Drachenjagd von Lady_of_D (Die Himmelsgöttin) ================================================================================ Kapitel 9: Izara ---------------- Das Zeitgefühl war dahin, aber als Izara ihre Augen aufschlug, war ihr Mund trocken, rau und kratzig wie nach Wochen des Entsagens. Sie hatte Schwierigkeiten zu atmen, Husten tat weh und sobald auch nur ein Staubkorn in ihre Lunge kam, glaubte sie zu ersticken. Das Gefühl dauerte eine Weile an. Sie kam nur langsam wieder zu sich, die Umgebung erschien ihr wirr und unklar. Izara wischte sich über die Augen. Viele kleine Lichtpunkte tanzten vor ihrem Gesicht, zunächst dachte sie, sie halluzinierte, doch die Glühwürmchen großen Kugeln waren echt. Das Licht blendete kaum, es war warm und einladend und entlockte Izara ein Lächeln. »Tropf - Tropf« Izara starrte zur Decke. Ein Tropfen landete auf ihrer Nasenspitze. Etwas Abkühlung hätte nicht geschadet, aber das hier fühlte sich nur schwül und eklig an. Ein Tropfstein hing nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht, die Spitze lächelte ihr geradezu entgegen. Sie war noch nie hier gewesen. Solar hatte ihr einmal von dieser Höhle erzählt, die Drachen Kandios kannten diesen Ort. Er war zu einer Art Heiligtum geworden. Jetzt, wo ihr die Wassertropfen ins Gesicht klatschten, spitze Steine in ihren Hintern pieksten und der Gestank von Altem in ihrer Nase juckte, war sie sich nicht sicher, ob er diesen Namen überhaupt verdient hatte. Wie bin ich hier hergekommen? Sie erinnerte sich, wie sie aus der Stadt gerannt war, wie sie es kaum aus dem Tor geschafft hatte und die ersten Regentropfen auf ihre Sachen gefallen waren. Hinter den Feldern hatte sie es nicht länger unterdrücken können. Der Schmerz hatte sie übermannt, danach war alles um sie herum schwarz geworden. Ihr Blick glitt von der Decke hinab zu sich selbst. Der Mantel war vorher definitiv noch nicht dagewesen - und wann hatte sie sich ausgezogen? Zu all dem Chaos kam hinzu, dass das eindeutig ein Herrenmantel war, der Stoff lag wie eine Decke um Izara, sie konnte ihn sogar bis zu ihrem Kinn hochziehen. Nachdem sie sich aufgesetzt hatte, versuchte Izara ihre Erinnerungsfetzen zu sortieren. Wenn doch nur nicht der Durst so mächtig wäre! Verzweifelt sah sie sich um. Sie könnte etwas Wasser von den Tropfsteinen auffangen. Nur waren ihre Hände das einzige, was als Schale noch irgendwie durchgegangen wäre und wie viel sie auffangen konnte, bevor die Tropfen in die Haut eingingen, ließ in ihr kaum Euphorie aufsteigen. Sie könnte natürlich auch einfach den Mund aufmachen und ihre Zunge ausstrecken, aber selbst jetzt hatte sie noch einen Hauch von Stolz und der weigerte sich strikt gegen diese Idee. Dann also doch die Hände. "Einen Versuch ist es wert", murmelte Izara und streckte die Arme aus. Schritte ließen sie mitten in der Bewegung innehalten. Sie zuckte zusammen, bedeckte sich mit dem Mantel und starrte in die Richtung, aus der sie die Schritte kommen hörte. Ihr Herzschlag setzte aus. Wie zuvor bei den Lichtern glaubte sie zu fantasieren. Der Mann aus dem Laden, schoss es ihr durch den Kopf. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Izara träumte nicht - weder jetzt noch die Nächte zuvor. Er war wirklich hier gewesen. Bei ihr. Während ihrer Erweckung. Auf einen Schlag erschienen ihr die letzten Stunden viel klarer. "Du bist wach", seine Stimme bereitete ihr Gänsehaut. Er lächelte sie an - dasselbe Lächeln wie am ersten Tag ihrer Begegnung. "Ja", Izara kam sich blöd vor, nicht mehr sagen zu können, aber sie war schon froh, dass sie ihn nicht wie ein seltenes Exemplar begaffte. Gedanklich schüttelte sie sich. Jetzt war nicht der Augenblick, über die starke Anziehungskraft nachzudenken - oder über das Kribbeln in ihrer Brust, das seine Gegenwart in ihr auslöste. Nein! Was sie jetzt brauchte, waren Antworten. Sie bereitete sich darauf vor, eine Reihe unangenehmer Fragen zu stellen, als er sich zu ihr herunterbeugte, ihr eine Flasche reichte und sich gegenüber Izara setzte. Sie öffnete den Deckel, ihr wäre fast ein Stöhnen herausgerutscht. Es war Wasser - frisches, klares Wasser! Wer hätte gedacht, dass diese Flüssigkeit so viel Freude auslösen könnte.   "Du wirst bestimmt durstig sein", sagte er. Wie recht er hatte! Er schien darauf zu warten, dass sie trank. "Danke", krächzte sie. Ihre eigene Stimme erschreckte sie. Selbst als sie mit Lungenentzündung im Bett gelegen hatte, hatte sie sich nicht so schlimm angehört. Die Lippen an die Flüssigkeit gesetzt, spürte sie, wie der erste Tropfen über ihre Zunge rollte. Danach war Izara nicht mehr zu bremsen. Sie trank das Wasser in einem Zug, verschluckte sich und bemerkte nicht einmal, wie sie laut und genüsslich gluckste. Gespannt beobachtete er sie dabei und Izara setzte die Flasche ab. Ihr wurde heiß, sie drehte sich weg und wischte sich über den Mund. Schon das zweite Mal, dass sie sich vor ihm blamiert hatte. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie ein Talent für peinliche Auftritte hatte. "Besser?", fragte er und Izara wäre am liebsten im Erdboden versunken. "I-ich", sie versuchte nicht in sein Gesicht zu sehen. Die Erweckung lag hinter ihr, aber ihre Hormonen schienen das noch nicht begriffen zu haben. "Du hast sicher viele Fragen", sagte er mit einem gebrochenen Akzent. Izara wüsste nur zu gern, woher der Fremde stammte. Sie nickte schüchtern. Ihr war nicht entgangen, dass sie noch immer nackt war - selbst wenn der Mantel sie hinreichend schützte, galt das nicht für den Augenblick als er ihn ihr übergelegt haben musste. Es bestand kein Zweifel, dass er derjenige war, der sie hierher gebracht hatte, und wenn sie so darüber nachdachte, erkannte sie auch den Mantel wieder. Im Augenblick trug der Fremde eine schwarze Hose und ein weißes Hemd - er sah aus wie jedermann, bloß dass er kein Mann war. Ein Bild seines Gesichtes, das nahe an ihrer Wange ruhte, ließ sie die Hitze in die Wangen treiben. Ob das auch kein Traum gewesen war? "Wie lange bin ich schon hier?", es war nicht die erste Frage, die ihr durch den Kopf schoss, aber für den Anfang die Klügste, wie Izara fand. "Drei Tage", antwortete er und Izara wäre fast vom Boden aufgesprungen. "Levis! Kaia! Ich muss-" "Ganz ruhig", sein Ton half Izara tatsächlich, sich zu beruhigen, "sie wissen, dass du hier bist." "Dann wissen sie auch-", Izara ließ den Kopf hängen. Sie hatte immer gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem ihre Zieheltern erfuhren, dass sie sie belogen hatte. Dennoch schmerzte es, dass Izara ihnen nicht selbst die Wahrheit gesagt hatte. "Haben…Sie", Izara fiel auf, dass sie noch nicht einmal seinen Namen kannte, "haben Sie es ihnen gesagt?" "Ja", antwortete er. Izara zog die Beine zu sich heran und legte den Kopf auf die Knie. "Izara." Der Fremde kannte ihren Namen? Eigentlich logisch, wenn er vorher mit Levis und Kaia gesprochen hatte. "Sieh' mich an, Izara",  er sprach ruhig, aber hinter dieser Stimme verbarg sich eine Autorität, der sich Izara nur schwer entziehen konnte. "Erkennst du mich?", fragte er. Izara nickte. "Aus dem Geschäft meiner…Sie waren dort in Begleitung eines anderen…Mannes." Es war schwer, seinen Blicken zu widerstehen. Den eiskalten Augen, die Izara bereits so vertraut vorkamen. Warum mussten gerade jetzt diese Gefühle aufkommen? "Ich weiß, dass Sie ein Drache sind." "Weißt du auch, was genau ich bin?" "Ich…ich weiß nicht", da war etwas, aber Izara konnte es nicht genau benennen. "Und weißt du, was du bist?" Die Frage machte ihr Angst. Nicht ob sie es wusste, war entscheidend, sondern ob sie es überhaupt wissen wollte. Ein Teil sträubte sich, die letzten Tage zu akzeptieren. All die Jahre hatte sie es unterbunden. Sie konnte nicht einfach so tun als hätte sie keine Angst vor dem, was sie sein könnte. Als könnte er ihre Zweifel spüren, ließ er seine Augen in himmelblaues Licht tauchen. Das Wissen überrollte sie, Izara konnte sich nicht länger verstecken. "Hast du von den Himmelsdrachen gehört?" "Ja", sagte sie, "sie sind die stärksten von uns. Sie sollen die unmittelbaren Nachfahren des Großen Drachen sein." Ihre Stimme brach. "Man sagte mir, sie seien alle tot. Der letzte König sei verschwunden und…" Izara hatte das Gefühl, weinen zu wollen. Sie spürte einen unbändigenden Schmerz. "Schon gut", er schien zu verstehen. Seine Augen nahmen dieselbe Traurigkeit an. "Ich werde dir auf dem Rückweg alles erzählen, aber vorerst sollten wir diesen Ort verlassen." "In Ordnung", erwiderte sie, obwohl für sie gar nichts in Ordnung war. Der Fremde erhob sich und deutete hinter sie. "Frische Kleider liegen dort drüben." "Danke." "Ich warte draußen auf dich." Damit drehte er sich um und ging. Für einen Moment saß Izara einfach nur still da. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Die Hände ins Gesicht geschlagen, ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Die Tränen kullerten übers ganze Gesicht, hinterließen nichts als Verzweiflung und Angst. So fremd hatte sie sich noch nie gefühlt. Aber da war noch etwas anderes, etwas, das ihr geradezu die Kehle zuschnürte. Irgendwo, tief in ihr, schlummerte die Wahrheit und es brauchte bloß einen Fingerschnipp, um die Lawine ins Rollen zu bringen. In dem Augenblick dachte sie an ihre Mutter. Das Bild war so klar, so greifbar, dass sie an liebsten die Hand ausstrecken wollte. Sie wusste, dass es nicht echt war, dass sie tot war und nie wieder zu ihr zurückkehren würde. Nicht einmal, wenn Izara alles ungeschehen machen könnte… "Beruhige dich", flüsterte sie und atmete flach. Ruhe kehrte ein, sie musste ihre Gefühle vorerst wieder verschließen. Es galt, sich auf Wichtigeres zu fokussieren. Über ihre Veränderungen könnte sie später nachdenken. Sie zitterte, als sie sich aufstellte. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an, während sie überall an ihrem Körper Muskelkater verspürte. Sie legte den Mantel ab, ein wenig wehmütig ließ sie ihn zu Boden gleiten. Sie wusste, dass ihr Körper nicht in Bestform war, aber dass er derart in Mitleidenschaft gezogen worden war, erschreckte sie dennoch. Überall waren Schrammen, ihre Schulterblätter spannten und die Blutspritzer auf dem Boden bemerkte sie auch erst jetzt. Dafür sah Izaras Haut relativ sauber aus und sie hatte eine Ahnung, wer dafür verantwortlich war. Bevor ihre Scham ein neues Level erreichen konnte, schnappte sie sich ihre Kleider und zog sich hastig um. Stolpernd kam sie aus der Höhle. Wie versprochen stand der Fremde direkt am Eingang, seine Hände wischten in der Luft und zogen seltsame Linien in Richtung der Höhle. Izara strauchelte, sie hatte sich zu sehr ablenken lassen und ihr Zustand tat sein Übriges. "Vorsicht", schnell hatte er sie am Oberarm gepackt. Er musste die Reflexe eines Panthers haben, oder waren dies die Fähigkeiten eines Drachen - des Drachen? "Geht schon wieder", stammelte Izara und befreite sich etwas zu abrupt aus seinem Griff. "So geht es jedem nach seiner Verwandlung", sagte er, scheinbar nicht weiter über ihr Verhalten verwundert. "Wird das jedes Mal sein?", fragte sie und dachte im selben Moment, ob es überhaupt ein nächstes Mal geben sollte. Er schüttelte den Kopf. "Die nächsten Male werden…entspannter", er schien nicht sicher, ob er das richtige Wort verwendet hatte, "aber es ist gut, wenn du dich die nächste Zeit schonst. Dein Körper ist als Drachenmensch weniger belastbar." Natürlich. Wieder einmal das nervige Mischblut. Sie folgte ihm durch die Wiesen. Ihr Gefühl sagte ihr, sie sollte sich alles noch einmal gut ansehen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)