Von erfüllten und unerfüllten Träumen von Aleye85 ================================================================================ Kapitel 2: Der Neuanfang ------------------------ Randy blickte sich gedankenschwer um. Eine Woche war es nun her, dass sie ihr neues Heim in Kandala bezogen hatten. In der Wohnung standen noch vereinzelt ein paar nicht ausgepackte Umzugskartons herum, doch im Großen und Ganzen konnte sich die Wohnung sehen lassen. Er konnte nichts finden, das gegen das neue Heim gesprochen hätte, außer dass es nicht Iwatobi war. Haruka und die anderen fehlten. Würde er seine Vorbilder jemals wieder schwimmen sehen? Seufzend zog sich Randy die Schuhe an, rief ein „Tschüss“ in Richtung Küche zu seiner Mutter und verließ das Haus. Der Weg zur Schule war nicht sonderlich lang und er konnte gemütlich zu Fuß gehen. Allerdings fehlte ihm das glitzernde Meer. Der Anblick von grauem Asphalt stimmte ihn traurig. In der Schule selbst erging es ihm nicht besser. Nicht, dass er gemobbt werden würde, doch er fühlte sich wie ein Fremdkörper: zur falschen Zeit, am falschen Ort. Völlig allein. Eigentlich war das nichts Neues für ihn. Er war schon immer sehr schüchtern und introvertiert gewesen – kam einfach nicht aus seiner eigenen Haut heraus. Es war Randy ein Rätsel, wie alle um ihn herum so fröhlich und aufgeschlossen sein konnten. Als wäre es das Normalste der Welt. Wie erlernte man das? Mutlos legte er die Tasche auf den Tisch und packte seine Bücher und Hefte aus. „Freidingens? Was ist das?“ „Freistil … bei der Disziplin darf man schwimmen, was man möchte.“ Randy spitzte die Ohren und schielte nach vorne, wo sich zwei seiner Mitschüler unterhielten. „Und was schwimmt man dann?“, hackte der Kleinere von beiden nach und blinzelte sein Gegenüber unsicher an. „Die meisten bevorzugen Kraulen, manche schwimmen aber auch Schmetterling“, erklärte ihm sein Klassenkamerad und strich sich durch sein blondes Haar. „Warum? Macht das mehr Spaß als Brust?“ „Das ist individuell, aber die zwei Stile sind einfach am schnellsten. Komm doch mal nach der Schule mit ins Training.“ „Ich verstehe …“, sein Klassenkamerad rieb sich das Kinn. „Ich glaube, das ist nichts für mich. Eine Sportart an Land ist für mich besser geeignet.“ „Schade, wir hätten dich gerne in unserem SC aufgenommen.“ Das Erscheinen des Lehrers unterbrach die Unterhaltung der beiden. In weniger als einer Minute kehrte Ruhe in den Saal ein. Randy grübelte, doch er konnte sich nicht an die Namen der beiden erinnern. Deshalb spitzte er die Ohren, als der Lehrer die Anwesenheit der Schüler überprüfte. Ungeduldig wartete er darauf, dass der Blonde seine Hand hob. „Hotohori Kobayashi?“ „Ja, hier.“ Der Ansatz eines Lächelns legte sich auf Randys Mundwinkel. Hotohori also. Den Namen würde er sich merken. Wie er wohl schwamm? Er hatte fest vor, es herauszufinden. Die Stunden zogen sich dahin wie Kaugummi. Als die Glocke endlich zum Schulschluss läutete, machte Randys Herz einen erleichterten Sprung. Er hatte sich nicht auf den Unterricht konzentrieren können. Seine Gedanken waren ständig darum gekreist, wie er es am besten anstellen könnte, den Schwimmclub von Hotohori ausfindig zu machen. Er entschied sich letztendlich für die einfachste Lösung: er würde ihm folgen. Sein Herz pochte wie wild, als er sich von Baum zu Baum schlich, seinen Klassenkameraden nicht aus den Augen lassend. Der andere durfte ihn nicht entdecken. Was würde er sonst von ihm denken? Vielleicht, dass er ein Rad abhatte oder ihm etwas antun wollte … Auf jeden Fall nichts Gutes. Randy wusste selbst, dass sein Verhalten gerade seltsam war, aber einfach auf den Gleichaltrigen zugehen und ihn anzusprechen, traute er sich nicht. Vielleicht ein andermal, aber jetzt noch nicht. Tatsächlich sollte er es schaffen, denn Hotohori hatte seinen MP3-Player ganz aufgedreht und hing den gesamten Weg zum Schwimmclub seinen Gedanken nach. Auch war es sein Glück, dass er zu Fuß und nicht mit dem Fahrrad unterwegs war. Da hätte er unmöglich mithalten können. Randys Augen begannen zu leuchten, als sein Klassenkamerad nach fast zwanzig Minuten vor einer offensichtlichen Schwimmhalle zum Stehen kam, seinen MP3-Player ausschaltete und das Gebäude betrat. „Kandala SC“ stand in großen Lettern über dem Eingang und ließ sein Herz höherschlagen. Vorsichtig schaute er sich um, doch außer ihm war gerade niemand auf der Straße zu sehen. Entschlossen wanderte Randy um das Gebäude herum. Zu seiner Freude besaß der Schwimmclub ein Freiluftbecken auf das er einen guten Blick erhaschen konnte. Sein Herz begann vor Vorfreude schneller zu schlagen. Wäre hier jemand dabei, der Haruka und seinen Freunden das Wasser reichen konnte? Befanden sich in Kandala überhaupt annähernd so gute Schwimmer? Er würde es gleich herausfinden. Auf der einen Seite hoffte er es, auf der anderen Seite glaubte er nicht daran, dass irgendjemand besser schwimmen konnte als Haruka. Sein Schwimmstil war einfach einmalig. Die Einigkeit mit dem Wasser einzigartig. Die Stimme eines rothaarigen Mannes, vermutlich der Trainer, ließ ihn zusammenzucken. „Ich hoffe, ihr habt euch alle aufgewärmt? Hundert Meter Einschwimmen. Danach Lagenschwimmen pro Bahn, Dreihundert Meter. Los geht’s! Ins Wasser mit euch!“ Die umstehenden Schüler kamen der Aufforderung gerne nach. Randy entdeckte Hotohori und beobachtete neugierig, wie er zu schwimmen begann. Allerdings konnte er sich nicht lange darauf konzentrieren, denn die Stimme des Trainers erklang abermals. Dieses Mal jedoch ermahnend und genervt. „Nael, Cosmo – was wird das schon wieder?! Hört auf vor dem Schwimmen zu naschen! Wie oft soll ich euch noch sagen, dass nichts gegessen wird, bevor ihr ins Wasser steigt?! Weg mit dem Süßkram und ab ins Becken!“ Randy schielte zu den angesprochenen Jungen. Er schätzte sie ebenfalls auf sein Alter. Der Schwarzhaarige mit den blonden Strähnchen verdrehte genervt die Augen, während der andere noch einmal schnell in die Tüte griff und sich eine handvoll Süßigkeiten in den Mund stopfte. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, empörte sich der Trainer und stapfte zu ihnen hinüber, um den Rest der Süßspeisen einzuziehen. „Nichts als Flausen im Kopf. Immer dasselbe mit euch beiden. Was soll ich nur mit euch machen? So geht das nicht.“ Verärgert schob sich der Trainer die Brille auf der Nase zurecht. Auf dem Gesicht des einen breitete sich ein freches Grinsen aus. Er verschränkte die Arme vor der Brust und setzte zur Antwort an, doch der Schwimmcoach ließ es wissentlich nicht dazu kommen. „Nael, kein Ton jetzt! Ab ins Wasser und hundert Meter zusätzlich einschwimmen!“ Zu Randys Überraschung folgte der Junge der Aufforderung, ohne weiter aufzumucken. Mit einem eleganten Startsprung tauchte er in das Becken ein und begann kraftvoll zu schwimmen. „Wow …“, kam es flüsternd über Randys Lippen. Der Sprung war einfach perfekt gewesen. Diese Körperhaltung, der Eintauchwinkel – alles schien mehr als nur richtig. Zugetraut hätte er es ihm nicht, nachdem der Junge anscheinend auf Krawall aus gewesen war. Überhaupt fragte er sich, wo dieser Nael herkam. Ein reiner Japaner schien er nicht zu sein, wie bereits sein Name verriet. Er hatte einen schönen braunen Teint und wirkte irgendwie südländisch. „Nun zu dir“, der Trainer wandte sich an den anderen Jungen, der den letzten Rest Süßigkeiten in seinem Mund runterschluckte. „Cosmo, hör auf so viel ungesundes Zeug in dich hineinzustopfen. Du bist doch ein Sportler! Also verhalte dich auch so und pass etwas besser auf deinen Körper auf!“ Schuldbewusst senkte Cosmo den Kopf, nicht aber ohne dabei auf die Süßigkeitstüte in den Händen des Trainers zu schielen. Der seufzte. „Auf ins Wasser mit dir. Ebenso wie Nael einhundert Meter zusätzlich. Beeilung.“ Der Junge nickte und glitt ebenfalls ins Wasser. Randy staunte. Im Wasser wirkte Cosmo wie ein ganz anderer Mensch. Entspannt und völlig ausgeglichen, als wäre das Becken genau der Ort, an dem er hingehörte. Er konnte den Blick nicht abwenden. Das kühle Nass funkelte verheißungsvoll in der Sonne und schien ihn zu rufen. Er verspürte den Drang, sich zu zeigen und ebenfalls in das Becken zu springen, aber er wusste, dass dies Unsinn war. Wie seine Mutter bereits gesagt hatte: er konnte sich über Wasser halten. Das musste genügen. Doch reichte dies wirklich aus? Randy schüttelte traurig und entschlossen zugleich den Kopf. Das Zuschauen und Träumen konnte sie ihm nicht verweigern. Hosted by Animexx e.V. 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