V-M4: A Long Way Home von Morbilli (Virus M4 - Ryan & Vik) ================================================================================ Kapitel 13: Zimmer Nummer 317 ----------------------------- Kurz bevor sie die erste Etage erreichten löste Ryan sich für einen Moment von Vik, um sich einen kurzen Überblick des Flures zu verschaffen. War ihnen nun doch schlussendlich das Glück hold? Der Flur wirkte verlassen, auch von den Verfolgern vernahm Ryan derzeit nichts… Er wandte sich wiederholt zu Viktoria um, die sich kurzzeitig am Geländer festhielt, bevor er ihr erneut helfen konnte und so wiederholten sie das Procedere für die nächste Etage. Leise Stimmen waren in dieser Etage zu vernehmen. Einen zögerlichen Blick den Flur entlang enthüllte aber keine Gangmitglieder, anscheinend waren hier wirklich noch andere Streuner untergetaucht, das dürfte ihre Verfolgung erschweren. Die Neugier herauszufinden zu wem diese Stimmen gehörten kam in Ryan nicht auf, er hatte genug der Überraschungen erlebt… Mit der Geste seinen Finger auf die Lippen zu legen, hielt er Viktoria zur Stille an, nicht das sie noch mehr unliebsame Bekanntschaften machten. Vik nickte, als sie Ryans Warnung sah und die nächste Etage kamen sie etwas besser voran. Immerhin war auch die dritte Etage wieder still, sodass sie direkt weiter konnten. Zwischen den Etagen knickte ihr Bein kraftlos ein und Vik sackte plötzlich etwas weg. Nur Ryan verhinderte noch den Sturz, da sie sich allein nicht mehr hätte abfangen können. „Tut mir Leid“, murmelte sie sofort. „Es tut mir Leid … ich … Die paar Stufen … die paar Stufen schaff ich noch…“, fügte sie leise hinzu und überwand nun auch das letzte Stück. Endlich waren sie im vierten Stock angekommen, waren sie nun doch endlich erfolgreich entkommen? Seine ganze Brust brannte mittlerweile, Lungen, Herz und seine Rippen verschwammen zu einem einzigen schmerzenden Klumpen. Die ehemalige Touristenunterkunft hatte definitiv auch schon bessere Zeiten gesehen, hier und da waren Schmierereien auf den Wänden. Viki hielt sich etwas an den Wänden fest, sah dann Ryan kurz fragend an. „Am besten wir suchen ein Zimmer … hinten bei der Feuerleiter … Wir sollten dennoch die 'Nachbarn' abchecken… Ich hör' mich bei den linken Türen um, … du bei den rechten?!“, schlug sie leise vor, wobei ihre Stimme kaum lauter als die hastigen Atemzüge waren. Mit einem knappen wortlosen Nicken bestätigte er Viktorias Frage und machte sich augenblicklich daran die Türen auf der rechten Seite zu inspizieren. Auf dieser Seite sahen die Zimmertüren nicht besser aus als auf Viktorias Seite, der Großteil aus den Angeln gerissen oder anderweitig beschädigt, von einer Tür fehlte sogar jegliche Spur, die vorherrschende Dunkelheit machte es aber beinahe unmöglich etwas in dem Zimmer zu erkennen. Nur eine weitere Tür auf seiner Seite war geschlossen, für einen Moment horchte er an der abgeschlossenen Türe, konnte jedoch keine anderen Geräusche ausmachen neben dem pulsieren in seinem Ohr. Vik lehnte sich neben ihn an die Wand bei dem Zimmer mit der Nummer 317 und fragte leise: „Hier?“ Bevor Ryan sich der Tür zuwenden konnte, holte sie einen der Dolche raus und führte die Spitze zwischen den Türspalt ein. Seine Partnerin machte sich bereits an der Verriegelung zu schaffen, er ließ sie gewähren und im selben Moment sprang die Tür auch schon auf. Mit kurzen, müden Schmunzeln ließ Vik ihm dann den Vortritt und kurz huschte ihm der Gedanke durch den Kopf, das er nun wahrscheinlich der Erste seit einem Jahr war, der diese Schwelle überschritt. Sein Blick sah sich in der neuen Umgebung um, fuhr über die wellige Tapete und den Schimmel an den Wänden, als er das Klicken des Schlosses hörte, dieses doch ach so schönes, vertrautes Geräusch, ein weiteres Hindernis zwischen ihnen und ihren Verfolgern, erwartet hatte er nicht dass das Schloss noch funktionieren würde. Ryan entledigte sich nun seines Rucksackes noch ehe er sich zu Viki umdrehte und sie bereits atemlos mit offener Jacke und gelockerten Schal an der Wand neben der schweren Kommode sitzen sah, was sie gerade wohl probiert hatte war jedoch schon auf den ersten Blick zu erahnen. „Jetzt schon… unzufrieden mit der Einrichtung?“, probierte er atemlos zu witzeln, ehe er sich nun selbst mit dem Rücken an die Kommode stemmte und sie keuchend mit einem lauten Quietschen als Holz über Holz schliff ein weiteres Stück vor die Tür schob und sie mit einem weiteren Druck die Tür vollständig blockierte, gefolgt von einem angestrengten Ausatmen. Mit leichten Schmunzeln sah Viktoria wieder zu ihm auf. „Es stört den Chi-Fluss ... Vor der Tür verbreitet es … bessere Schwingungen …“, erklärte sie mit einem schwachen Grinsen, während sie ihm dabei zu sah, wie er nun das Möbelstück verrückte. „Danke“, murmelte sie noch, als die Kommode am neuem Fleck stand. Prüfend wanderte ihr Blick über Ryan, bevor sie auf ihre Hände starrte, die wieder an einem Ende des Schals spielten. Mit einem tiefen Seufzen lehnte sie den Kopf an die Wand und sah hinauf zur Decke, ehe sie doch wieder erschöpft die Augen schloss. Anstatt sich ebenfalls sofort auszuruhen, stand der Soldat bereits wieder und bewegte sich auf den einzigen weiteren Raum im Zimmer zu, mit ziemlicher Sicherheit das Bad. Erinnerungstücke schossen ihm durch den Kopf, von dem Schlafzimmer was er vor kurzem erst durchsucht hatte, die fleischige Fratze, der Geruch, der fortgeschrittenen Verwesung, die Körpermasse die an der Tagesdecke festhing… Ein unbewusster Griff ging an seine linke Flanke, bevor er die Tür zum Bad öffnete. In dem Bad selber herrschte ein ziemlicher Gestank, beinahe wie in einer Kanalisation, doch blieb er von anderen Überraschungen verschont, immerhin etwas. Kurz darauf stand er auch schon wieder im Hotelzimmer und zog dort seine Jacke aus, die er achtlos auf das Bett im Zimmer warf, bevor er sich mit dem Saum seines Hemdes begann den Schweiß und das Blut des Tieres von Stirn und Hals zu wischen, so gut es ihm möglich war. Sein Blick war auf Viktoria gerichtet, sie sah wahrlich nicht gut aus. Blieb zu hoffen, dass den beiden wenigstens ein wenig Ruhe gegönnt wurde. Die Stimme die sich erhob war leise, immer noch von tiefen, angestrengten Atemzügen unterbrochen, die kleine, stechende Wellen entsandten:„Wie geht’s dir?“, waren die platten und knappen Worte die er hervor brachte. Viele Gedanken drehten sich in seinem Geiste. Wo genau hatte sie ihre Flucht hingebracht? Hatten sie ihre Verfolger abgehängt? Waren die anderen Personen im Hotel eine direkte Gefahr? Knapp, präzise und fokussiert Fragen zu stellen war ihm mehr als einmal ans Herz gelegt worden, drum stellte er geradeheraus die Frage, auf die es ihm im Augenblick ankam. Als sie beobachtete wie er versuchte das Blut los zu werden, zog sie ihren Rucksack näher zu sich und begann etwas zu suchen. Die Wasserflasche stellte sie neben sich, wühlte kurz mit den Arm tiefer in ihrer Tasche. Ihr anderes Hemd legte sie neben sich, packte ein paar Dosen aus und holte auch den kleinen Gefrierbeutel mit ihren übrig gebliebenen Fotos, Briefen, Perso und Andenken raus. Vikis eifrige Suche wurde von seiner Frage unterbrochen. Kurz sah sie ihm in die Augen, bevor sie doch den Blick mit schwachen, verzogenen Lächeln senkte und sich ihre Hand auf ihr Knie legte. „Hast du die Säge noch?“, kam ebenso leise als Antwort, bevor sie fast vorsichtig wieder zu ihm sah. „Verrat es meinem Arzt nicht, aber ich hab es wohl übertrieben. Aber du hast mich ja gewarnt, wolltest mir ja was geben… “, meinte sie mit einem etwas aufgesetzten Lächeln, bevor sie seinem Blick wieder auswich. „…nur das ich uns damit fast umgebracht hätte“, murmelte sie kaum hörbar und wühlte abermals in ihrem Rucksack, fand aber noch immer nicht, was sie suchte. Nun zog sie die Tüte mit dem Schreibblog heraus und kramte dann noch die zwei Packung Zigaretten hervor, bevor sie endlich die Tüte fand, in der sich noch ihre feuchten Waschlappen befanden, die sie dann heraus holte. „Hier, damit geht es wohl besser, aber du musst den dir leider abholen“, sagte sie überspielenden Lächeln, während sie ihm das Stückchen Stoff entgegen hielt. Seine Atmung normalisierte sich zusehends, doch sein Herz pumpte weiterhin hektisch vor sich hin. Seinen besorgten Gesichtsausdruck konnte er nicht wirklich gut verstecken, als er die Distanz zu Vik verkürzte, wobei er den Saum seines Hemdes losließ, die Versuche das Blut zu entfernen vorerst pausierend. Aufgewirbelter Staub hing in der Luft des dunklen Zimmers, während die Dämmerung langsam der Nacht weichen musste. Auf dem Weg nahm er seinen Rucksack auf, den er knapp über dem Boden schliff, ehe er ihn bei Viki abstellte, sich selbst neben ihr an der Wand niederließ und ihr den Waschlappen mit einem knappen ‚Danke‘ abnahm und sie daraufhin nur zufrieden lächelte. „Wenn ich durchgeatmet habe nehm‘ ich dir das Bein ab, ich glaub gerade kann ich meine Hände nicht ruhig genug halten…“ Mit einem neuen Lächeln fing er bereits beim Sprechen an das Blut an seinem Hals abzuwischen, ihre Schuldaufladungen quittierte er mit einem knappen Stirnrunzeln, wobei Vik nur ihren Blick senkte und ihre nervösen Hände begannen das Loch an der aufgerissenen Stelle ihrer Hose zu inspizieren. „Huh? Wo hast du uns den fast umgebracht? Du hast die Zähne so gut es ging zusammengebissen und schließlich sind wir wohlauf hinter einer verschlossenen Tür und Mann… Das Feng Shui hier ist unglaublich!“ Erst bei seinen erneuten Kommentar zum Feng Shui sah sie mit knappen Schmunzeln zu ihm. „Dann hoff‘ ich, dass das Feng Shui deinen Händen schnell hilft. Im Moment ist es doch schon … nicht angenehm. Noch so einen Sprint krieg‘ ich heute nicht mehr hin, auch wenn ich am liebsten weiter und in mein eigenes Versteck wäre …“, murmelte sie. Sie schien sich Vorwürfe zu machen, bei ihrer Verfassung an irgendetwas von der ganzen Scheiße Schuld zu sein. Prüfend sah er in der Dunkelheit auf den Waschlappen. Umrisse vom verschmierten Blut waren auf ihm erkennbar. Mit einem Seufzen legte er den Waschlappen ab, ehe er einen Arm um Viktorias Hals legte, wobei sie ihren Kopf bei ihm leicht anlehnte und mit erschöpften Seufzen die Augen schloss. Wieder redete Ryan sanft auf sie ein: „Ich bleib dabei: Wir geben ein ganz gutes Team ab und haben anscheinend was Zeit gewonnen… Der Flur ist ruhig, zumindest etwas verschnaufen können wir nun. Und du lässt mich nochmal ein Blick auf dein Bein werfen und kriegst etwas gegen die Schmerzen, – warte…“ Zumindest bei den erneuten Angebot sie zu versorgen nickte sie brav und legte ihren Hand an seine Seite, um sich gleichzeitig näher an zu kuscheln, bei seinem „warte“ öffnete sie doch wieder die Augen und sah ihn schon verwirrt an. Mit seiner freien, linken Hand griff er über Vik hinweg nach dem kleinen Haufen, den Viktoria hergestellt hatte, und sah schweigsam für einen kurzen Moment auf das oberste Bild in der Gefriertüte, die er nun in der Hand hielt. Fünf Personen unterschiedlichen Alters waren drauf zu sehen. Viktoria mit ihrer Familie? Eine gewisse Ähnlichkeit war vorhanden. Ein melancholisches Lächeln war zu sehen. Als er sich plötzlich ihr Tütchen mit Andenken griff, wurde sie erneut rot und auch nervös. Dennoch folgte sie seinem Blick auf das Foto. Mit eigenem Lächeln blieb sie kurz an der Erinnerung hängen. Es zeigte eine Familie im Radisson Rigde Ride-Freizeitpark, im Hintergrund war deutlich die Achterbahn mit Looping zu sehen. Ein kleiner Junge sah genervt und trotzig mit verschränkten Armen etwas zur Seite, wurde mit sanften Griff im Nacken von dem Vater an der Flucht vor dem Foto gehindert. Ein Mädchen, das vermutlich nur wenige Jahre älter war, schien hingegen von einem Ohr bis zum anderen zu grinsen und kaum still stehen zu können. Zudem hatte sie ihre Hände wie Pfötchen erhoben, passend zu ihren plüschigen Hasenohren auf dem Kopf. Die Person, die Viki am ähnlichsten sah, hatte mit einen unbeschwerten, breiten Lachen einen Arm um die Mutter gelegt. Auch Viki trug weißen Katzenöhrchen mit roter Schleife, die sie ebenfalls mit Haarspangen auf dem Kopf festgemacht hatte. Das hüftlange, schwarze Haar fiel ihr teilweise über die Schulter und schmiegte sich an ihre recht üppigen Kurven. Auch wenn sie noch immer schlank und ziemlich sportlich war, sah man ihr die paar gesunden Pfunde mehr auf den Rippen deutlich an. Dabei trug sie ein knielanges, rotes Sommerkleid, mit fast gewagten Ausblick auf ihr Dekolletee. Ihre Hand, an der sie noch eine Handgelenkschienen trug, lag noch an ihrer schwarzen, gehäkelten Handtasche mit roten Perlen, wobei sie aber noch einen von den knallbunten Bechern mit übertrieben verdrehten Strohhalm vom Park in der Hand hatte. Einen Moment hatte Viki schweigend das Bild betrachtet, bevor sie mit leiser Stimme zu erzählen begann: „Das… das ist meine Familie … letzten Frühsommer, als wir zu sechst im R3 waren.“ Sie schwieg eine Zeit, bevor sie weiter sprach: „Also zu sechst weil … also … mein …“, ein paar Sekunden zögerte sie und presste kurz die Lippen zusammen. „Mein … letzter Freund, Leon, hat das Foto gemacht“, gab sie dann etwas leiser zu. Viki atmete einmal tief durch und zwang sich dann doch wieder zu einem kleinen Lächeln, was schon bald wieder herzlich wurde, als sie erneut zu erzählen begann. „Das ist Elisabeth oder auch Elli, sie war gerade zwölf geworden. Sie war wie immer total aufgedreht und hat mich zu den dämlichen Ohren überredet, da sie ihre unbedingt haben wollte, ihr es aber zu peinlich war alleine damit ‘rum zu laufen. Das hier ist Jay, eigentlich James, zehn Jahre. Er war da etwas patzig und sauer. Er durfte nicht mit auf die Achterbahn weil er noch ein paar Zentimeter – …“, plötzlich verstumme Viktoria. Das Lächeln sollte auch Ryan im nächsten Moment schon auf dem Gesicht einfrieren, als er undeutliche Rufe vernahm, kurz gefolgt von mehreren Beinen die lautstark die Treppe hoch rannten. Waren das Mitglieder der Wölfe? Wurden sie gesehen? Wussten die wo sie beide Unterschlupf gesucht haben? Fragen über Fragen. Den Gefrierbeutel legte er wieder sachte zurück, ehe er den Revolver erneut mit der linken Hand aus seinem Hosenbund zog. Ryan brannten noch so viele Fragen zu dem Bild auf der Zunge, dieses Bild, welches an eine doch so idyllische Vergangenheit erinnerte, die mittlerweile jedoch so fern schien. Man erkannte die Gesichtszüge wieder, doch hatte sie sich wahrlich extrem verändert, gerade das Haar ließ ihn, bevor er ihre Erklärung hörte, zögern. Doch dann ließ ihn bereits der Krach im Treppenhaus, seinen Revolver ziehen, das Stück Metall, gefüllt mit einer mageren Patrone. Vielleicht waren es nur irgendwelche Flüchtlinge... den Ball flach halten war vielleicht keine schlechte Idee… Genauso überrascht sah der schweigsame Blick aus, den er Vik zuwarf. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, während ihr Lächeln von einem panischen Blick abgelöst wurde. Hektisch begann sie so leise wie möglich all ihre Sachen wieder in den Rucksack zu stopfen, wobei sie die Fotos behutsam oben drauf legte. „Bitte nicht! Bitte! Bitte nicht schon wieder! … Ich halt das nicht mehr aus … Bitte nicht!“, flehte sie leise dabei. Noch immer waren die Rufe undeutlich, doch man hörte, wie sie in ihren Flur kamen. Etwas polterte gegen die entfernten Türen, die Stimmen kamen nun aus den Zimmern, während sie scheinbar etwas oder jemanden in den Zimmern suchten. Die zittrige Hand vor ihrem Mund führend, versuchte Viktoria sich zu sammeln und nachzudenken. Ihr Blick ging zu den Fenstern und so presste sie sich an Ryans Schulter hoch, hielt sich gleichzeitig an der Wand fest. „Vielleicht seh‘ ich unten was“, erklärte sie nur knapp und humpelte so leise und schnell es noch ging zu den Fenstern. Am Fenster angekommen, stemmte sie sich am Fensterbrett leicht hoch, versuchte in den dunkler werdenden Abend unten auf den Straßen noch was zu erkennen. „Ich seh‘ nichts, es ist alles schwarz … ich weiß nicht ob sie es sind“, wisperte sie verzweifelt. „Aber … draußen ist ein Vorsprung, schmaler Sims, vielleicht dreißig bis fünfzig Zentimeter breit. Man könnte versuchen außen bis zur Feuerleiter zu kommen. Selbst du müsstest das schaffen …“ , meinte sie leicht neckend, aber deutlich angespannt. Ryan blieb an der Tür positioniert, horchte auf die Schritte im Flur, während seine Augen Viktoria folgten, die sich zum Fenster schleppte. Sie wirkte so schrecklich aufgebraucht, doch war es ihr zu verübeln? Wohl eher nicht… doch ihren Vorschlag den Sims zu benutzen, um bis zur Feuerleiter zu kommen, schien ihm bei ihrem Zustand etwas abwegig. Knapp schüttelte er den Kopf, die Zeit drängte, doch ihre Möglichkeiten waren mehr als nur begrenzt. Seine Gedanken rasten ebenso wie die Viks, fanden aber keinen wirklichen Plan zur Flucht. Ihre Chancen lagen anscheinend zu großen Teilen nicht mehr in ihren Händen, wurden durch Glück und diese verdammten Wölfe bestimmt…Was sollten sie nur tun? Viele Optionen blieben ihnen nicht, gab es doch nur diese zwei Ausgänge, Fenster oder Tür… oder sie blieben hier und hofften einfach, dass die Leute im Flur nicht ihre Verfolger waren. Erneut kam ein Krach aus dem Nachbarzimmer. Wieder begann Vik leicht zu zittern, sodass sich sich an der Fensterbank festhalten musste. Hilflos sah sie zu Ryan. Undeutlich, aber laut hallten die Rufe über den Flur. Alles schien Viktoria zu überfordern, als ihre weichen Knie langsam nachgaben. An der Wand ließ sie sich zu Boden gleiten, kauerte sich leicht ängstlich etwas vom Bett verborgen zusammen. „Bitte nicht! … ich kann das nicht mehr … ich schaff das heut‘ nicht mehr … ich kann nicht …“, wisperte sie mit Tränen in den Augen vor sich hin, bis Schritte sich ihrer Tür näherten. Ihre Augen fixierten den Türknauf, während ihre Hände wie automatisch zu ihren Dolchen wanderten und sie dann drohend, aber doch deutlich zitternd vor sich hielt. In dem Augenblick wurde der Türknauf langsam gedreht, gefolgt von einem ungeduldigen Rütteln, als die verschlossene Tür nicht aufsprang. Ein lauter Ruf drang durch die Türe „Kommt raus, wir suchen jemanden und werden euch nichts tun, wenn ihr euch zeigt!“ Gefolgt wurde der Ruf von wütenden Tritten gegen die Tür. Wie lange würde die Tür nur halten? Die Kommode gab zusätzliche Stabilität, aber wenn ihre Verfolger unnachgiebig genug waren, würde auch dieses Hindernis nicht ewig halten… Sie würden in diesem Raum in die Enge getrieben werden... Langsam löste sich der Soldat von seiner Position an der Seite der Tür, durchschritt den Raum und ging vor Viktoria in die Knie, die sich daraufhin ein wenig beruhigte. „Ich werde die Typen ablenken, du hältst hier die Stellung, passt auf unsere Sachen auf und hältst dich bereit, aber bleib in Deckung!“ Seine energische Stimme blieb unter den Umständen gedämpft, nach kurzem Zögern fügte er noch einen weiteren Satz leise hinzu: „Wenn du eine Chance siehst, flieh…“ Er musste Handeln, das Risiko abzuwarten und hoffen, das sie aufgaben konnte er nicht eingehen, wollte er nicht eingehen. Unterbrochen von einem weiteren Tritt gegen die Tür wurde Ryan zur Eile angetrieben, wandte sich dem Fenster zu um es im selben Atemzug aufzustemmen. Einen Moment starrte sie ihn sprachlos an. „A … aber …! Du kannst doch nicht …!“, flüsterte sie heiser, während er schon da Fenster öffnete. „Das ist Selbstmord! Seh‘ zu das du verschwindest! Ryan, bitte. Ich hab dir schon genug Ärger gemacht…“, zischte sie eindringlich, als er schon aus dem Fenster stieg. Der Soldat stemmte sich selbst durch das Fenster, das Ziehen in seinen Brustkorb probierte er durch flaches Atmen zu ignorieren, keine Zeit für die Schmerzen, die er sich nicht erlauben durfte, während er sich durch die Öffnung langsam auf den Sims schob, sein Blick in die schwindelerregende Tiefe gerichtet. Vorsichtig und an die Wand gedrückt begann er die Strecke zurückzulegen, jedoch nicht in die Richtung in der die Feuertreppe lag. Der kalte Luftzug in seinen Haaren, der im vierten Stock deutlich spürbar war erinnerte ihn: Nun ein falscher Schritt und alles war aus, der Aufschlag würde ihn sicher töten und wenn nicht, sicher mit Hirnblutung und Knochenbrüchen zurücklassen, also ein direktes oder indirektes Todesurteil… Doch er schaffte es unbeschadet durch das Fenster des Nachbarzimmers, hoffte darauf, das Vik ihre Nerven behielt, es reichte wenn einer von ihnen beiden Dummheiten machte… Behutsam schlich er sich durch das dunkle Zimmer, sah sich zögerlich in dem Raum um, die Sicht auf den Flur schien frei zu sein. Anscheinend war dies das Zimmer aus der die Tür komplett entfernt wurde. Ein vorsichtiger Blick in den Flur zeigte ihm ihre Situation: Einer ihrer Verfolger fing an mit einem Handbeil auf die Tür einzuschlagen, offenbar hatte er gerade erst damit angefangen. Eine weitere Person hielt ihm den Rücken frei, dieser stand an der Treppe mit einem Messer bewaffnet auf der obersten Stufe. Ryan bewegte sich in gebeugter Haltung in den Flur, angestrengt darauf bedacht keine Geräusche zu verursachen, bis er beinahe hinter dem beilschwingenden Fremden stand. Dort ließ er den massiven Holzgriff des Revolvers auf den Hinterkopf der Bedrohung schnellen. Ein schmatzendes Knacken wurde gefolgt von dem abrupten Zusammensacken des schweren Körpers, das Beil fiel klingend zu Boden. Während Ryan sich bereits zu dem Schmiere-Stehenden umdrehte, zuckte dieser zusammen, ehe er sich mit einem Aufschrei in Bewegung setzte. Ohne weitere unnötige Bewegungen wurde der Lauf auf das herbeieilenden Gangmitglied ausgerichtet, der Hahn spannte sich bereits als der Abzug nach kurzem Stabilisieren abgedrückt wurde. Die Explosion, zu laut. Der Rückstoß, zu wuchtig. Der starke Funkenflug nahm ihm die Sicht. Gleisende Hitze versengte seine Hand, die den Revolver hielt. Glühendes Metall streifte seine Wange und seinen ausgestreckten Arm, als der Hahn und die Trommel des Revolvers zersprang. War die Patrone überladen gewesen? War die Waffe nicht ausreichend gepflegt? Hatte der Lauf durch den Hieb Schaden genommen? Nebensächlich, er schien nun einen glühenden Klumpen Metall in der Hand zu halten… Seine Sinne waren zu überrascht, zu aufgeputscht, um die Hitze und das Brennen bewusst wahrzunehmen. Ein Aufschrei war zu hören und Ryan glaubte auch einen weiteren Körper, der zu Boden ging, zu hören, doch seine Ohren waren von dem Klingen der Zündung erfüllt. Dem Aufschrei zu Folge, hatte er den anvisierten Kopf verfehlt. Ein warmes Rinnsal ran an seiner Wange hinab… Ein grelles Pfeifen umhüllte seine Umgebung, seine Orientierung war von der Explosion benebelt. Was war nur passiert? Immer noch hielt er die qualmenden Überreste der Waffe fest umklammert. Darum war er indoktriniert worden, seine Waffe immer regelmäßig und gründlich zu warten und zu pflegen. Starr stand er dort wie festgewurzelt im Flur, die Verbrennung seiner Hand spürte er derzeit kaum. Die Rufe Viktorias gingen im Pfeifen unter, drangen nur dumpf, zu dumpf, an ihn heran. „Ryan!“, schrie sie zuerst panisch aus dem anderen Zimmer. „Ryan was ist passiert?“, fügte sie hinzu, „Oh Gott, nein!“,kam es etwas näher an der Tür, bevor wieder Schleifgeräusche hörbar waren. „Ryan! Geht es dir gut? sag was!“, verlangte sie, während sie die Tür öffnete und auf das Szenario sah. „Verdammt!“, murmelte sie noch. Während seiner Einsätze hatte er viele Fehlfunktionen dieser fortschrittlichen Tötungsmaschinen gesehen und erlebt: Blindgänger, verschiedene klemmende Mechaniken, verzogene Läufe … Unzählige Male hatte er verschiedene Waffen in ihre Einzelteile zerlegt und wieder zusammengebaut. Aber noch nie war ihm eine um die Ohren geflogen… Plötzlich wurde ihm die Waffe entnommen, für einen Sekundenbruchteil verspannten sich seine Muskeln, bereit sein Werkzeug zu verteidigen, ehe die Überreste des Revolvers zu Boden fielen und sich der Nebel der Orientierungslosigkeit langsam lichtete. Seine Augen suchten hektisch nach Fixpunkten, bevor er Viktoria vor sich erkannte. „Kannst, kannst du die Finger noch bewegen? Spürst du noch was?“, fragte sie sofort. Zögerlich kam er ihrer Aufforderung nach, das Krümmen der Finger bereitete etwas Schmerzen, ließ sich aber immerhin durchführen. „Ist sonst alles in Ordnung? Hast du mehr abbekommen?“, fragte sie sogleich besorgt und ließ die eine Hand über seinen Oberkörper wandern, während die andere über seine Wange strich. Er wollte ihr versichern dass es ihm gut ginge, doch es war als würde ihm die Zunge am Gaumen festkleben. So blieb er ihr die Antwort schuldig, sah ihr nur stumm in die besorgten Augen, während ihre Finger und Hände ihn prüfend abtasteten. Ein kleines Rinnsal Blut rann sofort wieder seine Wange hinab, nachdem Viks Finger sie verließen. Erst danach, schloss sie ihn in fest in ihre Arme. „Jage mir nie wieder so‘n Schrecken ein …“, hauchte sie, während sie ihn einen Moment an sich drückte. Als Viktoria ihn umarmte, fand er an ihrer Schulter seine Stimme leise wieder. „Ich…Ich… Scheiße. Tut mir Leid, Krümel…“ Der Schleier des Schockes viel vollends von dem Soldaten ab. Als Viki sich wieder von ihm löste, sah sie wieder auf seine Hand, wobei sie sein Handgelenk sacht umfasste. „Wir sollten das versorgen und dann weiter. Hierher zu kommen war ‘ne blöde Idee. Wenn … wenn du mir etwas gibst, dann halt ich länger durch. Wir könnten zu meinen Versteck an der Uni oder du übernimmst besser die Führung, immerhin bring ich uns doch nur in Schwierigkeiten“, sagte sie nun doch wieder leicht hektisch. Ein leichtes beginnendes Zittern wurde von Vikis Griff unterbrochen, mit einem Nicken deutete er an zurück ins Hotelzimmer zu wollen, zurück zu ihren Habseligkeiten, da ihre Widersacher ausgeschaltet waren sollten sie sich wirklich dem Versorgen ihrer Wunden widmen. „Ich gebe dir zuerst etwas, damit wir für den Fall der Fälle Aufbruch bereit sind. Aber du behältst besser die Führung, du kennst dich immerhin etwas hier aus im Gegensatz zu mir… und mach dich nicht verantwortlich für Geschehnisse, die du nicht beeinflussen kannst, okay?“ Auf seine Frage hin brachte Vik selbst nur ein schwaches „Okay“ raus. Zusammen gingen die beiden wieder zurück ins Zimmer, wo Ryan sich sofort an seinem Rucksack zu schaffen machte, doch bereits sein Rucksack schien ihn vor ein Problem zu stellen, dessen Reißverschluss er letztlich mit seiner linken Hand und seinen Zähnen öffnete. Er sah ein, dass es so wohl kaum schnell genug von statten gehen würde, weshalb er sich mit einem aufgesetzten Lächeln zu Vik umdrehte. „Könntest du mir hier kurz zur Hand gehen?“ Viktoria war direkt zu der Kommode geeilt und durchsuchte diese. Als sie einige Streichhölzer fand, eilte sie weiter zum Fenster, wo sie kurz innehielt. „Tut mir Leid, ich dachte sich such‘ noch nach Licht“, murmelte sie hektisch, da es doch schon dunkel geworden war. „Bin gleich bei dir“, fügte sie dann noch hinzu, während sie schon die erste Kerze auf den Boden abstellte, anzündete und dann schnell die schweren Vorhänge zu zog, damit das Kerzenlicht sie draußen nicht verriet. Mit der brennenden Kerze in der einen und den zwei übrigen Kerzen in der anderen Hand, eilte sie dann so schnell es ihr Bein noch zu ließ wieder zu ihm. Während Viki sich vor ihm setzte und auch die anderen Kerzen anzündete und sie rechts neben sich stellte, fing sie nun doch an genauer darauf einzugehen, dass sie sich nicht für alles verantwortlich machen sollte: „Es tut mir Leid, wenn ich heute etwas überreagiere. Normalerweise trag‘ ich die Konsequenzen für meine Entscheidungen allein … Also auch wohin ich geh, welches Risiko ich eingehe, wenn ich jemanden treffe. Naja … auch wenn ich nichts dafür kann, wenn irgendwas unvorhergesehenes passiert, war ich weitestgehend selbst Schuld und hab auch nie lange drüber nachgedacht… aber jetzt… es ist nur… ich weiß nicht … es ist ‘ne Weile her, seit ich mit jemanden zusammen unterwegs und für jemand anderen irgendwie mitverantwortlich war… früher war es anders… glaub ich… Jedenfalls, ein paar Sachen hätten wir heute vielleicht vermeiden können, wenn ich mehr nachgedacht hätte… Ich glaub, … ich hab irgendwie … … ich will nichts falsch machen und dich enttäuschen, wenn du dich auf mich verlässt..“ Ryan schwieg vorerst dazu. Über seine eigene Unfähigkeit verärgert, gab er seiner Begleiterin an welche Utensilien er aus seinem Koffer benötigen würde. Kurz darauf zog er schon einhändig eine der Einwegspritzen mit dem Medikament auf, die Vik mit unsicheren Blick anstarrte. „Da ich dir das Mitelchen direkt in die Blutbahn spritze, sollte es recht zügig wirken. Es ist ein Opioid, wie Morphin. Das hier wirkt nur länger und macht nicht so müde, also perfekt für unseren Fall…“ Mit einem Lächeln quittierte er diesen eingefleischten Automatismus, sein Vorhaben genau zu erklären und band bereits mit einem kurzen Stück Gummischlauch Viktorias Arm ab, den er vorher vom Kleidungsstoff frei gemacht hatte. Sein Lächeln ließ sie doch leicht Schmunzeln. „Okay. Sollte ich sonst noch was wissen? Muss ich mich wundern, wenn ich plötzlich rosa Elefanten sehe oder so?“, erwiderte sie leicht frech und doch hörbar nervös. Stockend löste sich seine Zunge erneut von seinem Gaumen, träge, zu träge… „Ne…Nein bei rosa Elefanten musst du dich nicht wundern, das wäre ganz normal bei dem Medikament. Nur wenn du einen blauen, französisch sprechenden Kojoten siehst musst du mir sofort Bescheid sagen… Der hat mich mal um ‘ne Stange Geld betrogen…“ Sein Lächeln welches er sich abrang wirkte fast schon teilnahmslos, auch wenn der Soldat es eigentlich ehrlich meine. „Die französischen sind immer die schlimmsten… “, murmelte sie nervös. Als er die Nadel vorsichtig mit seiner linken, unversehrten Hand, in Position brachte, war erneut das leichte Zittern seiner Hand sichtbar. „Scheiße… nicht grade vertrauenerweckend, was? Aber keine Sorge, so sind die Chirurgen im Operationssaal auch, wenn sie noch nüchtern sind.“ Ein zerknirschtes Lachen entwich ihm, ehe er sich zur Ruhe zwang und die Substanz danach mit ruhiger Hand injizierte. Mit einem kurzen, unsicheren Blick sah sie zu ihm auf. „A… also… an der Uni hab ich noch zwei oder drei Flaschen Bier, bis dahin halt ich vielleicht noch durch…“, bot sie mit scherzhaften Unterton und zaghaften Lächeln an. Warum gehorchte sein Körper ihm nicht mehr richtig? War es doch sonst seine Fähigkeit, selbst unter Granatenbeschuss seinen Job ruhig zu erledigen, die ihm in der Army einen solchen rasanten Aufstieg ermöglicht hatte. Anscheinend hatte ihn der Vorfall auf dem Flur doch etwas mehr mitgenommen als er sich selbst zugestand. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt. Um nun seine Wunden besser sehen zu können, umfasste sie seinen Unterarm und zog seine Hand näher zum Licht. Als sie ihre Finger betrachtete, sah sie sein Blut daran. Zuerst schweigsam folgten seine Augen Viktorias Händen, nachdem er ihr die Injektion verabreicht hatte und die Einwegspritze entsorgte. Blieb ihr einer Antwort dabei vorerst schuldig. Erst als sie seinen Unterarm zu sich zog, spürte er einen unterschwelligen Schmerz der ihm die Zähne aufeinander trieb. Anscheinend hielt der Schock das gröbste bisher unter einem dunklen Mantel abgeschirmt. „Nun bist du aber dran. Doch zuvor ziehen wir dir mal das Hemd aus. Es ist ja auch dein letztes und das sollte wohl nicht weiter versaut werden. Und ohne siehst du eh viel besser aus…“, sagte sie mit unsicheren Lächeln, wobei sie gleichzeitig schon sein Hemd aufknöpfte „ …immerhin bist du so schön bunt“, ergänzte sie murmelnd, als ihr beklommener Blick flüchtig über seine Hämatome wanderte. Folgsam rückte er etwas näher ans Licht, ließ sich widerspruchslos entkleiden, nur hin und wieder von einem knappen Verziehen seiner Mimik unterbrochen. Vorsichtig schälte sie erst seinen linken Arm aus dem Hemd, darauf bedacht, dass er sich so wenig wie möglich selbst bewegen musste. Dennoch murmelte sie jedes Mal, wenn er nur andeutete vor Schmerz das Gesicht zu verziehen oder auch die Stirn runzelte eine vorschnelle Entschuldigung. Er wusste um die Notwendigkeit, dass seine Wunden versorgt werden sollten nur zu gut Bescheid. Dennoch fühlte er sich nicht sonderlich wohl dabei sie aufzuhalten, hatte er doch kaum Beschwerden, bis auf den ärgerlichen Punkt, das ihn seine Motorik anscheinend etwas im Stich lassen wollte. Viki ging wirklich vorsichtig, fast schon zögerlich mit ihm um. Obwohl kein Luftzug spürbar war flackerte das Kerzenlicht in dem dunklen Hotelzimmer hektisch, eventuell nur angetrieben durch den Atem der beiden. Nachdem sein unversehrter linker Arm frei war, umschloss er Viktorias Schulter, unterbrach für einen Moment ihre Arbeit, um diese in einer kurzen Geste sanft zu drücken. „Mir geht’s gut Vik… Ich bin nur etwas mitgenommen, so eine Fehlzündung hab ich bisher noch nie erlebt. Hat mir wohl den Atem verschlagen und vor allem der Punkt, so unbeschadet davon gekommen zu sein.“ Erst nach einigen, wenigen Sekunden erwiderte sie die Umarmung für einen Moment, wobei sie ihren Kopf leicht bei ihm anlehnte. „Ist schon okay… aber… nicht ganz unbeschadet“, antwortete sie leise, als sie sich wieder von ihm löste und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. Das folgende Lächeln gelang Ryan schon weitaus besser, während er seine Hand wieder sinken ließ und sie nicht mehr daran hinderte, ihm auch den Rest des Hemdes auszuziehen. Ihre rechte Hand glitt, vom Kragen aus oben in seinen Ärmel. Ihre Finger versuchten den klebrigen Stoff vorsichtig von der Haut zu trennen, schoben ihn dabei in der Hand zusammen, während sie versuchte damit beim Ausziehen nicht über die frischen Wunden zu streifen. Als er sein Hemd los war, starrte sie einen Augenblick ratlos auf die Wunden. „Sag mir was ich machen soll!“, verlangte sie plötzlich mit eindringlichen Blick. „Mein Wissen und Materialien beschränken sich nur auf waschen und verbinden. Mit deinem Wunderkoffer können wir sicher mehr machen, besonders wegen der Verbrennung… Aber ich weiß nicht wie… Wag‘ es aber ja nicht bei dir selbst an irgendwas zu sparen! Ansonsten… ansonsten werd‘ ich doch noch sauer und nur brave Patienten bekommen hinterher ein Bier“, plapperte sie vor sich hin. Vik war nervös und das Ganze war sichtlich unangenehm. „Ich tu‘ fast alles… nur nähen… das kann ich nicht… wirklich nicht!“, warnte sie Ryan etwas leiser vor. Der zweite Arm machte ihm mehr Probleme, da er nun die Verletzung deutlicher zu empfinden anfing, nun wo der Schock allmählich nachließ. Ein deutliches Pochen entsandte ihm der Arm, der anscheinend wirklich einige Metallsplitter abbekommen hatte. Mit einem stummen Nicken nahm er ihre Drohung zur Kenntnis, dass er an sich selbst nicht sparen sollte, während er seinen nun entkleideten rechten Arm im Schein der Kerze langsam drehte und begutachtete. „Reich mir bitte das Fläschchen Desinfektionsmittel, dann desinfizier‘ ich den Arm, du ziehst die gröbsten Splitter und dann einfach eine Mullbinde drum“ Seinen Versuch auf die Desinfektionsflasche zu zeigen unterließ er zügig wieder, als sein lädierter Arm erneut zu zittern anfing, so ließ er ihn schnell wieder sinken. „Okay, das krieg‘ ich hin“, sagte sie nun doch mit kleinen Schmunzeln und nahm schon das besagte Desinfektionsmittel, eine Pinzette und ein steriles Tuch zur Hand. „Ab…Aber selbstverständlich kriegst du das hin!“ Seine Worte kamen zögerlich, aber klar betont heraus. „Ich sehe doch sofort, wenn jemand mit Instrumenten umgehen kann“, sagte er mit einem Zwinkern. „Mit Streichinstrumenten vielleicht“, murmelte sie nur. Danach nahm er das ihm dargereichte Fläschchen entgegen. Dessen Inhalt verteilte Ryan über den Arm. Das Napalm ähnliche Brennen titulierte der Soldat mit einem scharfen Zischen, während seine Kiefer sich verkrampften. Sein Blick war während der Prozedur starr auf den Boden gerichtet bis das letzte Brennen langsam verebbte und er mit einem aufgezwungenen Lächeln zu Viktoria aufsehen konnte. Viktoria hatte ihn nur mitleidig angesehen. Mit eigenem bitteren Lächeln wendete sie den Blick ab und sah sich nun die Wunden genauer an. „Du lächelst wohl wirklich immer, hm?“, fragte sie leise, während sie ihm eine der Kerzen in die Hand drückte, um dann selbst mehr sehen zu können. „Klar lächle ich ständig! Solch einen Spitznamen muss man sich in der Army schließlich schwer verdienen…“ Seine unversehrte Hand ließ das Licht der Kerze kurz wild Flackern, als er für einen Moment mit seinem Daumen ein paar der Glieder seiner Kette gedankenverloren entlang strich, an dessen Ende die beiden, von Silikon umschlossenen Erkennungsmarken baumelten. Wie gebräuchlich waren seine wichtigsten Daten auf den beiden Plättchen in leicht erhobener Schrift festgehalten: Name, Sozialversicherungsnummer, Blutgruppe und seine Religion. Nur die Erkennungsmarke, die an der längeren Kette hing, wies ein weiteres Merkmal auf: Diese war zusätzlich mit einem grob eingeritzten Smiley versehen worden. Es war eine Anspielung auf den Spitznamen „Sergeant Smile“. Ihre Augen folgten der Kerzenflamme zu den Erkennungsmarken und ein verwunderter Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, sie sagte aber erstmal nichts dazu. „Wenn du eine Betäubung willst, dann sag Bescheid. Wenn du mir sagst wie, wo, wie viel ich spritzen soll, dann mach ich das auch“, murmelte sie und sah kurz ernst zu ihm auf, bevor sie sich wieder der Wunde widmete. Als sie sich mit der Pinzette dem ersten Splitter näherte, brauchte sie doch zwei, drei Anläufe, bevor sie ihn ‘rausziehen konnte. Ihre Frage nach einer Betäubung lehnte er mit einem knapp angedeuteten Kopfschütteln ab. Dem einfachen Fakt folgend, das sein Köfferchen bereits keine Medikamente mehr zur örtlichen Betäubung beinhaltete und ein Schmerzmittel oder leichtes Narkosemittel die Notwendigkeit dann doch bei weitem überstiegen. „Keine Sorge, ich bin kein rohes Ei, Vizz“ Wieder sah er mit einem Lächeln auf den leicht vorgebeugten Hinterkopf der Studentin. „Wenn du meinst…“, war alles, was Vik dazu noch unsicher sagte. Doch als das widerspenstige Metall nur durch energischere Versuche in Bewegung kam, wurde ihm das Lächeln doch baldig vertrieben. Während dem zweiten Splitter legte er seinen Kopf mit geschlossenen Augen in seinen Nacken zurück. Ein emotionsloses „Autsch“ konnte er sich dennoch nicht verkneifen. „Okay, okay wenn dich mein Lächeln stört, sag es einfach, kein Grund mir weh zu tun… Nein Spaß beiseite, ich denke nur, dass die Welt schon hart genug ist. Da schadet ein bisschen Freude doch eigentlich nicht?“ „Tut mir Leid“, murmelte sie, bevor sie weiter machte. „Scheint dir aber nicht gerade Freude zu machen. Zudem ist das Lächeln eher gruselig, wenn es nicht echt ist“, gestand sie ihm mit eigenen aufgezwungenen Lächeln, dass er wohl nicht mehr sah, als sie mit einem Zittern versuchte die kleineren Splitter zu fassen zu bekommen. Während der kurzen Verschnaufpause, die nach den kleinen Splittern eintrat, sah Ryan kurz auf seinen Arm, anscheinend hatte sie sich noch einen letzten Brocken für den krönenden Abschluss aufgehoben. Kurz sah er sie noch schweigend an, bevor er erneut das Wort ergriff: „Nun trage ich auch die Konsequenzen mit, das stimmt wohl, aber auch ich gehe das Risiko ganz bewusst ein, du bist also nicht auch noch für mich verantwortlich. Die Verantwortung trag‘ ich gerne selber mit der Entscheidung deinen Kenntnissen zu vertrauen. Womit ich bisher auch gut gefahren bin… Du kannst schließlich kaum etwas in dieser Welt hier beeinflussen, was um uns herum passiert. Also mach dir keinen Kopf für sowas, so läuft unser Team nicht…“ Als er dann doch auf ihr Gestammel von eben einging, sah sie ihn kurz verwundert an, senkte aber doch verlegen den Blick, auch wenn sie noch immer nicht sofort weiter machte und ihre Augen dabei dennoch auf die Wunde starrten. „Ich weiß, … aber… ich…“, stammelte sie. „Ich weiß dass ich nicht viel dafür kann aber… heute ist einfach so viel passiert… und jetzt wo du so verletzt bist… wenn… wenn jetzt noch was passiert…“, bevor sie weiter sprach biss sie sich lieber selbst auf die Lippe. „Ich weiß nicht wie es bei dir ist, aber es… es ist nicht gerade ein normaler Tag für mich… selbst für diese Umstände. Naja… Ich bin einfach etwas… überfordert, das ist alles“, nuschelte sie. „Hey, hey, wenn noch etwas passieren sollte, Gott behüte, werden wir das auch noch irgendwie handeln, so wie wir bisher den ganzen anderen Scheiß irgendwie geschafft haben. Wir hören einfach nicht damit auf das gewinnende Team zu sein. Wir sind quasi die Underdogs hier und werden einen Batzen abräumen, wenn wir das alles hinter uns gebracht haben! Okay?“ Er war gerade dabei die Kerze abzustellen, um sich ihren Augenkontakt wenn nötig einzufordern, als sie ihn von sich aus schon entschuldigend ansah, um erneut in das immerwährende warme Lächeln zu blicken. „Wenn es nur so einfach wäre…“, murmelte sie noch. Ihr entschuldigender Blick wurde doch weicher. „Zum Teufel, ich wäre schockiert über deine Abgebrühtheit, wenn dich das alles kalt lassen würde… Mir geht es doch nicht anders.“ Zum Beweis hob er kurz den leicht zitternden Arm, aus dessen nun Metallsplitter freien Wunden sich kleine Rinnsale Blut entlang schlängelten, ehe er ihn wieder ruhig hielt. Mit Sorge sah sie sein erneutes Zittern, legte dann das Tuch in ihren Schoß und ihre nun freie Hand auf sein Schulterblatt. Dann beugte sie sich zu ihm und hauchte einen sanften Kuss noch über seinen Wunden auf den Oberarm, während sie tief in seine Augen sah. „In meinem nächsten Versteck lassen wir den ganzen Mist hinter uns und dort können wir bleiben, bis es uns ein wenig besser geht“, versprach sie und streichelte noch behutsam über seinen Rücken, bevor sie den letzten Splitter wieder ansah. „Das wird nicht angenehm, aber ich versuch es schnell zu machen“, warnte sie ihn vor, als sie schon ihr Tuch wieder zur Hand nahm. Die Pinzette umklammerte das Metall. Es war anscheinend ein gebogenes Stück, dass sich tief hinein gebohrt hatte. Vik hielt selbst nervös den Atem an, als ihre zitternde Hand es langsam raus zog. Die Entfernung des Splitters ließ dem Soldaten doch erneut das Lächeln rauben und seine Zähne zwangen sich aufeinander, um einen eventuellen Aufschrei in ein dumpfes Stöhnen abzumildern. Sein angehaltener Atem wurde hörbar ausgestoßen, als seine Haut schlussendlich den größeren Splitter freigab. Nochmals sah sie sich die Wunden an, um sicher zu gehen, dass sie nichts übersehen hatte. „Ich glaub das war‘s…“, sagte sie leise, während sie jeden einzelnen Kratzer noch untersuchte. Die Tortur hatte einen sichtbaren Schweißfilm bei Ryan hinterlassen, seine Augen hatten sich geschlossen und blickten Viktoria erst wieder an als sie den Arm bereits fertig verbunden hatte. „Fuck… Danke…Das war gute Arbeit Viki…Nun nur noch die Hand verbinden, nicht das die Desinfektion doch noch umsonst gewesen sein sollte…“ „Ich hab nicht viel gemacht“, sagte sie nur kopfschüttelnd, als sie sich nun seiner Hand zu wandte. Nochmal sah sie ihn zweifelnd an: „Bist du sicher? Hast du keine Salbe oder so?“ Ryan schüttelte nur stumm den Kopf. Nachdem er die Kerze nun abstellte nahm er sich selbst die verbliebenen, sterilen Kompressen des geöffneten Paketes und legte sie auf die verbrannte Haut seiner rechten Hand, ehe er sich von Viktoria helfen ließ seine rechte Hand zu verbinden. Nicht ohne etwas verbittert an den zukünftigen Moment zu denken, wo diese Kompressen wieder von seiner verbrannten Haut getrennt werden mussten. Auch das leichter werdende Zittern hinterließ in ihm zerknirschte Gedanken. Er wusste, dass es durchaus wahrscheinlich durch den Schock, den Verletzungen und dem ausgeschütteten Adrenalin herrührte und sich bald wieder von selbst beruhigen würde. Aber was wenn nicht? „Vielleicht sollten wir doch noch einige Häuser nach Medikamenten filzen. Aspirin brauch ich eh, da sollten wir auch anderes Zeug gegen Verbrennungen und so finden, auch wenn es nicht unbedingt so Profikram ist“, sagte sie und machte sich dann daran seine Sachen wieder einzupacken, nachdem sie seine Hand verbunden hatte. Als sie zu ihm sah, legte sie doch die Stirn in Falten. „Den schlimmsten Kratzer hab ich wohl übersehen...“, meinte sie mit einem Schmunzeln. Sie öffnete ihren eigenen Rucksack und holte ein sauberes Tuch raus, was sie mit etwas Wasser benetzte und wischte dann das Blut von seiner Wange, bevor sie noch ein Pflaster hervor holte und auf die Wunde klebte. „Ich hoffe das reicht“, sagte sie mit verlegenen Grinsen, während sie vorsichtig mit ihrem Daumen darüber fuhr. „Wenn du willst, schau ich, ob ich noch Fan-pflaster von den Radisson Crows hab. Wäre doch passend, wenn wir schon zum Stadion gehen“, fügte sie noch frech hinzu und fuhr noch mit einer sauberen Ecke des Tuches über die verschwitzte Stirn, während sie ihm ein weiteres Lächeln schenkte. Bei ihrer Erwähnung von einem Pflaster in Farben der Radisson Crows konnte er sich bei der Vorstellung an ein solches ein Schmunzeln nicht verkneifen. Unvermittelt spannte er sich die Vorstellung, das er am Zielort seiner Mission, dem Stadion, vielleicht den Helden seiner Kindheit, den einst legendären Quarterback Scott Dunn treffen würde. Die Vorstellung ließ das Lächeln nur noch breiter werden, auch wenn er als Fan wusste, dass Dunn Jahre vor der Pandemie bei einem Autounfall ums Leben kam. Nach einem kurzen, intensiven und schnellen Leben, wohl der Preis für die Berühmtheit, den man zahlen musste… „Die meisten Salben taugen nichts bei Verbrennungen, aber nach Medikamenten sollten wir uns dennoch umschauen, auch weil mein Vorrat wohl recht bald zu Neige geht, nur meine Bestecke sind noch unangetastet, hoffen wir das bleibt so, auch wenn die keine Streichinstrumente sind. Welches Streichinstrument beherrscht…“ Sein Versuch etwas Beiläufiges mit rein zu bringen und dadurch seine Partnerin etwas besser kennen zu lernen, eine Gemeinschaft die überraschenderweise immer noch keinen ganzen Tag alt war, wurde von dem plötzlichen Geräusch im Flur unterbrochen, oder kam es von der Treppe? Auch Vik hielt mitten in der Bewegung inne, als sie ihre Sachen wegpackte. Zähne knirschend sah sie sich zu Ryan um. „Hast du das auch gehört?“, flüsterte sie. „Wir sollten uns jedenfalls beeilen. Hier ‘rumzulungern ist nicht die beste Idee. Vor allen Dingen mit den Typen vor der Tür“, sagte sie, half ihm dann wieder vorsichtig in sein Hemd und knöpfte es zu. Seine Mimik war für einen Moment wie versteinert, ehe er Viktorias Frage, die das Geräusch auch gehört hatte, mit einem Nicken bestätigte. Als sich die Versorgung seiner Wunden eine Ende neigte wurde in Ryan selbst der Drang vorherrschender, das sie ziemlich bald wieder aufbrechen sollten, die beiden hatten schon Glück genug so lange ohne eine Konfrontation mit den restlichen Wölfen ausgekommen zu sein. Hatten diese vielleicht doch aufgegeben nachdem sie von den letzten beiden Spähern, die noch immer vor dem Hotelzimmer lagen, keine Meldung erhalten haben? Viktoria stand wieder auf und teste ihr Bein aus. „Wow… nicht schlecht…“, meinte sie grinsend eher für sich, als sie ihr Bein prüfend belastete. Mit schnelleren Schritten holte sie seine Jacke vom Bett. Augenblicke später wurde ihm schon wie einem alten Mann in seine Jacke hinein geholfen, doch für dämlichen und unplatzierten Stolz war gerade nicht die richtige Zeit. „Bereit?“, fragte sie dann noch, als sie schon die Kerzen aus blies und kurz umkippte, damit der flüssige Wachs abtropfte. Die Kerzen stopfte sie mit in ihren Rucksack, bevor sie ihn auf den Rücken zog. Danach schlich sie zur Tür, sah vorsichtig in den Flur, doch dieser schien ruhig zu sein. „Am besten gehen wir über die Feuertreppe. Es müsste dunkel genug sein, damit man uns nicht sieht. Wenn noch Wölfe im Treppenhaus sind oder uns entgegen kommen wäre das wohl schlimmer“, schlug sie vor, während sie sich noch mal zu ihm umsah. Sie atmete noch mal durch und lief dann wieder los, worauf hin Ryan ihr auf dem Fuße folgte. Wenn es wirklich wieder diese Gang war, die ihnen dann anscheinend wieder dicht auf den Fersen war, lag ihr Heil am ehesten in der Flucht. Die Handicaps der beiden würden sich bei einem erneuten Kampf wahrscheinlich deutlich bemerkbar machen und wer konnte schon voraussehen wie dieser dann ausgehen würde? Vorsichtig stieg auch er über den Toten an der Tür und warf einen prüfenden Blick auf ihren zweiten Verfolger. Anscheinend hatte das Projektil auch hier, trotz der Explosion, Schaden angerichtet, hatte er die Laufbahn der Kugel doch nach dem Abfeuern aus dem Auge verloren. Mittlerweile lag er regungslos in seiner Blutlache. Jedoch nahm der Sanitäter sich nicht die Zeit, um seinen Tod festzustellen, als er auf dem Absatz kehrt machte und Vik nach draußen folgte, bewusstlos würde ebenfalls für einen kleinen Vorsprung reichen. Vielleicht wäre es sogar ein Vorteil für die beiden, wenn sich ihre Verfolger erst um den Verwundeten kümmern mussten. Ob diese Wölfe jedoch so sozial eingestellt waren konnte Ryan nicht sagten. Weit war es nicht mehr bis zur Treppe und als Viktoria die Tür öffnete, schlug ihnen die kalte Nachtluft entgegen. Ihre Augen wanderten einen Moment skeptisch über das Metall. „Ich würd‘ mich nicht auf das Geländer verlassen“, meinte sie noch mit einem bitteren Schmunzeln, als sie sich schon an den Abstieg machte. Das war zugegeben doch eine wackelige Angelegenheit und immer wieder sah sie widerwillig nach unten, um nach irgendwelchen Anzeichen der Wölfe Ausschau zu halten. Fast schon erschreckend Laut hallten ihre Absätze von der blanken Metalltreppe wieder, als die beiden unter dem fahlen Mondlicht hinab stiegen. Das letzte Stück von der Feuerleiter, mussten sie wohl hin abspringen, was Vik auch ohne zu zögern tat. Der Absprung erfolgte auch bei Ryan problemlos und ohne ein Zögern, auch wenn die Landung ihm trotz der geringen Höhe für eine Sekunde die Luft aus den Lungen trieb, fing er sich augenblicklich wieder. Viktoria sah sich derweil weiter nervös um. „Alles okay?“, fragte sie dennoch, als er wieder bei ihr war. „Wir müssen ein Stück in die Richtung“, sagte sie und deutete nach Nordosten. Nach Nordosten sollte ihre Odyssee also gehen? Auch wenn er nie studiert hatte, wusste der Soldat doch von damaligen Studentenfeiern, das die Uni gar nicht so weit vom östlichen Park entfernt war, vielleicht hatten sie wirklich eine Chance zu entkommen, wenn Viks Versteck dort ähnlich vorbereitet war wie das letzte im Teppichladen und so wie er sie bisher kennen gelernt hatte, war sie organisiert genug, das dies der Fall seien würde. Nach einem kurzen Sondieren der näheren Umgebung gingen die beiden auch schon im zügigen Tempo weiter, deutlich bedacht darauf ihre Kraftreserven sparsam zu rationieren, sollte doch bei einem Angriff noch genug Energien für eine Gegenwehr vorhanden sein. „Du scheinst dein Bein wieder besser belasten zu können? Ist es besser geworden? Hat dich denn der Kojote schon besucht?“, fragte er neckend mit einem Lächeln. Dieses mal musste sie doch Schmunzeln, als er den Kojoten erwähnte. „Um einiges besser. Ich denke jetzt werden wir es sicher bis zu mir schaffen. Zudem ist mir auch noch kein französischer Kojote über den Weg gelaufen… ich glaub‘ irgendwo was spanisches gehört zu haben… Wie hat er dir den dein Geld abgeknöpft? Hat er beim Kartenspiel betrogen?“, fragte sie nun frech. Ryans Grinsen wurde breiter als Viktoria erneut auf den Kojoten einging, vielleicht hatten sie ja doch noch eine Chance die Sache wenigstens Mental unbeschadet zu überstehen. Jeder Schwachsinn den man mit einem zwanglosen Lächeln erzählen konnte, war in dieser Zeit doch wirklich ein wahrer Segen. „Spanisch, eh? Das klingt nach Mauro, das ist ein cooler Typ. Aber nein, nicht beim Kartenspiel, Kojoten können doch keine Karten halten ohne Daumen, das ist ja albern… Er hat mir einen angeblichen Neuwagen verkauft, stellte sich heraus, das die Schrottkiste gar nicht existierte“ Viki konnte nicht anders, bei dieser Vorstellung musste sie einfach lauthals los kichern. „Oh, natürlich können sie das nicht! Wie dumm von mir… Also an deiner Stelle hätte ich mir den Wagen erst zeigen lassen. Bist du sicher, dass er den nicht nur woanders geparkt war?“, meinte sie grinsend. Das sich andeutende Lächeln von Ryan erfror noch während seiner Entstehung, als der kühle Nachtwind entfernte Musikklänge zu ihnen transportierte, aber auch Vik verging das Lächeln schnell, als sie die Musik vernahm. „I dream of rain - I dream of gardens in the desert sand - I wake in vain -I dream of love as time runs through my hand“, ertönte leise Desert Rose von Sting aus Richtung des Parks. Für den musikliebenden Ryan war es einerseits schön nach so langer Zeit wieder einige melodische Klänge zu vernehmen, die er sich nicht selbst vor summte, doch in ihrer aktuellen Situation wirkte es mehr als grotesk. Drum formte sich sein erstarrtes Lächeln nun zu einer überraschten Grimasse. „Sieht so aus als stimmen sie sich mit einer eigenwilliger Jagdmusik ein… Schade das sie nicht unser Lied spielen, was Viki?“ Diese Albernheit konnte er sich trotz der seltsam bedrückenden Stimmung, die für ihn durch die entfernten Strophen hervorgerufen, wurden nicht verkneifen. Wäre in dieser bisher musiklosen Welt wohl „Smells Like Teen Spirit“ als erstes erwähntes Lied zwischen den beiden als ihr Lied zu bezeichnen? Zögerlich sah Viki zu ihrem Soldaten, bekam dabei selbst nicht mehr als ein durch Angst verzogenes Schmunzeln hin. „Wenn wir das überstehen und eine Violine finden, dann spiel‘ ich es liebend gern nur für dich…“, flüsterte sie nun und beantwortete noch damit seine letzte Frage aus dem Hotel. Nach einer Violine musste er also Ausschau halten? Die Vorstellung einer Privatvorstellung von Viktorias Musik gefiel ihm doch ausgesprochen gut. „Vielleicht finden wir ja ein noch nicht vollends geplündertes Musikgeschäft, Musikinstrumente dürften zu mindestens nicht ganz oben auf der Liste für plündernwerten Kram stehen, vielleicht haben wir Glück. Ich hoffe du nimmst dann Musikwünsche aus dem Publikum entgegen? Mir fallen sicher einige Songs ein, die ich liebend gerne mal wieder hören würde“ „Erwarte nicht zu viel, seit einem Jahr hatte ich keine Violine in der Hand, aber versuchen würde ich es. Ich hatte auch gedacht, dass wir vielleicht an der Uni in der Musikfakul- …“, abrupt war sie verstummt, als ein Pfeil an ihr vorbei flog und die zwanghaft aufrecht erhaltende Normalität unterbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)