Wie Schwarz und Weiß von schmoergelmotte ================================================================================ Kapitel 23: Schmerz ------------------- Moin moin! Mal wieder sitzt Motti mitten in der Nacht am Laptop (ja, man hat ja sonst nie Zeit) und lädt fleißig ein neues Kapitel hoch. Im Moment komme ich wieder gut voran und bin auch schon so gut wie fertig, werde mir aber einiges noch mal durchlesen. Aber es wird jetzt auf jeden Fall wieder jedes Wochenende ein neues Kapitel hochgeladen werden, wo es nun zum Endspurt geht xD Nun aber erst mal viel Spaß mit Kapitel 23: Schmerz Sein Kopf dröhnte, als würde man mit einem Presslufthammer darin arbeiten. Seine Sicht war noch leicht verschwommen, als er die Augen öffnete, doch er erkannte sogleich an den schlichten, weißen Wänden und dem sterilen Geruch, dass er im Krankenhaus war. Nun spürte Thomas auch all seine anderen Glieder, die schwer wie Blei zu sein schienen und unangenehm schmerzten. Nur dunkel schlich sich die quälende Erinnerung an die letzte Nacht zurück. Ein Gefühl von gebrochenem Vertrauen, Beschämung und Verletztheit prasselte auf ihn ein und überwog bei weitem den körperlichen Schmerz. Wie hatte es nur soweit kommen können? Trotz aller Zweifel war ihm nicht wirklich klar gewesen, wie sehr er in den letzten Wochen mit dem Feuer gespielt hatte. Auch wenn seine Gefühle sich nicht geändert hatten, wurde ihm nun bei dem Gedanken an Michael schlecht. Seine Kameraden waren manchmal eine Art Familienersatz gewesen. Als sein Vater einfach abgehauen war, war er nach und nach Halt suchend in die Szene gerutscht. Auch fiel es ihm schwer, einzusehen, dass Nils ihm nicht geholfen hatte. Es tat weh. Innerlich. Und dass sogar ziemlich. Er merkte, wie seine Sicht leicht glasig wurde und die Feuchtigkeit sich an die Oberfläche kämpfte, doch er unterdrückte jeglichen Drang zu weinen. So eine Blöße wollte er sich trotz allem nicht geben. Die Tür zu dem Dreibettzimmer, auf dem er im Moment anscheinend allein lag, öffnete sich und ein Arzt mitsamt Schwester, gefolgt von seiner Mutter, betrat den Raum. „Guten Morgen. Soll ich Thomas oder Herr Rosner sagen?“, fragte er mit gut gelauntem Lächeln, welches etwas an eine Zahnpastawerbung erinnerte. Thomas antwortete nicht. „Also, Thomas, letzte Nacht war wohl recht spektakulär“, begann der Arzt und wies die Schwester an, die Infusionsnadel aus Thomas’ Hand zu ziehen. Dann begann er mit allgemeinen Untersuchungen für Thomas’ Kreislauf. „Sie haben eine mittelschwere Gehirnerschütterung und Prellungen am Rückenbereich. Dazu eine Schürfwunde am Kopf und einige Hämatome. Nach einem ganz gewöhnlichen Sturz im betrunkenen Zustand sieht das aber nicht aus.“ Der Arzt sah ihn scharf an, doch Thomas senkte den Blick. „Wissen Sie, wer Sie so zugerichtet hat? Sie können die betreffenden Personen anzeigen.“ Thomas schüttelte den Kopf. Er sah wie seine Mutter tonlos seufzte. „Nun gut“, wollte der Arzt Thomas wohl nicht drängen. „Überlegen Sie es sich.“ Er schrieb noch etwas auf das Patientenformular auf seinem Klemmbrett und blickte dann wieder zu Thomas. „Sie bleiben bitte noch mindestens zwei Tage zur Beobachtung hier“, ordnete er an und wandte sich an die Krankenschwester. Thomas sah seine Mutter auf einem Hocker näher rutschen. „Wie geht es dir?“, fragte sie, als die Schwester und der Arzt den Raum verließen. Thomas verdrehte die Augen; merkte aber, dass dies ebenfalls schmerzte und ließ es. „Blendend“, erwiderte er sarkastisch und schob die weiße Bettdecke ein wenig von seinem Oberkörper. Dank der Prellungen tat selbst das Atmen weh, was seine betrübte Laune nicht gerade steigerte. Er sah sie unruhig mit ihren Händen spielen, so als würde ihr etwas auf den Lippen brennen. Und tatsächlich begann sie wenige Sekunden später zu sprechen. „Ich habe immer schon gewusst, dass diese Leute ein falscher Umgang sind. Das musste ja irgendwann schief gehen.“ Thomas schnaubte verächtlich. „Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt, mir Vorwürfe zu machen“, zischte er und biss sich auf die Lippen. „Mir geht es nämlich auch ohne deine blöden Kommentare schon scheiße genug! Oder glaubst du, es ist toll verprügelt zu werden und im Krankenhaus wieder aufzuwachen? Von den eigenen Leuten?! Super! Echt klasse!“ Er spürte, wie sich das salzige Wasser in seinen Augen wieder nach oben kämpfte, doch diesmal konnte er es nicht aufhalten. Man sah ihm seine Verzweiflung an, auch wenn er aufgebracht klang. „Und Nils hat mir nicht geholfen. Keiner, hörst du? Ich hatte überhaupt keine Chance. Und das alles verdammte Scheiße nur, weil sie gesehen haben, wie ich Michael geküsst habe!“ Frustriert ließ er sich zurückfallen und vergrub zittrig sein Gesicht in seinen Händen, damit sie die Tränen nicht sah, die an seinen Wangen klebten. „Der Punk?“, hörte er sie leise und wohl auch erstaunt fragen. „Ja, verdammt!“, entfuhr es Thomas zwischen den vorgehaltenen Händen und sie nickte langsam, was er jedoch nicht sehen konnte. Natürlich wurde ihr nun einiges klar. Sie hatte sich eh schon gefragt, was ihr Sohn als Neonazi mit einem Punk zu schaffen hatte. Denn auch wenn Thomas nie viel über die Szene erzählt hatte und sie sich auch nicht weiter damit beschäftigt hatte (das war irgendwie Verdrängung gewesen), so wusste doch der Großteil der Menschen, dass es zwischen den beiden Szenen unruhig war – schon allein aus dem Fernsehen. Dennoch fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, dass ihr Sohn mit einem anderen Jungen zusammen war. Auch wenn der Schock nicht so groß war, wie damals, als er immer weiter in die rechte Szene gezogen war, ohne, dass sie etwas hatte dagegen tun können. Gregor hatte ihr das nach seiner ’Rückkehr’ einige Male vorgeworfen, doch sie hatte damals noch viele andere Sorgen gehabt und nicht damit umzugehen gewusst. Sie war unsicher gewesen, ob sie ihn nicht noch weiter in die Arme der Rechten drängen würde, wenn sie mit ihm darüber stritt. Sie hatte ihm deutlich gezeigt, wie sehr sie dies verabscheute und hatte versucht, mit Aufklärungen ihn von der Szene zu lösen, doch irgendwann hatte sie resignierend aufgegeben. Wenn sie sich ihren Sohn jetzt ansah, war das vielleicht falsch gewesen. „Es tut mir Leid, was passiert ist“, sagte sie leise und legte ihre Hand auf seine. Thomas blickte sie ausdruckslos an. Sein linkes Auge wirkte durch die Schwellung und die blaue Umrandung dunkler. „Du kannst doch nichts dafür“, erwiderte er mit verwunderter Stimme und zupfte an der Bettdecke herum. „Ich hätte dich davon abhalten sollen, als du da reingerutscht bist“, erklärte sie seufzend. Er schüttelte den Kopf. „Das hättest du eh nicht geschafft. Ich wollte es damals und hätte mir nichts sagen lassen. Ich musste eben selber auf die Fresse fliegen…“ Der letzte Satz klang bitterlich und er entzog ihr seine Hand. Sie nickte nur und legte ihre Hand zu der anderen in ihren Schoß. „Es ist gut, dass ich gestern noch die SMS gesehen habe. Wer weiß, wie es dir sonst gehen würde…“ Fragend sah Thomas seine Mutter an. „Welche SMS?“ „Na, die du mir geschickt hast“, sagte sie. „Sonst hätte ich doch nie gewusst, dass du am Bahnhof bist.“ „Was?“ Thomas war verwirrt. „Mutter, ich war bewusstlos und vorher wurde auf mich eingetreten. Da hatte ich irgendwie keine Zeit, dir SMS zu schreiben…“ Annette Rosner seufzte leise. Es war wie ein Schlag vor die Stirn. Natürlich war es unlogisch gewesen, jetzt wo er es erwähnte. „Klar“, murmelte sie einsichtig. „Ich habe dein Handy ja auch nicht bei dir gefunden. Doch die SMS kam von deiner Nummer.“ Sie schien zu überlegen, doch in Thomas’ Kopf erschloss sich trotz dröhnendem Schmerz schnell die Lösung. Einer seiner Kameraden musste die SMS gesendet haben. Und eigentlich kam da auch nur einer in Frage. „Nils“, murmelte er leise den Namen. Wer sonst hätte das tun sollen? Den anderen hatte wahrscheinlich nicht viel an ihm gelegen oder sie waren gar nicht erst auf die Idee gekommen. „Das wäre natürlich eine Möglichkeit“, sagte Annette Rosner grübelnd und Thomas blickte wieder zu ihr. „Das wird auch so sein“, meinte er und seine Mundwinkel zuckten leicht. Zwar hatte Nils ihm nicht direkt geholfen, als die anderen ihn verprügelt hatten, doch dass er wenigstens dafür gesorgt hatte, dass ihn jemand fand, fühlte sich besser an, als wenn er gar nichts getan hätte. Und irgendwie bröckelte zumindest ein Stück des zentnerschweren Steins, der ihn zu belasten schien. Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Mutter langsam aufstand. „Ich werde jetzt Benni und Lara wieder von der Oma abholen. Ich komm heute Nachmittag noch mal mit den beiden, okay?“, sagte sie sanft und lächelte ihm aufmunternd zu. Oder zumindest versuchte sie es. Er nickte langsam. Zwar fand er die Vorstellung, dass seine Geschwister ihn so sahen, nicht sonderlich prickelnd, doch er konnte nichts dagegen sagen. Außerdem freute er sich auch, sie zu sehen. Als seine Mutter die Tür schon erreicht und die Hand auf der Klinke hatte, drehte sie sich noch einmal um. „Soll ich… eigentlich diesem… Michael Bescheid sagen?“ Thomas schien für einen Moment perplex. Mit der Frage hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Er überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, vielleicht kann ich ja morgen schon wieder raus und es ihm selber sagen!“ Frau Rosner sah ihren Sohn strafend an. „Du weißt, der Arzt will dich noch hier behalten!“, sagte sie ein wenig streng. Thomas seufzte. „Okay, ich erzähl es ihm trotzdem selbst.“ Sie nickte noch verstehend; verabschiedete sich noch einmal. „Bis heute Nachmittag!“ „Ja, bis heute Nachmittag“, sagte er und sah schließlich auf die zufallende, weiße Tür, als auch die Verzweiflung wieder ein wenig über ihn hineinbrach. Natürlich war Thomas Montag noch nicht in der Schule, sondern weiterhin im Krankenhaus. Mittlerweile war er sogar froh darum. So ersparte er sich neugierige Blicke und blöde Kommentare und – das war vor allem wichtig – vermied er es so, Nils zu treffen. Michael hatte er gestern nicht mehr erreicht. Das Handy war mal wieder ausgeschaltet gewesen und hatte sicher in irgendeiner Ecke des Zimmers gelegen, wo der Punk es wahrscheinlich nach ein paar Tagen (nicht wirklich zielstrebigem) Suchen erstaunt finden würde. Auf Festnetz wollte er nicht unbedingt anrufen. Michaels Schwester hatte ihn jedes Mal, wenn sie ihn gesehen hatte, einen skeptischen Blick zugeworfen und die Eltern kannte er kaum bis gar nicht. Wenn sie mit seinem Namen überhaupt etwas anfangen konnten… Thomas dachte sich im Moment auch nicht allzu viel dabei. Es hörte sich zwar äußerst unfair an und das wusste er, doch jegliche Gedanken an Michael heiterten ihn nicht wirklich auf, sondern bereiteten ihm ein unwohliges Gefühl. Das fand er selber nicht gerade gut von sich, aber er konnte es nicht ändern. Dagegen war Michael selbst ebenfalls nicht sonderlich begeistert. Der Morgen hatte schon schlecht angefangen, indem er verschlafen und sich von Carolina hatte zur Schule fahren lassen müssen. Dann war ihm aufgefallen, dass er die Hälfte seiner Schulsachen zu Hause gelassen hatte, als Jan ihn nach irgendwelchen Hausaufgaben fragte. Und nun hatte er feststellen müssen, dass Thomas fehlte. Und nicht nur, dass er ihn gerne sehen wollte, nein, er hätte auch eigentlich ganz gerne beim Englischtest bei ihm abgeschrieben. Den Test würde er nun selbstredend vermasseln und als er Frau Herzog in Deutsch gefragt hatte, ob sie den Grund für Thomas’ Fehlen wüsste, hatte sie ihm nur gesagt, dass sie selbst noch nachfragen müsste, aber es ihm eh nicht sagen dürfte. Auch war Michael aufgefallen, dass Nils ebenfalls nicht in der Schule war. Hatten die Neonazis gestern etwa wieder eine Sauforgie gefeiert und beide waren nun zu verkatert, um aufzustehen? Michael würde nach der Schule auf jeden Fall mal bei Thomas anrufen. Thomas’ Plan Nils zu entgehen war zu seinem eigenen Bedauern nicht wirklich aufgegangen, denn dieser hatte sich offenbar dazu entschlossen, ihn zu besuchen. Doch nun saßen sie sich schweigend gegenüber in der fast leeren Cafeteria und hatten bis auf ein „Hallo“ noch kein Wort miteinander gewechselt. Es war purer Zufall gewesen, dass Nils Thomas auf dem Gang kurz vor dem Eingang zur Cafeteria aufgeschnappt hatte. Lustlos rührte Thomas den Strohhalm in seinem Coca Cola ® - Glas. „Wie geht’s dir?“, fragte Nils nach einer Weile. „Scheiße“, antwortete Thomas und ließ aufgrund seiner tonlosen Stimme offen, ob er damit mental oder körperlich meinte. Wieder saßen sie einige Augenblicke still da, bis Thomas sich durchrang und etwas sagte, wenn auch in einem sachlich-kühlen Ton. „Müsstest du nicht in der Schule sein?“ Nils sah auf und Thomas blickte eisern zurück. „Doch, schon. Aber ich wollte dich besuchen und sehen, wie es dir geht“, murmelte er und ließ seine Fingerspitzen auf den Tisch trommeln. Thomas spürte, dass er nervös war. „Super, ganz klasse“, meinte Thomas monoton und lehnte sich zurück und blickte auf seine Hände, wo seine Finger gerade einen abstehenden Hautfetzen von seinem Daumen zogen. „Wenn das jetzt freundschaftliches Engagement sein soll, hättest du das besser Samstag zeigen sollen.“ Nils zuckte zusammen, als die Worte ihn so hart trafen. „Ich weiß, du bist sauer auf mich-“, begann er, doch Thomas unterbrach ihn. „Enttäuscht würde es eher treffen! Was hättest du denn getan, wenn sie mich tot geprügelt hätten?“, fragte er wütend. „Soweit wäre es nie gekommen“, erwiderte Nils. Thomas schüttelte den Kopf. „Scherer trau ich alles zu.“ „So schlimm ist er auch nicht“, verteidigte Nils ihn und Thomas konnte nur hohl auflachen. „Das sagst du noch, nach allem, was passiert ist.“ Wieder schwiegen sie für eine Weile und Thomas konnte sehen, wie Nils’ Gesicht immer schuldbewusster wirkte. „Es tut mir Leid“, sagte der Ältere schließlich. Thomas nickte. „Ich weiß.“ Er zog den Strohhalm aus seiner Cola und beobachtete die bräunlichen Tröpfchen, die wieder ins Glas fielen. „Du hast meiner Mutter die SMS geschickt, oder?“ Nils nickte wortlos. „Danke.“ Es war ein schlichtes Wort und doch lag aufrichtige Dankbarkeit darin. Nils entspannte sich langsam wieder, als er merkte, dass Thomas ihn trotz allem anscheinend nicht zu hassen schien und ihm wohl nicht im übertragenen Sinne den Kopf abreißen würde. Aufsehend zwang er sich zu einem leichten Lächeln. „Ach ja“, meinte er, als ihm gerade etwas einfiel und begann in der Tasche seiner Bomberjacke zu wühlen. Wortlos schob er schließlich ein kleines Mobiltelefon über den Tisch, welches Thomas sofort als seins erkannte. Zittrig nahm er es in die Hand und starrte einige Augenblicke auf das schwarze Plastik. Er hatte keine Ahnung, was er in diesem Moment empfand und konnte es auch nicht deuten. Ebenso wenig verstand er, warum ihm nun fast wieder zum Weinen zumute war. Doch glücklicherweise konnte er das unterdrücken. „Es ist Pleske, oder?“, fragte Nils schließlich leise, doch Thomas erschrak sich dennoch über die plötzliche Frage. „Was?“ Erstaunt sah er sein Gegenüber an. „Der Punk, den du geküsst haben sollst.“ Thomas’ Augen weiteten sich leicht, auch wenn er fast schon damit gerechnet hatte, dass Nils ihn danach fragen würde. Nur eben nicht damit, dass Nils es wohl irgendwie schon wusste. Es war wie ein Stich ins Herz, auch wenn Nils’ Stimme keinen Vorwurf beinhaltete. Nur seine Augen beinhalteten eine leichte Abscheu, die man wohl aber auch nur sah, wenn man danach suchte. Erneut fühlte Thomas sich wieder hin- und her gerissen und bekam – was ihn selber verzweifeln wieder – das Gefühl, Michael nicht um sich haben zu können. Daher war er auch froh, dass der Punk wirklich nicht in seiner Nähe war, denn sonst hätten sie sich sicherlich wieder gestritten. Auf Nils’ Frage hin nickte er nur leicht. Immerhin war es schwachsinnig, das jetzt zu leugnen. „Woher weißt du es?“, fragte er leise. Nils zuckte mit den Schultern. „Ich habe seine Nummer in deinem Handy gesehen.“ Thomas nickte nur und blickte starr auf die Tischplatte. Erneut fiel die Stille über sie hinein und zeichnete sie als zwei Leute, die sich nicht mehr viel zu sagen hatten. Das fiel auch Nils auf, als er schließlich sagte: „Unsere Freundschaft hat hier wohl sein Ende gefunden?“ Thomas musste hart schlucken, als er die Worte vernahm, auch wenn es ihm nach dem Geschehen wirklich unmöglich war, weiter mit Nils befreundet zu sein. Zumal er aus der Szene raus war, unfreiwillig, und Nils noch mittendrin. Dennoch tat es verdammt weh, es wörtlich zu hören, dass eine jahrelange Freundschaft hier ein Ende fand und dass nur, weil er sich in jemanden verliebt hatte, der nicht in die Einstellung seiner Umgebung passte. Seine Sicht wurde ein wenig verschwommen. Schnell schloss er die Augen und starrte daraufhin an die Decke; kämpfte krampfhaft gegen seine Tränen. „Ja“, sagte er nur und seine Stimme klang kratzig und rau. In den Augenwinkeln sah er Nils nicken und schließlich aufstehen. Langsam ging er auf ihn zu und Thomas lenkte seinen Blick so, dass er Nils in die Augen sehen konnte. Er spürte dessen Hand auf seinem kahlen Kopf, was ein wenig zwickte, als sie über die Kruste der brennenden Schürfungen strich. „Es war eine gute Zeit“, sagte Nils leise und ließ seine Hand sanft von Thomas’ Schädel gleiten und murmelte noch einmal, dass es ihm Leid tun würde, ehe er ohne ein weiteres Wort die Cafeteria verließ. Die Tränen in Thomas’ Augen hatten sich mittlerweile an der Kante seines Unterlids gesammelten und perlten nun eine nach der anderen über seine Wangen. Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und ließ seinen gebrochenen Gefühlen stumm freien Lauf. Zur gleichen Zeit hatte es zum Ende der Kunststunde geläutet und damit auch zur zweiten Pause. Nun würde nur noch der Englischtest, (den Michael gern umgehen würde), anstehen und dann hatte er für heute frei, womit er also schnell Thomas anrufen könnte. Langsam schlurfte er mit Jan und Patrick auf den Schulhof und zog seine Zigarettenschachtel aus seiner Brusttasche. Lässig zündete er sich einen dieser Glimmstängel an und begrüßte schließlich Lara, die er plötzlich an ihrem Stammplatz auf dem Schulhof am Geländer gelehnt vorfand. Begrüßend gab Patrick ihr einen Kuss. „Hey Schatz, was machst du denn hier?“, fragte er sichtlich überrascht und zog sie sogleich enger an sich. Lara begrüßte auch noch Michael und Jan und wandte sich dann wieder grinsend an ihren Freund. „Wir haben zwei Freistunden und nichts zu tun, und da dachte ich, ich besuch euch mal in eurer Pause.“ Patrick grinste ebenfalls breit. „Tolle Idee, Schatz.“ Michael dagegen achtete schon nicht mehr auf das Gespräch zwischen den beiden oder Jan, der leise etwas vor sich hinsummte. Ihm war die Ausbeulung in Laras linker Hosentasche aufgefallen, die ziemlich verdächtig nach einem eckigen Gerät aussah. „Hey Lara, kann ich mal mit deinem Handy telefonieren?“, fragte er und zwinkerte ihr dringlich zu, damit sie vielleicht verstand, dass er Thomas anrufen wollte und es dringend war. Zunächst sah sie aber nur erstaunt an, schien dann aber langsam zu verstehen, was er meinte und zog ihr Handy aus ihrer blau-schwarz gestreiften Hose. „Danke“, murmelte er und wurde jetzt, wo er gleich hoffentlich Thomas’ Stimme hören wurde, etwas gehetzt. Schnell tippte er Thomas’ Festnetznummer, die er glücklicherweise noch zusammenkriegte, ein und drückte auf den grünen Knopf; entfernte sich etwas von seinen Freunden. Es dauerte nur zwei Freizeichen lang, bis jemand bei den Rosners abnahm und er die Stimme von Thomas’ jüngerem Bruder Benni an seinem Ohr hörte. „Hi Benni, hier ist Michael. Ist Thomas da?“, fragte er freundlich und wippte auf den Füßen auf und ab, während er mit seiner freien Hand Fäden aus seiner schon leicht lädierten Brusttasche zog. „Nein, der ist doch im Krankenhaus“, sagte Benni und klang dabei so belehrend, als müsste dies schon die ganze Welt wissen. „Was?“ Michaels Gesichtszüge entglitten und er erstarrte abrupt in seinen Bewegungen. „Warum ist er denn im Krankenhaus?“ In seinem Kopf malte sich schon ein Bild von einem Autounfall ab, was bei Thomas’ rasanter Fahrweise und der Tatsache, dass er sich manchmal von anderen zum Fahren im alkoholisierten Zustand verleiten ließ, nicht unvorstellbar war. „Na, der ist doch verprügelt worden“, sagte Benni und klang nun etwas bedrückter. „Von den Nazis!“ Das Handy wäre Michael beinah aus der Hand gefallen, als er plötzlich das Gefühl hatte, sein Herz würde stehen bleiben. „In… in welchem Krankenhaus liegt er denn?“, fragte er verwirrt und konnte sich nicht erklären, warum die Nazis einen von ihnen verprügeln sollten. Benni sagte ihm, dass Thomas im evangelischen Krankenhaus läge und nach einem kurzen, weiteren Wortwechsel legte er schließlich auf. Noch etwas benommen kehrte Michael zu seinen Freunden zurück, wo Jan gerade Lara belustigte, indem er ihr immer wieder Grimassen schnitt. Tief einatmend gab er ihr das Handy zurück und ihr Blick fiel auf ihn. Als sie seine Miene sah, hörte sie schlagartig auf zu lachen und schaute ihn besorgt und fragend zugleich an. „Thomas liegt im Krankenhaus“, sagte er leise und seine Stimme klang leicht gebrochen. Er sah, wie Lara sich auf die Lippen biss, doch bevor sie etwas dazu sagen konnte, hatte Patrick schon das Wort ergriffen. „Welcher Thomas?“ Fragend blickte er Michael an. Dieser rollte ein wenig gereizt die Augen. War das denn nicht offensichtlich? Wie viele Thomas’ kannten sie denn? „Na, Rosner!“, erklärte er daher ein wenig lauter. „Und was interessiert uns das?“, fragte Patrick verwundert, denn immerhin hatte er nur den Rosner in Erinnerung, der Michael vor wenigen Monaten ein Veilchen verpasst und ihn selbst schon mal Nasenbluten beschert hatte. „Na, euch wahrscheinlich wenig, aber mich. Immerhin ist er mein Freund!“ In seiner Sorge und Rage vergaß er ganz, dass dies ja keiner außer Lara wusste. Sowohl Patricks als auch Jans Augen weiteten sich, während Lara sich erneut auf die Lippen biss. Erstaunt und auch entrüstet sahen die beiden männlichen Punks Michael an. „Was…? Hä?“, begann Patrick verwirrt. „Seit wann bist du denn mit Nazi-Oberbacke-Rosner befreundet? Michael, geht’s dir noch gut? Bist du mal schwer gefallen?“ „Auf den Kopf?“, setzte Jan hinzu. Michael ignorierte ihre Fragen, die ihn innerlich jedoch weiter reizten. Hektisch suchte er nach seiner Tasche, fand sie dann aber neben Jan stehend vor. „Ich werd’ da jetzt jedenfalls hinfahren. Ins Krankenhaus. Lasst euch bei Frau Lechner einfach was einfallen!“, forderte er sie auf, ihn zu entschuldigen und schulterte seinen Rucksack. „Hey, was?“ Patrick sah ihn mit offenem Mund an. „Aber hey, Michi, es ist Schule!“ Nervös zupfte Michael wieder an seiner zerzausten Tasche, wobei seine zittrigen Finger es nicht schafften, den Faden gänzlich abzuziehen. „Na und? Das würdest du bei Lara doch auch machen“, verteidigte er sich und sah in der Hektik die Notwendigkeit einer Erklärung nicht. „Ja, aber hey, hör mal, Lara ist meine Freundin“, rechtfertigte Patrick sich und sah Michael an, als würde er dessen Geisteszustand im Moment für fragwürdig halten. Michael war derweil etwas zu verwirrt, um klar dazu Stellung zu nehmen und seinen Freunden zu erklären, dass er und Thomas ein Paar waren. Eben genau wie Lara und Patrick. „Also gibt es da keinen Unterschied“, schloss er und klang dabei etwas konfus. Wirr schüttelte er den Kopf, als wollte er überschüssige Gedanken so aus seinem Gehirn entfernen. Seine Gedanken kreisten eigentlich nur noch um Thomas und wie es diesem ging. Über Patrick und Jan und das, was sie jetzt vielleicht verstanden oder auch nicht, könnte er sich auch später noch Sorgen machen bzw. das Ganze aufklären. Daher drehte er sich hastig um und ging ohne ein Wort zu sagen ein paar Schritte. „Hey, wie meinst du das? Bleibst du mal stehen?“, hörte er Patrick noch hinter sich rufen und hatte das Gefühl, dass diesem dämmerte, was er gemeint haben könnte. Doch er drehte sich nicht mehr um und blieb auch nicht stehen. Um genau zu sein fürchtete er sich jetzt sogar ein wenig davor, Jan und Patrick in die Augen sehen zu müssen. „Pat“, versuchte Lara ihren Freund zu beruhigen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du weißt doch genau, wie er das meint.“ Jan neben ihr sah Michael perplex nach. „Ich auch. Und…“, begann er, unterbrach sich jedoch selbst. „… oh man, seit wann ist er schwul?“ „Ja, genau, seit wann ist er schwul? Viel schlimmer noch, seit wann steht er auf Nazis?“ Patrick verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich denke, dass Rosner da eh der Einzige ist, also macht euch keine Sorgen“, sagte Lara erneut beruhigend und verstand die Aufregung, welche die beiden nun fabrizierten nicht ganz. Patrick jedoch ließ sich durch ihre Aussage gar nicht beschwichtigen – im Gegenteil: „Du… du hast es gewusst?“, fragte er sie. Zunächst blickte er sie einfach nur geschockt und verwundert an, doch seine Worte wurden immer wütender. „Ja“, antwortete Lara wahrheitsgemäß. „Was?“, empörte sich Patrick. „Seit wann?“ Lara zuckte mit den Schultern. „Seit ich sie beim Knutschen erwischt hab. Ist noch nicht so lange her“, erzählte sie ihnen und lehnte sich wieder an das Geländer. Michael tat ihr Leid. Thomas lag im Krankenhaus und sicherlich machte er sich Sorgen. Natürlich konnte sie ihren Freund und Jan verstehen, aber mussten Männer denn immer gleich so taktlos sein? „Und du hast mir nichts erzählt?“, fuhr Patrick sie unbeherrscht an, sodass sie zusammenzuckte. Das schien für ihn wohl nun die Krönung zu sein. Seine Freundin hatte vor ihm gewusst, dass sein Kumpel mit einem Neonazi zusammen war und es ihm nicht sofort erzählt. „Nein, ich hab es ihm versprochen“, entgegnete Lara. Doch das schien Patrick nicht zufrieden zu stimmen. „Du bist meine Freundin!“ Lara stützte sich genervt am Geländer ab und schüttelte den Kopf über das Verhalten des Punks den Kopf. „Ja, und auch seine, wenn auch auf eine andere Weise“, stellte sie damit klar, warum sie das Versprechen auch nicht gebrochen hatte. „Man, Pat, du erzählst mir doch auch nicht alles, was Jan dir erzählt oder so!“ „Ja, aber so was Gravierendes hättest du uns sagen müssen!“, merkte nun auch Jan an, der ebenfalls geschockt darüber war, dass Michael mit einem Neonazi ausging und Lara es gewusst hatte. Michael hatte sich immerhin nie was anmerken lassen, also hatten sie es auch gar nicht wissen können. Wann hätten sie es denn mal erfahren? In ein paar Jahren vielleicht? Doch Lara wurde durch Jans Anmerkung nur noch wütender. Nun fing er auch noch an und dabei hatte sie gar nichts gemacht, außer ein Versprechen eingehalten. Wieso regten die beiden sich jetzt so auf und ließen es vor allem an ihr aus? „Fang du nicht auch noch an“, wies sie Jan zurecht. „Dir hab ich gar nichts zu sagen!“ Das hatte sie eigentlich nicht so abwertend gemeint, wie es klang, aber dass nun beide Jungs so nachtragend waren, weil sie Michaels Geheimnis nicht weitererzählt hatte, stresste sie im Moment sehr. „Oh danke!“, erwiderte Jan patzig und drehte sich trotzig wie ein kleines Kind von ihr weg. Lara rollte die Augen. Was sollte das denn jetzt alles? „Wirklich, ich find das scheiße“, brummte Patrick. Lara erkannte, dass ihr Freund und Jan auf einer Seite waren und augenblicklich wohl kaum zur Vernunft kommen würden. „Und ich euer Verhalten auch“, sagte sie ihnen noch selbstbewusst und ging langsam wieder zurück zu ihrer Schule. Da gammelte sie doch lieber zwei Stunden nutzlos in der Schulkantine rum, als dass sie sich blöde Sprüche von den beiden anhören musste, nur weil sie einem gemeinsamen Freund geholfen hatte. Es dauerte nicht lange bis Michael mit dem nächsten Bus zum evangelischen Krankenhaus gefahren war und dort am Empfang nach Thomas’ Zimmer gefragt hatte. Nun stand er unsicher vor dessen Tür und fragte sich ernsthaft, was ihn dahinter erwarten würde. Oder viel mehr wie Thomas aussehen würde, nachdem ihn seine eigenen Kameraden verprügelt hatten. Michael wusste durchaus, wie gut Nazis zuschlagen konnten. Er selbst hatte ja auch bei Thomas und anderen die Erfahrung machen müssen, dass die Jungs manchmal zwar wenig Hirn, aber dafür ordentlich Muskeln hatten. Wenn Thomas sich nicht hatte wehren können, dann waren es sicherlich solche Schlägertypen gewesen, die drei Mal mehr Körperumfang hatten als er selbst und meist nur als Matthias Scherers Fußvolk bekannt waren. Tief einatmend drückte er schließlich die Türklinke herunter und betrat den Raum. Er fand Thomas auf dem Bett sitzend und fernsehend vor. Der Ältere hatte Schürfwunden auf der glatten Haut seiner Glatze und seine linke Gesichtshälfte glich größtenteils viel mehr einem blau-violettem Farbenmeer. Das linke Auge war geschwollen und anhand von Thomas’ etwas umständlicher Körperhaltung konnte er sich denken, dass das Liegen aufgrund von weiteren Prellungen unbequem sein musste. „Hey“, sprach er ihn leise an und Thomas zuckte zusammen. Er hatte anscheinend nicht bemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte. Sich zu einem Lächeln zwingend drehte er sein Gesicht zu Michael, sodass dieser die geschundene Gesichtshälfte noch genauer sehen konnte. „Hey“, murmelte Thomas leise zurück und setzte sich ein wenig auf. „Müsstest du nicht eigentlich in Englisch sein?“ Michael nickte leise und trat näher an ihn heran, setzte sich auf die Bettkante. „Schon, aber ich hatte bei dir angerufen. Benni hat mir gesagt, dass du hier bist und da hatte ich nicht mehr den Sinn für Schule“, erklärte er. „Außerdem… du bist nicht da und ohne dich hätte ich den Englischtest eh in den Sand gesetzt.“ Er grinste breit und Thomas schien ein wenig nachdenklich. „Ach ja, stimmt. Der Englischtest“, erinnerte er sich dunkel und schloss kurz die Augen. Zwischendurch war ihm manchmal immer noch ein wenig schwindelig. „Ohne mich bist du also vollkommen aufgeschmissen“, stellte er ein wenig amüsiert fest, auch wenn er das unbehagliche Gefühl in Michaels Nähe nicht verhindern konnte. Es tat ihm selber weh, dass er so empfand, aber nach all dem, was passiert war, machte Michaels Anblick sein Gefühlchaos noch unerträglicher. „Stimmt“, erwiderte Michael lachend und riss Thomas somit wieder aus seinen Gedanken. Er bemerkte, wie die grüngrauen Augen über seinen Körper schweiften und Michaels Gesicht wieder ein wenig betrübter wurde. „Warum haben sie dich verprügelt?“, fragte er leise und ließ seine Finger über Thomas’ Unterarm streichen. „Ich versteh’ es nicht. Immerhin bist du doch… einer von ihnen.“ Thomas schluckte leicht. Am liebsten würde er das Thema aus seinem Kopf streichen. Er wusste, dass er sich irgendwann damit auseinandersetzen musste, wenn er mit sich selbst ins Reine kommen wollte, doch das würde er gerne weiter nach hinten verschieben. Langsam zog er seinen Unterarm unter Michaels Fingern weg. „Nicht mehr“, murmelte er, denn immerhin war er nun kein Teil mehr der Szene. Er hatte es selbst nicht so entschieden, aber die anderen bzw. Matthias Scherer. Und Scherer war hoch und einflussreich genug, dass andere Neonazigruppen mitziehen würden. Er war eben das, was sie als Verräter beschimpften. „Sie haben uns zusammen gesehen. Auf dem Parkplatz am Kino.“ Michaels Augen weiteten sich. An dem Abend hatte er Thomas’ Paranoia für lächerlich gehalten, aber hätten sie doch vorsichtiger sein sollen? „Und deswegen haben sie dich verprügelt?“, keuchte er entsetzt. Thomas zuckte mit den Schultern. „Na ja, irgendjemand, den Scherer kennt, wird es gesehen und gepetzt haben. Jedenfalls hat Scherer es auffliegen lassen“, erzählte er stockend und biss sich auf seine trockenen Lippen, die unter seinen Zähnen deswegen leicht knarrten. „Es waren nur zwei seiner Jungs, die mich verprügelt haben, soweit ich mich erinner’. Die anderen haben nichts gemacht.“ Dies war weder positiv noch negativ gemeint. Natürlich war es für ihn vorteilhaft gewesen, dass sie nicht auch auf ihn eingetreten hatten, aber sie hatten ihm auch nicht geholfen. Nicht, dass er es erwartet hätte. Mit den meisten hatte ihn ja doch nur die Szene verbunden und außer Nils, Christoph und Markus hatte er nie einen von ihnen als Freund bezeichnet. Der Gedanke an Nils schmerzte und er wandte seinen Blick wieder ab. „Scheiße“, hörte er Michael leise murmeln und sah aus den Augenwinkeln, wie dieser ihm etwas näher kam. Schon wenige Augenblicke später spürte er dessen Lippen auf seiner gesunden Wange und konnte sich nicht helfen, sich dabei unwohl zu fühlen. „Dann sei froh, dass du jetzt damit abgeschlossen hast“, murmelte Michael leise und löste sich wieder ein wenig. „Wo es jetzt eh fast jeder weiß, bräuchten wir uns auch nicht mehr zu verstecken.“ Thomas schnaubte leicht. Die Worte ließen ihn leicht wütend werden. Als ob ihn das jetzt am meisten interessierte. Als ob er das jetzt als wichtig empfand. Natürlich hatte Michael in gewisser Weise Recht, aber daran dachte er doch im Moment noch nicht. „Ich bin aber nicht froh darüber“, zischte er. „Das war verdammt noch mal mein Leben! Und das für 4 verdammte Jahre! Und ich hab mich da wohl gefühlt, auch wenn mir Scherer auf den Sack ging und ich vielleicht nicht der Superneonazi schlechthin war! Okay, mich hat die Politik vielleicht nicht so interessiert, wie sie es hätte tun sollen. Es war eher die Gemeinschaft, weswegen ich in der Szene war! Schön, aber das macht es mir jetzt nicht leichter, verstehst du?!“ Michael biss sich auf die Lippen. Natürlich konnte er verstehen, dass Thomas noch unter Schock stand und sich vielleicht innerlich verletzt fühlte, aber konnte er denn nicht einsehen, dass es so besser war? „Klar, versteh ich das. Aber du sagst doch selber, dass du nicht wirklich rechtsextrem warst, also ist es doch im Endeffekt besser so, oder nicht?“, versuchte er ihn zu beschwichtigen und merkte selber nicht, dass er mit seinen Worten genau das Gegenteil bewirkte. Vielleicht war er durch seine eigene Einstellung gegen Neonazis allgemein zu verblendet, um in diesem Moment einfühlsam genug sein zu können. „Verdammt, Michael“, schnauzte Thomas ihn harsch an. „Ich habe alles verloren, was mir wichtig war, abgesehen von meiner Familie und dir! Meine Einstellung, meine ganzen letzten Jahre und… Nils, mit dem ich schon in der Grundschule zusammengehockt habe. Was würdest du denn tun, wenn deine Freunde plötzlich nicht mehr deine Freunde wären? Sag schon! Nils und ich werden keine Freunde mehr sein und was mit Christoph und Markus ist, weiß ich nicht. Und jetzt hör auf, mir weismachen zu wollen, dass alles bestens sei! Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle!“ Seine letzten Worte hatten nicht nur zornig, sondern auch verzweifelt geklungen. Zittrig vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und atmete tief ein und aus, um sich selbst zu beruhigen und vor einem Gefühlkollaps zu retten. Michael blickte ihn starr an und fühlte sich mit jeder Sekunde schlechter. Er hatte alles nur von seinem Standpunkt aus gesehen. Nämlich, dass Nazis an sich eh scheiße waren und Thomas wirklich besser ohne sie dran war. Das war wahrscheinlich auch so, aber Thomas würde das im Moment wohl kaum so sehen. Mitleidig sah er Thomas an und wollte gerade einen Arm um ihn legen, als Thomas nur den Kopf schüttelte und ihn daran hinderte. „Geh bitte“, sagte er leise und Michaels Blick wurde erstaunter. Wieso sollte er jetzt gehen? Die Antwort kam schneller, als er dachte. „Ich ertrag es nicht“, murmelte er, „dich zu sehen…“ Das tat weh. Sowohl es zu hören, als auch es selbst zu sagen. Michael zuckte zusammen. „Was?“ „Geh verdammt noch mal“, wurde Thomas ein wenig aggressiver und klang dennoch dabei verzweifelt. „Ich kann dich im Moment nicht sehen.“ Michael schluckte hart und zwang sich dazu, keinen gebrochenen Prostest zu wagen. Es hatte wohl eh keinen Sinn, dem anderen seine Gesellschaft aufzuzwingen, auch wenn er das am liebsten tun würde. „Es tut mir Leid“, hörte er Thomas murmeln und hatte für einen kurzen Moment die Hoffnung, er würde es sich anders überlegen. „Aber es geht nicht anders… du bist der Grund für all das… du hast keine Schuld daran, ich geb’ dir auch keine, aber… ich kann dich nicht sehen… also geh jetzt… bitte.“ Die Worte trafen Michael wie ein Dolch ins Herz und verletzt stand er von dem Bett auf. Sein Blick haftete auf Thomas, welcher ihn immer noch nicht ansah und sein Gesicht hinter seinen Händen verbarg. War das jetzt ein endgültiger Schlussstrich? Oder nur eine vorübergehende Pause? Michael wusste es nicht und diese Ungewissheit tat verdammt weh. „Es tut mir Leid, was passiert ist“, sagte er noch leise und hob seine Schultasche wieder vom Boden auf. Er sah wie Thomas leicht nickte, jedoch nichts mehr sagte. Er kannte Thomas zu gut, um zu wissen, dass er jetzt eh nichts mehr bewirken konnte. Die Lippen aufeinander pressend und seine aufkeimende Verzweiflung unterdrückend, schulterte er seinen Rucksack und ging wortlos aus dem Raum. Seine Gedanken kreisten um das, was passiert war und das, was kommen würde. Er war so konfus, dass er gar nicht merkte, dass der Fahrstuhl bereits oben angekommen war und die Türen sich öffneten. Erst als eine ältere Dame ihn aufgrund der eigenen Schwerhörigkeit laut aufforderte, nun endlich einzusteigen, erwachte er aus seiner gedanklichen Trance. Thomas dagegen saß so, wie Michael ihn zurückgelassen hatte, auf dem Bett. Nur langsam senkten sich die Hände und der Körper kam wieder in Bewegung. Er konnte ebenso wenig wie Michael richtig fassen, was gerade zwischen ihnen passiert war. Nachdenklich und belastet stand er auf, schritt langsam auf das Waschbecken zu. Sein eigenes, lädiertes Gesicht blickte ihm aus dem Spiegel entgegen und so langsam realisierte er, was er gerade getan hatte. Natürlich wollte er Michael nicht wirklich verlassen. Es war auch kein Schluss gewesen, aber trotzdem hatte er ihn fortgeschickt. Die Nähe des Punks war unerträglich gewesen, doch genau jetzt sehnte er sich wieder danach, nur um sie wieder abstoßend zu finden, sobald Michael wieder im selben Raum war wie er. Er brauchte ihn und wollte gleichzeitig Abstand. Was war bloß los mit ihm, dass er seine eigenen Gefühle nicht mehr verstand und kontrollieren konnte? Wütend blickte er sich selbst im Spiegel an und verdammte sich dafür, dass er sich gerade selbst noch mehr wehgetan hatte, indem er Michael auf unbestimmte Zeit weggeschickt hatte. „Verdammte Scheiße“, zischte er sich selbst zu und schlug wütend mit der Faust gegen die gekachelte Wand um die Waschnische herum. Seine Hand puckerte quälend und der Schmerz zog sich bis zu seinem Ellebogen – und betäubte fast den Schmerz, der in seinem Inneren nagte. Wütend schlug er erneut gegen die Wand, verfluchte sich selbst für seine Schwäche. Mehrmals traf seine Faust auf die Kacheln, bis die Knöchel schon gerötet und aufgeschürft waren. Er wollte gerade zu einem weiteren Schlag ausholen, als er jemand seinen Namen schreien hörte und abrupt innehielt. Sein Blick glitt nach rechts von ihm, wo er seine Mutter stehen sah; mit einem entsetzten Blick im Gesicht. „Was tust du denn da?“, fragte sie ihn erschrocken. Er spürte, wie sein Kinn leicht zitterte und bemerkte erst jetzt, dass Tränen über seine Wangen gelaufen waren. Langsam ließ er seine bebende Hand wieder sinken; spürte den ungeheuerlichen Schmerz nun viel intensiver. Ein leises Schluchzen kam über seine Lippen und er sah seine Mutter auf sich zu gehen. Sie schien allein zu sein, wie er beruhigt feststellte. Denn seine Geschwister sollten ihn nicht so sehen müssen. Wortlos zog er seine Mutter an sich und vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter. Etwas, dass er sicherlich seit fünf Jahren nicht mehr gemacht hatte. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an sie und selbst das Weingeräusche aus seinem Mund drangen, störten ihn, nun, da ihre Arme sich um seinen größeren Körper schlossen, nicht mehr viel. Der innerliche Schmerz war zu groß und selbst die anschwellende Hand konnte dieses Gefühl nun nicht mehr tilgen. TBC So, das war das 23. Kapitel meiner "kleinen" Story *lach* Ich hoffe, es hat euch gefallen, auch wenn das Ende vielleicht nicht allzu positiv war. Aber keine Panik, es ist ja noch nicht vorbei xD Ich bedanke mich aber wieder mal für all die Kommis und hoffe, dass ihr euch diesmal fleißig welche schreibt :) Bis zum nächsten Kapitel, motte Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)