V-M4: A Long Way Home von Morbilli (Virus M4 - Ryan & Vik) ================================================================================ Kapitel 6: Von Alpträumen geplagt --------------------------------- „Danke... Viki, ich bin dir wohl gerade ein ziemlicher Klotz am Bein, Sorry.“ Als Ryan sie tatsächlich mal Viki nannte, während sie noch auf dem Weg zum Teppichladen waren, konnte man nur ein kurzes, amüsiertes Zucken am Mundwinkel wahrnehmen. „Schon okay“, das war alles was sie noch mit geschlossenen Zähnen hervorbrachte. Sie konzentriert sich lieber darauf nicht falsch aufzutreten, bevor sie beide auf die Nase fielen. Wenn Ryan einmal am Boden lag, würde sie ihn garantiert nicht mehr hoch bekommen und zurück lassen konnte sie ihn nicht, nachdem was er heute schon alles für sie getan hatte. Hätte sie noch die Kraft und Zeit darüber nachzudenken, wäre ihr so enger Kontakt mehr als unbehaglich, aber nun ging es nicht anders. Recht dankbar bemerkte sie, dass er versuchte so weit es ging selbst zu laufen, da sie vermutlich nicht einmal alleine problemlos vorwärts kommen könnte. Die Furcht davor, dass er nicht mehr lange durch hielt und der Umstand, das bald noch mehr Leute, vielleicht sogar ein paar Banden, in der Nähe sein könnten, ließ sie ebenfalls ihre letzten Kräfte aus ihr rausholen. Mutig trat sie fester auf und versuchte größere Schritte zu machen, was nur ein stärkeres Brennen hervorrief. Zügig kamen sie dem recht großen Geschäft näher, dessen Fenster und Türen allesamt gut vernagelt waren. Doch Viktoria war schon öfters durch den Hintereingang in das Gebäude gekommen, auf das sie nun zu hielt. „Ich brauch nur eine kleine Pause, Vik, dann bin ich wieder auf dem Damm“, hörte sie ihn sagen. „Du kannst gleich so viel schlafen wie du willst...“, brachte sie angestrengt hervor und rang kurz nach Luft. Der Schweiß lief ihr übers Gesicht und sie wünschte sich wenigstens den Schal abzunehmen oder die Jacke aufmachen zu können. Zähne zusammen beißen half nun kaum noch. Die beiden hatten nach ihrer Pause einen sehr langen Dauerlauf hinter sich, was natürlich nicht spurlos geblieben war, egal wie gut er sie zuvor behandelt hatte. Ihr wäre es mittlerweile fast recht gewesen das Bein abzunehmen, wenn die Schmerzen dann weg waren. Aber bald waren sie da, dann hätte sie sogar Zeit sich auszuruhen und frisch zu machen. Das spornte sie noch etwas an, ehe sie endlich vor der Hintertür standen. Nochmals schaute sie sich genau um, konnte aber keine Menschenseele erblicken. Ryans plötzliche Hustenanfall sorgte dafür, das sie sich verkrampfte und sich dabei ihre Finger fester in seine Jacke krallten. Auch wenn sie besorgt darauf geachtet hatte, konnte sie kein Blut beim Husten erkennen, was ja schon mal ein gutes Zeichen war. Keuchend setzte sie ihn kurz auf den Boden ab und wischte mit der Hand den Schweiß vom Gesicht. „Ich mach dir die Tür auf... Warte hier.“ Sie setzte den Rucksack ab und öffnete zumindest die Jacke, während sie kurz verschnaufte. Ihr Blick wanderte zu dem kleinen, hohen Fenster neben der Tür, das mit Rollläden versehen war. Normalerweise konnte sie mit einem kleinen Sprung das Fensterbrett erreichen, aber nun brauchte sie eine kleine Hilfe. Innerlich betete sie, dass sie mit den Bein noch in der Lage war, dort hoch zu kommen. Nachdem sie sich kurz umgesehen hatte, schob sie eine Mülltonne darunter, klettere darauf und erreichte so fast mühelos das Fenster. Sie zog sich am Fensterbrett hoch, worauf sie sich nun setzte, schob die Rollladen hoch und begann das dahinter liegende Fenster aufzudrücken. Mit den Rücken stützte sie die Rollladen ab, während sie ihre Beine auf die andere Seite zog. Drinnen hatte sie schon einen Stuhl unter dieses Fenster gestellt, worauf sie sich nun leicht fallen ließ , während gleichzeitig die Rollläden wieder polternd runter fielen. Das Fenster wurde danach sorgfältig von ihr verschlossen, bevor sie die Angestelltentoilette schwer humpelnd verließ. Sie machte einen Bogen, stütze sich dabei an den Wänden ab und landete in einem kleinen Büro mit einer Theke, an denen Kunden wohl ihre Lieferscheine abholen konnten. Eine Tür, vor dem noch ein Metallschrank stand, versperrte den Weg nach draußen. Schwer atmend stand sie kurz vor dem Ungetüm. Sonst schaffte sie es locker den zu bewegen, nun hoffte sie inständig, dass sie ihn weit genug weg schieben konnte, um die Tür zu öffnen. Vik stemmte sich mit all ihrem Gewicht dagegen, während sie sich nur mit einen Bein abstoßen konnte. Zum Glück war die Tür bald frei. Mit etwas Gewalt konnte auch diese wieder aufgezogen werden und sie konnte ihren Rucksack und Ryan endlich rein bringen. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er ihre Abwesenheit wirklich bemerkt hatte, aber das tat nun nichts mehr zur Sache. Als sie im Teppichgeschäft waren, löste sich Ryan schon bald von ihr und setzte sich an die Wand. Eigentlich hätte sie weiter hinein gewollt, aber hier war es auch okay. Sie half ihm erst einmal hinab und kniete sich mit einen Bein vor ihm, während sie ihr verletztes ausstreckte. „Sorry, ich glaube ich hab unser Date im Park ziemlich zunichte gemacht... Vielleicht erlaubst du mir eine kleine Terminverschiebung?“, fragte er schwach grinsend. „Macht nichts“, versicherte sie schwer atmend, aber erleichtert, dass sie schließlich Ruhe hatten. „Was sagt dein Bein? Ich hab es wohl doch nicht so mit dem Schonen zugelassen, wie es nötig wäre… Benötigst du etwas von deinem Doc? Jetzt hast du mich ja schließlich doch zu deinen Füßen liegend, nur leider ohne das du über mich hergefallen wärst.“ Sein falsches Lächeln schien sie dennoch etwas aufzumuntern, doch als er ihr Bein ansprach spürte sie die Schmerzen fast doppelt so stark. „Mach dir keine Gedanken. Ich brauch auch nur Ruhe“, sagte sie beruhigend. Sie hatte schon vorhin gesagt, das sie nichts mehr von ihm annehmen würde und dabei würde sie bleiben. Bestimmt würde es besser werden, wenn sie das Bein lang genug nicht bewegte, redete sie sich ein. Aber noch ging es nicht. „Ich falle später über dich her, aber erst schau ich mich hier kurz um und hol ein paar Sachen.“ Langsam zog sie sich an der Wand wieder hoch und legte ihre Jacke sowie ihren Schal ab, wodurch endlich etwas Luft an ihr verschwitztes Hemd kam. Noch immer war sie leicht außer Atem, aber sie ging lieber auf Nummer Sicher, bevor sie hier ebenfalls böse überrascht wurden. Da sie sich an der Wand abstützte, musste sie ihr Bein kaum noch belasten, bis sie den Schrank wieder vor sich hatte. Nun schob sie diesen wieder vor Anstrengung stöhnend vor die Tür. Danach holte sie sich die kaputte Gardinenstange, die sie bei einem ihrer ersten Besuche aus versehen runter gerissen hatte, um diese als Stütze zu verwenden. Zudem hatte sie sich die schweren Vorhänge über die Schulter geworfen und kam wieder zu Ryan, wo sie diese neben ihn fallen ließ. „Mach es dir bequem, ich bin gleich wieder da“, sagte sie nun gequält lächelnd und ging weiter. „Es geht schon so, ich muss nur zu Atem kommen, Vik… Ist es hier sicher?“, fragte er schwach. Das er seine Jacke ausziehen wollte, bemerkte Viktoria als sie ihm die Vorhänge brachte. Aber Viki wagte es nicht ihn ungefragt zu helfen. Bestimmt würde sie ihm nur weitere Schmerzen bereiten und als erstes musste sie eh für ihre Sicherheit sorgen. So konnte sie zumindest ein wenig ihre Unfähigkeit beim Kampf wieder gut machen, während er sich schon die wohlverdiente Erholung gönnte. „Ich glaube wir sind hier sicher. Aber ich prüfe das lieber“, murmelte sie. Daher war sie schweren Herzens vorbei gegangen. Sie machte nur eine kleine Runde, um zu kontrollieren, das noch immer alle Fenster und Türen verschlossen waren. Anscheinend war noch immer kein Mensch und keine Tiere außer Spinnen hier eingedrungen. Die Rollläden waren halb herunter gelassen und die Fenster zusätzlich vernagelt. Das tauchte alles in ein Dämmerlicht, aber auch die Fenster des Flachdaches erhellten etwas die Räume. Auf ihrer kleinen Tour rollte sie noch zwei Lammfellimitat-Teppiche ein und nahm sie wieder mit zu ihrem Begleiter. Der saß noch immer unverändert mit geschlossenen Augen da. Viktoria war sich nicht sicher ob er nun schlief oder wach war. „Ryan?“, flüsterte sie zögerlich. Sie legte eines der kuschelig-weichen Teppiche direkt neben ihm aus und faltete das andere zum Kopfkissen. Noch kam keine Antwort. Besorgt legte sie ihre Stirn in Falten. „Ryan?!“, fragte sie nun etwas lauter und, nachdem sie etwas mit sich gerungen hatte, nahm sie seine Hand, um sie auf das provisorische Bett zu führen. „Du kannst dich hinlegen, wenn es für dich besser ist“, sie wusste ja nicht ob es liegend für ihn angenehmer war oder ob er sitzend die Schmerzen besser ertrug. Jedenfalls würde sie ihm aber helfen sich hin zu legen, wenn er denn richtig schlafen wollte. Erst dann würde sie sich ihm gegenüber an die Wand setzen und sich etwas ausruhen. Auch wenn sie selbst müde war, würde sie erst mal Wache halten. Sie bezweifelte sowieso, dass sie mit ihren eigenen Schmerzen einschlafen könnte, jedoch fielen ihr in gleichermaßen hin und wieder die Augen kurz zu. Endlich machte er seine Augen auf. Ein erleichtertes Seufzen entfuhr ihren Lippen. Dennoch sah sie ihm forschend tief in die braunen Augen und suchte darin ein Anzeichen dafür, ob er auch eine Kopfverletzung erlitten hatte. So sicher war sie sich da gerade nicht, wo er doch plötzlich so fertig und unaufmerksam war. „Hast... hast du auch etwas am Kopf abbekommen? Oder ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtshalber. Sie hatte Angst, dass sie während des Kampfes irgendetwas nicht mitbekommen hatte. Alles war so schnell gegangen. Aber als Viktoria ihn eingehend musterte, lächelte er amüsiert. „Schau mir in die Augen kleines. Wonach hältst du Ausschau? Dem Wahnsinn hinter meinen Augen? Nein, keinen auf den Kopf bekommen, ich hab mich wohl nur ausgepowert“, antwortete er ihr. Wieder schloss er erschöpft die Augen, atmete mittlerweile ruhiger und flacher. Ertappt hatte sie den Blick wieder abgewendet, was gar nicht nötig gewesen wäre. Ryan fielen schon wieder die Augen zu. Dennoch war sie erleichtert, dass er scheinbar nur extrem übermüdet war. „Gut zu wissen, das bei dir dann immer eine Schraube locker ist“, scherzte sie schwach, um sich selbst etwas zu beruhigen. Ryan machte kaum noch die Augen auf. Kam es durch den kleinen Kampf oder war er schon beim Laufen so müde gewesen? Wer weiß wie lange er nicht mehr geschlafen hatte. Allerdings war es auch für Viktoria schon kräftezehrend gewesen. Die ständige Aufregung, die langen Märsche durch den Regen mit ihrer Verletzung... Zum Glück war sie erst kurz vor Sonnenaufgang aufgestanden. Er probierte ihr ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen, was ihm nicht allzu gut gelang. „Wir haben die Typen ziemlich aufgemischt, was? Erm, Du, Viktoria? Hilf mir mal bitte eben hier raus, ja?“ Er hielt ihr seinen linken Arm, der noch in der Jacke gefangen war, hin und lehnte sich zeitgleich wieder etwas zurück. „Das hast du ganz allein geschafft,“, sagte sie leicht beschämt und bei seiner Bitte fiel ihr auf, das sie noch seine Hand hielt, worauf ein leichter Rotschimmer auf den Wangen wieder kam. Anstatt sie hastig weg zu ziehen kam sie nur seinem Wunsch nach. Vorsichtig stützte sie seinen Arm und zog ihm mit Bedacht die Jacke aus. Hoffentlich tat sie ihm nicht noch mehr weh. Er kniff seine Augen fest zusammen, als sie sich an seinem Arm zu schaffen machte, gab jedoch dabei keinen Laut von sich. Auch die nassen Sachen machten ihr Sorgen. Kurzerhand nahm sie einen der Vorhänge und wickelte es wie eine Decke um ihn. Eigentlich hätte er die Sachen besser ausziehen sollen, aber so würde es auch gehen. Hauptsache er fing sich nun nicht noch eine Erkältung ein, denn mit der Prellung wäre das bestimmt nicht angenehm. „Danke für die Stütze… Ich hab heut‘ doch ziemliche Fortschritte mit deiner Berührungsangst gemacht, was? Man hat dir ja kaum angemerkt, das ich dir unangenehm war.“ Nun war sein Lächeln nicht aufgesetzt, strahlte doch wieder etwas Wärme aus, obwohl es erschöpft und müde wirkte. Ein ein kleines Schmunzeln umspielte wieder ihre Lippen, als er sie darauf ansprach. „Ich hab schon mit den Gedanken gespielt dich fallen zu lassen, aber du hast so von unserem romantischen Abenteuer geschwärmt, da wollte ich unbedingt wissen ob du übertrieben hast“, erwiderte sie nur frech. Sein Lächeln machte ihr Mut, dass er sich schnell wieder erholen könnte und sorgte dafür das dieses dumme Ding in ihrer Brust wieder schneller schlug. Zugleich lag in dem Lächeln etwas Vertrauen erweckendes. Ein schönes Gefühl, was sich lange nicht mehr in ihr Herz geschlichen hatte, wie sie verlegen zugeben musste. Es war seltsam und irgendwie auch beklemmend zu gleich. Ohne seine Augen zu öffnen, lächelte er. „Hättest du mich mal liegengelassen. Ich befürchte, das ich zu diesem Zeitpunkt mein Wort nicht halten kann.“, sagte er und hob etwas kraftlos seine Arme, präsentierte sich damit offen. „Aber bitte, bediene dich einfach, verschon‘ nur meine linke Seite etwas“, fügte er hinzu. Grinsend öffnete er allmählich wieder seine Augen, es nahm ihm einige Versuche in Anspruch bis er seine Lider komplett erhoben hatte. Seine Worte rissen sie etwas aus den Gedanken, aber seine kleine Geste ließ sie leise auf kichern. Wäre es nicht so traurig gewesen, dann hätte sie bei dem Anblick seiner schwach erhobenen Arme und den geschlossenen Augen wohl laut los gelacht. „Oh, das macht mir nichts. Ich werde mein Bestes geben, um mich zurück zuhalten und zu warten bis du dich auskuriert hast. Alles andere wäre ja unfair“, erwiderte sie vergnügt und schenkte ihm noch ein Zwinkern, als er es tatsächlich schaffte seine Augen nochmals zu öffnen. Sein anschließendes Lächeln hatte sie trotzdem etwas durcheinander gebracht. Warum schaffte er das immer wieder mit so kleinen Dingen? Ein kleiner Teil in ihr schrie warnend auf, sie sollte ihm nicht so schnell vertrauen, es könnte ja nur schief gehen. Viktoria senkte leicht den Blick, weil es sie gerade überforderte, nun da sie keine anderen Aufgaben mehr zu erledigen hatte, worin sie sich flüchten konnte. „Wil ... willst du etwas schlafen? Du siehst müde aus. Ich kann dir beim hinlegen helfen und dann Wache halten. Vielleicht kannst du mich dann später ablösen. Ich hab dir extra ein paar Teppiche geholt damit es weicher ist“, bot sie schnell an. Ihre leichte Nervosität musste man ihr wieder anmerken, wo sie doch wieder ins Plappern geriet. Aber was besseres wusste sie gerade nicht mit sich anzufangen. Er nahm die ihm angebotene Hilfe ohne weitere Fragen in Anspruch, legte Viktoria seinen rechten Arm auf die Schulter, um sich an ihr etwas hoch zu drücken, gerade soweit das es ihm möglich war sich auf den Teppich zu setzen. Nur ein wenig zuckte sie zusammen, als er den Arm auf sie legte. Viki versuchte zumindest ein wenig mit ihren linken Arm irgendwie behilflich zu sein. Ihr unbeholfener Blick verriet dabei, dass sie nicht ganz wusste was sie machen sollte. Dementsprechend froh war sie einfach, als er nun endlich nicht mehr auf den kalte, nackten Boden saß. Er klopfte neben sich auf den Teppich, wirbelte etwas Staub auf. „Komm schon, leiste mir etwas Gesellschaft, wirklich ein exquisites Lager was du hier aufgestellt hast.“ Daraufhin biss sie sich nur kurz auf die Lippe. „Nein, schon in Ordnung. Ich hab es ja für dich geholt. Wenn ich noch was brauch dann geh ich noch ...“, doch sie kam nicht dazu sich weiter ‘rauszureden, da Ryan schon schmerzvoll das Gesicht verzog. Ryan fing an sich auf seinem Ellbogen abgestützt in den weichen Teppich sinken zu lassen, ehe er auf halben Weg innehielt, seine Mimik schmerzhaft verzehrt, als sich bei der Lageveränderung seine Rippen erneut intensiv meldeten. Viki konnte es ihm beinahe nachfühlen und zögerte nicht lange, bis sie nun doch ein wenig näher heran kroch, indem sie sich mit ihren gesunden rechten Bein weiter ab stieß. Sie schlang ihren linken Arm um seinen Körper, damit er seinen Oberkörper etwas entlasten konnte, während sie sich mit ihrer rechten Hand selbst von Boden abstützte und ihm so half sich hinzu legen. Wieder hämmerte ihr Herz hastig vor sich hin, während sie kurz auf Grund der ungewohnten Situation erzitterte. Dennoch half sie ihm vorsichtig und zog dann langsam den Arm zurück. Das hinderte sie jedoch nicht daran sich etwas schneller aufzurichten und ich leicht abzuwenden. Sie zog ihr gesundes Knie zu sich, legte ihre Arme darum und lehnte kurz den Kopf daran. Verlegen versuchte sie wenigstens ihr Herz zu beruhigen. Es war nichts passiert, es wird nichts passieren. Ryan ist in Ordnung und er hatte ihr auch schon geholfen. Es gab keinen Grund nervös zu werden. Am liebsten hätte sie sich kurz in die andere Ecke des Raumes verzogen, aber das wäre ja noch peinlicher gewesen. Ganz davon abgesehen, das die Schmerzen gerade noch erträglich waren, wenn sie das Bein nicht bewegte und ihre Beine sie vermutlich eh nicht mehr tragen würden. Aus den Augenwinkeln sah sie beschämt zu den müden Soldaten. Sie hatte ihn erst vor einigen Stunden kennengelernt und doch hatte sie ihn zu einen ihrer liebsten Verstecke geführt. Wenn sie ihn so ansah, dann konnte sie einfach nichts Böses in ihm erkennen. Hoffentlich würde sich das Vertrauen nicht irgendwann grausam rächen. Eigentlich hatte sie vorhin geplant zu ihrem nächsten Versteck zu gehen, sobald er schlief. Aber seit dem war wieder so viel passiert und sie war selbst so fertig, das sie selbst nicht glaubte, dass sie es bis dahin schaffte. Was konnte schon passieren? Ryan konnte sich nicht einmal alleine bewegen, ohne das er vor Schmerz das Gesicht verzog. Es bliebt ihr ja eh nichts anderes übrig, als das Beste zu hoffen. Ryan blickte Viktoria unter halb geöffneten Lidern hinweg an, schmunzelte müde bei dem Anblick seiner nun zusammengekauerten Begleitung. „Wir machen richtige Fortschritte, was hab ich dir versprochen?“, sagte er sanft. Fortschritte nannte er es. So wie sich benahm kam sie sich vor wie ein vertrotteltes Kind. Warum konnte sie sich nicht zusammenreißen? Als Viktor hatte sie doch damit meist weniger Probleme, warum war es in seiner Gegenwart nun so schwer? Viktoria wusste nicht was sie Ryan antworten sollte. Ihr ging gerade so viel gleichzeitig durch den Kopf. Er erinnerte sie an ihre früheren Freunde, dachte an die vielen Bekanntschaften auf der Straße und die ganzen Verletzungen die sie sich dadurch eingefangen hatte, erinnerte sich wie sie Ryan heute morgen zum ersten mal gesehen hatte, wie ihre Freunde einer nach den anderen gestorben waren, wie Ryan ihr Bein versorgte - zwei mal sogar, daran wie ihr die Schulter aufgeschlitzt wurde, wie jemand sie zurück gelassen hatte und sie daraufhin von einer Gang verprügelt wurde, daran wie sie mit Ryan am Tisch geflirtet und wie er für sie gekämpft hatte und an einen durchlebten Alptraum, den sie zu verdrängen versuchte. Sie fuhr sich kurz durch die Haare und krallte sich mit den Fingern fest, während sie die Augen zusammen kniff und sich eine Träne aus den Augenwinkel stahl. „Ich würd‘ gern wissen was dir da gerade durch den Kopf geht. Du siehst aus als hättest du gerade eine tote Beutelratte aus der Kanalisation gefischt, anstatt mir runter zu helfen, dabei bin ich doch noch recht lebendig“, hörte sie ihn sagen. Sein Schmunzeln wurde kurzzeitig von einem weiteren Husten abgelöst, das aber nicht dieselbe Intensität wie das vorhergegangen erreichte. „Es tut mir leid“, hauchte sie nur mit leicht zittriger Stimme. Das Ganze überforderte sie und mehr brachte sie einfach nicht über die Lippen. Nicht mal sein kleiner Vergleich mit der Ratte konnte sie ablenken. Im Gegenteil, dies und der Husten zeigten ihr auf was das Problem war: Sie mochte ihn. Es war so simpel, dass sie darüber bitter Lächeln musste. Es war ihr nicht mehr egal, was mit ihm passierte. Sie kannten sich nur wenige Stunden, aber es war ewig her, seit sie mit jemanden so reden konnte. Doch noch immer nagten an ihr die Zweifel, selbst als er schon mehrfach bewiesen hatte, das man sich auf ihn verlassen konnte. Was wenn sie zusammen blieben und er starb? Sie hatte schon so viele Freunde grausam sterben sehen. Durch den Virus und durch andere Menschen. Sie wollte nicht noch eine mit Blut überströmte Leiche eines Freundes in den Händen halten. Je länger sie sich kennen würde, desto schlimmer wäre es. Und was wenn er sie nun doch irgendwann verriet? Diese Enttäuschung hatte sie ebenfalls mehrfach erfahren. Das gebrochene Herz war dabei schlimmer als die Schmerzen, die nach den Verletzungen folgten. Der Moment, in dem ihr der Vertrauensbruch bewusst wurde, hatte sich tief in ihre Seele gebrannt. War es besser wieder alleine los zu ziehen? Das ging auch nicht. Im Moment waren sie auf einander angewiesen. Ihr Atem ging etwas flacher und weitere Tränen suchten sich still den Weg hinab. Seine Andeutung zu den Späßen am Morgen holten sie Stück für Stück aus ihren kleinen Gedankengefängnis raus. Was tat sie da? Sie würde ihm nur noch mehr Sorgen machen. Sie konnte jetzt eh nichts anders tun, als alles auf sich zu kommen zu lassen. Das einzige was zählte war, das Ryan ihr nichts tun würde. Ansonsten hätte er sich doch die Versorgung gleich gespart. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag und mit ein paar tiefen Atemzügen auch ihre Gedanken. Mit den Ärmel wischte sie nun auch die Tränen weg. Die Chancen standen gut, dass Ryan die Augen selbst wieder geschlossen hatte und es nicht sah, das sie geheult hatte. Er brauchte Ruhe, er hatte scheinbar tagelang nicht geschlafen. Es war egoistisch sich hier so aufzuführen. „Nun hast du es doch noch geschafft mich Wort wörtlich flachzulegen, und ich nächtige nach ein paar schlaflosen Nächten mit einem hübschen Mädel, wer hätte das am Anfang dieses Tages vorhersehen können?“, sagte er leise. „Das Flachlegen hab ich mir aber anders vorgestellt“, antwortete sie nun schließlich. Sie drehte leicht den Kopf zu ihm und brachte ein entschuldigendes Lächeln zu Stande. Ihre Wimpern glitzerten noch etwas, durch die einzelnen Tropfen die hängen geblieben waren. Er grinste schwach, sah noch einen Augenblick lang zu Viktoria auf, ehe er seinen Kopf auf dem zusammengerollten Teppich ablegte und seine Augen wieder schloss. „Falls du dich doch noch dazu entscheiden solltest deine Dolche zu benutzen, pass‘ bitte mit meinen Medikamenten auf, sind ein paar dabei die du dir nicht einfach so spritzen solltest.“ Sein Lächeln signalisierte das er dies nicht ernst meinte, auch wenn das Szenario vielleicht nicht allzu weit hergeholt war und Ryan nicht besorgt klang. Seine Atmung ging bereits merklich langsamer, seinem Oberkörper sah man bereits kaum noch das stetige heben und senken an. „Weck mich wenn ich dich ablösen soll, oder wenn dir meine schreckliche Gesellschaft fehlt, manchmal kann so eine lockere Schraube ja doch recht unterhaltsam sein.“ Seine Worte waren bereits nur noch ein leises Murmeln, eine Hand hatte er auf seine linke Seite gelegt, trotz des Schmerzes driftete er bereits langsam in einen unruhigen oberflächlichen Schlaf ab. „Ich hab jedoch auch nicht gedacht, das ich je wieder jemanden wie dich treffen würde“, gab sie erst jetzt leise zu, wo er fast schon schlief. Den Rest sollte er sich denken. Vermutlich würde er zu viel in den Satz hinein interpretieren, aber Viki war das nun egal. Sie war schon froh überhaupt was sagen zu können. Selbst wenn es ein Scherz war, so konnte sie seine nächsten Worte nicht im Raum stehen lassen. „Ich werd‘ dir nichts tun“, versprach sie ernst, als sie beobachtete wie er langsam einschlief. „immerhin bist du ganz erträglich...“, fügte sie leise hinzu. „eigentlich sogar ganz nett“, flüsterte sie nun ihrerseits, auch wenn sie nicht wusste ob er die letzten Worte noch mitbekommen hatte. Es kam keine Antwort mehr und sein Atem ging nun regelmäßiger. Scheinbar schlief er nun schon tief und fest. Sie drehte sich wieder etwas zu ihm und beobachtete ihn nun einige Zeit. Er murmelte etwas unverständliches und sie fragte sich, ob die Worte an sie gerichtet waren. Wahrscheinlich träumte er und wer weiß was das für Träume waren. Dabei versuchte sie selbst einfach an nichts zu denken, was sogar eine Weile klappte. Viki rieb sich kurz die Augen. Ihn so zu sehen machte sie selbst todmüde. Vermutlich waren ihre Gefühle deswegen so aus ihr heraus gebrochen. Die ganze Aufregung steckte ihr immer noch in den Knochen und vermutlich würde sie morgen einen großen Muskelkater in den Beinen haben. Das es bei ihrem schmerzenden Knie noch weiter auffiel, bezweifelte sie dennoch. Ryan schien es auch nicht besser zu gehen mit seinem verletzten Oberkörper. Besonders der Schlag auf die Prellung musste schon übel gewesen sein. Sicherlich war er von den beiden noch schlimmer dran. Viktoria schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Sie stellte sich so an und er schien es einfach zu ertragen. Während sie daran dachte wanderte ihr Blick über seinen Körper. An der Stelle wo sein Hosenbund unter der Decke sein musste verharrte kurz ihr Blick. Er trug doch noch immer die Waffe oder nicht? Sie konnte sich zumindest nicht erinnern, dass er die Pistole nach ihrer Ankunft abgelegt hatte. Sie richtete sich nun weiter auf und sah sich in der näheren Umgebung um, konnte aber nichts erkennen. Daher trug er sie vermutlich noch immer. Irgendwie jagte ihr der Gedanke einen kalten Schauer über den Rücken. Ihre Abscheu vor Schusswaffen konnte sie sich selbst nicht ganz erklären, wo sie doch selbst nicht zögerte Leute mit ihren Messern zu verletzten. Sie biss sich auf die Unterlippe. Sollte sie den Revolver eben zur Seite legen, bevor noch was passierte? Andererseits hatte er die Waffe doch gesichert. Jedoch war es auch unbequem wenn er sich darauf legte. Kurz legte sie die Stirn in falten und presste die Augen zu. Zumindest sie würde sich besser fühlen, wenn das Ding sicher in der Nähe lag, wenn es nur nach ihr ging, dann auch gerne etwas weiter weg. Es dauerte sicher nochmal eine Viertelstunde bevor sie sich den Mut fand sich über ihn zu beugen. Nervös sah sie zu seinem Gesicht, aber er schlief. Natürlich schlief er. Sie schüttelte den Kopf und konzentrierte sich die Decke unbemerkt etwas weg zu ziehen. Immerhin wollte sie ihn nicht wecken, aber vermutlich würde sie das nun auch nicht mehr schaffen. Erneut lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihre kleine Aufgabe. Als die Decke weg war sah sie schon die Umrisse der Waffe, die sich unter seinem nassen Hemd abzeichneten. Immer wieder sah sie zu ihm hoch, bevor sie vorsichtig sein Hemd hoch schob, dass einen Teil der Verletzungen preis gab. Das Feuerwerk aus Farben, dass seinen Körper zierte ließ sie schmerzvoll das Gesicht verziehen. Es war ja sogar schlimmer als sie befürchtet hatte. Mitleidvoll sah sie nochmals zu seinem Gesicht. Es war wirklich kein Wunder das er zusammengeklappt war. Mit einem Seufzen zog sie nun behutsam die Waffe aus der Hose, aber nicht ohne knallrot anzulaufen. Zum Glück schlief er, was sie sich in Gedanken immer und immer wieder selbst versichern musste. Endlich war es frei und hastig sowie leise legte sie den Revolver über das provisorische Kopfkissen. Erleichtert stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Nun zog sie noch sein Hemd wieder leicht runter und dann müsste sie nur noch - plötzlich zuckte sie zusammen. Er hatte sich im Schlaf bewegt und begann unruhig den Kopf von der einen Seite auf die andere zu werfen. Panik machte sich kurz in ihr breit. Hatte sie ihm irgendwie weh getan? Nein, er schien einen Alptraum zu haben. Wer hatte das in diesen Zeiten auch nicht? Viki verharrte kurz mitten in der Bewegung, bis sie sich wieder sicher fühlte. Erst danach zog sie die Decke bis zu seinen Schultern hoch. „Es ist alles okay. Ich bin hier. Du bist sicher. Ich pass‘ auf dich auf“, murmelte sie leise und hoffte das einige Worte bis zu ihm durchdrangen. Tapfer strich sie sogar eine Strähne von seiner nassen Stirn und legte ihre Hand auf seine. Irgendwie schien es ihn auf Dauer wohl zu beruhigen. Erst als sie sich sicher war, das er tief und ruhig schlief ließ sie sich selbst nach hinten auf ihre Ellenbogen fallen. Auch wenn sie die Ruhe genoss und nun die Decke anstarrte, wurde ihr etwas langweilig. Schon damals hatte sie das Wache halten immer gehasst. Sie ließ den ganzen Tag noch mal Revue passieren. War das wirklich alles an einem Tag passiert? Es kam ihr irgendwie vor wie mindestens drei. Ein besonders breites Grinsen legte sich auf ihr Gesicht, als sie an die Verabredung zu ihrem Date dachte. Das hatte wirklich Spaß gemacht und es hatte sie wie damals an gefühlt, als die Welt noch in Ordnung war. Danach fiel ihr wieder ein wie sie das Nirvana Album gefunden hatte. Viki seufzte sehnsüchtig und richtete sich kurzerhand wieder gerade auf. Sie neigte ihren Kopf und erhob ihre Arme, als würde sie ihre Geige wieder in den Armen halten. Dann fing sie an die Bewegungen nachzuahmen und ihre Luftgeige zu spielen. Als erstes spielte sie „Smells like Teen Spirit“. Sie Melodie hallte dabei so lebhaft in ihrem Kopf wieder, als würde sie die Töne wirklich spielen. Aber der kleine Spaß dauerte nicht lange, dennoch wollte sie nicht aufhören und spielte noch „My Immortal“ von Evanescence wobei gleichzeitig der Text des Originals in ihrem Kopf mit schwirrte. Seufzend ließ sie die Arme sinken. Die Musik war wirklich ein großer Teil ihres Lebens gewesen und nun war er vollkommen verschwunden. Etwas melancholisch betrachtete sie wie sich Ryans Brust regelmäßig hob und senkte. Seine leisen Atemzüge hatten etwas tröstendes an sich. Fast hypnotisiert beobachtete sie das Schauspiel. Viki ertappte sich dabei, wie sie ein paar mal erschöpft die Augen schloss. Sie sollte doch nicht einschlafen! Jedoch, was konnte sie schon groß machen? Normalerweise ging sie etwas umher, schnitzte irgendwelche Tiere, die sie dann selbst nicht mal mehr erkannte oder beschäftigte sich anders. Doch sie war einfach zu müde und lustlos um irgendetwas zu tun. Genervt von sich selbst rieb sie sich abermals die brennenden Augenlider. Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb an ihrem Rucksack hängen, der unerreichbar Fern - circa zwei Meter - neben ihr stand. Aufstehen konnte und wollte sie nicht, um ihn zu holen. Da kam ihr eine Idee. Sie nahm die Gardinenstange zur Hand, die sie als Stütze verwendet hatte und fischte so nach dem Riemen. Es klappte sogar und schon bald hatte sie den Rucksack in den Armen. Sie kramte die Wasserflasche raus und trank einen Schluck, des muffigen Gesöffs. Es hatte draußen geregnet, bestimmt fand sie nun besseres Wasser. Während sie es so anstarrte bemerkte sie, wie ihr Hemd noch immer an ihr klebte. Sie könnte den Rest benutzten um sich frisch zu machen, überlegte sie. Dafür müsste sie aber in den anderen Raum, worauf sie ebenfalls keine Lust hatte. Ihr Bein tat so schon weh genug, da musste sie nicht unnötig noch mehr Schmerzen verursachen. Also wurde das wohl nichts daraus. Ein bisschen enttäuscht über diese Erkenntnis, ließ sie leicht den Kopf hängen. Es sei denn... Unheilvoll sah sie aus den Augenwinkeln wieder zu dem Soldaten, der sich noch immer im Tiefschlaf befand. Er hatte selbst gesagt, dass er tagelang nicht mehr geschlafen hatte, da würde er bestimmt die nächsten Stunden nicht mehr aufwachen. Aber konnte sie das wirklich riskieren? Eben noch war sie emotional zusammengebrochen, weil sie ihm geholfen hatte sich hinzulegen. Was wenn er doch aufwachte? Jedoch war dieses klebrige Gefühl auf der Haut einfach ekelhaft. Gegen schnelle Katzenwäsche sprach doch nichts oder? Zudem würde sie sich danach besser und auch wacher fühlen! Zögerlich holte sie zwei Waschlappen raus. Einen blauen, den sie für Haare und Gesicht benutzte, sowie einen bunten für den Rest des Körpers. Etwas eitel war sie auch bei diesen miserablen Hygienestandards. Sie benetzte den blauen zuerst mit etwas Wasser und wusch sich den Nacken und ihr Gesicht. Schon wieder zuckte sie plötzlich zusammen, als Ryan gerade jetzt nervös träumte. Sie drehte sich leicht zu ihm um und sah den Schweiß auf seiner Stirn. Kurz biss sie sich auf die Lippe. Ob es ihn aufwecken würde wenn sie...? Sie verdrängte alle weitere Gedanken, als er unruhiger wurde. Einen Versuch war es ja wert. Sie träufelte nochmals etwas Wasser auf den blauen Waschlappen und tupfte dann vorsichtig über seine Stirn und Wangen, als er sich zur Seite drehte sogar über seinen Nacken. Dabei hielt sie nochmal seine Hand. „Es ist alles okay. Ich werde auf dich aufpassen. Du bist nicht allein“, versprach sie abermals. Es wirkte wieder recht schnell und weckte ihn anscheinend nicht auf. Ihre Sorge war also unbegründet gewesen. Sie zögerte kurz, drehte ihm aber dann den Rücken zu und begann dann mit leicht klopfenden Herzen ihr Hemd auf zuknöpfen. Wieder wartete sie einen kurzen Augenblick, zog es aber dann doch aus und legte es zu Seite. Sie lauschte kurz, konnte aber nichts verdächtiges hören. So tränkte sie den anderen Waschlappen mit Wasser und fuhr damit über ihre Arme. Wohliges summen entfuhr ihrer Kehle, als sie zusätzlich genüsslich die Augen schloss. Es tat einfach gut den Dreck los zu werden. Die Haut an den Schultern und Armen begann von dem Wasser zu glänzen. Es war ja nicht nötig sich abzutrocknen, es würde auch an der Luft schnell verdunsten. Auch über den Rücken und flachen Bauch fuhr das nasse Tuch. Dann geriet sie jedoch ins Stocken. Wenn sie ehrlich war, hatte sie die Bandagen lange nicht mehr abgenommen und leicht juckte es doch auch etwas. Sie presste die Lippen zusammen und lief bei den nächsten Gedanken schon rot an. Das konnte sie doch erst recht nicht wagen! Vorsichtig drehte sie den Kopf zu den Schlafenden. Er würde nicht mal mitbekommen was sie tat. Immerhin lag er fast schon im Koma. Beschämt sah sie an ihren Leinenfetzen hinab, der sie förmlich einsperrte. Mit geschlossenen Augen, betete sie einfach nur, das er schlief, während sie die Sicherheitsnadel löste. Eilig wickelte sie nun die Verbände von ihrem Oberkörper und rollte sie in der Hand sofort auf. Das Ergebnis war ein unsagbares Gefühl, nun wo der Verband sie nicht mehr einengte. Sie atmete tief durch, als sie die Luft auf nackter Haut spürte. Kurz dachte sie an Ryan, der hinter ihrem Rücken lag. Ein warmes, prickelndes Gefühl durchfuhr ihren ganzen Körper, als sie daran dachte. Sie konnte ein verlegenes Kichern kaum unterdrücken und wurde abermals etwas rot. Wieder nahm sie den nassen Stofffetzen zur Hand und wusch sich den blanken Rücken. Tausender kleiner Tröpfchen ließen die samtartige Haut des Rückens glitzern. Ein Tropfen suchte sich den Weg die Wirbelsäule hinab und verschwand an einen unverschämten Ziel. Danach begann Viki sich auch den Rest es Oberkörpers zu widmen. Gründlich wusch sie sich ihre Rundungen. Allein die Möglichkeit das Ryan sie beobachten könnte, verpasste ihr dabei eine Gänsehaut. Noch schaffte sie ein Keuchen zu unterdrücken. Verlegen dachte sie daran, das sie nun auch weiter gehen könnte. Sie würde sich auch beeilen, schwor sie sich selbst. Aber ihr Herz schlug ihr jetzt schon bis zum Hals. Sie holte einmal tief Luft, atmete dann etwas flacher, als sie sich nun auch zögerlich den Rest entledigte und sich auf ihr gesundes Bein hinkniete. Der Waschlappen fuhr über ihre Oberschenkel und auch über ihren prallen Hintern. Ihre Lippen bebten vor Aufregung, als sie nun den feuchten Stofffetzen zu der letzten Stelle führte und sich gründlich wusch. Dieses mal konnte sie ein erregtes Keuchen nicht unterdrücken. Am liebsten hätte sie nun beendet was sie angefangen hat, aber die Furcht doch bald erwischt zu werden ließ sie erzittern. So endete abrupt ihr Spiel und sie zog sich langsam und widerwillig wieder an und wickelte ihre Weiblichkeit erneut sorgfältig ein und verkleinerte die Erscheinung doch erheblich. Aus dem Rucksack zog sie das einzige Hemd, was sie sonst noch hatte. Es war blau und zwei Nummern zu groß, jedoch war es sauberer als das weiße. Endlich war sie wieder gänzlich frisch und fühlte sich wirklich besser. Ein unanständiger Rotschimmer war auf den Wangen geblieben, als sie nun wieder zu Ryan sah. Hoffentlich konnte sie ihm später in die Augen sehen ohne wie ein Schulmädchen zu kichern. Seufzend setzte sie sich neben ihn und sah zur Decke. Sie war zwar frisch, aber nun verging auch das Adrenalin vom kleinen Kick. Noch immer war sie müde. Die Stille half da auch nicht viel weiter. Ab und zu fielen ihr nun die Augen wiederholt zu. Wie lange hielt sie nun Wache? Bestimmt nur einige Stunden, auch wenn es für sie eine Ewigkeit war. Seufzend stütze sie sich auf die Ellenbogen und lag nun fast neben ihm. Nervös war sie erstmal nicht. Er schlief ja immer noch. Die Augen wurden ihr so schwer... sie konnte bestimmt kurz ebenfalls den Teppich auskosten. Nur ein, zwei Minuten... So ließ sie sich gänzlich neben ihn fallen und schloss die Augen. Es war wirklich weich... so angenehm... Ihr Atem passte sich dem seinen an. Es dauerte nicht lang, bis sie selbst eingeschlafen war. Eine Zeit lang lag Viktoria ruhig neben ihm, aber auch sie begann leise im Schlaf zu reden. Es waren nur ein paar Namen, Bruchstücke ihrer Erinnerung, vermischt mit anderen Traumbildern. Manchmal schien sie zu zittern, unruhig den Kopf hin und her zu wenden. Es war ein seltsamer Traum, schon lange hatte sie keinen solchen Traum mehr gehabt. Zudem schien sie dabei näher an Ryan zu rücken. Die erste Zeit bestand aus einem traumlosen Schlaf, aber bei ihr schlichen sich bald verschiedene Bilder hinein. Sie war auf einem Konzert mit ihren Freunden. Zu den harten Rock-Klängen hüpfte sie mit Leon Seite an Seite in der Menge. Sie sangen den Text mit, warteten gespannt auf das nächste Lied, das etwas ruhiger war. Viki lehnte sich an die Brust ihres Freundes, der die Arme um sie schlang. Es war so warm, so geborgen. Hier wollte sie für immer sein. Sie hörte Geigentöne und stand plötzlich selbst auf der Bühne. Aufgeregt legte sie los, spielte in ihrem Kopf drei Lieder gleichzeitig. Im Publikum waren ihre Freunde, ihre Familie. Sie spielte weiter, ließ dabei den Blick über die Menge streifen. Da! Selbst Ryan war gekommen. Viki schenkte ihm ein breites Grinsen, als sie einen Moment nur für ihn spielte. Andere Bilder tauchten auf. Es war Weihnachten, das letzte Weihnachten. Als sie durch den Schnee stapften und ihre Oma besuchten, hatte Viki gesagt, dass sie mal einen Schal bräuchte. Am selben Abend hielt sie ein grün-verpacktes Geschenk in den Händen. Als sie es auspackte war der rote, flauschige Schal drin, den sie sich gewünscht hatte. Viki fiel ihren Eltern um den Hals, gab dann ihren Geschwistern die Geschenke. Gleichzeitig packten sie weiter aus und ihre Gesichter strahlten. Plötzlich war es Frühling und Viki war wieder Neunzehn. Sie war mit Leon im Zoo, schlenderten verlegen nebeneinander her. Sie hatten sich oft getroffen, aber Viki konnte ihm noch nicht sagen was sie fühlte. Sie beschlossen eine Pause zu machen und gingen den den japanischen Garten. Am Teich setzten sie sich hin, wo ihr Leon eine Feenkette schenkte. Die hatte er im Urlaub für sie mitgebracht. Er legte sie ihr um den Hals, sah ihr tief in die braunen Augen und küsste sie zum ersten mal. Sie war so glücklich. Im nächsten Moment stand sie wieder auf der Bühne und sah zu Leon herab. Die Menge wurde still, das Publikum unruhig. Was war los? Viki konnte nichts erkennen. Sie sah zu ihrer Familie. Der kleine James fing an sich zu Kratzen, genauso wie Eli. Sie kratzen sich blutig und ihr Fleisch verfaulte langsam. „Nicht, nein! Eli, James,... hört auf...!“, im Traum schrie sie ihnen die Worte entgegen, doch in der Realität fing sie an es leise im Schlaf zu murmeln. Auch ihr Atem ging schneller und ihre Stirn legte sich in Falten. Doch der Traum ging weiter: Viele Menschen in der Menge kratzten sich plötzlich. Im Zeitraffer verfaulten ihre Leiber. Selbst ihre Eltern blieb nicht verschont. „Nein, bitte... ihr dürft nicht... lasst mich nicht allein...“ Sie ließ die Geige fallen, die in Tausende Splitter zerbrach, sprang zu ihnen hinab, doch bevor sie die beiden erreichte, waren sie gänzlich zerfressen. Schockiert starrte sie auf den Fleck, wo sie gestanden hatten. Tröstende Arme legten sich um sie. Viki kuschelte sich hinein, während sie weinte. Leon streichelte beruhigend über den Rücken. Oder war es Ryan? Nein, es musste Leon sein. Als sie aufsah, waren sie bei Sebastian Zuhause. Ihre Gruppe saß gemütlich bei Pizza zusammen, während sie sich mit den Videospielen abwechselten. Sie lachten und scherzten. Mit Sebastian lieferte sie sich wieder ein anzügliches Wortgefecht, während Leon wie immer grummeln daneben saß und leicht besitzergreifend den Arm um sie legte. Dennoch machte sie weiter und diskutierte mit Ryan - nein, halt - mit Sebastian darüber, was sie für einen neuen Computer mit ihm anstellen würde. Christina ließ den Controller fallen. Verwirrt sahen sie ihre Freundin alle an. Mit entsetzten stellten sie fest, das die Hände nur noch Knochen waren. Christina schrie vor Schmerz. Leon zog Viki hoch, weg von ihr, weg von Sebastian, dessen Gesicht sich langsam auflöste. Sie rannten aus der Tür standen mitten auf der Straße. Auch Vanessa war weg, aber Xander stand neben ihnen. Sie sollten vorsichtig sein, hier wäre die Grenze zu einem Bandengebiet. Sie hörten Schritte, sie mussten weg! Schnell! Sie rannten durch finstere Gänge, dunkle Gassen und plötzlich standen ein paar Leute vor ihnen. Sie hatten Schläger und Messer dabei. Ryan drängte Viki hinter seinen Rücken. Im nächsten Moment war es wieder Leons Rücken, hinter dem sie sich verkroch. Leon zog seine Pistole, doch er war zu langsam. Sie wurde aus der Hand geschlagen. Er wurde von einem Kantholz ins Gesicht getroffen und ging zu Boden. „Leon“, wimmerte Viki leise. Die Männer prügelten und traten auf ihn ein. „Hört auf!“ flehte sie leise, doch nun sahen sie Viki seltsam an, kamen näher. Sie stolperte ein paar Schritte zurück, wollte schreien, doch sie war wie gelähmt. Plötzlich hörte man ein Schuss und der erste von ihnen sackte zu Boden. Leon war wieder aufgestanden und hatte die letzte Kugel die sie hatten verbraucht. Der Andere griff nun Leon wieder mit zwei Messern an. Leon konnte im Gerangel eines abnehmen, bekam dafür das andere zwischen die Rippen. Leon rächte sich, stach dem Angreifer in den Bauch und schließlich in den Hals, sodass er tot zusammen klappte. Schlagartig waren sie in dem Haus, in das sie Leon danach gebracht hatte. Sie kniete über ihn, presste beide Hände auf seine Wunde, doch das Blut quoll ihr zwischen den Fingern hindurch. „Alles wird wieder gut... alles wird wieder gut...“, versuchte sie sich einzureden. Er hustete stark und spuckte Blut. Sie wusste das seine Lunge durchbohrt war. „Du kannst mich nicht allein lassen... ich schaff das nicht...“ Mit all ihrem Gewicht drückte sie auf die Wunde. Er sprach zu ihr. Sie solle tapfer sein, sie solle auf sich aufpassen, dass er sie liebt. Leons blauen Augen wurden trüb, sein Atem stoppte abrupt. Viki schüttelte den Kopf, drückte noch immer auf den toten Körper, während sich ihre Tränen mit seinen Blut vermischten. „Bleib bei mir...“, wimmerte sie. Erst Minuten später gab sie auf, nahm Ryans noch warmen, toten Körper in ihre Arme und weinte bitterlich. „Ryan...“ immer wieder hauchte sie den Namen. Aber sie war allein. In dieser grausamen Welt war sie auf sich allein gestellt. Sie spürte Nikos Hand auf der Schulter. Nun war sie wieder auf der Straße, hockten an einer Ecke und suchten nach Essen. Vorsichtig sah sie um die Häuserwand, doch die Straße war frei. Sie gab Niko ein stummes Zeichen und zusammen schlichen sie so schnell es ging in das nächste Haus. Hier waren sie schon einige Male gewesen. Wie immer teilten sie die Beute auf und aßen sofort etwas. Sie konnte den Typen eigentlich ganz gut leiden, er besaß eine Pistole und kannte sich ebenfalls in den Gebiet aus. Sie konnte sich auf ihn verlassen und nach langer Zeit wieder in Ruhe schlafen. Noch bevor sie aufgegessen hatten, betraten einige Gestalten das Haus. Sofort flüchtete sie wortlos mit Niko über die Feuerleiter. Sie sprangen das letzte Stück hinab, wobei sie ungünstig aufkam. Ein stechender Schmerz im Knöchel verriet ihr, das sie den zumindest verstaucht, wenn nicht sogar angebrochen hatte. Panisch sah sie sich um, rannte so gut es ging weiter. Hinter ihr wurden die Stimmen laut. Niko rannte in die nächste Gasse, sie kam nicht ganz hinterher, aber er sah sich auch nicht um. In der Gasse war eine Mauer, die Niko ohne Probleme hoch sprang. Für sie wäre das Hindernis mit gesunden Knöchel auch kein Problem gewesen, doch nun schaffte sie es nicht. „Hilf mir“, flehte sie eilig. Doch Niko sah nur zögernd von der Mauer hinab. Die Schritte und Stimmen kamen näher. „Niko Bitte, ich kann das nicht...“, sie streckte die Arme nach ihm aus, aber noch immer sah Ryan nur auf sie hinab. Ihr Knie schmerzte, obwohl er es gut versorgt hatte brannte es wie die Hölle. Sie drehte sich um, sah schon die Bande hinter sich. „Bitte... Ryan! Lass mich nicht zurück...“, flehte sie abermals, während sie in seine Augen starrte. Dann verschwand er plötzlich auf der anderen Seite der Mauer. „Du egoistisches Schwein! Ich hab dir vertraut!“, schrie sie aus aller Kraft. Er war weg. Vor Angst zitternd drehte sie sich um und wurde sofort von einigen Händen gepackt. Sie zerrten an ihr, entrissen ihr den Rucksack. Sie wehrte sich, zog die Dolche und stach in einen Oberschenkel. Irgendwer schrie und sie fingen an auf sie einzuschlagen. Vor Schmerz stöhnend ließ sie die Waffen fallen, spürte noch mehr Fäuste die gegen ihren Kopf prallten und sie langsam benommen wurde. Schläge pressten die Luft aus ihren Lungen. Tritte in den Bauch und Rücken ließen sie aufschreien. Irgendwann hatten die Jungs keinen Spaß mehr daran. Sie diskutierten ob sie Viki zu ihren Vergnügen mitnahmen. Doch der blutende Typ war dagegen. Auf die kranke Nutte könne er verzichten, sagte er. Dann waren sie weg. Sie hatten alles mitgenommen was von Wert gewesen war und sie im Dreck zurück gelassen. Vor Schmerz und Enttäuschung weinte sie lange. Sie konnte sich nicht bewegen. Erst als es dunkel wurde fand sie die Kraft sich aufzurappeln. Warum hatte Niko das getan? Er hätte sie nur hoch ziehen müssen. Warum hatte er sie zurück gelassen? Wie konnte man so kaltherzig sein? Was hatte sie Ryan getan, dass er sich so verhielt? Plötzlich waren sie wieder im Konzertsaal. Ryan stand über ihr, während sie noch am Boden lag. Er hielt ihr helfend die Hand hin. Ohne ihm in die Augen zusehen, ließ sie sich aufhelfen. Noch immer hielt sie den Blick gesenkt. Doch er legte ihr die Hände auf die Schultern und streichelte darüber, wie in dem Haus, wo sie sich ausgeruht hatten, als er versuchte sie abzutrocknen. Sie fragte ihn, was nun passieren würde. Doch Ryan lächelte nur. 'Willst du das nicht selbst herausfinden?', fragte er mit frechen Schmunzeln. Er zog sie näher an sich ran, legte die Arme um sie. Vikis Herz schlug schneller, als sie ihr Gesicht an seinem Hemd vergrub. Sie konnte seine Wärme spüren, es war so angenehm. „Ich hab Angst“, gestand sie ihn flüsternd. 'Manchmal ist etwas Vertrauen das Risiko wert', wiederholte er seine Worte aus dem Haus von heute morgen. Diese Worte schwirrten noch einige male im Kopf, bis sie langsam wieder aufwachte. „Tut mir Leid, nett, eigentlich, treffen, gedacht…“ Ryan konnte nicht mehr unterscheiden, ob er die Wortfetzen noch hörte oder bereits träumte. Sie klangen traurig? Voller bedauern? Er konnte es nicht sagen, konnte nicht einmal den Zusammenhang der Worte genau folgen. Seine Augen bewegten sich schnell hinter seinen geschlossenen Augenlidern. Hin und wieder murmelte er etwas undeutlich im Schlaf. Waren die Worte überhaupt in der Gegenwart gesprochen? Oder waren es Worte die er vor langer Zeit gehört hat? Oder erst noch hören würde? Hielt er sich gerade in all den Zeiten auf und gleichzeitig in keiner? Er sah erneut Lloyd in die Augen, dem ersten seiner Einheit, der dem Virus zum Opfer fiel, als er ihm die Überdosis des Schmerzmittels verabreichte. Hörte den Radetzky-Marsch in seinen Ohren widerhallen als er Frank im selben Takt immer wieder den blutigen Brustkorb mit seinen Händen komprimierte und das Rennen um sein Leben dennoch verlor, nur um dann in seine eigenen Augen zu sehen anstatt in die von Frank. Sein eigener lebloser Körper lag nun hinter der Mauerwand, wo sie sich vor dem ständigen Gewehrfeuer verschanzt hatten. Omen? Oder das schlechte Gewissen? Plötzlich war er über Roland gebeugt, oder war es Viktoria? Lehnte mit seinem Gewicht auf dem verfluchten Messer, während mit Schweiß vermischte Tränen auf ihn/sie runtertropften, während das Rolltor langsam hochrollte. Dahinter kam ihm der Leichnam von ihrem morgendlichen Rast entgegen... In der Gegenwart, lag Ryan weiterhin auf dem Teppich, warf seine Kopf ab und zu von einer auf die andere Seite, eine verzerrte Grimasse auf seinem Gesicht. Schweiß saß ihm auf der Stirn, war er nun drei Tage erfolgreich vor seinen Träumen geflohen, holten sie ihn dennoch wieder ein. Doch seine Träume wurden ruhiger, schien Viktorias Nähe ihn merklich zu beruhigen. Träume von besseren Zeiten, geschäftiges Treiben auf den Straßen, Ryan verabschiedete sich von seiner Familie als er außerhalb der Hauptstadt stationiert wurde. Einmal sah er die Gestalt einer zierlichen Frau, den Rücken zu Ryan gedreht, sie schien nackt. Samantha? Nein… War es Viktoria? Bilder eines jüngeren Ryan der mit seinem noch jüngeren Bruder tobte, ehe er wuchs und ein jüngerer Mann wurde, Blut lief aus seinem Mundwinkel, er lächelte Ryan an. Danach war er wieder mit Viktoria an der Straßenecke, er kam zu spät, der Schatten kam um die Ecke, die bereits gehobene Waffe war als erstes zu sehen, ehe der Rest des verfaulten Leichnams um die Ecke kam, das eingefallene und verfaulte Gesicht zu einem stummen Schrei geformt. Ryan schreckte aus seinem Traum hoch. Wo war er? Alles war Dunkel um ihn herum, schlief er etwa doch noch? Ein Arm war um ihn gelegt. Langsam erinnerte er sich was geschehen war, entwand sich mit einem Schmunzeln vorsichtig aus Viktorias Arm. Etwas benebelt versuchte er sich aufzurichten, von dem plötzlichen Schmerz überrascht, konnte er nur knapp einen Aufschrei unterdrücken. Bei seinem zweiten Versuch gelang ihm das Aufrichten schon besser, seine Augen gewöhnten sich ebenfalls bereits wieder an die Dunkelheit, es schien irgendwann Abends zu sein, die zugenagelten Fenster ließen nicht viel Spielraum für Mutmaßungen. Er sah sich in dem Teppichladen um, schien es ihm das erste Mal zu sein, dass er die neue Umgebung bewusst wahrnahm, sie wirkte eher wie ein provisorisches Lager als der Verkaufsraum eines Geschäftes. Hatte Viktoria sich hier schon öfters zurückgezogen? Die Annahme lag nahe. Bei seinen Gedanken warf er einen Blick zurück auf die neben ihm schlafende Viktoria und beobachtete einige Momente ihre ruhig daliegende Gestalt. Sie sah derzeit recht friedlich aus. Hatte Viktoria ihn den ganzen Weg über gestützt? War sie wahrscheinlich einfach nur erledigt gewesen, als sie ihre Angst vor Nähe vergessen hatte? Er versuchte sich die Ereignisse des Vormittags ins Gedächtnis zu rufen. Ihrem Bein schien es nach ihrer Flucht furchtbar ergangenen zu sein. Vorsichtig stand er nun komplett auf, angestrengt versucht eventuelle Schmerzen zu vermeiden, ebenso wie zusätzliche Geräusche die Viktorias Schlaf stören könnten. Ryan ließ dabei den um ihn gewickelten Vorhang zurück, den er mit einem Handgriff über Viktoria ausbreitete. Wie lang war sie wohl wach geblieben? Hatte sie versucht die ganze Wache zu übernehmen? Sollte sie ruhig noch etwas Schlaf finden… Sein Körper stahl sich leise durch den dunklen Raum, schritt auf eines der zugenagelten Fenster zu, durch welches noch etwas Licht fiel. Vor dem Fenster entledigte er sich langsam seines Hemdes, den auftretenden Schmerz jedoch trotz aller Vorsicht nicht ganz vermeidend. Er blickte an sich hinunter, konnte auch noch bei dem fahlen Licht die verschiedenen Hämatome erkennen, er betastete mit mäßigem Druck seine Rippen, welches ihm dazu veranlasste Luft angestrengt aus seinem Mund zu pressen. Anscheinend nichts was eine intervenieren nötig machte, nicht das eine Versorgung überhaupt möglich wäre, der Schlag hatte scheinbar, seine lädierten Rippen weiterhin in Mitleidenschaft gezogen. Er war noch am Leben, aber vielleicht sollte er überlegen ob er Viktoria zeigen sollte, wie sie eine Entlastung schaffen konnte, wenn seine Lunge betroffen sein sollte. Nein lieber keine schlafenden Hunde wecken. Dem Schlag mit dem Baseballschläger konnte er scheinbar erfolgreich die Energie nehmen, schien er dort, wo er getroffen wurde, kaum Schwierigkeiten zu haben. Er hatte die Pause dringend nötig gehabt, konnte er sich an viele Geschehnisse nach dem Kampf nur flüchtig erinnern, ein Meer aus lichten Momenten, die er sich noch ins Gedächtnis rufen konnte und selbst bei diesen war er sich nicht vollends sicher. Ryan hasste es zu schlafen, holten ihn seine Dämonen jedes Mal ein, wenn er die Augen schloss. Aber der Schlaf heute war ruhiger gewesen, war es wegen seiner Erschöpfung oder wegen… Er seufzte leise, ehe er sich wieder in die Richtung ihres Lagers aufmachte, nahm sich dort seine Feldflasche vom Rucksack, ehe er einen Schluck trank und sich etwas ihres Inhalts über die Haare und sein Gesicht schüttete, nun genoss er das kühle Nass. Seinen letzten Tropfen goss er über sein Hemd, wrang dieses aus und legte es über einen Tisch auf dem früher vielleicht das Geld und Ware ausgetauscht wurde. Langsam nahm er wieder auf dem Teppich Platz, begnügte sich damit auf dem weichen Stoff zu sitzen, was ihm diesmal auch ohne große Schmerzen gelang. Sein Blick fiel wieder auf den derzeit reglosen Körper neben ihm. Plötzlich kam Bewegung in die junge Frau. Ryan fing ein paar undeutlich gesprochene Wortfetzen auf, verstand keines von den Gemurmelten Worten, dennoch die Art und Weise wie sich Viktorias Gesicht verzog, wie sie die Worte herauspresste, ließ Ryan mit einem besorgten Stirnrunzeln zurück. Anscheinend war er nicht der einzige der durch Alpträume geplagt wurde, wen wunderte dies in solch einer Zeit? Besorgt ließ er sich nun erneut zu Viktoria hinab, ignorierte den auftretenden Schmerz, als er sich abstützte. Nun war er es der seinen Arm um Viktoria legte, fuhr mit seinem Arm unter ihrem Nacken hindurch, um sie an ihrer Schulter zu packen und etwas näher an sich zu ziehen. Er versuchte ihr Nähe und Geborgenheit zu spenden auch wenn sie wahrscheinlich ausflippen würde, wenn sie den wach werden würde. Dennoch konnte Ryan ihre Träume nicht ignorieren. „Shhh, es ist nur ein Traum, Vik. Wir sind hier in Sicherheit“ Seine Stimme selbst war kaum mehr als ein Flüstern. Er drückte Viktoria sachte an ihrer Schulter, wog sie sanft, während er immer wieder beruhigend auf sie einsprach. Es beruhigte sie zusehends. Viktoria fiel noch eine Zeit lang in einen ruhigen Schlaf, bevor sie aufwachte. Langsam regte sie sich etwas, doch noch immer waren die Augen geschlossen. Sie seufzte wohlig und kuschelte sich enger an ihn. Sie streichelte sogar hauchzart über seinen nackten Rücken, währen sie ihren Körper nun noch enger an ihn schmiegte. Im ersten Moment genoss Ryan die Nähe und die Berührungen, wie er sich eingestehen musste, auch obwohl er fast mit Sicherheit sagen konnte das Viktoria noch träumte und es nicht etwa an einem plötzlichen Fortschritt mit ihrer Phobie lag. Zufrieden spürte er, dass sie sich sichtlich entspannte, ihre Hand an seinem Rücken war wie Balsam für seine Seele. Als sie ihren Kopf lächelnd an seinem Brustkorb legte und ein leises Keuchen ihr entwich, war es um Ryan geschehen, fuhr ihr nun selber lächelnd abwesend durch die Haare. Mit einem schwachen Brummen öffnete sie widerwillig die Augen. „Leon?“, flüsterte sie noch verwirrt. Sie murmelte einen Namen, Leo? Im Zusammenhang überlegte Ryan, ob vielleicht ihr Freund so hieß? Er würde seine Neugier lieber nicht stillen, ganz so begriffsstutzig war er nicht, auch wenn er sich hin und wieder so anstellen konnte. Gab es doch nur negative Erklärungen warum dieser Leo Viktoria nicht mehr begleitete, die Naheliegendste war wohl der Virus. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als Viktoria seinen Namen aussprach und sich verkrampfte. „Ryan?!“, fragte sie schon fast ängstlich und starrte ihn erschrocken an. Sie begann heftiger zu Atmen, ja fast schon zu hyperventilieren. Zitternd zog sie ihren Arm zurück und löste sich ein wenig von ihm, sah ihn nun geschockt in die Augen. Ließ dann aber den Blick über seinen Körper wandern, worauf sie nun schon leicht ihre Hände gelegt hatte, um sich abzustoßen, wagte es jedoch nicht. Ihr Gesicht sprach Bände. Augenblicklich hatte Ryan Gewissensbisse, ihre Berührungen vorher noch genossen zu haben. Er folgte ihrem Blick auf seinen Oberkörper, sah dann zurück in ihre geweiteten Augen, er hob abwehrend beide Hände vor seine Brust, ließ sofort von Viktoria ab. „Nein! Viktoria, es ist nichts passiert… Du hattest einen Albtraum… Ich…“ Er überschlug sich beinahe vor Erklärungen, weshalb er es mitten im Satz aufgab, andernfalls machte er es wohl nur schlimmer. Sie atmete noch immer viel zu viel und drehte sich etwas von ihm weg, lag nun auf den Rücken, während sie die Hand auf ihr Herz presste und die Decke anstarrte. Er fühlte sich hilflos. Der Anblick seiner Gefährtin steigerte sein schlechtes Gewissen kam er sich durch ihre Reaktion schon fast wie ein Triebtäter vor, sie schien einer Panik Nahe, steckte vielleicht schon mittendrin. Irgendwie musste er sie beruhigen, wenn sie weiterhin so stark hyperventilierte, würde sie ihm noch Bewusstlos werden. „Viktoria beruhige dich doch! Komm schon sprich mit mir, bitte…“ Seine Hand begann sich nach Viktoria auszustrecken, wollte sie versuchen zu beruhigen, zog diese aber schleunigst wieder zurück, als er sich ins Gedächtnis rief wer ihm Gegenüber lag und was diese Panik vermutlich ausgelöst hatte. Es schmerzte ihn unbedacht diese Reaktion in Viktoria hervorgerufen zu haben, wusste gerade weder ein und aus. Hektisch wandte er sich ab, griff bereits in seinen Rucksack, ignorierte die Schmerzen, die durch die Verdrehung seines Oberkörpers auftraten. Schnell fand er den Plastikbeutel, in dem er einige Briefe und Bilder aufhob, und schüttete seinen Inhalt lose in seine Tasche, drehte sich wieder zu Viktoria um und hielt ihr die Tüte hin. „Atme darein, oder sprich einfach mit mir, beschimpf‘ mich meinetwegen, aber beruhige dich bitte wieder…Vik…“ Viktoria kniff einen Moment die Augen zu. „Es... es tut mir leid... es tut mir leid... es tut mir so leid... ich... wollte nicht...“ Sie sah ihn wieder an, sah die Tüte und nahm sie dann doch von ihm ab. Sie drehte sich weg, stütze sich auf ihren Ellenbogen ab, während sie seinem Rat folgte. Wieder wollte er erneut seine Hand auf ihre Schulter legen, als sie sich mit der Tüte abwandte. Ließ sie erneut gerade noch rechtzeitig wieder sinken. Voller Sorge ruhte sein Blick auf ihrem Rücken, den sie ihm nun zuwandte, ein Bruchstück seines Traumes trat ihm vor Augen. War es wirklich Viktoria gewesen in seinem Traum? Er hatte auf einmal ein erschreckend realistisches Bild von nackter makelloser Haut, die nur von einigen Narben unterbrochen war, vor seinem Auge. Beschämt fing Ryan an zu murmeln, schien ihm die Stille die nur von Viktorias Atmung unterbrochen wurde, zu erdrückend. Auch wenn seine überhasteten Entschuldigungen die Sache nicht unbedingt besser machten: „Hör zu, Vik… Du schienst so geplagt, hast gemurmelt und dich unruhig gewälzt… Ich wollte dich nur… Ich hätte es besser wissen… wollte dich nicht wecken…“ In einem gequälten Ausdruck runzelte er die Augenbrauen, gab seine Erklärungsversuche auf. Verbarg sein Gesicht für einen Moment in seiner Hand und kniff sich kurz in den Nasenrücken wartete fast schon verzweifelt ab, das Viktoria ihre Panikattacke überwand. Ihr Atem normalisierte sich langsam und sie ließ die Tüte sinken. Die nun freie Hand legte sie an die Stirn. Einen Augenblick brauchte sie doch noch bis sie die Sprache wiederfand. „Es tut mir leid, ... ich wollte dir nicht weh tun...“, flüsterte sie nun endlich. Sie drehte ihren Kopf zu ihm, konnte ihm aber nur kurz in die Augen sehen. „Nun wäre ich ja doch fast über dich hergefallen...“, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. „Mir wehtun? Quatsch, du hast mir nicht wehgetan…“ Er schüttelte ernst den Kopf, immer noch stand ihm die Sorge im Gesicht, er sollte eigentlich derjenige sein der sich entschuldigte nicht sie… Er war es der sie in solch eine emotionale Extremsituation gedrängt hatte und das obwohl sie ihm gesagt hatte das sie mit Nähe nicht klar kam. Trotz seiner Schuldgefühle an dieser Situation hielt er ihrem kurzen Blick stand, konnten jedoch keinen seiner Tausend rasenden Gedanken in Worte fassen, fehlte ihm der Mut sich selber zu entschuldigen Viktorias Schlaftrunkenheit ausgenutzt zu haben, hätte er es wohl in ihrem Zustand nicht zulassen dürfen, egal wie harmlos aber dennoch wohltuend die Nähe war. Er brauchte etwas länger, um auf Viktorias Versuch die Stimmung wieder aufzulockern reagieren zu können, haderte immer noch mit sich selbst. „Schade, aber wohl besser so. Wärst du dann sicher sofort Tod umgefallen, sobald du richtig wach geworden wärst…“ Immer noch war ihm Unwohl in seiner Haut zumute. „Das wäre doch sicher ein schöner Tod gewesen“, meinte sie mit leicht gezwungenen Lächeln. „Beim nächsten Mal wird es aber besser...“, versprach sie zusätzlich. Sie schaute sich etwas im Raum um, erblickte dabei auch sein Hemd auf dem Tisch. Schuldbewusst sah sie dann doch wieder zu ihm. „Für dich wäre es mit Sicherheit ein schöner Tod, mich würdest du dann aber ziemlich traumatisiert zurücklassen, aber warten wir erst einmal ab, du musst dich nicht gedrängt fühlen,“ erwiderte Ryan und sah sein Gegenüber immer noch entschuldigend an. Mit einen aufrichtigen Lächeln hielt sie ihm die Hand hin, die nun etwas von dem zu großen Hemd verdeckt war. „Gibt mir der weltbeste Händeschüttler noch eine Chance mich zu bessern?“, fragte sie zögerlich. „Immerhin hab ich dich bisher noch nicht abgestochen, das ist doch auch schon mal was...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)