V-M4: A Long Way Home von Morbilli (Virus M4 - Ryan & Vik) ================================================================================ Kapitel 20: Die Stimmen ----------------------- Der verständnislose Blick, der ihn aus Viktorias Augen traf, nachdem er zugeschlagen hatte, nagte noch an ihm. Diese großen, tiefen Augen, die all das nicht wahrhaben wollten, so schien es ihm. Nach der Ohrfeige schien sie etwas aus der Lethargie zu erwecken, doch sie wirkte weiterhin noch so schrecklich verängstigt und unerreichbar fern … Das alles kreiste noch immer in Ryans Gedankenwelt, als sie sich langsam von der Richtstätte der Wölfe entfernten. Langsam, viel zu langsam jedoch, wie zwei Betrunkene, die sich nach einer durchzechten Nacht Arm in Arm nach Hause schleppten. Doch anstatt vor Kälte und Müdigkeit zu fliehen, um sicher Zuhause anzukommen, ging es ihm ihren Fall um Leben und Tod. Bis jetzt schienen die Wölfe ihre Aufmerksamkeit weiterhin kaum ihnen teil werden zu lassen, ein Glück für die beiden, dass die Neuankömmlinge scheinbar so viele der Blicke auf sich zogen. Niemand schien ihnen zu folgen. Zu mindestens bisher nicht, doch das war nur eine Frage der Zeit, wenn sich das Durcheinander legen würde und irgendjemand ihr verschwinden bemerken würde, dessen war sich der Soldat sicher. Die beiden kamen nur schleppend voran, ständig die flüsternden Mantras wiederholend, nun kamen sie auch aus Viktorias Mund, was Ryan einen Hauch Hoffnung über ihren Zustand einflößte. „Gemeinsam... nur ein paar Meter... gemeinsam...“, hörte Ryan sie sagen. Das ungleiche Paar war gerade einmal zwei Minuten entfernt, als ein Knall die Hektik und lautstarken Rufe übertönte. Augenblicklich spürte er wie sich Viktorias Arm schmerzhaft an ihm verspannte, spürte ihre zitternde Hand, die seine ergriffen hatte. Also hatte dieser Loki seine Drohung wahr gemacht und tatsächlich die Granate gezündet? Ryan hoffte inständig, dass er damit einen Großteil von diesem verdammten Rudel ausgelöscht hat! Mit Ausnahme von dem Schwarzhaarigen… Ryan würde ihn nur zu gerne selbst in die Finger bekommen und ihn bluten lassen für das was er getan hatte. Erneut schossen ihm die Sticheleien, die er ihm an seinem Käfig gesagt hatte, durch den Kopf: „Ich wollte dir zu deinem guten Geschmack gratulieren. Deine kleine Olle ist ja echt nicht von schlechten Eltern. Und ihre Titten sind der Wahnsinn, Mann, liegen super in der Hand. Und sie fühlen sich echt an. Sind sie echt? Müssen die kleinen Dinger ja wohl, welcher Arzt würde schon so ‘ne Minititte formen, was? Aber du stehst wahrscheinlich drauf. ‘Ne gute Hand voll reicht, und so.“ Hatte er wirklich… ? Mit sanftem Druck umschloss er nun ihre zitternde linke Hand. Er musste sich weiter vorwärts bewegen, auch wenn sein Körper sich sträubte, für sie beide! Egal wohin der Weg sie führen würde, Hauptsache dieser Weg würde Distanz zwischen den Wölfen und ihnen herstellen. Er musste nur weiter durchha… Stimmen ertönten direkt vor ihnen, nicht allzu weit entfernt und sie näherten sich! Sollte es doch alles vergebens sein? Nein! Sie durften einfach nicht aufgeben! Dafür waren sie viel zu weit gekommen… verdammt! „Ryan…“ , hörte er leise Viktorias Stimme seinen Namen hauchen, eine tiefe Angst schwang in ihr mit… Mit einem knappen „Shht!“ forderte er sie unsanft zur Ruhe auf, wobei sie kurz zusammenzuckte, und löste sich im gleichen Atemzug bereits aus der körperlichen Umklammerung, die die beiden eingegangen waren. Sollte es zum Kampf kommen würde er komplette Handlungsfreiheit brauchen. Nicht dass er in seinem Zustand dazu in der Lage wäre… selbst in einem fairen Kampf würde er wohl unterlegen sein. Aber wenn er alles mobilisieren würde, was ihm noch blieb? Vielleicht könnte er wenigstens Viktoria noch einige wertvolle Sekunden verschaffen? Viki starrte nur zu dem Punkt an dem sie bald auftauchen würden, sah dann hektisch zu Ryan, öffnete dann kurz ihren Mund um etwas zu sagen, blieb aber doch stumm. Stattdessen sah sie nur recht verzweifelt und hilflos zu ihn, bevor ihr Blick zurück zum Ursprung der Stimmen wanderte. Währenddessen sah sich Ryan kurz um, welches ihm durch seine veränderte Tiefenwahrnehmung überraschend schwer fiel und auch Schwindel umschloss ihn für einen Augenblick. Danach schob er Viktoria umsichtig aber drängend in die Richtung der mutierten Vegetation, die den Wegesrand mittlerweile umschloss. Verwirrt sah sie ihn kurz an, ging dann aber mit knappen Nicken als erste ins Gebüsch. Umständlich drückten die beiden sich in das mutierte und knarzende Dickicht. Das Vik etwas kleiner und zierlicher war, half dabei etwas geschickter hindurch zu kommen und einige Äste besser aus den Weg drängen zu können, um so auch für Ryan eine leichtere, schnellere Möglichkeit hinein zu bieten, während die Stimmen schnell näher kamen. Das würde knapp werden! Der Trupp schien sich direkt auf sie zuzubewegen… Würde das immer noch knackende Gestrüpp dicht genug sein, um sie vor den Blicken zu beschützen? Ryan konnte keine potenzielle Waffe ausmachen, kein stabiler Holzscheit oder ähnliches weit und breit, nur ungeeignetes Gestrüpp und Kiesel… Ohne sich zu Viktoria umzusehen flüsterte er knapp „Lauf wenn sie uns sehen, so schnell es dein Knie zulässt! Ich…“ Doch er brach mitten im Satz ab als er drei Menschen ausmachte, die in Sicht kamen. Sie rannten in Richtung der Käfige. Vielleicht waren sie in ausreichender Eile? Nun waren sie bereits auf gleicher Höhe mit ihnen und keiner schien sie zu bemerken! Für einen kurzen Moment ließ Ryan seine Obacht sinken, warf einen kurzen Schulterblick auf Viktoria, die knapp hinter ihm war. Viktorias Augen folgten den Männern, während sie wie erstarrt im Busch hockte und die Angst ihr die Luft zum Atmen zu rauben schien. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, als die Stimme von einem der Männer auch Ryans Blut stocken ließ: „Hey! Wartet mal, ich glaube ich habe etwas gehört!“ Die Patrouille hatte den Busch in dem sie saßen bereits passiert, doch der kleinste der drei war stehengeblieben und hatte sich nun in einiger Entfernung von den anderen umgedreht. Langsam bewegte er sich direkt auf Viktoria und Ryans Versteck zu. Mist! Geräuschlos schirmte er Viktoria mit seinem linken Arm für einen Augenblick ab, mehr eine Geste um ihr zu signalisieren, dass sie sich bereithalten sollte. Doch durchschnitt plötzlich eine weitere Explosion die angespannte Stille, sie schien weiter entfernt aber ungleich heftiger zu sein als die vorherige… Wieder fuhr Viktoria von einer Explosion erschrocken leicht zusammen, konnte ein ersticktes Keuchen nicht zurück halten, bevor sie Ryan daraufhin ängstlich und entschuldigend ansah. „Komm schon Jose! Wir haben wichtigeres zu tun als Wildschweine zu jagen! Die anderen brauchen uns!“, sagte einer der Männer. Für eine schmerzhaft lange Zeit schien der Kurzgewachsene zu warten, spähte angestrengt in den Busch, dass Ryan sich bereits sicher war, das sie entdeckt wurden, ehe er sich schlussendlich doch umdrehte und die bereits vergrößerte Distanz zwischen sich und seiner Gruppe verkürzte. Die Anspannung wich in solch einem Schwall von Ryan, dass er sich für einen kurzen Moment auf den dreckigen Boden sinken ließ. Ein tiefer Atemzug entwich ihm, als er die für die letzten Momente unwissend angehaltene Luft in seinen Lungen ausstieß, was ihn gleich mit einem bereits bekannten stechenden Schmerz belohnte. „Fuck… das war knapp…“, entwich es ihm flüsternd während er ein unwirkliches Lächeln auf seinen Lippen spürte, als seine Endorphine voll einsetzten. Nur mit Mühe hielt er ein, vor Erleichterung, hysterisch wirkendes Lachen zurück. Ryan ahnte nur zu gut welchen Eindruck er, zu dem Zeitpunkt, auf Viktoria machen musste. Ein irre anmutendes Lächeln in solch einer Situation, sie musste wirklich denken das er durchgedreht war. Dennoch wurde sein Grinsen zögerlich von seiner Partnerin erwidert, nachdem diese den Männern noch lange durch das Gebüsch nachgesehen hatte. Eine Gefühlsregung von ihr auf die Ryan schon die ganze Zeit gehofft hatte, jedoch nicht so bald erwartet hätte. Seine ursprüngliche hysterische Freude wandelte sich allmählich in ein Glücksgefühl über Viks bessernden Zustand um. Vik rutschte unterdessen auf ihn zu, umschloss ihn daraufhin bedächtig mit ihren Armen, während sie sich an seiner linken Schulter anlehnte. Einen Moment lang war Ryan zu perplex um sich zu rühren, genoss nur die überraschende Nähe die Viktoria ihm zuteilwerden ließ, was Ryan durchaus für ein weiteres gutes Zeichen hielt. Die Uhr lief weiterhin gegen sie, die Zeit rannte ihnen nur so davon, wenn sich erst einmal das Chaos gelegt hatte und die Wölfe sich neu sammeln könnten, würde es für die beiden schwieriger werden, bis hin zu unmöglich, so wie ihr beider Zustand derzeit war. Dennoch wollte der Soldat diesen intimen Moment nicht zerstören. „Es tut mir Leid“, hauchte sie wieder. Als er ihre anfängliche Entschuldigung vernahm, brach Ryan aus seiner kurzweiligen Versteinerung, ließ seine unversehrte linke Hand an ihren Hinterkopf wandern, vergrub seine Hand in ihren Haaren, um sie an eben jene unversehrte Schulter zu drücken. Kein Wort kam ihm über seine Lippen, auch wenn ihm tausende durch die Gedanken schossen, hielt sie nur an sich gedrückt. Er vereinnahmte diese wohltuende Wärme, die Wärme, die er vor kurzem noch abgeschrieben hatte je wieder zu fühlen. Die Dringlichkeit ihres Aufbruchs rutschte bei dieser Umarmung in den Hintergrund, die beiden, die sich erst seit so kurzer Zeit kannten, noch kürzere Zeit waren sie getrennt und doch fühlte sich die verlorene Zeit für Ryan an wie Welten die nachgeholt werden wollten. Erst langsam spürte er erneut die Müdigkeit in seinen Gliedern aufsteigen, wo das Adrenalin nun langsam versackte. Fast schon bestürzt ließ er von Viktoria ab, als diese sich langsam von ihm löste. Abwartend sah er sie aus seinem rechten Auge an, das linke hielt er weiterhin kontinuierlich, gehindert durch den Blutfilm, geschlossen. Ryan meinte Bestürzung und Bedauern hinter ihrem Blick zu lesen. Sollte sie sich etwa Vorwürfe machen? Schockierte sie sein Anblick? Sah er so mitgenommen aus? Sanft fühlte er ihre Hand auf seiner Wange, wie sie prüfend über das Pflaster strich, sah wie ihre Augen sich langsam mit Tränen füllten. „Ich... es...“, hörte er sie erneut sagen, während nun doch die ersten Tränen über ihre Wange liefen, gerade als er sie beschwichtigen wollte, weshalb er vorerst stumm blieb. Doch sie brachte kaum einen Satz heraus, bevor sie sich vorbeugte und ihm einen Kuss auf die Stirn schenkte. Er wollte gerade ihren Blick heben, hatte seine Hand bereits sanft an ihr Kinn gelegt. Wollte ihren Kuss erwidern, ihr die Tränen aus den Augen wischen und ihr dabei versichern das alles gut werden würde, sie keine Schuld für das Geschehene traf. Dass sie das alles gemeinsam überstehen würden. Doch bevor er all seine Gedanken in Worte kleiden konnte, sich Viktoria hätte mitteilen können, ließ sie bereits komplett von ihm ab… entglitt ihm wieder, brachte wieder etwas der überbrückten Distanz zwischen die beiden. Nach nur einigen Augenblicken war die Geborgenheit wieder verpufft, die Gefahr mehr als präsent, die Zeit schien gerade nur so zu rennen, jeder Augenblick wirkte so unendlich kostbar und vergänglich… Vik kämpfte um ihre Beherrschung, wischte sich die Tränen weg und holte stumm den Verband aus ihrer Jacke, den sie ihm entgegen hielt. „Für draußen“, murmelte sie nur. Mit einem Nicken nahm Ryan den Verband entgegen und verstaute ihn in seiner Jackentasche. Rucksack und sein sonstiges Hab und Gut würde er wohl erst einmal abschreiben müssen, in dieser Situation erneut für das Messer zurückzukehren wäre Wahnsinn… Sein Gedankengang riss urplötzlich ab, als Viktoria ihn drängend mitzog, auch wenn seine Muskeln protestierten. Sie hatte recht, die beiden mussten in Bewegung bleiben, hatten sie doch bereits länger gerastet als es gut für die beiden war. Dennoch… wer wusste schon wie lange sie gemeinsam haben würden? Langsam setzten die beiden sich in Bewegung, die kleinere Viktoria nahm aus dem Gebüsch heraus die Führung an sich. Zurück auf den Weg blieb Vik mit gesenkten Blick stehen. Erst als Ryan sie umschlang und sich mit ihr in Bewegung setzte, sah sie erneut auf, warf dann sie einen langen Blick über ihre Schulter, bevor sie ihre Augen wieder auf den Boden vor ihnen richtete. Nach einigen Metern, in denen sie sich erneut gegenseitig stützen, ergriff Ryan leise flüsternd das Wort, ständig während den Wortpausen auf die Umgebung achtend. „Viki… Hör bitte auf dich zu entschuldigen… Dich trifft keine Schuld…“ War das wirklich so? Erneut hörte er die höhnende Stimme des Schwarzhaarigen in seinem Gedächtnis: „Muss hart sein, wenn das eigene Leben in derart unfähigen Händen liegt. Und wir können doch ehrlich sein Bro, würde sie dich wirklich lieben, sie würde nicht zögern, denkst du nicht? Frag‘ dich selbst, Mann, hättest du auch nur einen Augenblick gezögert, um ihr Leben zu verschonen?“ Ihre Lippen blieben stumm, während sie beschämt den Kopf weiter senkte. „Wir schaffen das schon hier raus…“, versicherte er ihr leise. Einige weitere, quälend langsame, Schritte später ohne weitere Reaktionen konnte Ryan nicht an sich halten und beugte sich nach links runter um ihr einen kurzen bestätigenden Kuss auf ihre rechte Wange zu geben. Erneut verkrampfte sie sich leicht und drehte sie den Kopf ein wenig weg. Doch Viki wehrte sich nicht weiter und als seine Lippen sanft ihre Haut trafen, schloss sie die Augen und entspannte sie sich etwas. „Gemeinsam… Wie wir es ausgemacht haben, als Team“, sagte Ryan. Doch noch ehe er die Worte vollkommen ausgesprochen hatte kam der Weg an der Mauer, die den Park umschloss, an und verlief mit dieser Parallel. Eventuell war es nun nicht mehr weit bis zu einem der Ausgänge, doch wie würde dieser bewacht sein? Viktoria, die noch nicht bemerkt hatte, dass die Mauer in Blick kam, sah das erste mal wieder zu ihm auf, während sie zögerliche seine linke Hand ergriff und wiederholte: „Als Team.“ Mit leichten Nachdruck umschloss sich ihre Hand enger um seine, wobei sie aber doch nur ein klägliches, unsicheres Lächeln zu Stande bringen konnte. Ein kurzer Seitenblick von Ryan glitt über Viktorias lädiertes Knie und ihr starkes Humpeln. Seinen zu vorigen Worten zuwider schoss ihm sofort eine Überlegung durch den Kopf: Käme sie vielleicht mit seiner Hilfe über die Mauer? Vielleicht keine gute Idee, der Sprung auf die anderen Seite würde die Verletzung nur massiv verschlimmern oder weitere Verletzungen provozieren… Vorsichtig zog er seine Partnerin mit sich zusammen runter vom Hauptweg, an den Rand der Botanik. Nach einer Weile kam auch der ersehnte Bogen in Blick, der Ausgang war tatsächlich erreicht! Und dennoch die Gefahr noch lange nicht vorbei. Mit sanften Druck zwang der Soldat seine Begleitung in die Knie. Umständlich ging diese mit ihm in die Hocke, wobei sie versuchte ihr Knie so wenig wie möglich zu beugen. Fragend sah sie ihn an, versuchte sich dann selbst genauer umzusehen, wobei sie als erstes doch nach hinten sah. Ryan setzte sich selbständig und alleine in geduckter Haltung, am Boden abstützend, langsam in Bewegung, näher an den Ausgang heran, während Vik, die noch verzweifelt versucht hatte den Körperkontakt so lang wie möglich zu erhalten, ihm nur hinterher sehen konnte. Früher war in dem großen Bogen wohl ein Stahltor eingearbeitet gewesen, doch schien das Material vor Jahren bereits abtransportiert und für andere Sachen Verwendung gefunden zu haben. Je näher Ryan dem Tor kam, desto deutlicher wich die Anspannung von ihm. Es schien tatsächlich unbewacht! Niemand war weit und breit zu sehen! Mit einem Lächeln wandte er sich erneut zu der Studentin um und winkte sie mit einer Geste herbei. Es würde tatsächlich klappen! Sie würden doch noch aus dieser Todesfalle entkommen! Er stand einige Meter von der Pforte entfernt, wartete dort beinahe ungeduldig auf Viktoria. War die Freiheit wirklich in solch greifbarer Nähe? Doch was war das, zögerte seine Partnerin etwa? Sie schien wie versteinert an Ort und Stelle stehen zu bleiben und sich immer wieder zu dem zurückgelegten Weg umzusehen. Was ging wohl gerade durch ihren Kopf? Die beiden mussten hier doch schleunigst weg... Sie musste doch wissen wie sehr die Zeit drängte? Ungeduld breitete sich in ihm aus, so kurz vor dem Ausgang des Parks. Sie kamen weiterhin nur langsam voran und wahrscheinlich waren die Wölfe so aufgebracht, dass sie auch außerhalb ihres Territoriums die Verfolgung ihrer entflohenen Gefangenen nicht aufgeben würden. Dennoch… Dieses ehemalige Tor schien für Ryan beinahe symbolisch für den Erfolg ihrer Flucht zu stehen. Wenn sie diese Grenze durchschritten… Sie würden bestimmt entkommen, dessen war sich Ryan sicher und doch zögerte sie in diesem entscheidenden Moment. Endlich setzte Viktoria sich in Bewegung. Eine unbewusst aufgebaute Spannung löste sich in ihm. Hatte er tatsächlich daran gezweifelt? Hatte er ernsthaft erwartet, dass sie, dem Folterknecht hörig, nun doch noch umdrehen würde, zurück in die Hände ihrer Peiniger? Nein, dennoch machte sich Erleichterung in ihm breit als seine Partnerin sich auf ihn zu bewegte. Aufs erneue vereint setzten die beiden sich langsam in Bewegung, verließen den Park und Vik hielt weiterhin beschämt und erschöpft den Kopf gesenkt. Nach einigen Metern ertönte zögerlich Viktorias Frage nahe seinem Ohr: „Ist .. ist es wirklich sicher?“, fragte sie leise. Waren sie nun sicher? Was bedeutete Sicherheit heutzutage noch? Gab es Sicherheit überhaupt noch? „Wir schaffen das, Die Wölfe haben scheinbar derzeit noch andere Probleme…“, versicherte er ihr. Stimmte das wirklich, was er da versprach? Er spürte merklich wie seine Kräfte schwanden, den Strapazen des Tages und dem Blutverlust verschuldet. Auch seine Begleiterin schien müde zu werden… Immer öfter nun, wandte der Soldat seine Augen von dem Weg vor ihnen ab, um Viktoria sorgenvoll zu mustern. Auch für sie war es ein langer Tag, voller körperlicher Belastung. Die mentale Belastung, die auf ihr ruhte, konnte der Sanitäter nur abschätzen, doch sie musste enorm sein. Vik versuchte sich umzusehen. Mit der linken Hand rieb sie sich über die Augen, die danach länger geschlossen blieben, bevor sie sich im Gehen nochmals umschaute. „Nordosten“, murmelte sie dann plötzlich. „Wir sind im Nordosten ‘rausgekommen“, ergänzte sie. „Wir müssen nach links. In Richtung Norden liegt die Uni. Bis zur Stelle, wo sie Straße nach rechts in die Kurve geht. Da müssen wir weiter nach Westen, glaub ich“, murmelte sie unsicher. Ryan war erleichtert, als sie sich scheinbar an ihre Umgebung erinnerte und eine ungefähre Richtung vorschlug. So wanderte das Gespann eine Weile durch die verschiedenen Straßen und Gassen. Die Reserven, die Ryan noch aufbringen konnte, schwanden merklich, auch Vik schien sich immer häufiger zurück zu ziehen, sich fallen zu lassen, während sie die Augen schloss und von ihm mitziehen ließ. Auch verkrampfte sie sich bei jedem Schritt, den sie mit den verletzten Knie machte, mehr und immer häufiger kamen die beiden ins Stolpern, schleppten sich nur so dahin. Wie weit war das Unigelände wohl noch? Sollten sie vielleicht in einem der unbekannten Häuser Rast machen? Der Gedanke war verführerisch, doch was wenn sie auf eventuelle Bewohner trafen? Oder keinerlei Vorräte oder Wasser vorfanden? Schwer abzuwägen wie lange sich die Versorgung ihrer Wunden noch aufschieben ließ, Ryan fürchtete, dass diese Zeitspanne nicht mehr all zu groß war. Das gesicherte Versteck mit seinen Vorräten zügig zu erreichen war unabdingbar, sie würden durchhalten müssen… Ein stetig wechselnder Druck von Viks Fingern auf seine Hand ließ ihn einen weiteren besorgten Seitenblick zu seiner Partnerin werfen, die erneut die Augen geschlossen hielt und nun leise eine Melodie zu summen schien. Unachtsam und kraftlos wie er war, ließ ihn der unebene Schuttboden erneut wanken und stolpern, riss dabei die angeschlagene Studentin unsanft mit. Viki schlug erschrocken die Augen auf, wobei ihr erneut ein gequältes Stöhnen entwich, als sie versuchte sich mit dem verletzten Bein zu fangen, als sie zu stolpern drohten, sich jedoch ein paar Augenblicke später doch auf den Schuttboden wiederfand. Ihre leicht zitternden Hände hielten noch ihr Knie fest, während sie das Gesicht verzog und ihr Tränen in die Augen stiegen. Ryan war knapp selbst einem unsanften Sturz entkommen, ließ sich kurz Zeit durchzuatmen „Sorry… Vielleicht sollten wir uns doch in eines der Häuser….“ Hektisch presste Vik hervor als er schon zu sprechen begann: „Schon okay, ...aber ...aber wir können nicht... nicht wieder rasten... bitte... ich will weiter...“, sagte sie fast flehend und sah erneut über ihre Schulter zurück. Währenddessen wanderte Ryans Blick bereits durch die Umgebung, auf der Suche nach einem geeigneten Ziel als er ein vertrautes Schild erblickte, nur zu oft hatte es ihn vor einigen Jahren daran erinnert auf den Campus abzubiegen, als er Ausgang hatte und eine der Studentenpartys besuchte. „Vik! Komm schon, wir haben‘s geschafft!“ Überschwenkende Freude verlieh seiner Stimme erneute Kraft, während er der Streunerin aufhalf, die scharf die Luft zwischen den Zähnen einzog und noch kurz die Augen wieder zukniff. Erst langsam, als er Viktorias Arm ergriff und sie zu sich hoch zog, wurde im erneut schmerzhaft bewusst, wie mitgenommen sie von der vergangen Odyssee war, aber war es um ihn wirklich besser bestellt? Verwirrt sah sie sich um. Es dauerte etwas, dann realisierte auch sie das Schild und ein zögerliches Lächeln breitete sich auf ihren Gesicht aus. Sehnsüchtig starrte sie das Schild an. „Nicht mehr weit... es... es ist nicht mehr weit“, murmelte sie eher für sich. Danach ging ihr erster Blick wieder über die Schulter. „Home sweet home.“, sagte Ryan selbst mit einem Lächeln. Nochmals rieb Viki sich über die müden Augen, sah sie genau um, bevor sie sich an Ryan wandte: „Wir können ein Stück südwestlich über den Campus, es ist kürzer, aber... ich bin selten an der Uni... ich weiß nicht wie es da aussieht... zu viele Fenster und offene Plätze, aber... wir wären in zehn bis fünfzehn Minuten vom Campus runter, dann noch ungefähr fünf bis zehn Minuten bis zur Tempeltonstreet 83. Ansonsten links am Campus entlang und dann rechts abbiegen, jedoch wären wir noch eine Dreiviertelstunde unterwegs... Was... was denkst du?“ Wieder sah sie kurz zurück, bevor sie zum Schild sah. Ihr nahendes Ziel schien Vik genau wie ihn, aufs erneute zu beflügeln. Sie wirkte augenblicklich wacher… präsenter. Auch sie schien endlich neue Hoffnung zu schöpfen. Das Gespann war nun so weit gekommen, es schienen nur noch wenige Meter zu fehlen. Und doch schienen diese wenigen Schritte für den Soldaten ebenso fern wie nah zu sein, als er Viktorias Bedenken zu den unterschiedlichen Wegen, die noch vor ihnen lagen, lauschte. „Ich würd‘ es riskieren...“, murmelte sie. „Ich weiß nicht, wie weit ich noch komme... a-aber .. was ist mit dir? Was meinst du?“, fügte sie verlegen hinzu, bevor sie Ryan ebenfalls genauer musterte. Für einen Moment horchte er in sich, versuchte die in ihm verbliebenen Energien mit den unterschiedlichen Risiken abzuwägen. Sein Hemd klebte ihm klamm am Körper, Schweiß mischte sich mit seinem Blut, dessen warmen Fluss er noch immer, an den Konturen seines Rückens, entlanglaufen spüren konnte. Immerhin schien die blutende Wunde im Gesicht versiegt zu sein, auch wenn er wegen dem geronnen und getrockneten Blut weiterhin das Lid geschlossen hielt, auch um zu verhindern, dass sie aufs erneute aufbrach. Durch diese Umstände kam seine Antwort prompt und ohne zu zögern nachdem Viktorias Satz geendet hatte. „Lass es uns riskieren…“ Als er ihren bohrenden Blick spürte und sah wie sie ihn abschätzend musterte, versuchte er ihr ein erschöpftes Lächeln zu schenken. „Nur lass uns sofort los, Krümel, jedes Zögern würde das Risiko erhöhen.“ „Okay...“, murmelte sie nur mit gezwungenen Lächeln und senkte dann doch den Blick. Bereitwillig ließ er sich erneut von Viktoria stützen und so setzten sie den vermeintlichen Endspurt fort, man merkte deutlich wie sehr die Euphorie des nahenden Zieles die beiden ein weiteres Mal beflügelte, sie die letzten Reserven mobilisieren ließ. Nach einigen Minuten, als sie bereits über den Parkplatz auf das Unigelände eingebogen waren, stützten sie sich mehr oder weniger wieder gegenseitig. Viktorias Bein schien ihr immer regelmäßiger Probleme zu machen, zwischenzeitlich kamen die beiden häufiger zum kompletten Stillstand. Der Campus selbst wirkte verlassen, die Fassaden der einzelnen Komplexe, die in Sichtweite kamen, spiegelten das vertraute Bild der Vernachlässigung und verschiedenem Vandalismus wieder. Hier und da wurde etwas auf die Wände getagt oder geschmiert oder einige Fenster eingeworfen. Die ehemaligen gepflegten Grünanlagen, die für eine beruhigende und angenehme Atmosphäre sorgen sollten, eroberten sich bereits die angrenzenden Gebäude zurück, eine von Efeu durchzogene Wand war teilweise eingestürzt. Einige der klaffenden Löcher waren an manchen Stellen notdürftig mit Spanplatten abgedeckt worden. Ob dies bereits am Anfang des Ausbruchs oder erst vor kurzem geschehen war, war schwer zu sagen. Alles in allem wurde der Soldat das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden, auch wenn die Fenster, die allesamt verdreckt waren, leer zu blieben schienen. Auch wenn er seinen Blick wachsam schweifen ließ, erblickte er keine fremde Gestalt. Doch musste er sich eingestehen, gab es hier genug Schlupfwinkel und Anhöhen, die seinem Blick entgingen, alles in allem war dies ein mehr als nachteiliger Ort für Viktoria und ihn, sie taten gut daran ihn so zügig wie es nur ging zu überbrücken. Gab es hier vielleicht mittlerweile eine Gang von der Viki nur noch nichts wusste? Ob sie dieses Gefühl beobachtet zu werden auch hatte? Er verzichtete darauf es auszusprechen um sie nicht zu beunruhigen. Vikis müde Augen wanderten aber ebenso nervös über die vielen Fenster. Sie fühlte sich sichtlich unwohl, sah dabei zwischendurch zu ihm, aber auch sie sagte nichts. So setzten sie ihren Weg weiterhin schweigend fort, jegliches Gespräch schien nur ihre Aufmerksamkeit zu reduzieren und man drohte den Fokus des nahen Zieles zu verlieren. In früheren Einsätzen hatte er sich meist auf seine Intuition verlassen können, doch bei seinem derzeitigen Zustand würde er sich nicht darauf verlassen, kein Grund ruhende Hunde zu wecken… Sie beide benötigten die trügerische Sicherheit des Versteckes, um neue Kräfte zu tanken. Kurz nachdem sie den Campus verließen, wurde Viktoria langsamer, bis sie schlussendlich anhielt um zu erneutem Atem zu gelangen. Auch der Soldat nahm nun die Luft geradezu gierig in sich auf, der Schmerz, den seine Rippen aussandten, wurde von dem Bedürfnis nach mehr Sauerstoff nahezu komplett überschattet. „Ich würd‘ mich nicht wundern, ...wenn wir nun noch mehr Verfolger haben... Aber, ...wir haben ja offensichtlich... nichts mehr, ...was den Aufwand wert wäre...“, keuchte sie erschöpft, aber doch mit einem bitteren Lächeln. Während sie sich wieder langsam in Bewegung setzten gingen Ryan noch immer ihre vorhergegangen Worte durch den Kopf. Sie hatten tatsächlich nichts mehr was den Aufwand für Banditen wert wäre, abgesehen von der Kleidung die sie trugen. Jedoch würde jeder, der sie einige Sekunden beobachtete, bereits erkennen, dass sie auch nicht mehr zu viel Widerstand fähig wären, leichte Beute für jemanden, der es auf die verdreckte Kleidung abgesehen hätte oder es vielleicht sogar nur aus Spaß tun würde? Sein Gedankengang riss ab als er die fast schon erlösenden Worte von Viktoria hörte. „Nur noch ein paar Häuser“, murmelte sie und hielt den Blick nun fest auf die Straße gerichtet. „Dort!“, sagte sie kurz darauf mit spürbarer Erleichterung. Waren sie wirklich da? Ihr Refugium erreicht? Es war ein sichtlich verfallenes Haus auf das sie zu hielten, das laut dem "zu verkaufen" Schild im Vorgarten wohl schon eine längere Zeit unbewohnt war. Nicht verwunderlich, dass die Pflanzen vermutlich länger als ein Jahr an dem Haus hoch krochen und es regelrecht zuwucherten. Die Eingangstür war kaum noch zu sehen und ein paar der Fenster waren scheinbar vor der Katastrophe schon von Kindern oder angetrunkenen Studenten eingeworfen worden. Das dort noch irgendetwas nützliches verborgen sein könnte, würde wohl kaum jemand denken. Von außen machte es nichts her, aber wie sollte dies auch möglich sein? Je verfallener und verlassener es wirkte, desto weniger Interesse und Aufmerksamkeit würde es auf herumstreunende Plünderer erzeugen. „Komm“, sagte Vik nur, nachdem sie sich noch mal auf der Straße umgesehen hatte. Anstatt ihn durch die zu gewucherte Haustür zu lotsen, folgte er ihr um die Ecke, wo zwischen den Häusern noch ein Müllcontainer stand. Viktoria löste sich von Ryan und schob den leeren Container mit letzter Kraft ein Stück zur Seite, bis ein schmales Kellerfenster, verborgen unter einem Gitter, zum Vorschein kam. So gut es noch ging, ließ sich Vik an der Mauer nieder, zog das Gitter weg und stieß das Fenster auf. „Schaffst du es noch runter?“, fragte sie leise zur Sicherheit, woraufhin der Soldat stumm nickte. Sie hatte sich wirklich perfekt auf ihr Leben als Streuner eingestellt, den Haupteingang unberührt gelassen und die zerworfenen Scheiben nicht verbarrikadiert. Alles um den Anschein eines unbewohnten, längst geplünderten Hauses zu erwecken. Der überlebende Teil der Menschheit hatte sich wirklich schnell angepasst und jeder war ein anderweitig spezialisierter Überlebenskünstler geworden. Seine Partnerin ließ ihm den Vortritt in den dunklen Keller, immerhin war der Abstieg durch einen vorausschauend platzierten Tisch nicht sonderlich tief, er konnte sich nur vorstellen, dass es jedoch für Viktorias Bein dennoch noch eine schlimmere Belastung wäre. Noch auf halben Weg hinab, zog sie das Gitter erneut vor das Fenster und verschloss dieses fest. In dem Keller erkannte man bei den Lichtverhältnissen wenig, Ryan stand leicht gebeugt, da die Decke hier nicht sonderlich hoch war. Schon bald war Viktoria wieder bei ihm, so dass ihm zu einer genaueren Inspektion nicht viel Zeit blieb. „Jetzt nur noch nach oben und hoffen, dass sonst niemand hier war“, murmelte sie mit hoffnungsvollen, sparsamen Schmunzeln und setzte sich in Bewegung. „Muss ich meine Schuhe ausziehen?“, fragte er schwach schmunzelnd, als Viktoria in erneut zusätzlich stützte und das obwohl sie selbst mehr als mitgenommen wirkte… „Oben vielleicht. Hab letzte Woche erst neues Parkett bekommen“, gab sie murmelnd als Antwort. Fast zu spät sagte sie plötzlich: „Vorsicht Rohre!“, während sie ihn durch den düsteren Keller führte und sagte noch einmal: „Achtung, ducken!“, als sie unter einem Türrahmen durchkamen,wobei sie noch klein genug war, um so hindurch zu gehen, bevor sie links an eine Treppe gelangten. „Fünfzehn Stufen“, murmelte sie ihrer Begleitung zu und begann während des Aufstiegs im halbdunklen leise mitzuzählen. Langsam krochen sie die Treppe hoch, die Art der Belastung musste eine Qual für seine Begleitung sein, dennoch stützte sie ihn weiterhin, bemüht ihm zusätzlichen Halt zu bieten. Kurz löste sie sich von ihm um sich im Erdgeschoss umzusehen, es fiel mittlerweile mehr Licht durch die verdreckten und Efeubehangenen Fenster. Durch das schummrige Licht, sah man, dass einige Möbelstücke wie vergessen noch in dem Haus standen. Auch war der Schimmel, der die Wände entlang kroch, unübersehbar. Doch bevor er sich ausführlich umsehen konnte, trieb ihn Viktoria wieder zu Eile an: „Scheinbar ist keiner hier gewesen. Wir müssen weiter unter‘s Dach.“ Also noch eine Etage? Diesmal bemühte er sich bei dem nächsten Treppensteig Viktoria so viel zu entlasten, wie es ihm möglich war. „Nicht mehr weit“, murmelte sie aufmunternd und blieb danach schnaufend auf dem Treppenabsatz stehen. Mehrere Zimmer gliederten sich an den Flur an, bei allen schien die Tür offen zu stehen. Keuchend ließ sie auch hier kurz die Augen in die angrenzenden Zimmer wandern. Zur linken ein altes Badezimmer, wo sogar zwei Eimer mit nicht ganz sauberen Wasser in der Badewanne standen, eine Küche, in der nur noch die Küchenzeile stand und ein Wohnzimmer, wo immerhin ein kaputter Schrank, ein Sofa und kleinere Kommoden standen. Doch Viktoria führte ihn direkt in ein kleines Schlafzimmer, das mittlerweile leergeräumt wirkte. Als sie das Zimmer durchquerten, überkam ihm ein kurzes Déjà-vu an das Schlafzimmer, welches er vor nicht allzu langer Zeit inspiziert hatte. Einem Trugbild gleich stieg ihm erneut der süß-säuerliche Fäulnisgeruch in der Nase auf, eine unbemerkter Schauer durchlief seinen Körper. Als er sich wieder einigermaßen von der Illusion befreit und seinen Körper wieder unter seiner Kontrolle hatte, konzentrierte er sich wieder auf den Weg der Studentin. Die einzige weitere Tür in diesem Zimmer führte zu einer noch vollen Abstellkammer voller Putzkram und Kisten mit unterschiedlichen, nun nutzlosen Zeug. „Jetzt, nur noch hoch“, sagte Vik erleichtert schmunzelnd und griff sich einen Stab mit Harken an der Spitze, der leicht verborgen hinter einer Platte lehnte. Etwas verzog sie schmerzvoll das Gesicht, als sie die Stange über ihren Kopf hob. Leicht übersehbar zog sie von oben eine Klappe herunter, die den Eingang zum Dachboden preisgab und zog dann die Leiter von oben zu sich. Mit einem erleichterten Lächeln drehte sie sich zu Ryan um, bevor sie sehr langsam und mit etwas zittrigen Gliedern auch das letzte Hindernis überwand. Mitten auf der Leiter hielt sie plötzlich inne und sah nochmals zu ihn hinab. Ihr Blick war voller Zweifel, aber ihre Wangen glühten wieder deutlich rot: „Ryan... ich... a-a-also, ich hab kein 'Besuch' erwartet und eigentlich... ich hab nie gedacht, dass jemand... ich mein... es ... es ist nun nicht gerade... ich mein...“, stammelte sie nun sichtlich nervös und verlegen. „Ach fu- ... verdammt“, fügte sie leise hinzu und stieg beschämt nach oben. „Hast du etwa dein Zimmer nicht aufgeräumt? Oder muss ich dir noch etwas Zeit geben deinen Schmuddelkram wegzuräumen?“ Er lächelte ihr hinterher während sie die letzten Sprossen erklomm. Sein Lächeln hielt weiter an, als sie schon außer Sicht war, ihre Reaktion hatte ihn verwundert, wirkte sie doch zu diesem Zeitpunkt mehr als fehlplatziert, dieses ernsthafte Bedenken, ließ sie mehr als niedlich wirken. Die Leiter bescherte ihm deutlich mehr Probleme mit seiner verwundeten Schulter, jede einzelne Sprosse verlangte ihm seine letzten Reserven ab. Mit beinahe kleinen Sprüngen gelangte er nun ebenfalls einige Momente nach Viktoria auf den Dachboden. Dort waren sie ziemlich Mittig auf einem großen Dachboden angekommen, der merklich in zwei Bereiche aufgeteilt war. Während rechts jede menge Krempel, wie alte Elektrogeräte, Möbel, Kisten und Tüten lagerten, wobei hier und da ein Eimer stand, um das Wasser, welches vom Dach durch tropfte aufzufangen, war der linke Bereich fast wohnlich hergerichtet. Abgetrennt wurden die Bereiche durch eine zerschnittene Blümchenbettwäsche, die an einen der recht niedrigen Querbalken genagelt wurde. An den Schrägen hatte Vik die Reste von bunten Tapeten aufgehängt. Am Dachgiebel war ein Fenster eingelassen, welches von außen mit Efeu zugewuchert war, vor dem ein alter Schreibtisch mit einem Kissen darauf stand. Von dem Platz aus, sah Viktoria scheinbar durch die Blätter auf die nahe Kreuzung. Davor stand ein Stuhl mit nur drei Beinen, wobei eine Kiste dem ganzen noch Stabilität gab. Rechts vom Schreibtisch standen noch ein paar Säcke mit alter, viel zu großer Kleidung und Decken, wobei an der rechten Dachschräge weitere Kisten aufgetürmt waren, die eine Matratze von drei Seiten umgaben. Über den Kisten war eine große Tischdecke gelegt, das die meisten Kisten damit verbarg und so auch den Inhalt von Plunder. Auf der Matratze lagen viele Kissen, dicke Decken und sogar ein grünes Drachenstofftier. Ein Schlitten diente Vik als Nachttisch, auf dem eine Kerze, ein Bleistift und verschiedene Bücher lagen. Unter anderem alte, kitschige Liebesromane, ein paar Harry Potter Bände, sowie ein Krimi. Gegenüber vom Bett, an der linken Schräge, stand eine kleine Kommode, auf dem weitere Kerzen, eine Bürste und Zahnbürste, sowie ein idyllisches Landschaftsbild standen. Links von der Kommode stand ein alter Fernseher, an dessen Scheibe Viki einfach nur ein Bild eines Kaminfeuers geklebt hatte. Rechts von der Kommode waren einige Töpfe mit unterschiedlich klaren Wasser und mit Handtüchern daneben. In der Ecke rechts von den Töpfen und links von dem Schreibtisch, stand ein großer Spiegel, dessen rechte, untere Ecke leicht zersplittert war. In der Mitte des 'Wohnraumes' lag ein alter, abgewetzter Perserteppich. Das einzige, was sonst noch auffiel war, das an den Querbalken, die vermutlich für Ryan wieder etwas zu tief hingen, Lichterketten und Weihnachtsgirlanden geschlungen worden waren. Auf einigen standen zudem noch nicht entzündete Kerzen. Fast schon Viktorias Warnung und Gedanken zum Trotz, blickte sich Ryan nun mehr als genau um, es fühlte sich beinahe so an als wäre man das erste Mal im Schlafzimmer seiner Freundin und eigenartigerweise war genau das der Fall, auch wenn der Ort und die Einrichtung ungewöhnlich war. Es schien als läge dieses Versteck Viktoria besonders am Herzen. Das Kuscheltier welches auf der Matraze rumlag, der Teppich und selbst der selbstgebaute „Kamin“ vermittelten ein angenehm heimisches Gefühl, auch wenn das abstrus wirkte. Fast peinlich berührt sah sich Viktoria selbst kurz um, wobei ihr Blick erst auf dem Stofftier und dann auf den Büchern hängen blieb, während Ryan die Treppe hinauf in ihre kleine, selbst errichtete Welt kam und sich umsah. „A-also... hm... Willkommen zu Hause?! Geh nicht in die Kram-Ecke, da... da ist das Holz, also der Boden... der ist morsch!“, warnte sie ihn noch und legte zögerlich den Stab zur Seite, den sie mit hoch geschleppt hatte, damit man es von unten schwieriger hatte zu ihnen zu kommen. „Und... und Vorsicht mit dem Kopf...“, murmelte sie, sah sich noch mal unsicher um und ging dann selbst schon zu der Hälfte mit allerlei Gerümpel hinüber. Ziemlich mittig schleppte sie sich auf den etwas stabiler aussenden Holzboden voran, wo vermutlich ein dickerer Holzbalken verborgen lag. Dennoch knarrte das Holz bedrohlich. Beiläufig nahm Ryan ihre Warnung zur Kenntnis, während er sich mit geducktem Kopf etwas weiter in den Dachboden hinein begab, während sie die Vorräte holte. An dem anderen Dachgiebel angekommen, schob sie ein paar Kisten zur Seite und löste einige Holzdielen. Dann holte sie einige unterschiedliche Metallkisten aus dem Zwischenboden und kam langsam und schwer beladen wieder zu Ryan. Umständlich stellte sie ihre Sachen auf den Teppich und ließ sich nun seufzend auf den ersehnten Boden nieder. „Ich... ich weiß, das hier ist nicht gerade... naja, aber... auch wenn es hier zieht... mit den Decken lässt es sich gut aushalten... und... bisher hat es niemand gefunden und... ich hatte Langeweile, daher hab ich... eigentlich wollt ich nicht... ich weiß es ist... ...“, wieder stotterte sie nervös herum, hielt dann doch den Blick gesenkt. Nebenbei öffnete sie etwas hektisch, mit nervösen Händen die Kisten: In der ersten lagen eine Packung Tampons, zwei Packungen Batterien, drei Verbände. Die zweite Kiste war mit einer kleinen Flasche Wasser, acht Kerzen, drei Packungen Zigaretten, zwei Packung Streichhölzer gefüllt. In der dritten waren eine Dose mit Hühnernudelsuppe, eine Packung Knäckebrot, eine Packung Trockenfrüchte, und in der Letzten vier Flaschen Bier. Mit einem breiten Lächeln hörte er ihrem Gestammel zu, sah ihr dabei zu, wie sie ihre Vorräte vor ihm ausbreitete. In ihrem eigenen Heim wirkte sie wie ausgewechselt, wirkte mehr wie eine Frau in ihrem Alter eigentlich wirken sollte. Wenn sie sich nicht zu diesem Überlebenskünstler hätte entwickeln müssen … „Nimm dir was du willst“, nuschelte sie noch verlegen. Sie bot ihm freie Auswahl über die Vorräte die nun vor ihm Lagen. Gerade beim Anblick der Wasserflasche fühlte sich sein Hals wie ausgetrocknet an und er sollte sich ebenfalls schleunigst um seine weiterhin blutende Wunde kümmern und ebenso um Viktorias … Doch die fast schon peinlich berührt wirkende Viktoria vor ihm, die bisher noch keinerlei Antwort von ihm erhalten hatte, ließ ihn all diese Prioritäten über Bord werfen. Stattdessen beugte er sich über die Vorräte hinweg, seine schmerzende Schulter ignorierend, bis er Viktorias Wange berühren konnte um sie sanft zu sich ziehen zu können. Endlich waren sie den Wölfen entkommen, hatten dieses scheinbar sichere Versteck, ihr kleines Zuhause, erreicht, allen Widrigkeiten zum Trotz, waren sie noch am Leben… Mit einem letzten Lächeln presste er seine Lippen auf die ihre um ihr einen Kuss zu schenken der schon so lange hat auf sich warten lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)