Life is a Gamble von Yuugii (Jounouchi/Kaiba) ================================================================================ Kapitel 18: Kapitel 18 ---------------------- Kaiba wählte erneut die Telefonnummer des Kame Game Shops. Bereits zum fünften Mal versuchte er dort durchzukommen, doch immer wieder hieß es nur, dass der gewünschte Gesprächspartner zur Zeit nicht erreichbar wäre und mit jedem Mal, wo er diese nervtötende Bandansage hörte, knurrte er noch grimmiger in sich hinein und drückte die Wahlwiederholungstaste noch fester. Na schön. Yuugi war sauer. Jounouchi hatte also nicht gelogen. Trotzdem nervte es ihn unheimlich, dass Yuugi ignorierte, dass das Telefon klingelte! Wusste er, dass Kaiba ihn erreichen wollen würde, sobald er davon erfuhr, dass er nicht vorhatte, am Turnier teilzunehmen und ging deshalb nicht dran? Es war so überhaupt nicht Yuugis Art das Telefon des Ladens zu ignorieren. Natürlich rief Kaiba außerhalb der Geschäftszeiten an und er konnte seinem Rivalen auch nicht verübeln, dass er geschäftliche Telefonate um diese Zeit nicht mehr annahm, aber er kannte Yuugi gut genug, um zu wissen, dass das nicht seine Art war. War Yuugi wirklich so wütend auf ihn? Der Gedanke, dass Yuugi schmollte war genauso amüsant wie auch frustrierend. Zerknirscht knallte er den Hörer zurück, sodass Mokuba erschrocken aufsah und mit ihm schimpfte. „Musst du deinen Zorn am Telefon auslassen? Wenn er nicht mit dir reden will, dann ist das halt so! Hättest du ihn nicht ignoriert, würde er sicher auch mit dir reden und am Turnier teilnehmen“, meinte er dann und warf einen Blick zurück auf den Monitor vor sich, wo er sich immer noch die Ergebnisse des Turniers ansah und manuell die Teilnehmer aus der Liste warf und sperrte, die bereits ausgeschieden waren. Dadurch, dass er im System die Teilnehmer namentlich sperrte, konnten sie auch mit einem anderen Duel Disk nicht mehr weiter machen und würden, wenn sie den Duel Dom zum Finale ansteuerten, wieder weggeschickt werden. Übermorgen fand bereits das Finale statt. Durch die vielen Teilnehmer gab es hunderte von Duellen, so fehlte Mokuba die Zeit, jedes einzelne anzusehen, also betrachtete er nur die Ergebnisse. Bisher waren drei Leute ins Finale gekommen und bis Morgen hatten sie noch genügend Zeit, die restlichen Duellanten zu finden. Am dritten Tag würden die finalen Runden begingen, daraufhin Halbfinale, Finale und der Sieger würde gegen Yuugi antreten dürfen. Es würde auf jeden Fall ein sehr langer und anstrengender Tag werden! Drei Tage für ein Turnier. Mehr Zeit blieb nicht. Denn Kaiba hatte bereits große Pläne und sofern sich die neuen Investoren zu einer Zusammenarbeit entschieden, würde er mit Sicherheit sein neues Projekt anpeilen. Mokuba hatte seinen Bruder längst durchschaut. Er plante ein neues Virtual Reality Spiel, das als neue Hauptattraktion im Kaiba Park eingesetzt werden würde. Sein Bruder hatte seinen Traum Freizeitparks auf der Welt zu bauen, die für jeden erschwinglich waren, nie aufgegeben, auch wenn es nach außen hin so wirkte, als würde er sich nur noch für Duel Monsters interessieren. Kaiba war ein vielbeschäftigter Mann mit nur sehr wenig Geduld. Dass Yuugi ihn hinhielt und nicht seinen Worten Folge leistete, musste ihn sehr ärgern, aber Mokuba fand, dass er es nicht besser verdient hatte. Yuugi hatte mehrmals sein Leben riskiert, um den Kaiba Brüdern zu helfen und so fühlte sich Mokuba besonders verbunden zu Yuugi, der ihm stets mit Güte und Nachsicht begegnet war und nie etwas für seine Hilfe verlangte. Generell verstanden die beiden Brüder sich nicht mehr so gut wie früher. Mokuba hatte in seiner Schule Freunde gefunden, die maßgeblich dazu beitrugen, dass er mehr und mehr hinterfragte und sich nicht mit allem, was sein Bruder sagte oder tat, zufrieden gab. Immer häufiger wurde ihm bewusst, wie erschreckend kaltherzig sein Bruder war. Und sein Desinteresse an seinen Mitmenschen – insbesondere Mokuba – war für den Schwarzhaarigen mit jedem Tag, der verging, nur noch schwerer zu akzeptieren. Kaibas Verständnislosigkeit gegenüber kleinen Problemen beschwor noch größere Probleme herauf. Es war auch nicht das erste Mal, dass Mokuba seinem Bruder Kontra gab und seine Aussagen nicht so stehen ließ, weil er der Ansicht war, dass er im Unrecht war. Es war nicht so, dass die beiden Brüder sich gar nicht mehr verstanden, aber man konnte behaupten, dass beide weniger Verständnis für den anderen aufbrachten als früher. Es gab Dinge, über die er besser mit Yuugi und dessen Freunden reden konnte. In dieser Hinsicht waren Yuugi und auch Jounouchi seine Vorbilder geworden, da man mit den beiden Jungs auch offen über Gefühle und schulische Probleme – selbstverständlich waren nicht nur die Noten gemeint, sondern auch zwischenmenschliche Bindungen und das Interesse an Mädchen – sprechen, während sein Bruder ihm keine Ratschläge geben konnte. Yuugi hörte immer aufmerksam zu und Mokuba wünschte, sie hätten sich öfter sehen können. „Ich habe ihn nicht ignoriert“, grummelte Kaiba und verschränkte die Arme. „Hast du wohl“, meinte Mokuba nur nebenbei und tippte weiterhin auf der Tastatur vor sich und machte sich nicht einmal die Mühe noch mal aufzusehen. Er wusste genau, dass sein Bruder wieder die beleidigte Leberwurst spielte und ernsthaft glaubte, dass er nichts getan hatte. Mokuba war auf Yuugis Seite und immer noch zornig darüber, dass sein Bruder seine Freunde beleidigte. „Yuugi hat mir davon erzählt, dass du seine Überweisungen zurück gebucht hast. Ist doch wohl klar, dass du ihn damit kränkst und ihm das Gefühl gibst, dass er nichts erreichen kann, sofern du nicht deine schützende Hand über ihn hältst“, erklärte Mokuba und stöhnte genervt. „Ist es denn meine Schuld, dass er sich an diesem Laden klammert? Ich kann nicht zulassen, dass mein Rivale sich seine eigene Zukunft verbaut. Wie sähe das denn aus, wenn die Welt erfährt, dass Kaiba Seto – der CEO der Kaiba Corporation – einen Jungen aus der Unterschicht, der nicht mal genügend Geld für einen Sack Reis hat, als seinen Rivalen ansieht?“ „Dir geht es also nur um deinen Ruf, ja?“, fragte Mokuba ungläubig und drehte sich nun doch zum Älteren herum. Stutzig hob er eine Augenbraue. „Um was denn sonst?“, zischte Kaiba und vermied es seinem jüngeren Bruder ins Gesicht zu sehen. „Ich dachte eher daran, dass du dir Sorgen um ihn machst.“ „Pah, Unsinn! Yuugi kann gut auf sich selbst aufpassen“, begann Kaiba und wurde jäh vom Schwarzhaarigen unterbrochen. „Wenn er doch auf sich selbst aufpassen kann, ist es auch nicht nötig, dass du ihn finanziell unterstützt, Nii-sama. Das ergibt gar keinen Sinn. Außerdem ist Yuugi der König. Allein durch seinen Titel und das allgemeine Interesse an seiner Person verdient er sicher genug, um sich einen Sack Reis zu kaufen“, grinste Mokuba und lachte dreckig in sich hinein, wissend, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. „Das machen Rivalen nun mal so!“, verteidigte sich Kaiba und knallte seine Hände auf die Tischplatte, um so zu unterstreichen, dass für ihn die Diskussion beendet war. Mokuba störte sich jedoch nicht daran. An das Temperament seines Bruders hatte er sich schon längst gewöhnt und er konnte ihn mit seinem Zorn nicht einschüchtern. „Freunde machen das auch so“, stichelte Mokuba weiter und lachte wieder leise, so, dass Kaiba sich ertappt fühlte. „Wir sind keine Freunde und werden es niemals sein. Er ist mein Rivale. Mehr ist da nicht“, sagte Kaiba nun kleinlaut und suchte nach weiteren Ausreden, um seinen kleinen Bruder davon zu überzeugen, dass ihm wirklich rein gar nichts an Yuugi lag. „Als würde es dir wehtun, einfach ehrlich zu sagen, dass du Yuugi gern hast und ihn auch als Person schätzt. Bei Atem war das auch so. Muss erst jemand sterben, damit dir klar wird, was du an dieser Person hast? Mann, du bist so kompliziert, dass ich Kopfschmerzen kriege“, sagte Mokuba dann und drehte sich zurück zum Monitor, tat so, als wäre sein Bruder nicht mehr im Raum. Kaiba grummelte vor sich hin und griff erneut zum Hörer, wählte wieder die Nummer des Kame Game Shops, wo erneut niemand dran ging. Dass Yuugi ihn ignorierte und ihn einfach aus seinem Leben ausschloss, ärgerte ihn. Warum ärgerte es ihn nur so sehr, dass Yuugi seine Herausforderung nicht annahm? Ihre hitzigen und leidenschaftlichen Duelle verbanden ihre Seelen und Kaiba brauchte Yuugi. Ohne Yuugi konnte er kein Duellant sein. Niemand anders brachte sein Blut so sehr in Wallung. Niemand anders vermochte das Feuer der Leidenschaft in seinem Herzen zu entfachen und dass Yuugi einfach gehen könnte, war ein Gedanke, den er mit aller Macht verdrängte. Wenn er genauer darüber nachdachte, konnte er sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Allein die Vorstellung, dass Yuugi sich zurückzog oder plötzlich aus seinem Leben verschwinden könnte – so wie Atem es einst getan hatte – ließ sein Herz schwer werden. Bis heute trauerte er Atem auf seine eigene Weise hinterher. Er hatte es nie offen ausgesprochen, aber dieser Pharao aus einer anderen Zeit war so viel mehr als ein Rivale für ihn gewesen. Durch all ihre Duelle waren ihre Herzen zu einem geworden und als dieser ihn verließ, war ein Teil in ihm gestorben. Ja, für einen Moment hatte er daran gedacht, aufzugeben. Alles hinzuschmeißen, denn es gab nichts mehr auf dieser Welt, das ihn dazu antrieb, weiter zu machen. Doch dann erinnerte er sich daran, dass Mokuba auf ihn wartete und dass Atem seinen kleinen Doppelgänger Yuugi als seiner ebenbürtig anerkannt hatte. Yuugi war in der Lage Atem zu schlagen und hatte sogar die Sangenshin besiegt. Yuugi war somit ein nobler Duellant, der von dem wahren König anerkannt wurde und somit Atems Vermächtnis. Atem hatte ihm einen starken Gegner hinterlassen. Und weil Atem den kleinen unscheinbaren Yuugi so sehr schätzte, hatte Kaiba sich auf dieses Spielchen eingelassen. Yuugi hatte ihn nicht enttäuscht und als die beiden sich zum ersten Mal miteinander maßen und ihre Seelen aufeinander stießen, hatte Kaiba tief in seinem Herzen gewusst, dass Yuugi von nun an sein Rivale sein würde. Dass dieser ihm lächelnd die Hand hinhielt und ihn als Freund bezeichnete, hatte ihn nie sonderlich gestört, auch wenn er sich noch nie dazu durchringen konnte, diesen Händedruck zu erwidern. Yuugi war liebenswert, steckte aber voller Überraschungen und so ersehnte Kaiba den Tag, an dem er ihn endlich übertreffen konnte. Der Tag, an dem Yuugi seine großen Augen weitete und ihn für seine hervorragende Leistung lobte, nur damit sie ihr ewiges Katz und Mausspiel von vorne beginnen konnten. Der Wunsch gegen ihn zu spielen, trieb Kaiba an. Das wollte er niemals wieder missen. Selbst wenn er Yuugi dafür als seinen Freund akzeptieren musste. Yuugi war dieses Mal etwas sturer als gewöhnlich, aber würde dieser ihn einfach zurücklassen? Nein, Yuugi war dafür einfach viel zu liebenswert! Kaiba war sich sicher, dass er Yuugi gut genug durchschauen konnte, um genau vorhersagen zu können, wie er reagierte, doch andererseits befürchtete er, dass der kleine, unscheinbare Yuugi, nicht nur in Sachen Duel Monsters sein Rivale war und irgendwann, genauso wie Mokuba, einen anderen, aber vor allem unvorhersehbaren Weg beschritt. Auch Mokuba hatte sich verändert, ohne dass Kaiba es bemerkt hatte. Hat sich Mokuba verändert oder ich? Habe ich vielleicht nur nicht bemerkt, dass Mokuba erwachsen geworden ist, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war? Klar, ich bin Mitglied des Vorstands und offiziell das Gesicht der KC, aber es ist ja nicht so, dass ich nur arbeiten müsste. Vielleicht sollte ich mich etwas mehr mit Mokuba beschäftigen, bevor wir uns auseinanderleben, seufzte Kaiba gedanklich und warf einen verträumten Blick zu seinem Bruder. Wann hatte sich Mokuba dazu entschieden, kurze Haare zu tragen? Was hatte ihn zu dieser äußerlichen Veränderung bewegt? Die Veränderung der Frisur war gleichbedeutend damit, sein altes Leben den Rücken zuzukehren und einen anderen Weg einzuschlagen. Wahrscheinlich hätte ihm da schon klar sein müssen, dass Mokuba langsam erwachsen wurde und er nicht nur eine Trotzphase durchmachte, sondern seinen eigenen Charakter hatte und eigene Gedanken und Pläne verfolgte. Gerade als er den Mund aufmachen wollte, um Mokuba zu fragen, ob er nicht auch mal Lust hätte, an einem Turnier teilzunehmen, klingelte sein Telefon. Panisch ging er dran, in der Hoffnung, dass Yuugi ihn endlich zurückrief. Die freudige Erwartung seine Stimme zu hören und die Hoffnung, dass dieser seine Meinung geändert hatte, ließ seine Augen aufblitzen und er spürte, wie die Aufregung sein Herz schneller schlagen ließ. Doch es war nur seine Sekretärin, die ihn mitteilte, dass sie einen äußerst störrischen und aggressiven Besucher im Eingangsfoyer hatten, der nicht nur die Security Wachmänner zu Boden geschlagen hatte, sondern laut forderte, mit Kaiba persönlich zu sprechen. Wer zur Hölle macht so spät am Abend so einen Radau?!, fragte er sich und schon war sein Vorsatz, mehr mit seinem kleinen Bruder zu reden, wieder vergessen. Die eigenartige Fröhlichkeit, die er bis eben verspürt hatte, war gewichen und er war erzürnt, knallte den Hörer noch lauter als zuvor in die Aufladestation und erhob sich beinahe fluchtartig von seinem Schreibtisch. Mokuba, der durch den lauten Knall aufgeschreckt war, hatte sich umgedreht und ihn mit einem skeptischen, aber auch genervten Blick bedacht und der Brünette hörte noch von der Seite, wie dieser mit ihm schimpfte und etwas davon sagte, dass wenn er so weiter machte, sie bald ein neues Telefon bräuchten. Da Kaiba ihn mal wieder nicht beachtete, entschloss sich Mokuba, seinem Bruder zu folgen und diesem einmal mehr eine Predigt zu halten und ihn für sein schlechtes Betragen zu kritisieren. Kaibas Blick jedoch, seine finstere Miene, die durch seinen langen Pony nur noch mehr verstärkt wurde und sein Zähneknirschen, ließen ihn jedoch schlucken und so folgte er ihm still und heimlich. Wenn Kaiba einmal so schlecht drauf war und man ihm den Zorn schon ansehen konnte, war es nie eine gute Idee, sich weiter mit ihm anzulegen. Als sie im Eingangsbereich der Kaiba Corporation ankamen, hörten sie bereits das Getuschel einiger Angestellte, die genauso wie Kaiba, aufgrund des Turniers, länger geblieben waren und sich laut wunderten, warum dieser Typ hier erschienen war. „Wer auch sonst?“, meinte Kaiba knurrend und zischte, warf einen verachtenden Blick auf den Blonden, der versuchte die Sekretärin davon zu überzeugen, ihn durchzulassen. Natürlich war es Jounouchi Katsuya. Welcher Idiot hatte denn sonst noch die Nerven hierher zu kommen und einen solchen Aufruhr zu veranstalten? Und das um diese Uhrzeit! Dabei konnte sich Kaiba gut daran erinnern, ihn ermahnt zu haben und ihm gesagt zu haben, nie wieder auf das Gelände seiner Firma zu kommen! War dieser Typ wirklich so dämlich, dass er vergessen hatte, was am Vormittag vorgefallen war? Kaiba erinnerte sich noch zu gut an seinen ungebetenen Gast, immerhin sah er das Veilchen in seinem Gesicht jedes Mal wenn er einen Spiegel erblickte und das Pochen seiner Wange war zwar auszuhalten, aber dennoch schmerzhaft. Als Jounouchi den Brünetten erblickte, drängte er sich an der jungen Frau vorbei und lief direkt auf Kaiba zu. Er keuchte und gab einen unglaublich armseligen Anblick ab, sodass Kaiba höhnisch grinste, die Augen leicht zukniff und ihn nicht nur mit seinem Blick, sondern auch mit seinen folgenden Worten daran erinnerte, dass er hier nichts zu suchen hatte. „Bonkotsu“, knurrte er und ballte seine Hand zur Faust. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du nie wieder mein Grundstück betreten sollst?! Und nun bist du schon wieder hier, verletzt meine Angestellten, brichst meine Hausregeln und hast die Unverschämtheit einmal mehr Forderungen zu stellen!“, brüllte er ihm entgegen, atmete tief durch und sprach dann ruhiger, aber immer noch extrem angespannt, weiter. „Entweder hast du die Gehirnkapazität eines Goldfischs und bereits vergessen, was vorgefallen ist oder aber du hast einen verflixt guten Grund hier aufzutauchen. Ich bete für dich, dass letzteres der Fall ist.“ Mokuba drängelte sich zwischen die beiden und warf einen fragenden Blick auf den Blonden. Sowohl seine Körpersprache als auch sein Gesichtsausdruck sprachen Bände und Kaiba fragte sich, ob der Blonde überhaupt wusste, dass er zu lesen war wie ein offenes Buch. Die Beobachtung der Hände und der kleinen, wenn auch dezenten Bewegungen, verrieten weitaus mehr über eine Person, als man auf dem ersten Blick erwartete. So war es durchaus möglich, seinen Gegenspieler anhand dieser kleinen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen zu durchschauen und ihre wahre Absicht zu erkennen. Ein Firmenleiter wie Kaiba war natürlich in der Lage, auch die Finger und Handbewegungen, so unbedeutend sie auch wirken mochten, richtig zu deuten und zu seinem Gunsten auszunutzen. Eine kleine Geste konnte immerhin bei einem wichtigen Meeting über Sieg oder Niederlage entscheiden – in Kaibas Fall über eine zukünftige Zusammenarbeit mit einer anderen Firma. Auch Jounouchis Miene ließ stets erahnen, was in ihm vorging. Der Blonde plapperte weiter unverständliche Sätze, überholte sich selbst und verhaspelte sich mehr als einmal. Eigentlich wollte Kaiba ihn unterbrechen, aber irgendwie war es ein netter Anblick, den Blonden so verzweifelt zu sehen. „Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst, Kaiba – und glaube mir, das beruht auf Gegenseitigkeit – aber jetzt ist wohl kaum Zeit, unsere Differenzen auszudiskutieren“, begann er und fuchtelte aufgebracht mit seinen Händen hin und her, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu unterstreichen. Verdutzt hob Kaiba eine Augenbraue, wollte gerade argumentativ ausholen, um Jounouchi wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen, als dieser panisch weitersprach. In Jounouchis Augen spiegelte sich Angst und Sorge, sodass Kaiba ihm glauben musste. Auch seine Handbewegungen ließen Kaiba glauben, dass er vor Aufregung kaum die richtigen Worte fand und nicht hier war, um weiteren Unsinn anzustellen. „Der Kame Game Shop ist überfallen worden und Yuugi ist verschwunden!“, sagte er und als Kaiba diese Worte hörte, brach seine Welt in sich zusammen und er wusste, dass er zum ersten Mal seit Langem die Balance verlor, unfähig etwas zu sagen oder gar zu denken. In seinem Kopf herrschte Leere. Er hatte so oft versucht mit Yuugi in Kontakt zu treten, doch dieser hatte ihn ignoriert. Das hatte Kaiba glauben wollen, denn die Vorstellung, dass Yuugi etwas passiert sein könnte, war so abwegig, dass er nie in Betracht gezogen hatte, dass dieser in Gefahr sein könnte. Natürlich. Mit all diesen verdammten Raritätenjägern in der Stadt war es kein Ding der Unmöglichkeit. Die gesamt Aufmerksamkeit lag in der Innenstadt. Wer beachtete da schon die weiter außen liegenden Standorte? Und diese ganzen Neulinge und Versager, die sich zum Ziel gemacht hatten, die Spitze der Weltrangliste zu erklimmen, ohne auch nur den winzigsten Hauch von Anmut zu besitzen, die auf Krawall gebürstet durch die Straßen schlenderten und sich mit den namhaften Duellanten anlegten, waren doch Grund genug zur Sorge. Aber Kaiba hatte geglaubt, er wäre Herr der Lage. Sein Bewachungssystem und all die Sicherheitsleute, die er in der Stadt abgestellt hatte, hätten doch genug sein müssen. Er hatte sogar Angestellte aus anderen Abteilungen und seiner geheimen Einsatzkräfte in der Stadt abgestellt. Und obwohl Kaiba sich sicher war, dass er die gefährlichen Duellanten gut im Griff hatte, hatte er einen Fehler gemacht. Kaiba Seto hatte die Situation unterschätzt. Sein Plan war fehlgeschlagen. Yuugis Verschwinden wog weniger schwer als die Erkenntnis, einen Fehler gemacht zu haben. Der unfehlbare Kaiba hatte etwas übersehen. Da war eine Nische in seinem Bewachungssystem und Ratten waren hineingekommen. Sofort erhärtete sich sein Verdacht, dass sich innerhalb seiner eigenen Firma Spitzel befinden könnten. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass er Spione in seinen Reihen hatte. An den ganzen Ärger mit Pegasus, der seine eigenen Mitarbeiter in Kaibas Firma eingeschleust hatte und immer in Kaibas Nähe blieben, um Informationen an den Grauhaarigen abzugeben, erinnerte er sich noch zu gut. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte – an diese Schmach, diese Demütigung und das Gefühl der Ohnmacht – wurde er von einer Welle des Zorns erfasst. Dass Jounouchi ihn anlog, nur um ihn zu ärgern, schloss er aus. Jounouchi war ein Idiot, aber nicht lebensmüde. Grundlos würde auch jemand wie er nicht auf die Idee kommen, ein zweites Mal in der KC aufzutreten, nachdem ihm Hausverbot erteilt wurde. Immerhin war sein Vorstrafregister schon lang genug. Kaiba verlor die Fassung und ungläubig starrte er den Blonden an. Noch immer waren seine Augen vor Schreck geweitet und es fehlten ihm die Worte. Jounouchi hatte Kaiba noch nie so gesehen. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte er Kaiba gerne damit aufgezogen und sich darüber lustig gemacht, dass er seine Schwäche so offen zeigte und seinen wunden Punkt offenbarte. Doch Jounouchi brachte es nicht übers Herz, ihn jetzt auszulachen. Denn Jounouchi war ein fairer Gegenspieler. Seinen Gegner im Moment der Schwäche anzugreifen und seine Verletzlichkeit auszunutzen sprach gegen seine Vorsätze und gegen seine Vorstellung von Moral. Man schlug niemanden, der auf dem Boden lag. Als er Kaiba so sah, wurde ihm zum ersten Mal so richtig bewusst, dass dieser Mann doch so etwas wie Emotionen in sich trug und dass sein eiskaltes Lächeln nichts weiter als Fassade war, um zu verbergen, wie verletzlich er in Wirklichkeit war. Kaiba war nicht perfekt. Und das machte ihn auf eine seltsame Art und Weise irgendwie menschlich, beinahe sympathisch. Zum ersten Mal sah er eine Seite an Kaiba, die er noch nicht kannte. Liebevoll, verletzlich, aber vor allem schwach. Etwas, das Kaiba so sehr zu unterdrücken versuchte und für sich behalten wollte. Etwas, das niemand sehen durfte, von dem sich Kaiba sicher war, dass es nicht existierte. Kaiba hatte Schachpunkte. Mehr als einen. Seinen Bruder. Und seinen Rivalen. Auch wenn sie sich gegenseitig nicht ausstehen konnten, gab es etwas, das die beiden verband. Mutou Yuugi war für sie beide ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Auch wenn Kaiba dies niemals selbst zugegeben hätte, so war es in seinem Gesicht zu sehen. Die Sorge, die Angst, dass etwas passiert sein könnte – auch wenn sie es gar nicht so genau wussten – war schon schlimm genug, um die Fassung zu verlieren. Kaiba mochte Yuugi. Nicht nur als Rivalen. Seine sonst distanzierte und desinteressierte Art war nichts weiter als ein gespielter Akt, um nicht aus der Rolle zu fallen. „Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe und es tut mir aufrichtig leid, dass ich dir eine verpasst habe, aber ich weiß, dass dir tief in deinem Herzen etwas an Yuugi liegt und deshalb bitte ich dich! Nein, ich flehe dich an! Du musst mir helfen!“, sprudelte es aus Jounouchi heraus. Erwartungsvoll betrachtete er den Brünetten, dessen Blick sich nun veränderte. Sein Blick wurde wieder klarer und gefasster. Dann schnalzte er mit der Zunge und grinste. „Warum sollte ich dir helfen? Bist du nun völlig übergeschnappt? Wir wissen doch gar nicht, ob Yuugi etwas passiert ist. Du machst aus einer Mücke einen Elefanten, typisch für dich“, erklärte Kaiba und zuckte dann mit den Schultern, wandte sich zum Gehen und schien wieder so unnahbar zu sein wie zuvor. Warum nur hatte er es so eilig hier wegzukommen? Jounouchi wollte sich das nicht gefallen lassen. Auch Mokuba war sichtbar verärgert und es war seine laute, mahnende Stimme, die Kaiba daran hinderte, das Foyer zu verlassen und ihn dazu brachte, sich wieder umzudrehen und seinen ungebetenen Gast noch mehr seiner Zeit zu schenken. „Nii-sama!“, hatte er laut gerufen und in Mokubas Augen blitze Entschlossenheit auf, so stark und einnehmend, dass Kaiba es nicht wagte, ihn zu unterbrechen und ihm aufmerksam zuhörte. „Denkst du wirklich, dass Jounouchi hierher käme, wenn die Sache nicht ernst wäre?“, fragte Mokuba, doch seine Frage war nur rhetorisch und er wollte auch keine Antwort darauf haben. In ihm tobte ein Sturm. Wie konnte sein Bruder nur so teilnahmslos sein und so tun, als wäre nichts passiert? Er hatte ja schon mehrmals an der Empathie seines Bruders gezweifelt, doch, dass er sich einmal mehr von seiner schlechten Seite zeigte, verärgerte den Schwarzhaarigen dermaßen, dass er nicht anders konnte, als sich einzumischen. Mokuba wusste, dass sein Bruder Yuugi mochte und dass die beiden mehr als ihre Rivalität in Duel Monsters verband, denn er schätzte Yuugi und sprach stets in höchsten Tönen über diesen und lobte seine Begabung. Das hatte er glauben wollen. Mokuba betrachtete Yuugi als seinen Freund. Er war für ihn dagewesen und hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um die Seelen der Brüder zu retten. Und das ohne je etwas zu verlangen. Er hatte nie etwas im Gegenzug erwartet. Mokuba war der Ansicht, dass Kaiba in Yuugis Schuld stand und dass er sich nicht mehr vor der Verantwortung drücken durfte, sofern er sich selbst als ebenbürtiger Rivale des Königs bezeichnen wollte. Wenn du dich jetzt zurückziehst und wieder so tust, als ginge das alles dich nichts an, werde ich dir das niemals verzeihen... dann verliere ich das letzte bisschen Rest an Achtung vor dir, Nii-sama. Bitte enttäusche mich nicht schon wieder!!, flehte Mokuba und kam entschlossen auf seinen Bruder zu, der ihn nur perplex ansah und sich über Mokubas plötzlichen Drang sich zu behaupten und seinen Kampfgeist mehr wunderte, als über die Tatsache, dass Jounouchi hierher gekommen war. „Yuugi hat dir mehr als einmal das Leben gerettet! Wie kannst du nur so undankbar sein?! Was ist nur aus dir geworden? Wenn du ihn als deinen ebenbürtigen Rivalen ansiehst, dann musst du dich auch als seiner würdig erweisen! Doch wenn du jetzt gehst, wirst du ihn niemals besiegen, denn Yuugis Persönlichkeit und seine Güte werden dich dann für immer in seinen Schatten stellen“, meinte er und atmete tief ein. „Ich habe genug von deinem egoistischen Verhalten, Nii-sama. Yuugi und Jounouchi sind beide meine Freunde und man hilft seinen Freunden, wenn sie in Not sind. Auch wenn wir nicht wissen, ob Yuugi überhaupt in Gefahr ist, kann es nicht schaden, die Aufnahmen des Satelliten zu überprüfen, um Gewissheit zu kriegen. Selbst wenn Yuugi in Sicherheit ist... der Kame Game Shop ist überfallen worden! Der Laden bedeutet auch Yuugi viel und wenn wir die Täter ausfindig machen und stellen können, sollten wir das tun.“ „Kaiba. Auch wenn du mich nicht leiden kannst, hier geht es nicht um mich, sondern um Yuugi. Wenn du in Gefahr wärst, würde er sofort alles stehen und liegenlassen, nur um dir zu helfen“, fügte Jounouchi hinzu. Es war kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Kaiba seufzte genervt. Dass Yuugi dumm genug war, sein Leben für seine Freunde – Kaiba inbegriffen – zu riskieren, hatte dieser ja in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen. „Von mir aus. Es kann ja nicht schaden, zumindest einmal drüber zu gucken. Ich bin mir sicher, dass es ihm gutgeht und du hier unnötigerweise ein Drama machst“, erklärte Kaiba und wandte sich um. Jounouchi hauchte ein leises „Danke“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)