Because I'm Stupid ... von Lina_Kudo (»Weil ich ein Idiot bin ...« (Seiya&Usagi)) ================================================================================ Kapitel 4: Admission -------------------- Kapitel 4: ADMISSION »Auch das Schicksal ändert nichts daran, dass ich dich liebe.« Was war das nur? Seit unserem Gespräch vorhin fühlte ich mich so … seltsam. So benommen. Als hätte ich gerade einen Rausch hinter mir. Oder war ich noch mittendrin? Zwar war ich noch nie betrunken oder dergleichen, doch ich konnte mir sehr gut vorstellen aus Beschreibungen, dass sich das genauso anfühlen musste. Ich nahm alles eher verschwommen wahr, als könnte sich jederzeit alles um mich herum in Luft auflösen. Mir wurde ganz anders, wenn ich an Seiya dachte. Vor allem nach der Unterhaltung vorhin hielt dieses Gefühl besonders hartnäckig an. Unweigerlich erinnerte ich mich an unsere Momente zurück. Sie waren … wunderschön. In diesen Momenten war ich richtig … glücklich. Wunschlos glücklich trotz Mamorus Abwesenheit. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es mir so dermaßen gut gehen könnte nach seinem Fortgang. Dass mir das Leben auch ohne ihn Spaß machen konnte. Dass ich mich auch ohne ihn so unbeschwert und vollkommen fühlen konnte. Vielleicht sogar, dass ich auch ohne ihn … leben konnte? Ich hatte mich immer zu sehr auf Mamoru fixiert. Ich hatte mein ganzes Glück von ihm abhängig gemacht wie ein junger, bis über beide Ohren verknallter Teenager. Schließlich war ich das ja auch. Ob das wirklich richtig war, mich so sehr an ihn zu binden? Oder war es sogar ein Fehler? Doch meine Gedanken blieben nicht lange bei Mamoru In meinem Kopf gab es momentan keinen Platz für ihn – so hart das auch klingen mochte. Ich war einfach viel zu geflasht von den Ereignissen der letzten Tage. Seiya hatte mich so tief berührt und so tief beeindruckt, dass er sich damit mühelos einen permanenten Platz in meinem Kopf ergattert hatte. Vielleicht auch … in meinem Herzen? Die Hormone schossen wie kleine Raketen durch meinen Körper, als ich an seine Worte von eben zurückdachte … »Bitte fühl dich nicht verunsichert, dass ich dich liebe. Ich weiß genau, dass es eine einseitige Liebe ist.« Ich sah vor mir wieder seine Augen, die so unendlich viel Traurigkeit ausgestrahlt hatten, als er mir diese Worte offenbart hatte. Als hätte er dort die Trauer der ganzen Welt in sich vereint. Er … liebte mich. Das hatte er mir selbst gesagt. Dieses Geständnis kam aus seinen Lippen mit seiner Stimme aus seinem Herzen. Jeglicher Zweifel war ausgeschlossen. Aber auch so hätte ich niemals an den Wahrheitsgehalt seiner Worte gezweifelt. Abgesehen von seiner Identität als Sailorkriegerin war er immer ehrlich zu mir gewesen. Ich verstand bis heute nicht, warum er sich deswegen mir gegenüber so schuldig fühlte. Schließlich hatte ich ihm mein Kriegerdasein doch auch verheimlicht. Warum hatte er deswegen nur so ein schlechtes Gewissen? An dem Abend der Radiosendung hatte er mir ja auch gestanden, dass er mir schon lange die Wahrheit sagen wollte. Obwohl es für alle Sailorkrieger oberste Priorität war, ihre Existenz geheim zu halten, hatte er mir das anvertrauen wollen. Und nun wusste ich endlich auch, wann er das tun wollte. An dem Nachmittag, als er bei mir war, um mein Bodyguard zu sein. Schützend warf sie sich auf ihre beiden Kuchenstücke. »Nein, das geht nicht! Auf diese Weise kommst du nie bei Mädchen an.« Doch das beeindruckte den jungen Mann in keinster Weise. »Na und? Ich hab doch nie behauptet, dass ich bei Mädchen ankommen will«, offenbarte er ihr ehrlich. Das verwunderte die Blondine dann doch. »Was?« Der Frauenheld schlechthin unter den »Three Lights« wollte tatsächlich nicht bei Mädchen ankommen? Wie passte das zusammen? Unbeirrt fuhr Seiya mit seiner Erläuterung fort, ohne sich wirklich bewusst zu sein, dass er sich auf einem ganz gefährlichen Terrain befand. »Ich meine: Auch wenn wir singen, tun wir das nur für diese eine bewusste Lady.« Nun vollkommen verwirrt setzte sich Usagi wieder aufrecht hin. »Hm? Ihr singt nur für diese eine bewusste Lady?« Ein zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen, bevor er ihr bestätigend antwortete. »Genau. So ist es. Wir stehen nur auf der Bühne, damit diese Lady uns hört. Irgendwo in der Galaxis.« Usagi blieb es nicht verborgen, wie die Augen des Schwarzhaarigen plötzlich zu leuchten begannen, als er von ihr sprach. Nun hatte das Mädchen die Neugier endgültig gepackt. Wer sollte denn diese Lady sein? Sie zögerte nicht lange, ihm diese Frage auch direkt zu stellen, während sie sich unbewusst weit zu ihm vorbeugte. »Sag mal, von wem redest du eigentlich?« Ach herrje – wie musste das denn auch für sie klingen? Das war ja klar, dass sie gar nicht verstand, wovon er eigentlich redete. Wie denn auch? Vielleicht … war das der richtige Zeitpunkt, daran etwas zu ändern. Er wollte schon immer ehrlich zu ihr sein. Und irgendwie hatte er das dringende Bedürfnis danach, sich ihr anzuvertrauen. Er konnte sich nicht erklären, warum das so war. »Ich glaube, ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen. Aber Yaten und Taiki dürfen nichts davon wissen. Versprichst du, nichts zu verraten?« Usagi nickte ohne zu zögern. »Ja.« »Es ist so … Ich meine … Ich fühle …« Er konnte nur herumdrucksen, während er seinen Verwandlungsstern in der Jackentasche fest umklammert hielt. Wie sollte er ihr das nur am besten und verständlichsten beibringen? Würde sie ihm das überhaupt glauben können? Er näherte sich ihrem Gesicht. Im gleichen Moment wich sie jedoch sichtlich scheu zurück. »Nein, warte! Ich kann nicht, Seiya.« Oh je, sie hatte das wohl in den ganz falschen Hals bekommen. Ihre Wangen hatten inzwischen ein saftiges Rosé angenommen, welches perfekt ihre Verlegenheit zum Ausdruck brachte. Doch er blieb weiterhin ernst, sah sie mit verzweifelter Miene an. »Warum nicht? Wir wollten doch keine Geheimnisse voreinander haben.« »Ja, ich weiß, aber das kann ich nicht machen. Das geht eindeutig zu weit.« »Bitte hör mir doch zu«, bat er sie eindringlich und stützte sich auf den Tisch ab. In diesem Moment bekam Seiya jedoch von Chibi–Chibi eine ganze Ladung Kuchen ins Gesicht. Damit war die Spannung zwischen ihnen mit einem Mal wie weggeblasen. Doch das war für Seiya kein Grund, aufzugeben. Er blieb hartnäckig. Und die nächste Situation kam auch schon wenige Stunden später … »Was soll das? Hör auf mich anzufassen, Seiya!« »Hab ich doch gar nicht.« »Was? Du leugnest?« »Weil’s nicht stimmt!« »Scht.« Peinlich berührt fuhren sie auseinander, als sie merkten, dass es da ja noch Chibi–Chibi gab. Diese Situation war wirklich mehr als prekär. Wer hätte gedacht, dass sie jemals in so einem dunklen engen Raum zusammensitzen würden, um sich zu verstecken? Doch irgendwie war das doch auch die ideale Gelegenheit, um … »Ähm, wir sind vorher gestört worden. Weißt du noch? Ich wollte dir etwas sagen, was kein Anderer wissen darf.« Usagi fuhr erschrocken auf, stieß jedoch wieder gegen die niedrige Decke. »Das ist nicht der richtige Ort«, versuchte sie ihm auszuweichen. Doch Seiya wäre nicht Seiya, wenn er sich so leicht abschütteln lassen würde. »Aber es ist doch niemand außer uns hier.« »Du irrst dich: Chibi–Chibi ist hier, oder bist du blind? Außerdem hab ich Mamoru, das weißt du!« Innerlich verdrehte er seine Augen. Mit missbilligender Grimasse sagte er darauf nur: »Du verstehst da etwas völlig falsch.« »Das ist eindeutig, da gibt es doch nichts falsch zu verstehen!« war Usagi voll von ihrer Meinung überzeugt. Es war ihm so wichtig gewesen, keine Geheimnisse voreinander zu haben. So sehr, dass er sogar bereit gewesen wäre, das große Tabu zu brechen und seine Identität jemandem zu verraten, von dem er glaubte, dass sie rein gar nichts mit dieser Sache zu tun hatte. Wie konnte ich damals nur so dumm sein und ihm solche schmutzigen Hintergedanken zutrauen? Heute kam mir das so lächerlich und absurd vor. Ich schämte mich richtig dafür, ihn so falsch eingeschätzt zu haben. Nicht nur das: Es tat mir unendlich leid. Auch ich fühlte mich schuldig. Schuldig, ihn so sehr verletzt zu haben. Mit allem, was ich tat oder auch nicht tat. Ich war wohl zu nichts Anderem fähig, als ihn unglücklich zu machen. Ach Seiya … Instinktiv legte ich meine Hand auf die Brust. Fühlbare Wärme strömte bei dem Gedanken an ihn in meine Herzgegend. Wie konnte er sich nur in mich verlieben? Was war denn an mir bitte so toll? Warum … musste er sich ausgerechnet in mich verlieben? Was fand er denn nur an mir? Ich war nicht einmal sonderlich hübsch, viel zu klein und hatte kaum weibliche Rundungen. Obendrein auch noch viel zu kindisch und quirlig. Im Gegensatz dazu war er ein gefeierter Star. Er könnte doch jede kriegen mit seinem Charme und seiner Attraktivität. Ein wahrer Frauenmagnet, der sich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst war und das auch raushängen ließ, aber auf eine Art, die ihn trotzdem so wahnsinnig anziehend und sympathisch machte. Frech, aber trotzdem ein gefühlvoller Gentleman. Der absolute Traum jeder Frau. Moment mal! Was dachte ich denn da? Wieso geriet ich auf einmal so ins Schwärmen? Warum gerade jetzt? Siedend heiß und blitzartig schoss ein Gedanke durch meinen Kopf. Oder eher … eine Person. Schuldbewusst schluckte ich meinen Kloß im Hals, während ich ein schlechtes Gewissen Mamoru gegenüber bekam. Es wog so schwer auf meinen Schultern, dass ich mir nicht sicher war, wie lange ich diesem Gewicht noch standhalten konnte. Aber … warum dieses schlechte Gewissen? Was war denn dabei? Ich durfte doch nach wie vor auch andere Männer … schön finden, oder was war falsch oder verboten daran? Mamoru guckte doch auch ziemlich offensichtlich anderen hübschen Frauen hinterher – auch in meiner Gegenwart. Das lag doch in der Natur des Menschen, das andere Geschlecht attraktiv zu finden – daran war doch nichts verwerflich. Und doch war es nicht das erste Mal, dass ich mich ihm gegenüber schuldig fühlte, was Seiya anbelangte. Das erste Mal tauchte dieses schlechte Gewissen an unserem Date auf, als wir uns in dem Privatraum in der Disko befanden und ich einen Kuss von ihm befürchtet hatte. Komischerweise erst da und nicht schon am Tag zuvor, als er beschlossen hatte, seinen freien Tag mit mir zu verbringen. Da hatte ich mir nämlich wirklich gar nichts dabei gedacht und keinen einzigen Gedanken an Mamoru verschwendet. Für mich war es einfach nur ein Treffen zwischen guten Freunden gewesen. Doch … konnte so etwas überhaupt gehen? Eine richtig enge, tiefsinnige Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau? War das möglich? Ich schüttelte diesen Gedanken ab. Mal wieder war ich mit meinen Gedanken abgeschweift. Wo waren wir? Ach ja: Als es auf der Tanzfläche plötzlich stockdunkel geworden war und er mich so beschützend in seine Arme genommen hatte – ein unbeschreibliches Gefühl einfach. Eine gigantische Welle der Wärme war in diesem Augenblick über mich hergefallen. Vergleichbar mit Mamorus Geborgenheit, doch andererseits hatte es sich so merkwürdig fremd angefühlt. So frisch. Ob diese Fremdartigkeit nur daher kam, weil diese unerwartete Nähe zu ihm eben noch so neu gewesen war? Denn ich musste mir eingestehen, dass ich mich danach erst recht immer sehr wohl gefühlt hatte in seiner Gegenwart. Ja, fast wie … zu Hause. Und nun konnte ich mir meine Frage auch selbst mit hundertprozentiger Sicherheit beantworten: Dieses Gefühl war tatsächlich so fremd gewesen, weil es noch … intensiver war als alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt kennengelernt hatte. Und es hatte auch durchaus Phasen gegeben, wo ich wirklich keine Sekunde an Mamoru gedacht hatte. Vor allem zu der Zeit, nachdem Seiya so schwer verletzt worden war – alleine meinetwegen. Ich hatte mir nichts sehnlicher gewünscht als ihn wiederzusehen. Sogar mehr, als Mamoru zu sehen, weil ich mich fast schon an dessen Abwesenheit gewöhnt hatte. Jedoch nicht alleine aus Schuldgefühl oder Dankbarkeit, sondern aus meiner unendlichen Sorge um ihn. Alles Andere war mir so egal erschienen, so unwichtig. Selbst, dass mir Mamoru nicht auf meine Briefe geantwortet oder auf Anrufe reagiert hatte, war mir herzlich gleichgültig gewesen. Ich wollte nur, dass es ihm gut ging. Mehr nicht. Unweigerlich kam mir seine vorherige Frage in den Sinn … »Sag mir …Wer bin ich für dich?« Ja … Wer war er denn jetzt eigentlich für mich? Eine durchaus berechtigte Frage, das musste ich ihm wirklich lassen. Ich … wusste es wirklich nicht. Auf jeden Fall war er … ein Freund. Ein ganz besonderer Freund. Der beste Freund, den ich jemals hatte. Noch nie in meinem Leben konnte ich so offen mit einem anderen Mann reden wie mit ihm. Noch nicht einmal mit Mamoru. Und noch nicht einmal … mit meinen Mädels. Es war für mich ein Mysterium, warum ich ausgerechnet ihm damals auf dem Riesenrad anvertraut hatte, dass Mamoru sich noch nicht bei mir gemeldet hatte. Er war der Einzige, dem ich das offenbart hatte. Noch nicht einmal Rei oder den anderen hatte ich das mit nur einer Silbe erwähnt. Rei hatte es ja erst vorhin aus mir herauskitzeln können. Warum hatte ich von allen denkbaren Freunden gerade ihm davon erzählt? Lag es daran, dass ich ihm unterbewusst schon immer blind vertraut hatte? Mehr als jedem anderen? Ich hatte ja einfach drauf losgesprochen ohne weiter darüber nachzudenken und mein Hirn einzuschalten. Ich hatte lediglich auf mein Herz gehört. Für ihn war es ja wie das Normalste auf der Welt, als ich so ausgelassen mit ihm über alles geplaudert hatte. Als hätte er nie etwas Anderes gemacht, als seine intimsten Gedanken Seiya anzuvertrauen. Als würde mein Herz ihn schon seit Ewigkeiten kennen. Er war zweifelsohne mein bester Freund. Vielleicht sogar mein Seelenverwandter? Aber natürlich. Das war doch des Rätsels Lösung! Noch nie hatte ich mich so sehr von einem anderen Menschen verstanden gefühlt. Bei ihm konnte ich wirklich so sein, wie ich war, ohne mich dafür schämen zu müssen für meine Tollpatschigkeit oder Naivität. Er hatte mir nie das Gefühl gegeben, ihm zu dumm zu sein oder ihm nicht zu genügen. Keinesfalls. Bei Mamoru hatte ich immer besonders darauf achten müssen. Musste mich immer zusammenreißen, um gut genug für ihn zu sein. Um mich ihm würdig zu fühlen. Das war zugegebenermaßen, wenn ich jetzt die Situation mit Seiya verglich, anstrengend. Bei ihm hatte es immer eine unsichtbare Hemmschwelle gegeben, die ich nie überschreiten durfte und auch nicht konnte. Da war schon in meinem Unterbewusstsein ganz fest verankert, dass ich aufpassen musste, nichts Falsches zu tun. Habe mich immer selbst ausbremsen und ermahnen müssen. Erst durch Seiya lernte ich diese unbeschwerte Leichtigkeit kennen. Es war eine völlig neue Empfindung. Eine sehr schöne Empfindung. Als ob ein Gefühl von Freiheit meinem Körper und meiner Seele neue, ungeahnte Kräfte verlieh. Seiya war wie eine erfrischende Windbrise, die meinem Dasein einen neuen Sinn schenkte. Er war immer für mich da, wenn es mir schlecht ging. Wie mein persönlicher Feuerwehrmann, der jederzeit bereit war, das brennende Feuer, welches in meiner Seele immer wieder loderte, zu löschen. Wie mein Rettungsanker, meine lebensrettende Schwimmweste inmitten des eiskalten, ja fast schon gefrierenden Ozeans. Meine helfende Hand. Mein Schutzengel. Mein Beschützer. Das alles war er für mich. Und noch viel mehr. Doch so schön und angenehme eine Brise auch sein mochte: Sie ging vorüber. Wie ein normaler Wind würde auch er nie zurückkehren, sobald er vorbeigezogen war. Eine Windbrise kam nie an den Ort zurück, wo er schon einmal gewesen war. Ich spürte, wie sich meine Nasenflügel bereits wankelmütig aufblähten, als die Tränenflüssigkeit wieder dabei war, sich in meinen Augen anzusammeln. Nein, daran durfte ich nicht denken. Ich durfte hier und jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Hastig versuchte ich, mich abzulenken und sah wieder zu Seiya vor. Das war nicht schwer, denn meine Aufmerksamkeit hatte sowieso schon von Anfang an nur ihm gegolten. So nahm ich auch rasch Notiz davon, wie er seinen Solo–Auftritt ankündigte und sich die anderen beiden zurückzogen, bevor ihm von einem Jungen eine Gitarre überreicht wurde, die er dankend annahm. Halb setzte er sich anschließend auf den Hocker und zupfte mit so einer Leichtigkeit das Vorspiel, dass mir warm und kalt zugleich wurde. Wie er so lässig dort saß und seine Finger mit solch einer unbeschreiblichen Eleganz über die Saiten strichen … Ein göttliches Bild. Nicht von dieser Welt. Warum war mir nur nie aufgefallen, wie anziehend Seiya schon immer war? Wie konnte ich nur all die Zeit so blind gewesen sein und ihn noch nie als richtigen Mann gesehen haben statt nur als einen normalen Kumpel? Als jedoch seine sanfte Stimme die Halle erfüllte, setzte mein Herz schlagartig für Sekunden aus. Sie erreichte die verwinkelteste Wurzel meines Herzens. Versetzte mich in einen tauben, rauschartigen Zustand. Mein Herz war wie der Flügel des Ikarus, der gnadenlos von der Sonne, in diesem Fall seine Stimme, verbrannt wurde. So fühlte sich das gerade an. Doch es war der schönste Schmerz, den ich je erlebt hatte. Ein Schmerz, von dem ich niemals genug bekommen würde. Und als wäre das noch nicht genug, kam es noch härter … »Weil ich so dumm und ein Idiot bin, sehen meine Augen niemanden außer dich. Obwohl ich weiß, dass du einen anderen liebst … Du könntest nie den Schmerz verstehen, den ich fühle.« Dieser Text. Ich konnte mich unmöglich irren, oder? Er … handelte von unserer Situation. Ohne Zweifel. Seiya, warum tust du mir das an? Bei Seiya Kou musste man sich auf etwas viel Spektakuläreres gefasst machen. Ein stinknormales Gespräch wäre ja sterbenslangweilig. Ganz wie es seiner Art entsprach, setzte er natürlich noch zusätzlich einen drauf … Abermals stockte mir der Atem, als ich in meinem Kopf seine Stimme wahrnahm. Aber nicht die Stimme, mit der er gerade dieses bittersüße Lied sang. Schätzchen … Obwohl ich es mir verboten habe … so kann ich doch nicht anders. Diese letzte Botschaft sollst du noch von mir erhalten. Ich verspreche dir gleichzeitig auch, dass es die letzte Nachricht sein wird, die du von mir erhalten wirst. Bitte vergib mir, dass ich so selbstsüchtig bin und dir meine letzten Gedanken noch mitgeben möchte, bevor sich hier an dieser Stelle unsere Wege für immer trennen werden. Das verräterische Glänzen in meinen Augen löste allerspätestens in diesem Moment echte Tränen aus. Ich hatte sie schon viel zu lange zurückgehalten, was mich selber ins Staunen versetzt hatte. Warum nur … Warum mussten sich unsere Wege trennen? Warum konnten wir nicht weiterhin Freunde bleiben und jeden einzelnen Tag unseres Lebens miteinander verbringen? Denn ich spürte es in mir. Ich nahm es ganz deutlich in meinem Herzen wahr: Genau das wünschte ich mir. Ich wünschte mir, ihn jeden Tag zu sehen … Jeder Tag ohne ihn war für mich ein verlorener, trockener Tag. Ich brauchte ihn, um aus vollem Herzen lachen zu können. Ich war auf ihn angewiesen. Mehr, als mir lieb war. Viel mehr. »Ich werde nicht in deiner Zukunft sein, und wahrscheinlich nicht mal in deinen Erinnerungen. Aber ich werde meine Zukunft damit verbringen, immer an dich zu denken. Und meine Tränen werden weiterhin fließen …« Wie konnte er nur so etwas Schreckliches sagen? Wie konnte er nur behaupten, dass er nicht in meiner Zukunft oder in meinen Erinnerungen sein würde? Kannte er mich etwa gar nicht? War er wirklich der festen, aber fälschlichen Überzeugung, dass ich ihn vergessen würde? Er, der mein Leben so sehr geprägt hatte? Der immer für mich da war? Der mir ausnahmslos immer zugehört hatte, wenn ich reden wollte? Wenn dem wirklich so war, dann musste ich ihn enttäuschen: Als der beste Freund, den ich jemals hatte, würde er immer in meinen Erinnerungen zu finden sein. Er würde immer ein Teil meiner Zukunft sein, weil er mit hundertprozentiger Sicherheit für immer und ewig einen riesengroßen Platz in meinem Herzen einnehmen würde. Deswegen würde er auch immer ein Teil meines Lebens sein und bleiben. Am liebsten hätte ich ihm diese Gedanken entgegengeschrien. Hätte. Doch ich durfte nicht. Ich durfte die ganze Zukunft, für die wir die letzten Jahre so hart gekämpft hatten, nicht komplett durcheinanderschmeißen wegen ein paar Gefühlen und Hormonen, die gerade verrücktspielten. Dies konnte nicht mehr als eine harmlose, flatterhafte Schwärmerei sein. Mehr war gar nicht möglich. Haruka und Michiru hatten vollkommen Recht. Ich musste meine Pflicht erfüllen. Ich war nicht irgendwer: Ich war die Mondprinzessin Serenity, von der das Glück der gesamten Menschheit auf der Erde abhing. Ich durfte nicht tun, was ich wollte oder wonach mir war. Es stand mir nicht zu, nur an mich zu denken. Dazu hatte ich nicht das Recht. Ich muss dir einfach noch einmal offenbaren, wie sehr ich dir inzwischen schon verfallen bin, auch wenn du es wahrscheinlich gar nicht mehr hören kannst. Ich hoffe, du fasst meine Worte nicht auf irgendeine Art und Weise als Vorwurf auf, denn so ist es ganz bestimmt nicht gemeint. Du bist von Anfang an fair zu mir gewesen, hast immer mit offenen Karten gespielt und mir nie falsche Hoffnungen gemacht. Du hast mir sogar schon bei unserem ersten richtigen Treffen gesagt, dass du nur einem einzigen Mann gehörst. Und trotzdem war ich so dumm. Viel zu dumm. Obwohl ich wusste, dass ich es nicht durfte, verliebte ich mich Hals über Kopf in dich. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht vor Schmerz loszubrüllen. Es tat so weh. So entsetzlich weh! Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Seine Worte stachen direkt in mein Herz ein. Immer und immer wieder. Ich krümmte mich innerlich vor Schmerzen. Es war nicht zu ertragen. Ich wollte nicht, dass es endete. Egal, was das zwischen uns auch sein mochte. Egal, wie verboten das auch war … In meinem Herzen fühlte es sich so richtig an. Und war das nicht das Wichtigste? Sollte man nicht immer auf sein Herz hören, um wirklich wahrhaftig glücklich werden zu können? Wie konnte sich etwas so Falsches denn nur so richtig anfühlen? Wie war das möglich? »Ich bleibe, du läufst fort. Ich halte mich zurück, beobachte dich Tag für Tag. Du merkst nicht, wie sehr ich dir verfallen bin. Wie der Wind fliegst du einfach an mir vorbei …« Für meine eigene Blindheit hätte ich mich ohrfeigen können. Wie musste es ihm die ganze Zeit ergangen sein? Ständig hatte er sich zurückhalten und seine wachsenden Gefühle im Zaum halten müssen. Wie schwer musste es für ihn gewesen sein? Unvorstellbar, was er durchmachen musste. Und dabei war er auch noch ganz auf sich alleine gestellt, konnte sich niemandem anvertrauen. Denn so, wie ich Taiki und Yaten einschätzte, hätten sie ihn nie verstanden oder seine Gefühle erduldet. Das schlechte Gewissen war gerade dabei, mich aufzufressen. Nur wegen meiner dummen Ignoranz musste er unnötigerweise noch mehr leiden als er es eh schon getan hätte. Hätte ich früher davon Wind bekommen, hätte ich entsprechend und vor allem früher darauf reagieren können. Ich alleine hätte es ihm leichter machen können. Ich hatte ihn so sehr verletzt. Dass ich das die ganze Zeit über ohne böse Absicht getan hatte, war keine Entschuldigung dafür. Diese Tat war nicht wiedergutzumachen. Ich würde es mir selbst niemals verzeihen können. In diesem Moment verspürte ich erstmals ein Gefühl, dass sich genauso hässlich anfühlte, wie es klang: Selbstverachtung. Lange habe ich es selbst gar nicht bemerkt – meine Gefühle für dich. Oder besser gesagt: Ich wollte sie mir nie eingestehen. Was hätte es denn großartig geändert? Außer, dass ich dich dann noch mehr von mir distanziert hätte? Das wäre absolut das Letzte gewesen, was ich gewollt hätte. Ich kann es eh schon kaum ertragen, dass du mir schon immer so fern gewesen bist, auch ohne dass ich auch nur einen falschen Ton von mir gegeben habe. Außerdem war ich nie der Typ, der gerne Gefühle oder gar Schwäche zeigte. Es wundert mich selber, dass ich sie dir jetzt so offen gestanden habe. Liegt es daran, dass ich nun wirklich das erste Mal in meinem Leben so richtig verliebt bin? Ist das ein Verlangen, was alle Verliebten in sich tragen? Das Verlangen, diese Gefühle offen und ohne jegliche Scham auszusprechen? Wenn dem wirklich so ist, dann können die Liebe und ich wohl niemals beste Freunde werden. Ich bin schon immer lieber mein eigener Herr gewesen und habe mir nur ungern irgendetwas von anderen Leuten sagen lassen. Die Liebe lässt das allerdings nicht zu, übernimmt die Kontrolle über mich – und ich kann nicht mehr, als tatenlos dabei zuzusehen, was sie mit mir anstellt. Sie lässt mich Dinge tun und denken, die mir bis dato völlig fremd waren. Deswegen tut es mir aufrichtig leid, dass ich dich vorhin so in die Ecke gedrängt habe mit meinen unmöglichen Fragen. Bitte vergiss sie alle und behalte mich als den Seiya in Erinnerung, den du kennengelernt hast. Vergiss diesen verliebten Narr, als der ich geendet bin. Ich bitte dich. Ja, das war sie: die Liebe. Eigensinnig und egozentrisch. Die Liebe machte, was sie wollte. Ließ uns Menschen Dinge tun, die wir nie gedacht hatten, dass wir sie jemals wagen würden. Die Liebe war sogar so furchterregend, dass sie Menschen … veränderte. Diese entsetzliche Macht besaß sie. Man sollte eigentlich vor der Liebe ängstlich zittern, so gewaltig, wie sie war statt sie immerzu mit offenen Armen zu empfangen oder gar so blöd zu sein und nach ihr zu suchen. Der Teufelin namens »Liebe« waren wir alle hilflos ausgeliefert. Dass ausgerechnet ich einmal so negativ über die Liebe nachdenken würde, hätte wohl keiner für möglich gehalten. Ich, die eisige Verfechterin für Liebe und Gerechtigkeit, die immer so sehr von ihr überzeugt war. Mehr als jeder Andere. Nannte man das vielleicht »Ironie des Schicksals«? »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich liebe dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen. Wieder alleine, werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Allein der Gedanke, ihn weinend und wartend vor mir zu sehen wie ein Häufchen Elend … Dieses Bild, diese Vorstellung … Sie ließ mich innerlich zu Grunde gehen. Und doch gab es noch etwas, was dieses schlimme Gefühl des Mitleids bei Weitem übertraf: Ich konnte seine Gefühle selbst spüren. Als hätte er in meine Seele geschaut und würde über deren Empfindungen gerade dieses Lied singen. Unsere Herzen schlugen im gleichen Takt. Unsere Gefühle und Gedanken waren zu einem Ganzen verschmolzen. Unwiderruflich. Ohne ihn war ich nur noch eine lächerliche, halbe Portion. Mehr nicht. Eine Erkenntnis, die mich hart traf. Das durfte nicht sein … Wann war es nur so weit gekommen? Was hast du nur mit mir angestellt, Schätzchen? Wie hast du es nur geschafft, mich so dermaßen zu verändern? Ich erkenne mich ja selbst nicht mehr wieder. Allein schon, dass ich so ein schmalziges Lied geschrieben habe … Und überhaupt ist es das erste richtige Lied, das ich jemals geschrieben habe. Für sämtliche Liedtexte war bisher ja immer Taiki zuständig gewesen. Dass ich mich selbst an eins herangewagt habe, grenzt schon an einer Sensation. Das sollte jetzt keinesfalls arrogant oder eingebildet rüberkommen – ich möchte dir nur zeigen, was für eine Macht meine Liebe zu dir auf mich ausübt. Eine unvorstellbar große Macht. Ich hoffe, dass dir dieses Lied gefällt. Da fällt mir ein: Taiki und Yaten werde ich später auch noch Rede und Antwort stehen müssen. Wird bestimmt nicht lustig. Ich höre jetzt schon ihre tadelnde Stimme: ›Was für einen Schwachsinn hast du dir denn jetzt schon wieder einfallen lassen?‹ Aber das ist mir gerade so herzlich egal. Schließlich ist das nun die letzte Gelegenheit, noch mal mit dir auf diesem intimen Weg zu sprechen – und diese Chance nutze ich auch aus, bevor ich den Rest meines Lebens von Reue erfüllt sein werde. Sogar in so einer aussichtslosen Situation entlockte er mir ein schwaches Schmunzeln. Die Liebe eben. Ich konnte nicht verleugnen, dass ich über alle Maßen geehrt fühlte, dass er sein allererstes Lied praktisch alleine für mich geschrieben hatte. Welches Mädchen träumte nicht davon, von seinem Liebsten ein Lied komponiert zu bekommen? Moment – »von seinem Liebsten«? »Wahrscheinlich wirst du nie von mir träumen. Und ich weiß, dass nur ich es bin, der liebt. Deshalb haben wir wirklich keine gemeinsamen Erinnerungen. Letzten Endes werde ich sie alleine machen.« Das war eine glatte Lüge, mein Lieber. Mir war jetzt schon klar, dass ich von ihm träumen würde. Es würde kein Tag vergehen, wo ich nicht an ihn denken würde. Ich wusste es. Ohne dass ich es gemerkt hatte, hatte er sich nicht ganz legal in mein Herz eingeschlichen und sich dort seinen festen Platz reserviert. Für die Ewigkeit. Normalerweise würde ich jetzt selbstlos sagen: ›Werde glücklich mit ihm! Vergiss unsere Zeit und werde einfach nur glücklich. Ohne mich. Ich bin glücklich, wenn du es bist.‹ Doch das wäre nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte wäre erstunken und erlogen. Ich war noch nie ein Heuchler und werde das auch nie sein, weil das gegen meine obersten Prinzipien verstoßen würde. Lieber sage ich die Wahrheit und gehe unter als mein Lebtag mit einer Lüge verbringen zu müssen. Und ich wollte schließlich immer ehrlich zu dir sein – erinnerst du dich noch? Es tut mir leid, aber ich bin von Natur aus viel zu selbstsüchtig. Ich könnte dir niemals, so gierig und unersättlich wie ich leider bin, ehrlich wünschen können, mit ihm glücklich zu werden, ohne dabei innerlich tausende Tode zu sterben. Über diese dezente, aber dennoch so direkte Ehrlichkeit, die nur er in dieser vollendeten Form draufhatte, hätte ich zweifelsohne schmunzeln können. Wenn mir danach gewesen wäre. Ich spürte ganz genau, was er meinte. Denn auch ich war ebenfalls mehrere Tode gestorben. Aus Gründen, die seinen so sehr glichen, aber gleichzeitig doch völlig anders waren. Niemals hätte ich gedacht, dass sich »Sterben« so schlimm anfühlen könnte. Wobei … richtig zu sterben war bestimmt einfacher und erträglicher. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen als diesen Schmerz, den ich gerade durchlebte. Den wir gerade durchleben mussten. Wie zwei hoffnungslose Vollidioten. »Liebe ist wie ein Fluss voller Tränen, der fließen wird, solange du nicht bei mir bist. Auch, wenn dein Herz niemals mir gehören wird, genügt es mir, dich lächeln zu sehen. Auch wenn ich nicht mit dir lächeln kann …« Die Wahrheit ist: Ich ertrage diese Gedanken einfach nicht, wie du mit ihm glücklich wirst und mich vergessen wirst. Dass ich in deinem Herzen nicht den gleichen Platz einnehmen werde wie du in meinem. Ich es auch niemals schaffen werde, dir jemals so wichtig zu sein. Um ehrlich zu sein … Tut dieser Gedanke verdammt weh. Es tut weh, dass ich niemals derjenige sein werde, der an deiner Seite sein darf. Zu wissen, dass dein Herz mir niemals gehören wird … Er war nicht der Einzige, für den diese Vorstellung die Toleranzgrenze des Erträglichen überschritt. Er hatte wirklich gar keine Ahnung. Doch Vorwürfe konnte ihm niemand machen. Aber das Schlimmste von allen war ja: Es musste auch so bleiben. Er durfte nichts erfahren. Er durfte nichts von diesen neuen Gefühlen erfahren, die ich gerade erst in mir entdeckte. Diese Gefühle, die verboten gehörten … »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich liebe dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine werde ich um dich weinen. Wieder alleine werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Aber so soll es sein. Das Schicksal hat schon längst seine Entscheidung über uns gefällt, bevor wir überhaupt auf der Welt waren. In solchen Dingen haben wir leider nie ein Mitspracherecht gehabt. Auch du hast dich schon längst für deine Zukunft entschieden. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als das schweren Herzens zu akzeptieren. Schließlich bin ich der Einzige, dem das nicht passt. Ich muss echt anfangen, von meinem Ego–Trip runterzukommen. Ich selbst finde ja mein eigenes Verhalten inakzeptabel – wie wird es da erst euch gehen, die keinen Einblick in mein krankes Hirn haben? Wie sehr wollte ich ihn aufhalten. Ihn erlösen von seiner Ungewissheit, für die er nichts konnte. Ihm entgegenschreien, dass er sich auf dem Holzweg befand. Meine Seele erlitt brennende Höllenqualen bei dem Gedanken, ihn so im Unwissen zu lassen. Ihm eine Lüge glauben zu lassen. Dass wir mit einer Lüge auseinandergehen würden – wie könnte ich das jemals mit meinem lautstarken Gewissen vereinbaren? War das etwa auch mein tonnenschweres Schicksal? Für immer in tiefer Reue zu leben? Das hatte ich nie gewollt. Doch so war wohl das Leben. Menschen, die sich nie begegnen wollten, begegneten sich. Und Dinge, die nie passieren sollten, passierten … »Bye bye … Sag niemals Goodbye. Selbst wenn nicht ich es bin, der an deiner Seite sein wird. Ich brauche dich; ich kann kein Wort sagen, aber ich will dich. Ich kann nicht aufhören, mich nach dir zu sehnen. Und werde hoffen … und weiterhin hoffen.« Mein Herz zerbärste in Abermillionen Teile. Gleichzeitig war es ein schönes Gefühl. Ein wunderschönes Gefühl zu wissen, dass er sich weiterhin Hoffnung machte und auf mich wartete. Zu wissen, dass er nicht Ausschau nach einer anderen halten würde. Heftig schüttelte ich meinen Kopf. Wie unfassbar egoistisch das doch von mir war, ihm nicht das Glück zu gönnen, welches er von allen Menschen am allermeisten verdient hatte. Was hatte ich denn davon, wenn er sein ganzes Leben lang an etwas Imaginäres, Unmögliches festhielt? Doch nicht etwa die Möglichkeit … selbst noch weiter hoffen zu können …? Die härteste Zeit meines Lebens steht mir unmittelbar bevor. Und auch, wenn es mich wahnsinnig macht … Gleichzeitig wird aber der Gedanke, dass es dir gut gehen wird, der einzige Trost für mich sein in dieser schweren Zeit. Also sei glücklich. Auch wenn es mir Höllenqualen bereiten wird. Ich kann selbst die schlimmste Höllenfolter ertragen, wenn ich dein Lächeln vor meinen Augen sehe. Das allein reicht mir. Das muss mir einfach reichen. Ich weiß, dass das verdammt widersprüchlich klingt und es auch ist. Ich kann es also gut verstehen, wenn du kein Wort von dem verstehst, was ich hier vor mich hin labere. Ich verstehe mich ja selbst nicht – wie soll mich da jemand Anderes bitte verstehen? Ich verlange daher gar nicht von dir, dass du mich verstehst. Dass du mir überhaupt zuhörst bei dem Schwachsinn ist für mich schon das Höchste. Wie konnte er nur so sein? Wie konnte er mich nur so sehr lieben? Wie war das möglich? Wie konnte so eine grenzenlose Liebe überhaupt existieren? Als ob er all die Liebe, die es gab, in sich vereint hätte … und die nun ganz allein mir galt. So viel Liebe hatte ich in keinster Weise verdient. Erst recht nicht von ihm. Ich war unfähig, konnte mit so viel Liebe nicht umgehen. Ich war es schon gewohnt, mehr Liebe zu schenken als zu bekommen. Mit seinen Gefühlen, die sich aufgrund ihrer Gewaltigkeit jenseits meiner Vorstellungskraft befanden, war ich überfordert. Denn noch nie hatte ich mich mit solch starken Gefühlen auseinandersetzen müssen. Noch nie zuvor hatte ich mich so sehr von einem Menschen geliebt gefühlt. Noch nie wurde ich so sehr geliebt. Noch nicht einmal von demjenigen, für den es sich als Einzigen ziemte, derartige Gefühle für mich zu besitzen: Mamoru. »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich vermisse dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen.« Bitte sei nicht traurig. Auch, wenn das nach meiner Botschaft echt zu viel verlangt ist – ich kenne ja dein überaus großes Herz und deine ›Begabung‹, so intensiv mit deinen Mitmenschen mitzuleiden. Ich hoffe, du behältst unsere gemeinsame Zeit in genauso guter Erinnerung wie ich. In der Zeit, die ich mit dir verbringen durfte, habe ich das erste Mal in meinem Leben wirklich gespürt, was »Glück« beinhaltet. Du hast mir gezeigt, was es heißt, wahrhaftig glücklich zu sein. Die Erfahrung, mit jemandem, den man mehr als alles Andere auf diesem Universum liebt, Zeit zu verbringen. In seiner Gegenwart zu sein. Es gibt kein schöneres Gefühl auf der Welt – jedenfalls kenne ich bisher nichts Vergleichbares. Und dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Und wieder einmal lag er vollkommen daneben. Ich empfand viel für ihn. Mitleid nahm inzwischen jedoch nur einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Teil ein. War nun fast schon unbedeutend. Hinter ihrer Fassade steckte etwas viel Größeres. Etwas viel Gigantischeres. Doch ich verstand wieder sofort, was er damit meinte. Denn mir ging es auch hier nicht anders: Erst durch ihn hatte ich erfahren, wie schön es war, wirklich wahrhaftig glücklich zu sein. Glück bedeutete … mit einem Menschen jederzeit lachen und weinen zu können. Mit demjenigen über alles reden zu können, weil man ihm bedingungslos vertrauen konnte. Jemanden zu haben, mit dem man alles teilen konnte. Glück bedeutete, einen Seelenverwandten zu haben. Und ich wollte diese bestimmte Person niemals loslassen … denn ohne diese Person würde mein Glück niemals vollkommen sein. In ihm hatte ich diese Person gefunden. »Es gibt Tage, an denen ich nur den Regen spüre. Es gibt Tage, an denen ich einfach so viel Schmerz empfinde. Mein Herz sich kalt und traurig anfühlt. Die Worte ›Ich vermisse dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen. Wieder alleine, werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Du hast mir beigebracht, zu lieben. Dank dir begreife ich nun, was »Liebe« bedeutet. Das war eine sehr wertvolle Lektion für mich, die ich niemals vergessen und immer in meinem Herzen tragen werde. Ich werde dich niemals vergessen, mein Schätzchen. Bitte erlaube mir noch, dich um einen winzigen Gefallen zu bitten. Ich hoffe, dass ich mir damit nicht zu viel hole, aber bitte … Bitte vergiss mich nicht … Und in diesem Moment sah er mir direkt in die Augen. Während des gesamten Liedes hatte er es vermieden – das war nicht zu übersehen gewesen. Doch nun war er wohl der Versuchung erlegen, hatte ihr nicht mehr länger standhalten können. Ich seufzte innerlich, bevor ich mir offenkundig endlich die Gefühle eingestand, die ich schon seit unserem ersten Gespräch tief in mir drinnen für ihn hegte. Es hatte keinen Sinn mehr, sie zu verleugnen – ich würde mich damit nur selbst belügen. »Ich liebe dich auch, Seiya …« Seine Augenbrauen zuckten merklich – er hatte mich also gehört. Mit einem ungläubigen, unverwandten Blick musterte er mich skeptisch. Ich erwiderte ihn mit einem traurigen Lächeln. Denn wir beide wussten es nur zu gut: Ganz egal, was ich auch für ihn empfand: Es würde nichts ändern an unserer Situation. Gar nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)