Life is a Gamble von Yuugii (Jounouchi/Kaiba) ================================================================================ Kapitel 26: Kapitel 26 ---------------------- Die Tore zur Kaiba Villa öffneten sich und sie fuhren auf das gigantische Grundstück. Vor dem Haus standen zwei Statuen des Weißen Drachen direkt vor dem Eingang, die mit hellen Scheinwerfern beleuchtet wurden und einen beinahe gruseligen Schatten auf diese riesigen Kreaturen aus weißem Marmor warfen. Der Wagen hielt nur wenige Meter vor dem Eingang an und Kaiba stieg aus. Als Jounouchi ihm nicht folgte, weil er wohl eingeschlafen war, überlegte er kurz, ob er ihn einfach zurücklassen und gehen sollte oder er ihn wecken sollte. Er wusste nicht, was ihn dazu verleitet hatte, doch irgendetwas zwang ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen. Vorsichtig schüttelte er Jounouchis rechte Schulter, sodass dieser erschrak und ihn verdutzt anstarrte. Es waren nur wenige Sekunden und trotzdem hatte Kaiba das Gefühl, dass er ihn viel zu lange betrachtet hatte. „Du kannst hier drin nicht schlafen. Nutze gefälligst das Gästezimmer“, knurrte er, zwang sich selbst dazu, zu seiner alten Form zu finden und möglichst fies zu klingen. Der Blonde hatte nicht direkt verstanden und warf einen prüfenden, beinahe suchenden Blick durch die Limousine, bis ihn endlich die Ereignisse einholten und er wieder wach war. Wach im Sinne von, dass er gerade aufnahmefähig genug war, um zu realisieren, dass er sich nicht zu Hause befand und auch nicht bei der Familie Mutou. Er richtete sich auf und folgte dem Brünetten, welcher wortlos in Richtung des Eingangs gerauscht war und dem es eindeutig anzusehen war, dass er keine Lust auf Smalltalk hatte. Jounouchi fühlte sich müde und erschöpft, aber er wollte nicht ruhen, ehe er sicher sein konnte, dass seine Freunde in Sicherheit waren. Es ärgerte ihn, dass sein Körper ihm einen Strich durch die Rechnung machen wollte und er trotz seiner Bemühungen wach zu bleiben, immer wieder von der Müdigkeit übermannt wurde. Als sie in die Eingangshalle der Villa traten, waren die Lichter an, doch niemand zu sehen. Es musste bereits 3:00 Uhr morgens oder sogar noch später sein, kein Wunder also, dass niemand ankam, um den Chef zu begrüßen. Doch dann hörte er Schritte. Ein älterer Mann im Frack kam die Treppe hinunter und blieb direkt vor dem Brünetten stehen. „Kaiba-sama, was ist denn nur geschehen?“, wollte er wissen und seine kleine Hornbrille glänzte im Licht. Jounouchi verkniff sich das Grinsen. Nicht nur seine Brille glänzte, sondern auch seine Glatze. Der Mann war ziemlich klein und reichte Kaiba nicht einmal bis zur Brust, sein Buckel verlieh ihm eine beinahe angsteinflößende Präsenz und für einen Moment da hatte sein Gehirn eine Assoziation zu Quasimodo aus einem bekannten Disneyfilm aufgebaut, doch diesen Gedanken schüttelte er schnell ab, wissend, dass sich ein solcher Vergleich nun wirklich nicht gehörte. „Daimon...“, murmelte Kaiba und atmete tief aus, schüttelte den Kopf. „Ich habe leider keine Zeit, Euch die genauen Umstände zu erläutern. Wie Ihr seht, habe ich einen Gast. Bringt ihn doch bitte ins Gästezimmer und kümmert Euch um seine Belange.“ „Kaiba-sama?!“, fragte Daimon perplex nach, warf einen Blick auf den Blonden. „Seid Ihr etwa mit diesem gar schäbigen Kerl befreundet?“ Sein Blick war finster und herablassend. Ein bösartiges Funkeln kam in seinen Augen auf. „Wie bitte?!“, keifte Jounouchi und wollte Daimon direkt an den Kragen, doch Kaiba hob nur seinen Arm, zeigte den beiden, dass er weder Widerworte noch sonstige Streitigkeiten duldete. „Ihr hinterfragt meine Befehle? Daimon, ich erwarte absolute Loyalität. Wenn Ihr mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden seid, verlasst meine Villa. Jounouchi und ich haben einen Waffenstillstand ausgemacht. Auch wenn Ihr Gefallen daran habt, andere zu foltern, so möchte ich nicht, dass meinem Gast auch nur ein Haar gekrümmt wird. Er gehört nicht zu dieser Sorte Gast.“ „Verstanden, Kaiba-sama. Verzeiht mein Verhalten“, sagte er monoton und verbeugte sich. „Jounouchi-san?“, fragte er dann in einer komplett anderen Stimmlage und Jounouchi lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ein täuschend echt wirkendes Lächeln auf seinen Lippen, eine komplett andere Körperhaltung und Augen, die Wärme ausstrahlten. Der Blonde schluckte hart. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er ganz schnell hier weglaufen musste. Er kannte Daimon aus der Vergangenheit. Kaibas persönlicher Butler, der sich um alle Hausangelegenheiten und Gäste kümmerte. Sowohl jene Gäste, die eingeladen wurden oder unerlaubt sich Zutritt verschafft hatten. Letztere, die unerwünschten Gäste, bekamen einen ganz besonderen Service geboten und verließen meist das Gebäude nur im Beisein von Polizisten oder Gerüchten zufolge überhaupt nicht. Jounouchi schluckte. Auf keinen Fall gehörte dieser Mann zur Sorte Mensch, der man bedingungslos vertrauen durfte und weil Jounouchis Instinkt ihm zur Vorsicht riet, konnte er nicht anders, als den Butler, der sein Wesen so schnell veränderte, misstrauisch zu beäugen. Daimon wies ihn dazu an, ihm zu folgen. Kaiba drehte sich auf dem Absatz um und lief in eine andere Richtung. Jounouchi wagte nicht, ihn zu fragen, was er vorhatte. Immerhin wusste er ganz genau, dass Kaibas Plan ihn miteinbezog und dass ihm in dieser Situation nichts anderes übrig blieb, als all seine Hoffnungen in den Mann zu setzen, von dem er sagen wollte, ihn zu hassen. Irgendwie eigenartig. Kaiba war weitaus menschlicher als er ihn in Erinnerung hatte. Nicht gerade herzlich, aber auch nicht so abgrundtief bösartig, wie er immer geglaubt hatte. Seit Jahren hatte Jounouchi Alpträume von Kaiba, der ihn selbst im Schlaf verfolgte, nur im ihn demütigen und lächerlich zu machen. Immer hatte er das Gefühl gehabt, dass es unmöglich für die beiden war, friedlich nebeneinander zu existieren oder sich gar auf einer Ebene zu begegnen. Doch heute hatte er Kaiba von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Niemals würde er behaupten, dass sie nun beste Freunde werden würden, aber er hatte ein bisschen mehr Achtung vor dem, was Kaiba tat. Kaiba war viel beschäftigt und alles, was er tat, wurde zum Erfolg. Er hatte einen wachen Verstand und auch wenn er dessen Arroganz nicht unbedingt guthieß und sich davon genervt fühlte, so musste er mehr und mehr einsehen, dass Kaibas Professionalität und sein ganzes Wesen ihn zutiefst beeindruckte. Ich wäre gern ein bisschen mehr wie er, nur weniger arrogant und eingebildet. Aber so klug zu sein, wäre echt praktisch. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, voraussichtlich zu planen, aber er...? Er kann das. Mit ihm zusammen rette ich meine Freunde, überlegte er weiter und verneigte sich leicht vor Daimon, der seine Zimmertür öffnete und ihn allein zurückließ. Es tat Jounouchi unheimlich gut, endlich allein zu sein und seine Gedanken sortieren zu können. Neugierig sah er sich im Zimmer um. Ein Blick auf die große Wanduhr verriet ihm, dass es fast vier Uhr nachts war. Duschen konnte er auch morgen noch. Müde schleifte er sich ins Badezimmer. Zu seiner Überraschung lagen Handtücher und sogar eine verpackte Zahnbürste samt Zahnpasta bereit. Erst etwas zögerlich, dann entschlossen, machte er sich fürs Bett fertig und schlief direkt ein. Die Erschöpfung forderte seinen Tribut. Leise schnarchte er vor sich hin. Er hatte nicht einmal daran gedacht, das teure Hemd, das Kaiba ihm geliehen hatte, auszuziehen. Kaiba befand sich in seinem privaten Arbeitszimmer. Keine einzige Sekunde hatte er verschwendet und sich sofort hingesetzt, sein Programm gestartet und begonnen ein Abbild seiner selbst und des Blonden zu erstellen. Da er von Natur aus ein Perfektionist war, achtete er auch auf die kleinsten Details. Sein eigenes Ebenbild hatte er schnell fertig, doch als er begann, Jounouchis Hologramm zu programmieren, hielt er mehrmals inne. Obwohl er den Blonden so oft gesehen hatte, hatte er sich nicht einmal seine Augenfarbe merken können. Mehrmals musste er im Duellanten Verzeichnis nachsehen und sich die Fotos des Blonden ansehen. Beim dritten Blick erkannte er eine kleine Narbe, die direkt unter seinem Auge entlang lief. Jounouchis Körper war übersät von Narben. Viele kleine, unscheinbare Wunden, die nur bei einem genauen Blick zu erkennen waren und große, leicht hervorstehende Verletzungen, die sicherlich Monate gebraucht hatten, um zu verheilen. Kaiba ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Jegliche seiner Aufgaben und Projekte beendete er mit Bravour. Ein Hologramm zu erstellen, dauerte in der Regel nur wenige Stunden, vor allem wenn es sich um bekannte Gegenstände handelte oder um Duel Monsters Karten, dessen einzigartigen Details er sich genau eingeprägt hatte. Auch Yuugis Gesicht, seine verschiedenen Gesichtsausdrücke, seine Augenfarbe und wie sich sein Haar bewegte, wenn er eine Karte zog oder ein Windzug aufkam, konnte er in nur wenigen Sekunden vor seinem geistigen Auge replizieren. Das Bild von Yuugi, wie er mit einem zufriedenen Lächeln eine Karte von seinem Stapel zog, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Ebenso sein liebes Lächeln und die kleinen Falten, die sich um seine Augen bildeten, wenn er herzlich lachte. All diese Kleinigkeiten hatte er in seinem Gehirn gespeichert und konnte sie, wann immer es für nötig hielt, abrufen. Kaiba war schon immer stolz auf sein gutes Gedächtnis gewesen. Er merkte sich Bilder schon beim ersten Blick und prägte sich ihre Einzelheiten ein und konnte sie ganz genau wiedergeben. Eine Fähigkeit, um die ihn seit jeher viele andere beneidet hatten. Und obwohl er Jounouchi so oft gesehen hatte und sie immer wieder aneinander gerieten, hatte er sich nicht einmal merken können, welche Augenfarbe dieser hatte. Es kränkte ihn. Einmal mehr hatte ihm die Realität bewiesen, dass sein Perfektionismus eben nicht vollkommen war. Kaiba war nicht perfekt. Und obwohl er doch so viele Fehler machte, die er mit aller Macht zu vertuschen versuchte, bezeichnete Mokuba ihn als perfekt. Ob Mokuba diese Worte mit ihm in Verbindung brachte, weil er das genaue Gegenteil meinte? War Mokuba der Ansicht, dass es diese Perfektion, die Kaiba selbst anstrebte, gar nicht gab? Kaiba wusste, dass es äußerst dumm wäre, zu behaupten, keine Fehler zu machen. Letztendlich musste er genauso wie jeder andere Mensch essen und trinken, um am Leben zu bleiben. Und obwohl Kaiba wusste, dass er ein Mensch wie jeder andere war, versuchte er all diese primitiven Eigenschaften auszumerzen und das Paradebeispiel eines grandiosen Geschäftsmannes darzustellen. Waren nicht alle Menschen so? Alles, was den Mensch einem Tier ähnlich machte – seine Instinkte, Triebe, der Geruch und die Körperbehaarung – versuchte er auszulöschen, obgleich es klar war, dass er diese biologischen Dinge nicht einfach verschwinden lassen konnte. Doch auch dieses Streben sich aus der Menge hervorzuheben, ob als Rasse oder als Einzelperson, gehörte zu dem, was einen Menschen erst „menschlich“ machte. Deshalb hatte Kaiba sein Streben nach Perfektion nie als Einschränkung angesehen, doch erst jetzt viel ihm auf, wie sehr er sich durch das, was ihn als Person auszeichnete, von jenen entfernte, die er liebte. Je mehr er sich darum bemühte, dass man ihn verehrte und ihm die Beachtung schenkte, die er verdiente, desto mehr suchte sein eigener Bruder nach authentischen und zwanglosen Vorbildern. Kaiba bemühte sich sehr um sein Ansehen und vielleicht hatte er selbst seinem Bruder gegenüber angefangen, diese distanzierte Haltung aufrechtzuerhalten. Unbemerkt. War ihm sein eiskaltes Auftreten so sehr ins Blut gegangen, dass selbst sein Bruder ihn nicht mehr verstehen konnte Ausgerechnet Jounouchi bezeichnete er seinen Freund und für Kaiba war es mehr als nur offensichtlich, dass der Schwarzhaarige diesem sogar nacheiferte. Irgendetwas musste der Blonde also haben, dass sein Bruder ihn ins Herz geschlossen hatte und seine Gesellschaft sogar bevorzugte. Er schüttelte den Kopf. Er hatte nun wirklich keine Zeit, um sich weitere Gedanken über seinen Bruder und dessen fragwürdige Wahl an Helden zu verschwenden. Sobald Mokuba wieder zuhause war, würde er sich die Zeit nehmen und mit ihm reden. Als erstes musste er seine Lieblingsfarbe wissen. Er hatte sich vorgenommen, seinem Bruder mit mehr Interesse entgegenzukommen und ihn mehr in die Entscheidungen der KC betreffend einzubinden. Mokuba sollte verstehen, dass Kaiba ihn brauchte und ihn nicht nur als Geschäftsmann, als Vizepräsident schätzte, sondern auch als seinen Bruder. Beim vierten Blick erkannte er, dass Jounouchis Augenbrauen dunkler waren als seine Kopfhaare. Jounouchi war muskulös und gut gebaut. Mehr und mehr erkannte er kleine Details, die er in seine Programmcodierung installierte und so erschuf er ein Replika des blonden Duellanten, das ihm bis aufs Haar glich. Ein Gähnen überkam den Brünetten und er rieb sich die Schläfen. Erschrocken stellte er fest, dass es bereits 11 Uhr mittags war und er sehr lange hier gesessen hatte, um einen Mann zu begutachten, von dem er sagte, ihn zu hassen. Genervt schnalzte er mit der Zunge, verschränkte die Arme und betrachtete sein fertiges Werk. Nur die Bewegungen waren noch nicht ganz so gut, wie Kaiba es gern gehabt hätte, doch ein ungenaues Hologramm sollte reichen, um ihre Gegner zu täuschen. Der Unterschied zwischen einem Menschen und seiner Solid Virtuality – sein Hologrammsystem, das so täuschend echt war, dass man es von der Realität nur schwer unterscheiden konnte – waren für ungeschulte Augen kaum zu erkennen. Ein weiteres Mal spielte er die Animation des Blonden ab. Trotz der Müdigkeit und seiner inneren Zerrissenheit hatte er es geschafft, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Noch war er nicht fertig. Kaiba überlegte fieberhaft, welche Möglichkeiten ihm offen standen und welche Szenarien denkbar waren. Würden die Raritätenjäger allein kommen? Es handelte sich um einen Austausch. Am Domino Pier. Würden sie Yuugi und Mokuba tatsächlich dorthin bringen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie die beiden nicht dabei hatten und eine direkte Befreiung nicht möglich war? Was würde in dem Fall geschehen, wenn ihre Gegner bewaffnet waren und sie damit drohten die Geiseln zu verletzen? Wohl oder übel würde er seine drei geliebten Drachen mitbringen müssen, sofern er das Vertrauen dieser Entführer erschleichen und sie auf die sichere Seite wiegen wollte. 400 Millionen Yen (3 Millionen Euro) war zwar eine große Stange Geld und sicher keine Summe, die er unbedingt verschenken wollte, aber er sollte dennoch das Geld bereit haben. Er griff nach seinem Telefon und gab Isono weitere Anweisungen. Sein jahrelanger Angestellter war überhaupt nicht davon angetan, eine solch große Menge Bargeld von der Bank holen zu müssen, tat es aber dennoch. Zudem wies Kaiba ihn dazu an, ebenfalls die Karten, die er vorsichtshalber in seinem Büro in der Schublade weggeschlossen hatte, mitzubringen. Zumindest sollte er einige Kopien erstellen. Raritätenjäger waren nicht sonderlich klug. Nur die wenigsten von ihnen waren in der Lage eine Fälschung und ein Original zu unterscheiden. Das Hologrammsystem bemerkte den Unterschied sofort, denn jedes Original trug einen kleinen Chip in sich, der elektrische Signale an das Gerät abgab und somit sicherstellte, dass nur echte Karten in Verbindung mit einem Duel Disk genutzt werden konnten. Kaiba stoppte abrupt. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass die Raritätenjäger dieses Wissen hatten? Auch das war eine Variable, die er in seinen Plan einberechnen musste. Dass diese verdammten Kerle es wagten, sich mit ihm anzulegen, würde ihnen noch leidtun. Das Klopfen an seiner Zimmertür weckte ihn langsam. Vorsichtig richtete er sich auf, ließ sich noch einmal in das große, gemütliche Gästebett fallen. Ich glaube, ich habe noch nie in so einem bequemen Bett geschlafen. Ich würde am liebsten nie wieder aufstehen, schoss es ihm durch den Kopf und er schmiegte sich noch einmal an das Kissen, versuchte noch ein bisschen weiterzuschlafen. Wieder klopfte es. Dieses Mal wurde die Tür geöffnet und eine junge Bedienstete trat in den Raum. „Jounouchi-san. Es ist bereits halb Zwölf. Möchten Sie duschen gehen, bevor Sie zu Mittag essen?“ Überrascht sah er sie an. Plötzlich stand er kerzengerade und hampelte panisch von einem Bein auf das andere. Nicht nur, dass er das Frühstück verschlafen hatte – welches in diesem Haus sicherlich besonders üppig und einem Fürsten angemessen war – warf ihn aus der Bahn, sondern auch die Tatsache, dass er hier seelenruhig schlief, während seine Freunde sich in Gefahr befanden und Kaiba die ganze Nacht durchgemacht hatte, um einen Plan auf die Beine zu stellen. Es frustrierte ihn, dass er für einen Moment so ruhig war und es sich hier bequem machte, während seine Freunde auf ihre Rettung warteten. Dann blieb er stehen und sah die junge Dame mit dem kurzen, schwarzen Haar an und nickte ihr zu. „Ich gehe eben duschen!“, rief er aus und zischte ins Bad, wo er seine Klamotten unbedacht auf den Boden warf und die Dusche hüpfte. Alles, was er brauchte, war bereits bereit gestellt worden und er schätzte diesen Komfort sehr. Gut aufgewärmt und erholt kam er aus der Dusche und verließ dann das Zimmer. Sein Magen knurrte so laut, dass er glaubte, jeden Moment vor Hunger Tod umzufallen. Die junge Dame, die ihn geweckt hatte, war einfach gegangen und nun stand er orientierungslos im Eingangsbereich. Die meisten Angestellten hetzten von einem Raum zum nächsten, wo sie vermutlich Putzarbeiten erledigten. Einige Minuten später hatte er vollends die Orientierung verloren. Aber er wollte nicht nach dem Weg fragen. Einerseits, weil die Leute hier unheimlich beschäftigt aussahen und er genau wusste, wie wichtig das Einhalten von Terminen in diesem Haus war, andererseits weil er sich ziemlich dumm vorkam, um Hilfe bitten zu müssen. Er war einfach nicht der Typ, der nach dem Weg fragte und irrte lieber selbst umher, bis er die richtige Spur gefunden hatte. Er schnupperte und nahm den Geruch von Essen wahr. Dem Duft folgend, wurde er in die Richtung der Küche gelenkt. Vorsichtig öffnete er die Tür und linste hinein. Ihm fielen die Schuppen von den Augen. Das war doch keine Küche mehr! Es sah aus, wie der Küchenbereich eines gigantischen Nobelrestaurants. Sprachlos trat er ein und bestaunte die vielen Utensilien und die vielen Öfen und Herde, die nur darauf zu warten schienen, benutzt zu werden. Unmöglich. Kaiba und Mokuba hatten keine weiteren Familienmitglieder. Wozu brauchten zwei Leute so eine gigantische Küche und so viele verschiedene Speisen? Er nahm den Duft von geräuchertem Fleisch wahr. Viele Köche waren konzentriert bei der Arbeit und keiner von ihnen hatte auch nur eine Sekunde aufgesehen, um den ungebetenen Gast wieder herauszubitten. Überall standen Küchengeräte, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Da er in einem Restaurant kellnerte, hatte er ja schon einiges an Erfahrung in der Gastronomie gesammelt. Mehr als einmal hatte er hinter dem Herd gestanden und hatte Ramen im Kochkessel zubereitet oder einfach nur Fleisch gebraten. Das Restaurant, in dem er arbeitete, war weitaus kleiner und bescheidener als der Küchenbereich hier. So etwas hatte er bisher nur im Fernsehen gesehen. Er hörte das Klappern von Töpfen, sah wie Gemüse geschält, gerieben oder einfach nur in Stücke geschnitten wurde und tapste unbeholfen durch den riesigen Arbeitsraum, wo viele Köche an verschiedenen Stellen Mahlzeiten zubereiteten, ehe er sich erschrak, weil eine gigantische Flamme ungehalten in den Raum hinein strahlte. Er machte einen großen Ausweichschritt zur Seite, schubste dabei einen anderen Koch weg, der eine köstlich nach mediterranen Kräutern duftende Suppe zubereitete, sodass dieser etwas verschüttete und sich nun umdrehte und ihn ausschimpfte. „Cosa stai facendo qui?“, rief er aus und Jounouchi starrte ihn nur mit großen, unschuldigen Augen an. „Eh...was?“, fragte er und ging vorsichtig zur Seite, versuchte den Abstand zwischen sich und dem Koch zu vergrößern. Dieser drehte sich um. Auf seiner weißen Küchenkleidung befanden sich rote Flecken. Er musste einen Teil der Suppe auf seine Kleidung verschüttet haben. Entschuldigend hob Jounouchi die Hände in die Höhe und versuchte sich zu erklären, doch der Koch ratterte nur weitere unverständliche Wörter runter. Er konnte nicht einmal sagen, was für eine Sprache er verwendete. Eines stand fest: es handelte sich weder um Japanisch, Englisch oder Deutsch. Irgendetwas Europäisches. „Esci di qui!“, brüllte er dann und packte Jounouchi am Kragen und zerrte ihn aus dem Raum, knallte die Tür schwungvoll hinter sich zu. „Ups... das lief jetzt nicht so gut. Was er wohl gesagt hat?“, fragte er sich und lief unbeholfen in die entgegensetzte Richtung. Irgendwo würde er schon noch ankommen. Oder zumindest Kaiba über dem Weg laufen. Wieder rumorte sein Magen und er hielt sich den Bauch, lehnte sich leicht nach vorne und ließ den Kopf hängen. Bestimmt hatte sein Magen nun erkannt, dass er sich auch selbst auffressen konnte. Es war lange her, dass Jounouchi so hungrig gewesen war. Warum nur musste diese Villa so riesig sein? Er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und hielt sich weiter seinen Magen, der einfach nicht zu knurren aufhören wollte. Warum nur konnte man das Gefühl von Hunger nicht einfach abstellen? Und wie der Zufall es so wollte, kam ihm ein bekanntes Gesicht entgegen. „Was machst du hier? Ich habe dich zwar eingeladen, das heißt aber nicht, dass du hier frei rumlaufen kannst, wie es dir beliebt. Jounouchi, du bist in meinem Haus, also benimm dich auch wie ein Gast“, kam es von Kaiba, der nun direkt vor ihm stehenblieb. „Du willst also, dass ich in meinem Zimmer sitze und warte, bis ich gerufen werde? Du weißt, dass ich diese Art von Geduld nicht habe“, erklärte Jounouchi und stieß sich nun von der Wand ab und versuchte Kaiba auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Sein lautes Magenknurren verriet jedoch sofort seine wahre Intention. Kaiba verstand sofort, dass Jounouchi auf der Suche nach Essbarem gewesen war und verglich ihn mit einem Neandertaler, grinste leicht amüsiert über die Vorstellung, dass der Blonde mit Keule gewappnet und ungerader Haltung durch die Wildnis lief und Steine umdrehte, nur um die darunter lebenden Kreaturen zu verspeisen. Jounouchi atmete tief ein und verfluchte seinen Körper, der sich gegen ihn gestellt hatte. Kaiba verdrehte die Augen und lief an ihm vorbei. „Es ist bereits Zeit fürs Mittagessen. Folge mir.“ Kaiba führte ihn zu einem gigantischen Saal, in dessen Mitte sich ein großer Tisch befand. Der Tisch war für zwei Leute gedeckt worden. Ein kristallener Kronleuchter hing von der Decke und an den Wänden befanden sich bunte Gemälde, die den Raum einen lebendigen Eindruck verleihen sollten. Trotzdem fühlte sich Jounouchi in diesem Raum unwohl. Es lag nicht einmal daran, dass er mit Kaiba hier saß, sondern viel mehr an dieser Einrichtung. Sie wirkte so gestellt. Unecht. Man hatte das Gefühl, das nichts hiervon echt war. Modern und farbenfroh sah anders aus. Es war nur eine Vermutung, aber die Einrichtung der Villa musste ziemlich alt sein. Hier und da hingen LED Lampen und einige Dekogegenstände verrieten, dass hier junge Leute lebten, doch der Großteil des Gebäudes wirkte kalt und leer. Für Jounouchi fühlte es sich so an, als würde die Zeit hier drin stehenbleiben. Auch die großen Plasma Fernseher, die an den Wänden angebracht waren und mit der neuesten Technik überzeugten, füllten den Raum nicht mit Wärme. In diesem Haus wurde Tradition und Moderne gekonnt gemischt und aufeinander abgestimmt – trotzdem hatte Jounouchi nicht das Gefühl, dass hier wirklich Menschen wohnten oder gar lebten. „Cattivo ragazzo!“, hörte er eine laute und ungehaltene Stimme. Jounouchi sackte in sich zusammen. Der Koch kam hinein und zeigte wütend auf den Blonden. Kaiba versuchte ihn zu beschwichtigen. Beschämt senkte Jounouchi den Blick, während Kaiba mit diesem Mann in aller Ruhe auf einer Sprache diskutierte, von der er keine Ahnung hatte, woher sie stammte. Er schämte sich fast dafür, so ungebildet zu sein und staunte über Kaibas Vermögen verschiedene Sprachen perfekt zu beherrschen. „Jounouchi“, kam es dann kühl von Kaiba. Seine Augenbraue zuckte. „Solltest du noch einmal meine Angestellten belästigen, schwöre ich, werde ich dich persönlich aus meiner Villa schmeißen und dafür sorgen, dass du nie wieder auch nur in die Nähe meiner Grundstücke kommst, das Duel Stadion mit eingeschlossen. Haben wir uns da verstanden?“ „Es tut mir leid“, murmelte Jounouchi und ließ den Kopf hängen. „Das will ich für dich hoffen. Martinelli ist einer der angesehensten Köche der Welt und es wäre eine Blamage sondergleichen, würde es öffentlich werden, dass ausgerechnet die Familie Kaiba ihn verschmäht hat. Ich dulde derart respektloses Verhalten nicht. Was immer dich dazu geritten hat, meine Köche bei ihrer Arbeit zu stören, ist mir egal, doch ich bitte dich als Geschäftsmann mit großem Einfluss darum, meinen Ruf nicht unnötig zu schädigen.“ „Martini...?“, wiederholte Jounouchi leise für sich. Kaiba wuchs eine Zornesader auf der Stirn. „Martinelli. Martini ist ein alkoholischer Cocktail. Er ist Italiener.“ „Oh, das war Italienisch?!“, kam es von Jounouchi und sah Kaiba bewundernd an. Kaiba zog nur eine Augenbraue in die Höhe. Wieso freute sich der Dorftölpel auf einmal so? Sein Auge zuckte leicht, als er das zerknitterte Seidenhemd sah, das einem schmuddeligen Lappen glich. Nicht, dass er damit gerechnet hatte, dass der Blonde auf das Hemd achten würde, aber man sagte ja schließlich, dass die Hoffnung zuletzt stürbe. Diesem Mann ein solches Hemd in die Obhut zu geben, war so, als würde man Perlen vor die Säue werfen. Trotzdem schluckte er seinen Ärger runter. Genau genommen war es nicht so, dass er das Hemd zurückhaben wollte. Immerhin hatte er noch zig andere ähnliche Hemden im Schrank gehabt. „Wie viele Sprachen kannst du eigentlich?“, wollte er dann wissen. Kaiba war es unangenehm, dass Jounouchi ihn mit einer solch fröhlichen Miene ausfragte und dabei mit großen, fast glitzernden Augen zu ihm sah. Peinlich berührt wandte er den Blick ab. „Viele“, antwortete er nur knapp. Es war ihm irgendwie unangenehm, für etwas gelobt zu werden, was er immer für selbstverständlich hielt. Als Geschäftsführer, der in verschiedene Länder expandierte, war es doch wohl selbstverständlich, dass man sich verschiedene Sprachen aneignete. Und sobald man eine Sprache verstanden hatte, war es viel einfacher eine neue zu lernen. Aber eigentlich freute er sich darüber, dass ihn jemand mit einem solch ehrlichen Interesse entgegenkam. Die meisten Menschen heuchelten Interesse. Die meisten Menschen, die Kaiba kennengelernt hatte, spielten nur eine Rolle und wenn sie danach fragten, wie es ihm ging, handelte es sich um bloße Etikette und kein echtes Interesse. Bei Jounouchi fühlte es sich jedoch echt an. Alles an ihm war unkompliziert und einfach zu durchschauen, was es besonders leicht machte, ihn einzuschätzen. „Wie viele genau? Komm schon! Du hast doch selbst gesagt, dass du keine ungenauen, halbgaren Antworten magst!“ „Ich spreche acht Sprachen fließend. Reicht dir das?“, stöhnte er dann. War er genervt oder war das doch etwas anderes? „Welche Sprachen! Das will ich wissen. Oder ist das geheim? Mach es nicht so spannend!“ „Japanisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch und Koreanisch. Reicht dir das?“ „Wow“, kam es von Jounouchi und sein Mund blieb sperrangelweit offen. „Mund zu, sonst kommen Fliegen rein. Du hast die Grazie eines Kuhbauers.“ „Aber... wow, das ist doch einfach nur großartig. Ich verstehe gerade mal ein paar Wörter Englisch. Und in einigen Videospielen kommen manchmal deutsche Begriffe vor.“ „Eine Fremdsprache zu beherrschen ist heutzutage wichtig, Jounouchi. Wir leben in Zeiten der Globalisierung. Du solltest dir zumindest ausreichende Sprachkenntnisse in Englisch aneignen. Insbesondere da du als Kellner im Dienstleistungsbereich arbeitest und dort sicher auch ausländische Kunden bedienen wirst“, meinte Kaiba nur. „Ja, schon... aber so einfach ist das nicht. Die nutzen ja ein ganz anderes Schreibsystem“, erklärte Jounouchi und kratzte sich verlegen die Wange. „Und du träumst davon Pro Duelist zu werden? Jounouchi. Wenn du wirklich Karriere als Duellant machen willst, musst du Englisch verstehen können. Wie sonst willst du bei internationalen Turnieren durchkommen? Lächerlich... mit so einer Einstellung erreichst du nie etwas!“ „Es sind nun mal nicht alle Menschen so klug wie du! Entschuldige, dass ich nicht im Luxus aufgewachsen bin und ich eher langsam lerne. Dass Menschen unterschiedlich schnell lernen, ist dir wohl noch nie in den Sinn gekommen“, kam es aufgebracht von Jounouchi. „Es geht nicht darum, wie schnell man lernt, sondern um Disziplin und Hingabe. Wenn du etwas wirklich willst, kannst du das auch schaffen, aber du musst mit Ernst bei der Sache bleiben. Du darfst nicht einfach aufgeben und musst dich wirklich hinsetzen und etwas dafür tun.“ Kaiba hielt inne. Konnte man Disziplin etwa mit dem Willen, der angeblich Berge versetzen konnte, vergleichen? Waren Jounouchis Bemühungen ein Pro Duelist zu werden eine andere, unausgereifte Form von Hingabe? Hatte er den Blonden etwa falsch eingeschätzt? Vielleicht verbarg sich unter dem dreckigen Stein ein kleiner, ungeschliffener Diamant, der nur noch nicht entdeckt wurde und nur darauf wartete, endlich in seiner wahrer Pracht zu erstrahlen? So ein Unsinn. Jounouchi ist ein Nichtsnutz. Aus dem wird allerhöchstens ein Straßenfeger... aber... was ist, wenn ich mich irre? Mit ein bisschen Unterstützung von außen, mit den richtigen Werkzeugen ist da vielleicht doch etwas zu machen, schoss es ihm durch den Kopf. Kaiba war hin und hergerissen. Einerseits wollte er den Blonden schlechtreden und er weigerte sich, sich einzugestehen, dass aus diesem Gambler jemals mehr werden würde, als ein geschminkter Clown auf einem Jahrmarkt, den man fünf Minuten bei seiner Performance zusah, nur um ihn wenige Augenblicke später zu vergessen, doch auch stellte er sich die Frage, was man aus ihm noch herausholen konnte. Auf der anderen Seite war er ein Publikumsmagnet und sorgte stets für gute Laune und brachte auch den größten Miesepeter mit seiner authentischen Tollpatschigkeit zum Lachen. Ein Mann, der immer und überall polarisierte, sorgte für Aufmerksamkeit und man sprach automatisch über so jemanden. Ein sympathischer Dorftrottel, der bei dein Massen ein Gefühl von Normalität auslöste, war auch bei der Vermarktung von Produkten ein großer Vorteil, denn so konnte man das Vertrauen bei Kunden wecken und nachhaltig die Entscheidungen dieser prägen. Es handelte sich um ein zweischneidiges Schwert. „Das ist einfacher gesagt als getan“, flüsterte Jounouchi. Jetzt war die Stimmung im Keller. „Versuch es wenigstens. Die europäischen Buchstaben sind leichter zu lernen, als du denkst. Vielleicht brauchst du einfach nur ein anderes Lernsystem. Ein praktischer Sprachkurs wäre sicher etwas für dich und soweit ich weiß, ist Yuugi ebenfalls sehr gut in Englisch und kann dir bestimmt dabei helfen. Learning by doing – Lernen durch Anwendung wird bestimmt auch einem Hohlkopf wie dir auf die Sprünge helfen“, sagte er nur und zuckte mit den Achseln. „Ich bin mir gerade nicht sicher, ob du mich schon wieder unterschwellig beleidigst oder versuchst, mir zu helfen“, erwiderte Jounouchi skeptisch und hob eine Augenbraue. „Such es dir aus. Zunächst einmal sollten wir uns darauf konzentrieren, meinen Bruder und Yuugi zu retten. Nach dem Essen werde ich Isono-san, Kuwabata-san und auch dich in meinen Plan einweihen.“ Hosted by Animexx e.V. 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