stieß beim Laufen eindeutig absichtlich gegen einen gewissen, grünhaarigen Punk, sodass dieser ein Stück zur Seite schwankte. „Rosner, du Penner!“, rief der Punk dem Neonazi hinterher. Doch Nils, der mittlerweile wieder mit Thomas gleichauf war, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein lauter Tumult herrschte in der Klasse, als Michael und seine Freunde den Raum betraten. Isabelle hatte sich bereits auf den Tisch ihrer besten Freundin Tatjana gesetzt. Anscheinend war sie immer noch nicht gewillt, sich damit abzufinden, dass sie samt Tisch und Stuhl zu Carsten nach vorne gezogen war. Michael schüttelte den Kopf. Als ob er froh war, Isabelles blondierte Mähne vor sich und einen Glatzkopf mit minderwertiger Ideologie neben sich zu haben. Aber hatte er sich beschwert? Nein! Für einen Moment blieb Michael mitten im Raum stehen. Warum hatte er sich eigentlich nicht beschwert? Weil es eh nichts genützt hätte? Oder weil du ein Idiot bist? Wahrscheinlich war beides der Fall, auch wenn das Erste sich wesentlich besser anhörte. Sein Blick glitt zu seinem neuen Sitzplatz und wie er sah, war sein Sitznachbar „erfreulicherweise“ auch schon eingetroffen. Langsam ging er auf ihre Plätze zu und ließ seinen Rucksack neben seinem Tisch zu Boden knallen. „Tag, Rosner“, begrüßte er den kahlköpfigen Jungen vor ihm mit geringschätzigem Ton in der Stimme, erlangte aber so dessen Aufmerksamkeit. Der junge national denkende Mann hob gemächlich seinen Blick, als wäre Michael nichts besonders Spannendes und schenkte dem Punk dann ein gehässiges Grinsen. „Pleske, du auch hier?“, meinte er auffällig freundlich und rückte gleich ein Stück zur Seite, als wollte er Michael den Platz neben sich anbieten. „Ja, das ist dir gar nicht aufgefallen, nicht wahr“, erwiderte Michael zynisch und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. „Wo du mich doch gerade erst umgerannt hast!“ Unverholen blickte er dem anderen ins Gesicht, doch dieses nahm nur überraschte Züge an. „Ach, Pleske, das warst du?“, fragte Thomas mit aller Unschuld, die er aufbringen konnte und machte gespielt große Augen. „Ich hab dich gar nicht erkannt!“ „Ja, ne, is schon klar“, zischte Michael genervt von Thomas’ Schauspiel. „Du kennst mich ja nur seit über einem Jahr und irgendwie bin ich nicht gerade unauffällig! Außerdem weiß doch jeder, dass du mich hasst und ich dich. Und jetzt erzähl mir nicht, du siehst morgens schlecht!“ Ohne auf die ersten Worte des Punks einzugehen, antwortete Thomas mit aller Gelassenheit: „Oh, nicht? Genau das wollte ich dir gerade sagen!“ Genervt atmete Michael schnaufend aus und wandte sich seinem Rucksack zu, hielt jedoch dann inne. „Seit wann bist du eigentlich so nervtötend sarkastisch, Rosner?“ Dieser hatte sich anscheinend schon wieder Jens zugewendet und zuckte daher leicht zusammen, als Michael ihn ansprach. Jens war ein relativ hübscher, gut gebauter Junge mit braun gebrannter Haut und hellen, blauen Augen. Seine natürlichen dunkelblonden Haare waren aufgehellt und seine Lippen formten wie so oft ein unwiderstehliches Lächeln, während der kleine Brillanten-Ohrring an seinem linken Ohr in der Sonne funkelte. Jens war definitiv der Typ Junge, auf den die meisten Mädchen standen. Besonders bei Isabelle und Tatjana war er natürlich sehr angesagt. Normalerweise verstanden er und Thomas sich überhaupt nicht, was aber eher von Thomas’ Seite ausging, denn Jens war wider Erwartungen trotz diesen 08/15-Aussehens recht umgänglich, wenn auch eingebildet. Allerdings schien Thomas sich entschieden zu haben, dass Jens immer noch ein besserer Gesprächspartner war als Michael. Dementsprechend verärgert drehte Thomas sich dem grünhaarigen Punk zu. „Sag mal, Pleske, kannst du nicht einmal deine beschissene Fresse halten?“, wies er Michael nicht gerade freundlich zurecht. „Muss man dir erst ein paar draufschlagen, damit du endlich das Maul hältst? Wenn ich was von dir hören will, melde ich mich schon!“ Wütend zog Michael die Augenbrauen zusammen, sodass seine Augen fast wie Schlitze wirkten. „Sag mal, tickt’s? Wie redest du eigentlich mit mir, du Penner!“ „Michael Pleske, wie reden Sie denn?“, ereilte ihn wenige Sekunden später die Stimme seiner Politiklehrerin, Frau Meyer. Überrascht und vor allem erschrocken drehte Michael sich um und musste feststellen, dass Frau Meyer keine zehn Zentimeter ihm entfernt stand und wütend auf ihn runterblickte. „Also wirklich, so müssen Sie doch nicht miteinander umgehen, oder?“, redete sie ihm weiter ins Gewissen und schüttelte empört den Kopf. Frau Meyer war meistens alles andere als begeistert von der, wie sie es nannte, „Jugendsprache“ und zudem immer sehr bemüht, Streit zu schlichten. Doch die Riesenkluft zwischen Michael Pleske und Thomas Rosner zu überbrücken, würde sie zu Lebzeiten nicht mehr schaffen und dabei war sie doch gerade mal 50 Jahre alt. „Ihre Klassenlehrerin hat mir bereits heute morgen gesagt, dass sie die Sitzordnung geändert hat“, begann die Dame mittleren Alters dann zu erzählen. „Als sie mir sagte, dass sie Sie beide nebeneinander gesetzt hat, habe ich mich ja gleich gefragt, welcher Teufel sie dort geritten haben muss. Nichts desto trotz, werden Sie beide sich in meinem Unterricht gefälligst nicht anzicken oder prügeln!“ Ihre kurzen Locken wippten leicht, als sie sich wieder aufrichtete und zum Pult zurückkehrte. Auf Thomas Rosners Gesicht lag ein breites Grinsen, als Michael einen kurzen Blick aus den Augenwinkeln zu ihm warf. Anscheinend dachte er, die Ermahnung wäre mehr an seinen Sitznachbar als an ihn selber gerichtet. Ein leises Kichern von vorne ließ Michael aufschauen. Isabelle hatte sich zu ihm umgedreht, während Frau Meyers die Anwesenheit kontrollierte. „Ist was?“, fragte Michael gelangweilt. Er hatte Isabelle noch nie leiden können. Sie war blondiert, dumm und intrigant. Sie lästerte gerne über anderer Leute Aussehen und hielt sich selbst für die Schönheit schlechthin. Dabei war sie doch nur durch die fünf Tonnen Make-up einigermaßen hübsch geworden. „Ich find das einfach nur so lustig, wie ihr da sitzt“, meinte sie mit ungewöhnlich hoher Stimme und grinste mädchenhaft, bevor ihr ein weiteres Kichern entwich. Erstaunt blickte Michael sich um. Er selber hatte die Ellebogen auf die Tischkante gestützt gehabt und sich die Wange am linken Arm abgestützt. Thomas dagegen war leger an die Rücklehne seines Stuhls gelehnt und saß leicht breitbeinig dort, im Gegensatz zu Michael, der die Knie ziemlich parallel nebeneinander hielt, da er so besser mit den Beinen wibbeln konnte. Die Sitzweisen der beiden waren ein Unterschied wie Tag und Nacht, ebenso wie die beiden selber. Doch was daran jetzt so überaus lustig sein sollte, verstand er nicht wirklich. Erneut kicherte Isabelle und blickte nun unter Thomas’ Tisch. „Wow, die Jeans sitzt ganz schön eng, oder?“, fragte sie gespielt naiv und drückte die Lippen aufeinander, als wollte sie ein Grinsen unterdrücken. Michael rollte die Augen. Wie die meisten Neonazis trug Thomas schwarze Springerstiefel und eine ziemlich knappe Blue Jeans. Nur die Oberteile variierten, auch wenn man an Thomas nie irgendwelche topmodischen Shirts finden würde. So hatte er sich heute mit einem schlichten, schwarzen Muskelshirt begnügt, auf dem mit weißen, gotischen Buchstaben „Odin statt Jesus“ stand. Na, das wird die Heinrichs freuen…, dachte Michael sich. Frau Heinrichs war ihre Religionslehrerin und diskutierte häufiger sowohl mit Thomas als auch Nils über diesen Spruch und dieses neuheidnische Gedankengut, das hier meist in Verbindung mit Rechtsradikalismus stand. Frau Meyer schien das allerdings nicht im Geringsten zu stören. Sie bat Isabelle lediglich, sich wieder nach vorne zu drehen. Diese konnte es allerdings nicht lassen, sich noch einmal zu Thomas zu drehen und unter den Tisch zu gucken. „Na ja…“, begann sie und setzte eine stilvolle Pause. „Ein Mann muss ja zeigen, was er hat…“ Damit drehte sie sich eine blonde Haarsträhne um den Zeigefinger und drehte sich unter einer zweiten Ermahnung durch Frau Meyer endgültig nach vorne. Thomas schienen diese Anmachversuche und das alberne Gerede jedoch nicht zu interessieren. Er quittierte Isabelles letzte Worte nur mit einem „Aha“ und blickte dann zu Frau Meyer, die eine Folie auf den Overheadprojektor legte und begann, erneut über die deutsche Verfassung zu reden. Der Politikunterricht verging wie gewohnt schleppend. 20 Minuten kamen einem plötzlich wie 2 Stunden vor, vor allem, wenn das Thema kein Interesse weckte. Und das tat es bei Michael nicht. Als Anarchist interessierte es ihn nicht sonderlich, wie Deutschlands Verfassung im Detail aussah. Doch es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass sein neuer Sitznachbar eine unheimliche Menge darüber wusste. Selbst Nils Lehmann hatte nicht so viel gewusst, obwohl Michael eigentlich gedacht hatte, dass zumindest Thomas und Nils im Wissen über die deutsche Regierung und Verfassung gleichstehen müssten. Jedenfalls war Thomas bei weitem der Einzige gewesen, der viel zum Unterricht beigesteuert hatte, sodass er bei Frau Meyer sicher Pluspunkte bekam. Der Politikstunde war Mathe gefolgt und Michael hatte aus dem letzten Tag dazugelernt und seinen eigenen Taschenrechner mitgenommen. Die Ergebnisse waren trotzdem allesamt falsch. Sonst hatte er immer bei Patrick abgeschrieben, der dank Lara recht gut in Mathe geworden war. Doch bei Thomas Rosner abzuschreiben… dafür war Michael sich nun wirklich zu schade. Besonders war er sich sicher, hätte Thomas ihn dabei erwischt, hätte er das passende Veilchen auch am anderen Auge gehabt. Die Doppelstunde Sport war für Michael wie eine Erleichterung. Endlich weg von Rosner… Die Mädchen spielten Badminton, während die Jungen sich mehr als offenherzig dazu bereit erklärt hatten, den Fußballplatz außerhalb der Halle einzunehmen. So spielten Carsten, David, Mark, Jonas, Patrick, Jan und Michael in der einen Mannschaft und Sergej, Jens, Hendrik, Thomas, Nils, Florian und Marco in dem anderen. Groß und muskulös war Nils perfekt für das Tor, sodass es kaum einer aus Michaels Mannschaft schaffte, den Ball mal an ihm vorbeizukriegen. Florian und Marco hatten sich freiwillig in die Abwehr gestellt, wo sie dank den Leuten im Sturm und Nils im Tor nicht viel zu tun hatten. In Michaels Mannschaft stand dagegen Carsten im Tor. Er hatte darauf bestanden, da er auf dem Feld seiner Meinung nach eh nicht zu gebrauchen war. Wie die Jungs seiner Mannschaft allerdings feststellen mussten, eignete er sich für das Tor auch nicht gut. Nicht umsonst stand es 7:3 für die Mannschaft um Thomas. Niclas hatte es sich als Schiedsrichter bequem gemacht, schaute aber nicht wirklich zu, wenn Thomas jemanden rammte. Vielleicht hatte er zu viel Angst, dass Nils ihm nachher ein paar Takte erzählen könnte, wo er doch jetzt das zweifelhafte Vergnügen hatte neben Lehmann zu sitzen. Umso mehr freute sich Michael, als er endlich mal im Ballbesitz war. Geschickt umging er die gegnerischen Spieler und sah schon das nächste Tor vor Augen, als er plötzlich einen Stoß von hinten spürte und nach vorne kippte. Da er gerannt war, rollte er kurz über Boden ehe er wieder mit dem Bauch auf dem Rasen zum Stillstand kam. Sein Brustkorb stach ein wenig, da er schwer atmend auf ihn gefallen war und sein Knie brannte höllisch. Langsam erhob er sich ein wenig und blickte auf das Spielfeld. Sein Blick begegnete dem von Niclas, der ihn mitleidig und entschuldigend ansah. Doch Michael schüttelte nur den Kopf. Es war doch nur allzu deutlich, dass er gefoult worden war. Und als er den Ball in Thomas’ Besitz sah, wusste er auch nur allzu deutlich, von wem. Endlich rappelte er sich auf und wollte gerade wieder versuchen, loszurennen, als er einen Pfiff vernahm. „So, Jungs! Macht, dass ihr reinkommt, ihr habt genug gespielt!“, rief ihnen Herr Kneipp, der Sportlehrer, zu. Langsam blickte Michael auf sein Knie herunter; bekam nur noch am Rande mit, wie Thomas noch einmal die Chance nutze, und das Ergebnis 8:3 schoss. Seufzend sah Michael weiterhin auf sein Knie, das grün-rötlich gefärbt und von Schrammen übersäht war. „Ah, das geht noch, Kumpel“, meinte Marco zu ihm, als er an ihm vorbeiging und ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Michael nickte nur und folgte den anderen langsam in die Sporthalle zurück. Oh man, eine kalte Dusche könnt ich jetzt wirklich gebrauchen! Schweißnass und voll mit grünen Flecken übersäht wollte er nun nicht in den Deutschunterricht gehen. Als in der Umkleide ankam, wäre er beinah gegen einen mit Boxershorts bekleideten David gelaufen, der breit grinsend aus der Dusche kam. „Warum so fröhlich?“, fragte Michael ihn, während er sich von seinem klammen T-Shirt befreite. Davids Grinsen wurde ein wenig breiter. „Oh, eigentlich nichts“, meinte David nur und zuckte mit den Schultern. „Isabelle ist nur wieder auf Männerjagd und lernt es wohl doch nie, dass sie bei keinem von uns außer Jens und Hendrik, vielleicht auch noch Sergej, eine Chance hat.“ Die graugrünen Augen des Punks rollten einmal im Kreis. „Oh man“, stöhnte er genervt angesichts Isabelles und Tatjanas Versuchen, Jungs aufzureißen. „Wer ist diesmal das Opfer?“ Die Frage brachte David noch breiter zum grinsen, während er sich durch das schwarze, mit roten Strähnen versehene Haar strich. „Ach, nur deine beiden besten Freunde Rosner und Lehmann“, erzählte David in einem schadenfrohen Ton und seine dunkelbraunen Augen leuchteten ein wenig auf. Ein lautes Lachen rann aus Michaels Kehle, als er aus seinen Schuhen schlüpfte und sich von seiner Hose befreite. Just in diesem Moment öffnete sich die Tür und Tatjanas Rücken und ihre langen schwarzen Haare kamen zum Vorschein, sowie Carsten, der sich an ihr vorbeiquetschte. Vor Tatjana stand Thomas und sah ein wenig ungeduldig auf sie hinab. In der Zwischenzeit hatte er sich wohl von seinem T-Shirt befreit, was Tatjana anscheinend nur allzu sehr genoss. Zögerlich streckte sie ihre Hände aus und strich mit ihren überaus langen Fingernägeln über den Bauch des jungen Nazis. Thomas war nicht übermäßig trainiert und hatte keinen Sixpack vorzuweisen, so wie Nils, bei dem es fast schon wieder ein wenig zu viel war. Doch nur allzu deutlich zeichneten sich die leicht trainierten Muskeln unter der blassen Haut ab. „Oh großer, starker Mann“, hauchte Tatjana angesichts des durchaus schönen Körpers und wollte wohl gerade über die feste Brust streichen, als Thomas ihre Hand festhielt. Sie lächelte, da sie es anscheinend nicht als Ablehnung verstand, doch Michael war sich sicher, dass Thomas kein Interesse an Tatjana und ihren Befummelungen hatte, während Nils die Umschwärmung von den beiden Mädchen durchaus genoss. Ist er wohl nicht so gewöhnt… Michael wurde das Beobachten langsam zu dumm und so begab er sich trottend in die Dusche, als er bemerkte, dass sich manche um ihn herum schon am Ankleiden waren. „Guten Morgen, meine Guten“, begrüßte ihre Deutschlehrerin gewohnt fröhlich und herzlich die Klasse, als sie den Raum betrat. „Mahlzeit“, meinte Michael nur als Antwort und schloss leicht die Augen. Zu seinem Glück hatte sein Iro das Duschen überstanden und so musste er sich keine Gedanken um sein Aussehen machen. Ein wenig müde war er schon. Kurz war sein Kopf nach links gezogen, da dort sonst immer Patrick gesessen und seine Schulter zur Verfügung gestellt hatte. Doch zum Glück war ihm rechtzeitig klar geworden, wer nun links neben ihm saß. Gott sei dank, dass er davon nichts mitbekommen hat! Doch Thomas schien viel mehr damit beschäftigt, Hendrik, der an Jens’ rechter Seite saß, zu ignorieren. Hendrik war ähnlich wie Jens ein Frauentyp mit einem lächerlich blond gefärbten Mode-Iro und sonst pechschwarzen Haaren. Anscheinend war der Fußballfanatiker immer noch begeistert von ihrem phänomenalen Sieg bei dem Fußballmatch, denn er redete ununterbrochen davon. „Mann, halt doch endlich die Fresse“, meinte Thomas und seufzte. „Du nervst. Mich interessiert Fußball nicht.“ Überrascht zog Michael eine Augenbraue hoch. Ihn interessierte Fußball nicht? Warum war er dann gerade mit dem Gesicht auf dem Rasen gelandet? Ach ja, klar… weil ich es bin und du Penner mir ja immer einen reinwürgen musst! Während er weiter seiner Frustration über sein geschundenes Knie gedanklich freien Lauf ließ, erklärte die Deutschlehrerin die heutige Aufgabe. „- also dachte ich, wir wiederholen das noch mal“, meinte die gutherzige Frau Herzog und Michael klimperte kurz mit den Augen, als wollte er sich selber wieder aufwecken. Kurz ließ Frau Herzog ihren Blick über die Klasse schweifen und nickte dann. „Gut, wir machen Zweiergruppen bzw. eine Dreiergruppe, da ihr ja 23 Schüler seid.“ Sie blickte nach links von ihr aus gesehen. „Gut, David und Katja, ihr macht zusammen!“, teilte sie diese beiden, die zusammen ganz vorne saßen, ein und reichte ihnen zwei Blätter. „Ihr bearbeitet bitte die Parabel Die Schlacht von Isonzo.“ „Woho, die Schwuchtel kann schon man nicht mehr zu mir!“, jubelte Nils von ganz hinten und streckte die Hand in die Luft. Michael sah kurz aus den Augenwinkeln nach Thomas’ Reaktion, doch dieser sagte nichts, schmunzelte nur leicht. „Nils“, bat Frau Herzog den bulligen Neonazi zur Ruhe. „Am liebsten würde ich Sie aufgrund dieser Beschimpfung schon David zuordnen, doch das möchte ich diesem armen Jungen nicht antun!“ Für einen Moment dachte Michael, dass Frau Herzog es nur noch peinlicher für David machte, doch dieser schien gar nicht mehr zuzuhören und unterhielt sich mit Katja über die bevorstehende Parabelanalyse. Frau Herzog ließ sich auch nicht weiter beirren und verteilte weiter die Blätter. An Katjas Tisch stand der von Anna, die zusammen mit Annelie die Fabel „Der Fuchs und der Rabe“ analysieren sollte. So ging es eine ganze Weile weiter bis Frau Herzog Isabelle, Lena und Carsten in ein Team ordnete und Michael bei Lenas entsetztem Gesicht gen Isabelle auflachen musste. „Ach, Michael, da sind Sie ja“, meinte Frau Herzog, als sie direkt vor ihm stand. „Oh, und nun sitzen Sie neben Thomas? Haben Sie beide sich vertragen?“ Ein verneinendes Murren von beiden war die Antwort, doch Frau Herzog ging darauf nicht weiter ein. „Nun, sie beide bearbeiten bitte diese Fabel zusammen“, erklärte sie und reichte den beiden jeweils ein Blatt. Darauf stand, dass sie die Fabel „Wolf und Lamm“ von Äsop bearbeiten sollten. Langsam richtete Michael sich wieder auf und bemerkte, wie Thomas’ Blick auf ihm ruhte. „Hm?“, murmelte er und blickte fragend zu seinem Sitznachbar. „Bin ich so interessant, dass du mich anstarren musst?“ „Nein“, antwortete Thomas schlicht und blickte von der Fabel auf dem Blatt zu Michael zurück. „Ich schätze gerade nur ab, wie ich es überlebe, mit dir zusammenzuarbeiten. Da brauchst du einen ja nicht gleich so schwul von der Seite anmachen!“ Skeptisch zogen sich Michaels Augenbrauen zusammen. Seine Oberlippe zuckte leicht im rechten Mundwinkel. Wie bitte? „Schwul?“, wiederholte Michael ungläubig Thomas’ Worte. „Ich bin doch nicht schwul!“ Doch Thomas reagierte darauf nicht und tat so, als würde er konzentriert die Fabel lesen. Michael kräuselte die geschwungenen, rötlichen Lippen. So würde er das jetzt nicht stehen lassen. „Ah, ich verstehe, Rosner“, begann er, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. Doch dieser Ton verschlug seine Wirkung nicht und prompt erlangte der Punk wieder die Aufmerksamkeit des anderen Jungen. „Du…. hast dir Hoffnungen gemacht…“, meinte Michael gespielt verlegen und beobachtete gespannt die Reaktion des anderen. Es war wie Weihnachten, Ostern und sein Geburtstag an einem Tag; wie ein LKW voller Zigaretten und Geld… Es war ein solcher Genuss, zu sehen, wie sich Rosners Augen ein wenig weiteten und er für zwei-drei Sekunden erstarrte, bevor seine Augen sich verdunkelten und seine Augenbrauen sich wütend zusammenzogen. „Sag mal, bei dir tickt’s wohl nicht mehr richtig“, blaffte er Michael an und schubste diesen an der Schulter, sodass der Grünhaarige beinah vom Stuhl gefallen wäre. „Als ob ich schwul wäre und dann ausgerechnet auf so ne Zecke wie dich stehe!“ „Ach, nicht?“, fragte Michael gespielt unschuldig. „Oops, da hab ich mich wohl vertan.“ In der Klasse war es mittlerweile mucksmäuschenstill geworden. Sogar die Deutschlehrerin sah gespannt zu den beiden, wenn auch ein wenig angstvoll. Vielleicht fürchtete sie eine Schlägerei, wo sie dann dazwischen gehen müsste. „Das glaub ich allerdings auch“, zischte Thomas seinem Sitznachbar zu und schüttelte wütend den Kopf. Seine Hand, zu einer Faust geballt, zuckte leicht. Am liebsten würde er diesem dämlichen Punk ein zweites Veilchen schlagen oder ihn an dem Ring durch seine Lippe aufhängen. Doch so kurz hintereinander wollte er nicht noch einmal beim Schulleiter landen. Also begnügte er sich damit, Michael einmal mit voller Wucht auf den Fuß zu treten. Dass der Punk daraufhin vor Schmerz zischend Luft einzog, war für ihn ein wahrer Genuss. Das Schweigen in der Klasse legte sich langsam wieder. Hier und da begannen welche zu tuscheln oder über ihre jeweiligen Texte zu sprechen. Zögernd trat Frau Herzog an sie heran. „Rosner, Pleske“, sprach sie die beiden an. Wenn Lehrer einen schon mit Nachnamen anredeten und sie es sonst nicht taten, war das meistens ein Zeichen für eine berühmtberüchtigte Moralpredigt. „Ich hoffe, Ihnen beiden ist klar, dass Sie zusammenarbeiten müssen“, begann sie ruhig und lehnte sich ein wenig auf die Tische der beiden unterschiedlichen Jungen. „Es ist bereits über die Hälfte der Zeit um. Die nächste Deutschstunde vor nächster Woche Montag ist am Freitag, doch übermorgen bin ich nicht da. Mit anderen Worten werden Sie sich wohl oder übel zu Hause treffen müssen, um ihre Analyse fertig zu stellen.“ Die Augen der beiden Jungen weiteten sich gleichzeitig und rasant. „Nun gucken Sie mich nicht so an“, meinte die Lehrerin abwehrend. „Sie sind beide 18 Jahre alt. So langsam sollten Sie lernen, auch mit Menschen umzugehen, die man nicht so gut leiden kann.“ Mit diesen Worten bewegte sie sich langsam von Michael und Thomas weg und hinterließ tiefes Entsetzen und endlose Stille. TBC So, das war das zweite Kapitel. Ich hoffe, es hat euch wieder gefallen. Ich denke, man merkt hier deutlich, dass Neonazis nicht unbedingt zu den Menschen zählen, von denen man Toleranz für Homosexualität erwarten kann. Sowohl Nils Reaktion bei Davids und Katjas Einteilung als auch Thomas verhalten, als Michael in ein wenig foppen will, zeigen nur allzu deutlich, dass Neonazis Homosexuelle verachten. Thomas sollte den meisten nun auch nicht mehr als liebenswürdig, nett oder lustig vorkommen. Auch wenn er das wahrscheinlich ist, so tut so ein Tritt mit Springerstiefeln auf einen Fuß verdammt weh! So eine Reaktion nur weil man aus Spaß "homosexuell" genannt wird, würde sich kaum ein normal denkender Mensch leisten. Motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)