V-M4: A Long Way Home von Morbilli (Virus M4 - Ryan & Vik) ================================================================================ Kapitel 1: Die Krähen --------------------- Tief in den eigenen Gedanken versunken schlenderte Ryan unbedacht durch die leeren Gassen der einstmals prächtigen Stadt Radisson. Vieles hatte sich geändert, seit der Virus gut Zweidrittel der Bevölkerung ausgelöscht hatte. Unverwandt sah er auf, als er die ersten wärmenden Lichtstrahlen der frühen Morgensonne auf seinen Gesicht spürte und ihn aus seinen Gedanken rissen. Es war eine weitere Nacht gewesen, die er kaum geschlafen hatte, was man ihm wohl auch deutlich ansah, aber auch ein weiterer Tag den er überlebt hatte. Seine müden Augen klärten sich auf, als er einen Gegenstand auf einem der kleinen Hinterhöfe sah. Mit einem kurzen Spurt hob den mitgenommenen Basketball auf, kaum noch mit genug Luft gefüllt, das er noch hoch springen könnte. Dennoch ließ er ihn einige Male hüpfen, ehe er ihn auf einen niedrig angebrachten Korb warf. Wahrscheinlich war dieser für die kleineren Kinder, die hier früher eventuell gewohnt hatten, angebracht worden. Er holte den Ball erneut und warf ihn noch einige Male. Beinahe konnte er das Lachen der Kinder hören, das hier wohl schon lange nicht mehr ertönte... Ein trauriges Lächeln ließ sich auf seinem Gesicht blicken, ehe er inne hielt. Ryan hörte Schritte und fremde Stimmen. Irgendjemand war in der Nähe... Er verfluchte sich selbst für den Krach, den er wohl gemacht haben musste und rannte auf die Front des Reihenhaus dem er gegenüberstand zu. In diesen Zeiten war es immer besser Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Mit leichtem Druck brach das Schloss der maroden Tür, die wohl schon vor dem Ausbruch nicht die neuste gewesen war. Hektisch stahl er sich hinein und drückte sich nahe der Tür an die Wand, sein Atem ging nun schneller und von seiner vorangegangenen Müdigkeit war nun nichts mehr zu merken. Ryans schwerer Atem wirbelte Staub von der Wand, an die er sich gepresst hatte. Er versuchte angestrengt sich wieder zu beruhigen und das Adrenalin aus seinem Körper zu vertreiben, wobei er in seinem aktuellen Zustand nur seinen eigenen Herzschlag in seinen Ohren pochen hörte. Während eine Hand geistesabwesend mit dem Feuerzeug in seiner Jackentasche spielte, atmete er tief durch, dies beruhigte ihn meist. Nach und nach spürte er, wie sein Puls weniger stark pochte. Nun lauschte er angestrengt, doch alles blieb ruhig. Hatte er sich die Personen, die sich ihm aus der Gasse näherten, nur eingebildet oder hatten sie doch einen anderen Weg eingeschlagen? Möglich wäre es, nicht jeder war in diesen Zeiten so neugierig und bewegt sich auf jeden Krach zu... Ryan zuckte innerlich zusammen, sah sich zögernd in dem Raum um, in den er gestürmt war. Vielleicht war ihm doch noch etwas Glück geblieben, dass er bei solch einem unbedachten Vorgehen noch immer am Leben war, schoss es ihn durch den Kopf. Seine Augen, die sich noch nicht an die vorherrschende Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannten in diesem Raum einen kleinen Flur. Eine kleine verstaubte Jacke hing an einem der Haken, die angebracht waren, vielleicht von einem der Kinder die gegenüber vor Zeiten gespielt hatten. Sonst sah er wenig spektakuläres. Eine Hintertür schien auf eine andere Straße zu führen, das Treppenhaus war brüchig und es klaffte ein großes Loch zur zweiten Etage wo es komplett kollabiert war. Er durchschritt den Flur, um die Hintertür zu überprüfen, aber diese war verschlossen und eindeutig neuerer Art als die Haupttür, nicht undurchdringbar, aber einem Hindernis. Daher ging Ryan zurück und prüfte die ersten Stufen der Treppe, die noch vorhanden waren. Abschätzend ließ er seinen Blick über den klaffenden Spalt wandern. Der Sprung schien ihm möglich, aber war er das Risiko wert? Er wollte es wagen und so zuckte er zusammen, seine Beine spannten sich instinktiv an, er gingen leicht in die Hocke, aber plötzlich hielt er doch inne. Hatte er einen Haaransatz oben im Flur gesehen? Oder spielten ihn seine Augen, die sich noch nicht vollends an die Dunkelheit angepasst hatten, einen Streich? Ryan strengte seine Augen an, was er vor einigen Augenblicken noch dachte als Haaransatz zu erkennen, hatte sich nun bereits in Luft aufgelöst. Aber irgendetwas war dort gewesen, wo jetzt nur noch staubige Luft war. Ein kleines Tier eventuell? Momente, die Ryan wie eine Ewigkeit vorkamen, verstrichen, währen er wie angewurzelt am Fuße der Treppe stand und lauschte. Ihm war als würde er ein leises Knarzen vernehmen. Seine Hand wanderte wieder unbewusst in seine Jackentasche. Ginge er vom Worst Case aus, dann hielt sich dort oben ebenfalls jemand auf und draußen musste er davon ausgehen in diejenigen zu laufen, vor denen er in diesem Gebäude Schutz gesucht hatte. Zu viele unbekannte Variablen nach Ryans Geschmack. Wenn oben jemand sein sollte, musste dieser von Ryans Anwesenheit wissen, bei dem Krach den er veranstaltet hatte, und dennoch wurde er bisher nicht angegriffen als er einige unachtsame Chancen bot. Gedankenverloren schüttelte er den Kopf, die Straßen sah er derzeit als zu unsicher an. Mit etwas Anlauf sprang er über den Spalt, bekam die Stufe dabei zu packen und zog sich unter einem Schnauben hoch. Gerade als er sich aufrichtete, brachen zwei weitere Stufen hinter ihm und mit einem kleinen Satz landete Ryan, dem ein Fluch entglitt, unsanft in der nächsten Etage. Stöhnend richtete er sich auf, klopfte sich den Staub von der Kleidung und zog sich einen Splitter aus der Handfläche. Spätestens jetzt wusste wohl jeder von seiner Anwesenheit. Spontan viel ihm auf, das Spuren in der dünnen Staubschicht darauf hindeuteten, dass sich hier oben vor kurzem jemand aufgehalten hatte. „Hey?!“, sein Ruf war verhalten, grade laut genug ihn in den angrenzenden Räumen zu hören. „Ich bringe keine Probleme, ich suche nur Schutz vor den Leuten auf der Straße.“ Er ging nun leicht gehockt in Richtung des Wohnzimmers, vielleicht waren die Spuren doch schon älter, trotzdem lohnte es sich wohl immer bereit zu sein. „Ich bin unbewaffnet, von mir geht keine Gefahr aus.“ Wie viel sein Wort in der heutigen Zeit wert war und das von jedem Menschen eine gewisse Gefahr ausging, dem war Ryan sich durchaus bewusst. Dennoch schlich er weiter durch das Wohnzimmer, bis er an eine Tür ankam. Den Türgriff schon mit einer Hand hinunterdrückend, fuhr er zusammen als er die Stimme auf der anderen Seite hörte. „Komm ja nicht hier rein oder du bist tot!“, schallte es nervös aus den anderen Raum. Den Türgriff ließ er los und ließ sich an der Wand neben der Tür zu Boden gleiten, so bot er wenigstens kein Ziel, sollte die Person auf die Idee kommen durch die Tür zu schießen. Das Risiko zu rufen hatte sich für ihn bewährt, wage Vermutungen waren für Ryan immer noch besser als gar keine Information. Anscheinend war die andere Person ebenfalls an keinem Konflikt interessiert. Gefährlich konnte sie für ihn dennoch sein. „In der Küche sind Konserven, hol' dir ein paar und hau' ab“, ergänzte die fremde Person mit Nachdruck. Ryan versuchte sie zu beschwichtigen: „Okay, okay. Ich komm nicht rein, keine Sorge. Sterben steht auf meinen Tagesplan für heute nicht geschrieben.“ Konserven in der Küche und die Person ging einem Konflikt aus dem Weg? Anscheinend war er in ein Rückzugslager oder einen Schlafplatz rein gestolpert. Ryan kaute auf seinen Lippen herum, das Bedürfnis seine Hand wieder in die Jackentasche zu stecken unterdrückte er. Es könnte jetzt alles zu schnell, zu überstürzt geschehen. „Nettes Angebot mit den Konserven, danke. Ich werde darauf zurückkommen. Aber mit dem Verschwinden meinerseits muss ich dich fürs erste enttäuschen. Irgendjemand war gerade auf der Straße vielleicht auch mehrere, denen will ich ungern in die Arme laufen“, rief er der Person im anderen Raum zu, als er innehielt. Was wenn die Leute draußen zu einer Gang gehörten und dies hier nicht nur ein Schlafplatz war, sondern das Lager dieser Gang? Dann säße er nun so oder so in der Falle. Seine Lippen bewegten sich zu einem lautlosen Fluch. „Ja, ich weiß“, ertönte es von der anderen Seite und so blieb im unklaren, ob die Person zu den Leuten gehörte. „Ist hier noch jemand im Haus? Sonst würde ich vorschlagen du bleibst in deinem Raum und ich bleib hier in meinem. Zumindest bis sich die Lage draußen wieder beruhigt hat“, sagte Ryan. Nach einer kleinen Pause kam eine Antwort: „Ich bin allein und hoffe, das es so bleibt. Um die Mittagszeit will ich hier weg sein.“ Seine Muskeln entspannten sich zusehends, nicht das er aus der Gefahrensituation raus wäre. Derjenige auf der anderen Seite, war anscheinend auch alleine und wollte hier weg, also immerhin kein Bandenlager. Natürlich, die Möglichkeit das dies eine Farce war, um ihn zu beschwichtigen bis seine Kumpel hier waren, bestand, doch Ryan ordnete sie als geringer ein. Irgendetwas an der Stimmlage verriet ihm, dass die andere Person in diesem Punkt nicht log. „Danke für die Ehrlichkeit“, sprach er mit leiserer Stimme, der merklich ein Teil der Anspannung genommen wurde. „Ich werd‘ mich nun etwas umsehen. Ich würde dir ja gern vollends glauben, dass du hier alleine bist... Aber hey, die Welt hat sich seit einiger Zeit in ein ziemliches Drecksloch verwandelt was?“ Wieder dauerte es ein wenig, bis die Person etwas nervös stotternd erwidert: „O... Okay, tut dir keinen Zwang an.“ Um sich wieder aufzurichten stützte Ryan sich an der Wand ab, als ihn ein spitzer Schmerz durchfuhr. Kurz betrachtete er sein linkes Handgelenk. Scheinbar war der Sturz doch etwas unglücklicher gewesen als er es zuerst angenommen hatte. Danach schlich er durch einige der übrigen Räume und vergewisserte sich grob, dass sich keine weitere Person auf dieser Etage aufhielt. In der Küche hielt er inne und nahm sich eine der Konserven. Vielleicht war dies doch ein Schlafplatz, in den er hineingeraten war. Der Vorrat an Konserven war kein Fort Knox, aber doch in einer Größe, die man in der heutigen Zeit selten antraf. Sein Magen unterbrach ihn, denn selbst gegessen hatte er schon zwei Tage nicht mehr so üppig. Langsam ging er zu der Tür zurück, wollte er doch ungern seinen Rücken längere Zeit dieser potenziellen Gefahr zuwenden, und öffnete dabei eine Dose kalter Nudeln. „Ziemlich netter Vorrat, sicher das du nicht noch ein paar von denen einpacken willst bevor du verschwindest?“, sprach er im gehen, seinen Blick auf die Konserve gerichtet. Ryan ließ sich wieder auf seinem Platz neben der Tür nieder. Danach fing er an sich genüsslich den Inhalt der Dose einzuverleiben. Wie wenig voraussehbar die Tage heutzutage waren... Er lehnte seinen Kopf zurück gegen die Wand, horchte nach Geräuschen, Wer weiß ob die andere Person sich nicht aus dem Staub gemacht hatte? Sie schien sich jedenfalls auf das lautlose Fortbewegen zu verstehen. „Ein paar Dosen hab ich eben eingepackt. Aber wenn man einmal eine kranke Ratte im Haus hat, dauert es nicht lang bis die nächsten kommen. Ich nehm‘ lieber die mit die ich habe, bevor ich das Risiko eingehe zu verrecken“, kam es als Antwort mit scharfen Unterton. Bei dem Vergleich zu einer kranken Ratte verzog er ein wenig das Gesicht, schüttelte lächelnd den Kopf, als ihm klar wurde das seine Mimik wohl für niemanden ersichtlich war. Er schlang den restlichen Inhalt der Konserve hinunter, wog die leere Dose etwas in den Händen, ehe er noch den verbliebenen Sud trank. Früher war ihm dieser Saft verabscheut, aber in Ernstfällen durfte man nicht wählerisch sein und nehmen was man kriegen konnte. Danach zog er sich seinen Rucksack von den Schultern, um ihn vor sich zu stellen, wühlte kurz in dem nur knapp gefüllten Gepäckstück, ehe er eine stramme Wickel aus einem Erste Hilfe Paket herausfischte. Viel war nicht mehr von dem Köfferchen übrig, was er damals beim Militär zum Abschluss seiner Sanitätsausbildung bekam. Seine Gedanken drifteten zu dieser fern erscheinenden Zeit zurück, während er sein Handgelenk verband, um ihn etwas zusätzliche Stabilität zu geben. Kein Zuckerschlecken damals, aber wenigstens war die Welt dort noch in Ordnung gewesen. Die Stimme von nebenan riss ihn aus seinen Gedanken: „Da dieses Haus nun für mich gestorben ist mache ich dir ein Vorschlag: Du nimmst dir einige Dosen und verschwindest. Dann nehm‘ ich mir noch welche und gehe ebenfalls. Vermutlich werden wir nicht alle mitbekommen, wenn du morgen wieder kommen willst, steh ich dir nicht im Weg“, ertönte es noch immer deutlich unruhig. „Erstmal, die kranke Ratte verbiet‘ ich mir, ich bin weder das eine noch das andere. Dein Vorschlag klingt dennoch gut, nur mit dem schnellen Verschwinden muss ich dich erst mal noch enttäuschen. Aber als Kompromiss verspreche ich dir nicht wieder hier her zu kommen. Ich bin quasi nur auf einer Sight-Seeing-Tour durch die schöneren Viertel. Ich schein‘ nur irgendwie den Tourguide verpasst zu haben“, er lachte leise ehe er mit ernster Stimme fortfuhr, „nicht das mein Wort heutzutage irgendetwas wert wäre... Da du mir recht vorsichtig erscheinst, tut es mir Leid dir ein so gut gefülltes Lager durch mein ‘reinplatzen zunichte zu machen, schade drum.“ „Ich werde mir schon was neues suchen oder das Haus in einigen Wochen noch mal ausspähen. Bisher wurde es ja auch nicht gefunden. Ansonsten überlasse ich es dir gern“, sagte der Unbekannte etwas sanfter, dennoch lag etwas bitteres darin. „Danke, und da sag noch wer die Welt ist schlecht geworden, früher hab ich keine Häuser geschenkt bekommen, aber ich glaub‘ ich passe da lieber“, erwiderte Ryan. Beiläufig prüfte er sein Handgelenk und war zufrieden mit seiner Arbeit, die Beweglichkeit war kaum eingeschränkt und dennoch gab es ein gewisses Maß an Unterstützung. Wahrscheinlich war es eh nur leicht überdehnt. Sein Kopf ruhte weiterhin an der Wand, während er seinen Blick abwesend über die Decke schweifen ließ. Seine Gedanken drifteten ebenso ab wie sein Blick. Seine Lieder flatterten leicht, wurden ihm schwer. Verdammt, anscheinend war das letzte bisschen Adrenalin verraucht, aber jetzt die Aufmerksamkeit schleifen zu lassen wäre ein tödlicher Fehler... Der Soldat zwang sich wach zu bleiben, schüttelte die Müdigkeit vorerst wieder ab. Währenddessen setzte die Person von neben an zögerlich nun doch das Gespräch fort: „...Al... also, du bist hier nur auf der Durchreise? Dann solltest du dich aber vor den Nebelkrähen in Acht nehmen. Nachts können hier schon mal welche durch kommen. Die Grenze zum Stadtpark ist zumindest etwas sicherer. Dort gibt es nicht viel zu holen.“ Verdammt das hier war das Gebiet der Nebelkrähen? Ausgerechnet eine der größeren Gangs, die schon fast seit dem Ausbruch existiert... Die meisten Gangs zerfielen ebenso zügig wie sie aus dem Boden gestampft wurden, aber von den Nebelkrähen hörte Ryan schon immer irgendwelche Informationen, wohl eine der einflussreichsten Gangs. Vielleicht hielten die beiden sich ausgerechnet in einem Zwischenlager von den Krähen auf? Beängstigende Vorstellung... „Wir sind also in ihrem Gebiet? Danke für den Tipp, ich werde mich hüten... Du hältst dich hier in der Gegend auf? Du scheinst gut Bescheid zu wissen über die Umgebung.“ Von den kleinen Gruppen ging schon genug Gefahr aus, aber einer der großen Gangs wollte er wirklich nicht in die Arme laufen. „Nein, hier am Rande vom Zentrum sind wir noch nicht drin. Das beginnt weiter südwestlich, hinter den Museen vor den Wohngebieten im Evans-Viertel, soweit ich weiß. Ich sehe hier nur öfters einige durchlaufen. Naja öfters ist übertrieben, aber morgens lassen sie ihre Deckung etwas fallen, wenn sie auch müde werden. Zumindest vermute ich das stark. Ich komme hier nur wegen dem Essen her. Alle Dummköpfe halten sich bei dem Einkaufszentrum auf und locken gleichzeitig die Krähen an, aber da ist schon lange nichts mehr zu holen. Die Häuser am Stadtrand sind aber viel interessanter, wenn es um Essen geht. Fragt sich nur, wie lange das so bleibt. Bisher war ich nur im Osten der Stadt“, plapperte der Fremde nun. Ryan versuchte sich die Informationen über die Situationen hier im Viertel einzuprägen, waren es doch für ihn unglaublich wertvolle Informationen, ebenfalls sah er keinen Grund wieso sein Gegenüber ihn in diesem Punkte anlügen sollte. Vielleicht sollte er sich bei Gelegenheit eine Karte besorgen, war sein eigener Orientierungssinn doch nie wirklich ausgeprägt gewesen. Sein Gegenüber schien solche Sachen durchaus überlegter und strukturierter anzugehen als er es mittlerweile tat, früher war dies bei ihm auch noch anders. Ein trauriges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er die Bemerkung zum Einkaufzentrum hörte. Er selbst hielt sich dort einige Zeit in der Tiefgarage auf, als es seinem Bruder nicht mehr möglich war sich durch die Gassen zu schleichen. Die Beschreibung stimmte auffallend, hatte er doch nur überlebt weil die beiden einen Schlüssel zu eine der Privatgaragen gefunden hatten. „Manche haben vielleicht keine andere Wahl...“, flüsterte er leise, kaum hörbar und schluckte schwer. Verdammt keinen Grund die Fassung zu verlieren, noch etwas was er nicht gebrauchen könnte. „Wie ist dein Name? Ich würd‘ gern wissen mit wem ich spreche“, fragte Ryan interessiert. Er wurde das Gefühl nicht los das er mit einem 19 Jährigen Zahnspanngenträger sprach, die Unsicherheit die man heraushörte und die Stimmlage sprachen dafür. Jedoch war auch ein 19 Jähriger mehr als gefährlich, er hatte bereits schon Kinder nicht älter als 12 gesehen die mit Pistolen durch die Straßen zogen. „Ich will den Anfang machen: Ich bin Ryan, freut mich dich kennen zu lernen.“ Nach kurzem zögern stellte auch die Person sich vor: „Mein Name ist Vik“, sagte sie freundlich. „Es freut mich ebenfalls.“ „Vik? Viktor?“, fragte Ryan nochmals nach. „Ja, Viktor ist richtig. War wohl nicht schwer zu erraten, was?“, das Lächeln war dabei fast schon hörbar. Unnötigerweise zuckte Ryan auf seiner Seite der Tür mit den Schultern. „Viktor war das einzige was mir in den Sinn kam, bei dem Spitznamen“, erklärte er. Erneut schloss er seine Augen, konnte er gerade nichts auffälliges hören und hoffte das die Situation bald vollends entspannte. „Umso weiter vom Einkaufszentrum weg, desto ruhiger wird‘s in der Gegend hier also?“, versuchte er das Gespräch wider aufzunehmen. Er sollte sich bald nach einem Lager umschauen, sobald die Luft wieder rein war. „Nicht unbedingt. Die Menschen sind unberechenbar geworden und einige Gangs versuchen stetig ihr Revier zu vergrößern. Meiner Meinung nach kann man das aber für die nächsten Tage oder Wochen wohl behaupten. Ausruhen würde ich mich hier aber nicht zu lange, weil das gefährlich werden könnte. Wer hungert und etwas zu essen findet, der fragt nicht, sondern greift sofort an. Zumindest hab ich das so beobachtet. Kommst du aus einem anderen Viertel? Ist es da besser?“, fragte Vik leicht hoffnungsvoll. Er ließ seine Gedanken hinter seinen geschlossenen Liedern fahren, zurück in die Vergangenheit in die er sich nur allzu gern jedes mal verlor. „Aufgewachsen bin ich in Evans-Viertel, aber zur Lage kann ich wenig sagen. Ich war außerhalb stationiert. Wir wurden kurz bevor der Virus ausbrach zurückbeordert, als ich ankam nahm das Chaos schon seinen Lauf.“ Ein Seufzen entrann seiner Kehle. Noch ehe der Trupp, dem Ryan damals noch angehörte, die Stadtgrenzen vor einem Jahr erreicht hatte, starben bereits zwei seiner Kameraden, ohne das er auch nur den Hauch einer Chance gegen den damals noch unbekannten Virus hatte. Als die kleine Einheit feststellen musste, dass die Regierung augenscheinlich nicht mehr existierte, flüchteten einige, der Rest wurde von zahlenmäßig überlegenden Gangs aufgrund der Waffen die sie mitführten überwältigt. Wieder spielte seine Hand mit dem Feuerzeug in seiner Tasche und Ryan rang einige kurze Momente mit sich, bevor er weiter erzählte: „Seither streif‘ ich durch die verschiedenen Gebiete, leider ähnelt sich das Bild was man überall antrifft ziemlich.“ Deswegen lebte er wohl auch noch, ständig in Bewegung, nur unterbrochen von der kurzen glücklichen Familienzusammenkunft. „Auch wenn ich damit eventuelle Hoffnungen...“ „– Was zum...?!“, schrie Vik plötzlich entsetzt. Von Vik unterbrochen sprang Ryan erschrocken hoch, als er den Ausruf von nebenan hörte, drückte die Türklinke runter, blieb jedoch im offenen Türrahmen stehen, während die Entwarnung erklang. „Alles ok“, sagte Vik schnell beruhigend, aber dennoch hörbar unsicher und plapperte dann weiter darauf los: „Sind nur die Vögel, die Schutz vor dem Regen suchen.“ Trotz der Beschwichtigung schlug sofort die Tür zwischen ihnen auf und reflexartig nahm Vik die beiden Dolche abwehrend hoch. Geschockt und wild entschlossen im Notfall auf die auftauchende Person loszugehen, starrte Vik Ryan an. Dieser hob seine Hände mit den Handflächen nach außen vor seine Brust, als er sie mit den Dolchen in den Händen hinter dem Bett ausmachte. „Hey Viktor... Cool bleiben, das war nur ein dummer Reflex meinerseits.“ Beim Anblick seines Gegenüber fiel es ihm schwer den Namen Viktor noch als die Wahrheit anzusehen, wollte es aber erstmals dabei belassen. Auch wenn das Mädchen, das scheinbar Anfang Zwanzig war, mit den knapp kinnlangen, schwarzen Haaren und weiten Klamotten es zu vertuschen versuchte, konnte man ihr die Scharade nicht abnehmen. Ryan ging einen Schritt rückwärts mit der Absicht ein bisschen weniger bedrohlich zu erscheinen, seine Hände weiterhin sichtbar vor sich gehalten. Ihm war der effektive Nahkampf gegen Messer, auch wenn man unbewaffnet war, durchaus gelehrt worden. Jedoch galt Ryan eher als keine Koryphäe in diesem Gebiet und selbst bei denen hieß ein Nahkampf gegen ein Messer immer noch, mitunter schwere Verletzungen auf beiden Seiten. „Vik... komm schon, nichts weiter geschehen, außer das wir unsere Gesichter nun kennen. Ich kann die Tür auch wieder zumachen, wenn dir das lieber ist. Kein Grund zu weiteren überstürzten Handlungen oder? Eine reicht denke ich...“, versuchte er sie zu beruhigen. Sie ließ die Waffen etwas sinken und erholte sich etwas von dem Schreck. Noch immer war sie blass und nur zögerlich fand sie ihre Sprache wieder: „Ich ... ich denke das wird nicht nötig sein.“ Ryans Blick überprüfte kurz die Fenster, das was sie kurz aus der Fassung gebracht hatte konnte er nun nicht mehr sehen, doch plötzlich rauschte etwas am Fenster vorbei und landete krachend auf dem Balkon. Verdammt, wenn das wirklich nur Vögel waren, war da gerade ein ziemlich dicker direkt vor dem Fenster abgestürzt. Auch Vik zuckte zusammen, machte einen Schritt zurück, stieß dabei gegen den Nachttisch und mit einem Klirren fiel die Nachttischlampe zu Boden. Hektisch sah sie zwischen den Balkon und Ryan hin und her. Dieser tat es ihr gleich. Ryan hatte nun zwei potentielle Gefahrenquellen vor sich, vielleicht war das ganze doch nur ein Trick ihn auf einem unachtsamen Fuß zu erwischen, in dem Fall hätte ihr Plan wohl exzellent funktioniert. Kurz schaute Vik hinaus und sagte dann: „Da ist ein Rucksack auf den Balkon.“ „Du hast damit also nichts zu tun?“, fragte er und zeigte auf das Balkonfenster, bevor er kurz darauf einen kurzen Blick hinter sich warf, dort schien die Luft noch rein zu sein. Scheinbar ihre Chancen abschätzend, sah sie zu Ryan und schüttelte ihren Kopf. „Vorschlag: Entweder wir schauen wer oben sitzt und wie viele das sind oder gehen unten zur Tür raus. Eventuell räumen wir schnell noch die Küche leer“, sagte sie hektisch. „Deine Vorschläge klingen immer besser in meinen Ohren, Vik...“ Nein, in eine Gang, die den beiden nun eventuell auf dem Dach aufgelauert hatten, wollte er wirklich nicht blindlings rennen. Ihm kam der Gedanke den anscheinend gut gefüllten Rucksack noch mitzunehmen, entschied sich jedoch diesen nicht zu äußern. Ein Zufall schien unwahrscheinlich, vielleicht war der Rucksack nur eine Falle und selbst wenn nicht gab er den Leuten auf dem Dach damit einen guten Grund sie zu verfolgen... Auch Vik schien nervös immer wieder den Blick auf den Rucksack zu werfen, der nun einsam im einsetzenden Regen lag. „Ich würde lieber einer Konfrontation aus dem Weg gehen, vielleicht ist die Haustür da die bessere Wahl? Ein Vorschlag zur Güte nur, würde es dir etwas ausmachen diese Klingen wegzustecken? Ich mein vielleicht müssen wir ja doch rennen und spitze Sachen und Sprinten vertragen sich einfach nicht...“ Ein verzogenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, war ihm durchaus bewusst, dass jedem klar sein musste, das dies nicht sein wahres Bedenken bei den beiden Dolchen war. Sie knirschte kurz mit den Zähnen und nickte dann. „Ist schon gut, hast ja recht, aber lass uns nun verschwinden“, sagte sie deutlich widerwillig. Kompromissbereit steckte sie die Dolche weg, wobei ihre Hände leicht zitterten. Ryan wurde dadurch beruhigter und drehte Vik bereits den Rücken zu, signalisierte damit auch bewusst, dass von ihm derzeit keine Gefahr ausgehen sollte, um seinen Rucksack wieder aufzuheben und zu schultern. „Du scheinst dich besser als ich hier zurechtzufinden, gibt es noch andere Eingänge als die beiden im Erdgeschoss und die Balkonfenster?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern seit die Tür nicht mehr zwischen den beiden stand. Er musste sich zu Vorsicht ermahnen, auch wenn Vik, augenscheinlich zurzeit keine Absichten gegen ihn hatte. Auf das Erlebnis eine dieser Klingen im Rücken zu spüren konnte er verzichten, selbst wenn sie diese wegstecken sollte, würde ein Angriff dadurch wohl auch nur um einen Sekundenbruchteil verlängert. Vik nahm ihren Rucksack und öffnete ihn als sie auf Ryan zu rannte, wobei sie darauf achtete keine der quietschenden Dielen zu erwischen, auch wenn das jetzt wohl keine große Rolle mehr spielen sollte. „Eine Feuerleiter am Kinderzimmerfenster, rechts im Flur. Jedoch weiß ich nicht, ob sie uns vom Dach aus dort folgen würden. Besser wären die Türen unten“, flüsterte sie ihm zu und bedeutete das sie wirklich noch schnell in die Küche wollte. „Okay dann sollten wir uns beeil– ...“ Ryan wurde mitten im Satz unterbrochen als Vik bereits an ihm vorbei rannte. Er sah ihr einen Augenblick hinterher. Schmerzlich musste er realisieren, dass er sie deutlich unterschätzt hatte, als er sein Gegenüber das erste Mal gesehen hatte. Sie war noch flinker und agiler als er sie eingeschätzt hatte. Er musste zugeben, hätte sie in diesem Moment entschieden ihn anzugreifen, wäre er wahrscheinlich zu perplex gewesen, um auf das energische umschalten von Defensive auf Angriff reagieren zu können. Dies dauerte ein Augenzwinkern, ehe Ryan sich fing, Vik in die Küche folgte und dort einige Dosen von ihr entgegennahm, bevor er sie zügig in seinen Rucksack stopfte. Nebenbei machte Vik ihren Rücksack wieder zu und nahm diesen auf den Rücken. Flink und so leise es noch ging, rannte sie dann wieder in den Flur. Mit ihrem Tempo konnte Ryan noch gut mithalten, jedoch war er kaum so leise und grazil wie die andere Hälfte dieser Interessengemeinschaft. Vor der Treppe blieb sie zögernd stehen und betrachtete den nun noch größeren Abgrund. Auch Ryan sah erstmals wie großflächig seine Zerstörung von vorher doch gewesen war. Abschätzend sah Vik ihn an. „Schaffst du das?“, fragte sie ihn zur Sicherheit. Ein knappes Lächeln blitzte auf seinem Gesicht auf. „Runter kommen sie doch alle, die Schwerkraft wird mich schon unterstützen“, erklärte er. „Heil da herunter zu kommen, wäre aber von Vorteil“, gab sie mit einem zaghaften Lächeln zu verstehen, während sie zweifelnd die Augenbraue hoch zog. Statt zu Antworten nahm Ryan einen knappen Anlauf und sprang über den Abgrund anstatt zu klettern. Danach nahm er der Landung gekonnt viel der Energie, indem er tief in die Hocke ging, jedoch sein Gewicht zu stark auf sein linkes Handgelenk verlagerte. Der bekannte Schmerz durchzog ihn wieder, wodurch er kurz zusammensackte, ehe er sich vollends aufrichten konnte. „Wenn der Sprung keine 10 Punkte verdient hätte, dann weiß ich auch nicht“, kommentierte Ryan seinen Sprung. Sie tat es ihm gleich und sprang mit kurzen Anlauf hinunter. Auch ihre Landung gestaltete sich ähnlich, aber dadurch das sie unverletzt war, gelang es ihr etwas eleganter. Schmunzelnd sah sie Ryan an: „Ich geb‘ dir ‘ne Acht. Zwei Punkte Abzug für die Verletzung.“ Sie schenkte ihm noch ein freches Zwinkern und schlich dann zur Tür. Ein gespielt aufgebrachtes Schnauben entrann ihm, gefolgt von einem Lächeln. „Nun wird man auch noch wegen einem Handicap schlechter bewertet, wenn du 20 Kilo mehr wiegen würdest, wäre dir eine glatte 10 auch nicht mehr sicher.“ „Gib mir genug zu essen und wir können das gerne noch mal versuchen“, schlug sie neckend vor. Kurz sah sich Ryan zu Vik um, ehe er zur Tür des Haupteingangs ging und nach draußen spähte. „Scheint still zu sein.“ Sie wartete, bis Ryan sich umgesehen hatte. „Okay, dann los. Links herum Richtung Osten. Wir sollten versuchen in die Nähe des Parks zu kommen. Außer du hast eine bessere Idee...?“,fragte sie mit wenig Hoffnung und sah besorgt in den Himmel. Auch Ryan sah erneut prüfend in den Regen hinaus, nicht gerade sein Lieblingswetter, aber da sie eventuelle Verfolger abschütteln mussten, kam es ihnen wohl gerade Recht, die Sicht war nicht gerade die beste. Die kühle Luft die ihm entgegenschlug genoss er hingegen sehr. „Nicht gerade das beste Parkwetter, den Basketball müssen wir dann wohl nicht mitnehmen“, scherzte er zwanghaft. „Du kannst ja morgen gerne wieder kommen, um ihn dir zu holen“, erwiderte sie schmunzelnd. Kurz ging Viks Blick zu Ryan, bevor sie aber dann doch in den Regen hinaus huschte. „Das scheint ein richtiges Unwetter zu werden, wird uns in die Karten spielen“, fügte er ernster hinzu ehe er ihr nach draußen folgte. „...oder es wird uns umbringen“, nuschelte sie bei dem Anblick der schwarzen Wolken. Sein Blick fiel über die verschiedenen Häuserfronten. Wenn ihnen wirklich eine Gang aufgelauert haben sollte und diese sich einigermaßen strategisch verteilt hätten, sah es für die beiden wohl oder übel schlecht aus. Sie hielten sich erst einmal nahe an der Hauswand, die von Dach aus schwerer einzusehen war und sie auch etwas vor dem Regen schützte. Immer wieder sah Vik nach hinten und oben. Wenn ihnen wirklich jemand über das Dach folgte, dann würde er langsamer voran kommen. Die Dächer würden bei diesem Regen bestimmt zu einer Gefahr und so wie es aussah, würde es bald auch blitzen. Bald erreichten sie die erste Straßenecke und Vik presste sich an die Hauswand, währen sie Ryan ein Handzeichen gab eben zu warten. Vorsichtig sah sie um die Ecke und in die anliegenden Fenster. Nichts schien sich zu bewegen, aber der Schein konnte auch trügen. An der Häuserecke sah Ryan sich währenddessen nach hinten um. Über den direkten Weg schien ihnen bisher niemand zu folgen, schien ihm solch ein Vorgehen auch sehr plump. Nun mussten sie aber die Straße überqueren, schon allein um ihre eventuellen Verfolger auf dem Dach das Leben schwer zu machen. Vik sah wieder zurück zu Ryan und gab ihn mit einem Nicken zu verstehen, das es sicher war. „Wir rennen dort herüber. Bereit?“, flüsterte sie noch laut genug, um den Regen gerade eben zu übertönen. Mit einem kurzen Klopfen auf Viks Schulter bestätigte er seine Bereitschaft, doch diese zuckte unter seiner Berührung zusammen. „Wenn wir das hier überleben, schuldest du mir deinen richtigen Namen, abgemacht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten sprintete er in geduckter Haltung mit einigen Haken über die Straße, so wie er es gelernt hatte, warf sich dann auf der anderen Seite in die nächste Deckung. Er sah nach oben, konnte ein wenig des Daches einsehen, unter dem sie vor einigen Augenblicken noch standen, konnte jedoch durch den mittlerweile dichten Regen nichts ausmachen, die Umgebung schien derzeit ruhig zu sein. Hätte er doch nur noch eine seiner Schusswaffen, galt er doch als ein ganz passabler Schütze in seiner damaligen Einheit, dann wäre die Situation nicht ganz so unglücklich, musste er sich doch eingestehen dass, wenn er nun auf dem Dach einen Schützen mit einer Waffe ausmachen würde, ihnen nichts anderes blieb als die Beine in die Hand zu nehmen, da auch Vik anscheinend nur die Dolche mit sich führte. Na vielleicht kann sie gut werfen, dachte er spöttisch bei dem Gedanken an solch einen unfairen Kampf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)