Das Glück der Erde von Ba-chan ================================================================================ Kapitel 1: Die rote Kappe und der Dieb -------------------------------------- Hätte ihn jemand gesagt, dass der Transfer nach Bayern sein Leben völlig auf den Kopf stellen würde, hätte er denjenigen für komplett bescheuert erklärt. Aber wer hätte denn ahnen können, dass ihm so etwas in seinen jungen Jahren jemals passierte? Es war ein lauer Herbsttag am Morgen. Zwar waren die Tage ein wenig heruntergekühlt, aber die Sommerwärme war dennoch merklich spürbar gewesen. Das veranlasste einen jungen Mann dazu wie jeden Morgen vor dem Training seine Runden zu drehen. Seine schwarzen Locken waren unter einer dunkelroten Kappe versteckt. Da er seine Sportjacke aufgrund der angenehm warmen Temperatur in seinem Appartement hängen ließ, war er nur mit einem schlichten dunkelblauen Sport-Shirt und einer dazu passenden Sporthose bekleidet. Beides Marken von Adidas, für den der Sportler hin und wieder sein markantes und dennoch freundlich wirkendes Gesicht herhielt. Er trug die Marke schon als kleiner Junge und auch gerne, doch hatte er es nie zu träumen gewagt, dass er mal für sie die neuesten Kollektionen vorstellen durfte, sollte die Firma ihn anschreiben. Ein kleines Erfolgserlebnis, an das er sich so langsam gewöhnt hatte. Gerne erinnerte er sich an die Zeit zurück, als er mit bereits zwölf Jahren Japan verließ, um in Deutschland als einer der besten Torhüter weltweit ausgebildet zu werden. Fußball war für Genzo Wakabayashi mehr als nur ein Sport. Es war sein Lebensinhalt. Etwas, wofür er von Beginn an hart dafür arbeitete, um jetzt da zustehen, wo er war. Die Grünwälder haben es ihm Anfangs nicht gerade leicht gemacht, aber er bewies einen unbändigen Willen und setzte sich durch. Es war eine tolle Zeit in Hamburg, dachte er sich und seufzte wehmütig, als er wieder an den Transfer nach Bayern dachte. Ihm fiel die Entscheidung schwer und das Geld, was ihm dahingehend angeboten wurde, war ihm ehrlich gesagt völlig egal gewesen. Er hatte mehrmals Vereinswechsel dankend abgelehnt, weil der FC Grünwald der Verein war, bei dem er sich wirklich heimisch fühlte und dort wunderbare Jungs als Freunde und Kameraden gewann. Doch als Rudi Frank Schneider plötzlich entschied den Trainerposten bei Rotburg anzunehmen und dabei seinen Sohn Karl – Heinz Schneider mitnahm, gab es einen relativ großen Umschwung innerhalb Grünwalds. Nicht nur, dass Genzo Kalle, wie der junge Fußballkaiser von den Jungs oftmals genannt wurde, die Mannschaft verließ und ab da sein ärgster Rivale wurde. Nein, der neue Trainer, Zeemann, machte es ihm nicht gerade leicht länger für Grünwald zu spielen. Ehrlich gesagt hatte er seit dem Trainerwechsel kaum spielen können. Nicht zuletzt, weil Genzo sich hin und wieder über die Anweisungen seines Trainers hinwegsetzte und beim letzten Spiel gegen Rotburg durch sein Eigenverschulden eine 2:1 Niederlage verursachte. Viel mehr wurde er überspielt, denn die bis dahingehende Ausländerregel, die nur auf drei Spieler beschränkt war, konnte er nicht länger bei dem Verein bleiben und so viel ihm der Abschied seiner Jungs und dem FC Grünwald minimal leichter. Genzo war traurig, dass er allen voran Kaltz zurücklassen musste. Er hat das rauflustige Kraftpaket sehr ans Herz geschlossen. Er, Genzo und Kalle galten in den goldenen Grünwald-Zeiten als das Top Trio im deutschen Fußball. Ja, Genzo war traurig, dass er Kaltz nicht mehr so schnell wiedersehen konnte. Umso größer war die Vorfreude Karl – Heinz wiederzusehen und mit ihm gemeinsam wieder zu spielen. Als er dann in Bayern ankam, staunte er nicht schlecht, wie anders es im Vergleich zu Hamburg war. So ländlich, ja fast schon idyllisch und nicht so städtisch, wie er es sonst gewohnt war. Beschweren konnte man sich bei den Bedingungen nicht. Die Landluft tat jedem gut – auch einem Genzo Wakabayashi. Er joggte gerne die langen Feldwege entlang und manchmal nahm er kleinere Umwege, um sich weiter an der ruhigen Landschaft und der Natur zu erfreuen. Für einen Sportler, der während des Trainings immerzu unter Spannung stand und von sich aus das Beste verlangte, war das ein perfekter Ort zum Abschalten und Entspannen. Die vorbeigehenden Spaziergänger grüßend erspähte er einen kleinen Wald und der Pfad langsam in einem Teppich aus roten und goldenen Blättern unterging. Es wirkte beinahe so, als habe der Wald schleunigst für den Topspieler seinen eigenen roten Teppich ausgerollt, um ihm seine morgendliche Joggingrunde so angenehm wie möglich zu machen. Selbst die Sonnenstrahlen, die durch die Baumkronen schienen, muteten Spotlights an, die nur darauf warteten den Torhüter anzuleuchten. Vereinzelnd fielen die Ahornblätter auf den Boden; mal weit weg oder nahe des jungen Mannes. Vögel sangen ihre Lieder, das Laub raschelte im Rhythmus des Windes. Kaum verließ er den anschaulichen Waldweg, da hört er das leise Wiehern weidender Pferde in der Nähe. Beiläufig sah er auf die mächtigen Tiere, aber sonderlich viel Beachtung schenkte er keines von ihnen. Genzo kam nie mit Pferden in Berührung. Offengestanden war er nie sonderlich von ihnen fasziniert gewesen und in Nankatsu geschweige denn in der Präfektur Shizuoka gab es keine Reitanlagen, wo übermäßig viel geritten wurde. Viel mehr hatte er seine Zeit eher seiner Ausbildung als Fußballprofi investiert und nachdem er seinen Abschluss in der Shutetsu – Schule machte und mit Tatsuo Mikami, sein persönlicher Trainer und Mentor, nach Deutschland umzog, da gab es nur noch den Fußball – und nebenbei auch andere Dinge, die sein Leben mal mehr mal weniger bestimmten. Seine Liebe zu diesem Sport war riesig, doch er könnte es niemals mit der grenzenlosen Hingabe, die Tsubasa für den Fußball hat, mithalten. Tsubasa. Einer von Genzos Kollegen und einer seiner ältesten und besten Freunde. Als er an ihn dachte, konnte er nicht anders als zu lächeln. »Tsubasa«, sagte er leise. »Es gibt keinen, der diesen Sport mit so viel Liebe und Herzblut vorantreibt wie du es tust. Ich frage mich wirklich, gegen wen du heute spielst.« Plötzlich hörte er ein lautes Schnauben neben sich, als würde sich jemand der Laufrunde angeschlossen haben. Er wandte seinen Blick nach links und weitete seine olivgrünen Augen. Trabte tatsächlich ein Pferd neben ihn her? Vor ihm erstreckte sich ein riesiges Weideland; ein Holzzaun trennte Keeper und Tier voneinander und als Genzo stehen blieb, blieb auch das Pferd stehen. »Möchtest du etwa mit mir laufen?«, fragte er lächelnd und legte neugierig den Kopf schief. Genzo erwartete keine Antwort. Stattdessen sah er in die himmelblauen Augen des Geschöpfs vor ihm und das cremefarbene, seidige Fell schimmerte metallfarben, als das Sonnenlicht darauf fiel. Er sah sich das durchaus anmutige Tier genauer an. Es hatte eine schlanke, aber muskulöse Statur. Der Hals war nach oben hin gerade und der Kopf hoch erhoben. Die wallende Mähne, die er sonst bei so vielen Pferden zuvor gesehen hatte, fehlte völlig, dafür fegte der hell glänzende Schweif munter hin und her. Genzo fiel auf, dass um dessen Hals ein schwarzes, funkelndes Band hing. Tierhalter banden oft ihren Lieblingen Accessoires um, aber das hatte er vornehmlich bei Hunden beobachten können. An einem Pferd jedoch sah das Ganze etwas seltsam aus, aber darüber schmunzeln musste er dennoch. Er verabschiedete sich vom Pferd und setzte sich in Bewegung und kaum zwei Schritte weit hörte er wieder das dumpfe Traben neben sich und blieb wieder stehen. Wortlos besah er sich auf das Tier, welches ihn noch immer aufmerksam beäugte. Lange starrten sie sich einander an und Genzo machte ein Gesicht, als würde er gerade an einer Idee tüfteln. Und da kam ihm auch schnell eine. Langsam hob er sein rechtes Bein und da bemerkte er, wie aufgeregt das Pferd darauf reagierte. Der Schweif wirbelte zwei Mal, die langen großen Ohren waren angespitzt. Genzo machte ein paar Schritte zurück und tatsächlich folgte ihm das Tier ohne Zögern und blieb stehen, sobald der Keeper selbst still am kiesigen Weg stand. Dann machte er ein paar Schritte nach vorn. Wieder folgte ihm das Tier, als wäre er selbst dessen Besitzer. »Du bist ein seltsames Pferd, weißt du das?« Der Nacken begann zu zucken, als eine Fliege es kitzelte. Genzo seufzte leise. »Hör mal, ich muss wirklich los, sonst komme ich noch zu spät zum Training. Wenn du aber darauf bestehst mir ein wenig Gesellschaft zu leisten, dann gern. Bis zur Kreuzung dort drüben kannst du mit, okay?« Das war ein komisches Gefühl mit einem Pferd zu sprechen, aber auf der anderen Seite fand er dieses Tier lustig. Er behielt das Lächeln, dann sprintete er los. Dicht neben ihn war das cremefarbene Pferd, der ihn in Sekundenschnelle im grazilen Trab einholte und ihm nicht von der Seite wich. Ein seltsames Pferd, war sein Gedanke, als er hin und wieder ein paar Seitenblicke auf das Tier warf. Wirklich seltsam. Dann kam die Kreuzung und das Eckstück des brusthohen Zauns. Laut schnaufend, was wohl Enttäuschung andeuten sollte, kam das Tier zum Stehen. Er drehte sich noch einmal zu es um und winkte ihm zum Abschied. Das Pferd jedoch schien bei seinem Abgang wenig angetan zu sein und wieherte laut los. Mit seinem linken Huf stampfte und schabte es die Erde auf. Genzo musste dabei einfach schmunzeln und rollte mit den Augen. »Du willst anscheinend nicht, dass ich gehe, hm?«, kam er auf es zu, während das Pferd ihn unentwegt anstarrte. Jetzt stand der Keeper ihm direkt gegenüber. Der warme Atem blies ihm ins Gesicht und ein leises, wohliges Brummen dröhnte in seiner Kehle, sodass Genzo gerade noch den Impuls widerstand mit seinen Fingerkuppen die Nüstern zu berühren. Noch wirkte es friedfertig, aber wie sicher konnte er sein, ob es nicht doch urplötzlich nach ihm schnappen würde. Ein Risiko, was er ungern einging, allerdings... Er zögerte etwas, dann wagte er doch einen Versuch. Vorsichtig streckte er seine Hand nach es aus. Das Pferd beschnupperte sie, da hatte Genzo die überraschend weichen Nüstern an seinen Fingern. Zuerst begann er sie leicht zu kraulen. Dann, als er merkte, dass er sich vor dem Tier nicht zu fürchten brauchte, strich er ihm über den langen Kopf. »Du bist ein tolles Pferd«, sagte er lächelnd und klopfte mit seiner freien Hand behutsam gegen den starken Hals. »Hey, was hältst du davon, wenn ich ab jetzt immer hier vorbei jogge und wir laufen dann zusammen bis zur Kreuzung?« Das Pferd nickte aufgeregt. Hatte es ihn wirklich verstanden? Das dachte er und musste lachen. »Dann ist es beschlossene Sache.« Kaum waren diese Worte ausgesprochen, waren sein leicht strubbeliges, schwarzes Haar in voller Pracht zu sehen. Genzo weitete verwundert die Augen, fasste sich am Kopf und stellte erschrocken fest, dass seine dunkelrote Kappe verschwunden war. »W... wa –?!« Weiter kam er nicht, da sah er das Pferd mit eben jener verloren gegangenen Kappe im Maul, der munter mit seinem Kopf wippte und sich trabend vom Keeper entfernte. »Das gibt es doch nicht«, sagte er leise, als ihm ein Gedanke aufkam, der ihn sichtlich fassungslos machte. »War... war das alles von dir geplant gewesen? Hast du mir etwa was vorgemacht?!« Zu seiner Überraschung ignorierte das Pferd ihn völlig und amüsierte sich weiter mit seiner Beute. »Ich fasse es nicht. Ich wurde von einem dummen Pferd verarscht!« Und das schien das Tier sehr wohl zu verstehen, denn es wedelte eifrig mit der Kappe, Genzos wütenden Blick definitiv bemerkend. Ohne nachzudenken sprang der Keeper über den Zaun, entschlossen seine geliebte Kappe wiederzuerlangen. »Hey!«, rief er lautstark nach dem Pferd. »Gib sie mir wieder, sie gehört mir!« Er rannte wie ein geölter Blitz über die Wiese, das cremefarbene Pferd trabte gemütlich davon, blieb hin und wieder stehen, nur um wieder das Weite zu suchen, als Genzo sich ihm gefährlich näherte. Kreuz und quer tänzelte das Tier um ihn herum und wippte zur selben Zeit mit seinem Kopf auf und ab. Ganz egal, was der Keeper versuchte. Es war ihm einfach nicht möglich das Pferd einzuholen geschweige denn zu schnappen. Gott, wenn nur seine Jungs im rotburger Verein ihn jetzt sehen könnten, er hätte umgehend seine Fußballkarriere hier in Deutschland beendet, wäre zurück nach Japan gereist, wieder in sein Elternhaus eingezogen und würde nie wieder sein Zimmer verlassen. Das Gelächter, welchem er ausgesetzt wäre, hätte zweifellos die ganze Bundesrepublik gehört! Genzo wusste nicht, wie lange er diesem verdammten Pferd nachjagte. Er wusste nur, dass er dank dieser Bestie mit Sicherheit zu spät zum Training käme und sich eine verdammt gute Erklärung dafür ausdenken musste, wenn er sich nicht blamieren wollte. Schnaufend stützte er sich an seinen Beinen ab, Schweißperlen tröpfelten aufs grüne Gras und fluchte sowohl innerlich als auch lautstark über sein peinliches Dilemma. Ein sanfter Luftzug wehte über seine Haare und zähneknirschend hob er seinen Blick Richtung Übeltäter. Seine Kappe baumelte verführerisch direkt vor seiner Nase und Genzo könnte sie problemlos erreichen – und er versuchte sein Glück. Es endete damit, dass er so viel Schwung nahm, dass er das Gleichgewicht verlor und mit dem Gesicht voran im Dreck landete. Das Pferd trabte triumphierend mit stolz erhobenem Kopf um ihn herum. »Kacke verdammt«, fluchte er weiter und sah sich seine schmutzige Kleidung an. Er seufzte entnervt, als er erfolglos versuchte die Flecken von seinem Shirt abzuschrubben und hatte das Gefühl, dass er das nur viel schlimmer machte. »Weißt du was, der Deal ist geplatzt! Du kannst hier auf der Wiese alleine herumrennen und nicht mehr auf mich warten, nur damit du es weißt, du blöder Klepper!« »Na das will ich aber überhört haben, Balljunge.« Der Keeper erschrak sich, als er eine weibliche und zugleich melodische Stimme vernahm. Rasch drehte er sich zur Quelle um und erstarrte fast. Auf dem Zaun saß eine junge Frau, die ihre schlanken Beine anwinkelte und mit einem Arm ihr Kinn abstützte. Ihr aschblondes, kurzes Haar strich über ihr feines Gesicht. Ihre haselnussbraunen Augen ruhten auf den verdutzten Keeper. Die Lippen hatten sich zu einem dünnen Lächeln verformt und amüsierte sich königlich über den Anblick des jungen Mannes. »Balljunge?«, hatte er sie sagen hören. »Hast du mich ernsthaft „Balljunge“ genannt?« »Gibt es hier noch einen lebensmüden Spinner auf der Koppel, auf dem die Beschreibung sonst passen könnte?«, stellte sie ihrerseits eine Frage und hob beiläufig eine Braue. »Also ich nicht. Du etwa?« »Äh...« Genzo sah sie sich genauer an. Er musste zugeben, dass sie hübsch war. Sehr sogar, doch das änderte nichts an seiner Situation, in die er sich gerade befand und schon die Standpauke seines Trainers im Geiste abspielte, die ihm heute blühte. »Ist das dein Pferd?«, fragte er und deutete mit seinem Daumen auf das Tier. »Wenn ja, kannst du ihm bitte sagen, dass er mir die Kappe wiedergeben soll? Ich hab's echt eilig, weißt du?« »Warum sagst du es ihm nicht selbst?« »Was glaubst du, was ich hier die ganze Zeit versucht habe zu erreichen?!« Die junge Frau erinnerte sich gleich wieder daran und musste laut loslachen. Das fand der Keeper alles andere als witzig und begann langsam, aber sicher sauer zu werden. »Hör mal zu, Kleine, ich habe keine Ahnung, warum du ihm solche blöden Tricks beibringst, aber das hat jetzt ein Ende, kapiert? Sag dem Gaul da drüben, dass ich genug von seinen Spielchen habe und ich nur die Scheiß Kappe zurückhaben will« »Ist dir dieses olle Ding denn so wichtig, dass du dein Leben dafür riskierst und in die Koppel einsteigst?«, fragte sie offen verblüfft über die Aktion des Mannes. »Du bist echt seltsam, Balljunge« »Ist sie mir nicht«, antwortete er bissig. »Ich mag es nur nicht, wenn sich jemand einfach so an meinen Sachen vergreift und wenn es sich dabei um ein blödes Pferd wie das hier handelt, welches lange Finger macht... oder Hufe, ach was auch immer!« Das Lächeln der jungen Frau erstarb plötzlich, als Genzo es nicht lassen konnte gegen das Tier zu wettern. »Verschwinde.« Jetzt war der Keeper an der Reihe fragend dreinzuschauen und für einen kurzen Moment still zu sein. »Bitte?!« »Jemand, der schlecht über Dilas spricht, spricht auch schlecht über mich. Also sieh gefälligst zu, dass du dich hier vom Acker machst, bevor du noch richtige Probleme bekommst. Ich hoffe, dass du das kapiert hast, Balljunge.« Genzos Geduld erreichte langsam seine Grenzen. Er stapfte auf sie zu, schnaufte erzürnt und stand böse dreinblickend und mit verschränkten Armen vor ihr. Zugegeben aus der Nähe betrachtet war der Japaner wirklich gutaussehend und unter dem dunklen Shirt konnte sie klar die Konturen seiner Muskeln durchschimmern sehen. Und so wie er mit drohender Haltung vor ihr stand, war er durchaus respekteinflößend. Sie ließ sich jedoch nicht beirren und merkte ihre Aufregung nicht an. »Weißt du was? Du hast recht. Es ist nur eine blöde Kappe und habe damit unnötig viel Zeit verschwendet dieser nachzujagen. Ich habe einen Schrank voll von ihnen, habe sogar Vitrinen mit richtig guten Stücken darin, da brauch ich wirklich nicht wegen einer einzigen nachtrauern!« Genzo kletterte rasch über den Zaun, ohne die junge Frau weiter anzusehen. »Soll das blöde Vieh glücklich mit dem Ding werden, ich hau ab!« »Jetzt reicht es mir langsam!« Nun war der Dame der Kragen geplatzt und sprang vom Zaun. »Du glaubst, nur weil du für die Rotburg – Idioten spielen darfst und alle Welt dich für einen Weltklasse Keeper hält, denkst du, dass du dir alles erlauben kannst, aber so läuft das nicht! Jemand, der mit seinem Status angibt, ist für mich ein Verlierer und wenn ich du wäre, würde ich mir einen ganz anderen Ton aneignen und mein verkorkstes Verhalten noch einmal überdenken! Du kannst mich fertig machen, wenn es dir Spaß macht, aber wenn es um Dilas geht, da werde ich echt ungemütlich! Niemand beleidigt so schamlos mein Pferd und kommt einfach damit durch!« Sie stoppte, streckte plötzlich ihren Arm Richtung Weide aus und schnippte ein Mal mit den Fingern. Sofort trabte Dilas, wie sie das cremefarbene Pferd nannte, auf sie zu und stupste sanft mit der Kappe ihre Hand. Er ließ von es ab, nachdem die junge Frau die Kappe festhielt und sie diese kurzerhand nach dem Keeper warf. »Keine Ahnung, warum Dilas ausgerechnet so einen Wichtigtuer wie dich für seine Albernheiten ausgesucht hat, aber ich hoffe bloß, dass du dich hier wirklich nicht mehr blicken lässt, damit du deinem stumpfsinnigen Ballsport nachgehen kannst!« »Keine Sorge, ich habe definitiv nicht vor wieder auch nur einen Fuß in diese Gegend zu setzen!«, keifte Genzo zurück. »Und Fußball ist kein stumpfsinniger Ballsport, aber ich sehe schon, dass du davon keine Ahnung hast. Der Ponyhof, den du betreibst, passt auch eher für kleine Mädchen, also... für dich geradezu perfekt« »Tsk, das ist ja mal wieder typisch Fußballer. Sieht sich als überlegen an und schaut gerne auf andere Sportler herab. Dabei seid ihr für mich nichts weiter als kleine Hündchen, die einen unbedeutenden, kleinen Ball nachjagen, ihn treten, werfen oder fangen, als wäre das etwas lebensveränderndes. Was ist denn, wenn ich in eurem Verein ein paar Bälle ins Tor rein knalle? Darf ich mich dann auch großkotzig zu den anderen „Topspielern“ dazustellen und mit meinem „gottgegebenen Talent“ prahlen und angeben? „Schaut mal her ich bin genau wie ihr! Ich kann auch Tore schießen und das macht mich zu einem Profispieler, dem alles gelingt, was auch immer er sich wünscht, denn ich bin ein Fußballer, weil die alles können!“« Genzo stieß ein lautes Lachen aus. Die Frau hatte Feuer, das musste man ihr lassen. Trotzdem fühlte er einen kleinen Stich in der Brust, denn er konnte die unterschwellige Abneigung seines Lieblingssports in ihrer erbosten Stimme heraushören. Das konnte er sich nicht bieten lassen und schon gar nicht als Keeper. Er fühlte sich herausgefordert und machte es ihr mehr als deutlich. »Na schön, wie du willst«, sagte er merklich ruhiger und sah ihr weiter in ihre haselnussbraunen Augen. »Wenn du meinst mich im Fußball besiegen zu können, dann komm zum Verein. Wir werden dann sehen, ob hinter deinen Worten auch Taten folgen« »Was?«, fragte sie irritiert und grinste schief. »Und was willst du damit beweisen? Dass Genzo Wakabayashi, der große Mustertorhüter, sich so sehr von einem Mädchen hat provozieren lassen, dass er sie unbedingt im Fußball besiegen will, nur um nicht als kompletter Vollidiot dazustehen? Die Schlagzeile will ich nur zu gerne lesen« »Wie ist eigentlich dein Name?«, fragte er rundheraus und konnte ihr wieder einen verwirrten Ausdruck auf ihrem Gesicht entlocken. Jetzt brachte es auch nichts mehr, wenn er später im rotburger Verein erschien. Zu spät war zu spät. Auf die paar Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an und gerade jetzt begann er neugierig zu werden, wer die hübsche Frau nun sei. »Mein Name«, sie verschränkte die Arme. »geht dich nichts an« »Ok, wie wäre es damit. Komm zum Verein um 17 Uhr. Versuche ein Tor gegen mich zu erzielen und wenn du verlierst, verrätst du mir deinen Namen« »Und was ist, wenn ich gewinne?« »Dann siehst du mich hier nie wieder. Das wollen wir doch beide, oder nicht? Trotzdem will ich sehen, ob du doch ein Händchen für Fußball hast, was du ja großartig hinausposaunt hast. Wie klingt das?« Lange sah das Mädchen ihn eingehend an. Schließlich seufzte sie und schloss die Augen. »Fein«, sagte sie kühl. »Ein Tor. Wenn ich auch nur ein einziges Tor reinballer, will ich deine Schönlingsvisage nicht mehr hier sehen, verstanden?« »Oh«, sagte er dunkel. »Du findest mich schön?« »Bild dir ja nichts drauf ein«, gab sie trocken zurück. »Eine hübsche Verpackung hat noch lange keinen schmackhaften Inhalt« »Verstehe«, begann er zu kichern. Er kehrte ihr den Rücken und setzte den Weg zum Verein an. »Heute, 17 Uhr. Komm ja nicht zu spät« »Sagt der, der selbst zu spät zum Training kommt.« Bei dieser Bemerkung zwang er sich zu grinsen und sah ihr noch einmal nach. »Und wessen Schuld ist das?« »Deine.« Das sie immer kontern musste, war zum verrückt werden, aber er war auch nicht ganz unschuldig dabei. Immerhin gab er ihr ja Futter, um für jede Bemerkung, die er machte, schlagfertig zu antworten. »Kneifen gilt nicht, klar?« »Hör auf zu nerven« »Wehe du kommst nicht!« »Verschwinde endlich, du verkanntes Torwarttalent!« Sie schnaufte verächtlich, als sie das selbstgefällige Lachen des Keepers hörte und am Horizont immer kleiner wurde, bis er hinter einer kleinen Erhebung verschwand. »Was ein Idiot...«, dachte sie laut und sah noch eine Weile den Weg an, den er nutzte. Sich daran erinnernd, zu was sie eigentlich „ja“ sagte, stieß sie ein so lautes Stöhnen aus, dass einige der Pferde inklusive Dilas aufschreckte und irritiert in ihre Richtung sahen. »Oh wunderbar, warum habe ich mich bei so etwas nur bequatschen lassen?!« Na das konnte ja was werden. Meckern brachte nichts und sie wollte definitiv nicht als Feigling dastehen – und schon gar nicht vor dem eingebildeten Japaner Genzo Wakabayashi, dem sie aber so was von ein paar Bälle ins Tor knallen würde. »Pff... träum weiter, Lenchen, das schaffst du nie«, sagte sie leise, aber sich entmutigen lassen war auch keine Option. »Ich schaff das schon«, spornte sie sich an an sich und an ihren „Ballkünsten“ zu glauben. »Es wird zwar schwer, aber ich krieg das vielleicht sogar hin. Wäre lustig, wenn ich ihm sein blödes Grinsen aus dem Gesicht knallen würde, dann hätte er nichts mehr zu lachen – dafür aber ich.« Den Gedanken daran festhaltend, dass sie unfreiwilligerweise um 17 Uhr beim Rotburger Verein ankommen sollte, um sich mit Genzo zu messen, machte sie sich auf dem Heimweg – dabei das stetige Traben ihres Pferdes hinter sich hörend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)