Die Schuld der Neugier von Writing_League ================================================================================ Die Schuld der Neugier ---------------------- Schlagartig fühlte sie sich wie die Katze, der sie als frisch verwandelter Animagus als erstes begegnet war. Obwohl zu keiner Sprache in dem Sinne fähig, wiesen Tiere im Allgemeinen und Katzen im besonderen, ein hoch komplexes System aus Lauten, Gesten und scharfen Krallen auf, über das sie mit der Welt kommunizierten. Es gab Zeichen für alles: Besitz- und Territorialansprüche, Zuneigung und Ablehnung und nicht zuletzt eine ganze Reihe unmoralischer Angebote, die eine Katze, die sich drei Ecken weiter in die amtierende Hauslehrerin von Gryffindor verwandeln würde, stets auszuschlagen gedachte. Kurzum: Zeichen, von denen sie damals, als sie die Übungsräume zum ersten Mal auf vier Pfoten verlassen hatte, nicht einmal geahnt hatte, dass es notwendig war, ihre Bedeutung zu verinnerlichen. Heute war sie es, die das Nackenfell aufstellte und fauchte. Natürlich, sie hatte geahnt, dass an diesem Tier etwas seltsam war, seitdem der neue Hausmeister es angeschleppt hatte. Bislang hatte sie das jedoch dem anderen Teil des Gespanns zugeschrieben, Argus, dem jungen Mann, dem der Argwohn auf Magie, Magier und Menschen im Allgemeinen aus jeder Pore troff. Sie hatte sich geirrt. Oh, wie hatte sie sich geirrt. Einen Augenblick lang starrten sie einander an. Mrs Norris, thronend auf den Schultern einer Rüstung aus dem 13. Jahrhundert, die Augen zwei leuchtende Punkte im Kerzenlicht. Minerva in der Tür kauernd, die zum Pokalzimmer offen stand, fauchend und mit dem aufgeplusterten Schwanz schlagend. Keine von ihnen blinzelte. Ein vorbei eilender Schüler hätte sicher beide für eine der unzähligen Hauskatzen gehalten, die Hogwarts bevölkerten, doch Minerva wusste es besser. Und Mrs Norris, da war sie sich sicher, wusste es auch. Sie beobachtete jede Geste, die Minerva tat, mit Argwohn, doch es war nicht der Argwohn, den eine Katze einer anderen entgegen brachte. Es war diese Mischung aus gespieltem Desinteresse, der Erwartung von Streicheleinheiten und leckeren Häppchen aus der großen Halle und dem Hauch Skepsis, der immer blieb. Es war die Mischung, die sich jede Katze aneignete, die an einer Schule voller magischer Teenager überleben wollte - und die für die Magier der Schule reserviert blieb. Sie sah vielleicht aus, wie eine Mischung aus normaler Hauskatze und etwas langhaarigem, das seinen Rassenamen bereits vor Generationen verloren hatte, aber damit endete es. Sie war in etwa so viel Katze, wie Minerva selbst. Selbst der alte, einäugige Salazar, den ein Slytherin-Absolvent vor Jahren hier vergessen hatte und der seine Zeit seitdem in der von den Hauselfen betriebenen Wäschekammer verbrachte, wenn er keine Häppchen vom Wildhüter erschnorrte, roch mehr nach Katze als Mrs Norris - und eigentlich roch er nur noch nach Blubberbad. Auf ihrer Rüstung miauzte Mrs Norris ein sehr aufmerksamkeitsheischendes Mauzen. Ihr Schwanz zuckte, Minerva hörte ihn dumpf gegen die Rüstung schlagen. Sie quittierte die Aufforderung damit, dass sie die Ohren anlegte. Zu Beginn hatte es ihr Stunden über Stunden abverlangt, um sich in dem Geflecht aus Schnurren, Maunzen und Kratzen zurechtzufinden. Mittlerweile war es Minerva so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, als Katze auf Katzen wie eine Katze zu reagieren, dass es ihr zuweilen schwer fiel, es nicht zu tun. Nach den ersten Sekunden wurde es besser, der Impuls zu reagieren schwächer. Dieses Mal auch. Es war eine fließende Bewegung, in der Mrs Norris ihren Platz auf der Rüstung verließ. Ihre Krallen kratzten leise über das Metall der Schulterplatte. Selbst für Minervas Katzenohren landete sie beinahe lautlos auf den Steinfliesen. Minerva schluckte das Bedürfnis zu fauchen hinunter. Stattdessen bedachte sie die Bewegung und die Geste, die dahinter stand, mit derselben Skepsis, die sie für Horaces neuesten Vertrauensschüler übrig hatte. Erkenntnis, die einer Katze hätte fremd sein sollen, spiegelte sich in Mrs Norris‘ Augen. Sie miauzte erneut. Es war ein Laut, den Minerva nicht zuordnen konnte. Irgendwo zwischen Gibst du mir Futter in den Napf?, Guck nicht so komisch! und einer zweideutigen Aufforderung, bei der es sich nur um eine Fehlinterpretation handeln konnte. Handeln musste. Für gewöhnlich hasste Minerva Fehlinterpretationen, doch an dieser Begegnung war nichts gewöhnlich. In ihrem Rachen wartete das tiefe Grollen, das die Katze in ihr antworten wollte, doch sie gab keinen Laut von sich. Stattdessen besann sie sich immer noch auf die Skepsis, die man manchen Schülern entgegen bringen musste, um ihre nächsten dummen Ideen vorausahnen zu können und verharrte reglos in der Tür. Leichtfüßig schritt Mrs Norris über die Steinfliesen, als gehöre der Raum ihr. Sie schnurrte sogar leicht. Beide Katzen tauschten einen Blick, als sie sie erreichte, Minerva fragend, Mrs Norris auffordernd. Dann verschwand die Katze des Hausmeisters im Pokalzimmer und der Spuk war vorbei.   Oder zumindest glaubte Minerva das.   Am Abend - und wieder ein Mensch - erwischte sie sich dabei, wie sie die Begegnung zu rationalisieren versuchte. Sie kannte keinen anderen Animagus, der sich in eine Katze verwandeln konnte und genug Zeit hatte, um Wachhund eines Hausmeisters spielen zu können. Geschweige denn, dass sie sich einen Animagus vorstellen konnte, der ausgerechnet für diesen Hausmeister den Wachhund hätte spielen wollen. Nicht für einen Tag, schon gar nicht für die drei Wochen seit Schuljahresbeginn. Im Nachhinein betrachtet, erschien es ihr wahrscheinlicher, dass Mrs Norris einfach ein verunglückter Knieselmischling war. Kniesel verhielten sich häufig nicht so, wie sie es von Hauskatzen erwartete. Außerdem waren sie und ihre Mischlinge selbst in Hogwarts seltener, als dass sie ihr Verhalten allzu genau hätte studieren können. Und bei dieser Aufforderung, bei der musste sie sich immer noch irren.   Zwei Tage später saß Minerva in der Bibliothek und wälzte Akten. Sie war das Animagi-Verzeichnis von Großbritannien durchgegangen, doch keiner der lebenden, registrierten Animagi kam in Frage. Jetzt beschäftigte sie sich mit den Animagi-Verzeichnissen von Frankreich, Deutschland und der MACUSA.   Am nächsten Tag bemerkte sie einen graugetigerten, zottigen Schwanz, der hinter einer Ecke verschwand, als sie die Bibliothek verließ. Sie hatte sich an diesem Tag durch die Verzeichnisse des halben, afrikanischen Kontinents gewälzt und die Idee schließlich abgeblasen. Ihr schwirrten längst vor lauter Leoparden, Elefanten und Antilopen der Kopf, sodass sie ihm nicht sonderlich viel Beachtung schenkte.   In den nächsten drei Tagen arbeitete sie sich durch die hogwartschen Schülerlisten der letzten dreißig Jahre. Schüler begannen, hinter ihrem Rücken zu tuscheln, aber wenigstens hielten ihre Gryffindors ihr einen Tisch frei. Trotz einem Berg an Notizen fand sie keinen vermissten Schüler, dessen Verschwinden sich mit ‚Hat sich in eine Katze verwandelt und wart seitdem nie wieder gesehen‘ erklären ließ und der einzige Norris war ein besonders pickelnasiger Viertklässler, den sie aus ihrem Kurs werfen würde, wenn er noch einmal den halben Unterrichtsraum Hufflepuff-gelb färbte, statt seine Truhe in einen Dachs zu verwandeln.   Am sechsten Tag in der Bibliothek beobachtete Mrs Norris sie von dem Regal aus, in dem Irma die Bücher zu Arithmantik sammelte.   Am siebten Tag lag die Katze quer über den Unterlagen und mauzte beleidigt, wenn Minerva an einer ihrer Notizen zog, während sie sich durch die neuesten Enzyklopädien von Newt Scamander blätterte.   Am Morgen des achten Tages, an dem Mrs Norris vor ihrer Tür saß und dieses Mauzen mauzte, von dem Minerva mittlerweile ausschloss, dass sie sich irrte, gab sie schließlich auf. Sie hatte lange genug versucht, die Sache auf dem rationalen Weg zu klären. Vermutlich gab es nur einen Weg, dieses Rätsel zu lösen.   Den Gryffindor-Weg.   Sie warf der Katze, die so sehr Katze war, wie sie selbst, noch einen skeptischen Blick zu, dann verwandelte sie sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)