Diagnose: Schreibblockade von Geminy-van-Blubel (Dreimonatige Challenge) ================================================================================ Kapitel 121: 19.4.2024: Klangvoll --------------------------------- In gänzlicher Stille saß er an diesem Morgen an seinem Esstisch und hielt den Blick auf den Garten gerichtet, der sich in Form von Beeten, Sträuchern und Bäumen um sein prächtiges Haus zog; bereichert um die ausladende Terrasse und eine großzügige Rasenfläche, die daran anschloss. Dann und wann nippte er an seiner Tasse, aber er nahm selbst dann nicht den Blick vom Garten, als er seine Frau den Flur entlanglaufen hörte. „Furchtbares Wetter“, sprach sie zur Begrüßung. Schon lange war es Alltag geworden, dass sie sich auf diese Weise einen guten Start in den neuen Tag wünschten. „Der Kaffee ist noch heiß“, entgegnete er und hörte ihr zufriedenes Seufzen, als sie sich eine Tasse befüllte. Er betrachtete die Blätter und verregneten Blüten, die der Wind wiegte und manchmal an ihnen zerrte. „Steht etwas Gutes drin?“, drang wieder die Stimme seiner Frau an sein Ohr. Sie meinte die Zeitung, die neben ihm auf dem Tisch lag. Er zuckte die Schultern. „Ich hab noch nicht reingeschaut“, log er und sie verlor keine Zeit, die großen Seiten vor sich zu öffnen. Wieder war ihre Freude zu hören, dieses Mal in Form eines kurzen Quiekens – so wie immer, wenn sie etwas sah, das ihren Stolz weckte. „Sie schreiben wieder in den höchsten Tönen von deinem gestrigen Konzert! Wie klangvoll und berührend deine neuesten Stücke waren!“, lobte sie nach einem kurzen ersten Überfliegen und begann dann damit, in die Details einzusteigen. Ja, ihr Mann konnte nicht nur wunderbare Musik komponieren und auf dem Piano darbieten, auch sein Ruf war seit Jahren ein ebenso klangvoller. Er war beliebt und berühmt und seine flinken, gefühlvollen Hände ermöglichten ihr ein Leben in Zufriedenheit, Ansehen und einem Haus, das für sie beide eigentlich längst viel zu groß geworden war, seit auch das letzte ihrer Kind es verlassen hatte. „Du hast dich wieder einmal selbst übertroffen!“, sprach sie schließlich zufrieden, als sie mit dem Bericht geendet hatte und legte die Zeitung beiseite, um ihnen beiden zur Belohnung ein köstliches Frühstück zu kredenzen. „Ich mach uns arme Ritter!“, entschied sie, während sie auf die Suche nach den Zutaten ging. Ein kurzer Fluch glitt ihr über die Lippen, weil das Hausmädchen die Eier nicht an den Platz geräumt hatte, wo sie sonst standen. Zu dumm, dass sie ihr heute frei gegeben hatte! „In letzter Zeit wird sie nachlässig!“, zischte sie, aber sogleich war ihre Beherrschung wieder da. Er leerte indes seine Tasse, stand auf und stellte sie auf die Spüle. „Mir ist kein Fehlverhalten aufgefallen. Sie hält das Haus immer tadellos sauber und aufgeräumt“, sprach er beinahe beiläufig und sah im Augenwinkel ihr leichtes Zucken. Solche Widerworte seinerseits war sie nicht gewohnt. „Nichts für ungut, aber du bist ständig im Studio und bekommst gar nicht mit, wie ich immer hinter ihr her sein muss, damit sie auch alles ordentlich erledigt. Genau wie der Gärtner! Ich habe ihm schon zweimal gesagt, er soll diesen grässlichen Strauch da hinten gegen eine Rose tauschen!“, stemmte sie die Hände auf die Hüften und fixierte durchs Fenster hindurch den verhassten Schandfleck im Garten. Der Schandfleck, den ihr Mann ihr damals zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte, als ihr Zuhause noch eine kleine Einzimmerwohnung gewesen war. Dass sie nicht mit Abneigung gegen ihren Mann sprach, war trotzdem deutlich: Sie hatte schlicht vergessen, welche Bedeutung dem Strauch einst innegewohnt hatte. „Wenn sie so unzuverlässig sind, frag ich mich, warum du sie nicht längst gefeuert hast“, meinte er plötzlich und das erste Mal seit Jahren blickte er sie wieder bewusst an. Ihre Züge entglitten ihr, der Mund stand offen und das Entsetzen in ihre Augen geschrieben. „Ab…“, begann sie zu stottern und fand ihre Fassung nach einem kurzen Räuspern wieder. „Nun, sie sind zumindest eingearbeitet und wissen, wo sich alles befindet. Bei neuen Angestellten müsste ich wieder ganz von vorn beginnen“, stemmte sie die Hände auf ihre Hüften und war noch immer sichtlich irritiert von seinen Widerworten. Sonst scherte er sich doch auch nicht um Haushalt und Garten? Es wusste sie auch zu verunsichern, dass er sie noch immer so feste anschaute. Statt ihn jedoch offen zu fragen, was ihn bewegte, erwiderte sie nur seinen Blick und wunderte sich: Hatte er schon immer so müde ausgesehen? So abgekämpft und ausgelaugt? Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sein Gesicht das letzte Mal so deutlich betrachtet hatte. Fast fremd kam es ihr vor und noch fremder die Worte, die er nun sprach: „Ich reiche die Scheidung ein. Das Haus hier kannst du behalten, es ist mir eh viel zu groß. Ich ziehe in eines unserer Ferienhäuser, aber du wirst dir womöglich neue Angestellte suchen müssen. Victor und Andrea werde ich fragen, ob sie mich begleiten wollen“, wandte er sich von ihrem entsetzten Gesicht ab und spürte die aufkommende Erleichterung, als er sich auf den Weg zum Auto machte, um ohne weitere Verzögerung mit seinem Anwalt zu sprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)