Wie Schwarz und Weiß von schmoergelmotte ================================================================================ Kapitel 10: Ein Besuch am Nachmittag ------------------------------------ Huhu ^^ So, endlich hab ich es geschafft, Kapitel 10 fertig zu stellen xD Ich hoffe, es wird euch gefallen xD Danke für die Kommis bei Kapitel 9 ^^ Und nun viel Spaß beim Lesen. Kapitel 10: Ein Besuch am Nachmittag Die Tatsache, dass er sich ausgerechnet in Thomas Rosner verliebt hatte, gestaltete sich für Michael jedoch schwieriger als er zunächst gedacht hatte. Zwar war es ihm unbewusst schon länger klar gewesen, doch seit er seine Gefühle das erste Mal sich selbst gedanklich gestanden hatte, war es ein wenig anders. Als Michael am nächsten Montag den Klassenraum betrat, fiel sein Blick sofort auf Thomas. Das Gespräch zwischen ihm und Jan über ein Konzert in einem alternativen Club wurde in den Hintergrund gedrängt und die Worte des anderen Jungen schienen an Michaels Ohren abzuprallen. Doch Jan schien das nicht weiter zu stören. „Überleg es dir, okay?“, bat er seinen älteren Kumpel noch, ehe er sich zu Jessica begab. Als er an Patrick vorbei kam, fing er dessen verwirrten Blick auf. „Findest du nicht, dass Michi sich… nun ja… ein wenig komisch benimmt?“, fragte Pat und drehte eine seiner glatten, kurz getragenen, blauen Strähnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Sein Blick schweifte zu dem Mittleren ihre Trios, welcher nun mit einem leicht abwesenden Blick auf seinen Platz zuging. Jan zuckte mit den Schultern. „Tja, vielleicht hat er sich bei seinem Sturz aus der Hängematte gestern doch mehr getan, als wir vermutet hatten!“ Er lachte leise auf, was Patrick mit einem stumpfen Blick kommentierte. „Aha, und deswegen schleicht er mit diesem Geisterblick auf diese Glatze Rosner zu? Ganz ehrlich, wenn Rosner sich demnächst ’nen Exorzisten zulegt, wundert mich das nicht!“, murmelte er in einem ironischen Ton. Jan grinste breit. „Na, solang dann keiner grünen Schleim kotzt, höhö, das wär’ ’ne mächtige Sauerei!“ Patrick rollte die Augen. „Alles klar, du Scherzkeks!“ Mit einem schelmischen Gesichtsausdruck schlenderte Jan an dem Ältesten vorbei und ließ sich neben Jessica nieder. „Na, Baby, wie war deine Nacht ohne mich?“ Einen solch lockeren Spruch hätte Michael auch gerne gebracht, doch ihm blieb jegliches Wort der Begrüßung im Halse stecken, als Thomas flüchtig zu ihm aufsah und ihm ein leise gegrummeltes „Morgen“ zuwarf. Verbissen versuchte Michael das aufgeregte Klopfen seines Herzens zu unterdrücken, während seine grüngrauen Augen auf das blasse Profil des kahl rasierten Jungen blickten, welcher sich bereits wieder abgewandt hatte. Die Muskeln in den glatten Wangen zuckten kaum merklich, als sich die grauen Augen müde schlossen. Fasziniert beobachtete Michael das Schauspiel als wäre es eins der größten Wunder der Natur. Die dunklen Wimpern hoben sich wie ein Vorhang, als die Lider wieder nach oben gezogen wurden. „Willst du dich nicht setzten?“, drang die rau-markante Stimme des Größeren an sein Ohr. Michael zuckte zusammen. Er spürte wie das Blut in seine Wangen schoss und die bereits gebräunte Haut rötlich färbte. Zum Glück schien es nicht allzu sehr aufzufallen, denn zu Michaels Erleichterung sagte keiner etwas. „Ähm, doch, klar“, antwortete Michael hastig. Mit zusammengepressten Lippen setzte er sich auf seinen Platz. Sein Herz beruhigte sich langsam wieder, obgleich es immer noch heftiger gegen seine Brust schlug als gewöhnlich. Langsam schloss er seine Augen und atmete tief ein, als wollte er versuchen, den pochenden Muskel in seiner Brust zu beruhigen, auch wenn er wusste, dass dies vorerst nichts bringen würde. Mit leicht zitternden Fingern strich er sich über seine geschlossenen Lider, ehe er die Augen blinzelnd wieder aufschlug. Aus den Augenwinkeln sah er nach links, wo Thomas gelangweilt mit dem Kugelschreiber blaue, unkoordinierte Linien und Kreise auf seinem Block zog. Den Kopf leicht wendend, fiel sein Blick auf die schlanke und dennoch recht kräftige wirkende Hand, welche mal langsam und mal schneller über das Papier huschte. Jetzt, wo er genau hinsah, fiel ihm auf, dass unterhalb des Zeigefingerknöchels eine dünne, unter der Haut kaum bläuliche Ader hervorstand. Seine Lippen kräuselten sich ein wenig, als er sich selber dabei ertappte, wie offensichtlich er mittlerweile jede noch so kleine Kleinigkeit an Thomas beobachtete. „Sag mal, welcher ist heute noch mal?“, drang eine noch recht helle Jungenstimme an sein Ohr und Michael schreckte aus seinen Gedanken hoch. Flüchtig sah er an Thomas’ Rücken vorbei zu Hendrik, welcher die Frage gestellt hatte. „19.06.“, antwortete der junge Neonazi nun und seine leicht raue, dunkel-markante Stimme ließ einen Schauer durch Michaels Körper laufen. Die kleinen Härchen auf seiner leicht gebräunten Haut stellten sich auf und ließen Michael selbst bei den sommerlichen Temperaturen für einen kurzen Moment leicht frösteln. Für gewöhnlich wäre er sicher froh gewesen, einmal nicht das Gefühl in Schweiß auszubrechen zu haben, doch angesichts des Grunds für diese Gänsehaut konnte Michael sich nur selbst an die Stirn fassen. Scheiße, du benimmst dich wie ein kleines verliebtes Schulmädchen, dass einen von den Backstreet Boys anhimmelt, zischte er sich gedanklich selber zu und hätte im selben Augenblick laut loslachen können. Thomas mit einem Boyband-Sänger zu vergleichen, war doch nun wirklich sehr widersprüchlich. „Ach ja, Pleske“, holte ihn die markante Stimme seines Sitznachbarn erneut aus seinen Gedanken. Wie vom Schlag getroffen sah Michael ihn an. „Äh, ja?“ „Mein Videospiel“, sagte Thomas nur schlicht und stützte sich mit dem Ellebogen auf den Tisch, um seinen Kopf in seine Hand zu legen. Michael versuchte all seine Konzentration auf ihr Gespräch zu wenden und nicht auf die sinnlichen Lippen zu starren, als die Zunge des Älteren darüber schnellte, um sie zu befeuchten. Arschloch, dachte Michael sich angesichts dieser „Folterung“ und der Bewährungsprobe seiner Standhaftigkeit. Oh ja, wenn er das noch mal macht, wird noch was ganz anderes standhaft. – Ah, verdammt! Was denk ich hier eigentlich? Sich selber und die Zweideutigkeit des Wortes „Standhaftigkeit“ verfluchend, wandte er seine Konzentration nun wirklich vollends ihrem Gespräch zu. Feststellend, dass Thomas ihn schon reichlich fragend anguckte und sich anscheinend nicht mehr sicher war, ob Michael überhaupt zugehört hatte, räusperte sich der junge Punk. „Was ist mit dem Spiel?“, fragte er und stellte fest, dass seine Stimme ein wenig krächzte. „Ich will es wieder.“ Mehr hatte Thomas anscheinend nicht zu sagen. Kommt mir vor wie ‚Ich Tarzan – du Jane’. Aber toll, er kann ganze Sätze reden. „Höflicher geht es nicht?“, erwiderte Michael ein wenig schnippisch, was Thomas nur ein Schulterzucken entlockte. „Wozu? Erstens gehört das Spiel ja doch mir und ich muss dich um nichts bitten. Und Zweitens sind wir ja auch nicht auf einem Staatsbankettball und schieben uns gegenseitig intelligente Komplimente zu, um uns daran zu erfreuen, dass wir uns beide für ganz besonders wichtig halten und uns Honig ums Maul schmieren, obwohl wir uns eigentlich scheiße finden. Aber da du ja eh Anarchist bist, interessiert dich Politik nicht. Also lassen wir das. Ach, und Drittens bist du ja selber auch kein Beispiel für Höflichkeit“, sagte Thomas so schnell, sodass Michael bezweifelte, dass er dazwischen mehr als einmal Luft geholt hatte. Okay, vergessen wir das mit Tarzan und Jane. „Gott, erst redest du so knapp es geht und nun blubberst du mich voll. Gibt es bei dir kein Mittelmaß?“ Für ein paar Sekunden erwiderte Thomas darauf nichts, doch schließlich fand ein schlichtes „Heute nicht“ den Weg aus seinem Mund. „Zurück zum Spiel. Ich will es im Laufe der Woche, also spätestens Freitag, wieder!“, kam Thomas auf ihr eigentliches Thema zurück. Während er das sagte, öffnete sich die Tür zum Klassenzimmer und Frau Herzog betrat den Raum. Das Getuschel in der Klasse erstarb langsam, sodass auch Michael nur noch ein „Okay“ erwiderte. Den ganzen Schultag jedoch über sprachen sie kein weiteres Wort mehr. Nach der ersten Pause hatte Thomas dermaßen schlechte Laune, weil ein Schüler aus Versehen mit einem Eisbecher in der Hand gegen ihn gestolpert und sein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Stolz und Ehre“ nun mit rosa und braunen Flecken versehen war. Keiner wagte es ihn anzusprechen und sogar Herr Jansen bemängelte im Kunstunterricht nur ein einziges Mal, dass Thomas nicht weiter an ihrem Projekt arbeitete sondern lieber wieder Kreise auf seinen Block malte. Herr Jansen tat das nach einer kurzen, aber hitzigen Diskussion widerwillig als „abstrakte Kunst“ ab und ließ Thomas wie alle anderen Lehrer und Mitschüler in Ruhe. Da Michael alles andere als in Thomas’ Missgunst stehen wollte, hatte auch er kein einziges Mal versucht, den jungen Neonazi anzusprechen. Dennoch konnte er seine Augen aber nicht von ihm abwenden und besonders nach der ersten Pause hatte er sich zum Starren hinreißen lassen, als Thomas immer wieder sein Shirt hochgezogen hatte, um sich weiter und besser über die Flecken aufregen zu können. Anscheinend war es aber keinem aufgefallen und so ging Michael am Ende des Schultages schließlich erleichtert nach Hause. Doch Michael hatte bis zum Wochenende natürlich vergessen, das Spiel wieder mitzubringen. Ein wenig chaotisch war er eben immer schon gewesen. Aber das schien Thomas nur milde überrascht zu haben, denn er hatte am Freitag nicht einmal danach gefragt. Dafür stand er heute, nur einen Tag später, vor Michaels Haustür. „Sag mal, Pleske“, begann er betont schleppend. „Hast du nicht irgendetwas vergessen?“ Für einen Moment blickte Michael ertappt in die grauen, stechend blickenden Augen seines Gegenübers; versuchte dann aber etwas verspätet eine Unschuldsmiene aufzusetzen. Thomas bemerkte dies und zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Etwas zu spät, Pleske, um den Ahnungslosen zu spielen!“, meinte er ein wenig höhnisch. „Und jetzt lass mich rein; ich wollte hier keine Wurzeln schlagen.“ Seine grauen Augen blickten den Kleineren auffordernd an. Michael grinste schief. „Ach, nicht? Du würdest sicher eine wunderschöne Topfpflanze abgeben. Meine Mutter wäre entzückt!“, erwiderte er mit leichtem Sarkasmus in der Stimme. Allmählich hatte er seine Sprache wieder gefunden. Dennoch trat er einen Schritt zur Seite, um Thomas ins Haus zu lassen. Da der junge Mann erreicht hatte, was er wollte, antwortete er nicht mehr auf Michaels Kommentar. Ebenfalls wortlos begab Michael sich zu seiner Treppe, blieb aber nach fünf Stufen stehen, als er merkte, dass der andere ihm nicht folgte. „Du willst wohl doch unbedingt als Mums Pflanze enden?“ Thomas sah für einen Moment verwirrt auf. Er hatte eigentlich vorgehabt, hier unten zu warten. Nun folgte er dem Punk allerdings schweigend die Treppe hoch und schließlich in dessen Zimmer. Seit er das letzte Mal hier gewesen war, hatte sich nicht viel geändert. Im Moment lagen zwar keine Kleidungsstücke auf dem Boden, aber dennoch sah es weiterhin chaotisch aus. Ein mulmiges, unbehagliches Gefühl schlich sich in Thomas’ Körper. Das letzte Mal als er hier gewesen war, hatte er mehr von sich Preis gegeben, als er im Nachhinein gewollt hatte. Zwar konnte er nicht leugnen, dass es gut getan hatte, mal mit einem Außenstehenden über das Problem mit seinem Vater zu sprechen, doch irgendwie bereute er es dennoch. Immerhin war Michael Pleske nicht gerade sein bester Freund gewesen und war es auch jetzt noch nicht. Um sich abzulenken blickte Thomas zu den verstreuten CDs auf dem unaufgeräumten Schreibtisch und hoffte inständig, dass sein Spiel nicht unter dem umgekippten Stapel lag. Er malte sich schon zerbrochenes Plastik und Schrammen auf dem silbernen Glanz der Compact Disc aus, als Michael ihm plötzlich eine noch sehr heil aussehende Hülle reichte. Das Spiel sah noch genauso aus wie Thomas es ihm überlassen hatte. „Wow, erstaunlich, da ist ja noch alles dran!“, sagte Thomas und grinste breit. Michael zuckte mit den Schultern. „Mit Sachen anderer Leute geh’ ich sorgfältiger um, als mit meinen.“ Thomas lachte laut auf und ungewollt klang es spöttisch. „Kaum zu glauben.“ Michael merkte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Das Lachen hatte ihn viel mehr verletzt als die Worte. Ein Kloß bildete sich an seinem Kehlkopf und er schluckte hart, doch der Kloß wollte nicht aus seinem Hals weichen. „So denkst du also über mich?“ Diese Worte hatten seinen Mund gegen seinen Willen verlassen. Eigentlich hatte er sie nur gedacht und gar nicht gemerkt, wie seine Stimmbänder und sein Mund dazu agiert hatten. Selber hätte er sich schlagen können, dass er dabei so leidend geklungen hatte. Ja, man hatte eindeutig rausgehört, dass die Worte ihn getroffen hatten. Das schien auch Thomas nicht entgangen zu sein, denn seine Augenbrauen waren in die Höhe gezogen. Ein fragender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Bitte wie?“ Sein Ton klang hart und ungläubig, so als könnte er nicht fassen, dass Michael so mit ihm sprach. Gleichzeitig hörte Michael Verwunderung in seiner Stimme. Er schien nicht ganz zu verstehen, was Michael wollte oder eher warum er überhaupt so reagierte. Michael wandte seinen Blick ab und atmete tief, leicht rasselnd, ein. Was hatte er gerade nur angerichtet? Adrenalin schoss durch sein Blut, ließ sein Herz schneller gegen seine Brust schlagen und nervös werden. Er musste die Situation irgendwie retten. Abermals atmete er tief ein. „Jetzt guck nicht so!“, wandte er sich wieder an Thomas und versuchte einen schelmischen Blick aufzusetzen. Seine Stimme krächzte ein wenig. „Das war nur’n Scherz. Wollt dich nur foppen!“ Er legte ein breites Grinsen auf seine Lippen, auch wenn ihm gar nicht danach zumute war. Michael war klar, dass er nicht sonderlich überzeugend war und es war offensichtlich, dass Thomas immer noch skeptisch war, doch er schien dem nicht weiter auf den Grund gehen zu wollen. Ein leises „Aha, okay“ drang über Thomas’ Lippen, ehe sie wieder ins Schweigen verfielen. Michael fühlte sich angespannt. Thomas in seinem Zimmer zu haben, war schön und beängstigend zu gleich. Die Gesellschaft des jungen Neonazis, der ihm so gegensätzlich war, war ihm teuer, doch gleichzeitig sagte eine innere Stimme ihm, er solle ihn schnell wieder loswerden, bevor er sich noch verplappere. Unbewusst versenkte er seine obere Zahnreihe in seine Unterlippe, sodass sich auf der blassroten Haut kleine weiße Striemen bildeten. Seine Beine wibbelten ein wenig unruhig, als er sich auf seinem Bett niederließ. Das Sonnenlicht fiel durch die halb hinuntergezogene Jalousie und ließ seine graugrünen Augen matt wirken. Die durch Thomas verursachten Prellungen in seinem Gesicht waren mittlerweile nur noch als gelbliche Flecken zu sehen und kaum noch spürbar. Die Stille machte die Situation für Michael noch unerträglicher. Er spürte, dass Thomas gleich gehen würde. Warum sollte er auch bleiben? Immerhin hatte er sein Spiel wieder und nur deswegen war er zu ihm nach Hause gekommen. Doch Michael wollte nicht, dass er schon ging. Wann hatte er schon mal die Gelegenheit, mit dem anderen allein zu sein oder überhaupt Zeit mit ihm zu verbringen? Auch wenn sich außer einem Smalltalk wahrscheinlich nichts ergeben würde, so wollte er den anderen Jungen nicht einfach wieder von dannen ziehen lassen. Verlegen räusperte er sich. „Ähm… aber weißt du, was ich nicht verstanden habe? Bei diesem Endgegner… wieso kann man den nicht mit diesen Geisterpfeilen erledigen? Der ist doch so ’ne Art Geist, oder?“, begann Michael ein Gespräch zu starten. Er hielt es für klug, sich über das Spiel zu unterhalten, da das Thema nicht sonderlich abwegig oder auffällig war. Thomas, der seinen Blick über die Poster in Michaels Zimmer hatte schweifen lassen, zuckte kaum merklich zusammen, als der Punk ihn aus seinen Gedanken riss. Er drehte sich zu dem Bett, auf dem Michael saß und strich sich mit den Fingern über seine kahle Kopfhaut. „Er ist kein wirklicher Geist und man kann ihn im Allgemeinen nicht mit Pfeilen vernichten. Du brauchst dazu diese… ach, wie hieß das Scheißding noch mal?“, dachte er laut nach und zuckte dann schließlich mit den Schultern. „Na ja, is’ ja jetzt auch egal.“ Wieder trat ein kurzes Schweigen ein, dass Michael jedoch wieder unterbrach, um das Gespräch weiterzuführen. Es machte ihn zufrieden, sich einfach nur mit Thomas zu unterhalten. Und auch wenn dies nur der Ansatz einer recht mühsamen Konversation war, so fühlte Michael sich dennoch glücklich. „Aber du kennst doch sicher noch diese Tussi mit dem Iro und diesen roten Streifen im Gesicht? Die war echt schwer zu besiegen!“, sagte Michael und drehte zwischen Daumen und Zeigefinger eine der Falten, die seine Hose am Knie warf. Thomas nickte bestimmt. „Klar, erinner’ ich mich noch an die!“, meinte er und grinste breit. „Die hatte es echt drauf. Ich fand sie neben dem Endgegner fast am Härtesten. Aber mal ehrlich… die Klamotten, die sie anhatte, waren echt heiß. Ich glaube, Nils hat das Spiel nur deswegen gespielt.“ Er lachte laut auf und klang dabei so mitreißend, dass Michael nicht anders konnte, als es ihm gleich zu tun. Unbemerkt war Thomas dem Bett näher gekommen und stand nun kaum noch einen Meter von Michael entfernt. „Aber weißt du, was ich auch geil fand?“, meinte Thomas nun ein wenig offener und Michael verspürte ein leichtes Kribbeln in seinem Bauch, als Thomas das Gespräch von sich aus weiterführte. „Dieses kleine, haarige Vieh mit den riesigen Augen, das immer die Wangen so aufgeblasen hat!“ Thomas machte große Augen, um das virtuelle Wesen zu imitieren und Michael musste erneut auflachen. Das prickelnde Kribbeln in seinem Magen wurde noch stärker, als ihm klar wurde, wie unbefangen ihr Gespräch nun war. Ihm kam es vor, als würden tausende von Ameisen bei einer großen Silvesterfeier Raketen in seinem Magen hochlassen und dazu Polka tanzen. „Und dann kam das Vieh immer so auf den Bildschirm zugeschossen“ – Thomas ging einen weiteren Schritt auf Michael zu, dessen Herz nun, wo Thomas direkt vor ihm stand, anfing krampfhaft schnell gegen seinen Brustkorb zu pochen – „sodass man dachte, es würde einem direkt ins Gesicht fliegen. Und dann hat es die Wangen und Augen so breit gemacht und dann ein lautes „Huuiii“ losgelassen!“ Mit großen Augen und aufgeblasenen Wangen beugte er sich zu Michael runter und ließ ein leises, für seine Stimme hohes „Huuiii“ los, ehe er leise lachen musste. Michael jedoch schien auf einen Schlag wie paralysiert. Dass Thomas ihm plötzlich so nah war, dass er dessen Atem ganz leicht gegen seine Schläfen prallen spürte, ließ den jungen Punk erstarren. Natürlich waren ihm auch Jan und Patrick schon mal so nah gewesen und auch der Freund seiner Schwester, wenn sie sich mal aus Spaß geprügelt hatten. Doch bei Thomas war das anders. Die feinen Härchen auf Michaels Körper stellten sich auf und ließen eine Gänsehaut, begleitet von einem sanften Schauer, über seinen Körper gleiten. Binnen Sekunden war sein Blick auf die leicht geschwungenen, blassrosa Lippen vor ihm geheftet. Sein Herzschlag erhöhte sich ein weiteres Mal, sodass Michael schon fast der Gedanke kam, es könnte zerplatzen. Knirschend zogen seine Zähne an seiner leicht trockenen Unterlippe; seine Finger zitterten. Seine Gedanken drehten sich nur um die sinnlichen Lippen vor ihm, als wäre er unfähig etwas anderes zu denken. Gerade als er sich fragte, ob sie wirklich so weich waren, wie sie aussahen, bemerkte er – wie in Zeitlupe – dass Thomas’ Gesicht sich langsam von seinem entfernte. Ohne nachzudenken handelte er. Eine seiner Hände löste sich von seinem Oberschenkel und legte sich in den Nacken des Größeren; zog ihn ohne Vorwarnung wieder zu sich runter. Erwartungsvoll hob er seinen Kopf und legte, bevor Thomas reagieren konnte, seine Lippen auf die des anderen. Sie fühlten sich wirklich so weich an, wie sie ausgesehen hatten. Eigentlich sogar noch weicher, als er es sich vorgestellt hatte. Doch er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Eine Hand hatte sich an den Ansatz seines Halses und seine Schlüsselbeine gelegt und drückte ihn kraftvoll zurück, ehe eine zweite Hand ihn mit Schwung zurückschubste. Hart traf sein Rücken auf die durchgelegene Matratze, doch das störte Michael wenig, als ihm bewusst wurde, was er soeben getan hatte. Seine Hand an die Stelle seines Halses, wo Thomas fest gedrückt hatte, legend, sah er auf und blickte ihn das erstarrte Gesicht seines Gegenübers. Die grauen Augen waren immer noch aufgerissen, doch nun nicht mehr, um etwas zu imitieren, sondern aus Schock. Ungläubig und eindeutig erschrocken musterte Thomas ihn. „Was… was… sollte das?“, brachte er stockend heraus und wich zwei Schritte von dem Bett weg. Diese Geste schmerzte Michael. Tief atmete er ein und setzte sich auf; legte seinen Kopf in seine Hände. Er war unfähig dem anderen zu antworten. Lautlos presste er die Lippen aufeinander und starrte zu Boden. „Bist du schwul, oder was?“, drang erneut Thomas’ Stimme an sein Ohr, doch diesmal klang sie um vieles härter als zuvor. Michael war zum Lachen und Heulen gleichzeitig zumute. „Nein, ich bin bi“ zu sagen, wäre in diesem Moment sehr lächerlich und kindisch. Unter seinen Fingerkuppen spürte er die millimeter-kurzen Haarstoppel, als er seine Finger in seine Kopfhaut krallte. Noch immer schwieg er, denn er konnte nichts sagen und er wusste auch nicht, was er hätte sagen können. Das machte Thomas allmählich wütend. „Verdammt, du Wichser, rede mit mir! Knutsch mich nicht erst ab und tu jetzt so, als wäre nichts gewesen!“ Michael zuckte zusammen. Die Härte in Thomas’ Ton und auch die Wortwahl taten weh. Seine Augen brannten; sein Kinn zitterte. Angespannt ließ er seine Hände wieder sinken und stand mit weiterhin gesenktem Haupt auf. Nur langsam hob er den Kopf, als er einen Schritt auf Thomas zuging. Gerade wollte er sich durchringen, doch etwas zu sagen. Vielleicht ein Wort der Entschuldigung oder ein Wort der Erklärung. Doch Thomas wich weiter zurück. „Oh nein, komm mir nicht zunahe, du perverses Arschloch.“ Ein weiteres Mal zuckte Michael zusammen; diesmal heftiger als zuvor. Natürlich war er schon viele Male von Thomas und anderen Leuten auf diese Art und Weise beschimpft worden, doch nie war etwas Persönliches dabei im Spiel gewesen. Nie hatte er eine dieser Personen geliebt und vor einigen Wochen war Thomas ihm auch mehr als egal gewesen. Er merkte, wie dieser weiter zur Zimmertür ging und diese öffnete. „Es tut mir Leid“, murmelte er leise, doch er war sich nicht sicher, ob Thomas es noch gehört hatte, als er sein Zimmer verlassen hatte und die Treppe runtergestürmt war. Er hörte die Haustür laut zuknallen und schließlich drangen durch sein geöffnetes Fenster die Geräusche eines Wagens, der hastig aus der Einfahrt gesetzt wurde und etwas dabei zu Bruch ging. Starr verharrte Michael in seinem Zimmer. Thomas nachzulaufen wäre sinnlos gewesen. Sein Körper zitterte, während seine Augen immer noch starr auf die geöffnete Zimmertür blickten, durch die der Ältere soeben verschwunden war. Was hab ich nur getan? Wieso hatte er sich nicht beherrschen können? Die ganze Woche über hatte es doch so gut geklappt. Die ganzen letzten vier Wochen war es ihm kein einziges Mal passiert. Er hatte Thomas nicht einmal kurz mit den Händen berührt oder etwas in der Richtung gesagt. Er hatte sich doch nur unterhalten wollen; kurz die Nähe des anderen genießen wollen. Und nun hatte er ihn geküsst. Flüchtig, aber dennoch hatten ihre Lippen aufeinander gelegen. Michael konnte nicht bestreiten, dass dieses Gefühl Wohlgefallen in ihm ausgelöst hatte, doch das war nichts wert, wenn er sich bedachte, was nun passiert war. Thomas’ Reaktion war eine Katastrophe gewesen. Aber eigentlich hatte Michael auch nie mit etwas anderem gerechnet. Gerade deswegen hatte er sich ja immer beherrscht. Warum war er ihm auch so nahe gekommen? Doch die Schuld auf Thomas zu weisen, war unfair. Er war es, der sich nicht hatte beherrschen können. Er war schuld. Tränen bildeten sich in seinen Augen, doch keine einzige floss über seine Wange. Starr sah er an die Decke. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was ihn am nächsten Montag in der Schule erwarten würde. TBC Hm, so... Michaels Verlangen hat ihm tatsächlich den Kopf verdreht und ihn seine Beherrschung verlieren lassen. Das könnte jedem Menschen irgendwann so gehen. Thomas' Reaktion war in gewisser Weise absehbar. Fast jeder Mensch, insbesondere aber die männliche Fraktion, wäre mit dem Kuss überfordert gewesen. Ich hoffe jedenfalls, dass es euch gefallen hat und ihr euch nun neugierig auf Kapitel 11 freut *lol* Im Laufe des nächsten Monats wird es wohl fertig sein. Tschö, Motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)