Life is a Gamble von Yuugii (Jounouchi/Kaiba) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Es wurde langsam dunkel. Der noch viel zu frische Januarwind belebte seine Sinne. Wie gewohnt lief er über die Brücke in Richtung Domino Innenstadt und warf einen Blick auf das goldene Meer, das durch die Sonnenstrahlen angenehm glitzerte und in ihm nostalgische Gefühle erweckte. Immer wenn er hier stand und auf das Meer blickte, dachte er an seine unbeschwerte Jugendzeit zurück. An die Zeit, wo er mit Yuugi, Anzu, Honda, Bakura und Otogi noch zur Schule ging. Sein blondes Haar tanzte wild im aufkommenden Wind eines vorbeirauschenden Lastwagens hin und her. Der starke Luftzug riss seine Jacke mit und versaute ihm seine perfekte Frisur. Trotzdem machte er sich nicht die Mühe seine Haare wieder zu richten. Stattdessen lehnte er sich an das Geländer der Brücke und betrachtete weiter die Sonne, die langsam hinter dem Horizont verschwand. Vielleicht wurde es Zeit für ihn, Domino zu verlassen und etwas Neues auszuprobieren. Seine Freunde gingen alle ein geregeltes Leben nach. Jeder einzelne von ihnen hatte etwas im Leben gefunden, das er unbedingt erreichen wollte. Jounouchi Katsuya jedoch nicht. Nein, er war nun mal ein Idiot. Da brauchte er sich echt nichts vormachen. Wäre er klüger gewesen, hätte er die Schulzeit genutzt, um mehr zu lernen und bessere Noten zu bekommen, die ihm im Leben weitergeholfen hätten. Er lachte. Selbstmitleid war nicht seine Art. Außerdem hatte er Spaß. Es war eine großartige Zeit gewesen. Die Straßenlichter sprangen eines nach dem anderen an. Jounouchi störte das nicht sonderlich. Er wanderte umher und trödelte herum, anstatt den direkten Weg nach Hause zu nehmen. Noch immer hatte er seinen Traum als Pro Duelist nicht erfüllen können, stattdessen hielt er sich mit zahlreichen Nebenjobs auf. Einer schlimmer als der andere. Sein Schulabschluss war mittelmäßig. Nicht schlecht. Aber auch nicht so gut, dass ihm die Welt offen stand. Aber darüber zu jammern, machte es nicht besser. Die Hände lässig in den Hosentaschen lief er über die bunt beleuchteten Straßen von Domino City. In den letzten Jahren hatte sich einiges geändert. Mittlerweile wurde fast die ganze Stadt von der Kaiba Corporation und ihrem hiesigen Network überwacht. Sämtliche Technik beruhte auf Kaibas Technologie und hier und da war auch protzig das Logo dieser Firma eingraviert. Er warf einen Blick auf eine Reklametafel mit dem Logo der KC, das die Abendnachrichten ausstrahlte. Morgen gutes Wetter. Wenigstens ein Lichtblick. Nicht so kalt wie heute. Nicht, dass er sommerliche Temperaturen im Januar erwartete. Er lief durch die Menge an Menschen, von denen kein einziger ihn wahrnahm. Es fühlte sich an, als gehörte er hier nicht hin. Als wäre er ein Außenseiter und das störte ihn. Nicht weil ihn der Gedanke, nicht dazu zu gehören, sonderlich störte, nein, viel mehr lag es an seiner Vergangenheit als Bandenmitglied, da er bereits einmal am Rande der Gesellschaft gelebt hatte und genau wusste, was es bedeutete ein Außenseiter zu sein. Dieses Leben wollte er nie wieder haben. Nie wieder daran denken. Immerhin hatte er es durch Hondas und Yuugis Hilfe geschafft, sich aus dieser endlosen Teufelsspirale aus Unglück und Einsamkeit zu befreien. Er wollte wahrgenommen werden. Gesehen werden. Akzeptiert werden. Sein Blick galt einem Plakat. Ein Turnier? Domino City Turnier. Ha, wäre doch gelacht, wenn er es nicht schaffen würde da zu gewinnen. Das ganze Leben war nun einmal ein Spiel! Und er war ein wahrer Glücksspieler. Nicht umsonst nannten die Leute ihn „Gambling Duelist“, da er sein Glück stets auf eine Karte setzte. Das war so etwas wie sein Markenzeichen. Das hob ihn von anderen Duellanten ab. Sein Deck basierte auf Glück und viele mutmaßten, dass er keine richtige Strategie verfolgte, aber sie alle hatten keine Ahnung. Hier und da hatte er auch strategische Knotenpunkte, obgleich er ehrlich zugab, dass er seine „Strategie“, wenn er denn mal eine verfolgte, stets spontan an seinen Gegner anpasste. Das war halt eben seine Art. Er war ja selbst auch impulsiv und nicht vorhersehbar. Endlich zuhause angekommen, machte er sich nicht die Mühe seinen Vater zu begrüßen. Dieser schlief vermutlich schon wieder und würde erst spät nachts wieder aufwachen. Tagsüber war er ruhig, doch abends oder besser gesagt nachts, wurde sein alter Herr wach und schaute stundenlang auf die Flimmerkiste, während er sich ein Bier nach dem anderen reinzog. Ein Blick auf seinen Wecker verriet ihm, dass es bereits sieben Uhr abends war. Genügend Zeit sein Deck aufzufrischen und seine Karten zu begutachten. Er wurde aus seiner neugewonnenen Begeisterung gerissen, als er merkte, dass sein Dueldisk nicht ansprang. Er drückte alle Knöpfe und versuchte das Gerät zu starten, ganz egal wie hartnäckig er blieb, nichts rührte sich. „Scheiße... das darf doch nicht wahr sein!“, knurrte er, während er aus seinem Zimmer stürmte und einen Werkzeugkasten holte. Vielleicht hatte er Glück und er konnte das Teil selbst reparieren. Jounouchi war handwerklich begabt und wusste sich selbst zu helfen, also dürfte das hier doch ein Klacks sein. Dachte er zumindest. Nachdem er den Dueldisk geöffnet hatte und ihm das Innenleben des Geräts entgegenblickte, zweifelte er an seinem Vorhaben. Nein, um so etwas zu reparieren und den Fehler zu erkennen, musste man sich mit Technik auskennen. Ihm widerfuhr auch nie etwas Gutes! Am nächsten Morgen fuhr er mit seinem Fahrrad in Richtung des Kame Game Shops, im Gepäckträger sein defekter Dueldisk. Yuugi wusste immer Rat. Die Öffnungszeiten waren jeden Tag dieselben, von 8:00 Uhr morgens bis 18:00 Uhr abends. Das Schild des Ladens war bereits auf „Geöffnet“ umgedreht, also war Yuugi vermutlich auch schon wach. „Ohayo!“, rief er laut aus, als er die Tür des Spielladens öffnete und ihn das Tönen des Glöckchen begrüßte. Sofort hob der junge Mann am Tresen seinen Kopf. Er schien es nicht gewohnt zu sein, um diese Uhrzeit bereits Kunden zu haben. Sein bis eben noch unmotiviertes geradezu müdes Gesicht erhellte sich sofort, als er erkannte, wer durch die Tür hineingekommen war. „Jounouchi! Wie geht es dir?“, fragte er mit freudiger Stimme. Seine Augen strahlten. „Gut, danke der Nachfrage. Und selbst?“, grinste Jounouchi und kam ihm näher. Unter seinem Arm sein Dueldisk, den er in Zeitungspapier gewickelt hatte, um sicher zu gehen, dass er nicht beschädigt wurde. Wenn es um seinen Dueldisk ging, war er immer vorsichtig. Immerhin brauchte er dieses Gerät, wenn er ein Pro Duelist werden wollte. „Sehr gut. Bist du gekommen, um auszuhelfen? Ich sagte dir doch, dass du jederzeit hier anfangen kannst.“ Yuugis Lippen formten ein Lächeln. „Eigentlich bin ich wegen meinem Dueldisk hier. Er springt einfach nicht an.“ „Ist er kaputt? Oder hast du vergessen den Akku auszutauschen?“ „Meinst du es liegt am Akku?“, fragte Jonouchi unsicher nach. „Der Dueldisk hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Er wird gar nicht mehr produziert. Kaiba-kun hat bereits mehrere neue Modelle auf den Markt gebracht. Du könntest höchstens im Kundensupport der KC anrufen und dort nach Rat fragen.“ „Was? So umständlich?!“, kam es empört vom jungen Mann. Yuugi winkte ihn näher heran und nahm ihm das Gerät aus der Hand. Vorsichtig öffnete er die Klappe und betrachtete die Hardware. Geschickt zog er den Akku aus dem Gerät und drehte das Teil mehrmals in seiner Hand. Er sagte nichts, legte es dann wortlos zur Seite. Er war zwar kein Fachmann, was den Aufbau eines Dueldisk anging, aber er konnte bereits jetzt sehen, dass es mehr als nur einen Grund gab, warum das Gerät nicht lief. Der Prozessor war beschädigt, die Grafikkarte schon lange nicht mehr auf dem neusten Stand und der Akku musste auch wieder ausgetauscht werden. Doch da der Dueldisk bereits ein älteres Modell war, wurde weder das Gerät selbst noch die Ersatzteile dazu noch gebaut. Es war fraglich, ob das Intranet der KC überhaupt noch mit dem alten Gerät lief, da die Grafikkarte vermutlich nicht mehr die passende Leistung erbrachte. Auch das Satellitensystem war angepasst worden und es hätte Yuugi wirklich nicht gewundert, wenn ältere Geräte wie dieses hier nicht mehr aufgenommen und vom System nicht erkannt wurden. In den letzten Jahren hatte sich einiges geändert. Sie hatten ihren Schulabschluss gemacht und waren ihre eigenen Wege gegangen. Auch Kaiba war nicht untätig gewesen, so gab es seit einem Jahr einen neuen Dueldisk, der, was Technik und Design anging, höchst modern war und den heutigen Anforderungen gerecht wurde. Die Zeit verging rasend und die Technik schritt unentwegt voran. Yuugi selbst verkaufte auf Nachfrage die neuesten Dueldisks. Ein Hoch auf die Kooperation mit Kaiba, der darauf bestanden hatte, dass er diese Geräte in sein Sortiment aufnahm. Da Kaiba ihm gar keine Möglichkeit gab, sein Angebot abzuschlagen, bestellte er bei der KC höchstpersönlich, wenn es sein musste. Trotzdem war ihm dabei nicht ganz wohl. „Jounouchi... ich glaube nicht, dass man das einfach reparieren kann. Mir fehlen Ersatzteile.“ „Kannst du die nicht nachbestellen?“ Jonouchi sah ihn mit großen, bettelnden Augen an. „Komm schon! Bitte!“ Er machte eine halbe Verneigung und verstellte seine Stimme, um noch jämmerlicher zu klingen. Dann klatsche er seine Hände zusammen, als würde er beten und neigte seinen Kopf leicht nach vorne. „Schon gut... Ich rufe für dich beim Kundenservice an“, seufzte Yuugi und griff zu seinem Telefon. Glücklicherweise waren diese wichtigen Daten auch auf dem Disk selbst abgedruckt, so dass er nicht lange suchen musste. Außerdem kannte er die Nummer des Supports ohnehin, da er in der Vergangenheit für andere Kunden dort angerufen hatte. Jounouchi machte vor Freude einen Luftsprung. Ein Glück, dass er Yuugi hatte. Ohne ihn wäre er echt aufgeschmissen gewesen. Mehrmals nickte Yuugi am Telefon und sprach mit unglaublicher Ruhe mit der Person am anderen Ende des Hörers. Der Blonde merkte sofort, dass diese Arbeit für seinen kleinen Freund nichts Neues war. Na ja, immerhin hatte Yuugi auch den Laden seines Großvaters übernommen und arbeitete hier nun auf Vollzeit, so dass diese Aufgaben auch zu seinem Beruf gehörten. Yuugi notierte auf einem kleinen Notizblock mehrmals etwas und bedankte sich dann bei seinem Gesprächspartner, legte dann auf. „Tut mir leid. Sie sagen, dass sie nichts machen können. Das Gerät wird nicht mehr hergestellt.“ „Nicht dein Ernst... oder?!“ Jounouchi fiel aus allen Wolken. „Das einzige, das ich tun könnte, ist Kaiba-kun persönlich um Rat zu fragen. Ich habe seine Nummer und könnte ihn im Büro anrufen.“ „Vergiss es! Den werde ich niemals um Hilfe bitten! Eher sterbe ich!“ Wütend drehte sich Jounouchi um und grummelte. Es musste noch einen anderen Weg geben. Irgendetwas! Doch was nur? Für den Blonden stand fest, dass er Kaiba, diesen reichen und eingebildeten Schnösel, mit einem Ego größer als der Berg Fuji, niemals um Hilfe bitten würde. Sie waren nicht gut aufeinander zu sprechen. Es lag vermutlich daran, dass sie einfach zu unterschiedlich waren. Jounouchi war aufbrausend, impulsiv, temperamentvoll und locker. Kaiba das exakte Gegenteil. Man wusste nie, was der Kerl dachte. Der Blonde konnte Menschen nicht ausstehen, die nichts von sich preisgaben und immer so taten, als wären sie die klügsten und besten... es gab tausende Gründe, warum er diesen Kerl nicht leiden konnte! Und wenn er daran dachte, wie herablassend Kaiba ihn ansah, kochte in ihm die Wut hoch. Dieser Kerl zeigte ihm mit jedem Schritt und Tritt, dass er sich für etwas Besseres hielt. Er sah auf Jounouchi herab. Und das war etwas, das Jounouchi nicht ausstehen konnte. Menschen, die auf ihn herabsahen. Menschen, die ihn als Mensch zweiter Klasse ansahen, nur weil er aus armen Verhältnissen stammte und zu sich selbst stand. Bereits in der Vergangenheit waren die beiden mehrfach aneinander geraten und jedes Mal hatte es den Blonden alles an Zurückhaltung gekostet, nicht auf den Firmenleiter loszugehen und ihm die Fresse einzuschlagen. Vermutlich war seine unendliche Wut auch darin begründet, dass Kaiba vor Jahren versucht hatte, Yuugi und ihn zu töten. Das kotzte Jounouchi extrem an. Natürlich würde der heutige Kaiba nicht mehr zu solchen Mitteln zurückgreifen – zumindest hoffte er das doch sehr – trotzdem hatten die Erfahrungen in Kaibas tödlichen Spielen einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Jounouchi war noch nie der Typ, der einfach vergaß und verzieh. Nein, er wollte es selbst aus Kaibas Mund hören. Eine angebrachte Entschuldigung für seine Taten. Solange dieser Kerl nicht zu seinen Fehlern stand und sich ehrlich entschuldigte, würde sich Jounouchi weiterhin in Gedanken verlieren, wie er diesem eingebildetem Dreckskerl ordentlich aufs Maul gab. Ja, er wusste es ja selbst. Gewalt war keine Lösung. Ein Konflikt konnte auf diese Art und Weise nicht gelöst werden, doch immer wenn er diesen Mann sah, mit seinem gigantischen Ego und seiner eingebildeten Sprechweise, kam ihm das pure Kotzen. „Jounouchi... ist alles in Ordnung?“, riss Yuugis sanfte und fürsorgliche Stimme ihn aus den Gedanken. „Ja, ja... alles gut. Ich frage Honda, ob er mir helfen kann. Trotzdem danke für deine Hilfe.“ „Tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte. Ich habe dich enttäuscht.“ „Nicht doch! Sei deswegen bitte nicht niedergeschlagen! Es ist ja nicht deine Schuld.“ „Ich wünschte, dass du und Kaiba-kun euch endlich vertragen könntet.“ „Das wird niemals geschehen. Das weißt du genauso gut wie ich.“ „Du könntest es versuchen...“, murmelte Yuugi und baute nebenbei den Disk wieder zusammen. Er trampelte in die Pedale seines Fahrrads und sauste durch die Straßen. Hin und wieder fuhr er beinahe Passanten um, da er es so eilig hatte, dass er nicht ausreichend auf seine Umgebung achtete. Schnell zu Honda! Der kannte sich doch mit Technik aus, war das einzige, woran er gerade dachte. Das Domino Turnier stand vor der Tür und er hatte keinen Dueldisk. Es wäre oberpeinlich, wenn er dort ankäme und als einziger keinen Dueldisk hätte. Die anderen Duellanten würden ihn auslachen. Außerdem war das seine Chance, sich als Duellant einen Namen zu machen. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Jounouchi träumte bereits jetzt davon, wie das Magazin „Duelist Today“ sein wundervolles Antlitz auf der Titelseite abdruckte und wie die Leute ihm zujubelten. Dann würden alle erkennen, wie talentiert er war und dass er mehr drauf hatte, als dumme Sprüche. Er würde sich schon noch beweisen. Jounouchi war ein Kämpfer, schon immer gewesen und er gab nie auf. Auch ein Hindernis, wie ein kaputter Dueldisk, stoppte ihn nicht auf seinem Weg zur Spitze. „HONDA! Du musst mir helfen!“, brüllte er, als er im Vorgarten stand. Es dauerte einen Augenblick, bis jemand die Tür öffnete. „Was brüllst du hier so rum?!“, keifte die gesuchte Person, sichtbar verärgert. Honda trug eine Jogginghose und ein weites Hemd, vermutlich war er heute nicht arbeiten. Oder er war gerade erst aufgestanden. War auch nicht so wichtig. Zumindest für den Blonden nicht. Immerhin hatte er mit einer richtigen Krise zu kämpfen. „Ich habe ein Problem!“, kam es knapp von Jounouchi, der immer noch nach Luft rang. Zu schnell getrampelt. Seine Beine zitterten vor Anstrengung und er keuchte laut. „Das einzige Problem, das du hast, ist deine mangelnde Intelligenz! Manche Leute wollen an ihren freien Tagen ausschlafen!“ „Jo, tut mir leid“, begann Jounouchi gewohnt locker und grinste breit, setzte dann wieder an. „Aber es ist wichtig, Honda. Lebenswichtig. Hier geht es um Leben und Tod.“ „Du übertreibst...“, murrte sein Gegenüber und wollte die Tür schließen. „Warte! Du kannst mich doch hier nicht so stehen lassen! Ich bin dein bester Freund, vergessen?!“ „Mein bester Freund hätte den Anstand mich ausschlafen zu lassen“, erwiderte Honda bissig verengte seine Augen zu Schlitzen. „Bitte... sei kein Spielverderber!“ „Komm erst mal rein. Jetzt bin ich eh wach...“ Das Brodeln der Kaffeemaschine löste in ihm ein Gefühl von Geborgenheit aus. So musste es sich wohl anfühlen, wenn man sich zuhause fühlte. Sein Vater war meistens einfach nur betrunken und bis heute mühte sich der junge Mann damit ab, die Schulden seines Vaters zu begleichen. Er hatte nie eine liebevolle Beziehung zu seinem Vater. Oder er erinnerte sich einfach nicht mehr daran. Irgendwie war es völlig normal geworden, nach Hause zu kommen, ein wenig Hausarbeit zu machen und zu gucken, ob sein alter Herr noch lebte. Wenn er wach war, vermied er es mit ihm zu reden und wenn er schlief, räumte Jounouchi die Wohnung auf. Irgendwie brachte er es nicht übers Herz, den alten Mann allein zurückzulassen, obwohl er gute Gründe hatte, endlich auszuziehen und sein eigenes Leben aufzubauen. Immerhin war er bereits 19 Jahre alt und musste sein eigenes Leben in Griff bekommen. Er sagte sich immer, dass er sich daran gewohnt hatte, aber in Wirklichkeit erwischte er sich oft dabei, wie er daran dachte, wie es wohl war, in einer ganz normalen und liebevollen Familie aufzuwachsen. Eltern, die arbeiten gingen. Eltern, die Interesse an ihren Kindern hatten. Einfach eine Familie, die ihm Rückendeckung gab, wenn er sie brauchte und einen Ort, wo er sich fallen lassen konnte. Natürlich war er nicht so kindisch zu glauben, dass er so etwas jemals haben würde, aber er war auch noch nicht erwachsen genug, um die Umstände, in die er lebte, wirklich zu akzeptieren. Jetzt, wo er hier am Tisch saß und die schöne Einrichtung begutachtete, konnte er nicht anders, als Honda zu beneiden. Frau und Herr Honda gingen beide arbeiten. Sein Vater hatte eine erfolgreiche Firma, in der auch sein bester Freund nun arbeitete. Von klein auf gab es bereits eine Zukunft für ihn. Es war nicht so, dass er sich irgendetwas erkämpfen musste. Er hatte einen Platz auf dieser Welt. Jounouchi aber nicht. Er war wie ein Gestrandeter, der verzweifelt nach Anschluss suchte. Obwohl sie seit Jahren befreundet waren, besuchte Jounouchi den Brünetten eher selten. Er wagte nicht, dem Herr des Hauses ins Gesicht zu sehen. Für jemanden wie Honda-san (Anm.: gemeint ist der Vater) war Jonouchi nur Abschaum der Gesellschaft. Phe. Würde ihn nicht wundern, wenn Honda selbst seinen Eltern gar nicht erzählt hatte, dass sie befreundet waren. Immerhin war Jounouchi ein schlechter Umgang, wie es besorgte Eltern formulieren würden. Trotzdem genoss er es sich in diesem Haus aufzuhalten. Der herbe und aromatische Duft von Kaffee stieg ihm in die Nase. Mit einem leisen „Klack“ stellte Honda ihm eine Tasse hin, während er seine eigene Tasse auf der anderen Seite des Tisches absetzte und müde gähnte. „Du stehst auch immer früh auf...“, stellte Honda fest. „Klar, ich bin es gewohnt. Als ich zur Schule ging, bin ich immer mitten in der Nacht aufgestanden, um Zeitung auszutragen.“ Er gönnte sich einen Schluck des heißen Getränks. Eine wohlige Wärme machte sich in ihm breit. „Arbeitest du immer noch so viel?“ „Momentan habe ich zwei Minijobs. Yuugi will unbedingt, dass ich im Laden anfange.“ „Das wäre das beste für dich. Du und Yuugi versteht euch doch sowieso so gut und jetzt, wo Yuugis Opa nicht mehr in der Lage ist, im Laden zu arbeiten, wärst du ihnen sicher eine große Hilfe.“ „Kann schon sein. Ich möchte aber nicht, dass sie Mitleid mit mir haben. Das brauche ich nicht.“ Sugoroku hatte Jounouchi schon lange als Teil seiner Familie akzeptiert und behandelte ihn wie seinen eigenen Sohn. Und ja, Jounouchi war dankbar dafür, trotzdem glaubte er, dass er diese Güte nicht verdient hatte, vor allem, weil er ihnen nichts im Gegenzug bieten konnte. Er genoss es sehr, mit Sugoroku und Yuugi am Tisch zu sitzen und über die neusten Duel Monsters Karten zu plaudern. Sie lachten viel und hatten Spaß. Bei der Familie Mutou fühlte er sich geborgen und daheim. Dorthin kehrte er gerne zurück, vor allem dann, wenn er eine Verschnaufpause brauchte. Wenn er niedergeschlagen war und Aufheiterung brauchte, empfingen die beiden ihn immer mit offenen Armen und mit Yuugi konnte er über fast alles reden. Über seine Vergangenheit und was er alles angestellt hatte, sprach er nicht mit Yuugi. Das alles war Vergangenheit und er wollte verdrängen, was er einst erlebt hatte. Dennoch wollte er selbstständig sein. Er wollte diese unendliche Güte nicht ausnutzen, sondern selbst etwas in seinem Leben erreichen. Jounouchi wollte stolz auf seine eigenen Leistungen sein und Erfolge erzielen, die ihm allein gehörten. „Was ist daran Mitleid? Yuugi will dir wirklich helfen und du dümpelst lieber vor dich her?!“ Jetzt war Honda wirklich wach. Er riss seine Augen weit auf. „Jemand wie du kann das nicht verstehen. Ich will nicht das Gefühl haben, dass ich etwas aus Mitleid bekommen habe oder dass ich etwas nicht aus eigener Kraft schaffe. Ich kann auf mich selbst aufpassen. So viel Stolz habe ich noch.“ „Phe, du bist genauso blöd wie Kaiba. Was bringt dir dein Stolz, wenn du damit dein Leben versaust?“ „Mein Stolz ist das einzige, was ich habe und nur mir gehört. Nenn' mich einen Idioten, aber tief im Inneren bin ich ein Samurai, der bis zu seinem bitteren Ende für seine Ehre kämpft.“ Honda schüttelte den Kopf. Dieser blonde Dummkopf war manchmal so unglaublich hartnäckig! „Schon klar, der Weg des Bushido und so'n Mist. Du bist aber nicht gekommen, um mir das zu erzählen, oder?“ „Nein, ich bin wegen etwas anderem hier.“ Jonouchi legte seinen Dueldisk, wieder sauber in Zeitungspapier eingewickelt, auf den Tisch. Sein Gegenüber betrachtete das Knäuel Papier vor sich eingehend. Als Jonouchi das Papier entfernte, starrte er das Gerät an. „Wow, du benutzt immer noch den alten Dueldisk? Ist der nicht schon längst aus der Mode?“ „Entschuldige, dass ich immer noch einen längst überholten Disk verwende, aber leider Gottes habe ich nicht genügend Geld übrig, um mir mal eben einen neuen zu kaufen. Im Gegensatz zu anderen Menschen scheiße ich kein Geld.“ „Hey, der sieht ganz schön mitgenommen aus“, bemerkte Honda und riss seinem Kumpel das Gerät einfach aus der Hand. Er wandte es mehrmals in seinen Händen, gab immer wieder Geräusche von sich, von denen Jonouchi sich nicht sicher war, ob er damit ausdrückte, dass er die Lage überblickte oder einfach nur absolut keine Ahnung hatte und öffnete dann, genauso wie Yuugi zuvor, die Klappe des Geräts, um die Hardware genauer betrachten zu können. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war es wohl wirklich hoffnungslos. „Das Teil kannst du genau so in den Sondermüll entsorgen.“ „Wie bitte? Das ist mein größter Schatz! Nichts da! Das werfe ich doch nicht weg!“, verteidigte Jounouchi sein Baby und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Hey, kein Grund so wütend zu werden“, beschwichtigte Honda ihn, sah ihn aber nicht an, da er damit beschäftigt war, die Grafikkarte herauszulösen und diese mehrmals abzustauben. Da er Jounouchi so lange kannte, machte es ihm nichts aus, wenn dieser wegen Kleinigkeiten aus der Haut fuhr. In dieser Hinsicht tickten sie ohnehin gleich. Außerdem hatte Honda ein dickes Fell. „Ich glaube nicht, dass man da groß was machen kann. Das Gerät sieht von außen schon ziemlich ramponiert aus, geschweige denn vom veralteten Innenleben und den defekten Teilen. Der Prozessor ist veraltet und bringt gar nicht die Leistung, um mit dem neuen Network der KC mithalten zu können. So oder so kannst du das Teil nicht mehr verwenden.“ „Also ist Kaiba daran Schuld, dass mein Dueldisk kaputt ist?“, fragte Jounouchi. Er wollte keine Antwort. Sein Unterbewusstsein hatte endlich jemanden gefunden, den er beschuldigen konnte. Ein Grund mehr, um Kaiba zu hassen. „Das habe ich so nicht gesagt, aber du hörst ja eh nur das, was du willst.“ Jounouchi antwortete nicht, sondern beobachtete seinen Kumpel dabei, wie dieser geschickt die einzelnen Teile ausbaute und eins nach dem anderen auf den Tisch legte. Man musste kein Technikfreak sein, um den Schaden zu erkennen. Selbst Jounouchi musste einsehen, dass sein heiß und innig geliebter Dueldisk langsam das Zeitliche segnen musste. Einzelne Teile waren sogar durchgeschmort und mehrere Drähte so arg geschmolzen, dass man sie nicht mehr verwenden konnte. Erst jetzt wurde ihm das Ausmaß des Schadens richtig bewusst. Er schluckte hart. Scheiße. Was jetzt? „Du kannst... ihn reparieren, oder?“, kam es beinahe flehend von dem Blonden. „Ich kann versuchen einige Teile auszutauschen, aber...“ „Aber?“, wiederholte Jounouchi mit zittriger Stimme. „Das Problem ist, dass das Gerät nun mal veraltet ist. Es wird vermutlich nicht mit dem neuen Network der KC mithalten können und wieder durchschmoren. Der Prozessor ist einfach nicht leistungsstark genug, um mit den heutigen Standards mitzuhalten. Er würde vermutlich beim Versuch ein Hologramm zu erzeugen, wieder heißlaufen und du würdest dich verbrennen.“ „Das war es wohl mit meiner Karriere...“ „Du willst immer noch ein Pro Duelist werden? Ich will dir deinen Traum nicht zerstören, aber du weißt selbst, wie weit hergeholt das ist, nicht wahr?“ „Schon klar, weil ich ein Versager bin, um es in Kaibas Worten auszudrücken.“ Jounouchi erhob sich mit gesenkten Haupt und machte sich daran, das Haus zu verlassen. Sofort sprang Honda auf und packte ihn am Arm, hinderte ihn daran, weiter zu gehen. „Unsinn! Du bist kein Versager! Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, sondern dass du eventuell auch nach anderen Perspektiven Ausschau halten solltest.“ „Weil ich nicht das Zeug zum Duellanten habe. Hab es ja kapiert.“ Jounouchi riss sich von der Hand los, die ihn festhielt, und zog sich seine Schuhe wieder an, während er zu seinem Fahrrad ging und dieses von dem Schloss befreite. Nicht, dass irgendjemand dieses alte Fahrrad klauen würde. Selbst sein Fahrrad machte deutlich, dass er nicht gerade zur Oberklasse der Gesellschaft gehörte. Er seufzte und radelte davon. Honda rief ihm mehrmals etwas hinterher, aber das nahm er nicht mehr wahr. Es war ihm auch egal. Ohne Dueldisk konnte er das Turnier vergessen und somit auch seinen Traum. Wohl oder übel musste er ein stinknormales Leben führen. Dazu verdonnert auf ewig in Domino City zu bleiben, niemals die Welt zu sehen oder gar die Aufregung eines spannenden Duels spüren zu können. Weltrangliste? Wohl eher Durchschnittsleben. Missmutig warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, ein billiges Teil aus einem 100Yen Shop (Anm.: 100Yen = ca. 1€), das er sich vor Jahren mal gegönnt hatte. Nicht nur sein Dueldisk, sondern auch sein Fahrrad und seine Kleidung waren abgetragen und alt. Kein Wunder, dass ihn niemand ernst nahm und dass die Leute um ihn herum auf ihn herabsahen. Ohne Geld war man eben ein Niemand. Ein Ärgernis für die funktionierende Gesellschaft. Tick. Tack. Die Zeit lief weiter. Es war gleich 10 Uhr morgens und er musste zu einem seiner Jobs. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- „Jounouchi, du bist spät dran. Zieh dich um und nimm die Bestellungen der Gäste auf.“ „Tut mir leid, Chef. Kommt nicht wieder vor“, sagte er entschuldigend und verneigte sich im leichten Winkel, eilte direkt in den Mitarbeiterraum und zu seinem Schließfach, aus dem er seine Arbeitskleidung holte. Immer noch belasteten ihn seine Gedanken und die Zweifel an seiner Zukunft. Dabei musste er sich jetzt zum Lächeln und fröhlich sein zwingen. Schnell noch die Haare nach hinten gelen und die Krawatte binden. Dann noch die Kellnerjacke und die Barschürze drüber und das Notizbuch schnappen. „Guten Tag, darf ich Ihre Bestellung aufnehmen?“, fragte er ein junges Paar, stellte aber fest, dass sie noch keine Entscheidung getroffen hatten. „Sieh mal einer an... wenn das nicht Jounouchi ist.“ Der Blonde schreckte zusammen. Oh fuck... diese Stimme erkannte er überall. Das durfte doch nicht wahr sein. Wieso hatte er so viel Pech? „Kaiba...?!“, sprudelte es aus ihm heraus und er machte einen großen Schritt, wohl eher einen Hechtsprung, zurück. „Was willst du hier?!“, wollte er wissen und zeigte beinahe mahnend mit einem Finger auf ihn. „Wie bitte? Ich bin ein Kunde wie jeder andere. Und der Kunde ist König, nicht wahr?“ „Du verdammter...!“, knurrte der Blonde, stoppte aber abrupt, als er die alles durchdringende Stimme seines Chefs hörte, die ihn aus der Küche heraus daran zu erinnern versuchte, dass er seiner Arbeit nachzugehen hatte. Jonouchi atmete tief ein und bemühte sich darum, die Fassung zurückzuerlangen. „Nii-sama, ärgere ihn nicht. Mann, immer bist du auf Streit aus!“, schimpfte Mokuba, der sich in den letzten Jahren verändert hatte und seine Haare nun viel kürzer trug. Der weiße Anzug und die dunkelblaue Krawatte ließ ihn wie ein seriöser Geschäftsmann aussehen. Auch Kaiba trug einen Anzug, ein Nadelstreifenanzug in Königsblau. Vermutlich wieder ein Versuch mit seinem Reichtum anzugeben, stellte der junge Mann mürrisch fest. Wenn er dann auf sich selbst hinabblickte, schämte er sich für sein Leben. „Ich habe nichts getan. Ich bin ein Kunde und als solcher möchte ich auch behandelt werden.“ Jounouchi biss sich auf die Unterlippe und er wünschte, er hätte die Möglichkeit gehabt, die Zeit zurückzudrehen und dieses Treffen zu verhindern. Warum nur konnte er den Zeitzauberer nicht in der Realität einsetzen? „Darf ich deine Bestellung aufnehmen?“ Der Firmenchef setzte sich wortlos an einen freien Tisch, legte ein Bein über das andere und verschränkte die Arme. Neben sich hatte er seinen silbernen Aktenkoffer abgestellt. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht zufrieden war. Und Jounouchi wusste, dass er sich auf ganz dünnem Eis befand. Jetzt das falsche Wort oder auch nur eine falsche Bewegung und er war seinen Job los. „Wie war das? Ich habe dich nicht ganz verstanden...“, säuselte der Brünette mit gehässigen Unterton. Jonouchi brodelte vor Wut. Sein Auge zuckte und er verkniff es sich, ihn zu beleidigen. „Darf ich deine Bestellung aufnehmen?!“, wiederholte er etwas lauter. Nicht viel lauter, er wollte nicht, dass dieser eingebildete Kerl ernsthaft glaubte, dass er auf seine Befehle hörte. Er war doch kein Hund! „Seit wann duzt ihr eure Kunden? Für diesen Beruf bist du echt nicht geeignet, Jounouchi.“ »Halt deine scheiß verfickte Fresse!«, hätte er ihm gerne ins Gesicht gebrüllt. Mokuba setzte sich an den Tisch und nahm die Speisekarte zur Hand. Das konnte nicht gut gehen. Und das würde es auch nicht. Sein großer Bruder Seto genoss es einfach zu sehr, den blonden Duellanten zur Weißglut zu treiben. Seto war niemand, der anderen mehr Beachtung schenkte als nötig und er vermied es mit anderen ins Gespräch zu kommen, doch wenn Jounouchi in der Nähe war, brach er aus diesen Mustern aus und ließ seine fiese Seite zum Vorschein. Mokuba seufzte. Sie waren eben wie Tag und Nacht und Gegensätze wie diese neigten dazu miteinander zu wetteifern. Obwohl der Schwarzhaarige schon zugeben musste, dass es amüsant war, den beiden beim Streiten zuzusehen. Das war besser als jede Talkshow. „Darf ich Ihre Bestellung aufnehmen?“, fragte der Blonde äußerst höflich und zwang sich zu einem Lächeln. „Was kannst du mir empfehlen?“ „Nun, wie wäre es mit Ramen? Eine absolute Spezialität des Hauses und-“, begann Jounouchi, wurde aber abrupt abgebrochen. „Viel zu lau. Was hast du sonst noch da?“, fiel der junge Firmenleiter ihm ins Wort. Jounouchi knurrte vor Wut. Mit einer Hand bildete er eine Faust und auf seiner Stirn zeichneten sich Zornesadern ab. Doch er spürte den mahnenden Blick seines Chefs. Kaiba war ein Kunde. Nur ein Kunde. NUR ein Kunde. Beinahe wären seine Emotionen mit ihm durchgegangen und er hätte seine gehobene Hand in Kaibas dämliche Visage geparkt, doch anstelle seinem Instinkt zu folgen, atmete er wieder tief durch. Wieder zur Ruhe kommen und sich nicht provozieren lassen. Diesem Kerl diese Genugtuung zu geben, ihn einmal mehr beleidigt und in aller Öffentlichkeit gedemütigt zu haben, wollte er ihm nicht gönnen. Also ratterte er sämtliche Punkte des Menüs ab, nur um jedes Mal einen provokanten Spruch als Antwort zu bekommen. Selbst Mokuba seufzte genervt und ließ den Kopf hängen. Jetzt hielt niemand mehr seinen Bruder auf. Nachdem Jounouchi fast sämtliche Gerichte vorgelesen hatte und ihre besten Eigenschaften hervorgehoben hatte, schüttelte Kaiba den Kopf. Er schien enttäuscht. „Das ist alles nicht das Wahre. Nicht, dass ich von einem kleinen Lokal mehr erwartet hätte. War das wirklich alles, was ihr habt?“ „Das heutige Tagesgericht ist Oden, außerdem kann ich dazu geschnittenen Tofu empfehlen.“ Mokuba warf Jounouchi einen total schockierten Gesichtsausdruck zu. Irgendwie wirkte der Kleine total panisch. Na ja, ganz so klein war er ja auch nicht mehr. So ganz deuten konnte er diese Reaktion jedoch nicht. Sollte ihm dieser Blick überhaupt etwas sagen? War auch nicht wichtig. Kaiba sagte nichts. Er starrte den Blonden einfach nur an. Dieser wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. Immerhin hatte er sich höflich verhalten und machte hier nur seinen Job. Trotzdem machte Kaiba den Anschein, dass ihm irgendetwas nicht zusagte. Gerade als er nachfragen wollte, winkte der großgewachsene Firmenleiter ab und nahm sich die Speisekarte selbst zur Hand. Er senkte seinen Blick und betrachtete das Menü. „Rinderfilet, Medium gegart und dazu Reis. Lass den Daikon gefälligst weg. Verstanden?“ „Ist notiert. Und du, Mokuba?“ Kaiba räusperte sich. Jounouchi verdrehte genervt die Augen. „Und Sie, mein Herr?“, korrigierte er sich und unterdrückte ein genervtes Stöhnen. »Ich schwöre, wenn ich könnte, würde ich dir ein Tablett quer über die Rübe ziehen...!«, schoss es dem Kellner durch den Kopf, ließ sich seinen Unmut nicht weiter ansehen. „Dasselbe. Gib mir ruhig Setos Daikon.“ „Gut, alles klar. Was möchten die Herren zu trinken?“ „Kaffee. Ohne Milch. Ohne Zucker.“ Jonouchi schrieb fleißig mit. „ Ach, bring mir direkt einen Espresso“, erklärte Kaiba, öffnete seinen Aktenkoffer und schenkte dem Blonden keinen weiteren Blick mehr. Jounouchi strich seine vorherige Notiz durch und schrieb ihn seiner besten Sauklaue die Schriftzeichen „Espresso“ nieder. Wenn Blicke töten könnten, wäre Kaiba vermutlich nun vom Stuhl gefallen. Dieser machte sich aber nicht die Mühe ihn überhaupt anzusehen. Stattdessen kramte er seinen Laptop heraus, legte diesen auf den Tisch und setzte sich eine Brille auf. Und schon war er abgetaucht in seiner Arbeit. Der Kellner nur noch Luft. Ein Teil der Einrichtung. Ein unwichtiger NPC. »Schon klar, du eingebildeter Schnösel! Ich bin es nicht mal wert, mich anzugucken. Gott, wie ich dich hasse!« Jounouchi biss sich auf die Unterlippe. Bloß nichts sagen. Mund halten. Er durfte seinen Job hier nicht riskieren. Verdammter Kundenservice. Wer hatte das überhaupt erfunden? Kunde war König? So ein Dreck. Kaiba war alles andere für ihn als ein König. Sein Erzfeind und selbst das wäre noch zu viel des Guten gewesen. Was für ein unglaublich beschissener Tag. Gut, dass er heute nur fünf Stunden Schicht hatte und sich den Rest des Tages von dieser Schmach erholen konnte. Aber erst mal musste er dieses Treffen hier irgendwie überstehen. Am besten ohne Schwerverletzte. Oder Tote. Obwohl es ihm unheimlich guttun würde, ihn einfach in seine hässliche Visage zu schlagen. „Hm, ich hätte gerne Grünen Tee mit Vanille.“ Schnell notierte er diese Worte und zischte in Richtung Küche ab, wo er seinem Chef, den Koch des Restaurants, den abgerissenen Zettel hin knallte. Dieser schreckte sofort auf und sah ihn verwirrt an. „Was ist los, Großer? Schlechtgelaunt? Lass das bloß nicht an den Kunden raus...“ „Dieser Kerl... ich hasse ihn! Wieso muss er ausgerechnet hierher kommen?!“, fauchte er. „Ihr vertragt euch nicht? Dann behandele ihn wie einen ganz normalen Kunden. Das wird ihn erst recht ärgern.“ Jounouchi sah seinen Chef fragend an. Er brauchte einige Sekunden, um die Worte zu verinnerlichen. Das war... eigentlich eine gar nicht mal so blöde Idee! Jounouchi mochte es ja selbst auch nicht, wenn man ihn ignorierte oder wie Abschaum behandelte, also würde jemand so Abgehobenes wie Kaiba sich bestimmt ärgern, wenn man ihn wie einen Normalo behandelte. Er grinste verwegen. Das war der perfekte Plan! Irgendwie fühlte er sich gerade ganz schön überlegen. Als er mit dem Tablett an den Tisch trat, stellte er die Getränke und das Essen einfach hin. Kaiba hob seinen Blick und schielte über seine Brille hinweg. Er schien etwas zu erwarten. Doch Jounouchi fuhr nicht aus der Haut. „Ich wünsche einen guten Appetit, meine Herren“, entgegnete er und schenkte den beiden noch ein zuckersüßes Lächeln, verabschiedete sich und wandte sich einem anderen Kunden zu. Kaiba musterte Jounouchis Rücken, als dieser, ohne irgendeine Bemerkung von sich zu geben, die beiden Brüder mit ihrer Bestellung allein ließ und wegging. Da stimmte etwas nicht. Er hatte fest damit gerechnet, dass dieser drittklassige Duellant etwas sagen würde. Das machte ihn äußerst stutzig. „Nii-sama... benimm dich“, drohte Mokuba und griff nach seinem Besteck. „Noch habe ich nichts gemacht“, erwiderte der Firmenchef. „Wehe dir...“, mahnte Mokuba mit einem vielsagenden Unterton in der Stimme. Das Rinderfilet war perfekt gegart, von außen gut gebräunt und von innen noch leicht rosa und auch wenn die Anwesenheit des Blonden Kaiba leicht reizte, so konnte er gegen das Essen nichts einwenden. Mokuba wollte unbedingt etwas essen gehen, bevor sie zur Firma gingen und dort alles weitere für das kommende große Turnier in Domino organisierten. Kaiba wollte Yuugi einladen und diesen endlich besiegen. Jedoch konnte er diesen nicht geradeheraus herausfordern, das nahm dem Ganzen die Spannung. Also plante Seto etwas Extravagantes. So etwas wie einen Fernsehspot, in dem er Yuugi zum Duell herausforderte und das Turnier ankündigte. Eben im typischen Kaiba Manier. Gigantisch, protzig und genauso groß wie sein Ego. Niemand sollte denken, dass man die KC unterschätzen konnte. Wenn er etwas machte, dann entweder ganz oder gar nicht. Da das Turnier selbst auch für andere Duellanten offen stand, rechnete er fest damit, auch alte bekannte Gesichter wiederzusehen. Unter anderem Jounouchi, der vermutlich in den ersten Runden raus flog, so dass Kaiba diesen Intelligenzallergiker nicht weiter ertragen musste. Dumme Sprüche und eine große Fresse war so ziemlich alles, was dieser Kerl zu bieten hatte. Solche Menschen, die nichts ernst nahmen, konnte Kaiba nicht ausstehen. Immerhin hatte er sein ganzes Leben hart gearbeitet und gekämpft, um dahin zu kommen, wo er heute war. Wenn er Leute wie Jounouchi sah, die sich nicht die Mühe machten, Perspektiven für ihre Zukunft zu finden, kam ihm das Kotzen. Den ganzen Tag träumen und nichts tun. Aber dann jammern, wenn man seine Ziele nicht erreichen konnte. „Nii-sama, wie wäre es, wenn du Yuugi einfach anrufst? Du hast doch seine Telefonnummer.“ „Mokuba, du verstehst das nicht. Hier geht es nicht um ein einfaches Duell, sondern um meinen guten Ruf.“ „Trotzdem werden die anderen Duellanten denken, dass du Yuugi bevorzugst.“ „Warum sollten sie das?“ Kaiba hob eine Augenbraue, während er ein Stück Fleisch in den Mund schob. „Na ja, Yuugi ist immer im Finale, ohne dass er an den Vorrunden teilnehmen muss. Doch die anderen Duellanten müssen sich ihren Platz zum Finale erst erkämpfen. Das ist ziemlich unfair, oder? Würde es dir denn gefallen, wenn man dich so runter stuft?“ „Mokuba, dieses Turnier veranstalte ich einzig und allein, um mich Yuugi entgegenzustellen. Was mit den anderen Duellanten ist, interessiert mich nicht. Niemand ist so gut wie Yuugi.“ „Warum dann das Turnier? Fordere ihn doch so heraus. Er sagt bestimmt nicht 'nein'.“ „In dem Turnier soll das neue Hologram System Beta genutzt werden und das möchte ich möglichst gut zur Schau stellen. Die Leute sollen eine spektakuläre Show geboten bekommen und nur ein Duell reicht nicht, um mit meinem neuen Network zu überzeugen.“ Jounouchi spitzte die Lauscher. »Du meinst wohl eher angeben...«, brummte er gedanklich. „Außerdem werden auch Unternehmer im Publikum sein, mit denen ich Verträge abschließen werde, sofern sie von der Qualität meiner Technik überzeugt sind. Hologramme kann man auch in vielen anderen Bereichen nutzen. Mal davon abgesehen, dass meine Erfindungen generell beste Qualität haben.“ »Das Turnier ist also nur ein Vorwand, du Arsch. Andere machen sich echt Hoffnungen, etwas zu erreichen!« So sehr Jounouchi versuchte, das Gespräch zu überhören und zu ignorieren, was Kaiba da sagte, so zwang irgendetwas in ihm dazu, ihm zuzuhören. Es ging Kaiba schon lange nicht mehr ums Duellieren, sondern darum, Yuugi zu schlagen und seine Ehre wiederherzustellen. Aber darauf konnte er lange warten. Yuugi war tausend mal, ach was, Millionen mal besser als er! Mal davon abgesehen, dass Yuugi gar keine Zeit für Duelle hatte, immerhin musste er den Laden seines Großvaters führen. Hm, vielleicht konnte er Yuugi dazu bringen, das Duell mit Kaiba nicht anzunehmen. Ein breites, verheißungsvolles Grinsen zierte sein Gesicht. Yuugi würde eher auf ihn, als auf Kaiba hören. Damit hatte er Kaiba in der Hand. Hach, wie schön dieses Gefühl der Überlegenheit! Oh ja, diesem eingebildeten Kerl würde er schon zeigen, wo der Hammer hing. „Wo bleibt denn meine Bestellung?“, rief eine Kundin und sah direkt zu ihm rüber. „Bin sofort da, meine Teuerste!“ Mit schnellen Schritten kam er der Frau näher und übergab ihre Bestellung. Mit einem viel zu offensichtlichem Grinsen verabschiedete er sich und stolzierte zum nächsten Kunden. Er konnte es kaum mehr abwarten, mit Yuugi zu reden. Das würde ein Spaß werden! Im Hintergrund war immer noch das Klackern der Tastatur zu hören und er sah aus dem Augenwinkel heraus, wie Kaibas Brille aufgrund des Laptops im Blaulicht leicht flackerte. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- „Yuugi-chan~?“, säuselte Jonouchi in der liebevollsten Stimme, die ihm möglich war. „Bist du gekommen, um mir im Laden zu helfen? Wenn nicht, dann gehe jetzt nach Hause. Spar' dir dein Süßholzgeraspel.“ Yuugi hob den Blick gar nicht erst, konzentrierte sich weiterhin auf die Unterlagen, die er vor sich ausgebreitet hatte und schien etwas zu rechnen. Neben ihm lag ein Taschenrechner und immer wieder umklammerte er den Kugelschreiber in seiner Hand, notierte etwas, durchkreuzte es wieder und löschte das Ergebnis vom Bildschirm seines elektronischen Rechners. Jonouchi beobachtete ihn eine Weile und sagte nichts. Yuugi machte keine Anstalten auf seine Avancen einzugehen, sondern blieb konzentriert bei der Arbeit. Der Laden war bereits geschlossen und es gab auch keine Kunden mehr, die er hätte bedienen können. Er blätterte die Zettel vor sich um und die Stille, die die beiden umgab, wurde von Sekunde zu Sekunde nur noch unangenehmer. „Was willst du?“, fragte Yuugi eher beiläufig, während er seine Unterlagen wieder neu sortierte und von vorne anfing zu rechnen. „Macht gar keinen Spaß, wenn du nicht drauf eingehst, Yuugi!“ „Jounouchi, ich muss arbeiten. Siehst du nicht, dass ich mit der Buchführung beschäftigt bin? Außerdem muss ich noch eine Bestellung fertig machen und habe zwei weitere Kundenreklamationen zu bearbeiten. Ich bitte dich darum, störe mich nicht, wenn es nicht wichtig ist.“ Für einen Moment spürte Jounouchi Reue. Yuugi hätte weniger zu tun, wenn er sein Angebot angenommen hätte und ihn im Laden aushelfen würde. Nicht nur das, auch sein Vorhaben erschien ihm jetzt einfach nur kindisch. Er wollte Kaiba ausstechen, indem er seine Revanche verhinderte und Yuugi dazu brachte, dem Duell nicht zuzustimmen. Keine Sekunde hatte er daran gedacht, was Yuugi dabei empfand. Dieser mochte Kaiba ja sogar ganz gern – was Jounouchi niemals nachvollziehen werden würde, da er Kaiba als seinen Todfeind anerkannt hatte – und freute sich auf ihre Duelle. Vielleicht tat er hier doch das Falsche? „Kaiba wird ein Turnier machen und will dich in der finalen Runde besiegen“, erklärte er sachlich. „Das ist schön für ihn. Dafür habe ich momentan echt keine Zeit...“, sagte Yuugi und legte dann den Kugelschreiber zur Seite. Endlich hob er den Blick und sah Jounouchi an, der sich gegenüber von ihm am Tresen abgestützt hatte. „Was hat das mit dir zu tun? Du bist nicht gekommen, um mir das zu sagen, oder?“ „Hm... nicht direkt“, log er schnell. „Du wolltest bei dem Turnier teilnehmen, aber ohne Dueldisk geht das nicht. Wolltest du dir meinen Dueldisk ausleihen?“ Jounouchi fiel aus allen Wolken. Stimmt, er hätte ja fragen können. Soweit hatte er nun auch wieder nicht gedacht. Tja, er hatte es bereits einmal erwähnt, er war eben ein Idiot. Nicht gerade das Gelbe vom Ei. Wenn andere das sagten, machte ihn das sauer, aber da er selbst von sich so sprach, fühlte er sich weniger angegriffen. „Heute habe ich Kaiba auf der Arbeit getroffen und das Turnier ist nichts weiter als ein Vorwand, um neue Vertragspartner an Land zu ziehen und dich zu schlagen. Ich will nicht, dass er dich für seine Zwecke missbraucht.“ „Das ist lieb von dir.“ Yuugi lächelte und legte eine Hand auf Jonouchis Arm, kam diesen näher und lehnte seine Stirn an die des Blonden. „Du machst dir Sorgen um mich, aber das musst du nicht. Kaiba hat immer noch nicht auf meine Anfrage reagiert und sofern er das nicht tut, braucht er sich echt nicht bei mir melden.“ Jounouchi sah ihn fragend an. Was für eine Anfrage? Irgendwie kam es ihm so vor, als hätte er etwas verpasst. Hatte Yuugi nicht mal erwähnt, dass er mit der KC zusammen arbeitete? Mist, hätte er mal besser zugehört. Auch als er in den Laden hineinkam, hing direkt auf der Eingangstür ein Schild für das kommende Turnier. Sponsored by KC oder so ähnlich. Jounouchi hatte sich den Text gar nicht richtig durchgelesen und nur beim Vorbeigehen überflogen. Irgendetwas von wegen, dass es die besten und neusten Booster nur im Kame Game Shop gab. In der Hinsicht war der Vertrag zwischen Kaiba und Yuugi wohl exklusiv. Er hatte nie darüber nachgedacht. Dabei war Yuugi ihm doch so wichtig. Er schämte sich etwas dafür, dass sie sich so nahe waren und nicht einmal so etwas wusste. „Oh... ich hab ihn heute angerufen, aber er ging nicht ran. Hab ihn dann eine E-Mail geschickt, die er bis jetzt nicht beantwortet hat. Aber ich weiß genau, dass er sie gelesen hat.“ „Ging es um die Arbeit? Er macht dir doch etwa keinen Ärger, oder?!“ Plötzlich drückte sich Jounouchi vom Tresen weg, bildete mit seinen Händen Fäuste und gestikulierte so umher, als würde er jemanden eine reinhauen wollen. Er ahmte einen Boxer nach. Niemand verletzte seine Freunde. Erst recht nicht Kaiba. Yuugi hatte mal erwähnt, dass Kaiba ihm Produkte schickte, die er im Laden verkaufen konnte, aber er wusste nichts Genaues. Und heute hatte er gesagt, dass er auch Waren bei ihm bestellen konnte. Es war nur eine Vermutung, aber vielleicht war es ja so, dass Kaiba den ganzen Gewinn wieder abnahm. Das musste es sein! Warum sonst würde sein liebster Freund hier sich mit der Buchführung so quälen? Ein Grund mehr für ihn, diesen Kerl zu hassen und ihm eine reinzuwürgen. Wenn Jounouchi einmal wütend war, war es schwierig, ihn wieder zu beruhigen. Auch jetzt. Yuugi hob beschwichtigend seine Arme und versuchte mehrmals Jounouchis Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch so ganz wollte das nicht funktionieren. „Hat dieser Kerl dich etwa übers Ohr gehauen?!“ „Nein, hat er nicht! Beruhige dich bitte!“, rief Yuugi und lief um den Tresen herum, um Jounouchi daran zu hindern, irgendwelche Dummheiten zu machen. Er griff nach seinen Armen, so dass dieser nicht mehr wild gestikulieren konnte. Sie sahen sich in die Augen und es wurde wieder still zwischen ihnen. Irgendwann wurde es Jounouchi zu blöd, da sein kleiner Freund seine Arme immer noch nicht losgelassen hatte. War ja nicht so, dass er einfach zum Firmengelände der KC laufen und den Firmeninhaber verprügeln konnte. Obwohl das schon ein netter Gedanke war. „Bin wieder ruhig. Kannst loslassen“, murrte er schließlich und schloss die Augen, vermied es dem Kleineren ins Gesicht zu sehen. Yuugi ließ ihn los und lehnte seinen Kopf gegen die harte Brust seines Freundes, seufzte leise. „Er hat mich nicht übers Ohr gehauen. Das Gegenteil ist der Fall...“ „Warte, du hast ihn über'n Tisch gezogen?“ Jounouchis Augen strahlten und er legte seine Hände auf Yuugis schmale Schultern. Er drückte ihn soweit von sich, dass er ihm direkt in die Augen sehen konnte. Verdammt, das hätte er ihm niemals zugetraut. Irgendwie war er total stolz auf den Kleinen. Und einmal mehr fühlte er sich dem Firmenchef überlegen, obgleich es sich hier nicht mal um seinen Verdienst handelte. „Nein“, eine knappe und monotone Antwort. In Yuugis Gesichtszügen war Verwunderung zu erkennen. „Er hat mir mehrmals zu viel ausgezahlt. Egal, wie oft ich meine Ein- und Ausnahmen zusammenrechne, ich komme auf ein viel zu hohes Plus. Ich denke nicht, dass ich meinen Kunden das Geld falsch rausgegeben habe, sondern dass Kaiba meine Überweisungen absichtlich nicht angenommen oder zurück gebucht hat.“ „Das ist doch... eigentlich gut, oder? Ich bin kein Mathe Genie oder so, aber mehr Geld zu haben ist doch gut. Wo ist das Problem?“ Fragend legte der Blonde seinen Kopf schief. Yuugi seufzte wieder und rieb sich angestrengt sein Nasenbein. „Ich habe das Gefühl, ich würde ihn ausnutzen. Ich habe ihn mehrmals diesbezüglich angeschrieben, aber wie gesagt, er antwortet nicht. Das macht mich rasend.“ „Freu dich doch über die Kohle. Ich würde mir sofort einen neuen Dueldisk kaufen und ein paar schicke Klamotten.“ Yuugi ging wortlos zur Tür des Ladens, stellte sicher, dass diese auch wirklich abgeschlossen und das Schild umgedreht war, bevor er an dem großgewachsenen Blonden vorbei tapste und in Richtung des Wohnbereichs verschwand. Jounouchi folgte ihm, ohne großartig zu fragen. Genau genommen wohnte er hier ja sowieso schon fast, so oft, wie er hier war. Selbst Yuugis Großvater hatte ihm angeboten, bei ihnen einzuziehen und zu gern hätte er dieses Angebot auch angenommen, aber er wollte nicht, dass Yuugi und sein Großvater dachten, dass er von ihnen abhängig war. Er wollte selbstständig sein und als Person wahrgenommen werden. Er wollte niemand sein, dem man helfend eine Hand hinhalten musste, weil er zu dumm war, etwas allein hinzukriegen. „Wie geht es Jii-chan?“, wollte er wissen, während er es sich auf der Wohnzimmercoach bequem machte. Der alte Mann war bei der Arbeit von der Leiter gestürzt. Jounouchi hatte gehört, dass Sugoroku etwas im Regal einsortieren wollte und das Gleichgewicht verloren hatte. Bei dem Sturz hatte er sich die Hüfte und ein Bein gebrochen. Für einen gesunden und jungen Körper wäre das sicher kein Problem gewesen, aber Yuugis Großvater gehörte nun mal nicht mehr zu den Jüngsten, so dass sich der Heilungsprozess verzögerte und immer wieder andere Probleme dazu kamen. Yuugi hatte nichts mehr gesagt. Aber Jounouchi hatte auch nicht gefragt. Jetzt schämte er sich einmal dafür, dass er nur mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Er hörte das Brodeln von Wasser. Yuugi hatte Wasser aufgesetzt und brachte zwei Tassen mit Teebeuteln mit sich. Schweigend setzte er sich neben seinen Freund und stütze seine Ellbogen am Tisch ab, faltete seine Hände zusammen und lehnte dort seinen Kopf an. Er sagte nichts und warf Jounouchi einen Blick zu. In seinen Augen war Sorge zu erkennen. Und dann dieses süße Lächeln, das er immer dann aufsetzte, wenn er etwas zu verbergen versuchte, weil er nicht wollte, dass man sich Sorgen um ihn machte. Yuugi wollte nicht verletzlich sein, aber genau das war er, wenn es um solche Themen ging. Jounouchi erkannte sofort, wenn sich etwas an seiner Mimik änderte. Und auch jetzt spürte er, dass Yuugis Lächeln mehr Schein als Sein war. „Nicht viel besser. Er ist jetzt bei meiner Mutter und ich kümmere mich um den Laden.“ „Scheiße... du bist also momentan ganz allein hier?“ Yuugi nickte nur und erwiderte nichts. „Ich hab den Arsch voller Probleme“, lachte er dann und versuchte die Atmosphäre zu lockern. „Ha, ich war wohl echt ein schlechter Umgang für dich. Früher hättest du so etwas nicht gesagt.“ „Hm“, kam es von Yuugi nachdenklich, er lachte nochmal leise auf. „Früher hätte ich geheult, anstatt zu handeln. Das habe ich von dir. Für dich war Aufgeben nie eine Option und zu sehen, wie sehr du kämpfst, motiviert mich auch.“ „Tut mir leid... dass ich dein Angebot abgesagt habe. Vielleicht wäre es besser, wenn ich euch doch im Laden helfe.“ „Darum geht es mir gar nicht!“, verteidigte sich Yuugi und drehte sich mit seinem Oberkörper nun zu ihm. Das Kochen des Wassers verstummte. „Du hast so viel für mich getan und jetzt bin ich hier und jaule dich noch mit meinen Problemen voll. Daher möchte ich dir etwas schenken.“ „Bloß nicht! Das könnte ich nicht annehmen!“ Yuugi stand wieder auf und holte den Wasserkocher, goss ihnen das kochende Wasser in die Tassen. Jounouchi beobachtete wie sich seine Tasse füllte. Der Dampf stieg in die Luft und er genoss den angenehmen Duft. Dann ein Magenknurren. Laut. Fordernd. „Hast du heute schon etwas gegessen? So wie ich dich kenne, warst du wieder nur unterwegs und arbeiten.“ „Urg... jetzt wo du es sagst... ich bin am Verhungern“, sagte er verlegen und lachte, um das Thema runter zuspielen. „Es ist noch genügend vom Mittagessen da. Du magst doch Curry?“ Obwohl er eine Frage stellte, verlangte er nach keiner Antwort. Er konnte sich bereits denken, was Jounouchi antworten würde. Dafür kannten sie sich einfach viel zu lang. Einmal mehr verließ Yuugi das Wohnzimmer, verschwand in der Küche und kam nach einigen Minuten mit einem großen Teller wieder, den er Jounouchi äußerst vorsichtig hinstellte. Dieser sabberte bereits beim leckeren Duft, der ihm in die Nase stieg. Und roch er da etwa Fukujinzuke? Jounouchi tränten die Augen. Yuugi hasste das Zeug und trotzdem hatte er sich die Mühe gemacht, es extra für ihn zuzubereiten. „Du hasst das Zeug doch...“, stellte er dann trocken fest. Yuugi setzte sich neben ihn und nickte. Wieder lächelte er. „Irgendwie wusste ich, dass du kommst“, antwortete er dann und griff nach seiner Teetasse, entfernte den Teebeutel und rührte den Inhalt mehrmals um. Kurz darauf tat er dasselbe bei Jounouchis Tasse. „Lass es dir schmecken, Jounouchi.“ Jounouchi umarmte Yuugi, so dass dieser erschrocken keuchte. „Danke... du bist der Beste!“ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Am Nachmittag des Folgetages fuhr Jounouchi mit seinem Fahrrad zu einem seiner Arbeitsplätze. Er half als Bauarbeiter dabei, ein Gebäude zu errichten. Er trug schwere Stahlplatten durch die Gegend, schweißte hier und da was zusammen oder spachtelte, eben Dinge, die auch ein Quereinsteiger wie er verrichten konnte. Nichts Besonderes also. Handwerklich war er geschickt, da konnte ihm wirklich niemand etwas vormachen. Da Honda immer noch auf der Arbeit war, hatte er nicht die Möglichkeit sich nach seinem Dueldisk zu informieren, was ihn zusätzlich belastete. Yuugi hatte Probleme. Und er wusste, dass er dabei helfen konnte, diese zu beseitigen und er schämte sich dafür, dass er keine eindeutige Antwort gegeben hatte. Sollte er vielleicht doch besser im Kame Game Shop anfangen zu arbeiten? Geregelte Arbeitszeiten sprachen dafür. Die Last auf Yuugi angewiesen zu sein jedoch dagegen. Es ging gegen seine Männlichkeit sich auf seinen besten Freund so zu verlassen. Es war zwiegespalten. Würde er im Spielladen helfen, würde er stets auf den neuesten Stand der Dinge sein, was Spiele und insbesondere Duel Monsters anging und auch würde er beruflich eine Perspektive haben. Er zog seine Jacke aus und warf sie über eine halbwegs errichtete Mauer. Er hatte einen großen Bauplatz erreicht, wo bereits das Grundkonstrukt für ein Haus stand. Um sie herum tosender Verkehr und das bunte Treiben der Stadt. Da sich die Baustelle inmitten der Innenstadt befand, schloss Jounouchi daraus, dass hier ein Bürokomplex entstehen würde. Machte aber auch keinen Unterschied für ihn. Er fuhr mit einer Hand durch seine blonde Mähne und seufzte. „Hey, Jounouchi! Was geht?“, hörte er die Stimme eines Arbeitskollegen, der ihn aus seinen Tagträumen zu wecken versuchte. „Alles super. Und bei dir?“, erklärte er mit einem typischen breiten Grinsen. „Meine Freundin und ich werden heiraten“, sagte sein Gegenüber und legte einen Arm um Jounouchi, zerrte diesen gegen seinen Willen in eine feste Umarmung. Er schnappte nach Luft. Lachend wirbelte der Ältere ihn in seinen Armen umher. Zum Gratulieren kam er gar nicht, aber er lachte und freute sich für den Älteren. Wurde auch langsam mal Zeit. Hashimoto war bereits seit zehn Jahren mit seiner Freundin zusammen und bereits in seinen Mitdreißigern. „Hey, und du hast nächste Woche ja auch Geburtstag. Wie alt wirst du denn?“, fragte er dann eher nebenbei und verwuschelte dem Blonden seine wilde Mähne. Dann ließ er ihn los, so dass Jounouchi perplex stehenblieb und sich einfach nur den Hinterkopf rieb. Geburtstag? Ach ja, ganz vergessen. Er war immer so mit Arbeit beschäftigt, dass er da gar nicht dran gedacht hatte. „Komm schon... sag jetzt nicht, dass du keine Party schmeißt. Du bist nur einmal jung! Du musst feiern und Spaß haben, Jungchen!“ Noch immer sah der Jüngere ihn an, als wäre er aus allen Wolken gefallen. „Ich werde schon 20...“, kam es dann als Antwort, obwohl seine Worte eher wie eine nüchterne Feststellung klangen. Kein bisschen Freude schwang in seinen Worten mit. Auch sein Kollege bemerkte das und griff nach seinem gelben Schutzhelm, den er einmal abwischte, um den darauf liegenden Staub zu entfernen. Langsamen Schrittes kam er näher und lächelte wie ein liebevoller Vater. Dann setzte er ihm den Helm auf und legte eine Hand auf die Schulter des Jungen vor ihm. „Hey, du bist noch jung. Kein Grund so deprimiert zu sein.“ „Doch, ist es. Ich bin schon fast 20, habe einen eher schlechten als rechten Schulabschluss, habe keine richtige Ausbildung gemacht, mehrere Minijobs, kann meine Träume nicht verwirklichen und trete nur auf einer Stelle, ohne berufliche Perspektiven.“ Erst jetzt wurde ihm so richtig klar, dass er langsam etwas in seinem Leben ändern musste. Es konnte und durfte so nicht weitergehen. „Das Leben ist halt kein Wunschkonzert. Wenn du etwas wirklich willst, musst du hart dafür arbeiten. Zu klagen hilft der Seele, aber es verbessert nichts an deiner Situation. Als ich jung war, wollte ich auch nicht auf dem Bau arbeiten, aber ich habe das Beste draus gemacht. Und jetzt bin ich seit Jahren hier und habe Spaß an meinem Job.“ Der Ältere sah ihn mit einem warmen und fürsorglichen Lächeln an. Jounouchi schob den Helm etwas runter, damit Hashimoto nicht sehen konnte, dass seine Wangen eine andere Farbe annahmen. Wieso musste er jetzt daran denken, dass er gerne so jemanden als Vater gehabt hätte? In ihm machte sich ein warmes Gefühl breit. So musste es wohl sein, einen liebenden Vater zu haben. Er nahm sich die Worte des Mannes zu Herzen und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Vielleicht war es ja gar nicht so schlimm. Vielleicht war ein Neuanfang gar nicht so schwer. Vielleicht musste er einfach nur anfangen nach vorne zu blicken und sich andere Ziele setzen. Sogar Honda hatte ihm das mehrmals ans Herz gelegt, doch bis heute hatte er diesen weisen Worten kein Gehör geschenkt. Er war halt stur wie ein Esel. Jounouchi wollte immer mit dem Kopf durch die Wand und wenn diese nicht nachließ, lief er solange gegen, bis er einen anderen Weg gefunden hatte. Dass das nicht immer so funktionieren wollte, wie er es gern hätte, war ja nichts Neues für ihn. Nach der Arbeit machte er sich auf den Weg zu Hondas Haus. Vor der Straße konnte er den Wagen des Hausherren sehen und er überlegte, ob er nicht besser an einem anderen Tag vorbeikommen sollte. Für so eine perfekte und ordentliche Familie wie diese, war Jounouchi doch nur ein Schandfleck. Jemand, über den man beherzt lachen konnte. Schnell drehte er sich mit dem Fahrrad um und wollte gerade los radeln, als eine laute Stimme ihn in sich zusammenschrecken ließ. Hatten die eine Überwachungskamera im Vorgarten, oder was?! „Hey, Jounouchi! Komm zurück!“ Honda fragte gar nicht erst, sondern orderte ihn herum, so dass er gar nicht mehr antworten brauchte. Etwas genervt lehnte er sein Fahrrad am großen Zaun an und stieß einen Seufzer aus. Er zwang sich zu einem Lächeln. Toll. Ausgerechnet heute waren Hondas Mutter und sein Vater da. Und natürlich sah er gerade aus, als hätte er mit seinem Körper den Boden gewischt. Eine halb zerrissene Jeans, dreckige Turnschuhe und Flecken auf seinem Hemd, die vermutlich von der Spachtelmasse kamen, als er bei der Arbeit nicht richtig aufgepasst hatte. Genau so und nicht anders sollte man ein so schönes Haus wie dieses betreten. Nicht. Verdammt, vermutlich würden die Eltern denken, dass er irgendein Penner von der Straße war. Zu seinem Glück öffnete Honda selbst die Tür. „Ich habe mir deinen Dueldisk angeschaut und ihn wieder zum Laufen gebracht.“ „Wirklich?!“, wollte Jounouchi wissen, konnte nicht glauben, dass er diese Worte tatsächlich noch zu hören bekäme. Oder hatte er sich das etwa eingebildet? Ob er zu viele chemische Dämpfe eingeatmet hatte? Mit großen Augen betrachtete er seinen Freund und schniefte letztendlich. „Du bist echt der Beste!“, lobte er ihn und boxte ihn gegen den Oberarm. Honda grinste nur breit. „Der Dueldisk läuft zwar wieder, aber ich kann dir nicht versprechen, dass die Teile, die ich eingebaut habe, lange halten. Ich habe improvisiert und hier und da etwas ausgetauscht, trotzdem solltest du es nicht übertreiben.“ „Danke, Honda. Solange er das Turnier durchhält, bin ich schon zufrieden.“ „Du nimmst also wirklich teil?“ „Natürlich! Jetzt bin ich wieder voll startklar und mache alle nieder!“ „Nimmt Yuugi auch teil?“, erkundigte sich Honda und lehnte sich gegen den Türrahmen, verschränkte die Arme. Jounouchi stockte der Atem und er öffnete mehrmals den Mund, um etwas zu sagen, aber jedes Mal, wenn er glaubte, zu wissen, was er sagen sollte, wurde er wieder unsicher. Genau genommen wusste er ja nicht, ob Yuugi teilnehmen würde. Er war sauer auf Kaiba und würde diesen sicher auf heißen Kohlen laufen lassen. Yuugi war niemand, der sich unterbuttern ließ und erst recht nicht von jemanden, mit dem er zusammen arbeitete. Sie kannten sich schon seit Jahren und wenn Jounouchi eines wusste, dann war es, dass Yuugi auch überraschend dickköpfig sein konnte. Hatte er vermutlich von Jounouchi. Schlechte Gesellschaft färbte ja bekanntlich ab. „Ich habe keinen Schimmer...“, meinte er nur knapp und zuckte mit den Schultern. „Mann, du bist fast jeden Tag bei ihm und weißt nicht mal so etwas. Pass trotzdem auf, dass du den Dueldisk nicht überlastest und lass ruhig öfter mal was von dir hören. Ich sehe dich ja kaum mehr.“ „Ja, weil du ständig arbeiten bist, wenn ich mal frei habe.“ „Im Gegensatz zu dir habe ich geregelte Arbeitszeiten“, widersprach der Größere und zog eine Augenbraue hoch. „Tja, nicht alle haben diesen Luxus.“ Jonouchi sah zur Seite. Er wollte nicht klingen wie ein beleidigtes Kind, wusste aber, dass er genau so klang. „Dann brauchst du dringend ein Handy. Was ist, wenn mal etwas passiert? Du einen Unfall hast? Oder Yuugi oder ich dich erreichen müssen? So geht es echt nicht weiter“, kam es ungewohnt ruhig von seinem Gegenüber. Es war kein Vorwurf in seiner Stimme herauszuhören, er meinte seinen Ratschlag nur gut und tief in seinem Inneren wusste Jounouchi, dass er Recht hatte und trotzdem oder gerade deshalb ärgerte es ihn umso mehr. Ein Handy zu haben oder einen heilen Dueldisk schienen Dinge zu sein, die sich wirklich jeder leisten konnte. Ganz egal, wie viel oder wie hart Jounouchi arbeitete, das Geld reichte für solche Dinge nicht. Allein die Alkoholsucht seines Vaters fraß einen Großteil seines Verdienstes weg, dann noch die regelmäßigen Zahlungen um die Spielschulden seines Vaters auszugleichen (wenigstens hatte er das Glücksspiel aufgegeben, sodass keine neuen Schulden hinzukamen), Nahrung und Miete... es blieb selten Geld übrig, das er frei für sich nutzen konnte. Sich mal eine neue Jeans gönnen, zwischendurch einen Hamburger essen oder einen Film gucken gehen. Alles Dinge, auf die er verzichten musste. Meistens war es Yuugi, der ihn zum Essen einlud. Mal gingen sie zu BurgerWorld oder Yuugi kochte selbst, so wie am Vorabend. Und auch da fühlte es sich so an, als würde er Yuugis Gutherzigkeit einfach nur ausnutzen. „Das weiß ich alles selbst...“, murrte Jounouchi dann nur frustriert und drehte sich auf dem Absatz um. Honda stieß sich vom Türrahmen ab und wollte hinterher laufen, doch als Jounouchi abrupt stehenblieb und sich umdrehte, hielt er in seiner Bewegung inne. Aus dem Augenwinkel heraus konnte Jounouchi Hondas Vater sehen, der ihn missmutig ansah. Jounouchis Blick verfinsterte sich. Er wusste es ja schon lange. Hier war er nicht willkommen. Nicht jemand wie er. In diese heile, schöne Welt gehörte er einfach nicht. Hondas Vater schenkte ihm einen Blick, als wäre er Abschaum. Ihm wurde umso mehr bewusst, dass dieser Mann ihn hier nicht haben wollte. Er war hier vollkommen unerwünscht. „Deine Eltern warten schon. Wir sehen uns demnächst mal. Danke für deine Hilfe. Bis dann!“, sagte er in einem Tonfall, von dem Honda nicht sagen konnte, ob er einfach nur verletzt oder enttäuscht war. Für Honda stand eines fest: Jounouchi brauchte ein Handy. Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Der Tag des Turniers stand schon fast vor der Tür und Jonouchi beeilte sich, um seine Anmeldung noch rechtzeitig einzureichen. Heute war bereits der 25 Januar, seine letzte Chance! Wie wahnsinnig raste er durch die Straßen von Domino und ignorierte die Müdigkeit in seinen Beinen, mit jedem Mal, als er in die Pedale trat. „JOUNOUCHI, PASS GEFÄLLIGST MEHR AUF!!“, hörte er jemanden hinter ihm her schreien, machte sich aber nicht die Mühe, sich noch einmal umzudrehen. Die Leute in Domino kannten ihn ja schon. Ihn und seine Art. Außerdem hatte er bereits in fast jeder Filiale dieser Stadt einmal ausgeholfen und als Zeitungsausträger lernte man ohnehin viele Leute kennen. Nicht einmal die Polizisten von Domino sagten noch etwas, wenn er wie ein Irrer durch die Straßen zischte. Entweder störte es sie nicht oder sie wussten, dass der Blonde mit der großen Klappe unbelehrbar war. Immerhin hatte Jounouchi in der Mittelstufe mehr als einmal mit dem Gesetz zu tun gehabt. Das lag natürlich mehr am schlechten Umgang, den er damals hatte, trotzdem hatte er ein „vorbildliches“ Vorstrafregister und es brauchte nur einen Fehler, um letztendlich doch eingebuchtet zu werden. Nicht, dass Jounouchi es darauf abzielte. Seit er mit Yuugi befreundet war, hatte er dem Straßenleben und seinem Rowdydasein den Rücken gekehrt und sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Auch der Polizist, der ihn aller Regelmäßigkeit hinter rief, machte sich nicht die Mühe, ihn aufzuhalten, denn am Ende schadete der Blonde ja niemanden und bisher war nichts passiert. Ein kurzer Blick auf seine Billiguhr – das durfte doch nicht wahr sein! Er durfte jetzt bloß nicht zu spät kommen. Um 11:00 Uhr war die Anmeldezeit vorbei und Kaiba würde für ihn keinesfalls eine Ausnahme machen. Er wusste genau, warum Kaiba das Turnier ausrichtete und er hatte es sich zum Ziel gesetzt, Kaibas Pläne zu durchkreuzen und selbst als Sieger hervorzugehen. Am Vorabend war er seine Karten noch mal durchgegangen und hatte seine Strategie umgestellt. Dachte Kaiba wirklich, dass Yuugi der einzige ernstzunehmende Duellant war? Jounouchi würde ihm schon noch das Gegenteil beweisen. Im Domino Infocenter, wo man seine Anmeldung abgeben musste, waren viele Personen unterwegs. Einige von ihnen kannte er, jedoch waren auch eine Menge neuer unbekannter Gesichter dabei. Duel Monsters gehörte mittlerweile weltweit zu den beliebtesten Spielen, was hauptsächlich an den großartigen Hologrammen lag, die Kaiba entwickelt hatte. Das gab der Blonde aber nur ungern zu. Ohne Kaiba hätte dieses Spiel nie so viel Aufmerksamkeit bekommen und auch er musste sich eingestehen, dass er eine lebhafte Partie Duel Monsters einem herkömmlichen Kartenspiel vorzog. Allein die Darstellungen der Monster ließen sein Herz schneller schlagen. Man fühlte sich wie in einem echten Fantasy RPG, wenn man sein eigenes Monster sah, wie es die gegnerische Verteidigung durchbrach. „Jounouchi... ja, ich habe Ihre Daten gefunden. Oh, Sie sind ja kein unbeschriebenes Blatt. Sie haben mehrmals in Turnieren teilgenommen und sind sogar zweimal Dritter geworden. Hier, Ihre Karte.“ „Vielen Dank“, kam es grinsend von Jounouchi. Irgendwie erfüllte es ihn mit Stolz, dass die Frau am Infoschalter ihn wiedererkannte und ihm einfach seine Karte überreichte, die ihn als Teilnehmer identifizierte. Er brauchte das lästige Anmeldeformular nicht ausfüllen, sondern bekam seine Karte einfach in die Hand gedrückt, als wäre er irgendein VIP. Ein breites und zufriedenes Grinsen zierte sein Gesicht. Schon morgen würde es losgehen und er konnte es kaum mehr erwarten, allen anderen zu zeigen, wer hier der Boss war. Ja, Jounouchi Katsuya würde schon beweisen, dass er zu den Besten gehörte und dass er sich nicht an Yuugis und Kaibas Namen hochgezogen hatte. Er hatte einiges auf den Kasten und es war ihm egal, was alle anderen von ihm dachten. Standard Strategien und Monster waren eben nicht seine Art und er liebte es, wenn er ein Ereignis nicht voraussehen konnte und sich selbst, so wie seinen Gegner und alle Zuschauer überraschen konnte. Ein bisschen wie ein Entertainer. „Du da!“ Jounouchi blieb stehen. „Du bist doch dieser mega peinliche Jounouchi, oder? Ist das dein Ernst? Aus welchem Jahrtausend hast du denn den Dueldisk?“ Ein paar Jungs fingen an lauthals zu lachen. Jounouchis rechtes Auge zuckte gefährlich. Gewalt war keine Lösung. Das hatte Yuugi ihm zahlreiche Male gesagt und immer, wenn er das Bedürfnis hatte, irgendjemanden eine aufs Maul zu hauen, musste er sich an diese Worte erinnern. Seine Vergangenheit als Schläger war endgültig vorbei und er wollte auch keinen Stress. Und überhaupt! Was hatte ein Dueldisk mit dem Können eines Duellanten zu tun? Trotzdem konnte er diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Langsam drehte er sich um, das Zucken in seinem Augen ignorierend, mit einem erzwungenen Lächeln, das mehr an einen bissigen Hund erinnerte, der die Zähne fletschte, als nach einer freundlichen Geste aussah. „Yeah, der bin ich. Findet ihr es nicht viel peinlicher eure Kontrahenten anhand ihrer Dueldisk zu beurteilen?“ „Das kann auch nur ein Loser sagen, was?“ Sie kicherten wieder. Jounouchi schätzte die drei Jungs auf ungefähr 13-14 Jahre. Scheiß Blagen. Was bildeten die sich eigentlich ein?! „Pass mal auf, dieser Loser hier wird dich in einem Duell besiegen und dann werden wir ja sehen, wer der Bessere ist.“ „Ist das eine Herausforderung?“, fragte der Größte von den dreien, der offenbar der Boss dieser Kindergang war. „Was sonst?“, fragte Jounouchi eher ruhig und versuchte so cool wie möglich dabei auszusehen. „Gut, dann lass uns gleich anfangen. Oder hast du, so verplant wie du aussiehst, dein Deck vergessen?“ „Ha, kannst du noch was anderes als dumme Sprüche zu klopfen?“ Sie verließen das Gebäude und suchten sich einen Platz, wo sie sich in Ruhe duellieren konnten. Sie entschieden sich für den Uhrenturmplatz am Domino Plaza. Einige Interessierte waren ihnen gefolgt und so langsam bildete sich eine Menge um sie herum. Einige von ihnen waren verwundert, unwissend, was hier gerade geschah, andere jubelten voller Vorfreude auf das Duell. Genau so mochte Jounouchi seine Duelle. Je mehr Leute ihn beobachteten, desto motivierter wurde er. Er legte seinen Dueldisk an und drückte den Knopf, um diesen zu starten. Zunächst passierte nichts. Ganz langsam fuhr das Gerät an seinem Arm hoch und gab ein leises Geräusch von sich, das ihm signalisierte, dass es für die Inbetriebnahme nun bereit war. Honda war echt ein Lebensretter. Vielleicht sollte er sich bei ihm entschuldigen und sich nicht immer wie ein Arsch verhalten, dachte er und zog seine ersten fünf Karten. „Loser dürfen anfangen“, erklärte der Jugendliche im herablassenden Ton. „Na, dann, ich warte. Mach hin, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit“, entgegnete Jounouchi trocken und wartete darauf, dass sein Gegner seinen Zug begann. Vereinzelt war Gekicher aus der Menschenmenge zu hören. Der Junge wurde knallrot im Gesicht und zog rasch seine Karte, begann seinen Zug. Er legte zwei Karten verdeckt ab und ein Monster mit nur 1300 ATK. Nichts, das Jounouchi ernsthaft in Bedrängnis brachte. Einige Züge vergingen und für Jounouchi sah das Duell ziemlich gut aus. Sein Gegenüber hatte eine große Klappe, aber seine Karten waren durchschnittlich, so auch dessen Strategie. Jounouchi hatte, als er mit Duel Monsters angefangen hatte, auch einfach nur Karten zusammengeschmissen, von denen er glaubte, dass sie stark waren und cool aussahen. Ein typischer Anfängerfehler. Er hatte es geschafft Gerfried Eisenritter (1800ATK/1600DEF/4☆) zu legen, außerdem hatte er Alligatorschwert (1500ATK/1200DEF/4☆) und Babydrache (1200ATK/700DEF/3☆) auf seiner Seite und war wieder am Zug. Hastig zog er eine Karte vom Stapel. Er brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass er so eben seine Trumpfkarte gezogen hatte. Ein breites, triumphales Grinsen zierte sein Gesicht. Rotäugiger Schwarzer Drache würde einmal mehr seinen Tag retten. Der Junge hatte nur ein Monster im Verteidigungsmodus auf seiner Seite. Keine Zauber- oder Fallenkarten und Jonouchi hatte eindeutig einen Glückstag. Seine Lebenspunkte waren bereits auf 200 Punkte gefallen und die Differenz des nächsten Angriffs würde den Kampf entscheiden. Nur ein Angriff trennte ihn vom Sieg. „Ich opfere Babydrache und Alligatorschwert, um Rotäugiger Schwarzer Drache zu beschwören!“ Jounouchi nahm die beiden genannten Karten vom Spielfeld und legte sie auf den Friedhof ab, legte dann seinen Drachen und wartete darauf, dass das furchteinflößende Bild des Drachen erschien. Nichts geschah. Fragend warf er einen Blick auf seinen Dueldisk. Der Strom war an, die Lichter blinkten und es schien nicht so, dass das Teil bereits den Geist aufgegeben hatte. „Dein Disk hat wohl die Leistung verfehlt!“, lachte der Junge auf der anderen Seite und hielt sich den Bauch. Er zeigte mit einem Finger auf seinen Kontrahenten, stellte den Blonden vor der Menge bloß, so dass im Publikum vermehrt Gelächter laut wurde. Jounouchi wurde leicht nervös. Panik machte sich in ihm breit. »Komm schon, lass mich jetzt nicht im Stich!«, flehte er seinen Dueldisk an. Keine Reaktion. Gerade als er etwas sagen wollte, schaltete sich sein sein Dueldisk aus und die Hologramme auf seiner Seite verschwanden. „So'n Schrottteil!“, kam es von der anderen Seite des Spielfeldes. „Und wenn schon! Ich habe trotzdem gewonnen!“ „Wen interessiert's? Ohne Dueldisk will dich doch eh niemand sehen!“ Die Menge an Leuten verflüchtigte sich langsam und keiner schenkte ihrem Duell noch Beachtung. Da die Hologramme verschwunden waren, war das Duell offiziell vorbei und keiner interessierte sich dafür, was geschehen war. Jounouchi versuchte das Publikum davon zu überzeugen, dass es noch nicht vorbei war, aber nicht mal mehr sein Gegner würdigte ihn eines Blickes. Kurz darauf stand er allein am Plaza. Die Menschen gingen ihrem vorherigen Treiben wieder nach und das Duell, das sich noch vor wenigen Sekunden hier abspielte, war vollkommen vergessen. Aus ihrer Erinnerung gelöscht. Jounouchis Kopf war total leer. Er wäre der Sieger gewesen! Er hatte gewonnen! Sein Gegner hätte seinen Angriff nicht kontern können und er wäre als Sieger hervorgegangen. Die Menge hätte ihm zugejubelt und er hätte sein Können unter Beweis gestellt. Hätte. Könnte. Sollte. Scheiße, nichts lief, wie es sollte. Frustriert ließ sich der Blonde auf die Knie fallen und starrte regungslos vor sich hin. Seine Karten, die er bis eben in seiner Hand gehalten hatte, ließ er los und biss sich auf die Unterlippe. Grandios gescheitert. Er war echt ein Loser. Wozu sich jetzt noch mal bemühen? Wozu aufstehen und weitergehen? Jetzt war es doch endgültig vorbei. Es gab nichts mehr, das er noch hätte tun können. Honda hatte ihn gewarnt, ihm extra noch gesagt, dass so etwas passieren konnte, aber er, dumm wie er war, hatte seinen Warnungen keine Aufmerksamkeit geschenkt und einmal mehr seinen Kopf gegen die Wand gerammt. Wie ein sturer Esel. Das hatte er jetzt davon. Wer würde ihn jetzt noch ernst nehmen? Jounouchi Katsuya, der armselige Duellant, der mit einem Dueldisk aus der Steinzeit bei einem hochmodernen Turnier antrat. »Tolles Geburtstagsgeschenk...«, stellte er gedanklich fest und ließ den Kopf hängen. Am liebsten hätte er jetzt einfach drauf losgeheult und geschrien, wild um sich geschlagen und geschimpft. Er brauchte irgendetwas, das ihn von diesem Erlebnis ablenkte. Aber was? Minuten vergingen und langsam erhob er sich wieder, sammelte seine zu Boden gefallenen Karten wieder auf. Er betrachtete seinen heißgeliebten Drachen. Das glitzernde Bild schimmerte im Licht, als wollte der Drache selbst ihn wieder aufheitern. Ein müdes Lächeln war alles, was er zustande brachte. Ohne Dueldisk brauchte er morgen gar nicht erst beim Turnier antanzen. Dann würden die anderen Teilnehmer ihn nur wieder auslachen. Noch immer hallte das Gelächter der Menge in seinen Ohren wider. Er schämte und hasste sich, doch am schlimmsten war, dass er bereits jetzt wusste, dass er die Schmach des heutigen Tages nicht so einfach vergessen konnte. Vorsichtig verstaute er sein geliebtes Deck in seiner Jackentasche und zog den Reißverschluss zu, um sicher zu gehen, dass er unterwegs nichts verlieren würde. Jede Karte in seinem Deck war ein Teil von ihm. Auch nur eine zu verlieren, wäre als würde er sich selbst verlieren. Mit einem tiefen Seufzer entfernte er sich vom Plaza und lief instinktiv zur Richtung des Kame Game Shops. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Kaiba saß in seinem Büro, im Hintergrund nur das Surren des Computers zu vernehmen und der kalte Januarwind, der unentwegt gegen die Scheiben peitschte. Einmal mehr studierte Kaiba seine Karten und ließ die Arbeit einfach mal Arbeit sein. Solange er sein Duell gegen Yuugi nicht bekam, ließ ihn das Ganze ohnehin keine Ruhe. Wieder und wieder betrachtete er seine Karten, legte sie auf dem Tisch aus, schob sie hin und her und überlegte sich alle Kontermöglichkeiten, die ihm zur Verfügung standen. Sein Deck war unschlagbar. Phe. Bisher hatte er das jedes Mal von seinen Karten gesagt und trotzdem hatte Mutou Yuugi es geschafft, eine winzige Nische in seiner Strategie zu finden und ihn zu schlagen. Er freute sich schon auf Yuugis Gesichtsausdruck, wenn er ihn in die Enge trieb und das Duell zu seinem eigenen Gunsten wenden konnte. Darauf wartete er schon viel zu lang! Ein verträumtes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Mit seinen schlanken Fingern berührte er den Weißen Drachen. Ein Monster, das ihm unheimlich wichtig war und pure Stärke darstellte. Ein Monster, das nun zum Wahrzeichen der Kaiba Corporation geworden war und stellvertretend für den Namen Kaiba stand. Der Monitor seines Computers sprang plötzlich an und er wurde dazu aufgefordert, eine Bildübertragung anzunehmen. Es war Mokuba. Vermutlich eine Frage zum organisatorischen Ablauf des Turniers. Zwei Tage würde der Spaß dauern und am 28 Januar war es Zeit für die finalen Duelle. Kaiba brannte förmlich darauf. Es kam selten vor, dass er sich auf etwas so sehr freute. Selbstverständlich würde er ins Finale einziehen und sich gegen Yuugi duellieren. Niemand anderes hatte auch nur ansatzweise das Können oder das Talent mit Yuugi mitzuhalten, umso wichtiger war es für Kaiba diesen endlich zu schlagen. Und natürlich sollte die ganze Welt seinen Sieg mitbekommen. „Nii-sama... das System hat einen Fehler gemeldet“, erklärte Mokuba sachlich und wandte den Blick nicht vom Monitor ab, wartete darauf, dass sein Bruder den Blickkontakt endlich erwidern würde. „Unsinn, du hast dich sicher nur verguckt. Es kann nicht sein, dass es Fehler bei der Hologrammübertragung gibt“, antwortete Seto knapp und machte sich nicht weiter die Mühe, weiter auf Mokubas Einwurf einzugehen oder ihn gar anzusehen. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein seinen Karten. Sein System und fehlerbehaftet? Niemals. Er hatte jede auch nur scheinbar unbedeutendste Kleinigkeit auf Herz und Nieren geprüft. Es war schlichtweg unmöglich, dass das System versagte. Seine neuen Dueldisks waren auf dem höchsten Stand der Technik und es war kaum vorstellbar, dass auch nur irgendeiner von den zahlreichen Dueldisks, die in letzter Zeit über die Ladentheken gingen, auch nur eine Fehlfunktion hatte. Er hatte das beste Entwicklerteam der Welt beauftragt und er war sich mehr als nur sicher, dass Mokuba etwas falsch verstanden haben musste. „Nein, ich habe mich nicht verguckt. Hier.“ Mokuba übertrug das Bild von seinem Laptop auf den großen Wandmonitor in Kaibas Büro. Dieser stöhnte genervt. Sah Mokuba nicht, dass er gerade beschäftigt war? Eine Aufnahme eines Duells. Zwei männliche Personen, die gegeneinander antraten. Wow. Echt ungewöhnlich. Seto wollte gerade Mokuba dazu auffordern, die Übertragung zu stoppen, als er erkannte, um wen es sich bei diesem Duell handelte. War das nicht Jounouchi? Und was zum Teufel hatte er da am Arm? Kaiba wurde leicht sauer. War dieser Kerl ernsthaft so blöd, noch mit dem alten Dueldisk sich duellieren zu wollen? Seit Monaten ließ die KC verlauten, dass die alten Dueldisks nicht mit dem neuen System funktionierten und sie ab Anfang des neuen Jahres, also ab diesem Monat, nicht mehr funktionstüchtig wären. War ja klar, dass ein hoffnungsloser Vollidiot, so wie es Jounouchi nun mal war, diese wichtige Information nicht verstanden hatte. Seinem Erbsenhirn fehlte dafür einfach die Kapazität. Mokuba spulte das Duell glücklicherweise vor, so dass sie schnell zu den letzten Zügen sprangen und Kaiba genau sehen konnte, was geschehen war. Der Dueldisk hatte sich einfach abgeschaltet. Vermutlich heiß gelaufen, da der Datentransfer des Rotäugigen Drachens einfach viel zu viel Leistung brauchte. Das schaffte das alte System nicht mehr. Das alte Gerät konnte das Hologramm nicht mehr erzeugen und überhitzte. Nichts Ungewöhnliches. Kaiba sah keinerlei Grund, irgendetwas zu ändern. Was war Jounouchi auch so blöd mit dem alten Teil ernsthaft ein Duell bestreiten zu wollen? Sein neues Hologramm System Beta war schon längst aus der Testphase raus und hatte das Alpha System ersetzt. Und auch jetzt konnte Kaiba nicht behaupten, dass er mit seiner Erfindung komplett zufrieden war. Ein Perfektionist wie er es war, konnte nicht so leicht zufrieden gestellt werden. Die neuen Hologramme liefen flüssiger, hatten eine bessere Qualität und wirkten noch echter als jemals zuvor. Sein bisher größtes Meisterwerk. Stolz erfüllte ihn, insbesondere wenn er daran dachte, wie viele andere Entwickler und Firmen an seiner Arbeit nun interessiert waren. Er hatte Monate an der Progammierung gesessen, um ein optimales Spielerlebnis zu gewährleisten. „Jounouchi hätte gewonnen. Das ist nicht fair, Nii-sama“, entgegnete Mokuba nur und in seinem Blick lag Entschlossenheit. „Und? Ist das mein Problem?“, fragte Kaiba nur genervt und warf einen flüchtigen Blick auf seinen Computerbildschirm, bevor er seine Karten überaus vorsichtig stapelte und wieder in seiner eigenen Welt abtauchte. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, wollte Mokuba wissen. Seine Stimme wankte nicht, es war keinerlei Zweifel herauszuhören. „Was interessiert mich, was dieser drittklassige Duellant macht? Denkst du, es macht auch nur den kleinsten Unterschied, ob er teilnimmt oder nicht?“ Immer noch galt der Großteil seiner Aufmerksamkeit seinen Karten. „Dich interessiert das vielleicht nicht. Yuugi aber schon.“ Jetzt sah Kaiba endlich auf und warf einen fragenden Blick gen Monitor. „Jounouchi und Yuugi sind immer zusammen. Sicher wird Yuugi deine Einladung ablehnen, wenn Jounouchi nicht dabei sein kann.“ „Pah! Unsinn!“, meinte der Firmenchef nur und verdrehte die Augen. „Kannst du dir da hundertprozentig sicher sein, Nii-sama?“ Er antwortete nicht und ließ sämtliche Duelle aus der Vergangenheit Revue passieren. Jounouchi und die anderen lächerlichen Cheerleader waren fast immer an Yuugis Seite gewesen. Mist, nein, konnte er nicht. Von einer Sekunde zur nächsten verschlechterte sich seine Laune und er beendete die Videoübertragung einfach, ohne überhaupt auch nur auf Mokubas Frage einzugehen. Er durfte nicht riskieren, dass Yuugi seine Herausforderung ablehnte. Dabei sollte heute Abend sein Fernsehspot laufen, indem er Yuugi endlich herausforderte. Es sollte doch ein großes Spektakel werden und war einer der größten Highlights dieses Turniers. Wenn der Hauptakt aber nicht erschien, war wirklich alles für die Katz. Nervös tippte Kaiba auf seinem Büroschreibtisch herum. Dass Yuugi seine Herausforderung ablehnen konnte, hatte er kein einziges Mal bedacht. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass diese Möglichkeit bestand, dabei war er doch alle Szenarien durchgegangen. Konnte er sich sicher sein, dass Yuugi seine Herausforderung annahm? Was, wenn Mokuba Recht hatte? Musste er etwa diesem hitzköpfigen und uncharmanten Jounouchi helfen, damit er im Turnier blieb? Er seufzte genervt und drehte sich mit seinen Lederchefsessel um, warf einen Blick über seine Stadt Domino. Von hier aus hatte er einen perfekten Überblick. Wenn er nach Ablenkung suchte, warf er einen Blick auf seine Stadt, um wieder zur Ruhe zu kommen und auf andere Gedanken zu kommen. Doch ganz egal, wie sehr er versuchte, sich zu beruhigen, so machte ihn der Gedanke, dass er ausgerechnet Jounouchi helfen musste, einfach nur rasend. Sein Telefon klingelte und er griff nach dem Hörer. „Was gibt es?“, fragte er mit einem drohenden Unterton. „Kaiba-san, verzeihen Sie, aber Mutou-san hat mehrmals versucht Sie zu erreichen.“ Seine Sekretärin schien ihren Job einfach nicht verstanden zu haben. Dabei hatte er doch extra erklärt, dass er Yuugis Anrufe, wenn überhaupt, persönlich entgegennahm und sie ihn nicht durchstellen brauchte, sofern er das selbst nicht anordnete. Kaiba konnte sich nicht daran erinnern, ihr eine Anweisung gegeben zu haben, ihre eigene Meinung zu äußern. Natürlich war Yuugi irgendwo ein Geschäftspartner, aber er war nicht so wichtig für den Firmenleiter, dass er sich darüber hinaus mit Yuugi beschäftigte. „Er wirkte sehr wütend. Soll ich ihn zurückrufen?“, erklärte sie dann mit seelenruhiger Stimme. „Nein, ich kümmere mich selbst drum“, stöhnte Kaiba und legte das Gespräch einfach auf. Stimmt, da war eine E-Mail in seinem Postfach. Er hatte sie einfach nur überflogen, da der Inhalt nichts Geschäftliches aufwies und keinerlei Relevanz für ihn hatte. Dachte Yuugi wirklich, dass er Lust auf Smalltalk hatte? Sah es denn so, dass er Zeit für solche Dinge hatte? Manchmal da zweifelte er auch an Yuugi. Vermutlich hatte Yuugi zu viel Kontakt zu dem Blonden. Blödheit konnte ja ansteckend sein. Er hatte zwar gesagt, er würde sich um die Angelegenheit selbst kümmern, was er aber eigentlich damit aussagen wollte, war, dass er weder auf Yuugis Anrufe noch auf seine E-Mail in nächster Zeit reagieren würde. Immerhin hatte er andere Geschäftspartner, große Firmen mit gutem Ruf. Yuugi war nur ein kleiner unbedeutender Einzelhändler. Seine Umsätze waren so gering, dass Kaiba hin und wieder sogar seinen Teil des Gewinnes, wenn Yuugi einige seiner Produkte verkauft hatte, einfach nicht annahm. Die paar Yen mehr oder weniger auf seinem Konto machten keinen Unterschied. Für ihn war es so, als hätte er einen müden Yen verloren. So, als wäre ihm unterwegs etwas aus der Tasche gefallen. So unwichtig, dass er keinen weiteren Gedanken daran verschwenden brauchte. Allein der monatliche Umsatz der Kaiba Corporation lag in astronomischen Höhen, sodass er das bisschen, dass Yuugi mit dem Verkauf von Duel Disks und Boostern verdiente, keine Beachtung schenkte. Wenn er darüber nachdachte, wie wenig der Laden Yuugi einbrachte und dieser sogar drohte, sich mit diesem altmodischen Geschäft zu verschulden, fragte Kaiba sich ernsthaft, was Yuugi dazu antrieb diesen Laden überhaupt aufrecht erhalten zu wollen. Es sprach nur wenig für die Aufrechterhaltung. Wenige Kunden, was vermutlich auch dem schlechten Standort zu verschulden war und ein Sortiment aus dem letzten Jahrhundert. Bis auf die Waren, die die KC ihm übergab, gab es nichts, was heutzutage für Gamer auch nur ansatzweise interessant gewesen wäre. Nicht gerade das, was gesucht wurde. Die Kids heutzutage wollten Hightech. Videospiele. Keine Brettspiele oder Sammelkarten von veralteten Spielen, die keiner kannte. Sie brauchten die Aufregung von visuellen Bildern. Und genau deshalb war Duel Monsters weltweit bekannt. Kaiba würde natürlich niemals zugeben, dass sein Grund ein viel tiefgreifender war. Er half Yuugi nicht, weil er ihn so gern hatte, sondern weil er ihm gegenüber so etwas wie Schuld empfand. Ohne Yuugi, da hätte er auch den anderen Yuugi – gemeint war Pharao Atem – niemals kennengelernt und vermutlich wäre er an seinem Wahn, besser als jeder andere zu sein, kaputtgegangen. Auch heute träumte er noch davon, wie er sich seinem wahren Rivalen im Duell gegenüberstand. Die Aufregung eines Duells, seine Blicke und dieses charmante und arrogante Lächeln, das er immer dann auf den Lippen trug, wenn er das Blatt zu seinen Gunsten wendete. Atem war perfekt. Er war ein Gott. Ein Mann wie er, verdiente es vergöttert zu werden, also passte die Rolle des Pharaos sehr gut zu ihm. Immer, wenn Kaiba an ihn dachte, verlor er sich in Lobeshymnen, denn dieser Mann hatte sein Leben verändert und ihm etwas gegeben, das niemand anders ihm geben konnte. Sein wahrer Rivale war Atem, nicht Yuugi. Yuugi war ein sehr guter Duellant und hatte es sogar geschafft, die Lücke in seinem Leben aufzufüllen, die Atem wissentlich oder auch unwissentlich hinterlassen hatte, dennoch waren die beiden vollkommen verschieden. Yuugi war viel sanfter und ruhiger. Atem forderte ihn stets heraus, provozierte und motivierte ihn. Sie waren auf einer Wellenlänge. Yuugi jedoch war nichts weiter als ein putziger Ersatz, nicht das Original. Seine Stimme war auch viel weicher, nicht so fordernd und berauschend wie Atems. Er seufzte, schloss für einen Moment die Augen. Kaiba hielt nichts davon, sich mit unnötiger Sentimentalität aufzuhalten oder sich gar im Ruhm der Vergangenheit zu sonnen. Die Vergangenheit war vergangen, daran konnte er nichts mehr ändern. Atem würde nicht mehr zu ihm zurückkommen. Seitdem Atem gegangen war, hatte er versucht, so gut es ihm möglich war, nach vorne zu sehen. Vollkommen egal, was er tat, er blieb stets in seinem Schatten und er konnte ihn nicht mehr überflügeln und ihm seine wahre Seele zeigen. Er wollte ihm zeigen, was er erreicht hatte. Er wollte, dass Atem mit eigenen Augen sah, was Kaiba in der Lage war, zu tun und dass er ihm in nichts nachstand. Genauso wie die Pharaonen und die ägyptische Kultur von vor 3000 Jahren wollte er die Welt verändern. In einem Duell trafen nicht nur die Karten gegeneinander an, sondern auch die Emotionen der Spieler. Das hatte er von Atem gelernt. Vor ihrem letzten Duell beim Battle City, da hätte er über so eine Aussage gelacht, aber mittlerweile hatte er verstanden, dass Atem recht hatte. Auch wenn er versuchte, seine Emotionen unter Verschluss zu halten und niemanden seine Schwäche zu offenbaren, so waren es Atems Worte, die ihn daran erinnerten, wie sehr er es liebte sich zu duellieren. Ein Duell bestand aus puren Emotionen. Vollkommen egal, ob er danach strebte zu siegen oder einfach nur das Gefühl von rauschendem Adrenalin in seinen Adern brauchte. Yuugi war nicht Atem. Yuugi war anders. Kaiba war sich sicher, dass Yuugi nachgeben würde. Yuugi war viel zu liebenswert, um ihm tatsächlich böse zu sein. Immerhin hatte er ihm sogar verziehen, dass er ihn töten wollte und ihm sogar Freundschaft angeboten. Jemand, der so sehr nach Harmonie strebte und Angst davor hatte, dass andere schlecht von ihm denken konnten, war einfach nicht in der Lage ernsthaft wütend zu werden. Kaiba war sich sicher, dass Yuugi letztendlich zusagen würde, denn auch er war ein wahrer Duellant und jemand, der Spiele über alles liebte. Ha, außerdem musste er seine Herausforderung annehmen, immerhin würde er sonst ihr Handelsabkommen in Gefahr bringen. Yuugi brauchte die Kaiba Corporation. Yuugi brauchte Kaiba. Yuugi würde es doch gar nicht wagen, sich gegen seinen quasi Chef zu stellen! Und Kaiba brauchte Yuugis wachen Verstand und seine natürliche Gabe jedes Spiel zu durchschauen. Es gab sonst niemanden, der mit ihm, Kaiba Seto, überhaupt mithalten konnte. Nur Yuugi brachte sein Blut zum Kochen. Nur er konnte ihm den Adrenalinschub verschaffen, den er zum Leben brauchte. Die Aufregung, die Spannung und nie zu wissen, was Yuugi als nächstes tat, machte ihre Duelle wertvoll für ihn. Kaiba brauchte diese Art von Nervenkitzel, denn ansonsten gab es nichts in seinem Leben, das ihn interessierte. Sie brauchten einander und waren wichtige Partner geworden. Ohne ihn, da wäre sein Leben nicht mehr lebenswert. Ohne einen Gegner, der ihn dazu motivierte nach Höherem zu streben, gab es nichts, woran er noch hätte arbeiten wollen. Dieser Gedanke ließ Kaiba triumphierend grinsen. Ja, er konnte nicht einfach nein sagen, immerhin hing seine Existenz am seidenen Faden. Oder dachte der König der Spiele wirklich, dass Kaiba keine Ahnung von seiner Situation hatte? Die Kaiba Corp hatte ein wachendes Auge auf ganz Domino. Kaiba war immer informiert über Konkurrenz und Partner. Er sah alles. Er hörte alles. Er wusste alles. Und es lag in seinem Ermessen Dinge zu seinem eigenen Gunsten zu wenden. Trotzdem... kannte er Yuugi zu gut. Er ließ den Kopf hängen und seufzte leise. Seine unschuldige Art, von der sich Kaiba sicher war, dass davon nicht alles echt war oder zumindest oft gespielt und sein Mitgefühl anderen gegenüber waren gefährlich und machten ihn undurchschaubar. Selbst Kaiba gegenüber hatte er Mitleid – pardon – natürlich Mitgefühl gezeigt und glaubte ernsthaft, dass er ihm helfen musste. Yuugi glaubte fest daran, dass sie Freunde waren. Allein das Wort Freundschaft ließ Kaiba den Magen umdrehen. Freunde? Er und Yuugi? Eine Partnerschaft im geschäftlichen Sinne war das einzige, was sie allerhöchstens verbinden würde und ihre Leidenschaft für Spiele. Aber mehr nicht. Privat hatte er nicht unbedingt das Bedürfnis mit Yuugi einen Kaffee trinken zu gehen, höchstens wenn es geschäftliche Termine und zukünftige Pläne zu besprechen gab. »Rivale oder Freund... wo ist da der Unterschied?«, hörte er ein Echo in seinem Hinterkopf, dem er keine weitere Beachtung mehr schenkte. Was konnte er tun, um sich sicher zu sein, dass Yuugi seine Herausforderung annahm? Er warf einen verstohlenen Blick auf den LED-Monitor vor sich, nahm Notiz von der Uhrzeit und fragte sich insgeheim, ob er vielleicht doch etwas tun musste. Seine Bekanntmachung bzw. seine Herausforderung an Yuugi würde heute Abend gegen 20:00 Uhr, zur besten Sendezeit des Tages (Kaiba scheute immerhin weder Kosten noch Mühen) ausgestrahlt werden und wenn er sicher gehen wollte, dass dieser diese annahm, musste er sich etwas einfallen lassen. Der Gedanke, dass er Jounouchi helfen musste, brachte ihn zum Rande der Verzweiflung. Er öffnete ein neues Fenster am Bildschirm und versuchte erneut Kontakt zu Mokuba herzustellen. Ungeduldig wartete er darauf, dass sein Bruder die Bildübertragung annahm. „Mokuba, ich brauche deine Hilfe“, sagte er, doch es war sofort herauszuhören, dass er mit seiner so eben getroffenen Entscheidung nicht gerade glücklich war. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Jounouchi blieb vor dem Kame Game Shop stehen und betrachtete das Schild eingehend. Es war auf „Geschlossen“ gedreht, obwohl er innerhalb der Öffnungszeiten gekommen war. Yuugi öffnete den Laden stets pünktlich, ungeachtet dessen, wie müde er war. Er nahm seine Verpflichtung sehr ernst und stand selbst dann morgens auf, wenn er krank war. Immerhin war dies der Laden seines Großvaters. Das hier war nicht einfach irgendein Laden, sondern etwas an dem sehr viele Gedanken, Erinnerungen und Gefühle hingen. Yuugi würde den Laden niemals grundlos zu spät öffnen. Plötzlich machte sich der Blonde große Sorgen. Ob Yuugi etwas passiert war? Er sprintete zur verschlossenen Tür, klopfte mehrmals an dieser und rief nach seinem kleinen Freund. Als keine Antwort kam, wurde er panisch. Reflexartig griff er nach dem Türgriff und hielt einige Sekunden inne, als er merkte, dass die Tür offen war. Wurde der Laden überfallen? Ohne weiter darüber nachzudenken, riss er die Tür nun vollständig auf und sah sich um. Yuugi war nicht zu sehen. Sein Blick blieb auf den Treppen zum Obergeschoss hängen und er hastete die Treppen hinauf, in der Hoffnung, dort Yuugi anzutreffen. Als er die Tür aufriss, brauchte er einige Sekunden, um zu realisieren, was geschah. Buntes Konfetti kam ihm entgegen, er hörte von mehreren Seiten aus das Geräusch von Tröten und fröhliche Gesichter. Wie angewurzelt blieb er unter dem Türrahmen stehen, schluckte hart und starrte auf das große Plakat das beinahe dilettantisch an der Wohnzimmerwand aufgehängt worden war. Den Schriftzug erkannte er sofort wieder. Die feingeschwungenen Linien und die Art wie die einzelnen Buchstaben geschrieben wurden konnte er einer Person zuordnen. Sein Blick fiel auf Yuugi. Ungläubig biss er sich auf die Unterlippe, unterdrückte den Drang vor Freude loszuheulen. „Happy Birthday, Jounouchi!“, hörte er Yuugis äußerst fröhliche Stimme. Jounouchi schniefte einmal, wischte sich die Tränen energisch mit seinem Ärmel weg. Er wollte nicht, dass seine Freunde ihn deshalb heulen sahen. Das war total unmännlich und richtig peinlich! Oberpeinlich! Seine engsten Freunde waren extra für ihn gekommen. Honda grinste breit und blies nochmal in die Geburtstagströte, ließ den Luftrüssel voll ausfahren, um so seinen besten Freund anzustupsen. Jounouchi sagte nichts, hob den Kopf und starrte wortlos in die Runde. Seine Wangen waren gerötet und es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr er mit sich selbst kämpfte. Nicht alle waren gekommen. Honda, Yuugi, seine liebe Schwester Shizuka, Bakura und Sugoroku waren da. Der alte Mann saß auf der Coach und klatschte in die Hände, stimmte dann ein Liedchen an, bei dem alle einstiegen. Shizuka warf sich nach ihrer gemeinsamen Gesangseinlage in die Arme ihres Bruders. „Alles Gute zum Geburtstag, Katsuya“, sagte sie und legte ihre Arme um ihn. „Es ist keine große Party, aber wir wollten wenigstens ein bisschen feiern“, erklärte Bakura und kam Jounouchi ebenfalls näher. Er hielt seine Faust vor ihm und wartete darauf, dass der Blonde diesen Gruß erwiderte. Jounouchi schlug mit seiner Faust gegen die von Bakura, beide grinsten zufrieden. Als Shizuka sich aus der Umarmung löste, lag ein Lächeln auf ihren Lippen. Sie wirkte noch glücklicher über diese Party als Jounouchi selbst, dabei war er doch das Geburtstagskind. Er hatte zwar damit gerechnet, dass die anderen ihm gratulieren würden, aber eine Feier war doch zu viel der Ehre. Auch wenn Jounouchi sich sagte, dass er das hier nicht verdient hatte, so war er in Wirklichkeit einfach glücklich. Seine Freunde warfen eine Party für ihn. Nur für ihn. Jetzt schluchzte er doch einmal laut, ehe er sich wieder fasste und den anderen dankte. Sie feierten einige Stunden, lachten, scherzten und erzählten sich viel. Natürlich durften Spiele nicht fehlen. Da weder Shizuka noch Honda ein Deck hatten, mussten sie eine andere Alternative finden. Gesellschaftsspiele waren eine gute Abwechslung. Shizuka schlug „Mensch ärgere dich nicht“ vor, das sie zusammen spielten. Jedoch wurde Jounouchi langsam wütend, als er viermal in Folge nur eine Eins gewürfelt hatte. Wo war sein Glück auf einmal hin? Als er letzten Endes verlor, entschlossen sie sich für ein Kartenspiel. Uno konnten sie alle zusammenspielen. Dieses Mal war es nicht Jounouchi, der immer wieder ärgerlich aufstöhnte, sondern Honda. „Tja, gegen mich hast du echt keine Chance“, brachte er unter heiterem Gekicher heraus. Honda warf ihm einen bösen Blick zu, den Jounouchi gekonnt ignorierte. „Falls es dir nicht aufgefallen ist, ist Mutou-san am gewinnen. Du und ich sind beide mies in dem Spiel“, erwiderte Honda und studierte sein Blatt, überlegte hin und her, was er ablegen sollte. „Hoho! Für ein gutes Spiel ist man nie zu alt. Und euch beide stecke ich noch locker in die Tasche“, kam es vom älteren Mann, der dann mit seinem warmen Lachen den Raum erfüllte. Honda legte eine grüne Fünf und hoffte, dass sich das Blatt wendete und irgendjemand blau oder rot ablegte. Mit seinen derzeitigen Karten war er im Nachteil. Nach mehreren Runden war es letztendlich Yuugi, der gewann. In den nächsten Runden setzte er aus, da es selbst fand, dass es langweilig wurde und die anderen auch eine Chance bekommen sollten. Lächelnd betrachtete er die bunte Runde. Zum ersten Mal seit Langem fühlte er sich wieder richtig zu Hause. Sie alle waren versammelt und genossen eine schöne Zeit. Außerdem war er überglücklich, dass er Jounouchi mit dieser kleine Überraschungsparty ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte. Natürlich war er traurig darüber, dass Anzu und Otogi nicht kommen konnten. Beide waren beruflich in Amerika und hatten lediglich eine Karte geschickt. Anzu hatte ihr Studium als Tänzerin gerade erst richtig begonnen und hatte sich auf eine eine kleine Tanzrolle in einem Musical beworben, um so ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, während Otogi sich dazu entschlossen hatte, sein Spiel Dungeon Dice Monsters erneut zu vermarkten und einen neuen Publisher zu finden, der ihm dabei half. Soweit Yuugi hörte, lief es ganz gut. Sogar ein Videospiel sei in Planung, zumindest hatte es Otogi so angedeutet. Plötzlich vernahm er ein Klingeln an der Tür. Alle horchten auf und gerade als sich Sugoroku von der Coach erheben wollte, legte Yuugi beinahe mahnend eine Hand auf dessen Schulter. Sein Großvater war noch lange nicht genesen. Auch jetzt lief er noch mit Krücken herum und kam allein nicht mal die Treppe hoch. Yuugi ging zur Tür. Die Freunde spielten weiter und bevor Yuugi den Raum verlassen hatte, hörte er ein genervtes Stöhnen von Bakura. Scheinbar hatte er einmal mehr das Glück mehrere Karten vom Stapel ziehen zu dürfen. Rasch eilte er die Treppen hinunter und öffnete die Eingangstür, die sich neben der Ladentür befand. Er staunte nicht schlecht, als er einen jungen schwarzhaarigen Mann sah, der ein großes Päckchen in den Händen hielt. Mehrmals blinzelte er. Was wollte der Vize der KC hier? „Hey, wie geht es dir Yuugi?“, fragte dieser im lässigen Ton und grinste breit. Als er seinen Kopf leicht neigte, fielen ihm seine kurzen schwarzen Haare ins Gesicht. „Ganz gut. Und selbst? Schickt dich dein Bruder?“, fragte Yuugi, war sich sehr sicher, dass Kaiba irgendetwas mit diesem unangekündigten Besuch zu tun haben musste. „Ja, danke der Nachfrage. Wie kommst du darauf?“, kam es beinahe empört von Mokuba. Gespielt beleidigt blies er die Backen auf und vermied den Blickkontakt zu seinem Gegenüber. Yuugi legte den Kopf nur leicht schief, hob eine Augenbraue, ehe er die Tür ganz öffnete und Mokuba ins Haus ließ. Gemeinsam liefen sie die Treppen hoch. Eigentlich sollte Mokuba nur das Päckchen abliefern und dann nach Hause, aber sein großer Bruder hatte eines in seinem Plan nicht einberechnet: Yuugi und Mokuba waren befreundet. Ziemlich gut sogar. Immerhin schrieben sie sich zwischendurch Nachrichten und hielten einander auf dem Laufenden. Mokuba wollte die Zeit nutzen, um ein bisschen zu reden und zu sehen, wie es Yuugi ging. Zu Mokubas Bedauern hatten sie nicht allzu viel Kontakt gehabt, was einerseits daran lag, dass er selbst mit der Schule beschäftigt war und nebenbei als Vize in der KC arbeitete, aber auch daran, dass Yuugi arbeitete und ihre Wege sich unter normalen Umständen nicht besonders häufig kreuzten. Und nur über Nachrichtendienste zu kommunizieren war eben nicht das selbe. Als Yuugi die Tür öffnete und Mokuba ins Wohnzimmer trat, bemerkte er sofort das bunt bemalte Plakat an der Wand und westlichen Buchstaben, die ein selbst in Japan bekannten Satz formten. „Moment, Jounouchi hat Geburtstag?!“, wollte er ungläubig wissen. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Plakat und er las was auf diesem stand ein weiteres Mal durch, um ganz sicher zu gehen, dass er sich nicht verlesen hatte. Sein Bruder hatte ihn darum gebeten, dieses Päckchen schnell zu Yuugi zu bringen. Er nannte keine Gründe. Er sagte nicht, was sich darin befand. Mokuba ging einfach davon aus, dass es eine Warensendung für Yuugi war, die er in seinem Sortiment aufnehmen konnte. Nein. Sein Bruder hatte doch nicht etwa wirklich... träumte er gerade etwa? Als er die Gäste am Tisch sah, die alle zeitgleich zu ihrem neuen Gast aufsahen, wurde es plötzlich ruhig. „Deshalb sollte ich dir also das Päckchen bringen?“ Mokuba drückte Yuugi das Päckchen entgegen, bewegte sich dann auf Jounouchi zu. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. „Alles Gute zum Geburtstag, Jounouchi!“, jauchzte der Jüngere und hielt dem Blonden eine Hand hin. Perplex starrte dieser auf die ausgestreckte Hand, die scheinbar nur darauf wartete, dass er die Geste erwiderte. In seinem Kopf ging gerade alles drunter und drüber. Da waren sämtliche Synapsen durchgebrannt und er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen und die Puzzlestücke zusammenzufügen. Dann machte es Klick und er schüttelte seinen Kopf, so dass seine wilde Mähne hin und her geschleudert wurde und er wieder zur Besinnung kam. Hastig erwiderte er den Gruß und brachte nur ein krächzendes „Danke“ heraus. Yuugi kam mit dem Päckchen näher. Es war ein weißer Karton, ohne Beschriftung, schlicht und nichts ließ erahnen, was sich in diesem befand. „Ist das für Jounouchi?“, erkundigte er sich. Mokuba drehte sich zu ihm. „Ich denke ja. Mein Bruder wollte, dass ich es persönlich überbringe.“ „WARTE! WAS?“, schrie Jounouchi erschrocken auf und sprang von der Coach, packte Mokuba an den Schultern, so dass dieser nervös zusammenzuckte und leise aufkeuchte. In seinen Augen war zu erkennen, dass er eine Erklärung haben wollte. Ein plumpes Schulterzucken akzeptierte er nicht. Vielleicht eine Briefbombe? Was hatte dieser Schnösel jetzt wieder geplant? „Er hat mir nichts weiter gesagt, nur dass ich es zu Yuugi bringen soll“, erklärte Mokuba in monotoner Stimmlage und schob Jounouchis Hände von sich weg, richtete sich seinen guten Anzug und seine Krawatte erneut, die durch Jounouchis festen Griff leicht zerknittert wurden. Ein Gentleman sollte nicht mit Falten im Anzug umherlaufen. „Nur deshalb bin ich hier. Ich wusste nicht, dass du Geburtstag hast, außerdem“, begann er und zeigte aufs Päckchen, „weiß ich selbst nicht, was drin ist. Auch ich verstehe meinen Bruder nicht immer.“ Skeptisch betrachtete der Blonde das Päckchen in Yuugis Hand. Es gab nur einen Weg herauszufinden, was sich darin befand. Hart schluckte er. Sicher war das alles nur ein Missverständnis. Immerhin hatte Kaiba gesagt, dass das Päckchen für Yuugi war und nicht für Jounouchi. Kaiba konnte überhaupt nicht wissen, wo er war, also war das Ganze sicher nur ein dummer Zufall, den sie falsch verstanden hatten. Als Yuugi dann den Deckel anhob und zur Seite legte, war es wieder leise geworden. Auch Honda war aufgestanden und starrte mit großen Augen auf den Inhalt des geheimnisvollen Päckchen. Wenn er es nicht besser wusste, handelte es sich hierbei um einen nagelneuen Dueldisk. Anbei eine Karte mit Kaibas Handschrift. Yuugi erkannte diese sofort, dieser elegante Schriftzug, der mehr an Kalligraphie erinnerte, gehörte eindeutig dem Firmenchef. Bereits in der Vergangenheit hatte Yuugi durch seine Geschäfte mit der KC diese schöne Schrift erblicken dürfen und auch jetzt zog sie ihn völlig in den Bann. Die Schriftzeichen waren perfekt geschwungen. Yuugi schmunzelte. „Ich überlasse dir dieses Gerät, mach damit, was immer du möchtest. Wenn du es nicht brauchst, wirf es weg“, las er laut vor und hob seinen Blick, auch nachdem er vorgelesen hatte, nicht vom Papier. „Das ist nicht sein Ernst, oder?“, fragte Jounouchi und drehte sich zu Mokuba, erwartete eine Antwort. „Schau mich nicht so an, ich sagte bereits, dass auch ich ihn nicht immer verstehe“, nörgelte Mokuba, dem es überhaupt nicht gefiel, dass er sich wiederholen musste. Beinahe flehend starrte Jounouchi den Bunthaarigen an, der gebannt auf die Karte starrte und versuchte Kaibas Gedanken und seine eigentliche Intention zu verstehen. Kaiba war alles, nur nicht gerade zuvorkommend. Für eine Warensendung war es zu wenig. Und in der Schauvitrine des Ladens hatte er bereits einen Dueldisk. Ein Geschenk an ihn schloss er sofort aus, da er diesen Dueldisk bereits besaß. Kaiba hatte ihm ein limitiertes Modell in Rosa und Weiß gemacht. Normalerweise hätte Yuugi gern protestiert, da die Farbe rosa nicht gerade als männlich angesehen wurde, aber es war ein Geschenk von Kaiba selbst. Da konnte er nicht einfach ablehnen. Mittlerweile machte ihm die Farbe auch nichts mehr aus. Eigentlich stand Rosa ihm ganz gut. Er ging sämtliche Optionen durch, kam aber letztendlich zum Schluss, dass keine davon Sinn ergab. Kaiba hatte Yuugi etwas überbringen lassen, von dem er genau wusste, dass dieser keine Verwendung dafür hatte. Warum aber? „Jounouchi“, brachte Yuugi nach einiger Zeit des Nachdenkens endlich hervor und wandte sich direkt zu seinem liebsten Freund. „Ich möchte, dass du den Dueldisk nimmst.“ „YUUGII!“, schrie Jounouchi und packte seinen Freund ungefragt, legte einen Arm um seine Schultern und drückte ihn so fest an sich, dass dieser glaubte zu ersticken. Fröhlich quiekte er und tänzelte mit Yuugi in der Mangel hin und her. Die anderen lachten. „Damit ist dein Problem wegen dem kaputten Dueldisk endlich gelöst!“, warf Honda euphorisch ein und schlug seinem blonden Freund auf die Schulter. Dieser röchelte kurz und ließ Yuugi nun los, welcher panisch Abstand suchte und nach Atem rang. Mürrisch versuchte er seine Frisur wieder in Ordnung zu bringen, die Jounouchi, unachtsam wie er manchmal war, auseinander gebracht hatte. Hatte Jounouchi überhaupt eine Ahnung, wie lang er brauchte, um so gut auszusehen, wie er es tat? Gerade als er seinen Pony einigermaßen gerichtet hatte, kam Mokuba auf ihn zu. Er lächelte zufrieden, schien sich langsam verabschieden zu wollen. „Ich denke, dass Seto das mit Absicht getan hat. Er sagte zwar, dass Jounouchis Problem nicht seines sei, aber ich wusste, dass er tief im Inneren ein guter Kerl ist. Im Übrigen solltest ihr gleich den Fernseher anmachen. Mein Bruder wird eine wichtige Bekanntmachung geben, die ihr nicht verpassen solltet.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der junge Vizechef der KC und schlenderte die Treppen im gemächlichen Tempo herunter. Draußen angekommen stieg er in die schwarze Limousine. Sein Fahrer drehte sich ruckartig zu ihm um. „Sind Sie hier fertig, Mokuba-sama?“ Mokuba nickte nur und machte seinen Gurt fest. Als sie sich vom Kame Game Shop entfernten, blickte er diesem noch lange hinterher. Sein Bruder würde es niemals zugeben, aber Mokuba war sich sicher, dass dieser Dueldisk von Anfang an für Jounouchi gedacht war. Natürlich würde er tausende plausibel klingende Ausreden finden, so wie er es immer tat, wenn er etwas zu verheimlichen versuchte und vehement verneinen, dass er dem Blonden etwas Gutes tun wollte. Das war halt seine Art. Auch Yuugi griff er unbemerkt unter die Arme, indem er den Anteil, den Yuugi vom Gewinn abgeben musste, so weit kürzte, dass dieser fast alles behalten konnte. Mokuba war ganz schön stolz so einen netten Bruder zu haben, auch wenn dieser bei dieser Umschreibung vermutlich aufspringen, wütend werden und protestieren würde. „Hier“, kam es eintönig von Honda, der Jounouchi ein kleines Päckchen in die Hand drückte. Fragend betrachtete der Blonde dieses und drehte es hin und her, als wollte er den Inhalt mit nur einem Blick ergründen. Honda knuffte ihn in die Seite. Dieser Kerl machte es unnötig spannend, wie Honda fand. „Mach es einfach auf. Ist nichts Besonderes“, nuschelte er und wandte seinen hochroten Kopf ab. „Das ist... du schenkst mir ein Handy?!“ Schockiert sah er das Gerät an und warf dann einen zweifelnden Blick zu seinem besten Freund, da er absolut nicht glauben konnte, dass dieser das ernst meinte. Das hier war doch keine Kleinigkeit! Nein, das hier war etwas Besonderes. Honda zuckte mit den Schultern und nickte, beantwortete die Frage aber nicht. Über so etwas zu reden war ihm unangenehm. Außerdem wollte er doch heute besonders cool auftreten. Er spürte, dass Shizuka und auch Bakura ihn mit strahlenden Augen anstarrten. „Und dann noch ein Smartphone...“, winselte Jounouchi und hielt das Gerät in seinen Händen, als wäre es ein Heiliger, der vom Himmel herabgestiegen war. „Yeah, es ist bereits alles eingestellt. Das Smartphone ist komplett abgezahlt, also musst du dir auch keine Sorgen um versteckte Kosten machen. Ist vielleicht nicht ganz so ein tolles Geschenk wie Kaibas Dueldisk, aber ich dachte, dass du so etwas gebrauchen könntest.“ „Danke...“, murmelte Jounouchi und ließ seinen Kopf hängen, umklammerte das Gerät fest mit seinen Händen, als würde er es verlieren, wenn er nur eine Sekunde nicht darauf aufpasste. „Hey, wir haben auch noch etwas!“, kam es breit grinsend von Bakura, der eine kleine, bunt verzierte Tüte zum Vorschein brachte. „Ich wusste nicht, was du magst, also hoffe ich, dass das hier okay ist.“ Jounouchi nahm die Tüte an und schüttete sie auf dem Tisch aus, auf dem sie zuvor Uno gespielt hatten. „Das sind ja brandneue Duel Monsters Karten! Brauchst du die nicht selber?“, wollte er vom Weißhaarigen wissen. Dieser rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Quatsch, mein Deck ist doch sowieso themenbezogen. Und die Okkult Karten habe ich behalten. Mach dir keinen Kopf.“ „Und das hier ist von Mama und mir.“ Jounouchi stockte der Atem. Er ließ die Karten einfach fallen und legte nun auch das Handy zur Seite, während er seiner jüngeren Schwester einen durchdringenden Blick entgegen warf. Das konnte nicht sein. Wahrscheinlich hatte sie sich versprochen. Niemals würde seine Mutter etwas beisteuern. Schließlich hatte sie sich Jahrelang nicht um ihn gekümmert. Gut, er gab ja zu, dass das Verhältnis zu seiner Mutter etwas besser geworden war, nachdem er Shizuka mithilfe des Preisgeldes, das er im Königreich der Duellanten gewonnen hatte, gerettet hatte, aber trotz allem hatten sie kaum miteinander gesprochen. Seine Mutter hatte ihn keines Blicks gewürdigt und so getan, als wäre er Luft. Es war ihr doch völlig egal, was mit ihrem Sohn war. Zumindest hatte sich Jounouchi das die letzten Jahren so vehement eingeredet, dass er selbst daran glaubte und keinen anderen Schluss zuließ. Alles andere würde sein Weltbild zerstören. „Mutter würde mir niemals etwas schenken, Shizuka“, sagte er dann so ruhig wie er konnte, um sie nicht unnötig aufzuregen und sich selbst nicht aus der Fassung zu bringen. „Doch!“, protestierte die Brünette und hielt ihm einen Umschlag hin. Jonouchi staunte nicht schlecht, glotzte das weiße Ding in ihrer Hand aber nur geistig abwesend an. „Los, mach auf!“, forderte sie dann und drückte es ihm einfach in die Hand. „Mach es auf und lies, was drin steht.“ Der weiße Umschlag in seiner Hand war nicht mal beschriftet, doch es waren bunte Sticker auf diesem und wenn er es nicht besser wusste, konnte er einen leichten Hauch von Parfüm wahrnehmen. Ein Duft, den er aus seiner Kindheit kannte und unweigerlich viele Erinnerungen an seine Mutter hervorholte. Erinnerungen, die er seit Jahren zu vergessen versuchte. Es war so einfach seinen Eltern die Schuld an seiner schlechten Situation zu geben. All die Jahre hatte er sich so sehr darauf versteift, dass seine Mutter ihn nicht wollte, dass ihn dieser weiße Umschlag wie ein Blitzschlag traf: vollkommen unerwartet. Er biss sich auf die Unterlippe. Seine Hände zitterten und er spürte, wie sein Herz immer lauter und schneller schlug. Das Echo seines Herzschlages drang bis an seine Ohren. Obwohl seine Freunde ihn umgaben, so nahm er kaum noch etwas von seiner Umgebung wahr. Irgendwie verschwamm alles. Mist, das waren Tränen, die ihm an einer klaren Sicht hinderten. Er konnte nicht fassen, dass das hier von seiner Mutter sein sollte und er glaubte es auch nicht. Umso mehr zögerte er den Umschlag zu öffnen. Was, wenn Shizuka gelogen hatte, nur um ihm eine Freude zu machen? Natürlich meinte sie es nicht böse, jedoch schmerzte allein der Gedanke, einmal mehr diese Hoffnung zu verlieren. Er wollte sich nicht in kindischen Träumen verrennen und einmal mehr enttäuscht werden. „Jounouchi, mach den Brief auf“, kam es von Yuugi, der seine Hand auf seine Schulter legte und ihn ermutigend anlächelte. „Oder bist du jetzt etwa doch ein Feigling geworden?“, fragte Honda neckisch nach. „Genau! Der Jounouchi, den wir kennen, kneift nicht!“, fügte Bakura hinzu und boxte ihn sanft gegen den Oberarm. Noch einmal atmete er tief ein, hielt seinen Atem einen Moment an, ehe er die Luft gut hörbar ausstieß. Entschlossen sah er den Umschlag an. Seine Freunde hatten recht. Jounouchi Katsuya nahm jede Herausforderung an! Und er war kein Feigling! Nur Angsthasen kniffen den Schwanz ein und er war alles andere als das. In seinen Augen loderte ein Feuer der Entschlossenheit und dann öffnete er den Umschlag rasch. In ihm war ein kleines rotes Buch vorzufinden. „E-ein Sparbuch?!“, stotterte er und sah Shizuka an. „Mama hat immer an dich gedacht und jeden Monat etwas zur Seite gelegt. Ich habe auch etwas dazugelegt.“ Fassungslos starrte er das Buch in seinen Händen an. Es fiel ihm schwer die Situation richtig zu realisieren. Sein Unterbewusstsein machte ihm weiß, dass er eingeschlafen sein musste und all das, was hier gerade erlebte, demnach nur ein Traum war. Seine Realität sah doch ganz anders aus. Er fragte sich insgeheim, ob er vielleicht auf dem Nachhauseweg vom Fahrrad gefallen war und jetzt irgendwo am Straßenrand lag. Um sich zu vergewissern, dass all dies echt war, kniff er sich selbst so fest er konnte in die Wange, wimmerte daraufhin vor sich hin. Kein Traum. Zum ersten Mal an diesem Abend konnte Jounouchi sein Schluchzen nicht unterdrücken und ließ seinen Tränen freien Lauf. Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Sie schalteten den Fernseher an. Gleich sollte Kaibas Fernsehspot kommen. Jounouchi schaute gebannt zum Bildschirm, dann zu seiner Armbanduhr, wo er den Sekundenzeiger längere Zeit beobachtete und nur darauf lauerte, dass dieser endlich einen bestimmten Punkt erreichte und so die ersehnte Uhrzeit angezeigt wurde. Tick. Tack. Aufgeregt hob er seinen Kopf und wartete nur darauf, dass es endlich losging. Auch Yuugi wartete gespannt auf das, was Kaiba zu sagen hatte. Er verschränkte die Arme und atmete noch einmal tief ein. So sehr er es auch versuchte, die innere Anspannung, die ihn quälte, konnte er nicht verstecken. Wie nicht anders von Kaiba zu erwarten wurde sein Spot sekundengenau gezeigt. Plötzlich strahlte ihnen das Logo der KC entgegen, welches nach einigen Sekunden einfach verschwand und Platz für Kaibas Antlitz machte. Er grinste breit, triumphierend, so als hätte er bereits den Sieg in der Tasche. Seine tiefe Stimme ließ es Jounouchi eiskalt den Rücken runter laufen. Nicht, dass er etwas Anderes erwartet hätte. Seine Stimmlage bewies einmal mehr, wie unglaublich eingebildet und arrogant der Kerl war. „Yuugi! Es wird Zeit, dass ich meine Rechnung mit dir begleiche. Einmal mehr fordere ich dich zum Duell heraus, doch um es etwas spannender zu machen, wirst du bei dem Domino Turnier gegen den Sieger antreten. Und der wird ganz sicher ich sein! Mach dich auf eine Niederlage gefasst!“, rief er aus. Das Bild wurde ausgezoomt, mehrere Hologramme seiner Lieblingsmonster im Hintergrund eingeblendet, mitunter der Weiße Drache mit eiskaltem Blick, welcher anmutig seine Flügel ausbreitete und dann laut brüllte, während der Duel Dom, Kaibas ganzer Stolz, zum Vorschein kam. Fassungslos hatte Yuugi seinen Blick nach vorne gerichtet, sagte erst einmal nichts. Die erwartungsvollen Blicke, die auf ihm lagen, ignorierte er einfach. Irgendwann drehte er sich zu seinen Freunden um und lächelte diese mit strahlender Miene an. „Wer möchte Kuchen? Ich habe ihn extra für heute gemacht und will ihn nicht wegwerfen“, sagte er mit fast liebevoller Stimme, hätte man zumindest meinen können, wenn da nicht dieser leicht bedrohliche Unterton zu vernehmen gewesen wäre. Es war ziemlich deutlich, dass für Yuugi das Thema abgehackt war und er nicht weiter darauf eingehen würde. Jounouchi überlegte fieberhaft, wie er Yuugi dazu bringen konnte, etwas zu sagen. Nahm er nun Kaibas Herausforderung an oder ließ er diesen auf heißen Kohlen sitzen? Der Bunthaarige wusste doch selbst zu gut, wie ungeduldig Kaiba sein konnte und dass dieser unklare Antworten nicht akzeptierte. Für Kaiba gab es nur Schwarz oder Weiß. Ja oder Nein. In diesem Falle ließ er natürlich nur eine Antwort zu. In all den Jahren glaubte Jounouchi den Firmenleiter einigermaßen gut einschätzen zu können, umso sicherer war er sich, dass dieser keinesfalls ein „Nein“ gelten lassen würde. Eher würde er Yuugis Großvater entführen, um diesen zu einem Duell zu überreden. Oder er ließ sich etwas Anderes einfallen, immerhin hatte er die Entführungs-Taktik schon einmal eingesetzt. Kaiba war ja schließlich niemand, der auf altmodische und verbrauchte Tricks zurückgriff. Immerhin gab es ja auch noch viel bessere Methoden, wie Erpressung, Bestechung oder Körperverletzung. Die Möglichkeiten waren schier unendlich. So sehr Jounouchi sich auch wünschte, Yuugi zum Reden bringen zu können, so gut verstand er auch, dass dieser es nicht mochte, wenn man ihn unnötig bedrängte. Es war wohl das Beste keine weiteren Fragen zu stellen und den Abend zu genießen. Nun, wenn er ehrlich war, hatte er auch gar keine große Lust sich noch weiter mit Kaiba zu beschäftigen als irgendwie notwendig. Dass die beiden eine gewisse Hassliebe verband war ja nur zu offensichtlich, obwohl man das letzte Teil des Wortes auch getrost streichen konnte. Und jetzt dachte er wieder über diesen Firmenleiter nach! War das denn zu fassen? Den Dueldisk nahm er aber gerne an, auch wenn er jetzt nicht sagen konnte, dass sich irgendetwas zwischen ihm und dem Firmenleiter geändert hätte. „Und was ist mit Kaiba-sans Herausforderung?“, fragte Shizuka schlussendlich. Sämtliche Blicke lagen auf der jungen Frau, die diese Worte mit diesem engelsgleichen und unschuldige Lächeln aussprach, als wäre nichts dabei. Yuugi, der bis eben noch mit heller Miene vor seinen Freunden stand, drehte sich einfach um. Seine Mundwinkel wanderten buchstäblich in den Keller. „Was soll schon damit sein? Heute ist Jounouchis Geburtstag, alles andere ist erst mal nebensächlich“, versuchte Yuugi sich herauszureden und vom Thema abzulenken. Er hatte nun wirklich kein Interesse daran, dieses Thema auszudiskutieren. Kaiba wusste, dass Yuugi sauer auf ihn war. Und dieser wusste auch, dass Yuugi sehr stur sein konnte. Generell war er nicht besonders angetan davon, dass Kaiba ihn in dieses Turnier einband, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu bitten. Es war ja nicht so, dass er einen Laden hatte, wo er Arbeit auf ihn wartete. Oder ein pflegebedürftiges Familienmitglied. Kaiba konnte unberechenbar sein. „Yuugi...“, kam es kleinlaut von Jounouchi, der seinen liebsten Freund anstarrte und nicht die richtigen Worte fand. Es war Bakura, der schnell einlenkte. „Du hast recht! Zeit für den Kuchen! Immerhin müssen einige von uns morgen arbeiten.“ „Stimmt, ich muss morgen früh raus und außerdem Shizuka noch nach Hause fahren.“ „Honda-kun, ich kann auch den Zug nehmen. Du musst mich wirklich nicht fahren. Ich will dir keine Umstände machen“, erklärte Shizuka und hob ihre Arme vor ihre Brust, als wollte sie sich selbst vor etwas schützen. Es war ihr unangenehm auf ihn angewiesen zu sein. „Unsinn, eine hübsche Dame lasse ich doch so spät abends nicht allein durch die Straßen wandern“, erklärte Honda breit grinsend, kam aber nicht mehr dazu, noch etwas hinzuzufügen. Ohne Warnung hatte Jounouchi ihm eine heftige Kopfnuss verpasst. Sein Auge zuckte bedrohlich. Es brauchte keine weitere Erklärung, um zu verstehen, dass Jounouchi dieses offensichtliche Geflirte mit seiner geliebten Schwester nicht duldete. Lachen erfüllte den Raum. Die Freunde hatten noch lange geredet und Yuugis Kuchen verspeist, bis sich ihre Wege letztendlich trennten. Auf Jounouchis Wunsch fuhr Bakura mit Honda und Shizuka zurück. Immerhin musste jemand ein Auge auf die beiden haben und verhindern, dass sich Honda an Shizuka ranmachte. Dass die beiden seit Monaten über ihre Handys im Kontakt waren, wusste Jounouchi natürlich nicht. Hätte er das gewusst, hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seinem besten Freund den Kopf abgerissen. Allein der Gedanke, dass seine süße, kleine, liebenswerte, unschuldige Schwester von einem Kerl angebaggert wurde (hierbei war es völlig egal, um wen es sich handelte) trieb Jounouchi zur Weißglut. Niemand durfte seiner Schwester wehtun. Oder sie ihm wegnehmen. „Jetzt sind nur noch wir drei da“, erklärte Sugoroku und streckte seine Beine von sich, während er müde gähnte und sich anschließend die Augen rieb. So langsam tat ihm der Hintern weh, immerhin saß er schon einige Stunden auf der Coach ohne sich großartig zu bewegen. „Deine Mutter kommt bestimmt gleich, um mich abzuholen“, wandte er sich dann an Yuugi, welcher nur zustimmend nickte. „Mir graut es davor, die Treppen wieder runter zu müssen...“, murrte der alte Kauz. „Soll ich dir helfen, Jii-chan?“, kam es von Jounouchi. Ungeachtet dessen, dass der Blonde sich angewöhnt hatte ihn ebenfalls mit „Jii-chan“ anzusprechen, hob der Ältere seinen Blick. „Das wäre großartig! Yuugi ist so zerbrechlich und schwach, es war schon ein wahrer Kraftakt überhaupt hoch zu kommen.“ „Entschuldige, dass ich nicht Herkules bin...“, kam es beleidigt von Yuugi, der mit der Nase rümpfte und begann den Tisch abzuräumen. Jounouchi versuchte sich das Lachen zu verkneifen, doch Yuugi bemerkte sofort die Veränderung in seinem Verhalten. „Lachst du gerade über mich?“ „Nein, niiiiemals! Niemals würde ich über dich lachen!“ „Du bist ein hundsmiserabler Lügner“, entgegnete Yuugi und verließ den Raum. Es war deutlich zu hören, als er die Teller in der Küche abstellte. Jounouchi und Sugoroku zuckten zusammen, beeilten sich dann schnell wegzukommen. Mit Ach und Krach kamen sie endlich im Erdgeschoss an, wo sich der alte Mann direkt auf die Treppenstufen absetzte und keuchte. Wehleidig hielt er sich die Seite. Als Jounouchi ihn fragte, ob alles in Ordnung war, nickte dieser und grinste breit. „Keine Sorge, das ist nur das Alter. Danke, dass du mir runter geholfen hast.“ Ungläubig blickte der Blonde ihn an, wissend, dass sein Gegenüber log, nur um ihn nicht unnötig zu beunruhigen. Yuugi hatte selbst gesagt, dass es eher unwahrscheinlich war, dass sein Großvater in nächster Zeit wieder hinter dem Tresen stehen würde. Auch Jounouchi bezweifelte dies. „Kein Problem, das mache ich doch gern“, antwortete Jounouchi und grinste ebenfalls breit zurück. „Jounouchi, du nimmst morgen am Turnier teil, nicht wahr? Als dein ehemaliger Lehrmeister wünsche ich dir viel Glück. Lass dich nicht von den anderen Duellanten unterkriegen. Niemand kann dir vorschreiben, was du kannst und was nicht.“ „Ich werde diesem Kaiba schon noch zeigen, dass ich ein ernstzunehmender Gegner bin. Hm, aber wenn ich gewinne, müsste ich allerdings gegen Yuugi antreten“, murmelte Jounouchi und verschränkte dann die Arme. Gegen Yuugi zu gewinnen, würde bedeuten der beste Duellant aller Zeiten zu werden und in der Weltrangliste auf den ersten Platz zu wandern, jedoch machte es ihm durchaus Sorgen, dass Yuugi absolut kein Interesse daran zu haben schien, beim Turnier aufzutauchen. Yuugi hatte in letzter Zeit viel zu viel zu tun, da er der Laden seines Großvaters ihm sehr an Herzen lag und er trotz seiner mangelnden Kenntnisse diesen gut weiterführen wollte. Yuugi hatte nie eine Ausbildung zum Kaufmann gemacht. Für einen Laden verantwortlich zu sein, war eine Probe, die er zu bewältigen hatte und wo er niemanden um Rat bitten konnte. Natürlich hätte er seinen Großvater fragen können, aber Yuugi wollte, dass dieser erst mal wieder gesund wurde. „Mein süßer, kleiner Enkel ist erwachsen geworden, aber eines hat sich immer noch nicht geändert. Er legt mehr Wert auf das Wohl anderer als auf sein eigenes. Jounouchi, sprich noch mal mit Yuugi und mach ihm klar, dass ein Mann eine Herausforderung nicht ablehnt. Der Kame Game Shop kann ruhig mal ein oder zwei Tage geschlossen bleiben“, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und erhob sich von der Treppe. Von draußen war das Quietschen von Rädern zu hören. Yuugis Mutter musste angekommen sein. Wie es der Anstand wollte, half Jounouchi dem alten Mann nach draußen. Gerade als er ihm in den Wagen helfen wollte, hörte er schnelle Schritte hinter sich. Yuugi war ihnen letztendlich gefolgt. Hastig warf er sich seinem Opa in den Arm, umarmte diesen noch einige Momente, ehe er diesen losließ und ihn mit großen Augen ansah. „Ruh dich gut aus und überanstrenge dich nicht, hörst du?“, kam es dann fürsorglich von ihm. „Yuugi, ich bin alt genug, um auf mich aufzupassen. Du benimmst dich ja fast wie meine Mutter!“, lachte Sugoroku und drückte Yuugi noch mal an sich. „Jii-chan! Pass auf dich auf und nicht wieder irgendwo runter fallen“, kam es dann von Jonouchi mit einem breiten und beinahe frechen Grinsen. „Sonst kann ich dir gar nicht davon erzählen, wie ich Kaiba beim Turnier plätte. Der Kerl wird heulend am Boden liegen, wenn ich mit ihm fertig bin.“ „Katsuya!“, ertönte eine hohe Frauenstimme. Der Blonde fuhr in sich zusammen und biss sich auf die Unterlippe. „Nicht in diesem Ton, junger Mann“, erklärte Frau Mutou, die nun aus dem Wagen stieg und sich Jounouchi entgegenstellte. Obwohl sie viel kleiner war er als er, hatte sie durchaus eine Ausstrahlung an sich, die es ihm eiskalt den Rücken runter laufen ließ. Unbewusst hielt er den Atem an. Yuugi ähnelte seiner Mutter extrem. Beide waren furchteinflößend, wenn sie mal wütend waren, wobei sie sonst so liebevoll und nett waren. In jedem Schaf steckte ein kleiner Wolf. „Verstanden, kommt nicht wieder vor“, stieß Jounouchi hervor und wartete darauf, dass sie sich entfernte. „Gut. Ich möchte, dass du zumindest unter den besten Vier bist. Wenn du das schaffst, gibt es eine Belohnung. Und alles Gute zum Geburtstag, Kleiner. “ Dass Frau Mutou ihn mit „Kleiner“ ansprach war für Jounouchi normal geworden, wobei sie um einiges kleiner war als er. Mittlerweile hatte sie sich so sehr an den Blonden gewohnt, dass sie ihn sogar schon beim Vornamen ansprach. Bei der Familie Mutou konnte er immer Ruhe finden. „Ha, ich packe das! Vielen Dank!“ Nachdem Sugoroko im Auto saß, winkten Yuugi und Jounouchi den beiden noch zu, ehe sie die Straße verließen und sie nicht mehr zusehen waren. Die beiden Jugendlichen standen noch einige Minuten wortlos vor dem Laden. Erst als ein kalter Wind aufzog und sie frösteln ließ, sahen sie einander an und verabschiedeten sich. Als Yuugi ins Haus zurückgehen wollte, fasste Jounouchi nochmal seinen Mut und hielt ihn auf. Fragend sah Yuugi ihn an, legte seinen Kopf leicht schief. „Stimmt etwas nicht?“ „Wirst du... morgen teilnehmen?“ „Ich weiß es noch nicht. Ich habe keine große Lust gegen meinen Willen an einem Turnier teilzunehmen, nur weil Kaiba denkt, er könnte mit mir machen, was er will. Ich bin doch nicht sein Hund, der nach seiner Pfeife tanzt.“ „Wenn du nicht teilnimmst, wird das garantiert als Niederlage angesehen. Yuugi, du bist der beste Duellant, den es gibt und wenn du disqualifiziert wirst, weil du nicht auftauchst, würdest du deine Ehre als Duellant verlieren. Deinen Ruf! Hast du denn keinen Stolz?“ Yuugi schwieg, befreite sich aus Jounouchis Griff und warf seinen Blick gen Boden. Jetzt in diesem Moment konnte er dem Blonden nicht in die Augen sehen. „Ich habe durchaus meinen Stolz, Jounouchi. Doch der zeigt sich nicht dadurch, dass ich mich zwingend in einem Turnier beweisen muss. Nein, Kaiba behandelt mich, als wäre ich ihm nicht ebenbürtig. Wir sind Geschäftspartner und ich möchte, dass er mich als solchen behandelt. Doch er sieht das nicht so. Für ihn bin ich nur jemand, dem geholfen werden muss. Für ihn bin ich nur Atems Ersatz. Und das möchte ich nicht. Solange er nicht auf mich zu kommt und Stellung nimmt, werde ich nicht weiter das tun, was er von mir verlangt.“ „Ich mag es auch nicht, wenn man mich schlecht behandelt. Aber das hier ist doch deine Chance, ihm so richtig die Meinung zu sagen. Wenn du zum Turnier kommst, werdet ihr doch zwangsweise aufeinandertreffen und dann kann er sich deinen Vorwürfen nicht mehr entziehen. Dann muss er dir antworten.“ „Kaiba ist niemand, den man so einfach überzeugen kann. Das solltest du am besten wissen.“ „Yuugi... bitte, nimm teil. Mir zuliebe.“ „Gut... ich werde Kaiba Zeit geben. Morgen und übermorgen finden die normalen Duelle statt, das Finale kommt erst am darauffolgenden Tag. Wenn er sich bis dahin nicht meldet, werde ich nicht kommen. Doch sollte er vorher auf mich zukommen, werde ich da sein. In Ordnung?“, seufzte Yuugi resigniert. „Dann liegt es jetzt an mir Kaiba zu überzeugen.“ „Was?“, kam es erstaunt von Yuugi, der nun den Kopf hob und ihn mit seinem Blick durchbohrte. „Ich lasse nicht zu, dass du deinen Platz auf der Weltrangliste wegwirfst, nur weil Kaiba meint, er sei etwas Besseres als du. Vielleicht bin ich nicht sonderlich klug, aber einem Freund helfen, das kann ich wohl!“ Jounouchi schwang sich auf sein Fahrrad und eilte davon, ohne Yuugi überhaupt die Möglichkeit zu lassen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wenn er sich einmal für etwas entschieden hatte, dann ließ er sich nicht so einfach umstimmen. Vor allem dann nicht, wenn es um die Ehre seiner Freunde ging. Er konnte Yuugis Standpunkt sehr gut nachvollziehen, weil Kaiba auch ihn seit Jahren so behandelte, als wäre er einfach nur ein irrelevanter Duellant. Kaiba würdigte Jounouchi keines Blickes. Und das würde sich nun endlich ändern. Er hatte es nun endgültig satt wie ein Fußabtreter behandelt zu werden. Er hatte genug davon, dass Kaiba ihn so herablassend ansah und ernsthaft zu glauben schien, dass Jounouchi und auch Yuugi unter ihm standen. Der Kerl würde schon noch verstehen, dass weder Yuugi noch Jounouchi sich von ihm irgendetwas vorschreiben ließen. Zuhause angekommen warf er einen letzten Blick auf seine Karten. Auch er hatte seine Strategie verändert und nach all den harten Duellen, die er einst focht, gelernt, dass man sich niemals auf nur eine Strategie verlassen konnte. Es brachte rein gar nichts, wenn man nur darauf hoffte, die richtigen Karten zu ziehen. Man musste ein Deck zusammenstellen, das funktionierte und nicht nur davon abhing, ob man Glück hatte. Jounouchi hatte in der Vergangenheit immer mehr Glück als Verstand. Den Engels- und Teufelswürfel hatte er noch im Deck, aber viele andere Karten hatte er ausgetauscht. Er vertraute seinem Deck. Seinem Können. Er wusste, dass er gewinnen konnte, solange er nur an sich und Fähigkeiten glaubte und sich nicht unterkriegen ließ. Niemals aufgeben. Immer wieder aufstehen und weiter machen. Das hatte ihnen Atem auf ihrem Weg mitgegeben. „Kaiba, warte nur... ich werde dir die Augen öffnen“, knurrte er und legte seinen brandneuen Dueldisk und die Karten zur Seite, bevor er sich übermüdet ins Bett warf und fast wie tot zum nächsten Tag durchschlief. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Die Karten, die er von Bakura geschenkt bekommen hatte, waren seine Rettung. 200 Stück an der Zahl. Jonouchi staunte nicht schlecht, als er mit dem Zählen durch war und immer noch nicht glauben konnte, dass Bakura ihm so ein großartiges Geschenk gemacht hatte. Nicht nur Bakura. Auch Yuugi, der extra eine Feier für ihn geplant hatte. Shizuka, die extra für ihn hergekommen war und ihm Hoffnung und neuen Mut schenkte und Honda, der ihm ein eigenes Handy schenkte. Komischerweise hatte das Ding in der Nacht immer wieder geklingelt. Da er noch nie ein Handy besessen hatte, vor allem kein teures Smartphone, war er etwas überfordert mit der Handhabung dieses Geräts. Und es klingelte wieder. Jounouchi zuckte nur kurz zusammen, entschloss sich dann aber, das Teil zu ignorieren und nochmal seine Karten durchzugehen. Kaiba zu überzeugen würde schwierig werden. Worte waren keine Waffe, die ihn erreichen würden. Mal davon abgesehen, dass Jounouchi bei einem ernsten Gespräch mit diesem Mann im Nachteil war. Der Kerl genoss es mit seinem tollen Wortschatz anzugeben. Jounouchi erinnerte sich an ihre letzten Schultage. Kaiba war selten da gewesen, schrieb lediglich die Prüfungen und hielt zwei Referate. Seine Wortwahl und seine Präsentation waren absolut phantastisch, aber auch sehr hochgestochen, so dass Jounouchi und auch andere Schüler, immer wieder nachfragen mussten, um sich einzelne Wörter erklären zu lassen. Dass Kaiba nicht nur reich war, sondern auch hochintelligent, war für Jounouchi aber kein Grund aufzugeben. Um diesen Mann zum Zuhören zu bewegen, mussten andere Mittel her. Und das ging am besten über ein gutes, altes Kartenspiel! Er hatte recht viele, neue Karten, die er von Bakura bekommen hatte, in sein Deck gepackt. Starke Monster brachten ihm rein gar nichts, wenn er nicht genügend Monster zum Opfern auf dem Feld hatte. Also hatte er ein paar Monster rein genommen, die nur vier Sterne hatten und dennoch einen relativ hohen Angriffs- und Verteidigungswert. Jounouchi mochte starke Monster, insbesondere die Schwertkämpfer hatte er ins Herz geschlossen, aber er wusste, dass er sich nicht mehr auf eine einzelne Strategie verlassen konnte. Insbesondere da Kaiba kein Idiot war und sicher die Decks und Strategien sämtlicher Gegner auswendig gelernt hatte. Er verließ sein Zimmer. Sofort begrüßte ihn das laute Schnarchen seines Vaters, der beim Fernsehgucken eingeschlafen war und nun auf der Coach lag. Der Blonde murrte etwas genervt, schaltete den Fernseher aus und räumte den Tisch ab. Schrecklich. Immer diese ganzen leeren Bierdosen und Flaschen. Ein purer Saustall. Überhaupt nicht zu vergleichen mit dem schönen Haus von Honda oder mit dem Haus der Mutous. „Paps, ich bin dann weg!“, rief er ihm entgegen. „Halt die Fresse, ich will schlafen!“, bekam er als Antwort. Die Stimme seines Vaters war rau und es war ihm anzuhören, dass er nicht gestört werden wollte. Jounouchi tippte darauf, dass sein alter Herr einen Kater hatte, was bei der Menge, die er letzte Nacht in sich rein gekippt hatte, absolut kein Wunder war. Vermutlich würde er wieder den ganzen Tag verschlafen und nachts wieder aktiv werden. Jounouchi verdrehte die Augen und verließ das Haus, stellte sicher, dass die Tür geschlossen war. In der Innenstadt von Domino war einiges los. Überall auf den Straßen waren Duellanten zu sehen und sie fochten ihre Duelle. Lauter Jubel war zu vernehmen. Jounouchi atmete tief ein. Die frische Winterluft tat ihm unheimlich gut. Zum Glück hatten beide seiner Chefs ihn frei gegeben, also konnte er sich voll und ganz auf seine bevorstehenden Duelle konzentrieren. Hashimoto hatte ihm sogar viel Glück gewünscht und sagte, er würde ihn beim Finale anfeuern kommen. Jounouchi lief umher, ignorierte jedoch die meisten Duellanten, da er nur ein einziges Ziel vor Augen hatte. Wenn er es richtig verstanden hatte, dann gab es bei diesem Turnier ein Punkte System, das direkt vom Netzwerk aufgenommen und gespeichert wurde. Wer zwei Duelle verlor, war automatisch raus. Um weiter zu kommen, musste man fünf Duellanten geschlagen haben. Jonouchi hatte also fünf Versuche und zwei Tage Zeit, um das Finale zu erreichen. Ein Klacks! Im Moment hatte er aber nur Augen für einen. Für den großkotzigen Firmenleiter der Kaiba Corporation mit dem er den Boden wischen wollte, um ihn sein unverschämtes Verhalten ihm und Yuugi gegenüber heraus zu prügeln – verbal natürlich. Also machte er sich direkt auf den Weg zum Firmengelände, wo er den Brünetten am ehesten vermutete. Der Eingang war mit zwei Security Männern bewacht. Beide im schwarzen Anzug, weißen Hemd und schwarzer Krawatte, auch die modische Sonnenbrille durfte nicht fehlen. Davon ließ er sich aber nicht einschüchtern und stieg die Treppen gelassen herauf. Solange er keinen Ärger machte, würden sie ihm nichts tun. Auch als er die große Glastür erreichte, bewegten sich die beiden keinen Millimeter. Sie grüßten ihn nicht. Viel eher waren sie Teil der Deko. Andere würden sich Pflanzen vor die Eingangstür stellen, Kaiba gefährlich aussehende Hünen. Er hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache, als er im Eingangsbereich der Firma reinkam und ihn sofort das helle und gut klimatisierte Flair auffiel. Es war angenehm warm hier drin, überall prangerte das Logo der KC an den Wänden und er glaubte, zu erkennen, dass der Boden aus edlem Marmor gefliest worden war. Selbst die Wände sahen unheimlich edel aus, eine schicke Kombination aus Weiß und Schwarz, einzelne Rahmen in einem dunklen Braun. Viel mehr hatte er das Gefühl, sich einem sehr teuren Restaurant oder gar ein Fünfsternehotel aufzuhalten. Vom Eingang konnte er bereits ein Schild erkennen, auf dem das Wort „Mensa“ geschrieben stand. Als er den Infoschalter erreichte, bemerkte ihn die junge Frau zwar, schien ihn aber zu ignorieren. Sie hob nur ganz kurz ihren Blick, ehe sie wieder ihre Aufmerksamkeit dem Bildschirm vor sich wendete. Jounouchi räusperte sich. Keine Reaktion. Sein Auge zuckte gefährlich. Bloß nicht provozieren lassen. Das tat sie doch mit Absicht! „Verzeihung. Mein Name ist Jounouchi Katsuya und ich möchte gerne mit Kaiba sprechen“, begann er dann und wartete ungeduldig auf eine Antwort. Sie reagierte immer noch nicht. Scharf sog der Blonde die Luft ein und versuchte sich seine Wut nicht ansehen zulassen. Ob Kaiba sie dazu angewiesen hatte so zu reagieren? Oder war das schlicht und ergreifend die Art von seinen Angestellten? Vielleicht war es hier ja ganz normal Gäste zu ignorieren. „Verzeihung“, begann er etwas lauter, so dass sie den Kopf hob. „Ich bin nicht taub. Ich habe Sie wohl gehört. Haben Sie einen Termin vereinbart?“, fragte sie dann mehr nebenbei. Es schien sie aber nicht wirklich zu interessieren. „Einen Termin?“, wiederholte er perplex. Wozu? Für ein Duell brauchte er doch keinen Termin! Oder doch? „Kaiba-sama empfängt keine Besucher. Wenn Sie keinen Termin mit ihm haben, muss ich Sie darum bitten, wieder zu gehen. Das hier ist ein privates Firmengelände und kein Spielplatz.“ „Ich bin aber ein Duellant! Ich bin hier, um ihn herauszufordern und zu besiegen.“ „Hören Sie, Jounouchi-san, das hier ist kein Spielplatz. Duellieren können Sie sich mit den Duellanten draußen. In diesem Gebäude befinden sich Leute, die arbeiten müssen und wir haben einen festen, geregelten Arbeitsplan. Wenn Sie keinen Termin vereinbart haben, werden Sie jetzt gehen.“ „Kaiba macht doch auch bei dem Turnier mit, oder nicht? Dann sollte er sich wie alle anderen fair duellieren und sich seinen Platz erkämpfen. Stattdessen verkriecht er sich hier drin?!“ Sie seufzte. Verärgert zog sie die Augenbrauen runter und ließ nun ab von ihrer Arbeit, widmete sich nun dem ungebetenen Gast. Mittlerweile waren einige Angestellte, die vermutlich auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz waren oder gerade zur Mittagspause eilten, auf ihr Gespräch aufmerksam geworden und blieben wie gebannt stehen, um das Ergebnis mitzubekommen. Einige tuschelten bereits und Jounouchi fühlte sich zunehmend unwohler. „Kaiba-sama ist ein vielbeschäftigter Mann. Natürlich nimmt er am Turnier teil, doch er muss auch seine Termine einhalten. Wenn Sie sich unbedingt gegen ihn duellieren wollen, müssen Sie ihn außerhalb der Geschäftszeiten aufsuchen und das privat mit ihm klären. Ich bin nur eine Angestellte und mache hier nur meinen Job.“ Ihre Stimme war relativ ruhig, doch der Ärger war ihr anzusehen. Dass sie ihre kostbare Zeit mit einem dahergelaufenen Duellanten verschwenden musste, gefiel ihr gar nicht. Sie wurde fürs Arbeiten bezahlt und hatte keine Lust gefeuert zu werden, nur weil irgendein Jugendlicher meinte, er müsse sie vom Arbeiten abhalten und hier ein großes Theater veranstalten. „Aber, das ist sehr wichtig! Es geht hier nicht nur um mich“, bevor er überhaupt aussprechen konnte, spürte er die Präsenz von zwei Unbekannten, die sich an ihn angeschlichen hatten und nun mahnend ihre Hände auf seine Schultern legten. Links und rechts von ihm waren die Security Männer von draußen, die nun herangekommen waren, weil sie hier Gefahr witterten. Mist, die waren doch keine Deko. „Gehen Sie nun. Draußen warten sicher genügend Kontrahenten, gegen die sie sich duellieren können. Angenehmen Tag noch“, meinte sie dann und warf wieder einen Blick auf ihren Bildschirm und begann konzentriert auf die Tasten zu hämmern. Bevor Jounouchi noch etwas erwidern konnte, wurde er von den beiden Männern „freundlich“ heraus begleitet. Widerwillig entfernte er sich vom Firmengelände und murmelte wütend etwas vor sich hin. Was glaubte dieser Kaiba eigentlich wer er war?! Er hatte doch selbst das Turnier ins Leben gerufen und drückte sich vor den Vorrunden? Jounouchi war so erbost über Kaibas Verhalten, dass ihm die Gründe absolut egal waren. Sicher manipulierte er sogar noch das Netzwerk und hatte sich selbst bereits fünf Siege angerechnet, um bloß in die finalen Runden zu kommen. Er hatte immer geglaubt, dass Kaiba ein ehrenhafter Mann war. Ein arrogantes Arschloch, ja, das es genoss andere zu demütigen, aber niemand der sich vor einem Duell drückte und sich feige hinter seinem Schreibtisch verkroch. Noch einmal warf er einen Blick auf das riesige Gebäude und überlegte, wie er Kaiba doch noch zur Verantwortung ziehen konnte. Ihn zu besiegen war alles, was ihm nun wichtig war. Alles andere war nebensächlich. Da draußen warteten eine Menge Duellanten, also war die Reihenfolge vollkommen egal. Sich gegen Kaiba zu duellieren und ihm ordentlich die Meinung zu sagen, das war alles, was zählte. Ein stolzer Samurai wie es Jounouchi war, gab nicht einfach auf und fand immer einen Weg. Schnellen Schrittes lief er um das Gebäude herum. Allzu gut war die Bewachung nicht. Die beiden Typen am Eingang war alles, was er hier draußen erkennen konnte. Er schlich auf dem Gelände herum und suchte nach einem Weg hereinzukommen. Ein bisschen eigenartig fand er die mangelnde Bewachung schon, aber beschweren wollte er sich nun auch wieder nicht. Die gläserne Fassade in den oberen Stockwerken spiegelte den Himmel wieder, so dass er nicht allzu viel erkennen konnte. Der untere Bereich des Gebäudes jedoch war ganz normal mit Beton gebaut, also konnte ihn keiner von drinnen sehen. Er näherte sich dem Gebäude und fand eine Tür. „Nur für Mitarbeiter“, stand auf dieser. Neugierig drückte er die Klinke runter. Als die Tür sich tatsächlich öffnete, riss er aufgeregt die Augen auf. Bereits jetzt fühlte sich der junge Mann so, als hätte er einen großen Sieg errungen. Eigentlich war Jounouchi niemand, der seinen Gegner von hinten angriff, aber wenn ein direkter Angriff auf Kaiba nicht möglich war, musste er eben einen anderen Weg finden. Ein Überraschungsangriff war seine beste Option. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Gerade Mittagszeit. Die Gänge und einzelnen Stockwerke waren relativ leer, so dass er sich frei bewegen konnte. Die wenigen Mitarbeiter, die seinen Weg kreuzten, sagten auch nichts und machten keinerlei Anstalten ihn aufzuhalten. Entweder war es ihnen egal oder aber sie trauten sich nicht, die Anwesenheit des Fremden zu hinterfragen und weitere Schritte einzulenken. Einige von ihnen trugen sogar den neuen Dueldisk am Arm, was Jounouchi es umso leichter machte, unter den Leuten unterzutauchen und nicht aufzufallen. Warum trugen Kaibas Angestellte die Dueldisk? Ob es sich hierbei um ein langfristiges Experiment hielt, um weitere Daten abfangen zu können oder gewisse Forschungsergebnisse zu erhalten? Er konnte nur mutmaßen. Hastig schüttelte er den Kopf. Bloß nicht ablenken lassen! Als er den Fahrstuhl erreichte, linste er noch einmal nach links und rechts, um sicher zu stellen, dass ihn niemand folgte. Es war viel zu einfach. So einfach, dass Jounouchi langsam Bedenken kamen, ob er hier nicht blindlings in eine Falle lief. Als die Tür zum Fahrstuhl sich öffnete und ihm sofort die beruhige Musik entgegen kam, hüpfte er hinein und warf einen fragenden Blick auf die Etagenauswahl. Er staunte nicht schlecht, als ihm bewusst wurde, wie viele Etagen dieses Gebäude hatte. Es sah ja bereits von draußen gigantisch aus und auch von weiter weg konnte man das Gebäude aus der Stadt herausragen sehen, aber dass es tatsächlich so viele Etagen hatte, ließ ihn hart schlucken. In den Videospielen, die er mit Yuugi gemeinsam spielte, war der Boss immer ganz oben, also vermutete er, dass der Endboss hier sich ebenfalls auf der höchsten Etage befand. Für einen Moment zögerte er und er ließ seinen Finger auf der Taste. Nochmal tief durchatmen. Schade, dass das kein Videospiel war, ansonsten hätte er jetzt seinen Spielstand einfach abgespeichert und hätte sicher gehen können, nicht Game Over zu gehen. In der Realität ging das nicht. Dann drückte er den Knopf. Ihm lief der Schweiß die Stirn herunter. Er wurde regelrecht panisch. Er spürte, wie sich der Fahrstuhl auf den Weg nach oben befand. Innerlich sprach er sich selbst Mut zu. Er war ein Mann. Ein stolzer japanischer Samurai und jetzt zu kneifen kam keinesfalls mehr in Frage. Dafür war er viel zu weit gekommen. Er erinnerte sich an die Worte seiner Freunde vom Vorabend. Er war kein Feigling. Hier ging es um seine Ehre. Und darum, Yuugi zu helfen. Ob das einen Einbruch in die Kaiba Corporation rechtfertigte, konnte er nicht mit Gewissheit sagen, aber eine andere Möglichkeit sah er nun mal nicht. Kaiba sollte bloß nicht glauben, dass er sich alles erlauben konnte. Pling!, ertönte es und Jounouchi schreckte kurz auf. Endlich oben angekommen. Langsam öffnete sich die Tür vor ihm und er warf einen verstohlenen Blick in den Flur. Mit weit aufgerissenen Augen trat er heraus und staunte nicht schlecht über die Einrichtung. Die Wände waren in einem schimmernden Himmelblau gehalten in Kombination mit einem edlen Schwarz. Das Logo der KC, das an den Wänden als Teil des Tapetenmusters angebracht war, war in einem edlen Gold gehalten. Das musste die Chefetage sein. Hier befand sich der Endboss. Der gesamte Flur war wie leergefegt. Was war hier los? Roch verdammt nach einem Hinterhalt. Er versuchte sich damit zu beschwichtigen, dass die ganzen Angestellten bestimmt gerade in der Mittagspause und somit im Erdgeschoss in der Mensa waren. Und jetzt, wo er so weit gekommen war, würde sicher keiner mehr nachfragen, was er hier zu suchen hatte. Normalerweise würde hier niemand reinkommen. Normalerweise. Er durfte jetzt bloß nicht seine Deckung vernachlässigen und unvorsichtig werden. „Junger Mann, was tun Sie hier?“ Heilige Scheiße! Erwischt! Es lief ihm eiskalt den Rücken runter. Jounouchi schreckte auf und drehte sich ganz langsam um. „Sind Sie Yamamoto-san? Unsere Küchenhilfe hat sich krankgemeldet und wir warten schon lange auf Sie. Kaiba-sama wartet bereits auf seinen Mocca Kaffee und der Automat funktioniert nicht. Sie müssen mir helfen.“ Jounouchi grinste breit, rieb sich verlegen den Hinterkopf und entschloss einfach mal mitzuspielen. „Genau. Der bin ich. Ich werde mir das mal anschauen“, sagte Jounouchi mit so einer Selbstsicherheit in der Stimme, dass er selbst darüber staunte, wie unglaublich glaubhaft er diese Worte ausgesprochen hatte. Sein Gegenüber schien auch keinerlei Verdacht zu schöpfen und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Mist, für diese Darbietung hätte er einen Oskar verdient. Während er hinter dem Mann hinterherging, bildete er mit einer Hand eine Faust, verzog seine Gesichtsmuskeln und gab seine übliche Siegespose zum Besten. Jetzt gab es wirklich nichts mehr, das ihn aufhalten konnte. „Der Automat funktioniert nicht und ich selbst kenne mich damit nicht aus“, erklärte sein Gegenüber und wies auf das Gerät. Jounouchi staunte nicht schlecht. In dem Café in dem er arbeitete, befand sich ein ähnliches Gerät, das auch manchmal herumspann. Meistens half es den Ausschalter zu betätigen, das Teil aufzuschrauben und zu reinigen. Es kam schon mal vor, dass das Gerät durch zu viel Wasser verkalkte oder etwas verstopft war. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm er das Gerät vom Strom und tat das, was er immer tat. Zu seinem Erstaunen war tatsächlich nur der Ausfluss verstopft. Dadurch dass der Kaffee nicht durchlaufen konnte, war das Wasser übergelaufen und das Gerät hatte sich vorsichtshalber selbst ausgeschaltet, um keinen Kurzschluss zu verursachen. Der Blonde staunte darüber, dass ausgerechnet in einer Firma, die sich hauptsächlich mit Technologie, Informatik und Programmieren beschäftigte, ein kleiner automatischer Kaffeeautomat eine Herausforderung darstellte. „So, jetzt nochmal abtrocknen und anschließen...“, murmelte Jounouchi und verband das Gerät mit dem Strom. Zum Erstaunen seines Gegenübers lief es wieder einwandfrei. „So ein Automat muss regelmäßig gereinigt werden, ansonsten verstopft es und das Wasser kommt nicht durch. Zum Glück kam nichts in die Elektronik. In Zukunft müssen Sie da besser aufpassen, sagen Sie das auch Ihrer Küchenhilfe.“ „Selbstverständlich, Yamamoto-san. Ich danke Ihnen! Kaiba-sama wird unausstehlich, wenn er seinen Kaffee nicht bekommt. Er hasst es warten zu müssen.“ „Ja, hier ist das Einhalten von Terminen und Plänen wichtig“, sagte Jounouchi und wollte sich gerade zum Gehen abwenden, um seinen eigentlichen Plan in die Tat umzusetzen. „Kaiba-sama ist bestimmt schon schlechtgelaunt... Würden Sie eventuell gehen und ihm seinen Mocca bringen? Ich fürchte, dass er mich sonst feuert.“ Das lief einfach zu gut. Wo war der Haken an der Sache? „Das mache ich doch gerne. Keine Sorge. Ich werde Sie nicht verpetzen. Aber wo befindet er sich denn? In seinem Büro?“, fragte er mit einem zuckersüßen Lächeln nach. Der Mann schüttele kurz den Knopf, schaltete das Gerät ein, achtete darauf, dass die Flüssigkeit ordnungsgemäß herauskam und nichts kleckerte, ehe er dann wieder zum Blonden herüberschaute. „Ach, stimmt. Sie sind zum ersten mal hier. Kaiba-sama macht seine Mittagspausen im Himmelsgarten auf dem Dach. Normalerweise hat da niemand Zutritt und es gibt auch keine Kommunikationsmöglichkeiten dort, da Kaiba-sama keinesfalls gestört werden möchte. Nur das Küchenpersonal und Mokuba-sama dürfen dort hin. Ich gebe Ihnen den Schlüssel.“ Er kramte in seiner Hosentasche und gab ihn einen kleinen, goldenen Schlüssel. Der Griff war geformt wie der Kopf des Weißen Drachens. Mann, der Kerl liebte diesen Drachen wirklich. Manchmal fragte sich Jounouchi, ob das eine platonische Liebe war oder da nicht doch noch mehr hinter steckte. Wie konnte ein Mensch so krass vernarrt in eine Duel Monsters Karte sein? Na ja, sollte ihn jetzt nichts angehen. Wenn er genau darüber nachdachte, hatte er seinen Rotäugigen Drachen auch schon den ein oder andere Kuss gegeben, weil sie ihm bereits mehrmals den Arsch gerettet hatte. Er drehte sich bereits zum Gehen um und stand bereits unter der Türschwelle. „Ehm, Yamamoto-san? Was ist mit dem Mocca?“, fragte der Mann und hob skeptisch eine Augenbraue. „Oh!“, platzte es aus ihm heraus. „Natürlich, der Kaffee für Kaiba-sama. Ich bin etwas aufgeregt. Ich habe diesen großartigen Mann noch nie persönlich gesehen.“ Gott, Jounouchi hätte kotzen können. Aber er durfte keinesfalls aus seiner Rolle fallen, ansonsten machte er sich nur verdächtig. Wenn er Kaiba besiegt hatte und hier raus war, musste er sich einmal den Mund waschen. Und mit Mundwaschen meinte er viel mehr, Kaiba auf Übelste zu beschimpfen und niederzumachen, um das, was er gerade eben gesagt hatte, wieder auszugleichen. „Er ist manchmal etwas forsch, aber im Grunde ein guter Mann. Nur wenn er schlechtgelaunt ist, sollte man wirklich einen großen Bogen um ihn machen“, lachte sein Gegenüber und Jounouchi stimmte mit ein. Hastig erklärte ihm der Küchenangestellte noch, welchen Weg er nehmen musste. Als er den Kaffee nahm und den Gang entlang wanderte, staunte er immer noch über die edle Einrichtung und die schönen Tapeten. Dieser doofe Kaiba... wenn er doch so viel Geld hatte, sollte er doch besser für gute Zwecke spenden und anderen Menschen helfen, anstatt hier so viel zu verschwenden und sein Ego mit Gold zu befriedigen. Er eilte die Treppen hinauf, achtete dabei genau darauf, nichts zu verschütten. Irgendwie war ihm der Job als Kellner in Fleisch und Blut übergegangen. Es gab gar keine Notwendigkeit für ihn, auf das heiße Getränk aufzupassen oder es tatsächlich gar dem Firmenchef zu übergeben, trotzdem passte er auf, nichts zu verschütten. Sein Job als Kellner hatte ihm hier echt den Allerwertesten gerettet. Vor der Tür zum Dach blieb er stehen. Bereits jetzt zeichnete sich ein breites, siegreiches Grinsen auf seinen Lippen ab und er konnte gar nicht mehr abwarten, Kaibas Visage zu sehen, wenn anstatt Yamamoto-san ein Weltklasse Duellant wie er vor ihm stand. Komisch war es aber schon. Niemand hatte etwas gegen den Dueldisk an seinem Arm gesagt. Und kaum Bewachung. Lag es daran, dass der Dueldisk von der KC vertrieben wurde und das Topprodukt schlechthin war? Wenn er genau darüber nachdachte... in der Küche hatte auch ein Dueldisk gelegen. Mitten auf dem Tisch. Kaiba dieser Mistkerl. Hier warfen sie mit den Dingern rum und er musste mit seinem alten, kaputten Gerät rumlaufen. Da hätte er doch locker welche verschenken können. Zu seiner Überraschung war die Tür geöffnet. Langsam schlich er sich hinein. Überall Pflanzen und Blumen. Saftiges Grün. Frische Luft, aber nicht kalt. Eigenartig, dass im Winter die Luft hier oben so warm war. Lag vermutlich an der Glaskuppel, die sich über dem Dach befand. Wieder draußen zu sein, weg von den übertrieben verzierten Wänden, erfrischte ihn nicht nur, sondern gab ihm wieder das Gefühl von Freiheit. Da drinnen hatte er etwas eingeengt gefühlt. Das war also der Himmelsgarten und irgendwo hier befand sich Kaiba, der auf seinen Kaffee wartete und vermutlich aus allen Wolken fallen würde, wenn er seinen Besucher empfand. Schnell verschloss Jounouchi die Tür, damit der reiche Snob bloß nicht kneifen konnte. Den Schlüssel verstaute er in seiner Hosentasche. »Dich mache ich platt...!«, dachte er und grinste von seinem Ohr zum anderen. Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Er staunte immer noch über die schönen, exotischen Pflanzen und wandte seinen Kopf suchend hin und her. Irgendwo hier musste Kaiba doch stecken. Durch diese Pflanzenpracht hatte er wenig Möglichkeit die Umgebung gut zu durchblicken, also musste er sich vorsichtig voran tasten, um bloß nicht in eine Falle des Firmenleiters zu treten. Das hier war immerhin ein Überraschungsangriff! Fragend blieb er vor einer der exotischen Pflanzen stehen. Allein die Zusammensetzung empfand er als eigenartig. Er fühlte sich, als wäre er inmitten eines Regenwalds gelandet. Palmenblätter und gigantisch wirkende Bäume, deren breite Wurzeln das Vorankommen schier unmöglich machten. Am Boden Laub und Pilze. Wo war er denn hier gelandet?! Hier und da bunte Blüten, die prachtvoll und besonders kontrastreich sich von dem satten Grün abhoben. Orchideen, die nicht nur unglaublich hübsch anzusehen waren, sondern auch seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Abgelenkt von den schönen Blumen, ließ er seine Umgebung außer Acht. Gerade, als er glaubte, über eine Wurzel zu stolpern, zog sich sein ganzer Körper vor Schreck zusammen. Scheiße, jetzt würde er auch noch den Kaffee verschütten! Moment, der war gerade so ziemlich nebensächlich, er wollte sich keinesfalls seine hübsche Nase brechen. Mit großen Erstaunen stellte er fest, dass er immer noch auf beiden Beinen stand und dass die Wurzel keinerlei Substanz hatte. »Das sind alles Hologramme? Die sehen so echt aus! Ist das etwa das neue Hologrammsystem, das Kaiba vorstellen will? Ich gebe es ungern zu, aber ich bin positiv überrascht...«, beendete er seinen Gedankenmonolog und machte sich auf den Weg, um den Firmenchef zu finden. Musste echt praktisch sein, allein mit technischen Hilfsmitteln die gesamte Welt ins Wohnzimmer zu holen, so brauchte man gar nicht aus dem Haus gehen und sah trotzdem viel von der Welt. Jounouchi blieb erneut stehen. Auf dem Boden sah er eine rote Blüte, die an ein Pokémon erinnerte. Wie hieß das Ding nochmal? Rafflesia? Bestimmt war das Pokémon von dieser Pflanze inspiriert. Wieder was dazugelernt, stellte er fest und ging weiter. Hinter den mit Lianen zugewucherten Bäumen, konnte er eine weiße Liege und einen weißen Tisch erkennen. Diese Gartenmöbel stachen derart aus der restlichen Kulisse hervor, dass man sie nicht übersehen konnte. Da war der Endboss. Nochmal ganz tief durchatmen und wieder zur Ruhe kommen. Jetzt nochmal die Ausrüstung checken! Dueldisk? Check! Deck? Check! Gutes Aussehen? Doppel und dreifach Check! Da konnte doch nichts mehr schief gehen! Er kam den Tisch näher und blieb nur einen Meter von Kaiba entfernt stehen. Dieser hatte die Augen geschlossen und schien ihn nicht bemerkt zu haben. Auf dem Tisch lag sein Deck und einige Unterlagen. Jetzt musste ihm ganz schnell ein ziemlich cooler Spruch einfallen... nur was? Verdammt, das war gar nicht so einfach. Dabei wollte er sich doch besonders cool inszenieren, aber jetzt, wo er Kaiba beinahe hilflos vor sich liegen sah, blieb ihm die Spucke weg. Schlief er etwa? War der sonst so perfekte Kaiba etwa bei der Arbeit eingeschlafen? Schadenfreude machte sich breit. Ganz so perfekt sind wir also auch nicht, Mister Ich-bin-was-Besseres-als-du. Aber sonst so tun, als wärst du ein absolutes Lebewesen, in Wirklichkeit bist du auch nur ein Mensch, schoss es ihm durch den Kopf. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, hatte er den Brünetten noch nie schlafen oder ausruhen sehen. Oder gar essen. Auch während ihrer gesamten Schulzeit nicht. Auch nicht bei Turnieren. Kaiba erweckte dein Eindruck eines äußerst seriösen und ernstzunehmenden Geschäftsmannes, der in allem bewandert war und mit seiner übermenschlichen Professionalität herausstach. Es gab nichts, was er nicht konnte. Auch ungeplante Herausforderungen und Probleme bewältigte er mit Bravur und gab dabei eine wirklich grandiose Figur ab. Vermutlich war es Jounouchis kindliches Ego, welches dies nicht einsehen wollte und vielleicht sogar darum beneidete. Kaiba war in vielem besser als er, aber mit aller Macht kämpfte er umso mehr darum, von ihm anerkannt zu werden. Es gab vieles, das zwischen ihnen lag. Vor allem aber ihre Sturheit. Jounouchi konnte ihm nicht verzeihen, was er Yuugi angetan hatte oder eher gesagt, antun wollte. Wenn es um Kaiba ging, war er derart nachtragend, dass es ihn selbst erstaunte, wie lange er diesen Groll aufrecht erhalten konnte, ohne sich dabei zu langweilen. Na ja, jeder Mann brauchte eben einen Rivalen, der einen dazu antrieb, sich weiter zu entwickeln. Einen ultimativen Feind, mit dem man zufällig denselben Weg teilte. In Filmen konnten die Helden und ihre Rivalen meist ihren Zwist beiseite legen und wurden zu wichtigen Kameraden und unterstützten sich gegenseitig, aber Jounouchi fand das schon immer unrealistisch. Ein Neuanfang war schwierig und es musste schon so einiges geschehen, damit verletzte Gefühle und die Wut darüber, nicht vollwertig behandelt worden zu sein, verschwanden. Und Jounouchi konnte es nicht ausstehen, wie Kaiba glaubte, dass er diese Vergangenheit einfach begraben konnte, ohne sich je für seine Taten zu entschuldigen. Außerdem kommandierte er Yuugi herum und schien ernsthaft zu glauben, dass dieser nach seiner Pfeife tanzte und alles tat, was er von ihm verlangte. Dieser Irrglaube des Brünetten, das alles und jeder ihn als zentralen Mittelpunkt ansah und wie selbstverständlich er es nahm, dass Yuugi ihm verziehen hatte, kotzte ihn an. Yuugi war einfach zu liebenswert. Zu gut für diese Welt! Jawohl! Kaiba hatte seine Aufmerksamkeit gar nicht verdient. Grrr... doofer Kaiba. Du hast gar keine Ahnung, was du an Yuugi hast! Ich war auch echt gemein zu Yuugi, aber im Gegensatz zu dir, habe ich mich entschuldigt und beweise jeden Tag, wie viel mir an ihm liegt. Und du? Arschloch, du denkst wohl, die Welt dreht sich nur um dich..., grummelte er gedanklich weiter. Und schon war seine Sorge verschwunden und ihn hier und jetzt aufzuwecken, würde nichts sein, was er bereuen würde, sondern etwas, woran er auch später noch mit einem Lächeln zurückdenken würde. Er würde es so sehr genießen, ihn aus seinem friedlichen Schlaf zu reißen. Vor Aufregung stellten sich seine Nackenhaare hoch und er atmete nochmal tief ein. „Kaiba! Ich fordere dich zum Duell heraus!“, rief er so laut, dass er Tote hätte wecken können. Kaiba schrak hoch und starrte ihn mit großen Augen an. Er war komplex perplex und musste erst mal wieder einen klaren Gedanken fassen. Jounouchi genoss diesen Ausdruck auf seinem Gesicht. So überrumpelt hatte er den eingebildeten Firmenleiter noch nie gesehen. Allein dafür hatte sich das Einbrechen in die KC gelohnt. Obwohl es ja genau genommen kein richtiger Einbruch war, da die Türen ja offen standen. Kaiba brauchte nur wenige Sekunden, um wieder klar denken zu können und erhob sich von seiner Liege. In seinen Augen brannte ein Feuer, angestachelt von Zorn und Abscheu. Hätten Blicke töten können, wäre Jounouchi auf der Stelle tot umgefallen. Wenn es etwas gab, das Kaiba nicht ausstehen konnte, dann waren es drittklassige Duellanten, die sich in seine Privatsphäre drängten und keinerlei Respekt Höherrangigen gegenüber hatten. Diesen absoluten Idioten würde er hier und jetzt an seinen Platz zurechtweisen! „Duuu...“, knurrte er gefährlich und er kostete ihn alles an Beherrschung, ihn nicht am Kragen zu packen und durch die Gegend zu schleudern. Was machte der Blonde überhaupt hier? Oder war das hier etwa ein Alptraum? Ja, er hatte die halbe Nacht lang wachgelegen und darüber nachgedacht, ob seine Entscheidung, Yuugi dieses Päckchen zu überliefern, nicht doch zu weit ging, da er genau wusste, dass dieser liebenswerte Gutmensch den Dueldisk direkt an Jounouchi weitergeben würde und er es ein wenig bereute, diese Lachnummer indirekt unterstützt zu haben. Und jetzt verfolgte die schrecklich grinsende Visage ihn sogar am Tag? Das musste doch ein schlechter Scherz sein. Und dann noch diese vulgäre Aussprache! Gott, wie er es hasste, wenn Leute sich so vulgär ausdrückten! Keinerlei Manieren besaß dieser Kerl und so etwas machte ihn rasend. „Was machst du hier? Du hast hier nichts zu suchen! Wie bist du in meine Firma reingekommen?!“, wollte er wissen und die bis eben herrschende Ruhe fand ein jähes Ende. „Ha, ist doch ein leichtes für ein Genie wie mich!“, prahlte Jounouchi und zwinkerte Kaiba zu, der sich dermaßen provoziert von dieser Geste fühlte, dass sein Auge begann zu zucken und er daraufhin den Blick senkte. Sein Gesicht lag im Halbschatten seines Ponys, sodass seine Mine umso finsterer und bedrohlicher wirkte. Er tobte innerlich vor Wut. „Ich wusste, dass es eine schlechte Idee war, die Sicherheitsvorkehrungen zu senken. Ich hätte doch mehrere Wachmänner hier lassen sollen...“, murmelte er genervt vor sich hin und versuchte nicht die Fassung zu verlieren. Sein Geduldsfaden war bereits gerissen und am liebsten hätte er jetzt die Security gerufen, doch leider war sein Himmelsgarten so designet, das niemand außer Mokuba, seine Küchenangestellten und er selbst hierher kommen konnten. Das hier war sein Hort der Ruhe. Hier konnte er ungestört seine Gedanken schweifen lassen. Fern vom Stress des Alltags. Mithilfe des Hologrammsystems schuf er eine einmalige Kulisse, die er je nach seinem Befinden anpasste und ihm Abwechslung in seinem Arbeitsalltag brachte. Wald, Meer, Wüste, Regenwald oder gar eine Vulkanlandschaft – alles möglich mit seiner Technologie. Das hier war sein Territorium. Und dass ausgerechnet dieser gar schäbige Kerl in seinen privaten Raum eingedrungen war, erzürnte ihn unendlich! Gestresst rieb er sich die Schläfen. Einatmen. Ausatmen. Ruhig bleiben. Bis zehn Zählen. Das nützte alles nichts! Er hatte den Großteil seiner Wachmänner abrücken lassen, damit diese in der Stadt für Ordnung sorgten. Bei seinem Battle City Turnier war es zu genügend Ausschweifungen gekommen. Dieses Mal musste er besonders vorsichtig sein und sämtliche Störfaktoren im Vorfeld beseitigen. Wieder Raritätenjäger, die andere Duellanten bedrohten? Sie gar verletzten und bestohlen? Nicht mit ihm! Noch einmal würde er eine solche Schmach nicht zulassen. Niemand durfte sich in sein Turnier einmischen und er erlaubte es nicht, dass sein guter Ruf als Firmenleiter der Kaiba Corporation von unzivilisierten Barbaren, die sich nicht zu benehmen wussten, beschmutzt wurde. Also hatte er vorsichtshalber fast alle Wachmänner in der Stadt positioniert und diese damit beauftragt, die Duelle zu bewachen und im Notfall einzuschreiten. Im Leben hätte er nicht damit gerechnet, dass irgendjemand bescheuert genug war, in seine Firma einzubrechen! Das hier war doch keine Sehenswürdigkeit, wo man als Tourist fröhlich ein und ausspazieren konnte. Was bildete sich dieser Trottel überhaupt ein? „Jounouchi, ich habe nie sonderlich viel von dir gehalten, aber ich habe immer daran geglaubt, dass du ein Mindestmaß an Intelligenz besitzt, um dich im normalen Leben zurechtzufinden und dich an Regeln zu halten“, begann er seinen Redeschwall. Erst ruhig und besonnen, dann immer spitzzüngiger und spöttischer. „Dass du die Dreistigkeit besitzt, auf meinem Firmengelände herumzuspazieren, ist die Spitze des Eisbergs. Das Maß ist nun endgültig voll!“ Kaiba streckte seinen Arm von sich, als wollte er Jounouchi damit signalisieren, so schnell wie möglich zu verschwinden, bevor er explodierte. Doch dieser rührte sich nicht und sah ihn einfach nur herausfordernd an. Dann zuckte Jounouchi kurz, nicht um sich zum Gehen zu wenden. Stattdessen ging geradewegs auf den Tisch zu, wo er die Kaffeetasse abstellte. Kaiba war perplex von dieser Handlung. Ihm fehlten die Worte. Wie konnte ein Mensch nur so unverschämt sein? „Ich sagte, ich bin gekommen, um mich gegen dich zu duellieren. Und ich bleibe so lange, bis du meine Herausforderung annimmst. Denkst du ernsthaft, dass du dich hier verkriechen kannst? Glaubst wohl, du wärst was Besseres, was?!“, zischte er und drehte sich dann zu ihm um. In seinen Augen war Zorn zu erkennen. Kaiba, der mindestens genauso geladen war, versuchte dennoch die Ruhe zu behalten. Weder Mokuba noch Yuugi waren hier. Jedes Mal, wenn die Situation zu eskalierten drohte, waren es entweder Yuugi oder sein Bruder, die die beiden von ihren Streitigkeiten abhielten und sich dazwischenschoben. Es war das erste Mal, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden und niemand sie störte. Eines musste er ihm ja doch hoch anrechnen, denn dass er ihn bis hierher verfolgte und tatsächlich den Mumm hatte, ihn in seinem Territorium herauszufordern, bewies von Mut. Oder aber von unendlicher Dummheit. Was es auch war, der Starrsinn dieses Kerls war etwas, das man anerkennen musste. Den Willen zu kämpfen brauchte jeder Duellant, aber der Wille allein reichte nicht, um einen Sieg zu erringen. Man brauchte auch die richtigen Fähigkeiten, so auch seine Strategie dem Gegner anzupassen und diesem immer ein oder mehrere Züge voraus zu sein. Jounouchi war ein Trottel, der nie sonderlich weit vorausdachte. Kaiba zweifelte daran, ob er dazu überhaupt in der Lage war. Jemand, der bequem von einem Tag zum anderen lebte und sich nie über die Konsequenzen seiner eigenen Entscheidungen gewahr wurde oder sich gar die Frage stellte, was die Zukunft brachte, konnte wohl kaum in der Lage sein, ein Duell mehrere Züge im Voraus zu planen. Und das konnte er an ihm nicht ausstehen. Er nannte sich Duellant, aber nahm das Duellieren an sich und die Kunst des Kartenkämpfens überhaupt nicht ernst! Ein Duellant war ein Mensch, der unentwegt voranschritt, stets den Blick in Richtung Zukunft gewandt und sich von nichts und niemanden aufhalten ließ. Das Duellieren an sich war eine Kunst, kreiert durch die Vorstellung der Duellanten, die mit wachem Blick ihren Fokus in Richtung Zukunft richteten. Das Aufeinandertreffen zweier Seelen war ein Akt, so atemberaubend und einzigartig, welches jedes Duell zu einem ganz besonderen Ereignis werden ließ. Doch Jounouchi war ein stümperhafter Amateur, der nur den Spaß in einem Duell sah. Jemand, der nicht in der Lage war, die wahre Bedeutung und die pure Ästhetik zu erkennen. Es gab Spieler und Duellanten. Und letztere waren Menschen, die ihre Seelen aufeinandertreffen ließen und dazu bereit waren, sich zu verändern und sich weiterzuentwickeln. Ein Duellant lebte für das Duellieren und genoss den Kampf. Erfahrungen sammeln und an Stärke gewinnen. Ein Krieg fand zwischen zwei Nationen statt, mehrere Fronten trafen aufeinander und wer auch immer gewann, war der Sieger und somit im Recht. Kaiba betrachte das Duellieren als persönlichen Kampf. Gegen seine eigenen Schwächen. So kämpften in einem Duell nicht nur die Karten gegen die gegnerischen Monster, sondern auch der Spieler gegen seine eigenen Schwächen im Herzen und nur der Sieg, das Aufeinanderprallen zweier mächtiger Seelen, die bereit waren, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, konnten einen Menschen dazu bringen, diese Schwächen zu überwinden. Kaiba hatte gegen Atem gekämpft und gegen seine Vergangenheit. Nur weil Atems Seele so unvergleichlich schön und makellos war, konnte Kaiba als Mensch reifen und sich verändern. Veränderung und Weiterentwicklung, das war das Ziel eines jedes Kampfes. Über seine eigenen Grenzen hinauszuwachsen und neue Dimensionen zu entdecken. Doch ein normaler Spieler, der sich nie mit der Tiefsinnigkeit des Duellierens befasst hatte, würde dies niemals verstehen. Gute Karten oder gar ein nagelneuer Dueldisk waren reine Verschwendung, als würde man Perlen vor die Säue werfen. Menschen, die immer und immer wieder dieselben Taktiken und Strategien verwendeten, waren es nicht wert Duellanten bezeichnet zu werden. Jounouchis gesamtes Deck basierte auf Glück. Ständig wiederholte er seine Züge und seine Monsterkarten hatte er seit der Highschool nicht mehr geändert. Dieselben Zauber und Fallenkarten. Dasselbe alt bekannte Schema und er versuchte nicht einmal, seine Strategie zu überdenken. Nein, nicht nur seine Karten basierten auf Glück. Er überließ sein ganzes Leben dem Zufall und eine solche Einstellung konnte er bei einem Duellanten nicht dulden. Dass Jounouchi es wagte, sich Duellant zu bezeichnen, war frivol. Eine Beleidigung! Blasphemie! Wenn es etwas gab, das Kaiba nicht leiden konnte, dann Menschen, die sich zu sehr an der Vergangenheit klammerten. Duellanten, die sich an ihren Erfolgen in der Vergangenheit klammerten und den Wandel der Zeit nicht erkannten. Duel Monsters mochte ein Spiel sein, doch ein wahrer Duellant erkannte die Tiefsinnigkeit dahinter, vor allem wenn zwei Seelen, die zu allem bereit waren, aufeinandertrafen. Die Gefühle, die geweckt wurden und das Adrenalin, das durch die Adern gepumpt wurde. Jounouchi war seiner Meinung nach kein richtiger Duellant. Ihm fehlte die Ernsthaftigkeit und ihn aufzuziehen genoss er umso mehr, da er nicht einmal versuchte, wie ein Mann zu kontern. Ihm fehlte es an Charisma. Er hinterließ keinen bleibenden Eindruck und immer, wenn er in Yuugis Nähe auftauchte, drehte sich Kaibas Magen um. Dass Yuugi einen solchen Volltrottel überhaupt an seiner Seite ertragen konnte, war für ihn unverständlich. Jounouchi lebte von den Erfolgen seiner Vergangenheit. Und je mehr er darum kämpfte, anerkannt zu werden, desto mehr verlor Kaiba die Achtung für diesen. Nein, Taten waren wichtiger als Worte. Ein Mann – nein – ein Duellant musste bereit sein, alles aufs Spiel zu setzen und die Vision seiner Zukunft verfolgen. Ein Duellant musste eine genaue Vorstellung dessen haben, was er erreichen wollte und dafür kämpfen und dies bedeutete, Einsatz zeigen, der über das Teilnehmen an lokalen Turnieren hinausging. Wer mit der Intention kämpft, einzig und allein Ruhm zu erhalten und Anerkennung zu erlangen, bewies, dass er eine schwache Seele hatte. Es war armselig, wie sehr Jounouchi versuchte, von anderen besseren Duellanten angesehen zu werden, während sein gellendes Gelächter und seine laute Stimme die Atmosphäre zerstörte. Er verhielt sich nicht einmal ansatzweise wie ein Duellant. Jounouchi war leicht zu provozieren und auch das fand Kaiba amüsant. Seine Reaktionen waren genauso vorhersehbar wie sein Deck. Als er ihm in diesem Restaurant traf, da hatte er für einen kurzen Augenblick geglaubt, dass er sich verändert hätte, dass er reifer geworden wäre, aber nein. Es schien, als wäre Jounouchi Katsuya in seiner Entwicklung stehengeblieben und somit auch sein Deck. Kein Hauch von Anmut. Keine Grazie. Es sprang einfach kein Funke über. Yuugi dagegen war ein perfekter Rivale und er hatte sich den Titel als König der Duelle redlich verdient, denn er wusste, wie wichtig es war, sich weiterzuentwickeln. Yuugi war nicht vorhersehbar, zumindest seine Fähigkeiten als Duellant und seine atemberaubenden Züge und Strategien und wie er sich aus einer scheinbar ausweglosen Situation rettete, machten ihn zu einem großartigen Duellanten. Sein Körper und sein Charakter waren klein, aber seine Seele ebenso faszinierend und schön, wie man es von einem wahren Duellanten erwartete. Atem und Yuugi, sie beide zeigten in ihrem Wesen, wie ein Duellant sein sollte. Diese beiden Männer hatten Kaibas Herz berührt und es gab nur wenige Menschen, zu denen Kaiba aufsah und ihnen Anerkennung entgegenbrachte. Lächerlich. Wie konnte dieser Kerl es nur wagen, ihn mit seinen kindischen, lachhaften, peinlichen Deck herauszufordern? An ihm verschwendete er nur Energie. Einen solchen Gegner konnte er nicht ernst nehmen und er weigerte sich, ihn als Duellanten anzuerkennen, solange dieser auf einer Stelle trat. Nein, jemand, der nicht mal sein eigenes Leben in den Griff bekam und abhängig von der Hilfe und Güte anderer war, konnte er nicht für voll nehmen. „Ich bin etwas Besseres als du, Jounouchi. Und das weißt du ganz genau. Ich muss mich nicht beweisen und ein Duell mit dir wäre pure Zeitverschwendung. Und jetzt verschwinde aus meiner Firma, bevor ich dich hochkant herauswerfen lasse.“ „Wie bitte?!“, wiederholte Jounouchi ungläubig. Jounouchis Zündschnur war nicht sonderlich lang und Kaiba hatte mit dieser Reaktion bereits gerechnet. Gleich ging die Bombe hoch. Als nächstes würde er ihn beschimpfen. Irgendein vulgäres Schimpfwort, das vermutlich aus seiner Zeit als Rowdy und Bandenmitglied hängengeblieben war und von dem er glaubte, dass er ihn damit treffen, gar verletzen würde, während er über diese Einfältigkeit beherzt lachte. Dieses simple Verhaltensmuster war einfach nur amüsant! Ja, beleidigen konnte er gut. Aber Argumente liefern? Richtig kontern? Seinen Gegner strategisch aushebeln? Angriff war die beste Verteidigung. Ob in einem Gefecht der Worte oder einem Duell der Karten, die Offensive war stets Jounouchis erste Lösung. Denn weiter als das konnte er nicht denken. „Du hast mich schon richtig verstanden“, spöttelte Kaiba weiter und zuckte mit den Schultern. „Du verdammter Bastard! Was bildest du dir eigentlich ein?!“, schimpfte Jounouchi und formte seine Hände zu Fäuste. Gewalt war die zweite Lösung, stellte Kaiba fest. Äußerst interessant. Wie weit konnte er gehen? Würde Jounouchi letztendlich zur Gewalt greifen, wenn er sich in eingekesselt fühlte? Würde er wie ein verletztes Tier wild um sich beißen – also anstatt mit Worten mit Gewalt antworten? Was musste Kaiba tun, um ihm eine Reaktion zu entlocken, die er noch nicht kannte? Wie sehr musste er ihn in seiner Ehre verletzten und ihn demütigen, damit er mal etwas Neues ausprobierte? Warum finden wir das nicht hier und jetzt heraus, dachte er und grinste in sich hinein. Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- „Ich bilde mir nichts ein, im Gegensatz zu dir. Ich habe in meinem Leben sehr viel erreicht. Mein Name ist weltweit bekannt und die Menschen ehren und fürchten mich zugleich. Und du? Was hast du erreicht?“, fragte Kaiba und versuchte dabei so zu klingen, als würde er sich tatsächlich für die Antwort interessieren, aber eigentlich wusste er ganz genau, was Jounouchi sagen würde. „Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, gehöre ich auch zu den weltbesten Duellanten! Auch ich bin auf dem Duel Network gelistet. Also tu nicht so, als wäre ich irgendein unbekannter Neuling, der noch nie eine Karte aufs Feld gelegt hätte!“, kam es euphorisch von Jounouchi. Kaiba seufzte nur theatralisch und verschränkte nun die Arme. Wie bemitleidenswert. „Oh, stimmt... du bist gelistet. Ganz vergessen. Zu deiner Information: jeder Spieler, der einen Dueldisk trägt wird gelistet und im Duel Network gespeichert und jeder, der möchte, kann sich für die Weltrangliste bewerben, sofern er an offiziellen Turnieren teilnimmt. Jeder Dueldisk muss registriert werden, damit er funktioniert. Aber ich habe mir schon gedacht, dass du solch komplexe Hintergrundinformationen gar nicht verstehst“, antwortete Kaiba so ruhig und gelassen, dass Jounouchi für einen Moment innehielt und ihm gedanklich recht geben musste, doch genauso schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Er wollte ihm diese Genugtuung nicht gönnen. Schon wieder tat er so, als wäre Jounouchi geistig zurückgeblieben und das machte ihn rasend! „Trotzdem habe ich sieben Sterne und das bedeutet, dass ich ein ernstzunehmender Gegner bin“, argumentierte Jounouchi und stemmte die Hände in die Hüften. Sieben Sterne waren eine Menge! Die Maximalzahl betrug acht. Yuugi hatte acht Sterne und war auf der Weltrangliste seit Jahren ganz oben, da bisher niemand ihn in offiziellen Spielen besiegen konnte. Viele der Namen auf der Bestenliste waren bekannt und so gehörte Jounouchi auch zu jenen Duellanten, die seit Jahren immer wieder auftauchten und ihren Platz wacker verteidigten. Er war also kein unbeschriebenes Blatt. Außerdem hatte ihn sogar die Frau am Infocenter wieder erkannt. Es nervte ihn, dass Kaiba ihn nach all den Jahren immer noch nicht als Gegner ernstzunehmen schien und sich das Recht vorbehielt, sich sogar über ihn lustig zu machen. „Und trotzdem will es mit der Karriere als Pro Duelist nicht klappen. Ich frage mich, woran das liegt... wenn nicht daran, dass da jemand in seiner eigenen Phantasiewelt lebt und nicht schafft, auf den Boden der Tatsachen zu kommen? Hm?“ „Falls es dir nicht aufgefallen ist, bin ich auf den höheren Plätzen vertreten und seit Jahren nicht im Ranking abgestiegen.“ „Aber auch nicht aufgestiegen. Selbst Kujaku Mai hat sich einen Namen gemacht. In Amerika gehört sie zu den beliebtesten Duellanten und hat eine große Fangemeinde. Du bist ein Noname, Jounouchi. Niemand will wissen, wer du bist, wo du herkommst, geschweige denn wärst du interessant genug, als dass man einen Artikel über dich im Duelist Today drucken würde“, entgegnete Kaiba ihn. Alles Fakten. Alles Dinge, die wahr waren. Yuugi war weltweit beliebt. Mit seinem lieben Lächeln und seiner charismatischen Ausstrahlung während seiner Duelle gehörte er nicht nur den beliebtesten, sondern auch zu den sympathischsten Duellanten der Szene. Alle Duel Monsters Fans sprachen von Begeisterung von der Rivalität zwischen Kaiba – dem Entwickler des Hologrammsystems und die Welt der Medien prägte – und Yuugi – dem unscheinbaren und überfreundlichen Jungen, der bei einem Duell zu einem völlig anderen Mensch wurde und jedes Spiel gewann – während niemand auch nur ein Wort über Jounouchi verlor, obwohl dieser stets bei sämtlichen Turnieren neben Yuugis Seite erschien. Er war das Anhängsel, mehr nicht. Vollkommen uninteressant. Höchstens ein Maskottchen. Aber auch als solches nicht niedlich genug, um wieder erkannt zu werden. Traurig. Sicher wusste Jounouchi das genauso wie er und konnte sich diese Tatsache einfach nur nicht eingestehen, weil sein Stolz es ihm verbot, dies zu akzeptieren. Also strampelte er weiter und bemühte sich darum, gesehen zu werden, während andere Duellanten die Leiter des Sieges immer weiter hinaufkletterten und einen enormen Schatten auf ihn warfen. Dieser Vorsprung war mittlerweile so groß geworden, dass ein wahres Wunder geschehen musste, damit er wieder aufholen konnte. Ein Trauerspiel, mehr nicht. Es war absolut Fremdscham erregend, dass Jounouchi selbst nicht einmal merkte, dass er eine Witzfigur war. Und wenn man ehrlich war, wer nutzte denn heutzutage noch Karten aus der ersten Generation? Duel Monsters entwickelte sich immer weiter, genauso wie die Duellanten. Jemand, der Alligatorschwert (1500ATK/1200DEF) in seinem Deck hatte und dies als Mainmonster nutzte, obgleich diese Karte keinerlei Effekte oder gar Nutzen hatte, musste doch zurückgeblieben sein. Ein Bauernopfer mehr nicht. Kaiba konnte nur den Kopf schütteln. Er stellte sein Deck regelmäßig um. Das einzige Monster, das er niemals austauschen würde, war der Weiße Drache mit eiskaltem Blick, doch alle anderen Karten ersetzte er durch stärkere, um so sicher zu stellen, dass sein Gegner ihn nicht durchschauen konnte oder gar ein Ante-Deck erstellte. Jounouchi senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Selbst wenn Kaiba Recht gehabt hätte, war das noch lange kein Grund, ihm das so unter die Nase zu reiben. Dieses arrogante Arschloch genoss es etwas zu sehr, ihn niederzumachen. Er wusste es doch selbst. Nach ihm fragte keiner. Die Jungs am Infocenter hatten auch über ihn gelacht und er hatte gespürt, wie einige der anderen Teilnehmer mit dem Finger auf ihn gezeigt hatten. Doch das würde hier und jetzt ein Ende nehmen. Er hatte einen Entschluss gefasst und würde der Welt beweisen, wozu Jounouchi Katsuya imstande war. Er hatte genug davon, nur belächelt zu werden. Mit seinem neuen Deck und seinen neuen Karten würde er beweisen, dass er mehr drauf hatte, als einen Würfel zu werfen und darauf zu hoffen, ein gutes Ergebnis zu bekommen. Doch wenn man ihm nicht mal die Chance gab, zu beweisen, dass er sich geändert hatte, würde sich nie etwas ändern. Kaiba beurteilte ihn. Er hatte Vorurteile und es ärgerte Jounouchi, dass er ihm nicht die Möglichkeit gab, zu zeigen, was er drauf hatte. „Das gehört alles der Vergangenheit an! Ich werde dir schon noch zeigen, dass ich stärker geworden bin. Nimm meine Herausforderung an, wenn du Eier hast!“, forderte er einmal mehr und zeigte nun Schuld zuweisend auf Kaiba. Wieder dieses ekelhafte süffisante Grinsen. Kaiba sah auf ihn herab. Er nahm ihn überhaupt nicht ernst! Viel mehr fühlte es sich so an, als würde er direkt durch ihn hindurchsehen und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Der Brünette rümpfte die Nase, schüttelte den Kopf und wandte sich zum Drehen. „Komm wieder, wenn du deine Ausdrucksweise überdacht hast“, gab er nebenbei von sich, sammelte seine Unterlagen und sein Deck ein und bewegte sich in Richtung des Ausgangs. Jounouchi starrte ihn wortlos hinterher. Das... war jetzt nicht sein Ernst, oder? Ließ er ihn etwa hier stehen? Einfach so? „Was stimmt mit meiner Ausdrucksweise denn nicht, hm?! Gib doch zu, dass du nur zu feige bist, dich gegen mich zu duellieren, weil du genau weißt, dass ich dich plätten würde!“ „Feige? Ich? Nein, ich habe nur deutlich Besseres zu tun, als mich mit Ungeziefer zu beschäftigen. Dafür habe ich Angestellte. Ich mache mir doch nicht die Hände an einer Kakerlake wie dir schmutzig“, lachte Kaiba und blieb dann doch stehen, drehte sich noch einmal um und grinste frech. „Ich sage dir etwas, Jounouchi. Du bist ein Versager und du wirst genauso enden wie dein Nichtsnutz von Vater. Am Ende wirst du eine Schnapsdrossel wie er und bist auf die Hilfe des Staates angewiesen oder schmarotzt bei Yuugi, weil du allein nichts hinkriegst. Du bist es nicht wert, dass man sich mit dir befasst“, erklärte er und zuckte mit den Achseln. »Ich... und wie mein Vater? Niemals! Ich werde niemals so sein wie er! Was bildet er sich ein... das geht ihn überhaupt nichts an!« Jounouchis Mund war leicht geöffnet und er hatte seine Augen weit aufgerissen. Mit Fassungslosigkeit und Entsetzen starrte er Kaiba an, brachte kein einziges Wort heraus. Jounouchis Gesicht verfinsterte sich und er biss die Zähne zusammen. Er war nicht gerade stolz auf seinen Vater und er würde niemals auf die Idee kommen, Freunde zu sich nach Hause einzuladen, weil er genau wusste, dass es viel zu gefährlich war, wenn er da war. Vor allem dann, wenn er wieder zu viel getrunken hatte und seine schlechte Laune an anderen ausließ. Aber sein Vater war mehr als nur ein Säufer! Er war ein Mensch. So sehr Jounouchi es auch wollte, er konnte ihn nicht hassen. Ihn zurückzulassen, brachte er nicht übers Herz. Jeden Tag erinnerte ihn das Bild seines Vaters, der mit Bierdosen und lautem Geschnarche auf der Coach schlief, daran, wie er niemals werden wollte. Er war eine Mahnung. So wollte er niemals werden. Er war nicht wie sein Vater. Er wollte mehr erreichen in seinem Leben. Mehr sein, als jemand, der von staatlicher Stütze lebte oder auf die Hilfe anderer angewiesen war. „Nimm das zurück...“, sagte er mit zittriger Stimme und bemühte sich darum, nicht laut zu werden. „Was zurücknehmen?“, kam es gespielt unwissend von Kaiba, der sichtbar genoss, seinen Gegenüber zu ärgern. „Du sollst das zurücknehmen! Du weißt ganz genau, was ich meine! Was weißt du denn schon von mir und meiner Familie?!“, schrie er ihm entgegen und kam einige Schritte näher. Nur wenige Zentimeter trennten die beiden voneinander. Doch Kaiba dachte gar nicht daran, aufzuhören. Immerhin wollte er testen, wie weit er gehen konnte, bis Jounouchi tatsächlich explodierte. Wie oft hatte er denn schon die Gelegenheit Jounouchi die Meinung zu sagen? Fast nie. Immerhin klebte Yuugi ja immer an ihm. Sie waren unzertrennlich und jedes Mal, wenn er einen sarkastischen Kommentar abließ, verteidigte Yuugi ihn und verhinderte, dass die beiden weiter miteinander stritten. Doch jetzt konnte er das tun, was er schon immer tun wollte. Ihn, der Versager, der er nun mal war, zurück auf den Boden der Tatsachen holen und ihn mit der harschen Realität konfrontieren. „Nein, ich nehme nichts zurück. Eines Tages wirst du genauso enden wie er. Erbärmlich. Mir tut es leid um Yuugi, der sich deiner annimmt. Er hat ein viel zu gutes Herz und erkennt nicht, dass deine Anwesenheit nicht nur ihm selbst, sondern auch seinem Ruf schadet“, seufzte Kaiba theatralisch. „Du verdammtes Arschloch!“, schrie Jounouchi und er tat das, was er sonst niemals gewagt hatte. Er holte zum Schlag aus und zielte auf Kaibas Gesicht. In diesem Moment war er nicht mehr in der Lage klar zu denken. Alles war verwischt. Unwichtig. Nur Zorn war da. Das Gefühl von Ohnmacht und die Furcht davor, dass er Recht haben könnte. Er zweifelte manchmal an sich selbst. Auf keinen Fall wollte er so enden wie sein Vater. Verdammt. Verdammt nochmal! Und jetzt hatte er aus Emotionen gehandelt. Kaiba landete unsanft am Boden, seine Karten und Unterlagen flogen durch die Gegend und segelten wie Laubblätter zu Boden. Ausdruckslos sah Jounouchi den Brünetten an. Er hatte die Situation noch nicht realisiert. Seine Hand war immer noch zur Faust gebildet und befand sich auf mittlerer Höhe. Seine Hand fühlte sich heiß an. Kaiba röchelte, brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu fassen. Er schmeckte Blut. Seine Wange pochte. Unglaublich, wie viel Kraft der Kerl hatte. Kaiba hätte schwören können, dass er trainiert hatte. Zumindest konnte er eines mit Sicherheit sagen: das hier war nicht das erste Mal, dass Jounouchi zum Schlag ausgeholt hatte. Er hatte eindeutig Erfahrung. Instinktiv hatte er einen Punkt anvisiert und zugeschlagen, wohl wissend, dass er mit einem gezielten Schlag seinen Gegenüber außer Gefecht setzen konnte. Kaiba stellte nüchtern fest, dass ihm schwindlig war und dass es ihm schwerfiel, geradeaus zu schauen. Er analysierte im Detail, was geschehen war. Jounouchi hatte mit seiner Faust seine linke Wange getroffen und das mit einer derartigen Wucht, dass er von den Füßen gefegt wurde. Aus der Nase atmen konnte er aufgrund der Menge des Blutes, die hinauslief nicht und bereits jetzt spürte er, wie sein Gesicht anschwoll. Sein Gehirn musste ebenfalls Schaden genommen haben, da er eine leichte Benommenheit verspürte. Nachdem er seine Analyse abgeschlossen hatte, kam er zum Schluss, dass seine Verletzung nicht allzu schlimm war. Sie verletzte zwar seinen Stolz, aber gefährdete nicht sein Leben. Jounouchi sagte immer noch nichts. „Ha“, brachte Kaiba hervor und bemühte sich aufzustehen. Langsam richtete er sich wieder auf, vermied es Jounouchi anzusehen und machte sich daran, seine Karten aufzuheben. Er ließ sich den Schmerz nicht ansehen. Er war Schlimmeres gewohnt. Ein Mann musste Schmerzen ertragen können und das hier war nichts im Vergleich zu der Schmach eines verlorenen Duells. „Sagte ich doch. Wie der Vater so der Sohn. Wenn du nicht mehr weiter weißt, suchst du dein Heil in der Gewalt“, erklärte er trocken und hob seine Karten weiter auf. „Das... wollte ich nicht“, murmelte Jounouchi. Vor Aufregung fiel es ihm schwer zu atmen. Er rang nach Luft und jeder Atemzug fühlte sich wie ein Messerstich in seinem Brustkorb an. „Und trotzdem hast du dein wahres Wesen gezeigt. Widerlich. Verschwinde von meinem Grundstück.“ „Es tut mir leid, Kaiba. Ich... ich...!“, kam es von Jounouchi, der immer noch nach den richtigen Worten rang. Seine Stimme zitterte. Was war denn nur in ihn gefahren? Auch wenn Kaiba ihn beleidigt hatte, durfte er ihn doch nicht einfach schlagen. Gewalt war keine Lösung und das wusste er doch selbst. Wieso nur hatte er derart die Beherrschung verloren? Er hasste sich selbst dafür, dass er die Kontrolle verloren hatte. Seine Unterlippe bebte und er starrte Kaiba mit leeren Blick an. Kaiba war verletzt. Er blutete. Und vermutlich würde seine Wange und sein Auge auch noch blau werden. Scheiße. Was hatte er nur angestellt? Dabei wollte er nie wieder so sein! Niemals wieder wollte er seine Probleme mit Gewalt lösen. Er wollte ein vorbildlicher Mann sein. Jemand, zu dem man aufsah. Jemand, der andere Duellanten inspirierte und ihnen Mut gab. Er wollte beweisen, dass es vollkommen egal war, welche Herkunft man hatte und wie viel Geld man besaß, sondern dass das Herz und der Wille allein entscheidend über Sieg oder Niederlage war. Er hatte seiner Vergangenheit den Rücken zugekehrt und wollte ein ehrliches, normales Leben führen. „Ich sagte, du sollst jetzt gehen. Ich werde die Polizei nicht benachrichtigen, mach dir deshalb keine Sorgen. Ich weiß, dass du vorbestraft bist und Yuugi würde es mir niemals verzeihen, würdest du wegen mir im Knast landen“, erklärte er monoton. Jetzt schien Jounouchi wieder etwas ruhiger zu sein. Endlich zeigte er die Demut, die er sonst vermisste. Vielleicht würde er jetzt endlich mal nachdenken und Gebrauch von seinem Erbsenhirn machen. „Es tut mir wirklich Leid, Kaiba. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich wollte mich doch nur mit dir duellieren!“ „Verblödet und taub scheinbar auch...“, raunte Kaiba genervt und erhob sich nun vom Boden. Er ließ sich den Schmerz nicht ansehen und bewahrte seine elegante Ausstrahlung. Das Blut tropfte an seinem Kinn herab und sickerte in seinen weißen Anzug und auf den Boden. Gut, dass er das Meeting mit seinen zukünftigen Geschäftspartnern bereits hinter sich hatte. Nicht auszudenken, was die Leute von ihm denken würden, würde er so unter die Leute gehen. „Sag mal, hast du es an den Ohren? Ich sagte, du sollst jetzt gehen“, knurrte Kaiba bedrohlich und warf ihm vernichtende Blicke zu. Vermutlich wirkte er gerade weniger einschüchternd als sonst. Kaiba wusste aber, dass er dieses Unglück selbst heraufbeschworen hatte. Er hatte Jounouchis Geduld testen wollen und nun wusste er wie einfältig dieser gestrickt war. Er hatte damit gerechnet, dass Jounouchi als letzten Ausweg zur Gewalt greifen würde, aber dass der Kerl so viel Kraft hatte, damit konnte ja keiner ahnen. Und dann auch noch so schnell. Kaiba war kein Kampfkünstler, aber er beherrschte sämtliche Kniffe der Selbstverteidigung, doch dieser eine Schlag war so schnell gekommen, dass er ihm nicht mehr ausweichen konnte. Nun, wenigstens war der Blonde in einem gut. Trotzdem änderte das rein gar nichts daran, dass er ihn nicht hier haben wollte. „Aber...“, kam es aufgebracht von Jounouchi, der ihn beinahe bemitleidend ansah. Es war ihm anzusehen, dass es ihm leidtat und eigentlich wollte Kaiba auch nicht weiter darauf herumreiten – denn ja, er hatte es ja provoziert und wusste, dass so etwas passieren konnte – aber dieser Blick, dieses Mitleid in seinen Augen, konnte er nicht ertragen. Niemand sollte ihn bemitleiden! „Sieh dir genau an, was du angerichtet hast. Denk drüber nach. Du willst immer mit dem Kopf durch die Wand. Menschen wie du widern mich an, Jounouchi. Ein bisschen mehr Demut würde dir gut zu Gesicht stehen. Vielleicht solltest du mal in Betracht ziehen, erst nachzudenken und dann zu handeln“, begann er und hielt den Augenkontakt zum Blonden, welcher dieses Mal keine Anstalten machte, ihn zu unterbrechen oder gar zu beleidigen. Es schien ihn wirklich selbst am meisten zu schockieren und konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war. „Du brichst in meine Firma ein, hast die Dreistigkeit mich in einem der wenigen Momente, wo ich mir eine Auszeit erlaube, zu wecken und nimmst dir dann noch das Recht heraus, Forderungen zu stellen. Und das in einem dermaßen anmaßenden Ton, dass ich mich frage, ob du auch nur den Hauch von Anstand in dir hast. Und das nur, um deinen Willen durchzusetzen.“ „Ich...“, flüsterte Jounouchi kaum hörbar. Jetzt wurde ihm erst so richtig klar, wie kindisch sein Verhalten gewesen war. „Deine Entschuldigungen interessieren mich nicht. Sei froh, dass du mit Yuugi befreundet bist, denn wenn er nicht wäre, würde ich dich jetzt abführen lassen und dich bis auf den letzten Yen verklagen. Aber ich schätze Yuugi und würde ich dich einbuchten lassen, würde das für immer zwischen uns stehen. Wer weiß, ob er meine Herausforderungen zukünftig noch annehmen würde?“ „Yuugi wird deine Herausforderung ohnehin nicht annehmen“, erklärte Jounouchi und Kaiba konnte in seinen Augen sehen, dass er die Wahrheit sagte. Aber was meinte er damit? War auch das ein verzweifelter Akt? „Unsinn“, entgegnete Kaiba, wurde jedoch jäh unterbrochen. „Ich meine es ernst, Kaiba! Yuugi wird zu deinem Turnier nicht kommen. Deswegen bin ich hier! Eigentlich wollte ich dir nur sagen, dass Yuugi nicht kommt, weil er sauer auf dich ist und ich wollte dich mithilfe des Duells dazu bringen, ihm zu antworten.“ „Oh? Und das hättest du nicht innerhalb meiner Sprechzeiten tun können? Oder meiner Rezeptionistin eine Nachricht hinterlassen? War es wirklich notwendig, mich derart zu belästigen?“ „Nein, war es nicht... ich gebe zu, dass ich vielleicht etwas kindisch gehandelt habe und es tut mir echt leid und...“ Jounouchi sah ein, dass er eine Dummheit gemacht hatte. Und das genügte Kaiba vorerst. Einsicht war ein Schritt zur Besserung, obwohl er nach wie vor kein sonderlich gutes Bild von dem Blonden hatte und nicht vorhatte, seine Meinung zu ändern. Es brachte ihm nichts, sich über diesen Idioten zu ärgern. Vielleicht war es auch einfach nur der Schmerz in seinem Gesicht und der Geschmack von Blut, der ihn dazu antrieb, ihn möglichst schnell loszuwerden und sich nicht weiter auf endlose Diskussionen einzulassen. „Schon gut, lassen wir das jetzt. Verschwinde. Tun wir so, als wäre das hier nie passiert und tragen unsere Differenzen im Finale aus. Vorausgesetzt, du hältst solange durch.“ Jounouchi nickte und warf noch einen Blick über die Schulter, ehe er die Tür wieder aufschloss und sich auf den Rückweg machte. Er schämte sich jetzt dafür hierher gekommen zu sein. Vielleicht hatte Kaiba sogar recht mit dem, was er gesagt hatte. Er hatte seine Gefühle nicht unter Kontrolle und hatte Gewalt als letzte Lösung gesehen, um seinen Standpunkt zu untermauern. Darauf konnte er nicht stolz sein und jetzt wollte er erst recht beweisen, dass viel mehr in ihm steckte. Trotzdem fand er es komisch, dass Kaiba ihn einfach gehen ließ. Hatte er ihn aus Rücksicht zu Yuugi gehen lassen oder steckte da doch mehr? Sein Kopf war erfüllt von Fragen und er konnte nicht geradeaus denken. Er hatte Scheiße gebaut. So viel stand fest und er musste Kaiba zeigen, dass es ihm wirklich leidtat. Denn ja, Kaiba war ein gottverdammter Scheißkerl und er konnte ihn bis auf den Tod nicht ausstehen, aber es war nicht richtig, seine Dominanz mithilfe von Gewalt zu beweisen. Er wollte Kaiba in seinem eigenen Metier besiegen und ihm beweisen, dass er nicht mehr der Anfänger von damals war. Kapitel 13: Kapitel 13 ---------------------- Niedergeschlagen verließ er das Firmengelände der Kaiba Corporation. Hoffentlich war die Verletzung in Kaibas Gesicht nicht allzu schlimm. Seine Faust pochte immer noch und die Haut, die sein Gesicht berührt hatte, fühlte sich ganz heiß an. In letzter Sekunde hatte er seinen Schlag abgebremst, denn hätte er mit voller Kraft zugeschlagen, wäre der Firmenleiter sicher so schnell nicht mehr aufgestanden. Es war schon eigenartig, dass er nach all den Jahren immer noch wusste, wie er zuschlagen musste, um seinem Gegenüber so richtig wehzutun. Instinktiv hatte er zugeschlagen und im selben Moment, wo seine Faust das Gesicht des Brünetten berührte, hatte er ein beinahe wehmütiges, nostalgisches Gefühl empfunden; als wäre er in der Vergangenheit zurückgereist. Er musste daran denken, wie er mit Hirutani durch die Straßen gestreift war und wie er sich mit Älteren angelegt hatte. Jounouchi hatte nie mit Schwächeren gekämpft. Das ging gegen seine Natur. Auch wenn er wusste, dass sein Gegner stärker war als er und ihm haushoch überlegen, nahm er jede Herausforderung an, nur um sich selbst davon abzulenken, wie schwach und hilflos er war. Er hatte es immer auf stärkere Gegner abgesehen. Jemanden zu besiegen, der mächtiger war als man selbst, gab einem ein unglaublich gutes Gefühl. Zumindest hatte er auf diese Weise sein Selbstvertrauen und sein Selbstwertgefühl aufpoliert. Es dauerte nie lang, bis er jedoch wieder in den Abgrund stürzte und nach neuen Herausforderungen suchte. Einen Polizisten beleidigen und weglaufen? Anfängerlevel. Nicht aufregend genug. Eine Packung Kaugummis klauen? Mit ein bisschen Geschick und Achtsamkeit konnte das jeder lernen, mal davon abgesehen, dass es immer noch einige Konbiniläden gab, wo es keine richtigen Sicherheitsmaßnahmen gab. Das Gesetz herauszufordern und Verbotenes zu tun, hatte ihn damals gelockt und ihm ein Hochgefühl gegeben, das er sonst in seinem Alltag vermisste. Sich mit Stärkeren zu prügeln und zu gewinnen, brachte ihm auch die Anerkennung seiner Bande, vor allem von Hirutani. Eine Zeit lang hatte er nur dafür gelebt... Jounouchi hörte die Klingel der Schule und atmete erleichtert aus. Endlich weg hier. Er hasste diese Klasse. Immer sahen sie ihn an, als wäre er Abschaum. Er gehörte zu der niedrigen Unterschicht. Seine Armut war ihm schon anzusehen. Die Schuluniform, die er trug, hatte er einem älteren Schüler geklaut, welcher aus Rücksicht auf seine Situation, nicht mal Anzeige erstattete, sondern sie ihm freiwillig überließ. Seine Familie hatte kein Geld für eine Schuluniform, geschweige denn für Schulbücher und Materialien, mal davon abgesehen, dass es ihn ohnehin nicht interessiert hätte. Jounouchi hasste nicht nur seine Klasse, sondern auch die Schule als solches. Hier war ein Ort, wo er mit Missmut hineinging und wo Menschen ihn anhand der Menge des Geldes, die ihm zur Verfügung stand, beurteilten. Er war arm. Dumm. Ungebildet. Kein guter Umgang. Mit diesem Kerl sollte man sich nicht abgeben und sich bloß von ihm fernhalten. Die Blicke seiner Mitschüler und auch des Lehrpersonals schmerzten, aber diese Schwäche würde er sich niemals eingestehen oder gar diesen Leuten die Genugtuung geben, ihr Ziel erreicht zu haben. Ihre Blicke waren wie Pfeile, die ihn durchbohrten. Mit den Händen in den Taschen stapfte er die Treppe hinab. War ja auch egal... immerhin stand der Schulwechsel bevor. Genauso wie Hirutani würde er auf die Rintama Highschool wechseln und sich dort einen Namen als Schläger machen. Dort wurde nicht zu den Strebern und vorbildlichen Schülern hochgesehen, sondern zu den coolen Jungs. Was hatte man denn auch davon, für die Schule zu lernen? Jounouchi verstand nicht, warum er sich überhaupt die Mühe machen sollte. Vielleicht war er einfach nur zu jung und naiv, um den Sinn dahinter zu erkennen, doch er hatte schon früh gelernt, dass es nicht darauf ankam, was man wollte und wie sehr man für etwas kämpfte, sondern darum, mit wie viel Geld man in diese Welt geboren wurde. Reiches Elternhaus war gleichbedeutend mit guter Ausbildung, einem phantastischen Job und einem perfekten und vom Anfang bis Ende durchgeplanten Leben. So wie Honda Hiroto. Sie waren im selben Alter und obgleich er ein perfektes Leben vor sich hatte, weil seine Eltern die Firmeninhaber eines gigantischen Autokonzerns waren, wollte er mit dem Abschaum der Gesellschaft abhängen. Honda lief Jounouchi geradezu hinterher und anfangs hatte er sein Verhalten und seine Begeisterung auch nicht hinterfragt. Bis zu dem Zeitpunkt, als ihm klar wurde, dass Honda die Chance auf ein wunderbares Leben wegwarf. Und wozu? Wie hatte es Hirutani ausgedrückt? Ach ja, genau. Um zu rebellieren. Das taten Jugendliche in ihrer Pubertät schon mal. Die Eltern schocken und herausfordern und ihnen zeigen, dass man eine eigenständige Person war und auf sich selbst aufpassen konnte. Vermutlich hatte Honda bisher ein wohlbehütetes Leben gehabt. Liebende Eltern, die nach der Schule mit einem warmen Mittagessen und fröhlichen Gesichtern auf ihren Sohn warteten. Eine ältere Schwester, die stets für ihn da war und sich seiner annahm, wenn er jemanden zum Reden brauchte. Nein, Honda passte überhaupt nicht zu ihm. Er wusste nicht warum es ihn so sehr störte, dass Honda sein Leben wegwarf und Jounouchi sogar als seinen Freund bezeichnete – nicht dass Jounouchi an so etwas wie Freundschaft je geglaubt hätte, absoluter Kommerzscheiß, ein Ammenmärchen für Menschen, denen alle Türen offenstanden – obwohl er ihn mehrmals beleidigt hatte. Erst gestern hatte er sich mit Honda geprügelt. Hirutani hatte ihn anerkennend zu gepfiffen und ihm auf die Schulter geklopft. Honda konnte Hirutani nicht leiden. Der war ein schlechter Umgang. Der verdarb die Menschen um sich herum und zerstörte ihre Seelen. Oder so ähnlich. Hatte Jounouchi nicht interessiert, immerhin wusste er, dass der Kerl ein verdammt schlechter Umgang war und dass nichts Gutes aus ihrer Nutzbeziehung entstehen konnte, trotzdem hatte er sich dazu entschieden, ihm zu folgen, da er bei diesen Kerlen, die Hirutani als seine Gang bezeichnete, aber genau genommen nur willenlose Untergebene waren und alles taten, was man ihnen befahl, immerhin das Gefühl hatte, erwünscht zu sein. Hier bekam er eine Art von Liebe. Nicht die Liebe, die er sich wünschte und brauchte, aber es war genug, um ihn am morgen zum Aufstehen zu bewegen. Weder in der Schule noch zuhause war er willkommen. Wo sonst sollte er denn hin? Honda hatte keine Ahnung, immerhin hatte er liebende Familie und einen Ort, wo er immer zurückkehren konnte. Es war nicht so, dass er dieses Leben wegwerfen musste, sondern dass er von sich aus die Wahl getroffen hatte, dass er bei Jounouchi sein wollte. Idiot. Hätte Jounouchi die Wahl gehabt und eine liebende Familie, hätte er niemals diesen Weg gewählt. Es war besser, wenn sie sich aus dem Weg gingen. Honda sollte ein normales Leben führen. Das war das Beste für beide. Als der Blonde das Schultor passierte, fiel sein Blick auf Honda, der scheinbar schon auf ihn gewartet hatte. „Jounouchi... gestern war die Polizei bei mir zu Hause“, erklärte er nüchtern. Sein Blick war ernst. „Und? Hast du ihnen gesteckt, wer die Scheiben bei dem neuen Restaurant eingeworfen hat?“, grinste Jounouchi frech. Nachdem er gestern Honda eine verpasst hatte, war er mit Hirutani losgezogen und hatte die Stadt unsicher gemacht. Honda hatte er einfach zurückgelassen. Was mischte sich dieser auch immer in seine Entscheidungen ein? Ging ihn doch nichts an. Es war mitten in der Woche gewesen und der nächste Tag ein Schultag, aber das hatte ihn nicht aufgehalten. Dann schlief er eben in der Schule. Es beachtete ihn ja ohnehin keiner, also konnte er tun und lassen, was er wollte. Solange er seine Mitschüler in Ruhe ließ, sagten nicht einmal die Lehrer etwas zu ihm und das war in Ordnung so. War ja nicht so, als bräuchte er die Anerkennung einer Person, die dafür bezahlt wurde, anderen Menschen Wissen zu vermitteln und ihnen Begeisterung vorzuheucheln. Diese ganze Gesellschaft war ein Lügenkonstrukt. Hirutani war stolz auf ihn und hatte ihm sogar eine Packung Zigaretten geschenkt, nachdem sie erfolgreich die Scheiben eingeschlagen und geflüchtet waren. „Nein, das würde ich niemals machen. Und das weißt du. Aber sie wissen, dass du es warst und sie suchen nach dir. Auch wenn du mir nicht glauben willst... ich bin dein Freund und ich bitte dich darum, einen Gang runterzuschalten!“ „Was geht dich das denn an, hm?! Geh zurück in deine kunterbunte Welt und lebe in deiner Blase, du weißt, dass ich da drin keinen Platz habe. In Wirklichkeit freust du dich doch drüber, also tu nicht so, als würde es dich jucken“, erklärte Jounouchi und spuckte vor Honda auf den Boden, um ihn zu provozieren. Honda zeigte sich nur wenig beeindruckt. Überall nur Heuchler! Sie alle taten so, als würde es sie interessieren, aber am Ende spielten sie das Interesse nur, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen und sich selbst als guter Mensch bezeichnen zu können. „Du weißt, dass das absoluter Schwachsinn ist. Im Gegensatz zu Hirutani stehe ich immer hinter dir und würde meine Hand ins Feuer für dich legen. Würde er das auch tun? Wird er dir, wenn es brenzlig wird, zur Seite stehen? Denk mal drüber nach!“ „Darüber muss ich gar nicht nachdenken. Hirutani hat sich nie als mein Freund bezeichnet. Unsere Beziehung zueinander ist eine Zweckgemeinschaft, mehr nicht. Ich tue, was ich will. Und wenn ich Bock auf Fenster einschlagen habe, dann mach ich das halt. Solange mich keiner erwischt, ist es doch okay, oder?“ „Spinnst du?!“, knurrte Honda und packte ihn am Kragen. Jounouchi wandte den Blick ab. Honda konnte sagen, was er wollte, am Ende war es ihm doch nicht ernst. Da ging es ihn nur um seinen Ruf als guter Bürger. Als Vorbild. Immer tat er so nett, aber Jounouchi war sich sicher, dass man ihm Ernstfall auf niemanden zählen konnte. Am Ende ging es doch jeden nur um sich selbst. „Du wirfst dein Leben und deine Zukunft weg, Jounouchi!“, mahnte er mit lauter Stimme und spuckte dem Blonden dabei ins Gesicht, sodass dieser genervt stöhnte und ihn jetzt von sich drückte. „Ich hatte nie eine Zukunft!“, brüllte er ihm entgegen und wischte sich den Speichel von der Wange. Honda wurde still, senkte den Blick und kämpfte um Beherrschung. Worte konnten diesen Kerl nicht überzeugen. Musste es denn immer Gewalt sein? Wieso weigerte sich dieser Starrkopf so vehement, seinen Worten Glauben zu schenken? Honda war sich sicher, dass sein Kumpel sehr viel Schlimmes in seinem Leben durchgemacht haben musste und sehr viel verloren hatte, weshalb er so reagierte, wie er es jetzt tat. Er konnte nicht mehr vertrauen. Weder seiner Familie. Noch seinen Mitschülern. Auch Honda nicht. Um ihn zu überzeugen, musste man sich beweisen. Doch wie sollte sich Honda beweisen? Wie sollte er diesem Trottel nur klar machen, dass ihm wirklich etwas an ihm lag? Seit Beginn der Mittelschule hatte Jounouchi sein Interesse geweckt. Niemand wollte mit ihm reden. Er war der Außenseiter. Die Jungs und Mädchen ihrer Klasse zeigten mit dem Finger auf ihn und lachten ihn aus. Die Armut war ihm ins Gesicht geschrieben. Doch Honda sah da mehr drin. Er sah das brennende Feuer in seinen Augen und auch die Zweifel, die ihn plagten. Bisher hatte er immer nur Menschen um sich gehabt, die sich bei ihm einschleimten. Immerhin war er der Sohn eines reichen Firmenleiters und es konnte ja nur Vorteile mit sich bringen, so einen als Freund zu haben, oder? Je mehr Honda erkannte, dass seine „Freunde“ sich nicht für ihn interessierten, sondern für die Vorteile, die eine Freundschaft mit sich brachte, desto mehr sehnte er sich nach Menschen, die anders und ihm gegenüber ehrlich waren. Jounouchi war der ehrlichste Junge in seinem Alter, den er kannte. Er sagte immer das, was er dachte. Als Honda ihn im Flur angesprochen hatte, hatte er ihn ausgelacht. „Was will denn ein reicher Schnösel von mir? Verpiss dich!“, hatte er ihm ins Gesicht gesagt und es war das erste Mal, dass ihn jemand als Person gesehen hatte und nicht Rücksicht auf den Status seiner Familie genommen hatte. Jounouchi war ein roher Diamant. Er wusste nur noch nicht, wie schön er war, weil keiner sich die Mühe gemacht hatte, die Ecken abzuschleifen und ihm zu wahren Glanz zu verhelfen. Je mehr er sich mit Jounouchi beschäftigt hatte, umso größer wurde sein Wunsch, diesen näher kennenzulernen. Zeit mit ihm zu verbringen. Also hatte er ihn paar Mal in der Pause aufgesucht. Sie hatten geredet – na ja, eigentlich hatte nur Honda geredet und Jounouchi aufmerksam zugehört. Irgendwann hatte sich tatsächlich so etwas wie eine Bindung entwickelt. Trotzdem wählte Jounouchi Hirutani und ließ Honda links liegen, wenn dieser kam. Es war nicht so, dass Jounouchi ein schlechter Mensch war, sondern dass sein Umfeld ihn zunehmend ins Negative veränderte. Hirutani bemühte sich sehr darum, Jounouchi möglichst weit fern von Honda zu halten und Honda hatte dies sofort erkannt. Hirutani hatte gespürt, dass der nette Honda eine Gefahr für seine willenlose Waffe war, die er dabei war, zu züchten. Es war offensichtlich, dass Hirutani großes Potential in Jounouchi sah und ihn manipulierte. Für Hirutani war der Blonde nützlich. Je mehr Waffen man in seinem Arsenal hatte, desto besser. Doch der Blonde erkannte es scheinbar nicht. Honda wollte nicht, dass Jounouchi zu ihm ging. „Doch, du hast eine Zukunft! Jeder Mensch hat die Möglichkeit glücklich zu werden, doch wenn du nicht dafür kämpfst, wird sich nie etwas ändern. Jounouchi... bitte!“, rief er ihm entgegen und versuchte sich die Aufregung nicht ansehen zu lassen, damit Jounouchi diese Schwäche nicht direkt ausnutzte. „Komm mit mir zur Domino Highschool und lass dieses Leben hinter dir“, beendete er seinen Satz und warf Jounouchi einen sorgenvollen Blick zu. Dieser sah ihn nur einen Moment an und wandte sich dann zum Drehen. Wortlos ließ er den Brünetten am Schultor stehen und machte sich auf den Weg zu ihrem Treffpunkt. Domino Highschool? So ein Scheiß. Da waren doch nur Weicheier und Kinder aus gutem Hause. Da passte er überhaupt nicht rein. Dort würde es genauso sein wie hier. Wieder würden die Leute mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn auslachen. Immerhin konnte er sich ja nicht mal die Schuluniform leisten. Nein... für ihn gab es keine Zukunft. Auch wenn er sich vom tiefsten Herzen wünschte, es gäbe einen Platz für ihn, wo er hingehörte, so musste er sich eingestehen, dass Gedanken dieser Art nicht mehr als kindische Phantasien waren. Hastig schüttelte er den Kopf. Solch sentimentale Gedanken passten gar nicht zu ihm. Es war später Abend als er mit Hirutani und ein paar anderen Jungs durch die Straßen streifte. Vor einem Geschäft blieben sie stehen und sie quatschten über die coolen neuen Handys, die in der Schauvitrine ausgestellt wurden. Die Technik schritt immer schneller voran und es kamen immer neue und bessere Geräte auf den Markt. Als sie weiter gingen, hatte Jounouchi für einen Moment das Gefühl, dass sie verfolgt wurden. Als er sich umdrehte, um sicherzustellen, ob dies der Fall war, konnte er niemanden erkennen. In einer abgelegenen Seitenstraße wollten sie sich in Ruhe ihre Zigaretten anzünden und rauchen. Jounouchi hatte vor über einem Jahr angefangen zu rauchen, da war er 14 gewesen. Vorher hatte er dieses teure Hobby nie in Betracht gezogen, doch dank Hirutani und den anderen Jungs hatte er neue Möglichkeiten, die er vorher nicht hatte. Seinem Vater war es ohnehin egal. Solange regelmäßig Alkohol ins Haus kam, gab es nichts zu meckern und er beschäftigte sich mit sich selbst und seinem Glücksspiel. Abends verließ er das Haus und ging ins Kasino, wo er an den zahlreichen Glücksspielautomaten sein Glück versuchte und auf das große Geld hoffte. Jounouchi hatte schnell erkannt, dass die Automaten gezinkt waren. Es war unmöglich zu gewinnen. Man verlor nur mehr und mehr Geld. Reich wurde man dadurch nicht. Aber es interessierte ihn auch nicht. Immerhin hatte er ja Hirutani. Genüsslich zog er an seiner Zigarette und ließ den Qualm in kleinen Kreisen empor steigen. Er hörte Schritte, die sich näherten. Jetzt wurde auch Hirutani hellhörig und er orderte seine Jungs zur Achtsamkeit an. Wie ihnen befohlen, gingen sie sofort in Kampfstellung über. Jounouchi war das ziemlich egal. Er hatte nicht vor, den Glimmstängel zwischen seinen Fingern wegzuwerfen, trotzdem beobachtete er weiterhin seine Umgebung eingehend und mit Vorsicht. Er hatte sich also nicht getäuscht. Vermutlich waren das irgendwelche Jungs, die einen Kampf verloren hatten und nun Revanche wollten. Sollten sie doch kommen. Jounouchi hatte keine Angst. Bei einem Kampf hatte er gute Chancen. Auch vier gegen einen machte ihm keine Probleme und heute war er ja auch nicht allein. Hirutani war auch ein begnadeter Kämpfer, obwohl Jounouchi Schwierigkeiten hatte, sich vorzustellen, dass er sich tatsächlich die Hände schmutzig machen würde. Viel eher würde er seine Speichellecker für sich kämpfen lassen, während er im Hintergrund die Show genoss. Er nahm einen tiefen Zug. Und da waren sie schon. Eine ganze Gruppe an Halbstarken. Zehn Personen. Nein zwölf. Kein Problem. Sie waren zu fünft. Dachten die ernsthaft, dass sie gewinnen konnten, nur weil sie in der Überzahl waren? Jounouchi grinste amüsiert, nahm einen letzten tiefen Zug von seiner Zigarette und warf den noch glühenden Stängel auf den Boden, trat mit voller Wucht auf diesen und zerquetschte den Filter wie eine Ameise. Er war bereit! Sie hatten die Oberhand gewonnen und selbst Hirutani war irgendwann in den Kampf eingestiegen. Jounouchi genoss es, dass er sich beweisen konnte. Im Kampf konnte er all die negativen Emotionen herauslassen und fand ein Ventil für den Druck, der sich auf seiner Seele aufbaute. Nach einem ordentlichen Kampf ging es ihm immer besser und fühlte sich befreit. Für einen Moment war jeglicher Zorn vergessen und er schaffte es sich wieder auf das zu konzentrieren, was wichtig war. Jounouchi war derart von seinem Gegner abgelenkt, dass er nicht mal bemerkt hatte, dass Hirutani und die anderen abgehauen waren. Gerade als der letzte seiner Gegner zu Boden ging und er sich als Sieger rühmen wollte, spürte er eine kräftige Hand auf seiner Schulter. Reflexartig sprang er zur Seite und schlug aus. Zu seinem Erstaunen handelte es sich bei der Person hinter ihm jedoch nicht um einen der Schlägertypen, sondern um einen erwachsenen Mann. Ein Polizist. Geschickt wehrte er die Faust ab und hielt den Blonden fest, sodass er nicht weglaufen konnte. Verdammte Scheiße! Panisch wollte er sich befreien und fuchtelte wild umher. „L-loslassen!“, schimpfte er laut. Es war ihm anzuhören, dass er Angst hatte und er schämte sich, dass er diese Gefühle so durchblicken ließ. „Oh nein, mein Lieber! Du kommst jetzt mit!“, schimpfte der Mann ebenso laut, drückte Jounouchi mit Gewalt gegen die Wand und drehte ihn so, dass er seine Hände hinter seinem Rücken zusammenführen und in Handschellen packen konnte. Dabei hatte Honda ihn noch gewarnt... Die ganze Nacht lang hatte der Polizeibeamte ihn ausgefragt und nicht locker gelassen. Trotzdem weigerte sich Jounouchi auch nur ein Wort zu sagen. Ganz egal wie laut der Kerl am anderen Tisch wurde oder wie sehr er versuchte, sich einzuschleimen, es nützte alles nichts. Jounouchi sagte nichts und blieb steinhart. Seine sture Haltung brachte ihm weder Vor- noch Nachteile. Hirutani hatte ihn verraten. Dieser verdammte Bastard hatte gewusste, dass die Bullen am Anmarsch waren und hatte ihn wissentlich zurückgelassen, um seine eigene Haut zu retten. Was die Beamten ihm zu sagen hatten, interessierte ihn nur wenig. Er war ja ohnehin minderjährig, also konnten sie ihn gar nicht einsperren. Es musste ein Elternteil kommen, um ihn abzuholen und die Anklage würde vor Gericht gehen. Als würde sein Vater den Arsch hochkriegen und ihn abholen! Das glaubten die doch selbst nicht. Einer der Beamte versuchte seit nun vier Stunden jemanden am Telefon zu erreichen. Niemand ging ran. Kein Wunder, dachte Jounouchi, sein Alter war ja auch gar nicht zuhause. Jounouchi wusste nicht mal, wo er hingegangen war. Irgendein Kasino oder eine Kneipe, wo er in Ruhe die Staatshilfe verprassen konnte und sich ein Bier nach dem nächsten hinter die Binde kippen konnte. Irgendwann hatte einer der Beamte ihn nach seinen Eltern gefragt. Jounouchi zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung, wo die stecken. Wen interessiert's?“, grinste er und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn diese Aussage selbst verletzte. In einer normalen Familie wäre jemand da gewesen und sein Vater hätte ihn davon abgehalten, auf die schiefe Bahn zu geraten. Schwere Körperverletzung, Diebstahl und Sachbeschädigung. Die Liste war lang und der Polizeibeamte ratterte sämtliche Vorwürfe in einer solchen Gelassenheit und Ruhe herunter, dass Jounouchi das Gefühl bekam, dass es ihn selbst nicht wirklich interessierte. Er wusste, dass vor ihm ein minderjähriger Junge saß, bei dem Hopfen und Malz verloren war. Eine Besserungsanstalt für Jugendliche wäre das beste und vermutlich die einzige Lösung. Die Eltern waren partout nicht zu erreichen und der Junge war sich seiner Verbrechen nicht mal bewusst. Er war so stur und bockig, dass selbst der Beamte es irgendwann aufgegeben hatte, ihn belehren zu wollen. „Domino ist ein echt hartes Pflaster“, stöhnte der Mann dann. Jounouchi legte den Kopf schief. „Wem sagst du das“, stimmte er ein und grinste herausfordernd. „Immer mehr Jugendliche machen Ärger und es ist schrecklich, dass Kinder wie du auf die schiefe Bahn geraten, weil sich keiner ihrer annimmt.“ „Mitleid?“, wollte der Blonde wissen, legte den Kopf schief, ehe er weitersprach. „Musst du nicht mit mir haben. Ich brauche das Mitleid anderer nicht, ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe und stehe dazu. Ich würde es wieder tun.“ „Warum? Was treibt dich an, Junge?“ „Ist nicht so wichtig...“, erklärte Jounouchi und vermied es den Beamten anzusehen. Alle Menschen sahen weg, wenn er kam. Sein Vater schenkte ihm keinen einzigen Blick und die Gesellschaft, in der er lebte, behandelte ihn wie einen Aussätzigen. Für Menschen um ihn herum, war er eine Bazille. Bloß nicht hinsehen! Jounouchi hatte schon früh begriffen, dass er nicht erwünscht war und keinen Platz hatte. Ihn wollte niemand. Auch seine Mutter nicht. Umso mehr wollte er, dass die Menschen ihn ansahen und ihn wahrnahmen. Also baute er Scheiße, damit sie ihn ansahen. Und irgendwann wäre nicht Abscheu in ihren Augen, sondern Ehrfurcht. Bald würde es niemand mehr wagen, ihn von der Seite blöd anzugucken. Irgendwann würde er ernst genommen werden und die Menschen würden es nicht mehr wagen,sich über ihn lustig zu machen, weil sie genau wüssten, dass dies Konsequenzen mit sich brachte. Das war nicht richtig. Das war dumm. Und sicher nicht die beste Lösung. Aber das war okay, fand Jounouchi, immerhin war er ja auch nicht gerade klug. Hauptsache die Leute würden ihn ansehen und ihn wahrnehmen. War doch egal, was der Grund für ihre Blicke waren, solange sie überhaupt zu ihm sahen. Er hasste es, dass er wie Luft behandelt wurde. Das verletzte seinen Stolz. Entweder warfen ihm die Leute angewiderte Blicke zu oder taten so, als wäre er nicht da. Sie sahen ihn verstohlen an und lachten über ihn, schienen zu glauben, er würde sie nicht hören, aber jedes Wort und jeder Blick erreichte ihn und durchbohrte seine Seele, hinterließ tiefe Wunden und Narben, die niemals verblassten. Er hasste es, wie seine Mitschüler ihn ignorierten und sich über ihn lustig machten. Er hasste es, wenn die älteren Damen auf der Straße über seine zerrissenen Jeans und seine zerzausten Haare lästerten. Und er konnte es nicht ausstehen, wie die Blicke, die ihm zugeworfen wurden, immer dieselben Aussagen hatten. Was stimmt denn bloß nicht mit dem? Bloß fernhalten. Der ist ein schlechter Umgang. Erbärmlich. Wie schmutzig er ist. Hat der denn keine Familie? Das arme Ding, warum macht denn keiner etwas? Ekelhaft, also mit dem will ich nichts zu tun haben! Jounouchi hasste sich selbst, weil er genau wusste, dass er genauso gedacht hätte, wäre er in einem anderen Umfeld groß geworden. Hätte er liebende Familie gehabt, hätte er genauso wie die anderen mit dem Finger auf andere gezeigt. Er war also selbst ein Heuchler und belog sich selbst. Und er hasste Lügner. Er hasste es, wie seine Gedanken sich immer und immer wieder im Kreis drehten und wie unfähig er war, sich selbst zu helfen. Viel mehr lehnte er Hilfe von außen strikt ab. Hilfe anzunehmen wäre ein Zeichen von Schwäche. Jounouchi neigte dazu, sich selbst schlechtzureden und um diese Gedanken abzuschütteln, brauchte er ein Ventil. Es tat ihm gut, wenn er anderen seine innere Zerrissenheit und seinen seelischen Schmerz in Form von harten Faustschlägen mitteilen konnte. Warum sollte auch nur er leiden? War doch fair... oder? „Doch, das ist es... wenn du über etwas reden willst, kannst du mir alles erzählen. Ich höre dir zu“, entgegnete der Mann mit einem fürsorglichen Lächeln. „Verstehe. Jetzt kommt der Teil, wo du mein Vertrauen erschleichen willst und dich einschleimst, damit ich ein Geständnis mache und dir ganz genau sage, was passiert ist. Hör zu, Alter: mich verarscht du nicht. Ich bin vielleicht nicht der hellste Stern am Firmament, aber ich habe noch genügend Grips, um zu wissen, wo das hier hinführt. Außerdem habe ich Krimi Filme und Serien gesehen... wo bleibt der böse Cop?“ „Du hast eine verdammt trockene Weltanschauung. Eigentlich würde ich dich zurechtweisen, weil du so frech bist und Ältere duzt, aber ich bin mir sicher, dass du genau weißt, dass sich das nicht gehört und du es genau deshalb machst“, seufzte er dann und ließ sich in seinen Stuhl fallen. „Richtig. Der Kandidat hat hundert Punkte!“, jauchzte Jounouchi und grinste breit. „Trotzdem darfst du keine Gesetze brechen und andere verletzen, Jounouchi-kun.“ „Interessiert mich das? Sorry, aber spare dir deine Predigten, die prallen an mir ab.“ „Du solltest ihnen aber Gehör schenken. Verstehst du überhaupt die Situation, in der du dich befindest? Hier geht es um deine Zukunft. Wenn du dich weiterhin so aufführst, wirst du die nächsten Jahre in der Jugendanstalt sitzen.“ „Ich hatte nie eine Zukunft, also ist es doch egal, was ich tue.“ „Jeder hat eine Zukunft, auch du. Hör zu, du wirst so lange hierbleiben müssen, bis dich jemand abholt. Ob ein Elternteil oder ältere Geschwister...“, kam es beinahe geknickt von dem Beamten, der einen verzweifelten Blick auf die Uhr warf. Es war bereits spät in der Nacht. Auch nach über vier Stunden konnten die Eltern dieses Jungen nicht erreicht werden. Wohl oder übel würden sie ihn in eine der Zellen werfen müssen und einige Polizisten losschicken müssen, um den Erziehungsberechtigten zu finden. Wie erwartet hatten die Hüter des Gesetzes Jounouchi in eine der Untersuchungshaftzellen geworfen. Sie wollten warten, dass jemand kam, um ihn abzuholen. Alles andere würde vor Gericht geklärt werden. Bisher sah es echt finster aus. Jugendanstalt, weil er zu viel angestellt hatte. Immer noch kreisten seine Gedanken um Hirutani, der ihn verraten hatte und ihn als Bauernopfer zurückgelassen hatte. Honda hatte ihn gewarnt. Mehrmals. Aber er hatte seinen Worten keinen Glauben schenken wollen. Er wusste ja, dass Hirutani kein Freund war. Das, was sie verband, war keine Freundschaft und er hatte auch nicht damit gerechnet, dass dieser ihm geholfen hätte, trotzdem verletzte es ihn, dass er ihn im Stich gelassen hatte. Klar, er hatte geglaubt, er könnte auf sich selbst aufpassen. Grummelnd legte er sich auf die andere Seite und starrte die Wand an. Vor der Zelle saß ein Polizist, der kein einziges Wort verlor und stur auf das Buch in seinem Schoß starrte. War auch nicht so wichtig. Interessierte Jounouchi nicht. Es war bereits zwei Uhr morgens und er konnte einfach nicht einschlafen. Er war aufgewühlt und enttäuscht. Ja, enttäuscht von seinem Kollegen, von dem er genau gewusst hatte, dass kein Verlass auf ihn war. Dabei hatte er doch genau gewusst, dass man sich auf niemanden verlassen durfte. Und trotzdem... verdammt, wieso heulte er jetzt?! Energisch wischte er die Tränen weg und versuchte sich selbst davon abzulenken, was geschehen war. Er war ein Mann. Ein Kämpfer. Ein Krieger! Tränen standen ihm überhaupt nicht. Welcher Krieger heulte nach einem verlorenen Kampf? War doch total uncool! Ja, er sollte wütend sein. Wenn er Hirutani das nächste Mal sah, würde er ihm ordentlich die Fresse polieren und ihm zeigen, wer der Boss war. Was dachte der Kerl, wer er war? Oh ja, auf seine Revanche freute er sich jetzt schon. Und schon hatte er etwas, worauf er sich freuen konnte. So einfach ging das. Wenigstens ein Lichtblick. „Du bist Jounouchi-kun... nicht wahr?“, hörte er eine sanfte Frauenstimme. Sofort schreckte er auf. „Ich bin Honda Hitomi. Ich bin die ältere Schwester von Hiroto“, sagte sie so fürsorglich wie es ging, um den Jungen nicht noch weiter aufzuregen. Sein Auge war blau, seine Klamotten zerrissen und an seiner Stirn klebte Blut. Kein schöner Anblick. Sie hatte mit den Polizisten gesprochen, die ihr die Situation erklärt hatten. Er war nach einer Prügelei festgenommen worden und hatte sich geweigert, sich behandeln zu lassen oder gar zu kooperieren und ihnen zu schildern, was vorgefallen war. Da er keinerlei Einsicht und Respekt gezeigt hatte, hatten sie ihn weggesperrt. Der Junge war einfach zu bockig. Und es brachte nichts, ihn zum Reden zu zwingen, weil er dann nur anfing, die Beamten zu beleidigen. Beamtenbeleidigung wurde nun ebenfalls auf die Liste seiner Vergehen gepackt. Nicht, dass Jounouchi sich daran gestört hätte. „Honda...?“, wiederholte er ungläubig. „Hiroto hat mir erzählt, was passiert ist und mich darum gebeten, dir zu helfen. Er wartet draußen auf dich“, erklärte sie die Situation. „Woher wusste Honda, dass ich hier bin...?“, fragte er ungläubig und erhob sich nun von der Liege. Ein Beamter öffnete die schwere Gittertür und unsicher trat er aus seiner Zelle hinaus. „Dein Freund... dieser Hirutani hat damit angegeben. Honda hat sich mit ihm geprügelt. Als er nach Hause kam, hat er mit unter Tränen darum gebeten, dir zu helfen.“ „Ich... ich brauche sein Mitleid nicht...“, knurrte Jounouchi und wurde leicht rot um die Nase. „Jounouchi-kun, das ist kein Mitleid, sondern Mitgefühl. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Und ich wäre eine schlechte Schwester, wenn ich die Tränen meines Bruders ignorieren würde. Ihr Kinder macht uns auch nur Ärger!“ „Ich bin kein Kind...“, grummelte Jounouchi. Hondas ältere Schwester kümmerte sich um sämtliche Angelegenheiten und entschuldigte sich mehrmals für das schlechte Betragen des Blonden. Als sie das Präsidium verließen, wartete Honda bereits draußen und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das Ganze beschäftigte. In ihm tobte ein Orkan. Er war wütend auf Jounouchi. Weil dieser ihm nicht zugehört hatte, obwohl er ihn gewarnt hatte. Und wütend auf Hirutani, weil dieser Jounouchi ausgenutzt hatte und noch die Dreistigkeit hatte, über den „Trottel“ zu lachen. Er hatte gewusst, dass sie in Gefahr gewesen waren und hatte den Blonden absichtlich geopfert, um seine eigene Haut zu retten. Ja, er sollte Jounouchi so richtig die Meinung sagen! Dieser Dummkopf! Nie hörte er auf ihn! War also seine eigene Schuld. Hoffentlich hatte er seine Lektion gelernt und blieb zukünftig fern von Hirutani. Gewohnt lässig lehnte der Brünette an der Mauer. Es war ihm peinlich, Jounouchi anzusehen. Bis eben hatte er noch tausend Dinge, die er ihm vorwerfen wollte, doch jetzt fiel ihm so gar nichts ein. Der Blonde blieb direkt vor ihm stehen und sagte kein Wort. Schweigend standen sie nebeneinander, nicht in der Lage etwas zu sagen. Es war bereits früher Morgen und die ersten Autos waren wieder unterwegs. Das Leben in der Stadt erwachte wieder. Irgendwann hob Honda einfach nur die Faust, wartete darauf, dass Jounouchi diesen Gruß erwiderte. Zögernd schlug dieser mit seiner Faust gegen die von Honda. „Ich will ja nicht sagen, dass ich es dir gesagt habe... aber ich habe es dir doch gesagt“, grinste er. „Sorry, kommt nicht wieder vor“, meinte der Blonde nur. Jounouchi hatte sich selbst versprochen, nicht mehr mit Gewalt zu antworten und dieses Leben hinter sich zu lassen. Anstelle der Rintama Highschool schrieb er sich zur Domino Highschool ein, wissend, dass ihn dort auch wieder die niederschmetternden Blicke der anderen erwarten würde. Doch dieses Mal war es nicht ganz so schlimm, weil Honda bei ihm war. Sie sprachen zwar nicht offen über ihre Gefühle, aber in der Not konnte er sich auf den Brünetten verlassen und das war mehr, als sich Jounouchi je erträumt hatte. Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- Heute war Jounouchi anders. Er wollte nicht mehr mit Fäusten kämpfen, sondern mit Karten. Er hatte seine damaligen Entscheidungen bereut und sich dazu entschlossen, vorbildlich zu leben. Auch als er den schwachen und weinerlichen Yuugi in seiner Klasse traf, hatte er ihn nie mit Gewalt gedroht, sondern ihn auf seine eigene Art und Weise abgehärtet. Das war lange her und Jounouchi war unendlich froh, dass sie nach diesem unglücklichen Start Freunde werden konnten. Auf Yuugi war immer Verlass. Und obwohl er so viele wunderbare Menschen um sich hatte und sich mit dem zufrieden geben konnte, was er hatte, wollte er sich nicht mit dem abfinden, was er hatte, sondern strebte nach mehr. Es reichte ihm nicht, in einem Restaurant auszuhelfen oder bei den Bauarbeiten eines Gebäudes zu helfen, nein, er wollte, dass die Menschen ihn ansahen und „Wow, was für ein toller Kerl“ dachten. Er wollte nicht, dass man auf ihn herabsah. So wie es Kaiba immer tat. Dieser verdammte Dreckskerl, knurrte Jounouchi gedanklich. Ich schwöre, dass ich mit dir den Boden wischen werde und dann wirst du endlich einsehen müssen, dass ich mehr als nur ein drittklassiger Duellant bin. Glaube ja nicht, dass du etwas Besseres bist, setzte er fort und seufzte dann schwer. Scheiße. Einerseits bereute er es, dass er Kaiba zu Boden geworfen hatte, andererseits erfüllte es ihn mit Genugtuung, da sein Gehirn ihm immer wieder sagte, dass er es nicht anders verdient hatte. Kaiba hatte es doch so gewollt. Kaiba war zu weit gegangen. Kaiba war genau die Sorte Mensch, die er nicht ausstehen konnte. Überheblich und eingebildet. Aufgrund seines Reichtums und seiner Erfolge glaubte er, er hätte das Recht auf ihn herabzusehen. Er schüttelte den Kopf. Wieso suchte er nach einer Rechtfertigung für das, was er getan hatte? War es wirklich falsch, was er getan hatte? Ja. Das sollte die Antwort sein, die ihm zuerst in den Sinn kam, doch je mehr er sich davon zu überzeugen versuchte, im Unrecht gewesen zu sein, desto lauter wurde das Nein in seinem Kopf. Am besten war es, er würde das Ganze vergessen und sie kämpften wie Duellanten in der Arena. Ein Duell zwischen ihnen würde entscheiden, wer Recht und wer im Unrecht war. Mit jedem Schritt nach vorne, entfernte er sich vom Gelände und näherte sich einer strahlenden Zukunft. Genau! Optimistisch bleiben. Es brachte ihm doch gar nichts, jetzt weiter nachzudenken. Was geschehen war, war geschehen. Jetzt konnte er nichts mehr daran ändern. Obgleich es ihn schon erstaunte, dass Kaiba so ruhig geblieben war. Er wäre Schlimmeres gewohnt, sagte er. Jounouchi biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Er wusste eigentlich so gut wie gar nichts über den Brünetten. Es hatte ihn ja auch nicht interessiert. Auch jetzt glaubte er nicht daran, dass Kaiba das Recht hatte, ihn so schlecht zu behandeln und auf ihn herabzusehen. War doch egal, was er in seiner Vergangenheit erlebt hatte. Es war Kaibas Entscheidung auf andere hinabzusehen und von sich zu stoßen. Und trotzdem! Trotzdem beschäftigte Kaibas Aussage ihn. Mokuba hatte erwähnt, dass sie beide von dem früheren Firmenleiter adoptiert worden waren. Kaiba hätte sich verändert. Kaiba war mal in der Lage aufrichtig zu lächeln, etwas, das sich Jounouchi überhaupt nicht vorstellen konnte. Aus tiefstem Herzen zu lächeln und Emotionen zuzulassen, dazu war der Kerl doch überhaupt nicht fähig. Unvorstellbar. Der konnte gar nicht nett sein. Umso erstaunlicher, dass Mokuba ihn immer noch in Schutz nahm und sich von diesem Griesgram, der alles und jeden schlechtredete und sich selbst als Mittelpunkt der Welt betrachtete, leiden konnte. Der Schwarzhaarige hatte aber auch ein schweres Los gezogen. Er blieb stehen und warf einen Blick auf seinen Dueldisk. Kaiba und nett? Vielleicht hatte Jounouchi ein falsches Bild von ihm? Er schüttelte den Kopf. Niemals! Dass Kaiba ein arrogantes Arschloch war, war ja wohl eine unveränderbare Tatsache. Knurrend machte er sich auf den Weg in die Innenstadt, um dort gegen andere Duellanten anzutreten und mithilfe eines aufregenden Duells seine negativen Gedanken loszuwerden. ... „Nii-sama... du bist zu weit gegangen“, kam es von Mokuba. Seine Stimme war fürsorglich und mit größter Achtsamkeit versorgte er die Verletzung seines Bruders. „Du nimmst ihn ernsthaft in Schutz? Mokuba, was ist denn los mit dir?“, erwiderte Kaiba ungläubig und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mokuba fiel es äußerst schwer, die folgenden Worte über die Lippen zu bringen und er haderte, überlegte fieberhaft, wie er das, was er dachte, in Worte verpacken sollte, um seinen Bruder nicht noch mehr aufzuregen. Bereits jetzt war Kaiba aufgebracht. Behutsam legte er das Kühlpad auf die geschwollene Wange. Kaiba saß auf seinem Bürostuhl, während Mokuba direkt vor ihm stand. Neben ihn lagen mehrere Utensilien, die er genutzt hatte, um die Verletzung zu behandeln. Missmutig warf er einen Blick auf das Erste Hilfe Kästchen. Daraufhin sah er seinen Bruder an, dessen Gesicht blutverschmiert war. Der Großteil des Blutes war bereits getrocknet, trotzdem gab er keinen schönen Anblick ab. Das war das erste Mal, dass er verletzt war. Er hatte ihn noch nie so gesehen und gerne hätte er auch darauf verzichtet. „Das sollte ich dich fragen“, seufzte er und tupfte mit einem feuchten Tuch das Blut von Kaibas Kinn weg. Gerade als der Brünette etwas sagen wollte, sprach Mokuba weiter. „Du bist vieles, Seto, aber kein Unmensch. Zumindest habe ich das immer geglaubt. Du weißt selbst, dass du es übertrieben hast. Ich kann ja verstehen, dass du dich nicht mit ihm anfreunden willst, aber deswegen musst du ihn nicht beleidigen. Jounouchi ist ein gutherziger und lieber Kerl. Vielleicht ein bisschen dümmlich, aber das ist kein Grund ihn derart zu provozieren.“ „Ich... habe ihn nicht provoziert. Außerdem hat er doch angefangen. Ich erinnere dich gerne daran, dass er hier eingebrochen ist und er mich belästigt hat“, konterte Kaiba. Mokuba drückte das Tuch fester gegen seine Nase, sodass er vor Schmerz zusammenzuckte. „Wie würdest du dich fühlen, wenn man dir sagt, dass du genauso bist wie dein Vater? Oder in unserem Fall, wie unser Stiefvater?“ Worauf wollte Mokuba hinaus? Kaiba war nie wie sein Stiefvater. Und er würde es niemals werden. Welch abstruser Gedanke! Wie kam er überhaupt auf diesen Vergleich? „Gozaburo hat uns beide gedemütigt. Vielleicht wusste er es nicht besser, aber er war kein guter Vater für uns. Er war zielorientiert und hatte kaum etwas Menschliches an sich. Es ging ihm immer nur um seinen Ruf und Geld. Was wäre, wenn ich dir sage, dass du ihm ähnlich bist?“ „Mokuba, das ist absolut realitätsfern. Ich habe nie Massenvernichtungswaffen gebaut und das Leben tausender gefährdet oder wissentlich geopfert, nur um meine Ziele zu erreichen. Ich unterdrücke niemanden und ich würde niemals mit Gewalt meinen Standpunkt erläutern, das weißt du.“ „Worte haben Macht, Nii-sama. Worte können genauso verletzen wie ein Projektil. Ob eine Faust oder eine Beleidigung – beides tut weh! Du bist einfach viel zu schnell erwachsen geworden, vielleicht kannst du deswegen Jounouchis kindliche Weltanschauung nicht verstehen.“ Kaiba konnte nicht fassen, dass sein eigener Bruder sich gegen ihn stellte. Und dann versuchte er ihn auch noch zu analysieren und ihm sein Fehlverhalten aufzuweisen! Als Kaiba die Treppen hinabgestiegen war und in sein Büro zurückkehrte, war Mokuba panisch aufgestanden und auf ihn zugelaufen. Er hatte Sorge gezeigt, aber nur im ersten Moment. Als Kaiba ihm erzählte, wer ihn geschlagen hatte, hatte Mokuba ihn einfach nur still angesehen. Er hatte den Kopf leicht geschüttelt. Er schenkte ihm einen Blick, den er bisher noch nie von ihm gesehen hatte. Enttäuschung. Heute sah Mokuba nicht zu ihm hoch, sondern auf ihn herab. Es war das erste Mal, dass Mokuba seinen bedingungslosen Respekt seinem Bruder gegenüber anzweifelte. Nein, nicht das erste Mal. Für den Schwarzhaarigen war es unbegreiflich, dass sein eigener Bruder nicht verstand, was er falsch machte und er zweifelte an dessen moralischen Kompass. Man verletzte andere nicht. Ob mit Worten. Ob mit Gewalt. Es war wichtig anderen Menschen gegenüber Respekt zu haben und ihre Gefühle zuzulassen. Mokuba hatte Yuugi als Freund akzeptiert. Mutou Yuugi hatte ihn aus der Todeszelle hinausgezogen und ihn von der seelischen Folter bewahrt. Und das, obwohl er ihn nur kurz zuvor zu töten versucht hatte. Sein eigener Bruder wollte ihn für seine Niederlage bestrafen und ihn den Tod erleben lassen und am Ende war er sein scheinbar größter Feind, der ihn rettete. Schon da hatte er angefangen, an den Idealen und Vorstellungen seines Bruders zu zweifeln, doch er hatte die Hoffnung nie aufgegeben. Dass tief in seinem Inneren ein liebevolles Herz schlug und dass der Bruder, den er so sehr ehrte und schätzte, immer noch in ihm war. Das war schon ewig her. Death-T hatte die einzige Absicht, Yuugi zu verletzen und ihm einen schmerzhaften Tod erfahren zu lassen, um so Kaibas und Mokubas verletztes Ego wieder aufzupolieren und obwohl sie ihn unmenschlicher Qualen ausgesetzt hatten, streckte er seine Hand nach ihm aus, um ihn zu retten. Mutou Yuugi hatte jemanden gerettet, der ihn nur wenige Minuten zuvor töten wollte. Sein Herz war strahlend und so schön, dass Mokuba klar wurde, wie häßlich seine eigene Seele im Vergleich zu Yuugis war. Diese Erkenntnis hatte ihn verändert. Er selbst hatte die Menschlichkeit vergessen und zu dem geworden, was er niemals werden wollte. Er war zu einem Ebenbild von Gozaburo geworden. Yuugi hatte ihn gerettet. Nicht sein Bruder. Es war Mutou Yuugi, der ihn aus Pegasus' Fängen gerettet hatte. Es war sein Erzfeind, der so viel Herz hatte, ihn zu retten und sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um anderen zu helfen. Und das ohne dafür etwas zu erhalten. Er half anderen nicht mit dem Hintergedanken, etwas für seine heldenhaften Taten zu erhalten, sondern weil er wusste, dass es das Richtige war. Es wäre ein Leichtes für Yuugi gewesen, die beiden Brüder in ihrem Zustand zurückzulassen. Trotzdem tat er es nicht. Trotzdem setzte er sich für die beiden ein. Auch als sein Bruder im Koma lag, war Yuugi regelmäßig vorbei gekommen, um nach ihm zu sehen. Mokuba hatte da bereits angefangen, seinen Bruder zu hinterfragen. Schon da hatte sich dieser Gedanke wie ein kleiner Parasit in seinem Gehirn festgesetzt. War Kaiba wirklich unfehlbar? Es gab so viele Momente, wo Yuugi ihnen gegenüber Herz und Verständnis gezeigt hatte, deshalb konnte er ihn nicht hassen. Und diese Güte und das Mitgefühl anderen gegenüber hatten Mokuba geprägt und verändert. Diese Eigenschaften vermisste er jedoch bei seinem Bruder und auch wenn er immer hinter ihm stand, kam er nicht drumherum, seine Handlungen zu hinterfragen. Zuletzt beim Battle City Turnier hatte er an seinen Entscheidungen gezweifelt. Obgleich Yuugi, dessen Freunde, ihre eigenen Angestellten und auch die anderen Teilnehmer des Turniers noch auf der Insel waren, wollte sein Bruder bereits den Timer setzen, um alles zu vernichten. Er wollte eine Bombe zünden, nur um die Schmach zu tilgen. Seine Antwort auf alles war Zerstörung. Mokuba sah die Gefahr. Er verstand, dass Menschen umkommen könnten. Er fürchtete, dass Yuugi aufgrund einer voreiligen Entscheidung sterben könnte. Sein Bruder erkannte dies nicht. Er konnte nur zerstören. Schon da hatte er gemerkt, dass sie in ihrer Art zu denken, unterschiedlich tickten. Er provozierte gerne und zeigte mit Stolz seine Überlegenheit und rieb anderen unter die Nase, was er erreicht hatte, aber er war kein Mensch, der andere wissentlich verletzte. Zumindest hatte Mokuba das geglaubt. Und sich, wie er heute feststellte, geirrt. Vielleicht hatte er einfach zu lange in einer Blase gelebt und die Wahrheit ignoriert, obgleich sie direkt vor seiner Nase war. Sein Bruder beantwortete Yuugis Freundlichkeit und Güte mit Ablehnung. Auch Jounouchi, der im Königreich der Duellanten für sie gekämpft hatte, beachtete er nicht. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, als er an die Worte seines Bruders dachte, als Jounouchi in seinem Duell gegen den Dunklen Malik gestorben war. Sein Herz schlug nicht mehr. Seine Atmung hatte ausgesetzt. Ein lebloser Körper lag am Boden. Ein Duell hatte ein Menschenopfer gekostet und Mokuba erinnerte sich zu gut daran, wie sehr ihn das Ganze getroffen hatte. Jounouchis Tod hatte ihm Angst gemacht. Er konnte nicht glauben, dass dieser sprunghafte und lustige Kerl, der sonst immer fröhlich vor sich hin grinste und anderen ein Lachen entlockte, nun tot war. Dass das angenehme, heitere Lachen für immer verstummt war. Wie schnell das Leben vorbei sein konnte. Er war überwältigt von all den Gefühlen und obwohl Jounouchi nie zu seinen besten Freunden gehörte, konnte er die ein oder andere Träne nicht unterdrücken. Es tat ihm unendlich weh. In diesem Moment hätte er so etwas wie Trost von seinem Bruder erwartet, nein, gebraucht. Sein Bruder? Nichts. Keinerlei Gefühlsregung. Es interessierte ihn schlicht und ergreifend nicht. Der tote Körper war für ihn wie Luft, nicht wichtiger als ein fallendes Staubkorn, das man keinerlei Beachtung schenkte. Stattdessen dachte er nur an seinen Sieg und wie er das Turnier gewinnen konnte. Mokuba hatte diese Reaktion zum Nachdenken gebracht. Yuugi, du musst seinen Tod überwinden und dich mir in der Arena stellen, hatte er gesagt. Keine Spur von Reue oder gar Trauer. Nichts. Hatte sein Bruder wirklich geglaubt, dass man den Tod eines geliebten Menschen einfach überwand und ganz normal weitermachen konnte? Würde sein Bruder genauso reagieren, wenn er sterben würde? Mokuba senkte den Blick. War sein Bruder wirklich so grausam? „Ich habe immer an das Gute in dir geglaubt, Nii-sama. Und ich will nicht, dass mein Bruder ein gefühlloses Monster ist, das es genießt andere Menschen zu verletzen!“ „Mokuba..?!“, kam es erstaunt von dem Brünetten, der immer noch nicht verstand, warum sein Bruder so aufgewühlt war. „Immer siehst du nur das Schlechte! Immer provozierst du...“, begann er und warf das blutverschmierte Tuch direkt vor seinem Bruder auf den Boden. Sein kleiner Körper bebte. In voller Größe stand er direkt vor seinem Bruder. Als er seinen Blick hob war in seinen Augen Abscheu zu erkennen. Er ertrug es nicht, zu welchen Grausamkeiten sein Bruder in der Lage war und wie wenig es ihn berührte, wenn andere verletzt wurden. Mit welcher Leichtigkeit er anderen Menschen schadete und es auch noch genoss. Das war doch abartig! Das war falsch! „Was stimmt denn nur nicht mit dir? Seit Atem nicht mehr hier bist, bist du noch versessener darauf dich zu beweisen! Aber es dreht sich nicht immer alles um dich. Jounouchi ist auch mein Freund und ich will nicht, dass du meinen Freunden wehtust. Du sollst niemanden wehtun!“, brüllte er ihm direkt ins Gesicht. Verdutzt sah Kaiba ihn an. Seit wann war Mokuba mit dem Blonden befreundet? Hatte er etwas verpasst? „Du bist mit ihm befreundet...?“, fragte er unsicher nach. „Das fällt dir jetzt erst auf?! Natürlich bin ich das! Yuugi und die anderen sind mir wichtig und ich habe die Schnauze voll davon, dass du meine Freunde verletzt. Nii-sama...“ Er holte tief Luft, versuchte sich wieder zu beruhigen, doch er war so aufgebracht, dass er nicht verhindern konnte, dass seine nächsten Sätze abgehackt waren. Der Knoten in seinem Hals machte es ihm beinahe unmöglich, frei zu sprechen. „Du wirst dich bei Jounouchi entschuldigen. Für das, was du gesagt hast! Du weißt genau, dass das nicht richtig war. Ich will nicht, dass du so wirst wie er und glaubst, dass du das Recht hast, auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln.“ Kaiba antwortete darauf nichts. Er seufzte und erhob sich von seinem Stuhl. Er hatte nicht vor, darauf zu antworten, geschweige denn Mokubas Bitte zu erfüllen. Jounouchi war ein Versager. Warum sollte er sich für etwas entschuldigen, womit er Recht hatte? Mokuba drehte sich um und verließ das Büro. Er hatte genug. Hatte er sich wirklich in seinem Bruder geirrt? War sein Bruder wirklich so ein Unmensch? Die Musik im Fahrstuhl beruhigte ihn ein wenig, dennoch fiel es ihm schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Für seinen Bruder war es selbstverständlich, dass die Leute um ihn herum ihm brav zunickten und ihm nie widersprachen. Es musste ihn aus der Bahn geworfen haben, dass ausgerechnet sein Bruder ihn zurechtwies. Mokuba war nun 14 und alt genug, um zu erkennen, was falsch und was richtig war. Er kannte Yuugi und seine Freunde seit drei Jahren und viel zu oft erwischte er sich dabei, wie er daran dachte, wie schön es sein musste, bei ihnen zu sitzen und einfach nur über das Leben zu reden und aus Spaß Karten zu spielen. Yuugi war ein guter Freund. Und bei Freunden suchte man Rat, oder? Entschlossen machte er sich auf den Weg zum Kame Game Shop, wo er den Bunthaarigen vermutete. Kapitel 15: Kapitel 15 ---------------------- Ich soll so sein wie er...? Nein. Das hat er sicher nicht so gemeint. Er war nur aufgewühlt... oder? In Kaibas Kopf herrschte Durcheinander. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann zuletzt er sich mit Mokuba gestritten hatte. Es war zu lange her. Dass er ihn anbrüllte war neu. Vielleicht lag das einfach nur an der Pubertät? Mokuba kam immerhin gerade in eine sehr wichtige Phase seines Lebens und junge Menschen neigten dazu emotional zu werden und sich in Kleinigkeiten hineinzusteigern. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass es ihn getroffen hatte, dass Mokuba ihn mit ihrem Stiefvater verglich. Dieser Mann hatte ihn verändert. Er war ihm in gewisser Weise dankbar, denn nur wegen ihm war er da, wo er heute war und es brachte ja ohnehin nichts, sich in Erinnerungen aus der Vergangenheit zu verlieren, weshalb er stets seinen Blick in Richtung Zukunft richtete. Er hatte Fehler gemacht. Das wusste er selbst und er hatte sich nicht immer wie ein vorbildlicher Bruder verhalten, aber er hatte hart an sich gearbeitet und wollte die Vergangenheit ruhen lassen, obgleich diese ihn weitaus mehr beeinflusste, als es ihm lieb war und er jemals zugeben würde. Yuugi – nein, der Andere Yuugi, der, wie er später erfahren hatte, eigentlich Atem hieß – hatte ihm die Augen geöffnet. Ohne ihn wäre er nie über sich hinausgewachsen und stärker geworden. Er hatte den Blick fürs Wesentliche verloren und vergessen, wofür er kämpfte. Als Atem seine Seele zerschmetterte und ihn in ein Koma versetzte, hatte er aus eigener Kraft seine Seele zusammengebaut und er hatte sich daran erinnert, warum er all dies auf sich genommen hatte. Warum er all diese Qualen erlitten hatte. Mokuba war sein geliebter Bruder und es war nicht nur seine Pflicht ihn zu beschützen, sondern auch sein eigenes Verlangen. Mokuba war sein Ein und Alles. Gozaburos Tod hatte ihn verändert. Der Verlierer musste sterben. Nur wer gewann, konnte überleben. Schwäche wurde mit dem Tod bestraft. Und bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte Kaiba geglaubt, dass dies richtig sein musste – denn sein Stiefvater, der freiwillig in den Tod sprang, weil er den Verlust seiner eigenen Firma nicht ertragen konnte, hatte ihn gelehrt, dass dies mit allen Versagern geschehen musste. Vielleicht wollte er damit auch einfach nur das Gefühl von Reue unterdrücken und sich vor seinem eigenen Gewissen rechtfertigen. Er fühlte sich verantwortlich für Gozaburos Tod. Hinterhältig hatte er ihn in eine Falle gelockt und ihm alles entrissen, was ihn bedeutete. Genauso wie er es mit ihm gemacht hatte. Gozaburo hatte ihm das Recht auf eine unbeschwerte Kindheit genommen. Er erlaubte ihm nicht, zu spielen oder seinen Bruder zu sehen, aus Angst, dass Ablenkungen dieser Art seine Entwicklung gefährden würden. Es war einfacher einen willenlosen Soldaten Befehle zu geben, als einem Kind, das sich frei entfalten wollte. Er hatte diese Art von Liebe, die Gozaburo ihm entgegen brachte, als völlig normal angesehen. Gewalt war eine Erziehungsmaßnahme. Man musste Dominanz zeigen, wenn man ernst genommen werden wollte und man durfte zu keinem Zeitpunkt Schwäche zeigen. Gozaburo hatte ihm alles genommen. Das Gefühl von Familie und Liebe. Also nahm er ihm das weg, was ihm am meisten bedeutete und errang auf diese Weise einen Sieg. Das war seine Art der Vergeltung. Nur so konnte er die Demütigung vergessen und vorangehen, indem er das, was sein Stiefvater geschaffen hatte, mit eigenen Händen zerstörte und sie nach seiner eigenen Vision wieder aufbaute. Heute hatte die KC kaum mehr etwas mit ihrer Vergangenheit gemeinsam. Doch auch heute hatte er nicht das Gefühl wirklich gewonnen zu haben. Nein, bis heute lungerte dieser Schatten über ihn. Doch er wusste, dass er diesen Kampf verloren hatte und dass es nur eine Möglichkeit gab, diese Schmach zu tilgen. In die Zukunft sehen. Die Vergangenheit zerstören. Sie so sehr pulverisieren bis nichts mehr übrig blieb. Das war seine Schlussfolgerung gewesen. Und auch Atem hatte ihm klar gemacht, wie sehr die Vergangenheit ihn fesselte und weil Kaiba Atem als Perfektion in Person ansah, nahm er diesen Rat an. Seine Worte berührten ihn. Es gab nur wenige Menschen, die Kaiba seiner als ebenbürtig akzeptierte und sich die Mühe machte, ihnen zuzuhören. Also verleugnete er die Vergangenheit. Er tat so, als hätte er diese Fehler nie gemacht. Und auch jetzt glaubte Kaiba, dass es besser war, Dinge aus der Vergangenheit ruhen zu lassen. Er hatte sich nie bei Mokuba für sein schlechtes Verhalten entschuldigt. Er hatte schlicht und ergreifend so getan, als wäre nie etwas vorgefallen und richtete seinen Blick gen Zukunft. Nach und nach wurde ihm klar, wie wichtig ihm sein Bruder war. Mokuba war seine einzige Familie und deshalb war er darum bemüht, eine gesunde und gute Umgebung für seinen Bruder aufrechtzuerhalten. Fern von Gewalt und der Negativität anderer. Er wollte die Fehler seines Stiefvaters nicht wiederholen und trotzdem verglich Mokuba die beiden. Hatte er einen Fehler gemacht? Wann hatten die beiden sich voneinander entfernt? Mokuba hatte Yuugi und auch diesen Grobian Jounouchi als seine Freunde bezeichnet. »Herrgott... das bereitet mir Kopfschmerzen. Warum würde Mokuba diesen Trottel als Freund ansehen? Er ist dämlich, vulgär, schlecht erzogen, total aufbrausend und temperamentvoll, vorlaut, unorganisiert, chaotisch, verpeilt, also kurz gesagt: ein absolut schlechter Umgang. Ich verstehe das nicht. Dass er mit Yuugi befreundet sein will, das kann ich ja noch nachvollziehen, aber mit Jounouchi?« Kaiba ließ sich auf seinen Chefsessel fallen. Mokuba war wortlos gegangen. Großartig. Jetzt war er auch noch sauer auf ihn. Lag es an der Pubertät? Es war vermutlich ein Fehler, Mokubas Zorn mit einer pubertären Phase zu abzutun, aber es war die einzige Erklärung, die er hatte. Jugendliche versuchten sich in diesem Alter von ihren Eltern abzugrenzen und taten bewusst Dinge, von denen sie wussten, dass sie falsch waren. Moment. War das etwa eine Trotzphase? Das wurde ihm alles zu viel. Er breitete seine Karten auf dem Schreibtisch vor sich aus. Er musste auf andere Gedanken kommen. Duel Monsters half ihm immer wieder runterzukommen und sich zu konzentrieren. Als er seine Karten betrachtete, ging er gedanklich sämtliche Strategien durch und überlegte, wie er welches Monster beschwören konnte und welche Kartenkombinationen am besten funktionieren. Und schon war er wieder in seiner eigenen Welt, glaubte er, denn in seinem Unterbewusstsein machte sich weiterhin Unmut breit. Ein bisschen konnte er nachempfinden, warum Jounouchi so wütend wurde. Kaiba wollte auch auf keinen Fall mit Gozaburo verglichen werden. In der Hinsicht waren sie ähnlich. Sie wollten beide die Fehler ihrer Väter vermeiden und trafen bewusst Entscheidungen, von denen sie glaubten, dass sie sich damit von ihren Vätern unterschieden und abgrenzten. Trotzdem würde er sich niemals herablassen und sich bei ihm entschuldigen. Das konnte Mokuba getrost vergessen. Dafür war sein Stolz viel zu groß. Es wäre erniedrigend sich bei ihm zu entschuldigen, also würde er das tun, was er immer tat. So tun, als wäre nie etwas geschehen... … „Yuugi!“, rief Mokuba laut, als er die Tür zum Laden öffnete. Dieser schrak auf und ließ die Waren, die er bis eben in der Hand hatte, fallen. Grummelnd sah er zu seinem Kunden, der ganz sicher nicht gekommen war, um etwas zu kaufen. Rasch hob er die Spielfiguren wieder auf und stellte sie ordentlich im Regal auf. Nicht mal in Ruhe die Regale entstauben konnte man! „Na, wie geht’s dir?“, wollte Mokuba wissen und grinste breit, warf einen neugierigen Blick auf die Schauvitrinen. Er selbst war ja mehr der Fan von Brettspielen, also betrachtete er die Capsule Monsters Figuren besonders lang. Wenn er nicht bereits jede Kapsel und somit jedes Monster in seiner Sammlung gehabt hätte, hätte er sicher etwas gekauft. „Verdächtig. Äußerst verdächtig...“, murmelte Yuugi und drehte sich nun zu ihm. „Du kommst doch sonst nicht grundlos vorbei. Ist etwas passiert?“, fragte er dann und verschränkte die Arme, warf ihm einen skeptischen Blick zu. Mokuba erzählte ihm, was vorgefallen war und Yuugi hörte ihm aufmerksam zu. Er wirkte erschüttert, als er hörte, dass Kaiba und Jounouchi aneinander geraten waren und wie die Situation eskaliert war. „Wie geht es Kaiba-kun? Ist er schwer verletzt?“ „Ach, mach dir um den mal keine Sorgen. Der ist hart im Nehmen. Ich mache mir mehr Sorgen um Jounouchi. Keine Ahnung, was genau mein Bruder ihm gesagt hat, aber er weiß genau, wie man Menschen manipuliert und ihre Schwächen ausnutzt. Da kennt er kein Erbarmen“, erklärte er und seufzte tief. Kaiba war in der Lage, seinen Gegenüber so exakt zu analysieren, dass er ohne Zögern auf ihre Schwachpunkte zielen konnte. Er wusste, was er sagen musste, um andere von sich zu überzeugen oder ihnen klar zu machen, wo sie hingehörten. Denn Kaiba war niemand, der Gegenworte duldete, erst recht nicht, wenn sie an ihn gerichtet waren. Kritik prallte an ihm ab und es fiel ihm äußerst schwer, seine eigenen Fehler einzusehen. Genau das war auch der Grund, warum Mokuba nun Yuugi aufgesucht hatte. Yuugi schien der Einzige zu sein, den sein großer Bruder akzeptierte und auf den er tatsächlich hörte. Yuugi durchschaute Kaiba und erkannte immer, ob dieser nun log oder die Wahrheit sprach. Und Kaiba wusste, dass es egal war, wie sehr er sich ihm gegenüber verstellte, da dieser ihn ohnehin entlarvte und sich nicht reinlegen ließ. Vermutlich war es diese Fähigkeit, die Kaiba so sehr an Yuugi schätzte. Mokuba wusste, wie gut Kaiba darin war, andere zu manipulieren und sie für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. Wie leicht es ihm fiel, eine Seele zu zerschmettern und Existenzen zu zerstören. Immerhin gehörte das ja auch zu seinem Job als Firmenleiter. Opfer mussten gebracht werden, doch Mokuba gefiel es überhaupt nicht, dass sein eigener Bruder die Grenzen wissentlich überschritt. Er war etwas ruhiger geworden, ja, aber nicht immer konnte sich Mokuba sicher sein, ob er diese zerstörerische Seite nicht doch noch in sich trug. Irgendwo lungerte ein Schatten in Kaibas Seele, mal stärker, mal schwächer und er gewann Kontrolle, wenn man es am wenigsten erwartete. Niemand schaffte es in Kaibas Seele zu blicken. Außer Mokuba. Bis heute. Auch Mokuba verstand seinen eigenen Bruder nicht mehr und der einzige, der Kaiba zu durchschauen vermochte, war Yuugi. Also legte er seine ganze Hoffnung in den Bunthaarigen. Etwas Anderes blieb ihm auch nicht wirklich übrig. „Das kannst du laut sagen. Jounouchi kann sehr sensibel sein“, meinte Yuugi nur und lief in Richtung Ladentür und drehte das Schild einfach auf „Geschlossen“. Es kamen ja ohnehin momentan kaum Kunden. Das Domino Turnier war bereits im vollem Gange. „Sensibel? Jounouchi?“, wiederholte Mokuba und unterdrückte das Lachen. „Ich kenne ihn besser als jeder andere. Auch wenn er es nicht zeigt, so etwas nimmt ihn sehr wohl mit. Er ist einfach viel zu liebenswert“, sagte Yuugi mit einem derartig liebevollen und verträumten Lächeln, dass Mokuba leicht schmunzeln musste. Vermutlich hätte er etwas Ähnliches über Kaiba auch gesagt. So war er eben. Immer nahm er andere in Schutz und wollte das Beste für sie. Mokuba fand es eigenartig, dass Yuugi nie ein schlechtes Wort über die Kaibabrüder verlor. Eigenartig, aber genau das schätzte er an ihm auch. Er folgte Yuugi ins Wohnzimmer, wo sie es sich auf der Coach bequem machten. Mokuba musterte die Umgebung jedes Mal, wenn er hier war, da es für ihn ungewohnt war, in einem so kleinen Raum zu sein. Die Einrichtung war bescheiden, aber erfüllt von Wärme. Kein Vergleich zu dem, was er von ihrer Villa kannte. Man hatte sofort das Gefühl, dass hier Menschen lebten. Zuhause hatte er dieses Gefühl nicht. Da war alles relativ steril und edel eingerichtet. Unpraktisch. Hier fühlte man sich direkt heimisch. „Jounouchi steigert sich schnell in negative Gedanken hinein, auch wenn er es nach außen nicht zeigt. Da sind wir uns ziemlich ähnlich“, meinte Yuugi und verschwand in der Küche, brachte Reiscracker und ein Tablett mit zwei Teeschalen zum Wohnzimmertisch. Mokuba griff sofort nach den Reiscrackern. Nervennahrung! Yuugi war immer so zuvorkommend und nett. Mit ihm konnte man über alles reden und er blieb fast immer ruhig. Das Vertrauen, das sich zwischen den beiden in den letzten Jahren aufgebaut hatte, war so tief, dass Mokuba Yuugi immer dann um Rat bat, wenn er nicht weiter wusste. Es gab viele Dinge, über die er mit seinem Bruder nicht sprechen konnte. Entweder weil dieser selbst keine Erfahrungen in dieser Richtung hatte oder es ihnen beiden unangenehm war. Oder Kaiba hatte keine Zeit, weil er sich um andere wichtigere Dinge kümmern musste. „Ich kenne Jounouchi nicht gut genug, um das zu beurteilen, aber ich würde gerne mehr über ihn erfahren. Mein Bruder muss was sehr Schlimmes gesagt haben, damit Jounouchi derart ausrastet. Ich habe gehört, sein Vater sei Alkoholiker...“, kam es von Mokuba. Den letzten Satz sprach er leise aus, als befürchtete er, er hätte ein Geheimnis angesprochen, von dem niemand etwas erfahren durfte. „Stimmt. Ich hatte bisher nur einmal mit ihm zu tun. Jounouchi lädt niemanden nach Hause ein, er sagt, er käme gut klar und weil ich weiß, dass er mich nicht anlügen würde, glaube ich ihm. Dennoch mache ich mir manchmal Sorgen...“ Ein tiefer Seufzer. „Jounouchi erzählt nichts über seine Vergangenheit. Honda hat paar mal etwas angedeutet, aber er bleibt da äußerst vage. Ich will mich nicht aufdrängen und respektiere Jounouchis Wunsch. Es gibt keinen Grund, die Vergangenheit wieder aufzuwärmen.“ „Verstehe... du kannst mir also auch nicht viel mehr sagen. Trotzdem danke.“ „Tut mir leid, ich bin dir keine große Hilfe. Du könntest ja Honda-kun fragen.“ „Wenn er nicht mal dir etwas sagt, dann wird er mir erst recht nichts sagen“, schlussfolgerte der Jüngere und griff nach seiner Tasse. Die wohlige Wärme der Flüssigkeit belebte sein Gemüt. Hinsetzen und Tee trinken. Dabei einfach nur reden. Mit seinem Bruder war so etwas nicht möglich. Da war er froh, dass er Freunde wie Yuugi hatte, die seine Probleme ernst nahmen und sich für das interessierten, was er zu sagen hatte. „Ach ja!“, kam es dann von Mokuba und er stellte seine Tasse ab. Seine Augen glitzerten. „Es gibt neue Duel Monsters Karten. Eine ganze Magiermädchenkollektion!“ „Ich weiß!“, kam es begeistert von Yuugi und er kicherte. „Ich habe leider noch nicht alle, aber bald habe ich die Mädels alle beisammen“, freute er sich. „Du magst niedliche Sachen, was?“, grinste Mokuba. „W-was...?“, kam es überrumpelt von Yuugi. Wie kam Mokuba denn auf diese Schlussfolgerung? „Na, die Magiermädchen sind doch süß. Passt zu dir. Du bist auch irgendwie putzig. Mein Bruder sagte einmal, dass das Deck eines Duellanten seine Seele widerspiegelt. Das ist wie mit Hundebesitzern, ihr Hündchen ist ihnen auch ähnlich. Und weil du selbst so unschuldig und lieb bist, passen die Magiermädchen gut zu dir“, grinste Mokuba. „Unschuldig? Lieb? Bestimmt“, kam es von Yuugi, der sich krampfhaft daran hinderte, laut drauf loszulachen. Er und unschuldig? Oh, wenn Mokuba nur wüsste! „Stille Wasser sind tief und so auch die schwarzen Magiermädchen. Sie sehen so lieb und nett aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben, aber haben ganz schön etwas auf dem Kasten. Passt zu dir. Du bist auch winzig. Wenn man dich sieht, kann man dich nicht ernst nehmen, aber in einem Duell behältst du trotzdem die Oberhand.“ „Danke für das Kompliment“, murmelte Yuugi. Er hatte schon verstanden, worauf Mokuba hinaus wollte, trotzdem passte ihm diese eine Aussage nicht. Die Bezeichnung „winzig“ hinterließ einen richtig fiesen Nachgeschmack und fühlte sich wie ein Pfahl an, den man ihm mit voller Wucht in die Brust geschlagen hatte. Als wäre es nicht schlimm genug in seinem Alter unter 1,60 cm zu sein, musste er sich das auch noch von einem guten Freund unter die Nase reiben lassen. Verdammt. Warum nur war er so klein? Trotzdem lächelte er, denn es kam viel zu selten vor, dass er sich mit dem Schwarzhaarigen so ungezwungen unterhalten konnte. Mokuba lachte amüsiert, wohl wissend, dass er Yuugi mit dieser Aussage aus der Bahn geworfen hatte. Genauso wie sein älterer Bruder hatte Mokuba schnell gelernt, auf die Schwachpunkte seiner Gegner zu zielen. In diesem Fall war es mehr als freundschaftliches Necken zu verstehen und nicht als Angriff, was Yuugi wohl auch verstanden hatte. „Von dem Rotäugigen Schwarzen Drachen gibt es auch neue Versionen und Verbundkarten. Mit denen kommt Jounouchi bestimmt ins Finale“, meinte der Schwarzhaarige dann und nickte zuversichtlich. „Ja, seine neue Taktik wird ihm helfen. Bakura-kun hat ihm viele neue Karten geschenkt. Da er Ahnung von Duel Monsters hat, hat er ihm hauptsächlich Karten gegeben, die sein Deck unterstützen“, erklärte Yuugi mit einem Lächeln. „Wirklich? Bei seinem letzten Duell hatte er noch seine alten Karten. Ha, da bin ich aber gespannt!“ „Ja und wenn er dieses Turnier gewinnt, wird er wieder im Ranking aufsteigen. Ich hoffe, er schafft es dieses Mal. Beim letzten Turnier war es so knapp“, seufzte Yuugi. Jounouchi träumte seit Langem davon Pro Duelist zu werden, doch dafür musste er nun mal an offiziellen Turnieren teilnehmen und als Sieger hervorgehen. Zunächst musste er also die lokalen Turniere gewinnen und sich einen Namen machen, um dann bei den nationalen Spielen teilnehmen zu dürfen, nur um so die Voraussetzungen für die internationalen Turniere zu erfüllen. Das war nicht so einfach. Yuugi wusste selbst, dass viele Duellanten bereits vorher das Handtuch warfen, weil die Konkurrenz enorm war. Überhaupt im Ranking der weltbesten Duellanten aufzutauchen und zu bleiben, stellte eine Hürde dar. Dadurch, dass Jounouchi mit ihm im Königreich der Duellanten gekämpft hatte und dritter bei Kaibas Battle City Turnier wurde, war er kein unbeschriebenes Blatt, doch die Konkurrenz schlief nicht und jeder Duellant, der eine Karriere in dieser Richtung anstrebte, wusste, wie wichtig es war, sich anzupassen und seine eigenen Strategien zu überdenken. Der Blonde hatte in den letzten Turnieren stets dieselbe Taktik: auf gut Glück gewinnen. Dass dies nicht gerade der beste Weg zur Spitze war, war natürlich klar und so waren seine Gegner entsprechend vorbereitet und konnten seine Spielzüge aushebeln, lange bevor sie in Kraft taten. Einige von seinen Gegnern hatten Ante-Decks erstellt, sodass es Jounouchi unmöglich war, seine Karten zu setzen und das Spiel zu seinem Gunsten zu wenden. Bangend hatte Yuugi im Publikum gesessen und ihn angefeuert, doch obwohl Jounouchi sich so sehr bemühte, war er mehrmals in die Falle seines Gegners getappt und hatte letztendlich das Duell verloren. Da Jounouchi dennoch immer wieder an offiziellen Spielen teilnahm und diese gewann, blieb sein Platz im Ranking konstant, da die Anzahl der gewonnenen Duelle die der verlorenen überstieg. Trotzdem wurde er nicht bekannter. „Meinst du, dass er in die Internationals kommt? Ich würde es ihm gönnen“, erklärte Mokuba und bemerkte, dass er sämtliche Reiscracker allein aufgefuttert hatte. Hoppla. Gesund war das sicher nicht. „Erstmal muss er die Nationals überstehen und um dort reinzukommen, muss er das lokale Domino Turnier, das jetzt stattfindet, gewinnen“, begann Yuugi nachdenklich. „Der Sieger darf gegen dich antreten, deshalb nimmt mein Bruder auch teil“, grinste der Schwarzhaarige. „Eigentlich darf man mit acht Sternen nicht mehr an lokalen Turnieren teilnehmen...“ „Du bist aber eine Ausnahme. Immerhin bist du der König! Jeder will gegen dich spielen.“ „Das heißt aber nicht, dass Kaiba diese Entscheidung ohne meine Zustimmung fällen kann. Ich werde nicht kommen. Ich bin doch nicht sein Hund, der ihm brav hinterherrennt und alles tut, was er sagt. Mal davon abgesehen, dass ich immer noch eine Stellungnahme von ihm erwarte, was die Überweisungen angeht.“ Mokuba zog verwundert eine Augenbraue hoch. Wovon sprach Yuugi da? „Was für Überweisungen?“ „Einen Teil des Gewinns, den ich durch die Artikel von der Kaiba Corporation mache, geht an die KC zurück. Doch die letzten Überweisungen sind nicht gebucht worden und ich verstehe nicht, was das soll. Wir sind Geschäftspartner, trotzdem nimmt er Rücksicht auf mich und das ärgert mich. Er nimmt mich nicht ernst“, grummelte Yuugi und lehnte sich nun in die Coach, blies seine Backen auf, wie ein kleines Kind. Dachte Kaiba etwa, dass Yuugis Situation so ausweglos war, dass er seine Unterstützung brauchte? Yuugi hatte mehr und mehr das Gefühl, dass Kaiba ihn nicht ernst nahm und zu glauben schien, dass er tun und lassen konnte, was er wollte. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Kaiba ihn nach Lust und Laune zum Duel Dom zitierte, um sich dort gegen ihn zu duellieren, nur um dann in größter Begeisterung von seinem bevorstehenden Sieg zu schwärmen (bisher hatte Kaiba kein einziges Mal gegen Yuugi gewonnen, trotzdem feierte er sich jedes Mal bereits im Vorfeld so lautstark, dass Yuugi es irgendwie niedlich fand, wenn er so viel Begeisterung zeigte und allein deswegen seine Herausforderungen annahm, um dieses Lachen zu hören), jetzt schien er auch noch zu glauben, dass Yuugi zu blöd war, nicht zu merken, dass seine Buchhaltung nicht stimmte. Kaiba schien ihn zu unterschätzen. Kaiba nahm ihn nicht ernst. Ob bei einem Duell oder bei seinen Fähigkeiten als Verkäufer, der ein eigenes Geschäft führte. Immer tat Kaiba so, als wäre er ihm überlegen, obwohl er eigentlich schon längst begriffen haben sollte, dass sich Yuugi nicht von ihm unterbuttern ließ. Auch sein ewiger Sarkasmus hielt ihn nicht davon ab, sich ihm entgegen zu stellen und er nahm in erster Linie seine Herausforderungen an, um ihm zu beweisen, dass er niemand war, den man unterschätzen konnte. Yuugi wollte Kaiba beweisen, dass er Atem in Nichts nachstand und dass er die Bezeichnung Rivale verdient hatte – trotzdem nahm dieser Rücksicht auf ihn. Natürlich war der Kame Game Shop nicht unbedingt die erste Adresse, wo man als Spielliebhaber hinging, immerhin lag der Schwerpunkt des Ladens nicht bei Videospielen und den neuesten Trends des Markts, sondern bei analogen Spielen. Brettspiele, Kartenspiele und Merchandise zu beliebten Spielen wie Capsule Coliseum oder Duel Monsters. Sein Großvater war auch stur, was das Sortiment anging. Er wollte bei den traditionellen und antiken Spielen bleiben. Yuugi seufzte. Natürlich konnte er den Wunsch seines Großvaters verstehen. Das Sortiment des Kame Game Shops war einzigartig und fiel auf, aber man konnte von diesen alten, verstaubten Brettspielen nicht unbedient von Kassenschlagern sprechen. Lediglich das Merchandise und die Duel Monsters Karten liefen gut, so auch die Dueldisks, die Yuugi bei der KC bestellte. Sugoroku weigerte sich vehement, sein Sortiment umzustellen. Da hingen Erinnerungen dran. Erinnerungen an die alten Zeiten, als er als Gambler noch die Welt bereist hatte und als König der Spiele bekannt war. Heute kannte kaum einer mehr die Legende vom König, der jede Herausforderung annahm und gewann. Heute sprach man von Yuugi. Dass Yuugi mit Sugoroku verwandt war, wussten nur die wenigsten. Lediglich jene, die in der Gaming Szene bewandert waren. Wenn Jii-chan doch einfach nur nachgeben und mir mehr Freiheiten gewähren würde. Aber er ist so stur! Natürlich nagen wir nicht am Hungertuch, aber ich möchte den Laden ungern irgendwann schließen müssen, weil mir die Kundschaft fehlt. Kaiba-kun hat das sicher auch schon gemerkt und ich kann verstehen, warum er mir unter die Arme greifen will... trotzdem brauche ich seine Hilfe nicht. Ich bin ein ebenbürtiger Geschäftspartner und kein Kind, dachte Yuugi und konnte den wachsenden Ärger nicht mehr zurückhalten. Er griff nach der Schüssel mit den Keksen – sein Mund weitete sich erschrocken. Nichts mehr da! Dann später eben zu BurgerWorld oder Pizza. „Vielleicht ist mein Bruder doch nicht so gemein, wie ich dachte“, murmelte Mokuba nachdenklich. Nahm sein Bruder wirklich Rücksicht auf Yuugi? Auf gewisse Weise hätte man meinen können, er wollte Yuugi unter die Arme greifen. Nein, das konnte nicht sein. Aber aus welchem anderen Grund würde er Yuugis Abgaben stornieren? Das war eigenartig. Einmal mehr hatte er das Gefühl, dass er seinen Bruder nicht verstand. Was nur ging in Kaibas Kopf vor? Kapitel 16: Kapitel 16 ---------------------- Es war bereits Nachmittag als Jounouchi durch die Stadt schlenderte. Ihm fehlte nur noch ein Sieg, um ins Finale zu kommen. Er hatte viele bekannte Gesichter gesehen. Espa Rober, Dinosaur Ryuzaki, Insector Haga und sogar Ryouta Kajiki. Er staunte nicht schlecht darüber, wie viele seiner alten Bekanntschaften ihn sofort wiedererkannten und wie vertraut sie miteinander reden konnten. Gerade mit Ryouta und Ryuzaki kam er besonders gut klar und es freute ihn, dass diese beiden sich genauso wie er selbst ihren Weg nach oben bahnten. Jounouchi hatte dank ihnen auch einige nützliche Informationen erhalten, so hatte er herausfinden können, dass es bei den Neulingen einige gute Anfänger gab, die tatsächlich gute Chancen hatten, eines Tages ganz oben in der Weltrangliste zu stehen. In anderen Worten: noch mehr Konkurrenz! Aber auch hatten sie ihn vor den Raritätenjägern gewarnt, die immer dann aktiv wurden, wenn ein Turnier ausgetragen wurde. Viele Duellanten wurden hinterrücks überfallen und ihrer besten und wertvollsten Karten beraubt. Schon während des Battle City Turniers hatte es da Schwierigkeiten gegeben, sodass Jounouchi nun verstand, warum Kaiba fast sein ganzes Sicherheitspersonal in die Stadt geschickt hatte. Sie passten auf, dass niemand Unruhe stiften konnte. Immerhin war das hier Kaibas Turnier. Sein Name stand auf dem Spiel. Würde es zu Zwischenfällen kommen, würde die Kaiba Corporation sehr schnell in der Kritik stehen. In der Hinsicht war Kaiba nun wirklich nicht zu beneiden, also konnte sich der Blonde glücklich schätzen, dass er nur ein Teilnehmer war. Auch wenn Kaiba meinte, dass es bei dem Turnier hauptsächlich darum ging, seine neue Hologrammtechnik vorzustellen – genau genommen damit anzugeben, was der große, tolle Kaiba so alles konnte – so war es auch offensichtlich, dass ihm Duel Monsters sehr am Herzen lag und er nicht zuließ, dass irgendjemand sein geliebtes Kartenspiel beschmutzte und für niedere Zwecke missbrauchte. Natürlich konnte die KC diese Übeltäter nicht allesamt ausmerzen. Finanziell hätte dies sicher in Kaibas Möglichkeiten gelegen, doch er war nun mal der Leiter einer Firma, der viel zu tun hatte und sich auch anderen Aufgaben widmen musste. Jounouchis Atem stockte und er senkte seinen Blick frustriert zu Boden. Genau. Er ist der Firmenleiter der Kaiba Corporation. Klar hat er viel zu tun... was für ein Idiot ich war. Vielleicht... war ich etwas voreilig. Aber ich will mich nicht bei ihm entschuldigen. Er hat mich beleidigt und das heute nicht zum ersten Mal. Eigentlich verdient er eine ordentliche Tracht Prügel, damit er endlich lernt, dass er nicht der Mittelpunkt der Welt ist, schoss es Jounouchi durch den Sinn und wieder versuchte er krampfhaft seine Fehler zu rechtfertigen, obgleich er tief in sich wusste, dass Gewalt nie eine Lösung war und dass er auf diese Weise weder die Welt noch Kaiba von sich und seinem Können überzeugen konnte. Jounouchi blieb plötzlich stehen. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Er ließ seinen Blick umherwandern, musste aber feststellen, dass sein Verfolger – sofern er sich nicht geirrt hatte – schon wieder verschwunden war oder sich so gut versteckt hatte, dass er ihn nicht wahrnehmen konnte. Es war ihm auch ziemlich egal, denn er würde jeden Herausforderer fertigmachen und ins Finale kommen. Wenn er ein professioneller Duel Monsters Spieler – in den Fachkreisen auch Pro Duelist genannt – werden und ernst genommen werden wollte, durfte er sich vor keiner Herausforderung mehr drücken und zeigen, dass Jounouchi Katsuya mehr zu bieten hatte, als eine große Klappe. Dass er mehr konnte, als mit Gewalt zu kontern, wenn er sich eingeengt fühlte! Dennoch konnte er ein unangenehmes Gefühl nicht abschütteln. „Jounouchi“, hörte er eine Stimme aus der Seitenstraße. Rasch wandte er sich um und ging sofort in Abwehrhaltung über, bereit im Notfall zuzuschlagen. Ein blonder Junge tauchte auf. Seine Haare wild nach oben gestylt, während seine schmalen, kantigen Augen ihm einen ziemlich grimmigen und bösen Gesichtsausdruck verpassten. Auf seinem schwarzen Tanktop war eine Spinne abgedruckt, während er seine Arme verschränkte und sein Duel Disk verheißungsvoll aufzublitzen schien. „Lust auf ein kleines Duell? Der alten Zeiten wegen“, meinte er nur mit einem breiten Grinsen, doch Jounouchi legte nur verwundert den Kopf schief. „Kennen wir uns?“, fragte er perplex und zeigte unsicher auf den Duellanten, welcher nur breit grinste und dann auflachte. „Nagumo Koji – man nennt mich auch die Spinne. Wir kennen uns von der Domino High“, erklärte er und lächelte unschuldig. „Moment... so langsam klingelt es. Du Mistkerl hast Yuugi bei Monster Fighter beklaut!“, schrie er ihm entgegen, als er sich an ihn erinnerte und zeigte Schuld zuweisend mit dem Zeigefinger auf ihn. „Unsinn, das war die Regel und er hat eingewilligt. Außerdem ist das doch eh alles Schnee von gestern. Ich bin jetzt ein Duellant und fordere dich zum Duell heraus. Komm, sei kein Feigling!“ „Ich und feige? Nie und nimmer!“, kam es von Jounouchi, der seinen Duel Disk gerade starten wollte, doch Nagumo hielt ihn auf, winkte ab. „Nicht hier. Lass uns irgendwo hingehen, wo nicht zu viele Leute sind. Ich mag es nicht, wenn zu viele Leute zugucken und einen ablenken“, erklärte er und weil Jounouchi seine Begründung in sich schlüssig fand, willigte er ein. Er folgte Nagumo wortlos, als dieser durch die Seitenstraßen lief und wunderte sich insgeheim, warum er eine Strecke wählte, die menschenleer und abgelegen vom Trubel der Stadt war. Nagumo hatte in seiner Jugendzeit so einige krumme Dinger gemacht und er hatte gehört, dass er sich bereits vor Jahren als Duellant versucht hatte. Jedoch hatte er wohl – den Gerüchten nach zufolge – mit Kaibas Obelisk Bekanntschaft gemacht und sich danach zurückgezogen. Jounouchi fand zwar auch, dass die Sangenshin ziemlich angsteinflößend sein konnten, aber auch vor einem Gott kniff er nicht den Schwanz ein und ließ sich nicht beirren. Er hatte bereits einem Gott gegenüber gestanden. Mehr als einmal. Und jedes Mal hatte ihn sein Wille zu leben gerettet. Auch die unsagbar heißen Flammen des Raa hatten ihn nicht eingeschüchtert. Die Sangenshin waren besonders und sehr mächtig, aber nicht unbesiegbar. Jedes Monster hatte einen Schwachpunkt und mit ein bisschen Grips und Glück konnte man Mittel und Wege finden, selbst einen Gott auszuschalten und ihm die Stirn zu bieten. Es gab keine absolute Taktik in Duel Monsters und deshalb war Jounouchi der Ansicht, dass diese vielen verschiedenen Möglichkeiten ein Duell erst richtig spannend machten. Jounouchi mochte Duellanten, die auf unkonventionelle Methoden zurückgriffen und bewusst nicht das taten, was alle anderen auch taten oder von ihnen erwarteten. Wäre doch super langweilig, wenn alle Spieler dieselben Karten verwenden würden, also war es gut, dass es Spieler gab, die auf ihre eigene Art und Weise versuchten, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. „Wir sind da!“, meinte Nagumo zufrieden und blieb stehen, warf Jounouchi ein nettes Lächeln entgegen, von dem sich Jounouchi mehr als nur sicher war, dass es falsch sein musste. Der Kerl spielte doch nicht nach den Regeln. Der Kerl war ein Betrüger und griff auch auf unfaire Mittel zurück und weil sein Instinkt ihm sagte, dass irgendetwas nicht stimmte, fühlte er sich umso mehr zur Vorsicht ermahnt. Irgendetwas war hier faul. Er warf einen genauen Blick auf ihre Umgebung. Sie befanden sich auf einer Baustelle, die vor Jahren aufgegeben wurde. Auf den alten, verwitterten Metallträgern, die achtlos liegen gelassen worden waren, befand sich immer noch eine Lage Schnee, die durch das Sonnenlicht noch nicht geschmolzen war. Abends trafen sich hier Jugendliche und kleine Gangs, die hier sich hier mit Alkohol die Zeit vertrieben. Da Jounouchi selbst mal Mitglied einer Gang gewesen war, kannte er diesen Ort und all die Schleichwege in und auswendig. Ob Nagumo sich im Klaren war, dass Jounouchi mal in diesen Kreisen verkehrt hatte? Hirutani hat hier auch gerne Zeit totgeschlagen. Tagsüber ist hier nie einer, könnte also gut eine Falle sein, überlegte Jounouchi und wurde noch argwöhnischer. „Gibt es irgendeinen Grund, warum es ausgerechnet diese verlassene Baustelle sein musste? Außerhalb des belebten Stadtgebiets? Willst du mich etwa ausrauben, hm?“, fragte Jounouchi nach und kniff seine Augen zu, zeigte seinem Gegenüber, dass er nicht zu Späßen aufgelegt war und sich zur Not nicht nur mit Worten, sondern auch mit seinen Fäusten wehren würde. „Meine Güte, du bist ja übervorsichtig...“, lachte Nagumo und aktivierte seinen Duel Disk. Da Jounouchi ihn immer noch nur misstrauisch beäugte, seufzte er und forderte ihn erneut dazu auf, seinen Duel Disk zu starten, damit sie endlich anfangen konnten. Ihr Duel zog sich in die Länge und Jounouchi verzog jedes Mal angewidert das Gesicht, als er das ekelhafte Grinsen der Spinnenmutter (2300ATK/1200DEF/6☆) sah, die ihn mit ihren hohen Angriffswert vor eine zunächst unüberwindbare Hürde stellte. Durch den Effekt der Spinnenmutter hatte Nagumo es geschafft, dieses Monster ohne Tribut zu beschwören und zudem zwei seiner Monster auf den Friedhof zu befördern. Auf Nagumos Seite befanden sich zwei weitere Spinnenmonster, zum einen die Spitzelspinne (500 ATK/1800DEF/4☆), die, wenn sie besiegt wurde, Nagumo dazu bemächtigte, sich eines von Jounouchis Monstern zu schnappen, sofern sich dieses in der Verteidigungsposition befand. Das wollte der Blonde auf keinen Fall zulassen. Jounouchi seufzte und warf einen weiteren Blick auf seine eigenen Karten und dann zurück auf das Spielfeld. Mit ein bisschen Glück würde er das Ruder schon herum reißen. Es war zu früh zum Aufgeben. Geschweige denn davon, dass es absolut nicht seine Art war, kampflos das Handtuch zu werfen! Die Preisgegebene Spinne (300ATK/500DEF/2☆) bereitete ihm auch Sorgen. Sie musste irgendeinen Effekt haben, denn einen anderen Anlass gab es nicht, solch ein schwaches Monster zu spielen. Sie befand sich zwar auch in der Verteidigung und stellte im Moment keine Gefahr dar, trotzdem war sich Jounouchi sicher, dass er sich vor ihr in Acht nehmen musste. Nachdenklich studierte er sein eigenes Blatt, zog dann eine neue Karte, in der Hoffnung, ein neues Ass zu erhalten, das ihm dabei helfen würde, die Führung zu übernehmen. Genervt raunte er. Etwas, das Nagumo hellhörig werden ließ und ihm Sicherheit gab. So wie dieser Trottel das Gesicht verzieht und stöhnt, hat er sicher eine nutzlose Zauberkarte gezogen. Unglaublich, dass Jounouchi zu den besten Duellanten gehören soll. Den kriege selbst ich platt, dachte Nagumo und grinste selbstzufrieden in sich hinein. Dass Jounouchi zu den bekannteren Gesichtern in der Duel Monsters Szene zählte, bedeutete also nicht automatisch, dass er ein guter Spieler war. Vermutlich zog er sich auch nur am König hoch. An diesen verdammten Yuugi. Dieser eingebildete Mistkerl. Jounouchi stellte keine Gefahr für ihn dar. Man konnte ihn nicht mal ernst nehmen und seine ständig wechselnden Gesichtszüge und seine mangelnde Fähigkeit ein Pokerface beizubehalten, machte es unglaublich einfach, ihn zu durchschauen. Seine Bluffs waren so schlecht, dass Nagumo sich wirklich fragte, wieso er überhaupt in der Weltrangliste auftauchte. Nicht, dass Jounouchi ihn interessierte. Sein Interesse galt einzig und allein ihm. Der Mann, der es gewagt hatte, ihn zu demütigen. Ihn, den König von Dominos Straßen. Mit meinem Rotäugigen Retrodrachen (1700ATK/1600DEF/4☆) komme ich nicht sehr weit, aber wenn ich ihn für ein stärkeres Monster opfere, habe ich eine Chance. Verdammt, wenn Nagumo nicht so viele meiner Monster auf den Friedhof geschickt hätte, hätte ich jetzt weitaus bessere Karten!, überlegte er und betrachtete seinen Schwarzen Metalldrachen (600ATK/600DEF/1☆). Dann ging ihm ein Licht auf und er legte seinen Metalldrachen ab, aktivierte dessen Fähigkeit, die ihn dazu befähigte, sein neues Monster als Ausrüstungskarte zu verwenden, um somit den Retrodrachen um 600 Angriffspunkte zu stärken. Nun hatte sein Monster denselben Wert wie die Mutterspinne und selbst wenn es zu einem Kampf käme, würden sich beide Monster nur gegenseitig zerstören, ohne dass ihre Lebenspunkte angekratzt wurden. „Unterschätze mich nicht, Nagumo! Mein Zug ist noch nicht beendet! Ich lege zwei weitere Karten verdeckt ab!“, meinte er nur. Mit dem Sündenbock hatte er eine gute Chance. Schnellzauberkarten waren immer nützlich und konnten gut als Opfer eingesetzt werden. Außerdem hatte er die Falle Fluch des Anubis gesetzt, mit der er sämtliche Effektmonster – und somit seine bisher größte Sorge, die Preisgegebene Spinne – in die Verteidigung zwingen konnte. Ein zufriedenes Grinsen fand den Weg auf Jounouchis Gesicht. Zur Not hätte er immer noch die Roulettespinne auf seiner Hand... Kaibas Blick blieb bei seinem Blauäugigen Weißen Drachen hängen und ein sanftes, beinahe liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen. Immer wenn er das Bild dieser Karte sah, fühlte er sich gleich viel besser und er konnte all den Ärger, der ihn sonst begleitete und zu übermannen drohte, vergessen und fokussiert in Richtung Zukunft sehen. Obwohl ihm sein Deck normalerweise Ruhe gab, konnte er den Gedanken nicht abschütteln, dass Yuugi seine Herausforderung ablehnen würde. Hatte Jounouchi das nur gesagt, um ihn zu ärgern? Oder war da wirklich etwas dran? Er seufzte schwer und legte seine Karten zu einem Stapel zusammen. Für einen Moment hielt er seinen Atem an, legte dann seinen Kopf in den Nacken und überlegte fieberhaft, ob er den Worten des blonden Trottels wirklich Glauben schenken sollte. Yuugi war immer passiv. So hatte Kaiba ihn auch in der Oberstufe kennengelernt. Ein äußerst naiver und überfreundlicher Kerl, der auf keinen Fall unangenehm auffallen wollte und sich stets darum bemühte, nie etwas zu tun, was andere verärgern würde. Er hielt sich aus Streitigkeiten raus und hatte immer ein dümmliches Lächeln auf den Lippen. Kaum Selbstvertrauen. Ängstlich, aber nicht feige. Kaiba hatte ihn aus der Ferne beobachtet und es war die Leidenschaft für Spiele und ihre Rivalität in Duel Monsters, das sie aneinander band. Nur das hatte sein Interesse geweckt. Trotzdem war er immer der Ansicht gewesen, dass Mutou Yuugi das komplette Gegenteil von Pharao Atem war. Atem war mutig, stolz und hatte stets einen frechen Spruch auf Lager. Seine Seele geriet nie ins Wanken. Er hatte seinen Blick stets gen Zukunft gerichtet und ging ohne Furcht voran. Dieser Mann war ihm ebenbürtig und sein wahrer Rivale. Für Kaiba war der Mann aus dem alten Ägypten, der sich selbst als antiker Pharao betitelte, tatsächlich das Maß aller Dinge. Er war perfekt. Er war die Perfektion und gab ihm stets die Motivation sich zu steigern und noch besser zu werden. Aber er war nicht mehr hier. Nachdem Atem aus seinem Leben gegangen war, hatte er Yuugi als Platzhalter akzeptiert. Am Anfang war es nichts weiter als eine Ablenkung. Er konnte nicht damit umgehen, dass Atem einfach gegangen war und ihm ein letztes, echtes Duell verweigert hatte. Diese besondere Verbindung, die sie zueinander hatten, war für Kaiba sehr wertvoll. Die Lücke, die Atem gelassen hatte und das Loch in seinem Herzen hatte er füllen wollen, also richtete er sein Augenmerk auf Yuugi. Und das zurecht, hatte sich herausgestellt. Seine Persönlichkeit war anders, aber seine strategischen Fertigkeiten auf keinen Fall zu missachten. Yuugi gab selten Widerworte. Er war leicht zu manipulieren. Ein Lächeln und ein paar nette Worte reichten meist aus, um seine Meinung zu ändern. Wenn man wusste, wie man ihn umstimmen konnte, war er wie eine Marionette zu handhaben. Für Kaiba war es selbstverständlich, dass Yuugi seine Herausforderungen annahm. Dass dieser dumm genug war, ihn als „Freund“ zu betiteln, war somit etwas, das er gerne in Kauf nahm, solange er seine Chance auf ein Duell bekam. Doch dass Yuugi seine Herausforderung ablehnen könnte und sich bisher auch nicht beim Infocenter gemeldet hatte, gab ihm ein zunehmend schlechtes Gefühl. Yuugi war ein braves Hündchen. Befahl man ihm Sitz zu machen, tat er dies auch. Zitierte er ihn zum Dueldom, um sich gegen ihn zu duellieren, kam er mit seinem Deck bewaffnet. Das war immer so gewesen. Yuugi war leicht zu handhaben – zumindest hatte er ihn so eingeschätzt. Yuugi war einfach zu nett und zuvorkommend. Er zeigte selten Kampfgeist. Nur in ihren Duellen wurde er ernst und der Blick, den er ihm schenkte, wenn er seine Karten ablegte und glaubte im Vorteil zu sein, war ebenso wunderschön und faszinierend wie einst der von Atem. Denn dann lag seine ganze Seele in seinem Zug und seinem Blick. Duellanten waren Menschen, die die Ästhetik in Duel Monsters verstanden hatten und sich mit ihren nackten Seelen miteinander maßen und in dieser Hinsicht stand Yuugi ihm in nichts nach. Nur deshalb konnte er ihn als neuen Rivalen akzeptieren. Denn seine Fähigkeiten als Duellant und als Gamer waren beeindruckend. Seine endlose Leidenschaft für Spiele und vor allem Duel Monsters kannte keine Grenzen. Aus welchem Anlass sollte sich das geändert haben? Warum sollte Yuugi nun auf stur schalten und seine Herausforderung ablehnen? Aufgeregt trommelte er mit seinen Fingern auf der Tischplatte. Vielleicht wäre es das Beste, ihn selbst zu fragen. Ihn zu konfrontieren, denn würde er ihm direkt ins Gesicht sagen, dass er ihn im Finale erwartete, würde sein Herz schwach werden und sein Entschluss, ihm nicht zu gehorchen, ins Wanken geraten. Denn außerhalb eines Duells zeigte Yuugi selten Kampfgeist. Ein kleines, gespieltes Lächeln und schon würde er Yuugi umstimmen. Mehr brauchte es bei ihm nicht. „Gut, dann werde ich ihm einen Besuch abstatten und ihn daran erinnern müssen, dass er sich nicht einfach aus der Affäre ziehen kann. Unser Duell wird stattfinden“, murmelte er entschlossen und überlegte, wie er Yuugi am besten begegnen sollte. Vermutlich würde dieser immer noch im Kame Game Shop sitzen und darauf warten, dass Kundschaft eintrudelte. Kaiba fand es ja ohnehin absolut unvernünftig, dass Yuugi sich an diesen Laden klammerte, der kaum etwas abwarf. Dabei könnte er als Pro Duelist große Karriere machen und die Szene mächtig durch rütteln, würde er sich häufiger bei internationalen Turnieren zeigen. Kaiba seufzte enttäuscht. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es früher Nachmittag war und er entschloss sich dazu, seinen Ärger an einigen Neulingen auszulassen und mit diesen den Boden zu wischen. Die Qualität der Duelle nahm seit Jahren ab, während die Anzahl der neuen Duellanten, die weder die Ästhetik in den Karten noch in der Kunst des Kartenkämpfens verstanden, immer weiter anstieg. Die meisten gaben nach nur wenigen Monaten auf, sobald sie auf die großen Namen trafen und zum ersten Mal mit einem starken Kontrahenten konfrontiert wurden. Kaiba grinste amüsiert. Dass Jounouchi es einfach nicht schaffte, sich nach oben zu kämpfen, war ein Beweis dafür, wie dämlich dieser war. Würde er das Kartenspiel ernst nehmen und seine Strategie überdenken – wohl eher sich endlich mal eine gescheite Strategie zulegen – hätte er eindeutig bessere Chancen. Welcher normal denkende Mensch kam denn schon auf die Idee, Karten in sein Deck zu tun, die mit dem Fall einer Münze oder eines Würfels über den weiteren Verlauf eines Duells bestimmten und einem, wenn man Pech hatte, den Sieg kosten konnte? Jounouchis Strategie basierte auf Glück. Natürlich musste Kaiba zugeben, dass dieser mehr Glück als Verstand hatte, denn anders konnte man einfach nicht erklären, wie er seinen Anmutigen Würfel so häufig dazu brachte, die Sechs zu zeigen. Vermutlich hätte Jounouchi weitaus bessere Chancen den Jackpot in einem Kasino zu knacken, als ein Duell zu gewinnen und endlich ein paar Ränge aufzusteigen. Nicht grundlos nannten die Leute ihn einen Gambler und es war wahr, denn was anderes als Glücksspiel war das, was er während eines Duells ablieferte, nun wirklich nicht. Ein High Roller wie Jounouchi hatte nichts in einem so graziösen Spiel wie Duel Monsters zu suchen! Knurrend verließ Kaiba sein Büro und besiegte ein paar Amateure und schenkte all jenen vernichtende Blicke, die es wagten, ihm länger als drei Sekunden ins Gesicht zu sehen. Seine Verletzung machte deutlich, dass etwas passiert sein musste, doch die meisten trauten sich nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Sich mit Kaiba anzulegen bedeutete sein eigenes Testament zu unterschreiben. Er hätte auch ein Phantombild schicken können und sich mithilfe seiner Hologrammtechnik duellieren können, doch er genoss es die verzweifelten Gesichtsausdrücke seiner Gegner zu sehen, wenn ihnen klar wurde, dass man Kaiba nicht mit gutem Willen und dem Wunsch zu siegen besiegen konnte. Kaiba hielt nichts vom Willen. Der Wille allein entschied kein Duell und er brachte einem auch nicht den Sieg. Weder in einem Kartenspiel noch im wahren Leben. Was wirklich zählte war Kompetenz und Macht. Nur wer seine Fähigkeiten ausschöpft und hart an sich und seinen Strategien arbeitet, darf sich Duellant nennen. Bonkotsu, du wirst es nie zu etwas bringen. Die einzige Qualität, die du hast, ist dein loses Mundwerk, grummelte Kaiba gedanklich. Wieso beschäftigte er sich überhaupt mit dem Blonden? Warum nervte es ihn so dermaßen, dass dieser Duel Monsters nicht ernst nahm? Lag es daran, dass Jounouchi seinem Rivalen so nahe war und dessen guten Ruf gefährdete? Es gab so viele Fragen in seinem Kopf, auf die er partout keine Antwort fand. Und Mokuba bezeichnete ihn auch noch als seinen Freund. Völlig egal, wie lange Kaiba über Jounouchi nachdachte, er konnte einfach keine einzige positive Eigenschaft erkennen. Jounouchi gehörte zu der Sorte Mensch, die ernsthaft glaubten, dass der Wille allein Berge versetzen konnte. Für Kaiba war diese Art zu denken einfach nur abwegig. Sie passte nicht in seine Weltanschauung und seiner Vorstellung, dass Logik, Macht und Kompetenz über Sieg entschieden. Kindische Parolen wie „Das schaffen wir“ hatten keinen Platz in seiner Welt, denn hohle Worte, die mit guten Argumenten nicht zu untermauern waren, konnte er nicht ernst nehmen. Ständig gab der Blonde Sprüche von sich, die er nicht verstehen konnte. Dieses unbegründete Selbstvertrauen ergab keinen Sinn. Nur mit Macht allein konnte man vorankommen. Als er am Abend zurückkehrte, musste Kaiba feststellen, dass Mokuba ihn ignorierte und stattdessen konzentriert die Ergebnisse des Turniers beobachtete und die Daten auswertete. Bisher verlief alles reibungslos. Auch das System hatte keinen einzigen Fehler gemeldet und funktionierte einwandfrei. Sicher würde er mit seinem neuen und verbesserten Hologrammsystem die Welt begeistern und den ein oder anderen Investor und zukünftigen Partner finden. Da die KC eine Aktiengesellschaft war, war es nie verkehrt, möglichst viele Unterstützer zu haben und sicher zu gehen, dass die Marke Kaiba nicht an Wert verlor. Zufrieden aufgrund dieses Gedanken grinste Kaiba in sich hinein. Duel Monsters gehörte der Kaiba Corporation. Seit Pegasus plötzlich verstarb – Kaiba wusste bis heute nicht, wie und wann er verstorben war, aber es interessierte ihn auch nicht sonderlich – hatte Kaiba sich Industrial Illusions unter den Nagel gerissen und sich sehr rasch darum gekümmert, den vorherigen Vertrag und ihre geplante Verbindung, zu seinem Gunsten abzuwandeln. Namentlich gab es zwar noch zwei weitere Inhaber der I², aber diese hatten kaum etwas zu sagen. Pegasus’ Adoptivkinder. Kaiba hatte erst spät erfahren, dass Pegasus so etwas wie Kinder hinterließ. Yako und Gekko Tenma. Zwillingsbrüder, die sich auch um das Design der neuen Karten kümmerten und somit wertvoll für Kaiba und seine Firma. Sowohl Yakos als auch Gekkos Leidenschaft für Duel Monsters brannte unbändig in ihren Herzen. Duel Monsters war mehr als Sport zu verstehen und es gab zahlreiche Duellanten, die die Szene prägten. Alles erfahrende Spieler, die genau wussten, wie man die Masse begeisterte. Genau das, was Kaiba auch wollte. Und weil Duel Monsters ihm so wichtig war, war es doch nur logisch, dass er auch darauf achtete, dass die Duellanten, die in der Öffentlichkeit auftraten, ein bestimmtes Bild bewahrten. Ein Duellant musste ehrgeizig und mutig sein, doch vor allem musste er sich professionell geben und die Zuschauer begeistern können. Sterbenslangweilige Duelle, wo ein normaler Schlagabtausch stattfand und Monsterkarten der ersten Generation verwendet wurden, war alles anderes, als spannend anzusehen. Vor allem für die Zuschauer, die Action erwarteten. Mithilfe seiner Hologramme war es möglich, Kämpfe vor großen Publikum abzuspielen, die einem den Atem raubten. Es war äußerst traurig, dass so viele Neulinge nicht das Potential und das Talent hatten, um wahre Duellanten zu werden. Immerhin war es doch wichtig, dass sich ein Duell hinauszögerte und man nicht wusste, wer am Ende gewinnen würde. Es war die Abwechslung, die Duel Monsters so prägte. Jeder Spieler hatte seine eigene Vorstellung eines guten Duells, doch jeder von ihnen strebte nach diesem erfüllenden Gefühl, nach einem langen und harten Kampf doch den Sieg erringen zu können und am Ende mit Gewissheit sagen zu können, dass die eigene Strategie makellos war. Jeder Duellant brauchte einen würdigen und ebenbürtigen Gegner, der einen dazu brachte, über seinen Horizont zu sehen und sich selbst neu zu entdecken. Kaiba fand dieses Gefühl, nach dem er sich so sehr sehnte, in seinen Duellen gegen Yuugi. Doch diese Anmut, diese Spannung und die Aufregung, nie wissen zu können, was als nächstes geschah, fehlte den meisten Duellen. Meistens hetzten die Spieler einfach nur ihre Monster aufeinander. Dieselben Standard Zauberkarten. Kaiba gab zu, dass es durch die vielen Regeln viele Einschränkungen bei der Wahl der Karten gab, so war es seit Jahren nicht mehr erlaubt, Zauberkarten zu verwenden, die die Lebenspunkte des Gegenspielers direkt angriffen oder Fallenkarten, die das gesamte Blatt zerstörten. Kaiba hatte diese Regeln eingefügt, um sicherzustellen, dass die Duelle auch zukünftig abwechslungsreich blieben. Doch die meisten Neulinge und Amateure suchten ihr Heil stattdessen in den Angriffspunkten ihrer Monster. Kaum einer machte sich die Mühe, sich eine Strategie zu überlegen und Karten zu wählen, die diese unterstützen. Dabei war die Auswahl an Karten doch schier unendlich! Sich gegenseitig abwechselnd mit seinen Monster zu verprügeln war weder sonderlich interessant noch elegant. Ein Duell war ein sportlicher Wettkampf und keine Prügelei zwischen Barbaren, die sich kopflos gegenseitig die Rübe einzuschlagen versuchten! Brutalität war es nicht, was ein Duell ausmachte. Das hatte nichts mit Taktik zu tun. Daher war Kaiba der Ansicht, dass es eine gute Idee wäre, gerade den Neulingen das Duellieren beizubringen, damit die Qualität wieder stieg. Doch solange es keine neuen Herausforderer gab, die dieselbe Auffassung von Duel Monsters hatten wie Yuugi und er selbst, waren die meisten Spieler nicht seine Zeit wert. Kaiba erachtete nur Yuugi als seiner würdig. Nur mit diesem wollte er sich messen, denn dieser hatte ihm mehr als einmal seine eigenen Grenzen aufgewiesen und motivierte ihn dazu, weiterzumachen und so erlosch das Feuer der Leidenschaft in seinem Herzen nie, da er immer ein Ziel hatte, was er unter allen Umständen erreichen wollte. Yuugi zu besiegen war sein Wunsch. Über ihn zu triumphieren trieb ihn an und gab ihn einen Grund morgens wieder aufzustehen. Es war ihre Rivalität und sein inniges Bedürfnis, seine Seele gegen die von Yuugi antreten zu lassen, die ihn mit solch einer Begeisterung an dieses Kartenspiel fesselte. Auch das jetzige Turnier galt nur zur Aufmachung, als kleiner Vorgeschmack, um die Fans für die das berauschende Duell, das sie erwartete, aufzuwärmen. Das wahre Finale fand zwischen Kaiba und Yuugi statt. Es stand ja wohl fest, dass Kaiba als Sieger des Turniers hervorgehen würde. Aber er würde es auch genießen, Jounouchi eine demütigende Niederlage vor Augen zu führen und ihm ein für alle mal die Realität schmecken zu lassen. „Nii-sama“, gab Mokuba von sich und grinste breit. Kaiba hob seinen Blick und betrachtete seinen jüngeren Bruder. „Jounouchi hat es schon ins Finale geschafft. Also werdet ihr euch auf jeden Fall noch mal wiedersehen“, meinte er nur und hatte dieses unglaublich freche Grinsen drauf. Er war schadenfroh. Sein Bruder lachte ihn aus! Wann nur hatte sein kleiner, unschuldiger, folgsamer Bruder sich so sehr verändert? „Was willst du damit sagen?“ „Wäre doch eine gute Gelegenheit, dich bei ihm zu entschuldigen. Für deine gemeinen Worte und dafür, dass du ihn ständig provozierst“, sagte er Achseln zuckend. „Wenn überhaupt müsste sich dieser Hohlkopf doch bei mir entschuldigen.“ Kaiba schnalzte verächtlich mit der Zunge und für ihn war das Thema abgehakt. Kapitel 17: Kapitel 17 ---------------------- Siegreich ging er aus seinem Duell gegen Nagumo und ging in seine übliche Siegerpose über, sein Gesicht zu einer häßlichen Fratze verzogen, während er seine Faust nach vorne ausstreckte und sich selbst mit Lobesbekundungen überhäufte. Seine Roulettespinne hatte ihm den Tag gerettet! Es war äußerst knapp gewesen, denn für einen Moment hatte er wirklich geglaubt, dass sein Glück ihn verlassen hatte. Der Zeiger der Spinne war beinahe auf der Eins stehen geblieben, wodurch er seine Lebenspunkte um die Hälfte hätte verringern müssen und nichts gewonnen hätte. Dann hätte sich das Duell noch mehr in die Länge gezogen. Es war aber nur ein Millimeter, der seinen Sieg entschied. Plötzlich landete der Zeiger auf der Sechs, wodurch er den starken Gegner, die Mutterspinne, vernichten konnte und seine schwächeren Monster eins nach dem anderen vernichten konnte. Auf sein Glück war Verlass. Jounouchi grinste breit und war zufrieden. Dass Nagumo sich nicht sonderlich an seiner Niederlage zu stören schien, entging ihm, da er zu sehr von seiner Freude übermannt wurde. Mit diesen Sieg kam er ins Finale. Er konnte also der Welt zeigen, was er drauf hatte und dass man ihn nicht unterschätzen sollte. Auch diesem arroganten, reichen Kerl würde das Grinsen schon noch vergehen. Jounouchi sah sich selbst gedanklich bereits auf der Siegestribüne und grinste, als man ihm einen Blumenstrauß und einen kleinen goldenen Pokal verlieh. Dieser Sieg war der Grundstein für seine Zukunft. Jetzt würde er als Pro Duelist richtig durchstarten können! Nagumo lachte laut. Er amüsierte sich köstlich. Doch worüber? Und von einer Sekunde zur nächsten veränderte sich Jounouchis Miene. Wieder war die Vorsicht da und dieses ungute Gefühl, dass er in einen Hinterhalt gelockt worden war und er sich in der Falle eines Feindes befand, kroch ihm den Rücken hinauf, sodass sich seine Nackenhaare aufstellten und sein Herz schneller schlug. „Was ist so lustig?“, wollte er von seinem Gegenüber wissen, der nur mit den Schultern zuckte und nichtssagend vor sich hin grinste. Jounouchi kam ihm näher und wiederholte seine Frage lauter. „Denkst du echt, ich hätte dich weggelockt, nur um mich mit dir zu duellieren?“, gab er schelmisch zurück und legte den Kopf schief, drehte sich dann zur Seite und zeigte mit dem Finger nach oben. Die Sonne ging bereits unter. Erst jetzt fiel Jounouchi auf, dass es noch kälter geworden war, wo die Wärme spendende Sonne sich verabschiedete und die Nacht langsam hereinbrach. Da er Nagumo ziemlich lange hinterhergelaufen war und ihr Duell relativ lang ging, hatte er gar nicht auf die Zeit geachtet. Warum auch? Weder musste er arbeiten, da er sich vorsorglich frei genommen hatte, noch war es so, dass er irgendwohin musste. Eigentlich wollte er nur schnell zu Yuugi und ihm von seinem ereignisreichen Tag erzählen. Vielleicht hätte dieser auch den ein oder anderen Tipp bezüglich seiner Strategie. Es war aber nicht so, dass er unter Zeitdruck stand. „Jounouchi, du bist nur die Vorspeise. Wir haben es gar nicht auf dich abgesehen“, meinte er dann und urplötzlich tauchten zwei Gestalten auf, die in dunklen, violetten Umhängen bekleidet waren und dessen Anblick Jounouchis Blut in den Adern gefrieren ließ. Erinnerungen wurden wach, die er sehr lange verdrängt hatte. Waren das etwa Raritätenjäger? Wütend knirschte er mit den Zähnen und machte einen Hechtsprung nach hinten, um den Abstand zwischen Nagumo und sich selbst zu vergrößern. Er war schon einmal überfallen wollen und noch einmal wollte er seinen Rotäugigen schwarzen Drachen nicht verlieren! Alle seine Karten waren ihm wichtig und er hatte nicht vor, sie irgendwem abzudrücken. „Aber auf meine Karten oder wie?!“, fauchte Jounouchi und ging in Angriffshaltung über. Niemals wieder würde er so dumm sein und ein Duell akzeptieren, wo er seine geliebten Karten einsetzte. Eher würde er die Flucht ergreifen oder sich seinen Weg zur Not mit Gewalt hier heraus bahnen. Nagumo verschränkte die Arme. „Nicht mal das. Deine Karten sind nicht sonderlich wertvoll. Außerdem sagte ich doch, dass wir es nicht auf dich abgesehen haben. Aber wer könnte es denn dann sein? Hm?“ „Auf andere Duellanten, die ebenfalls seltene Karten haben?“, fragte Jounouchi unsicher nach. „Richtig. Und welcher Duellant ist besonders bekannt für seine ausgeklügelten Strategien?“ „Also wenn du nicht gerade mich meinst, entweder Kaiba oder...“, begann Jounouchi und stoppte seinen Satz mittendrin. Seine Augen weiteten sich und er starrte den blonden Punk vor sich ungläubig an. Das war nicht sein Ernst, oder? Die Sangenshin waren mit Atem zusammen von der Welt verschwunden. Wenn es nicht diese Karten waren, auf welche hatte er es dann abgesehen? Hatte Yuugi besonders wertvolle Karten bei sich, die es wert waren, gestohlen zu werden? Soweit sich Jounouchi erinnern konnte, hatte er viele Magier und die nagelneue Magiermädchenkollektion, gerade letztere war schwierig zusammen zu bekommen, aber war das wirklich Grund genug, ihn anzupeilen? So sehr der Blonde auch darüber nachdachte, er konnte sich keinen Reim daraus machen. „Ich habe weder Yuugi noch diesem arroganten Scheißkerl Kaiba verziehen, dass sie mich gedemütigt haben. Sie beide werden sehen, was es bedeutet, sich mit dem König von Dominos Straßen anzulegen“, erklärte Nagumo und sein Blick verfinsterte sich. In seinen Augen lag abgrundtiefer Hass und Zorn, der endlich gestillt werden wollte. „Du bist ein verdammt schlechter Verlierer“, brachte Jounouchi hervor und erlangte endlich seine Fassung zurück, ballte seine Hände zu Fäusten. Für einen Moment vernebelte ihm die Wut den Blick nach vorn, doch entschlossen schüttelte er sie ab und hob seinen Blick, sah seinem neuen Feind direkt in die Augen, ehe er weitersprach: „Wenn du Yuugi auch nur ein Haar krümmst, schwöre ich, bring ich dich um.“ „Ja, als ob man vor dir Angst haben müsste! Was willst du mir schon antun?“, spöttelte Nagumo und hob fragend eine Augenbraue, wissend, dass er Jounouchi allein mit dieser winzig, kleinen Geste provozieren würde. Dieser Gambler war nicht sonderlich klug. Jounouchi war bekannt dafür, sein Temperament nicht kontrollieren zu können und über die Strenge zu schlagen, wenn etwas nicht nach seiner Vorstellung lief. Jounouchi war auf den Straßen von Domino eine Legende. Selbst die neuen Banden und coolen Jungs der Schule fürchteten sich vor ihm und jeder wusste, dass man besser das Weite suchte, wenn er auftauchte. Jounouchis gerader Haken und seine Faust der Zerstörung waren nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Aber große Muskeln waren nun mal mit wenig Hirnschmalz in Verbindung zu bringen. Nagumo grinste amüsiert. Seit er sich der Untergrundbande der Raritätenjäger angeschlossen hatte, konnte er über jeden einzelnen Duellanten und ihre momentan verwendeten Decks Informationen beschaffen. So hatte er auch erfahren, dass Yuugi ein gutes Ziel für einen Überfall abgab, doch am meisten wollte er die Weißen Drachen für sich beanspruchen, von denen es nur vier Stück weltweit gab. Die vierte Karte galt als verschollen, doch die restlichen drei befanden sich in Kaibas Besitz und welch Genugtuung würde es sein, ihm seinen wertvollsten Schatz aus den Händen zu reißen? Schon jetzt schmeckte er den süßen Geschmack des Siegs. Es ging um weitaus mehr als um diese verdammten Karten. Nagumo wollte Rache. Er wollte sich für die Demütigung, die er erfahren musste, rächen und diesen beiden arroganten Duellanten zeigen, dass man sich vor ihm zu verneigen hatte. Dass ein Weichling wie Mutou Yuugi überhaupt zum König der Spiele gekrönt wurde und weltweit über ihn gesprochen wurde, war eine Beleidigung sondergleichen. Er war ein Schwächling, der nicht mal einen Kick oder eine gerade Rechte abwehren konnte. Ein König musste weitaus mehr einstecken können und bessere Qualitäten besitzen, als ein paar Karten mit einem Lächeln aufs Feld zu legen. Für Nagumo stand fest, dass Yuugi auf dem höchsten Rang nichts zu suchen hatte. Dieses „Talent“, das Yuugi besaß und von dem alle sprachen, bezog sich ausschließlich auf seine Karten. Nahm man ihm seine Karten weg, war er nicht besser als ein Anfänger. Was blieb dann noch übrig? Ein schwächlicher Junge, der keine besondere Fähigkeiten aufwies. Aber darum ging es Nagumo nicht. Sowohl Kaiba als auch Yuugi wollte er ins Gesicht spucken und ihnen mit aller Kraft seine Faust in den Magen rammen, um sie beide daran zu erinnern, dass sie sich nicht zu viel auf sich einbilden sollten. Die Schmach, die er ertragen musste, wollte er tilgen. Duel Monsters mochte zwar ein extrem beliebtes Spiel sein, doch außerhalb der Duell Arena waren die meisten Duellanten nichts weiter als schwache Würmer, die sich selbst nicht mal verteidigen konnten. Wie einfach es doch war den Neulingen ihre tollen Karten wegzunehmen! Dann heulten sie und jammerten, flehten um Gnade und Nagumo genoss es, wenn sich die Miene dieser eingebildeten Duellanten veränderte und sie plötzlich in die harsche Realität zurückgeworfen wurden, wo ihnen ein für alle mal klar wurde, dass das Leben nicht fair war. Es ging immer nur darum, wer stärker war. Seit seiner Niederlage während Battle City hatte Nagumo auf den Tag gewartet, an dem er endlich die Stärke hatte, sein Ego zu befriedigen und sich das zu holen, was ihm zustand: Ruhm und Macht. Er hatte genug davon, die zweite Geige zu sein. Genug davon, nicht beachtet zu werden. Und wenn er mit fairen Mitteln nicht gewinnen konnte, musste er eben Umwege finden. Die Raritätenjäger waren ein Bündnis von Kriminellen und sie alle hatten den Wert und die grenzenlosen Möglichkeiten von Duel Monsters erkannt. Solange es Sammler gab, verloren auch die Karten nicht an Wert. Eine seltene Karte mit nur wenigen Auflagen konnte, wenn man den richtigen Anbieter fand, mehrere Millionen bringen und Nagumo hatte gestaunt, wie verblendet und dämlich diese Liebhaber waren. Warum Geld für eine Karte ausgeben, wenn man sie doch einfach nur an sich reißen musste? Warum für den Titel kämpfen, wenn man doch nur die Konkurrenz ausschalten musste? Das Leben war nun mal nicht fair und so hatte Nagumo beschlossen, dass auch er nicht fair kämpfen musste. Wozu sich die Mühe machen? Dann grinste er, ehe weitersprach: „Glaub mir, ich muss Yuugi gar kein Haar krümmen. Ich bin mir sicher, dass er sich genügend Feinde gemacht hat, die große Summen dafür ausgeben würden, ihm ordentlich die Fresse zu polieren. Ein König hat immer Feinde. Und so ein kleiner Putsch ist in unserer Welt doch ganz natürlich. Oder dachtest du ernsthaft, dass er für immer diesen Titel behalten würde?“ „Du verdammtes...!“, knurrte Jounouchi, doch er hielt sich selbst davon ab, einmal mehr die Beherrschung zu verlieren und auszurasten. Es brachte ihm gar nichts, jetzt auf Nagumo zu stürzen und seine bescheuerte Visage in ihre Einzelteile zu zerlegen, denn dadurch würde er nur noch mehr Zeit verschwenden. Er musste sofort zurück in die Innenstadt. Zum Kame Game Shop, wo sich Yuugi mit aller Sicherheit befand! Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Scheiße! Wie konnte er nur so blöd sein und sich in diese Falle locken lassen? Dabei hatte sein Instinkt ihn vom ersten Augenblick, als er in die Nähe der Seitenstraße kam, gewarnt. Warum nur hatte er sein Bauchgefühl ignoriert und war ahnungslos hinter diesen Dreckskerl hergelaufen? Doch die Beantwortung all dieser Fragen brachte ihn nicht weiter, also wandte er sich zum Gehen und wollte gerade loslaufen, ehe ihn Nagumos letzte Worte erreichten. „Freue dich doch. Jetzt hast selbst du eine Chance auf den Titel. Das wolltest du doch, oder? Anerkennung! Ruhm! Jubel! Wenn Yuugi nicht mehr da ist und ich auch Kaiba aus dem Weg geräumt habe, bekommst du endlich das, was du dir am meisten wünschst.“ Der Blonde senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Was ich mir am meisten wünsche...?, wiederholte er gedanklich, schüttelte den Gedanken wieder ab. Jounouchi nahm seine Beine in die Hand. Der eiskalte Januarwind zerzauste ihm sein Haar und jetzt, wo die Sonne fast vollständig untergegangen war, brachen noch kältere Temperaturen über Domino hinein und seine Wangen fühlten sich taub an, weil die Eiseskälte ihm entgegen peitschte. Der stechende Schmerz in seinen Beinen und die Kälte, die ihm arg zusetzte, ignorierte er jedoch und lief immer weiter. Als ehemaliges Gangmitglied kannte er sämtliche Abkürzungen und Schleichwege in Domino und so eilte er zum Kame Game Shop. Vor diesem blieb er stehen. Sein Atem verwandelte sich in Nebel und er rang nach Luft. „Scheiße“, keuchte er hervor. Die Fensterscheiben des Ladens waren zerbrochen und lagen überall am Boden zerstreut. Als er dem Gebäude näher kam, erkannte er das Ausmaß der Verwüstung. Sämtliche Duel Monsters Booster Packs und Startersets aus dem Schaufenster, wie auch die ausgestellten Duel Disks, waren gestohlen worden. Sämtliche analogen Spiele, die es in diesem Laden gab, waren zu Boden geworfen worden und hier und da sah er Monsterschachfiguren, die achtlos zertrampelt worden waren. Das Licht des Ladens war aus und die Eingangstür hing nur noch an einem Scharnier, segelte wie Wind umher. Dass der Laden zerstört war, war schrecklich. Das hier war Jii-chans Hort der Ruhe. Sein Vermächtnis. Jounouchi erinnerte sich an das Bild des alten Mannes, der mit einem glücklichen Lächeln hinter dem Tresen saß und mit Freude und purer Nostalgie über die antiken Spiele sprach. Viele der Spiele waren Einzelstücke. Raritäten. Er hatte sie von seinen Reisen mitgebracht und an ihnen hingen viele Erinnerungen. All diese Erinnerungen lagen nun in Trümmern. Der Anblick trieb Jounouchi die Tränen in die Augen und der unbändige Zorn in ihm wuchs immer mehr, doch er durfte nicht nachlassen. Er musste jetzt voran gehen. Genauso wie Kaiba es vorher gesagt hatte, durfte er nicht in sein altes Muster verfallen. Erst nachdenken, dann handeln. Jetzt aus Zorn loszurennen und nach Nagumo zu suchen und ihn für das, was er und seine verdammten Raritätenjäger getan hatten, zusammenzuschlagen, änderte nichts an dem Ausmaß der Zerstörung. Außerdem musste er sicher gehen. Sichergehen, dass Yuugi hier war und unverletzt aus diesem Anschlag gekommen war. Verzweifelt rief er nach Yuugi. Er rannte die Treppen hinauf. Das Licht war immer noch ausgeschaltet. Ihm stockte der Atem, als er bemerkte, dass diese Kerle auch im Obergeschoss für mächtig Chaos gesorgt hatten und die Regale umgeworfen waren. Bücher, DVDs und Spiele lagen wild am Boden zerstreut und die Vasen, die sonst zur Dekoration im Regal standen, waren in tausend Teile zersprungen. Sicher hatten sie das ganze Haus nach weiteren seltenen Karten und Wertgegenständen durchsucht. Er wusste nicht, ob sie etwas gestohlen hatten oder was sie gestohlen haben könnten, doch eines stand fest: sie würden damit nicht davonkommen. Niemand legte sich mit Yuugi an! Niemand zerstörte das traute Heim seines Lehrmeisters. Man konnte ja von Glück sprechen, dass Sugoroku sich derweil nicht hier befand, sondern aufgrund seiner Verletzung zu den Eltern von Yuugis Mutter gezogen war. Die Treppen waren für den alten Mann einfach nicht zu stemmen und man konnte ihm nicht zumuten, jedes Mal nach oben zu laufen, wo seine gebrochene Hüfte immer noch heilte und er sich erst an das neue Gelenk gewöhnen musste. Sugoroku und Yuugis Mutter befanden sich in einem anderen Stadtteil von Domino und waren somit in Sicherheit. Doch was war mit Yuugi? Panisch öffnete er jede Tür im Haus, nur um irgendwann resigniert feststellen zu müssen, dass Yuugi nicht hier war. Wütend knallte er die Tür hinter sich zu. In seinem Kopf herrschte Durcheinander. Hatten sie Yuugi mitgenommen? Oder war dieser in der Lage gewesen zu flüchten? Es machte ihn rasend, dass er nichts wusste! Ihm fehlten die Mittel und Möglichkeiten, um herauszufinden, wo Yuugi war. Wieder drohten seine Gefühle ihn zu beherrschen. Er biss sich auf die Unterlippe. Er musste Hilfe suchen und jemanden benachrichtigen. Honda würde sicher helfen können! Nein. Was sollte dieser jetzt ausrichten können? Er hatte nichts von dem Überfall mitbekommen und hatte noch weniger Informationen als Jounouchi. Er hatte zwar ein Motorrad, wodurch sie schnell durch den Verkehr der Stadt kommen könnten, aber ohne Ziel brachte ihm auch ein schnelles Transportmittel nichts. Gab es denn keine Zeugen? Ja, Zeugen zu finden war eine gute Idee. Und die Polizei verständigen. Geschwind raste er die Treppen herunter und griff nach dem Telefon, doch dieses war zerstört worden und nicht mehr benutzbar. Verdammt, die kannten echt keine Grenzen! Der Gedanke, dass Yuugi etwas zugestoßen sein könnte und er nicht hier war, um ihm zu helfen, ließ ihn so langsam die Nerven verlieren und so sehr er sich auch bemühte, so wollte sein Instinkt ihm sagen, dass niemand ihm helfen konnte. Was sollte die Polizei schon machen? Es war doch bekannt, dass die Polizei sogar gemeinsame Sache mit den Raritätenjägern machte und sie schalten und walten ließen, sofern sie einen Anteil der Gewinne abbekamen. Es war ja nicht so, dass Menschen wirklich verletzt wurden. Letztendlich waren es Karten, die geklaut wurden. Nur an einen Beamten erinnerte er sich gut. Nur er hörte ihm aufmerksam zu und hatte ihm gesagt, dass er eine Zukunft hatte. Jeden Morgen trieb er diesen Polizeibeamten auf die Palme, in dem er mit seinem Fahrrad durch die Fußgängerzone raste, wobei er genau wusste, dass es verboten war und er absteigen musste. Dem Beamten war das aber wohl egal, denn er rief ihm immer nur etwas hinterher und lächelte dann auf eine besonders liebevolle Art. Jounouchi kannte den Beamten von früher. Er war der erste und einzige, der an ihn geglaubt hatte und wenn er heute darüber nachdachte, musste er schmunzeln, weil er früher wirklich geglaubt hatte, dass er keine Zukunft hatte. Jetzt hatte er eine Zukunft. Er hatte Ziele, Wünsche und Träume. All die Dinge, die in seiner Mittelstufenzeit so unerreichbar schienen, hatte er endlich erlangt. Er hatte seinen Namen vergessen. Aber er erinnerte sich an sein Gesicht und die schmalen Augen und an die Grübchen, die entstanden, wenn er ihm hinterher lächelte. Doch der Großteil der Domino Polizeibehörde war korrupt. Viele Verbrecher liefen seit Jahren hier unbescholten umher. Auch Hirutani hatte nie seine gerechte Strafe bekommen. Und obwohl Jounouchi vorbestraft war, hatte er kaum Schwierigkeiten bekommen und war ganz normal zur Schule gegangen. Verbrechen und Kriminalität gehörten zum ganz normalen und alltäglichen Stadtbild von Domino, weshalb Jounouchi sich sicher war, dass Kaiba aus diesem Grund selbst die Überwachung des Turniers in seine Hände genommen hatte. Auf die Hüter von Gesetz und Ordnung war kein Verlass, also musste Kaiba selbst sicherstellen, dass sein Turnier nicht gestört wurde. So sehr er Kaiba auch nicht ausstehen konnte, so musste er ihm wenigstens das anerkennen. Auch während des Battle City Turniers waren die Raritätenjäger in diese Stadt gekommen und Jounouchi hatte sich schon immer gewundert, wie es Malik und seine Untergebenen geschafft hatten, über die Grenzen Japans zu kommen, ohne sich ausweisen zu müssen. Es war offensichtlich, dass sie gemeinsame Sache mit der Polizei machten und dass Schmiergelder geflossen waren, denn anders konnte man nicht erklären, warum ein fremdes Schiff am Domino Hafen anlegen durfte und wie es sein konnte, dass vermummte Gestalten in tiefvioletten Kutten durch die Straßen liefen und niemand etwas unternahm. Selbst die Anzeigen, die gegen diese Gruppe von Personen gestellt wurden, wurden nie verfolgt. Dass Domino von mysteriösen Gestalten, die eindeutig nichts Gutes im Sinn hatten, überschwemmt wurde, war von der Polizeibehörde genehmigt worden. Sicherlich beteiligten sie sich an den Gewinnen dieser Untergrundbanden. Jounouchi knurrte erbost. Es war schier unmöglich, die ganze Stadt im Blick zu behalten, wo doch an jeder Ecke irgendetwas geschah. Solange die braven Bürger nicht verletzt wurden, gab es keinerlei Anlass, dass die Polizei eingriff. In dieser Situation war er also auf sich allein gestellt. Ich wünschte, ich könnte die Stadt von oben sehen, dachte er und plötzlich sog er tief Luft ein und spürte einen Geistesblitz aufkommen. Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Kaibas Satelliten hatten ein Auge auf ganz Domino. Kaiba war der einzige, der nachempfinden konnte, was hier passiert war. Es ärgerte ihn, dass er nun auf Kaibas Hilfe angewiesen war und noch viel weniger wusste er, wo dieser sich gerade befand, aber er durfte jetzt nicht wählerisch sein und musste seinen Stolz herunterschlucken. Ihm blieb keine Zeit. Und außerdem hatte es Nagumo auch auf Kaiba abgesehen, weshalb auch Mokuba in Gefahr war. Mokuba war ein guter Freund und er durfte nicht riskieren, dass noch einer seiner Freunde gekidnappt oder verletzt wurde. Yuugi hatte er nicht beschützen können, aber Mokuba würde er mit allem, was er hatte, vor Unheil bewahren! Überstürzt lief er in Richtung der Kaiba Corporation, mit der Hoffnung, dass Kaiba sich dort befand. Kaiba ist doch ein Workaholic, sicher arbeitet er bis spät in die Nacht. Er muss einfach dort sein!, dachte er und eilte weiter. In seinem Hinterkopf stellte er sich die Frage, ob die Security Beamten ihn überhaupt reinlassen würden, wo er doch erst am Vormittag nicht gerade sanft heraus gebeten worden war... Kapitel 18: Kapitel 18 ---------------------- Kaiba wählte erneut die Telefonnummer des Kame Game Shops. Bereits zum fünften Mal versuchte er dort durchzukommen, doch immer wieder hieß es nur, dass der gewünschte Gesprächspartner zur Zeit nicht erreichbar wäre und mit jedem Mal, wo er diese nervtötende Bandansage hörte, knurrte er noch grimmiger in sich hinein und drückte die Wahlwiederholungstaste noch fester. Na schön. Yuugi war sauer. Jounouchi hatte also nicht gelogen. Trotzdem nervte es ihn unheimlich, dass Yuugi ignorierte, dass das Telefon klingelte! Wusste er, dass Kaiba ihn erreichen wollen würde, sobald er davon erfuhr, dass er nicht vorhatte, am Turnier teilzunehmen und ging deshalb nicht dran? Es war so überhaupt nicht Yuugis Art das Telefon des Ladens zu ignorieren. Natürlich rief Kaiba außerhalb der Geschäftszeiten an und er konnte seinem Rivalen auch nicht verübeln, dass er geschäftliche Telefonate um diese Zeit nicht mehr annahm, aber er kannte Yuugi gut genug, um zu wissen, dass das nicht seine Art war. War Yuugi wirklich so wütend auf ihn? Der Gedanke, dass Yuugi schmollte war genauso amüsant wie auch frustrierend. Zerknirscht knallte er den Hörer zurück, sodass Mokuba erschrocken aufsah und mit ihm schimpfte. „Musst du deinen Zorn am Telefon auslassen? Wenn er nicht mit dir reden will, dann ist das halt so! Hättest du ihn nicht ignoriert, würde er sicher auch mit dir reden und am Turnier teilnehmen“, meinte er dann und warf einen Blick zurück auf den Monitor vor sich, wo er sich immer noch die Ergebnisse des Turniers ansah und manuell die Teilnehmer aus der Liste warf und sperrte, die bereits ausgeschieden waren. Dadurch, dass er im System die Teilnehmer namentlich sperrte, konnten sie auch mit einem anderen Duel Disk nicht mehr weiter machen und würden, wenn sie den Duel Dom zum Finale ansteuerten, wieder weggeschickt werden. Übermorgen fand bereits das Finale statt. Durch die vielen Teilnehmer gab es hunderte von Duellen, so fehlte Mokuba die Zeit, jedes einzelne anzusehen, also betrachtete er nur die Ergebnisse. Bisher waren drei Leute ins Finale gekommen und bis Morgen hatten sie noch genügend Zeit, die restlichen Duellanten zu finden. Am dritten Tag würden die finalen Runden begingen, daraufhin Halbfinale, Finale und der Sieger würde gegen Yuugi antreten dürfen. Es würde auf jeden Fall ein sehr langer und anstrengender Tag werden! Drei Tage für ein Turnier. Mehr Zeit blieb nicht. Denn Kaiba hatte bereits große Pläne und sofern sich die neuen Investoren zu einer Zusammenarbeit entschieden, würde er mit Sicherheit sein neues Projekt anpeilen. Mokuba hatte seinen Bruder längst durchschaut. Er plante ein neues Virtual Reality Spiel, das als neue Hauptattraktion im Kaiba Park eingesetzt werden würde. Sein Bruder hatte seinen Traum Freizeitparks auf der Welt zu bauen, die für jeden erschwinglich waren, nie aufgegeben, auch wenn es nach außen hin so wirkte, als würde er sich nur noch für Duel Monsters interessieren. Kaiba war ein vielbeschäftigter Mann mit nur sehr wenig Geduld. Dass Yuugi ihn hinhielt und nicht seinen Worten Folge leistete, musste ihn sehr ärgern, aber Mokuba fand, dass er es nicht besser verdient hatte. Yuugi hatte mehrmals sein Leben riskiert, um den Kaiba Brüdern zu helfen und so fühlte sich Mokuba besonders verbunden zu Yuugi, der ihm stets mit Güte und Nachsicht begegnet war und nie etwas für seine Hilfe verlangte. Generell verstanden die beiden Brüder sich nicht mehr so gut wie früher. Mokuba hatte in seiner Schule Freunde gefunden, die maßgeblich dazu beitrugen, dass er mehr und mehr hinterfragte und sich nicht mit allem, was sein Bruder sagte oder tat, zufrieden gab. Immer häufiger wurde ihm bewusst, wie erschreckend kaltherzig sein Bruder war. Und sein Desinteresse an seinen Mitmenschen – insbesondere Mokuba – war für den Schwarzhaarigen mit jedem Tag, der verging, nur noch schwerer zu akzeptieren. Kaibas Verständnislosigkeit gegenüber kleinen Problemen beschwor noch größere Probleme herauf. Es war auch nicht das erste Mal, dass Mokuba seinem Bruder Kontra gab und seine Aussagen nicht so stehen ließ, weil er der Ansicht war, dass er im Unrecht war. Es war nicht so, dass die beiden Brüder sich gar nicht mehr verstanden, aber man konnte behaupten, dass beide weniger Verständnis für den anderen aufbrachten als früher. Es gab Dinge, über die er besser mit Yuugi und dessen Freunden reden konnte. In dieser Hinsicht waren Yuugi und auch Jounouchi seine Vorbilder geworden, da man mit den beiden Jungs auch offen über Gefühle und schulische Probleme – selbstverständlich waren nicht nur die Noten gemeint, sondern auch zwischenmenschliche Bindungen und das Interesse an Mädchen – sprechen, während sein Bruder ihm keine Ratschläge geben konnte. Yuugi hörte immer aufmerksam zu und Mokuba wünschte, sie hätten sich öfter sehen können. „Ich habe ihn nicht ignoriert“, grummelte Kaiba und verschränkte die Arme. „Hast du wohl“, meinte Mokuba nur nebenbei und tippte weiterhin auf der Tastatur vor sich und machte sich nicht einmal die Mühe noch mal aufzusehen. Er wusste genau, dass sein Bruder wieder die beleidigte Leberwurst spielte und ernsthaft glaubte, dass er nichts getan hatte. Mokuba war auf Yuugis Seite und immer noch zornig darüber, dass sein Bruder seine Freunde beleidigte. „Yuugi hat mir davon erzählt, dass du seine Überweisungen zurück gebucht hast. Ist doch wohl klar, dass du ihn damit kränkst und ihm das Gefühl gibst, dass er nichts erreichen kann, sofern du nicht deine schützende Hand über ihn hältst“, erklärte Mokuba und stöhnte genervt. „Ist es denn meine Schuld, dass er sich an diesem Laden klammert? Ich kann nicht zulassen, dass mein Rivale sich seine eigene Zukunft verbaut. Wie sähe das denn aus, wenn die Welt erfährt, dass Kaiba Seto – der CEO der Kaiba Corporation – einen Jungen aus der Unterschicht, der nicht mal genügend Geld für einen Sack Reis hat, als seinen Rivalen ansieht?“ „Dir geht es also nur um deinen Ruf, ja?“, fragte Mokuba ungläubig und drehte sich nun doch zum Älteren herum. Stutzig hob er eine Augenbraue. „Um was denn sonst?“, zischte Kaiba und vermied es seinem jüngeren Bruder ins Gesicht zu sehen. „Ich dachte eher daran, dass du dir Sorgen um ihn machst.“ „Pah, Unsinn! Yuugi kann gut auf sich selbst aufpassen“, begann Kaiba und wurde jäh vom Schwarzhaarigen unterbrochen. „Wenn er doch auf sich selbst aufpassen kann, ist es auch nicht nötig, dass du ihn finanziell unterstützt, Nii-sama. Das ergibt gar keinen Sinn. Außerdem ist Yuugi der König. Allein durch seinen Titel und das allgemeine Interesse an seiner Person verdient er sicher genug, um sich einen Sack Reis zu kaufen“, grinste Mokuba und lachte dreckig in sich hinein, wissend, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. „Das machen Rivalen nun mal so!“, verteidigte sich Kaiba und knallte seine Hände auf die Tischplatte, um so zu unterstreichen, dass für ihn die Diskussion beendet war. Mokuba störte sich jedoch nicht daran. An das Temperament seines Bruders hatte er sich schon längst gewöhnt und er konnte ihn mit seinem Zorn nicht einschüchtern. „Freunde machen das auch so“, stichelte Mokuba weiter und lachte wieder leise, so, dass Kaiba sich ertappt fühlte. „Wir sind keine Freunde und werden es niemals sein. Er ist mein Rivale. Mehr ist da nicht“, sagte Kaiba nun kleinlaut und suchte nach weiteren Ausreden, um seinen kleinen Bruder davon zu überzeugen, dass ihm wirklich rein gar nichts an Yuugi lag. „Als würde es dir wehtun, einfach ehrlich zu sagen, dass du Yuugi gern hast und ihn auch als Person schätzt. Bei Atem war das auch so. Muss erst jemand sterben, damit dir klar wird, was du an dieser Person hast? Mann, du bist so kompliziert, dass ich Kopfschmerzen kriege“, sagte Mokuba dann und drehte sich zurück zum Monitor, tat so, als wäre sein Bruder nicht mehr im Raum. Kaiba grummelte vor sich hin und griff erneut zum Hörer, wählte wieder die Nummer des Kame Game Shops, wo erneut niemand dran ging. Dass Yuugi ihn ignorierte und ihn einfach aus seinem Leben ausschloss, ärgerte ihn. Warum ärgerte es ihn nur so sehr, dass Yuugi seine Herausforderung nicht annahm? Ihre hitzigen und leidenschaftlichen Duelle verbanden ihre Seelen und Kaiba brauchte Yuugi. Ohne Yuugi konnte er kein Duellant sein. Niemand anders brachte sein Blut so sehr in Wallung. Niemand anders vermochte das Feuer der Leidenschaft in seinem Herzen zu entfachen und dass Yuugi einfach gehen könnte, war ein Gedanke, den er mit aller Macht verdrängte. Wenn er genauer darüber nachdachte, konnte er sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Allein die Vorstellung, dass Yuugi sich zurückzog oder plötzlich aus seinem Leben verschwinden könnte – so wie Atem es einst getan hatte – ließ sein Herz schwer werden. Bis heute trauerte er Atem auf seine eigene Weise hinterher. Er hatte es nie offen ausgesprochen, aber dieser Pharao aus einer anderen Zeit war so viel mehr als ein Rivale für ihn gewesen. Durch all ihre Duelle waren ihre Herzen zu einem geworden und als dieser ihn verließ, war ein Teil in ihm gestorben. Ja, für einen Moment hatte er daran gedacht, aufzugeben. Alles hinzuschmeißen, denn es gab nichts mehr auf dieser Welt, das ihn dazu antrieb, weiter zu machen. Doch dann erinnerte er sich daran, dass Mokuba auf ihn wartete und dass Atem seinen kleinen Doppelgänger Yuugi als seiner ebenbürtig anerkannt hatte. Yuugi war in der Lage Atem zu schlagen und hatte sogar die Sangenshin besiegt. Yuugi war somit ein nobler Duellant, der von dem wahren König anerkannt wurde und somit Atems Vermächtnis. Atem hatte ihm einen starken Gegner hinterlassen. Und weil Atem den kleinen unscheinbaren Yuugi so sehr schätzte, hatte Kaiba sich auf dieses Spielchen eingelassen. Yuugi hatte ihn nicht enttäuscht und als die beiden sich zum ersten Mal miteinander maßen und ihre Seelen aufeinander stießen, hatte Kaiba tief in seinem Herzen gewusst, dass Yuugi von nun an sein Rivale sein würde. Dass dieser ihm lächelnd die Hand hinhielt und ihn als Freund bezeichnete, hatte ihn nie sonderlich gestört, auch wenn er sich noch nie dazu durchringen konnte, diesen Händedruck zu erwidern. Yuugi war liebenswert, steckte aber voller Überraschungen und so ersehnte Kaiba den Tag, an dem er ihn endlich übertreffen konnte. Der Tag, an dem Yuugi seine großen Augen weitete und ihn für seine hervorragende Leistung lobte, nur damit sie ihr ewiges Katz und Mausspiel von vorne beginnen konnten. Der Wunsch gegen ihn zu spielen, trieb Kaiba an. Das wollte er niemals wieder missen. Selbst wenn er Yuugi dafür als seinen Freund akzeptieren musste. Yuugi war dieses Mal etwas sturer als gewöhnlich, aber würde dieser ihn einfach zurücklassen? Nein, Yuugi war dafür einfach viel zu liebenswert! Kaiba war sich sicher, dass er Yuugi gut genug durchschauen konnte, um genau vorhersagen zu können, wie er reagierte, doch andererseits befürchtete er, dass der kleine, unscheinbare Yuugi, nicht nur in Sachen Duel Monsters sein Rivale war und irgendwann, genauso wie Mokuba, einen anderen, aber vor allem unvorhersehbaren Weg beschritt. Auch Mokuba hatte sich verändert, ohne dass Kaiba es bemerkt hatte. Hat sich Mokuba verändert oder ich? Habe ich vielleicht nur nicht bemerkt, dass Mokuba erwachsen geworden ist, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war? Klar, ich bin Mitglied des Vorstands und offiziell das Gesicht der KC, aber es ist ja nicht so, dass ich nur arbeiten müsste. Vielleicht sollte ich mich etwas mehr mit Mokuba beschäftigen, bevor wir uns auseinanderleben, seufzte Kaiba gedanklich und warf einen verträumten Blick zu seinem Bruder. Wann hatte sich Mokuba dazu entschieden, kurze Haare zu tragen? Was hatte ihn zu dieser äußerlichen Veränderung bewegt? Die Veränderung der Frisur war gleichbedeutend damit, sein altes Leben den Rücken zuzukehren und einen anderen Weg einzuschlagen. Wahrscheinlich hätte ihm da schon klar sein müssen, dass Mokuba langsam erwachsen wurde und er nicht nur eine Trotzphase durchmachte, sondern seinen eigenen Charakter hatte und eigene Gedanken und Pläne verfolgte. Gerade als er den Mund aufmachen wollte, um Mokuba zu fragen, ob er nicht auch mal Lust hätte, an einem Turnier teilzunehmen, klingelte sein Telefon. Panisch ging er dran, in der Hoffnung, dass Yuugi ihn endlich zurückrief. Die freudige Erwartung seine Stimme zu hören und die Hoffnung, dass dieser seine Meinung geändert hatte, ließ seine Augen aufblitzen und er spürte, wie die Aufregung sein Herz schneller schlagen ließ. Doch es war nur seine Sekretärin, die ihn mitteilte, dass sie einen äußerst störrischen und aggressiven Besucher im Eingangsfoyer hatten, der nicht nur die Security Wachmänner zu Boden geschlagen hatte, sondern laut forderte, mit Kaiba persönlich zu sprechen. Wer zur Hölle macht so spät am Abend so einen Radau?!, fragte er sich und schon war sein Vorsatz, mehr mit seinem kleinen Bruder zu reden, wieder vergessen. Die eigenartige Fröhlichkeit, die er bis eben verspürt hatte, war gewichen und er war erzürnt, knallte den Hörer noch lauter als zuvor in die Aufladestation und erhob sich beinahe fluchtartig von seinem Schreibtisch. Mokuba, der durch den lauten Knall aufgeschreckt war, hatte sich umgedreht und ihn mit einem skeptischen, aber auch genervten Blick bedacht und der Brünette hörte noch von der Seite, wie dieser mit ihm schimpfte und etwas davon sagte, dass wenn er so weiter machte, sie bald ein neues Telefon bräuchten. Da Kaiba ihn mal wieder nicht beachtete, entschloss sich Mokuba, seinem Bruder zu folgen und diesem einmal mehr eine Predigt zu halten und ihn für sein schlechtes Betragen zu kritisieren. Kaibas Blick jedoch, seine finstere Miene, die durch seinen langen Pony nur noch mehr verstärkt wurde und sein Zähneknirschen, ließen ihn jedoch schlucken und so folgte er ihm still und heimlich. Wenn Kaiba einmal so schlecht drauf war und man ihm den Zorn schon ansehen konnte, war es nie eine gute Idee, sich weiter mit ihm anzulegen. Als sie im Eingangsbereich der Kaiba Corporation ankamen, hörten sie bereits das Getuschel einiger Angestellte, die genauso wie Kaiba, aufgrund des Turniers, länger geblieben waren und sich laut wunderten, warum dieser Typ hier erschienen war. „Wer auch sonst?“, meinte Kaiba knurrend und zischte, warf einen verachtenden Blick auf den Blonden, der versuchte die Sekretärin davon zu überzeugen, ihn durchzulassen. Natürlich war es Jounouchi Katsuya. Welcher Idiot hatte denn sonst noch die Nerven hierher zu kommen und einen solchen Aufruhr zu veranstalten? Und das um diese Uhrzeit! Dabei konnte sich Kaiba gut daran erinnern, ihn ermahnt zu haben und ihm gesagt zu haben, nie wieder auf das Gelände seiner Firma zu kommen! War dieser Typ wirklich so dämlich, dass er vergessen hatte, was am Vormittag vorgefallen war? Kaiba erinnerte sich noch zu gut an seinen ungebetenen Gast, immerhin sah er das Veilchen in seinem Gesicht jedes Mal wenn er einen Spiegel erblickte und das Pochen seiner Wange war zwar auszuhalten, aber dennoch schmerzhaft. Als Jounouchi den Brünetten erblickte, drängte er sich an der jungen Frau vorbei und lief direkt auf Kaiba zu. Er keuchte und gab einen unglaublich armseligen Anblick ab, sodass Kaiba höhnisch grinste, die Augen leicht zukniff und ihn nicht nur mit seinem Blick, sondern auch mit seinen folgenden Worten daran erinnerte, dass er hier nichts zu suchen hatte. „Bonkotsu“, knurrte er und ballte seine Hand zur Faust. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du nie wieder mein Grundstück betreten sollst?! Und nun bist du schon wieder hier, verletzt meine Angestellten, brichst meine Hausregeln und hast die Unverschämtheit einmal mehr Forderungen zu stellen!“, brüllte er ihm entgegen, atmete tief durch und sprach dann ruhiger, aber immer noch extrem angespannt, weiter. „Entweder hast du die Gehirnkapazität eines Goldfischs und bereits vergessen, was vorgefallen ist oder aber du hast einen verflixt guten Grund hier aufzutauchen. Ich bete für dich, dass letzteres der Fall ist.“ Mokuba drängelte sich zwischen die beiden und warf einen fragenden Blick auf den Blonden. Sowohl seine Körpersprache als auch sein Gesichtsausdruck sprachen Bände und Kaiba fragte sich, ob der Blonde überhaupt wusste, dass er zu lesen war wie ein offenes Buch. Die Beobachtung der Hände und der kleinen, wenn auch dezenten Bewegungen, verrieten weitaus mehr über eine Person, als man auf dem ersten Blick erwartete. So war es durchaus möglich, seinen Gegenspieler anhand dieser kleinen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen zu durchschauen und ihre wahre Absicht zu erkennen. Ein Firmenleiter wie Kaiba war natürlich in der Lage, auch die Finger und Handbewegungen, so unbedeutend sie auch wirken mochten, richtig zu deuten und zu seinem Gunsten auszunutzen. Eine kleine Geste konnte immerhin bei einem wichtigen Meeting über Sieg oder Niederlage entscheiden – in Kaibas Fall über eine zukünftige Zusammenarbeit mit einer anderen Firma. Auch Jounouchis Miene ließ stets erahnen, was in ihm vorging. Der Blonde plapperte weiter unverständliche Sätze, überholte sich selbst und verhaspelte sich mehr als einmal. Eigentlich wollte Kaiba ihn unterbrechen, aber irgendwie war es ein netter Anblick, den Blonden so verzweifelt zu sehen. „Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst, Kaiba – und glaube mir, das beruht auf Gegenseitigkeit – aber jetzt ist wohl kaum Zeit, unsere Differenzen auszudiskutieren“, begann er und fuchtelte aufgebracht mit seinen Händen hin und her, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu unterstreichen. Verdutzt hob Kaiba eine Augenbraue, wollte gerade argumentativ ausholen, um Jounouchi wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen, als dieser panisch weitersprach. In Jounouchis Augen spiegelte sich Angst und Sorge, sodass Kaiba ihm glauben musste. Auch seine Handbewegungen ließen Kaiba glauben, dass er vor Aufregung kaum die richtigen Worte fand und nicht hier war, um weiteren Unsinn anzustellen. „Der Kame Game Shop ist überfallen worden und Yuugi ist verschwunden!“, sagte er und als Kaiba diese Worte hörte, brach seine Welt in sich zusammen und er wusste, dass er zum ersten Mal seit Langem die Balance verlor, unfähig etwas zu sagen oder gar zu denken. In seinem Kopf herrschte Leere. Er hatte so oft versucht mit Yuugi in Kontakt zu treten, doch dieser hatte ihn ignoriert. Das hatte Kaiba glauben wollen, denn die Vorstellung, dass Yuugi etwas passiert sein könnte, war so abwegig, dass er nie in Betracht gezogen hatte, dass dieser in Gefahr sein könnte. Natürlich. Mit all diesen verdammten Raritätenjägern in der Stadt war es kein Ding der Unmöglichkeit. Die gesamt Aufmerksamkeit lag in der Innenstadt. Wer beachtete da schon die weiter außen liegenden Standorte? Und diese ganzen Neulinge und Versager, die sich zum Ziel gemacht hatten, die Spitze der Weltrangliste zu erklimmen, ohne auch nur den winzigsten Hauch von Anmut zu besitzen, die auf Krawall gebürstet durch die Straßen schlenderten und sich mit den namhaften Duellanten anlegten, waren doch Grund genug zur Sorge. Aber Kaiba hatte geglaubt, er wäre Herr der Lage. Sein Bewachungssystem und all die Sicherheitsleute, die er in der Stadt abgestellt hatte, hätten doch genug sein müssen. Er hatte sogar Angestellte aus anderen Abteilungen und seiner geheimen Einsatzkräfte in der Stadt abgestellt. Und obwohl Kaiba sich sicher war, dass er die gefährlichen Duellanten gut im Griff hatte, hatte er einen Fehler gemacht. Kaiba Seto hatte die Situation unterschätzt. Sein Plan war fehlgeschlagen. Yuugis Verschwinden wog weniger schwer als die Erkenntnis, einen Fehler gemacht zu haben. Der unfehlbare Kaiba hatte etwas übersehen. Da war eine Nische in seinem Bewachungssystem und Ratten waren hineingekommen. Sofort erhärtete sich sein Verdacht, dass sich innerhalb seiner eigenen Firma Spitzel befinden könnten. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass er Spione in seinen Reihen hatte. An den ganzen Ärger mit Pegasus, der seine eigenen Mitarbeiter in Kaibas Firma eingeschleust hatte und immer in Kaibas Nähe blieben, um Informationen an den Grauhaarigen abzugeben, erinnerte er sich noch zu gut. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte – an diese Schmach, diese Demütigung und das Gefühl der Ohnmacht – wurde er von einer Welle des Zorns erfasst. Dass Jounouchi ihn anlog, nur um ihn zu ärgern, schloss er aus. Jounouchi war ein Idiot, aber nicht lebensmüde. Grundlos würde auch jemand wie er nicht auf die Idee kommen, ein zweites Mal in der KC aufzutreten, nachdem ihm Hausverbot erteilt wurde. Immerhin war sein Vorstrafregister schon lang genug. Kaiba verlor die Fassung und ungläubig starrte er den Blonden an. Noch immer waren seine Augen vor Schreck geweitet und es fehlten ihm die Worte. Jounouchi hatte Kaiba noch nie so gesehen. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte er Kaiba gerne damit aufgezogen und sich darüber lustig gemacht, dass er seine Schwäche so offen zeigte und seinen wunden Punkt offenbarte. Doch Jounouchi brachte es nicht übers Herz, ihn jetzt auszulachen. Denn Jounouchi war ein fairer Gegenspieler. Seinen Gegner im Moment der Schwäche anzugreifen und seine Verletzlichkeit auszunutzen sprach gegen seine Vorsätze und gegen seine Vorstellung von Moral. Man schlug niemanden, der auf dem Boden lag. Als er Kaiba so sah, wurde ihm zum ersten Mal so richtig bewusst, dass dieser Mann doch so etwas wie Emotionen in sich trug und dass sein eiskaltes Lächeln nichts weiter als Fassade war, um zu verbergen, wie verletzlich er in Wirklichkeit war. Kaiba war nicht perfekt. Und das machte ihn auf eine seltsame Art und Weise irgendwie menschlich, beinahe sympathisch. Zum ersten Mal sah er eine Seite an Kaiba, die er noch nicht kannte. Liebevoll, verletzlich, aber vor allem schwach. Etwas, das Kaiba so sehr zu unterdrücken versuchte und für sich behalten wollte. Etwas, das niemand sehen durfte, von dem sich Kaiba sicher war, dass es nicht existierte. Kaiba hatte Schachpunkte. Mehr als einen. Seinen Bruder. Und seinen Rivalen. Auch wenn sie sich gegenseitig nicht ausstehen konnten, gab es etwas, das die beiden verband. Mutou Yuugi war für sie beide ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Auch wenn Kaiba dies niemals selbst zugegeben hätte, so war es in seinem Gesicht zu sehen. Die Sorge, die Angst, dass etwas passiert sein könnte – auch wenn sie es gar nicht so genau wussten – war schon schlimm genug, um die Fassung zu verlieren. Kaiba mochte Yuugi. Nicht nur als Rivalen. Seine sonst distanzierte und desinteressierte Art war nichts weiter als ein gespielter Akt, um nicht aus der Rolle zu fallen. „Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe und es tut mir aufrichtig leid, dass ich dir eine verpasst habe, aber ich weiß, dass dir tief in deinem Herzen etwas an Yuugi liegt und deshalb bitte ich dich! Nein, ich flehe dich an! Du musst mir helfen!“, sprudelte es aus Jounouchi heraus. Erwartungsvoll betrachtete er den Brünetten, dessen Blick sich nun veränderte. Sein Blick wurde wieder klarer und gefasster. Dann schnalzte er mit der Zunge und grinste. „Warum sollte ich dir helfen? Bist du nun völlig übergeschnappt? Wir wissen doch gar nicht, ob Yuugi etwas passiert ist. Du machst aus einer Mücke einen Elefanten, typisch für dich“, erklärte Kaiba und zuckte dann mit den Schultern, wandte sich zum Gehen und schien wieder so unnahbar zu sein wie zuvor. Warum nur hatte er es so eilig hier wegzukommen? Jounouchi wollte sich das nicht gefallen lassen. Auch Mokuba war sichtbar verärgert und es war seine laute, mahnende Stimme, die Kaiba daran hinderte, das Foyer zu verlassen und ihn dazu brachte, sich wieder umzudrehen und seinen ungebetenen Gast noch mehr seiner Zeit zu schenken. „Nii-sama!“, hatte er laut gerufen und in Mokubas Augen blitze Entschlossenheit auf, so stark und einnehmend, dass Kaiba es nicht wagte, ihn zu unterbrechen und ihm aufmerksam zuhörte. „Denkst du wirklich, dass Jounouchi hierher käme, wenn die Sache nicht ernst wäre?“, fragte Mokuba, doch seine Frage war nur rhetorisch und er wollte auch keine Antwort darauf haben. In ihm tobte ein Sturm. Wie konnte sein Bruder nur so teilnahmslos sein und so tun, als wäre nichts passiert? Er hatte ja schon mehrmals an der Empathie seines Bruders gezweifelt, doch, dass er sich einmal mehr von seiner schlechten Seite zeigte, verärgerte den Schwarzhaarigen dermaßen, dass er nicht anders konnte, als sich einzumischen. Mokuba wusste, dass sein Bruder Yuugi mochte und dass die beiden mehr als ihre Rivalität in Duel Monsters verband, denn er schätzte Yuugi und sprach stets in höchsten Tönen über diesen und lobte seine Begabung. Das hatte er glauben wollen. Mokuba betrachtete Yuugi als seinen Freund. Er war für ihn dagewesen und hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um die Seelen der Brüder zu retten. Und das ohne je etwas zu verlangen. Er hatte nie etwas im Gegenzug erwartet. Mokuba war der Ansicht, dass Kaiba in Yuugis Schuld stand und dass er sich nicht mehr vor der Verantwortung drücken durfte, sofern er sich selbst als ebenbürtiger Rivale des Königs bezeichnen wollte. Wenn du dich jetzt zurückziehst und wieder so tust, als ginge das alles dich nichts an, werde ich dir das niemals verzeihen... dann verliere ich das letzte bisschen Rest an Achtung vor dir, Nii-sama. Bitte enttäusche mich nicht schon wieder!!, flehte Mokuba und kam entschlossen auf seinen Bruder zu, der ihn nur perplex ansah und sich über Mokubas plötzlichen Drang sich zu behaupten und seinen Kampfgeist mehr wunderte, als über die Tatsache, dass Jounouchi hierher gekommen war. „Yuugi hat dir mehr als einmal das Leben gerettet! Wie kannst du nur so undankbar sein?! Was ist nur aus dir geworden? Wenn du ihn als deinen ebenbürtigen Rivalen ansiehst, dann musst du dich auch als seiner würdig erweisen! Doch wenn du jetzt gehst, wirst du ihn niemals besiegen, denn Yuugis Persönlichkeit und seine Güte werden dich dann für immer in seinen Schatten stellen“, meinte er und atmete tief ein. „Ich habe genug von deinem egoistischen Verhalten, Nii-sama. Yuugi und Jounouchi sind beide meine Freunde und man hilft seinen Freunden, wenn sie in Not sind. Auch wenn wir nicht wissen, ob Yuugi überhaupt in Gefahr ist, kann es nicht schaden, die Aufnahmen des Satelliten zu überprüfen, um Gewissheit zu kriegen. Selbst wenn Yuugi in Sicherheit ist... der Kame Game Shop ist überfallen worden! Der Laden bedeutet auch Yuugi viel und wenn wir die Täter ausfindig machen und stellen können, sollten wir das tun.“ „Kaiba. Auch wenn du mich nicht leiden kannst, hier geht es nicht um mich, sondern um Yuugi. Wenn du in Gefahr wärst, würde er sofort alles stehen und liegenlassen, nur um dir zu helfen“, fügte Jounouchi hinzu. Es war kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Kaiba seufzte genervt. Dass Yuugi dumm genug war, sein Leben für seine Freunde – Kaiba inbegriffen – zu riskieren, hatte dieser ja in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen. „Von mir aus. Es kann ja nicht schaden, zumindest einmal drüber zu gucken. Ich bin mir sicher, dass es ihm gutgeht und du hier unnötigerweise ein Drama machst“, erklärte Kaiba und wandte sich um. Jounouchi hauchte ein leises „Danke“. Kapitel 19: Kapitel 19 ---------------------- Gemeinsam machten sie auf den Weg in den Computerraum, wo sämtliche Satellitenaufnahmen ausgewertet und analysiert wurden. Normalerweise war das System so eingestellt, dass es die Aufnahmen nach 48 Stunden von selbst löschte. Die Mitarbeiter warfen nur einen flüchtigen Blick drauf und die Aufnahmen wurden nur dann verwendet, wenn sie nützliches Material enthielten. Was genau genommen bedeutete, dass Duelle ausgewertet wurden und man sich die Duellanten genauer ansah und ihre Daten im Netzwerk speicherte. Dem Blonden fiel sofort auf, dass der Raum richtig kalt war und er zitterte ein wenig. „Bei einem so großen Rechner ist es nötig, dass wir den Raum auf eine konstante Temperatur runter kühlen, damit das System nicht überhitzt“, erklärte Mokuba mit einem Grinsen. Dass er dem Blonden etwas beibringen konnte, erfüllte ihn mit Stolz und er fühlte sich viel erwachsener als sonst. Obwohl er mit seinen 14 Jahren mehr als die meisten seiner Gleichaltrigen über Technik wusste und in der Lage war, komplizierte Computersysteme zu hacken, hatte er nur selten die Möglichkeit, mit seinem enormen Wissen zu prahlen. „Ist fast so kalt wie draußen“, murmelte Jounouchi und bibberte. „Weichei“, entgegnete Kaiba mit einem überlegenen Grinsen und setzte sich an den Zentralrechner, wo er mithilfe seines Fingerabdrucks, seiner Stimme und dem Scan seiner Augen und einem Passwort das Programm öffnete und durch tausende von Daten scrollte. Jounouchi staunte darüber, wie groß das Netzwerk der KC war und dass Kaiba ohne zu zögern oder seinen Gast darum zu bitten, sich umzudrehen, die Überwachungsaufnahmen öffnete. Hatte Kaiba denn keine Sorge, dass er hier etwas zu sehen bekam, was nicht für die Augen anderer gedacht war? Dass Jounouchi Informationen mitnahm, die er draußen für viel Geld verhökern konnte und somit der KC schadete? Entweder war das ausgeschlossen oder aber Kaiba machte sich sehr wohl Sorgen um seinen Rivalen und war nur zu stolz, zuzugeben, dass er selbst unbedingt wissen wollte, was passiert war. Als Kaiba sich zum ersten Mal umgedreht hatte und seinen Bruder und ihn in der Eingangshalle stehen ließ, wollte er vielleicht schon da die Aufnahmen ansehen? Konnte er es vielleicht gar nicht erwarten, herauszufinden, was vorgefallen war? Kaibas Blick, als er hörte, was geschehen war, war so sanft und verletzlich gewesen. So hatte er ihn noch nie gesehen. Jounouchi schüttelte den Kopf. Unmöglich. Kaiba war ein verdammtes Arschloch. Der war gar nicht zu richtigen Gefühlen fähig, das versuchte er sich zumindest einzureden und dennoch sagte ihm sein Bauchgefühl, dass er seine vorgefertigte Meinung langsam mal überdenken sollte. Dass es falsch war, diese Vorurteile nach all den Jahren immer noch aufrecht zu erhalten. Er hatte bereits einmal sein Bauchgefühl ignoriert. Vielleicht war Kaiba gar kein so übler Kerl, wie er immer dachte? Und das, was Yuugi in diesem sah, war vielleicht doch da? Yuugi hatte immer gesagt, dass Kaiba ein guter Mensch wäre und Jounouchi hatte dies stets dementiert und sich geweigert, diesen Worten Glauben zu schenken. Kaiba war es vollkommen egal, was mit den Menschen in seiner Umgebung geschah. Der genoss es doch, wenn andere litten! Und jetzt, wo er ihn an diesem gigantischen Pult sah und pausenlos Knöpfe drückte und die Dateien durchging, auf der Suche nach richtigen Hinweisen, nur um sicherzugehen, dass Yuugi unversehrt war, da zweifelte er daran, dass Kaiba so gefühllos war, wie er immer angenommen hatte. Vielleicht habe ich mich in ihm geirrt... vielleicht ist der Kaiba von damals wirklich nicht mehr da und er hat sich wirklich geändert. Yuugi hat immer felsenfest daran geglaubt, dass Kaiba ein guter Mann ist und wenn ich genau drüber nachdenke... ist es ja nicht so, als würde er andere verletzen. Seit damals hat er stets fair gegen Yuugi gekämpft und keine faulen Tricks mehr angewendet, überlegte er und warf einen musternden Blick auf Kaiba. Sie alle waren älter geworden. Sie waren reifer und erwachsener geworden und wenn Jounouchi so darüber nachdachte, hatte er auch eine sehr bewegte Vergangenheit und Fehler gemacht, für die er sich heute so sehr schämte, dass er sie zu verdrängen versuchte. Ich hab Yuugi gemobbt und ihm ziemlich miese Sachen entgegengeworfen. Und obwohl ich so’n Dreckskerl war, hat Yuugi nur das Gute in mir gesehen und mich seinen Freund genannt. Er hat mir nie Vorwürfe für damals gemacht und hat mir verziehen. Deshalb konnte ich mich ändern. Ob es Kaiba da auch so geht? Hat er sich verändert, weil er weiß, dass Yuugi ihm verziehen hat und dass es nichts bringt, über Vergangenes nachzudenken? Je mehr Jounouchi über ihn nachdachte und ihn so eifrig bei der Arbeit sah und wie sehr er sich darum bemühte, so schnell wie möglich die richtigen Aufnahmen zu finden, desto leichter fiel es Jounouchi, etwas in diesem Mann zu sehen, das er bisher ignoriert hatte und nie hatte wahrhaben wollen. Vielleicht waren sie sich ja gar nicht so unähnlich. Sie beide hatten eine stark ausgeprägte Bindung zu Yuugi, der ihnen beide, ohne mit der Wimper zu zucken, Freundschaft anbot und dabei ein versöhnliches Lächeln auf den Lippen trug. Yuugis Fähigkeit ihnen zu verzeihen hatte etwas in Gang gesetzt. Nicht nur bei Jounouchi. Ja, vielleicht sogar bei Kaiba. Jounouchi warf einen musternden Blick auf den CEO, der nichts von seinen Blicken mitbekam. Wäre ja auch ultrapeinlich, würde Kaiba mitbekommen, wie verträumt er ihn anstarrte. Genau genommen hat er oder eher die KC sehr viel für Domino getan. Er veranstaltet Turniere, unterstützt Hilfsorganisationen und die Preise für den Kaiba Park sind echt preiswert. Und dann noch die herabgesetzten Preise für die Duel Disks. Klar, mit meinem geringen Gehalt und otōsan zuhause kann ich mir selbst das nicht leisten, aber die Duel Disks und die Karten sind selbst für Kinder aus ärmeren Haushalten erschwinglich, kam es in den Sinn, doch dann biss er sich auf die Unterlippe. Nein, der Mann, der da vor ihm saß, war rücksichtslos, gemein, herablassend und respektierte niemanden! Kaiba war ein Mistkerl. Aufgeblasen. Arrogant. Selbstgefällig. Egoistisch. Eingebildet. Genau. Das war es, was Kaiba war. Mehr nicht. Der Kerl hatte keine gute Seite an sich und er war sich sicher, dass all diese guten Dinge, die von der KC ausgingen in Wirklichkeit durch Mokubas Nettigkeit vorangetrieben wurden. Als ob der Kerl sich für die Probleme anderer interessierte! Was für ein Unsinn! Wie kam er überhaupt auf diesen Blödsinn? Nur weil Kaiba einmal eine andere Seite hatte durchblicken lassen? Es war doch schier unmöglich, dass die beiden ein gemeinsames Ziel verfolgten oder jemals auf einer Wellenlänge sein würden. Wie absurd. Total beknackt! Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken wandte sich Jounouchi um und starrte den unerwarteten Besucher an. Weder Mokuba noch Kaiba hatten sich die Mühe gemacht, nachzusehen, wer die Tür geöffnet hatte. Musternd betrachtete er den älteren Mann mit Vollbart und langem Haar. Durch seinen weißen Kittel sah er aus wie ein Wissenschaftler und in seiner Brusttasche lugte ein kleiner, silberner Kugelschreiber hervor, auf welchem sich das Logo der KC abzeichnete. Das musste ein Angestellter sein. „Kaiba-sama“, begann der Mann und kam etwas näher, warf einen flüchtigen Blick auf den riesigen Monitor und schenkte dem Blonden keinerlei Beachtung, was diesen einerseits unglaublich nervte, aber auch seine Neugierde weckte. „Wenn Ihr etwas Bestimmtes sucht, lasst es mich wissen. Es kommt äußerst selten vor, dass Ihr Euch die Mühe macht, selbst die Dateien abzurufen“, fügte er noch hinzu, wirkte dabei sichtbar verwirrt. „Ah, Kuwabara-san. Sie sind es. Ich suche nach einer bestimmten Aufnahme, die Koordinaten sind Y348 und X744“, murmelte Kaiba, ohne auch nur eine Sekunde vom Bildschirm wegzusehen. „Der Kame Game Shop, nicht wahr?“, fragte der ergraute Mann und lächelte sanftmütig. „Euer Interesse an diesem Laden ist ja wirklich außergewöhnlich. Wollt Ihr den Laden aufkaufen? Es ist bereits das zweite Mal in diesem Monat, dass Ihr diese Koordinaten aufruft.“ Kaiba zuckte kurz zusammen, räusperte sich und versuchte sich nicht anhören zu lassen, dass er verlegen wurde. Niemand sollte wissen, dass Kaiba ab und zu die Koordinaten des Kame Game Shops aufrief, um mehr über Yuugi herauszufinden und die Kundenfrequenz abzuschätzen. Weil Yuugi offensichtlich in den letzten drei Monaten weniger Kunden als sonst hatte, hatte er zunächst den Anteil, den Yuugi von seinen Gewinnen an die KC abgeben musste, gesenkt, doch als Kaiba bemerkte, dass die Kunden noch weniger wurden, hatte er sogar die Buchungen komplett stornieren lassen. Doch das war nichts, was er mit anderen teilen wollte. Das nannte man Zahlungspause. Dass dies normalerweise mit hohen Zinssätzen einher ging, konnte man ja mal ignorieren. Es ging ihm nur um seinen Ruf! Sein gutes Image und der Name der KC. Immerhin hatte Kaiba von sich aus vorgeschlagen, dass er mit diesem Laden einen Vertrag abschließen könnte und Yuugi somit die neuesten Artikel – insbesondere was Duel Monsters Karten, Merchandise und Duel Disks anging – sofort zuschickte und dieser diese kostbaren Waren als Erster erhielt, sofern sie vorhanden waren. Und obwohl Kaiba sich so sehr darum bemühte, das Sortiment dieses Ladens aufzuwerten, blieb die Kundschaft aus, was, wie Kaiba fand, hauptsächlich am Standort außerhalb der Innenstadt liegen musste. Auf den Aufnahmen hatte er gesehen, dass hin und wieder Jugendliche in den Laden kamen, doch wenn sie den Laden verließen, war es klar erkennbar, dass sie nichts gekauft hatten und vermutlich nur dem König einen Besuch abstatten wollten. Junge Duel Monsters Fans, die sehen wollten, was der König drauf hatte oder sich ein paar Ratschläge holen wollten. Yuugi ist ein schlechter Verkäufer. Er muss diesen Jungs doch einfach nur ein paar Booster verkaufen. Ist doch nichts Schlimmes einem Kunden etwas aufzuschwatzen und ihn dazu zu bringen, etwas zu kaufen, was er nicht wirklich braucht. Hauptsache die Zahlen stimmen, überlegte er und knirschte mit dem Unterkiefer. Dass Kaiba einen unfähigen Geschäftspartner haben könnte, würde nur die Aufmerksamkeit der Medien auf ihn richten und schon bald würde die Öffentlichkeit danach fragen, warum die KC ausgerechnet einen winzigen und so uninteressanten Spielladen unterstützte. Immerhin ergaben sich so gut wie gar keine Vorteile für KC – auch wenn Kaiba genau das Yuugi und seinem Großvater gesagt hatte, um den alten Mann zum Unterschreiben des Vertrags zu bringen. Das würde auch seinen Ruf schädigen. Die Möglichkeit, dass ihm Yuugis Wohl am Herzen lag, war also ausgeschlossen und es ging lediglich um das Geschäftliche und die wirtschaftliche Komponente. Sobald Yuugi wieder größere Gewinne einstrich, würde er den Gewinnsatz, den Yuugi abgeben musste, selbstverständlich erhöhen! Doch solange die Kunden ausblieben und niemand vorhersagen konnte, wie lange der Laden bestehen würde, konnte er seinem Rivalen doch nicht noch mehr Geld als nötig abnehmen. Das Turnier sollte eigentlich dabei helfen, dass vermehrt Kunden in die Läden strömten und die Duel Monsters Booster Packs gekauft wurden. Seit diesem Monat waren die älteren Duel Disks auch nicht mehr mit dem Netzwerk verbunden und das neue Hologrammsystem lief ausschließlich mit den neuen Modellen, die jetzt in den Läden erhältlich waren, wodurch sich auch mehr Kundenfrequenz und höhere Einnahmen ergaben. In den meisten Läden war das auch der Fall, nur der Kame Game Shop, der außerhalb lag, hatte nur wenig von diesen Vorteilen mitbekommen. Und dass Yuugis Großvater immer noch nicht genesen war – Kaiba hatte auf einer Videoaufnahme einen Krankenwagen gesehen, wo der alte Mann herausgetragen und weggebracht wurde und hatte sich dann weiter informiert – hatte damit auch nichts zu tun. Warum nur wollte jeder ihm einreden, was für ein gutherziger Mann er war, wo doch alles, was er tat, mit logischen Argumenten begründet werden konnte? Hier ging es ums Geschäft, sein Image als Firmenleiter und jede Entscheidung, die er fällte, war mit wirtschaftlichen Argumenten belegbar. Kaiba grummelte. Dämlicher Kuwabara. Warum musste er das auch noch so laut aussprechen, wo sein kleiner Bruder und dieser Hohlkopf Jounouchi im Raum waren? Kuwabara war schon sehr lange in der KC angestellt und einer sehr besten Wissenschaftler, denen er all seine Projekte hinsichtlich des Programmierens anvertrauen konnte. Er hatte auch maßgeblich bei der Entwicklung der Duel Maschine mitgeholfen und war ein fähiger und kluger Mann, der jedoch sein Herz auf der Zunge trug und schon mal Dinge ausplauderte, die Kaiba nicht hören wollte. Doch ihn zu feuern würde einen derben Verlust bedeuten, weshalb er lieber sein nett gemeintes Geplauder ertrug. „Ich hörte, der Laden wäre überfallen worden. Da ich die genaue Uhrzeit nicht kenne, muss ich sämtliche Aufnahmen des Tages durchgehen. Kuwabara-san, Sie können mir tatsächlich helfen, indem sie den Zeitraffer von 15 Uhr bis 18 Uhr durchgehen. Zu Zweit werden wir sicher schneller die richtigen Aufnahmen finden“, erklärte Kaiba und sein loyaler Angestellter nickte, setzte sich an einen der anderen, kleineren Computer und klickte sich durch die Aufnahmen, in der Hoffnung etwas Auffälliges zu finden. „Mithilfe des Satellitensystems können wir die ganze Stadt überwachen“, flüsterte Mokuba und Jounouchi sah ihn nun wieder mit großen Augen an. „Das ist besonders hilfreich bei Überfällen oder wenn nach bestimmten Personen gefahndet wird. Mein Bruder hat schon bei dem ein oder anderen schwierigen Fall zur Lösung beigetragen, doch leider ist Domino sehr groß und wir können nicht die ganze Zeit nach Verbrechern suchen, wo wir auch noch zig andere, wichtigere Aufgaben zu erledigen haben. Wir sind ja ein Wirtschaftsunternehmen und nicht das FBI.“ „Ihr könntet doch mit der Polizei zusammenarbeiten“, meinte Jounouchi, zog verwirrt eine Augenbraue in die Höhe. „Du weißt ja, wie die Polizei in Domino ist. Der Sprecher der Polizeibehörde sagte, dass es eine Unverschämtheit sei, dass man ihnen so wenig zutraue und dass Domino keine Stadt des endlosen Verbrechens sei“, seufzte Mokuba offensichtlich geknickt. „Also sind die Gerüchte wahr. Also, dass die Polizei bestechbar ist“, flüsterte Jounouchi in sich hinein und senkte den Blick. Domino war noch nie ein sonderlich sicherer Ort gewesen. Viele der Verbrechen geschahen im Untergrund und für die normale, zivile Bevölkerung war es wahrscheinlich auch kein Problem, wie viele Schwarzmärkte und Yakuza hier sich im Schutze der Dunkelheit breitmachten. Es ergaben sich ja keine Nachteile. Blutgeld konnte man immerhin nicht vom echten Geld unterscheiden und so florierte die Untergrundszene samt illegaler Geschäfte, kriminellen Machenschaften und der Drogenhandel seit Jahren und wurde von vielen auch noch begrüßt, anstatt bekämpft. Jounouchi wusste seit seiner Jugend, dass man keinem Polizisten vertrauen durfte. Wer Geld hatte, konnte sich mit der entsprechenden Summe auch freikaufen. Selbst wenn man jemanden ermordet hatte, spielte das keine große Rolle, sofern die richtige Summe auf den Tisch gelegt wurde. So war Chopman bis heute nicht gefasst, zumindest hatte die Bevölkerung nichts mehr über den Massenmörder gehört, der mehrere Kinder bei einem Camping Ausflug brutal zerstückelt hatte. Die Medien hatten einfach aufgehört über diesen Kerl zu berichten. Nur Jounouchi und dessen Freunde waren Zeugen seines Todes, denn Jounouchi hatte ihn zum Sterben im Feuermeer zurückgelassen. Jounouchi bereute nicht, dass er verantwortlich für dessen Tod war. Selbst die abartigsten Verbrecher hatten die Chance ihre Freiheit zurückzuerlangen, wenn sie entweder selbst wohlhabend waren oder jemanden hatten, der sie deckte. Meistens handelte es sich um die Yakuza, die jeden aufnahmen und der Ansicht waren, dass sie der verweichlichten und verlorenen Jugend halfen, den richtigen Weg zu finden. Auch Hirutani hatte die Yakuza angepeilt. Jounouchis Miene wurde eiskalt. Gerade Kinder und Jugendliche aus Problemhaushalten und ohne Erziehungsberechtigte, die sich anständig um sie kümmerten, gerieten schnell auf die schiefe Bahn und endeten in einer Spirale, aus der sie sich selbst nicht mehr befreien konnten. Er stammte ja selbst aus einem Problemhaushalt und hatte mehr oder weniger in diesen Kreisen verkehrt. Dass er sämtliche Schleichwege und Abkürzungen in Domino kannte und wusste, welche Orte man besser mied, hatte ja auch was mit seinen Erfahrungen als Bandenmitglied zu tun. Hirutani hatte ihn so gesehen auf dieses Leben vorbereitet. Generell war es ja so, dass die Armut in bestimmten Stadtbereichen von Domino weitaus größer war als anderswo und gerade in diesen Bereichen wurde kaum Augenmerk hingelenkt, weshalb auch Verbrechen nicht so häufig aufgeklärt wurden. Der Regierung war das auch ziemlich egal, denn nach außen hin war Domino wohlhabend und gerade die Kaiba Corporation hatte zum Wohlstand verholfen, indem sie öffentliche Gebäude errichtete, so wie das Domino Stadium, den Duel Dom und der Kaiba Park, der täglich tausende Besucher von nah und fern anlockte und mit seiner ausgeklügelten Technik auch die kleinen Unternehmen unterstützte, indem sie exklusive Verträge mit diesen abschlossen. Das Logo der KC war fast überall zu sehen, der enorme Einfluss der KC hatte dieser Stadt geholfen Prosperität in einem Maß zu erhalten, was in dieser Form noch nie dagewesen war. Allein durch den Kaiba Park und die Turniere waren die Einnahmen von Touristen gestiegen, was der Stadt bei ihrem Wachstum half. Bevor die KC nach Domino expandiert hatte und der Firmensitz dort eröffnet wurde, war die Kriminalitätsrate weitaus höher. Überfälle, Hauseinbrüche und schwere Körperverletzungen hatten an der Zahl abgenommen und es sah nach außen hin so aus, als ginge es der Stadt besser denn je, doch bei einem genauen Blick waren diese Gruppierungen – unter anderem auch die Raritätenjäger – immer noch aktiv und weitaus erfolgreicher als vor ein paar Jahren, da sie aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit der Regierung und den Hütern des Gesetzes ungehindert walten konnten, während man nach außen hin das Bild der schönen Stadt beibehalten konnte. „Klar, auch mit unserem Bewachungssystem können wir nicht alles aufdecken und eigentlich bringt es ja ohnehin nichts, solange die Polizei und Regierung mit diesen Kerlen zusammenarbeitet. Man muss vielleicht keine Angst haben tagsüber rauszugehen, aber trotzdem finde ich es unmöglich, wie viele Verbrechen unter den Teppich gekehrt werden. Selbst wenn wir zur Polizei gehen würden und ihnen sagten, dass ein Freund vermisst wird, würden sie wahrscheinlich nicht mal nach ihm suchen“, fügte Mokuba hinzu und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ja, die Sorge hatte ich auch. Deshalb dachte ich, dass du und Kaiba meine einzige Chance seid“, antwortete Jounouchi wahrheitsgemäß und fühlte die Erleichterung in sich aufkeimen. Mit Kaibas Technik war es doch ein Klacks diejenigen zu stellen, die den Laden zerstört hatten und herauszufinden, wo Yuugi war. Bitte, Yuugi, sei in Sicherheit. Mach deinem trotteligen Freund nicht noch mehr Kummer, stieß er ein Gebet gen Himmel. Yuugi war bestimmt in Sicherheit. Er hatte sicher bemerkt, dass etwas nicht stimmte und hatte die Flucht ergriffen. Andererseits war der Laden das Ein und Alles seines Großvaters und Jounouchi fürchtete, dass Yuugi aus einer Emotion heraus sich mit diesen rücksichtslosen Raritätenjägern angelegt hatte, um das Hab und Gut seiner Familie zu schützen. In der Hinsicht konnte er sehr unüberlegt handeln. Wenn Jii-chan den Laden sieht, fällt er vor Schreck sicher in Ohnmacht. Aber schlimmer wär’s, wenn Yuugi verletzt worden wäre. Das könnte ich mir nie verzeihen. Bitte Kaiba... mach schneller!, fluchte er und warf einen Blick über Kaibas Schulter. Der Bildschirm flackerte und die Bilder vor ihnen veränderten sich so rasch, dass Jounouchi gar nicht wirklich mitbekam, was sich dort abspielte, doch Kaiba schien das weder zu stören noch aufzuhalten. Viel mehr sah es so als, als wäre er dieses enorme Tempo gewöhnt, was Jounouchi ziemlich beeindruckend empfand. Aber das würde er ihm niemals ins Gesicht sagen! Als Firmenleiter musste er ja einiges auf den Kasten haben. Auch wenn er ihn als Person nicht mochte, musste selbst Jounouchi seine Fähigkeiten anerkennen. Er war äußerst fähiger und kompetenter Mann, der nie das Gesicht verzog und jedes aufkommende Problem mit einem eisigen Lächeln begrüßte und es gnadenlos ausmerzte. Plötzlich pausierte das Bild und Kaibas Körperhaltung veränderte sich. Hatte er etwa was gefunden? Das Videomaterial wurde auf die normale Geschwindigkeit zurückgesetzt und jetzt konnte Jounouchi weitaus mehr erkennen als vorher. Mehrere schwarze Autos und ein Kleintransporter fuhren vor dem Laden vor und ein Wagen öffnete die Autotür mit einer solchen Wucht, dass man meinen konnte, dass die Tür direkt aus den Angeln fliegen musste. Bereits jetzt konnte Jounouchi sagen, dass diese Männer nicht zum Teetrinken gekommen waren. Leider hatten sie nur die Bilder von oben. Plötzlich stürmten mehrere Männer in violetten Kutten in den Laden, zerstörten alles, was ihnen in den Weg kam und hinterließen nichts als Chaos. Einige Minuten später kamen mehrere von ihnen herausgestürmt, sie hatten sich die Taschen mit Wertgegenständen vollgepackt und sämtliche Waren, die mit Duel Monsters zu tun hatten, eingesteckt. Einer von ihnen hatte Yuugi über die Schulter geworfen und ihn, samt der anderen Waren, in den Laderaum des Transporters geworfen. Nur wenige Augenblicke später starteten sie die Motoren ihrer Autos und fuhren davon. „Stopp! Ich will wissen, wo dieses Auto hingefahren ist! Kuwabara-san, ich brauche verlässliche Angaben!“, stieß Kaiba hervor und zeigte er mit dem Finger auf den Wagen und knallte dann ungestüm seine Hände auf das Pult vor sich. Kaiba war blind vor Zorn. Der Blonde zuckte vor Schreck zusammen. Dass Jounouchi und sein Bruder ihn jetzt sahen, war ihm egal, das einzige, das zählte, war, dass diese Typen eine gerechte Strafe bekamen. Niemand legte sich ungestraft mit Yuugi an! Das, was die Typen getan hatten, war eine Kriegserklärung, eine Beleidigung der Kaiba Corporation und in dem Sinne auch Kaiba gegenüber! Das konnte Kaiba nicht auf sich sitzen lassen und er schwor Rache. Niemand legte sich mit Kaiba an. Jeder, der es wagte, in seinem Weg zu stehen, wurde restlos eliminiert. Da kannte er keine Gnade. Kapitel 20: Kapitel 20 ---------------------- „Und was jetzt?!“, wollte Jounouchi wissen und starrte Kaiba an, der mit dem Rücken zu ihm gewandt war und mindestens genauso vor Wut kochte, sich aber nichts davon ansehen ließ. Der Brünette antwortete ihm nicht und hing seinen eigenen Gedanken nach. Wie konnten diese Typen es wagen, sich mit ihm anzulegen? Diese verdammten Raritätenjäger machten auch nichts als Ärger. Seit Jahren waren sie wie Unkraut, das sich immer weiter ausbreitete und einfach nicht auszurotten war. Mit jedem Mal, wenn sie scheinbar vernichtet waren und Kaiba glaubte, diese Störfaktoren beseitigt zu haben, schlugen sie mit noch mehr Härte zu und bewiesen, dass sie sich von nichts und niemanden aufhalten ließen. Dass der Schwarzmarkt mit dem illegalen Verkauf von gestohlenen Duel Monsters Karten boomte, war Kaiba zwar bekannt, aber eigentlich ging er davon aus, dass diese Typen nicht genügend Grips hatten, um sich ordentlich zu organisieren. Kaibas schlimmste Vermutung, dass sie sich eventuell mit einem Yakuza Klan zusammengetan haben könnten und daher Schutz und Unterstützung bekamen, könnte sich also als wahr erweisen. Es ärgerte ihn. Kaiba selbst hatte sich vor Jahren an die Yakuza gewendet. An den Klan, der in Domino das Sagen hatte, denn sein Bestreben, die Weißen Drachen zu besitzen und Yuugi damit zu besiegen, war unstillbar gewesen, sodass er mehrere Millionen Yen ausgegeben hatte, nur um die mächtigsten Karten der Welt in seiner Hand zu halten. Er hatte mit ihnen Geschäfte gemacht und er wusste, dass diese Männer skrupellos waren. Doch damals war Duel Monsters noch nicht so beliebt wie heute. Eigentlich hätte ihm klar sein sollen, dass sie ihre Gewichtung anders verteilen würden und sie sich auch in andere Gebiete vorwagen würden, sobald es neue lukrative Möglichkeiten gab. Ob Glücksspiel, Drogenhandel, Prostitution, das Ausschalten von „unangenehmen Zeitgenossen“ oder illegaler Handel mit Waren und kostbaren Luxusgütern – das alles waren Dinge, die für diese Organisation zum Alltag gehörte. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Jounouchi hatte ihn gepackt und drehte ihn mit voller Kraft zu sich herum. „Ich habe dich gefragt, was wir jetzt machen sollen! Du bist doch so schlau, oder?! Du hast doch bestimmt schon einen Plan, oder etwa nicht?!“, brüllte Jounouchi ihm entgegen. Kaiba fand es unheimlich, wie nah er ihm gekommen war und anstelle ihm zu antworten, schlug er dessen Hand weg und zischte: „Fass mich nicht an!“, während er ihn mit seinem finsteren Todesblick zum Umfallen zu bewegen versuchte. Leider hatte er es bis heute nicht geschafft mit Blicken allein zu töten. Eine solche Fähigkeit hätte sich als außergewöhnlich nützlich erwiesen. „Ich bin ein Firmenleiter und kein Gangster, du Weichbirne!“, knurrte er und stand nun auf. Was bildete sich Jounouchi überhaupt ein? Dass er ihm einfach so nahe kam und es wagte, ihn anzufassen und seine Privatsphäre zu durchbrechen, machte ihn wütend, vor allem aber störte es ihn, dass Jounouchi sich erneut so flink genähert hatte, dass er nicht mal mitbekommen hatte, dass dieser hinter ihm stand. Jounouchis Schritte konnten sehr leise sein und sich anzuschleichen schien ihm im Blut zu liegen. Diese Schnelligkeit war gefährlich. Aber er musste schon sagen, dass der Kerl ganz schön kampferprobt war. Auch, dass er sämtliche seiner Security Beamten in Nullkommanichts erledigt hatte und dies obwohl er in der Unterzahl war, bewies, dass seine Stärke mehr im Nahkampf lag, als darin sein Gehirn auf richtige Weise zu benutzen. Kuwabara meldete sich zu Wort und hinderte Kaiba daran, seine Wut erneut an dem Blonden auszulassen und ihn anzuschreien. „Kaiba-sama! Ich habe eine Spur. Aber das sieht gar nicht gut aus...“, murmelte der Ältere und konnte seinen Blick vom Computerbildschirm nicht abwenden. Rasch übertrug er seine Aufnahmen auf den großen Rechner und an dem gigantischen Bildschirm vor ihnen erschien ein Stadtplan und die Strecke, die der Wagen genommen hatte. Kaiba warf einen genauen Blick auf die Karte und schnalzte genervt. Das ehemalige Industriegebiet in Domino, das seit Jahren verlassen war und nur noch mit leerstehenden Lagerhäusern und eingefallenen Häusern beeindruckte und von der Polizei als Sperrgebiet bezeichnet wurde. Zivilisten hatten dort nichts zu suchen. Der Ort war tabu. Da durfte niemand rein – außer gewissen Organisationen, die gute Schmiergelder zahlten und dort ihre Ruhe fanden. „Hey, den Ort kenne ich“, murmelte Jounouchi und legte seinen Kopf schief. „Ja, ein Sammelpunkt für Kriminelle. Könnte sein, dass diese verdammten Raritätenjäger dort ihre Basis haben und sämtliche gestohlenen Gegenstände und Karten bewahren. Mit Sicherheit haben sie Yuugi auch dorthin gebracht“, erklärte Kaiba mit eiserner Miene. In seinem Gesicht war keinerlei Regung zu sehen. Für Sentimentalitäten hatte er nun wirklich keine Zeit mehr. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und für ihn stand von vornherein fest, dass es sich hierbei um keinen normalen Überfall handelte. Es war eindeutig eine Falle. Was diese Kerle wollten, war nicht der König, sondern dessen Gegenspieler – oder noch verständlicher gesagt: dessen Karten. Kaiba knurrte leise und verschränkte dann die Arme, betrachtete die Route, die der Fluchtwagen gefahren war, ganz genau und analysierte die Lage. „Dort befindet sich eine Absperrung. Da kommt man nicht einfach so rein“, sagte Jounouchi, erhielt aber keine Antwort von dem Firmenleiter, der diese Information absolut überflüssig fand, da er selbst genau wusste, dass ein Sperrgebiet eben nicht betretbar war – das sagte immerhin der Name doch schon aus – und sicher streng bewacht wurde. Wenn diese Gegend in den Händen dieser Yakuza Organisation war und sich dort gewisse Untergrundbanden breit gemacht hatten, war es ja wohl selbstverständlich, dass sie die Gegend rund um ihr Geheimversteck abriegelten und bewachten. Hielt Jounouchi ihn etwa für derart ungebildet? „Sollen wir die Polizei verständigen, Kaiba-sama?“ „Nein, das ist eine Falle. Der Ort ist abgeriegelt, da wird auch die Polizei nicht hingehen, selbst wenn wir ihnen sagen, dass es sich um eine Entführung handelt. Ich werde das selbst in die Hand nehmen. Dafür haben wir ja das KaibaCorp Sondereinsatzkommando“, kam es von Kaiba, der nun siegessicher in sich hineingrinste. Das Sondereinsatzkommando war noch ein Überbleibsel aus alter Zeit, als sein Stiefvater noch die Führung der KC innehatte und sie Kriegswaffen verkauften. Kaiba hatte lange darüber nachgedacht, ob er diese Einheit nicht doch auflösen sollte, doch immer wieder hatte er einen Nutzen gefunden und das Gefühl nicht abschütteln können, dass er sie eines Tages brauchen würde. Auf die Regierung war nun mal kein Verlass und auch wenn Selbstjustiz theoretisch gegen das Gesetz war, wurde es in der Praxis doch relativ häufig angewendet und sogar geduldet. Auch wenn er alles, was sein Stiefvater geschaffen hatte, vernichten wollte, um somit seine Vergangenheit auszulöschen, so musste er zugeben, dass dieses Sondereinsatzkommando durchaus seinen Nutzen hatte und von Wert für die KC war. „Nii-sama, das ist keine gute Idee. Das wird viel zu viel Aufsehen erregen und das könnte Skandale auslösen. Das ist gar nicht deine Art, so unüberlegt zu handeln“, kam es von Mokuba, der sich zwischen Jounouchi und seinem Bruder drängte und auf die Karte zeigte. Um das Gebiet zu erreichen, mussten sie die normalen Verkehrswege nutzen. Wenn gepanzerte Einsatzwagen durch die Gegend fuhren, würde das doch sicher das Interesse der Leute wecken, vor allem wenn klar wurde, dass diese von der KC geschickt wurden. Gerade jetzt, wo die Verhandlungen mit ihren Investoren noch im vollen Gange waren und das Turnier stattfand, konnten sie sich keine Fehltritte leisten. Es wäre äußerst fatal für zukünftige Geschäfte und sicher würde die Frage aufkommen, ob die KaibaCorp nicht doch insgeheim weiterhin mit Waffen handelte und der plötzliche Führungswechsel und die neue Richtung, die die KC eingeschlagen hatte, nur ein Deckmantel war, um die wirklichen Geschäfte zu verschleiern. Dass die KC von einem Moment auf den nächsten die Besinnung änderte, sämtliche Labore in die Luft sprengte und mit einem neuen, freundlicheren Gesicht und einem neuen Konzept aufwartete, hatte schon damals weltweit Diskussionen angeregt. Auch dass der ehemalige Leiter der KC, Gozaburou Kaiba, so plötzlich verstarb und sein Sohn die Führung übernahm und die KC in einen komplett gegensätzlichen Geschäftszweig änderte, war bis heute nicht vergessen. Immer noch wurde Kaiba kritisch beäugt und immer wieder meldeten sich frühere Konkurrenten und Mitspieler der Waffenlobby, die diesen Wandel nicht nachvollziehen konnten und versuchten, die KC mit Gerüchten und übler Nachrede zu schaden. Und sicher gab es zig ehemalige Mitarbeiter, die jeden Skandal breittreten würden. Immerhin hatte Kaiba fast sämtliche Mitarbeiter der ehemaligen KC gefeuert und nur kompetente Mitarbeiter eingestellt und Leute, die einen beachtlichen und vor allem beeindruckenden Lebenslauf vorweisen konnten. Wenn plötzlich gepanzerte Einheiten durch die Gegend fuhren, würden erneut Diskussionen ausbrechen und sicher würden Kaibas gute Intentionen hinterfragt werden. Der populäre Kaiba. Weltweit beliebt bei seinen Fans und als Genie der Gamingwelt betitelt. Nur deshalb war er als CEO der KC eingesetzt worden. Auch wenn er einen Großteil der Aktien für sich beanspruchte, so hatte er nun mal nicht allein das Sagen. Er war nur das offizielle Gesicht der Firma. Würde der Vorstand entscheiden, dass Kaiba zu viele Skandale auslöste, würde es sicher zu Problemen innerhalb der Unternehmensreihen geben und Mokuba wollte auf keinen Fall, dass sein Bruder und dessen Kompetenz einmal mehr in Frage gestellt wurden. Der alte Vorstand, diejenigen, die die Kaibabrüder an I² verraten und verkauft hatten, waren auf merkwürdige Art und Weise „verschwunden“ und die neuen Aktionäre, die ebenfalls Teile der KC für sich beanspruchten und somit ein Mitspracherecht hatten, könnten ihnen sicher in den Rücken fallen, sobald der eingetragene CEO auch nur einen winzigen Fehler machte. Es war überhaupt nicht die Art seines Bruders so unüberlegt zu handeln. Mokuba war sich sicher, dass es daran lag, dass er Yuugi so schnell wie möglich retten wollte und in seiner Wut bereit war, alles zu zerstören. Alles, was seinem Bruder ein Dorn im Auge war, musste zerstört werden. Pulverisiert. Denn er duldete niemanden, der sich ihm entgegenstellte und es wagte ihm nicht zu gehorchen. Kaiba lebte stets in Extremen. Gut oder schlecht. Schwarz oder Weiß. Lebendig oder tot. Etwas dazwischen existierte für ihn gar nicht. Einerseits war Kaiba gerade durch diese einnehmenden Persönlichkeit und seiner Skrupellosigkeit zum CEO gewählt worden, doch auf der anderen Seite waren es eben auch seine Kompetenzen und sein Fähigkeit, den Markt und Angebot und Nachfrage genaustens zu durchschauen und richtige Entscheidungen für die Zukunft zu fällen. Auch wenn er kleineren Firmen die Existenzgrundlage wegnahm, so war der Erfolg der KC nicht von der Hand zu weisen und das jährliche Wachstum nicht zu leugnen. Kaiba hatte durch seinen ausgeprägten Sinn für die Wirtschaft den Ertrag der KC um das hundertfache erhöht und sein Siegeszug war noch lange nicht beendet. Sobald die neuen Investoren und Interessenten restlos von der neuen Hologrammtechnik überzeugt waren, würde das zu neuen und wichtigen Geschäftspartnern führen und somit die Verwirklichung ihres Traumes noch realistischer machen. Kaiba Parks würden dann nicht nur in Japan zu finden sein, sondern weltweit. Auch das geplante Virtual Reality Spiel, in dem Duel Monsters Spieler sich in Gilden zusammenschließen konnten, wäre dann realistisch in die Tat umzusetzen. Das war ein riesengroßes Geschäft und sein Bruder wusste doch sicher, dass er sich keinen Fauxpas leisten konnte. Und trotzdem war er geblendet vor Hass. Mokuba konnte in seinen Augen sehen, dass er in diesem Moment nicht geradeaus dachte und sich der Konsequenzen eines solchen Großeinsatzes gar nicht gewahr war. Das beunruhigte ihn, machte ihm aber auch umso mehr bewusst, dass hinter diesem eiskalten Lächeln auch ein Mensch steckte. Zumindest wollte er das glauben. Denn in Kaiba schlummerte ein Schatten, ein Monster, das nur darauf wartete, Kontrolle zu erlangen. Mokuba kannte dieses Monster und war sich sicher, dass es nicht vollends besiegt war. „Wenn wir mit unseren speziellen Kampfhubschraubern aufkreuzen, brechen wir das Luftraumgesetz. Das werden die Medien nicht mal eben so ignorieren, vor allem nicht das Militär. Es wäre besser, wenn wir die Hightech-Panzerwagen nehmen, auch wenn das länger dauert, trotzdem wird das nicht unbemerkt bleiben“, überlegte er weiter. „Ist doch völlig egal, was wir nehmen, diese Rettungsaktion wird so oder so Aufmerksamkeit erregen und am Ende wird es in großen Schlagzeilen auf allen Tageszeitungen stehen. Aber selbst das ist es mir wert. Die Welt soll wissen, dass man sich nicht mit mir anlegt“, knurrte Kaiba und sah Mokuba mit fest entschlossenem Blick an. Kaiba war sich im Klaren, welche Konsequenzen sein Handeln haben würden und er hatte entschieden, dass er Ertrag höher war als der Einsatz. Seinen Rivalen zu verlieren, würde bedeuten, seine Karriere als Duellant aufzugeben. Ohne Yuugi würde sein Interesse an Duel Monsters verebben. Ich werde meinen Rivalen nicht zum zweiten Mal einfach gehen lassen. Dieses Mal mache ich es anders, schoss es ihm durch den Kopf und er erwiderte weiterhin Mokubas Blick mit absoluter Unnachgiebigkeit und Dominanz. Ohne Yuugi war Kaiba weder Mensch noch Duellant. Ohne ihn würde er sein wahres Ziel aus den Augen verlieren. Atems Fortgang hatte ihn bereits einmal in tiefen Kummer gestürzt und er fand sich in einem Abgrund wieder, aus dem er selbst nicht fliehen konnte. Es war Yuugis Lächeln und seine ausgestreckte Hand, die ihn aus dieser Spirale der Verzweiflung zurückholte und ihm einen neuen Sinn im Leben gaben. Sein Wunsch über Yuugi zu triumphieren, gegen ihn zu spielen und seinen Herzschlag in jedem seiner Züge zu spüren, hielt ihn am Leben. Er hatte bereits Atem verloren. Er selbst wusste, dass er es nicht ertragen würde, nun auch noch Yuugi zu verlieren. Dann würde er erneut von Hass und Zorn gelenkt werden und er fürchtete sich davor, sich selbst und die Kontrolle über sein Leben und seine Entscheidungen zu verlieren. „Ich werde mitkommen“, brach Jounouchi die Stille zwischen den Brüdern und sie beide sahen den Blonden mit großen Augen an. War das Jounouchis Ernst? War er sich überhaupt im Klaren, wie groß die Gefahr war? Kaibas Aufmerksamkeit lag nur noch auf den Blonden. Fassungslos betrachtete er das Gesicht des Mannes, der ihn entschlossen ansah und keinerlei Furcht ausströmte. Jounouchis Entschluss, Yuugi selbst zu retten, faszinierte Kaiba ebenso wie es ihn aus der Bahn warf. War er sich auch nur ansatzweise bewusst, in was für eine Gefahr er sich da brachte? Doch Kaiba brachte diese Fragen nicht über seine Lippen. Kein Wort verlor er darüber. Das war purer Selbstmord. „Ich war mehrmals dort. Ihr unterschätzt diese Typen, die sind sicherlich schwer bewaffnet. Das Gebiet gehört zu Yamaguchi-gumis Einflussgebiet und ich bin mir sicher, dass sie damit rechnen, dass du kommst.“ „Warum sollten sie wissen, dass ich komme?“ Kaiba hob fragend eine Augenbraue. Dieser Volltrottel wusste also ganz genau, dass diese Typen schwer bewaffnet waren und dass sein Leben in Gefahr geraten würde und trotzdem wollte er dort rein. Jounouchi hatte eindeutig mehr Glück als Verstand, obwohl Kaiba sich sicher war, dass er letzteres gar nicht besaß. Es gab keinerlei logische Begründung sich selbst in eine solche Gefahr zu bringen. „Weil sie es nicht nur auf Yuugi und seine Karten abgesehen haben, sondern auch auf dich. Kaiba, die warten auf dich. Die wollen mit dir persönlich verhandeln. Ich bin mir sicher, dass sie keinen Kampf wollen. Die wissen doch ganz genau, dass du sie jederzeit aufspüren kannst. Und wenn du jetzt überstürzt handelst, bringst du damit Yuugi in Gefahr.“ „Willst du sagen, wir sollen da unbewaffnet hingehen und sie darum bitten, uns Yuugi auszuhändigen? Sag mal, ich glaube, du hast einen Schlag auf den Kopf bekommen“, kam es von Kaiba, der sich zu einem Grinsen zwang und nicht verstehen wollte, dass Jounouchi sich überhaupt einmischte. Warum war der eigentlich immer noch hier? Der konnte doch nichts beisteuern und war nur ein Klotz am Bein. Wenn einer in dieser Situation helfen konnte, war es Kaiba. Genau genommen war Jounouchi nichts weiter als ein untätiger Zuschauer. „Nii-sama... ich glaube, Jounouchi könnte Recht haben. Wenn wir jetzt da reinstürmen, werden wir sicherlich die gestohlenen Karten an uns nehmen können und diesen Raritätenjägern mächtig ins Handwerk pfuschen, aber wer garantiert für Yuugis Sicherheit?“ „Dem wird schon nichts passieren“, kam es von Kaiba, doch Jounouchi unterbrach ihn. „Hör auf so zu tun, als ginge dich das nichts an, Kaiba! Kannst du wirklich ausschließen, dass ihm nicht passieren wird? Bist du dir zu 100% sicher? Denn ich bin es nicht, weil viel zu viel dagegen spricht!“ „Und was schlägst du vor? Abwarten und Tee trinken?!“, keifte Kaiba ebenso laut zurück. In seinen Augen brannte ein Feuer, dass Jounouchi es wagte, ihm zu widersprechen, machte ihn rasend und katapultierte den Blonden auf die oberste Position seiner Abschussliste. „Das habe ich nicht gesagt! Ich meine nur, dass wir besser einen Schleichweg nehmen sollten, anstatt direkt durch die Vordertür reinzugehen, da sie uns sonst direkt abfangen können. Die erwarten uns! Ich bin mir sicher, dass sie Yuugi nur mitgenommen haben, weil sie ihn brauchen“, erklärte Jounouchi weiterhin, wurde dann von Kaiba unterbrochen, der ihm nicht mehr zuhören wollte und seinen Ärger an ihm ausließ. „Und wozu sollten sie ihn brauchen? Ich bitte dich! Yuugi und ich sind offensichtlich nicht so gut befreundet, als dass ich meine Hand für ihn ins Feuer legen würde. Das sollten selbst die Raritätenjäger wissen. Wir sind Rivalen und keine Freunde. Aus welchem Grund sollten sie damit rechnen, dass ausgerechnet ich komme?“ „Weil es mir einer von ihnen selbst gesagt hat.“ „Verstehe, du verkehrst also immer noch in diesen Kreisen und nun hat dein schlechter Umgang dazu geführt, dass Yuugi in Schwierigkeiten geraten ist. Nicht nur, dass du dich immer um Kopf und Kragen redest und von einem Problem zum nächsten stolperst, nein, jetzt ziehst du auch noch Yuugi mit rein!“ „Sorry, Mister-Ich-bin-ja-sooo-perfekt und habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Fehler gemacht, aber deine Predigten helfen niemanden! Steck’ sie dir sonst wohin! Aber klar.. du kannst so etwas sagen, du hast es leicht, weil Yuugi dir nichts bedeutet.“ Kaiba stockte der Atem. Wie konnte er es wagen, seine Bindung zu Yuugi zu hinterfragen?! Welch Unverschämtheit. Doch er versuchte die Ruhe zu bewahren und auch wenn er einen tiefen Stich in seiner Brust verspürte, wollte er nicht auf Jounouchis Provokation eingehen. „Ich habe auch nicht erwartet, dass ein Einfaltspinsel wie du meine und Yuugis besondere Verbindung versteht.“ „Besonders? Es wäre mir völlig neu, dass du so etwas wie eine Verbindung zu anderen Menschen aufbauen könntest! Du siehst auf jeden hinab, auf mich, auf andere Duellanten, auf deinen eigenen Bruder – und auch Yuugi kannst du nicht auf einer Augenhöhe begegnen, redest aber trotzdem davon, dass ihr ‘ebenbürtige Rivalen’ seid und merkst nicht einmal, dass du ihn nur als Werkzeug für deine Zwecke missbrauchst!“ „Für meine Zwecke?!“, wiederholte Kaiba empört, wurde am Weitersprechen jedoch gehindert, weil Jounouchi derart aufgebracht war, dass er ohne Kaiba weiter zu beachten, weiter brüllte und mit jedem Wort nur noch lauter wurde. Mokuba stand schweigend neben den beiden und senkte betroffen den Blick zu Boden. Das, was Jounouchi dort sagte, waren Gedankengänge, die er selbst seit Langem hegte und stets zu unterdrücken versuchte. „Genau! Für deine Zwecke! Als würde es dir um Yuugi und eure Duelle gehen! Selbst das Turnier und die Hoffnung der Teilnehmer, etwas zu erreichen, nutzt du aus für deine neue Technik, um zu beweisen, wie toll du doch bist! Profit wiegt für dich doch schwerer als ein Menschenleben, da kann man ja auch seinen Rivalen opfern, was?!“ „Ich würde niemals zulassen, dass Yuugi etwas geschieht! Letztendlich ist es meiner Technik zu verdanken, dass wir überhaupt eine Spur haben und ich werde Yuugi retten, weil wir Rivalen sind! Und du? Was kannst du beisteuern? Richtig: Nichts. Weil du in deinem Leben nie etwas erreicht hast und nicht mal die Fähigkeit besitzt, deine eigenen Probleme selbst zu lösen! Einem wie dir bin ich wohl kaum Rechenschaft schuldig.“ „Hört auf ihr beiden! Das führt doch zu nichts!“, mischte sich nun endlich Mokuba ein und warf seinem älteren Bruder einen beinahe flehenden Gesichtsausdruck entgegen. Der Brünette hielt inne. Mokuba hielt erneut zu Jounouchi. Sein eigener Bruder fiel ihm in den Rücken. Dabei hatte er recht. Jetzt zu diskutieren und in endlose Streitigkeiten zu geraten – denn Kaibas und Jounouchis Ego waren sehr groß und keiner würde nachgeben – würde kostbare Zeit kosten. Kaiba knirschte erbost mit seinen Zähnen und warf erneut einen Blick auf die Karte und das Ziel, wo sich Yuugi vermutlich aufhielt. Tatsächlich konnten sie nicht mit Sicherheit sagen, ob sie Yuugi wirklich dorthin gebracht hatten, trotzdem war es die einzige Möglichkeit, die er sah. Er wollte nicht, dass Yuugi länger als nötig in der Obhut dieser kranken Männer war und außerdem musste er pünktlich zum Finale zurück sein, damit er dort gegen Kaiba antreten konnte. Immerhin hatte Kaiba ihr großes Duell bereits angekündigt und die Fangemeinde konnte ihren Kampf kaum abwarten. Es wäre eine nie dagewesene Blamage, wenn dieses heiß erwartete Duell nie stattfände und man dem Firmenleiter vorwerfen würde, absichtlich Fehlinformationen gestreut zu haben, um mehr Aufmerksamkeit auf dieses Turnier zu lenken. Es ging hier ausschließlich um Kaibas Image und den Ruf seiner Firma. Nicht auszudenken, würden seine zukünftigen Investoren und Vertragspartner seine Kompetenz anzweifeln! Kaiba strahlte nach außen den besonnenen und ernsten Geschäftsmann aus und es war ein Leichtes für ihn, seinen Gegenüber von sich zu überzeugen, doch würde sich herausstellen, dass dieses großartige Duell – ein noch nie dagewesenes Spektakel, das seinesgleichen suchte – nicht stattfand, würden auch Kaibas Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden. Nein, Yuugi musste bis zum Finale zurückerobert werden und seine Feinde vernichtet. Kaiba warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach 21 Uhr. Das Finale würde übermorgen um 9 Uhr morgens beginnen. Ihm blieben also noch 36 Stunden, wo er dieses Problem aus der Welt schaffen musste. „Ich sehe keinerlei Nutzen darin, Jounouchi mitzuschicken. Er ist uns keine Hilfe, sondern eine potentielle Gefahr. Ich habe nicht vor, einem drittklassigen Duellanten zur Hilfe zu eilen. Wenn er sich in Schwierigkeiten bringt, muss er selbst sehen, wie er da wieder rauskommt“, sagte Kaiba mit einer solchen Gleichgültigkeit in der Stimme, dass Mokubas Augen sich geschockt weiteten und er ihn sprachlos anstarrte. „Ach ja?“, begann Jounouchi zornig, versuchte sich jedoch wieder zu beruhigen und suchte nach den richtigen Worten. „Deine Augen können nicht überall hinreichen, du hast wohl kaum Einblick in die Gebäude oder in Autos! Im Gegensatz zu dir kenne ich Domino wie meine Westentasche, samt aller Schleichwege und Verstecke von Jugendbanden und Kleinkriminellen! So ein reicher Pinkel wie du, der im Glamour und Unbescholtenheit aufgewachsen ist, wird ja wohl kaum Ahnung haben, wie man richtig mit einem Drogendealer verhandelt! Ich kriege uns da auch ohne Aufsehen rein!“ Kaiba und Mokuba starrten den Blonden entsetzt an. Mokuba war sich nicht sicher, was ihn mehr schockierte. Die Tatsache, dass sein Bruder bereit war, ein Menschenleben zu opfern oder dass Jounouchi damit prahlte, zu wissen, wie man sich im Untergrund von Domino zurechtfand. Da keiner etwas sagte, fühlte sich der Blonde zunehmend unwohler und sein Blick wanderte leicht panisch zwischen den beiden Brüdern hin und her, die ihn, ohne ein Wort zu sagen, anstarrten wie einen Affen im Zoo. „Das ist nichts, worauf du stolz sein solltest“, entgegnete Kaiba nach einer gefühlten Ewigkeit. „Wieso?“, fragte Jounouchi mit unschuldiger Miene nach und zog verwundert eine Augenbraue in die Höhe. Kaiba seufzte und schüttelte den Kopf. Bei dem Kerl war Hopfen und Malz verloren. Es brachte wirklich nichts, noch weiter auf dieses Thema einzugehen oder gar Jounouchis Vergangenheit zu hinterfragen, immerhin war ihm schon längst bekannt, dass dieser in seiner Jugendzeit als Mitglied in einer Jugendbande war, weshalb er umso mehr darauf erpicht war, dass sein Rivale sich so fern wie möglich von diesem hielt, um seinen Ruf als König der Duellanten nicht noch zu beschädigen. „Gut, sag uns welchen Weg wir nehmen sollten, um da reinzukommen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen“, sprach er und sah den Blonden erwartungsvoll an. Große Hoffnungen hatte er ja nicht. Leere Worte und ein verzweifelter Versuch Anerkennung für etwas zu bekommen, das keinerlei Lob verdiente. Jounouchi nickte, zeigte mit dem Zeigefinger auf den den Bildschirm und zeichnete eine Route auf, die sich fern vom Trubel der Stadt befand. Kaibas Augenbrauen sprangen in die Höhe. Bis eben war er noch skeptisch und genervt gewesen, doch Jounouchi zeigte ihnen einen Weg, der tatsächlich weniger riskant war. Mit ihren Einsatzwägen kämen sie da vermutlich nicht durch, aber eine Gruppe von Personen könnte als Vorhut dienen und dann Verstärkung beordern. Damit würden sie auch die Raritätenjäger mächtig durchrütteln. „Hier“, begann er und zeigte auf ein Gebäude, das sich einige hundert Meter vom abgesperrten Gebiet befand, ehe er weitersprach: „Befindet sich ein Tunnel, der in die Nähe des Maschendrahtzauns führt und wenn man einige Meter weitergeht, ist dort eine Lücke, wo man, wenn man Glück hat, einfach reingehen kann“, erklärte er und warf den Brüdern einen zuversichtlichen Blick zu. „Viel zu banal“, stieß Kaiba hervor und sah den Blonden ungläubig an. „Ich habe doch gesagt, dass der Ort ein Treff für Jugendbanden ist. Das Gebiet ist ziemlich groß, aber die verlassenen Gebäude werden immer noch genutzt. Die Frage ist nur, welches von denen das richtige ist. Wenn wir in das falsche reingehen, machen wir unnötig auf uns aufmerksam, dann geht alles nach hinten los und wir bringen uns selbst in Gefahr. Mit den Jungs dort ist nicht zu spaßen. Die haben eine andere Auffassung von Moral und Anstand als wir.“ „Das soll heißen?“, raunte Kaiba genervt. „Erst schießen, dann befragen. Die treten auch auf jemanden ein, wenn er schon am Boden liegt. Ich sagte bereits, dass das Yameguchi-gumis Einflussgebiet ist. Die kennst du doch sicher“, meinte Jounouchi, verschränkte die Arme und sah betroffen zu Boden. „Die größte Yakuzavereinigung ganz Japans mit mehreren hunderttausend Mitgliedern. Jeder kennt sie. Es wäre äußerst ignorant, sie nicht zu kennen, insbesondere wo sie sich als Helfer in der Not präsentieren und bei den Wiederaufbau nach dem großen Erdbeben in Hokkaido geholfen haben. Sie werden als Retter von der Bevölkerung verehrt, weil sie im Gegensatz zur Regierung sofort zur Stelle waren und sie Millionensummen an Yen gespendet haben und auch bei der Lebensmittelversorgung geholfen haben, als die anderen Präfekturen noch über die möglichen Summen, die man entbehren könnte, diskutiert haben“, erklärte Kaiba äußerst nüchtern. „Das ist aber nur die eine Seite“, ergänzte Jounouchi. „Sie sind immer noch Yakuza, mit denen man sich nicht grundlos anlegen sollte.“ „Richtig. Wenn du dein Sondereinsatzkommando da rein schickst, musst du davon ausgehen, dass sie sofort schießen, wenn sie merken, dass jemand unbefugt reingekommen ist.“ Mokuba kam Jounouchi näher und sah ihn bittend an. „Und du willst da mit reingehen?! Du bringst dich unnötig in Gefahr!“, meinte er und versuchte Jounouchi abzuhalten. „Ich kenne mich dort aus und ich habe nicht vor, draufzugehen, sondern einem Freund in der Not zu helfen. Wenn Yuugi etwas passiert, würde ich mir das niemals verzeihen können. Ich könnte nie wieder lachen oder einfach weiterleben. Und er würde dasselbe für mich tun“, sagte er mit einem sanften Lächeln und mit Zuversicht in seiner Stimme. Mokuba senkte den Blick. Das Vertrauen zwischen Yuugi und Jounouchi war einfach unglaublich. So herzerwärmend. So echt. Zu vertrauen war schwierig, weil es den meisten Menschen so einfach fiel, zu lügen. Mokuba hatte das Vertrauen in seinen Bruder mehrmals verloren und auch wenn er sich selbst sagte, dass er diesen ohne zu Frage beschützen und alles für ihn tun würde, blieb stets die Frage und die Sorge, ob dieser dasselbe tun würde. Sein eigener Bruder hatte ihn töten wollen. Kaiba hatte kein Sekunde damit gezögert, seinen eigenen Bruder einen qualvollen Tod und traumatische Ereignisse erfahren zu lassen, denn geblendet von seinem Hass, war ihm alles egal. Es war nur ein Moment gewesen. Ein Augenblick. Diesen Blick in Kaibas Augen hatte er nie vergessen. Diese Gleichgültigkeit. Diese Ablehnung. Er hatte ihn angesehen wie Abschaum. Er hatte das Monster in seinem Bruder gesehen. Mokuba hatte versagt und auch wenn er wusste, dass ihr Stiefvater Gozaburou Schuld an Kaibas verdrehter Weltansicht hatte, so verfolgte ihn dieser Blick und der Bruch ihres Vertrauens bis heute. Er war bereits 14 Jahre alt. Es war drei Jahre her und auch wenn er wusste, dass sein Bruder sich zum Besseren geändert hatte, so gab es zahlreiche Momente, in denen er an sein Herz zweifelte. Jounouchi hatte in der Vergangenheit mehrmals bewiesen, dass er bereit war, für seine Freunde alles zu riskieren. Für Yuugi hatte er freiwillig den Tod in Kauf genommen, nur ihm ihn zu schützen. Und Yuugi würde dasselbe tun. Der Blonde war derart überzeugt von seinen Worten, dass Mokuba ihm glauben musste und begann, seine Beziehung zu seinem Bruder infrage zu stellen. Ich beneide euch beide... ich würde jederzeit für meinen Bruder alles opfern. Würde er dasselbe für mich tun? Dass ich die Antwort nicht kenne, macht mir Angst. Nur selten ließ Kaiba Emotionen durchscheinen. Stets hatte er diese ernste Miene aufgesetzt. Er manipulierte seine Gegenspieler auf geschickte Art und Weise und er kannte die Macht der Worte. Zu lügen fiel ihm so leicht, wie anderen zu atmen. Wer garantierte Mokuba, dass Kaiba ihn nicht auch anlog? Jounouchi hatte es vorhin gesagt. In diesem Moment hatte Mokuba innegehalten. Plötzlich hatte er das Gefühl gehabt, etwas würde ihn die Luft abschnüren und anstelle zwischen die beiden zu gehen, hatte er untätig zugesehen, weil Jounouchis Kernaussage, dass Kaiba alles egal war und er selbst seinen eigenen Bruder nicht respektierte, ihn so hart getroffen hatte, dass er sich selbst nicht in der Lage sah, etwas zu sagen. Ihm wurde die Kehle zugeschnürt. Denn diese Befürchtung, dass Kaiba alles und jeder egal war, hatte er selbst. Diese Angst keimte seit Jahren in seiner Seele und jetzt trug sie Früchte. Auch wenn er glaubte, dass Kaiba an seinem Rivalen und seinem Bruder etwas am Herzen lag, konnte er nicht sagen, ob dies seine wahren Gefühle widerspiegelte. Lag Kaiba wirklich etwas an seinem Bruder oder gar seinem Rivalen oder war diese Bindung, von der er glaubte, dass sie da war, vielleicht nichts weiter als eine Lüge? Manipulierte sein Bruder ihn, um ihn an der kurzen Leine zu halten? Mokuba senkte den Blick. Jounouchi grinste nur und legte eine Hand auf Mokubas Schulter. Er verstand nicht, warum dieser plötzlich so niedergeschlagen war und er wollte sich auch nicht erdreisten, seine Gefühle vollends zu verstehen, denn niemand konnte in das Herz eines anderen sehen, doch er konnte fühlen, dass Mokuba vor irgendetwas Angst hatte. Irgendetwas beschäftigte ihn. Etwas, das er nicht auszusprechen vermochte. „Mokuba, du bist auch ein wichtiger Freund für mich und sei dir sicher, dass ich dasselbe für dich tun würde“, meinte er mit einem ausdrucksvollen und überzeugendem Lächeln. Mokuba riss die Augen auf und nickte vorsichtig. Genau deshalb mochte er Jounouchi und auch Yuugi so gern. Ihr Optimismus war beflügelnd. Vollkommen egal, wie düster die Zukunft auch aussehen mochte, Jounouchi brachte immer Licht ins Dunkel und schaffte es andere zu motivieren. „Ich weiß“, entgegnete der Schwarzhaarige und übernahm nun das Kommando. Kapitel 21: Kapitel 21 ---------------------- Kuwabara wies das Sondereinsatzkommando dazu an, die Strecke zu nehmen, von der Jounouchi erzählt hatte. Jounouchi beharrte weiterhin darauf, mit den Einsatzkräften mitzukommen. Kaiba verzog keine Miene. Es war ihm buchstäblich egal, was dieser drittklassige Duellant machte. Wenn er der Ansicht war, dass er sein Leben sinnlos riskieren musste, dann sollte er das ruhig tun. Das war nun wirklich nicht sein Problem. Solange Yuugi pünktlich zum Finale erschien und ihr Duell planmäßig stattfand, war alles drumherum nicht so wichtig. Kaiba mochte es zwar nicht, seine Termine über den Haufen zu werfen, doch er beschwichtigte sein schlechtes Gewissen damit, dass er einfach nur ein paar Überstunden machen musste und dass Mokuba ihm sicher helfen würde, die verlorene Zeit aufzuholen. Das Einhalten von Terminen war in der KC sehr wichtig, denn nur so konnte man seine Ziele auch erreichen. Kaiba versuchte noch einmal Yuugis GPS Signal zu orten, doch dessen Duel Disk musste beschädigt worden sein, sodass er kein Signal finden konnte. Jeder Duel Disk war mir einem GPS System ausgestattet, sodass man schnell einen Duellanten ausfindig machen konnte. Kaiba fand dies äußerst hilfreich, insbesondere da er nur Interesse an seinem Rivalen hatte und er diesem stets einen Schritt voraus sein konnte. Dass der Duel Disk beschädigt sein musste, war zwar nicht gut, aber kein allzu großes Problem. Er würde Yuugi einfach rasch ein neues Modell bauen, das er auf ihn zuschnitt. Besondere Duellanten wie er und Yuugi verdienten auch einzigartige Duel Disks, wodurch sich die beiden nur noch mehr von der Menge abhoben. Sobald Yuugi wieder zurück war, würde alles wieder seinen gewohnten Gang nehmen. „Ich komme mit, Jounouchi“, sagte Mokuba und ging entschlossen einen Schritt auf den Blonden zu. Kaiba konnte seinen Ohren nicht trauen. Was hatte sein Bruder gerade gesagt? War er denn nun völlig übergeschnappt? Das konnte er unter keinen Umständen zulassen! Dieser verdammte Jounouchi war ein schlechter Umgang und stachelte ihn dazu an, Dinge zu tun, die sich jeglicher Vernunft und Logik entzogen. Das hier war doch kein Kinobesuch oder sonst irgendeine Freizeitbeschäftigung! Sofort kam er den beiden näher und obwohl er sich selbst innerlich dazu ermahnte, ruhig zu bleiben, konnte er das Beben in seiner Stimme nicht unterdrücken und er wurde weitaus lauter und ungehaltener als er es wollte. Es fiel ihm immer einfach, seine Gefühle unter Verschluss zu halten und auch wenn andere diesen Zorn falsch interpretierten, so war er im Moment derart aufgewühlt, dass er nicht anders konnte als seine Stimme zu erheben. „Du bleibst hier! Bist du lebensmüde oder was?“, keifte er und packte seinen kleinen Bruder grob an der Schulter, riss diesen zu sich um, um ihm genau in die Augen zu sehen und ihn hoffentlich von seinem Plan abbringen zu können. Der Schwarzhaarige vermied es seinen Blick zu erwidern, schlug die große Hand seines Bruders weg und ging einen Schritt von diesem weg. Er vergrößerte die Distanz zum Brünetten. Dieser atmete tief ein und überlegte fieberhaft, was er tun musste, um ihn davon zu überzeugen, dass er nicht mitkam. „Nii-sama, ich tue, was ich für richtig halte. Ich werde meine Freunde nicht im Stich lassen und ich will mit meinen eigenen Augen sehen, dass es Yuugi gut geht!“ Ohne sich weiter aus Diskussionen einzulassen, wandte sich Mokuba um und ließ seinen Bruder sprachlos zurück. In Kaiba loderte der Zorn. Verstand sein kleiner Bruder wirklich nicht, in was für eine Gefahr er sich brachte? Ihre Gegner waren unberechenbar. Das waren Kriminelle, die vor nichts zurückschreckten und mit Sicherheit keine Rücksicht auf einen Minderjährigen nahmen. Höchstens, dass sie Mokuba in Gefangenschaft nahmen und dann ein hohes Lösegeld von Kaiba forderten, um diesen unversehrt zurückzuerhalten. Auch wenn Jounouchi ein guter Kämpfer war, war es nicht auszuschließen, dass sein Bruder verletzt werden könnte. Die anderen Mitglieder des Sondereinsatzkommandos waren geschulte Soldaten, dennoch wollte er nicht zulassen, dass sein kleiner Bruder eine Dummheit begann. Kaiba wollte dieses Risiko auf keinen Fall eingehen! „Du bleibst hier! Hörst du mich!?“, kam es wutentbrannt von ihm und er wollte erneut nach Mokubas Hand greifen und ihn von dem gepanzerten Wagen wegziehen, doch dieser wich erneut zurück, wandte sich rasch um und warf dem Brünetten einen verletzten, aber auch kämpferischen Blick zu. Er machte mit seiner Körperhaltung und seiner Mimik klar, dass er sich von seinem Entschluss nicht abbringen lassen würde. Sein kurzes Haar flog ihm ins Gesicht, als er sich so rasch umdrehte. Wann nur hatte er sich so sehr verändert? Wie konnte es sein, dass Kaiba nichts bemerkt hatte? „Yuugi würde dasselbe für mich tun! Nein, er hat das bereits mehrmals getan!“, gab er zurück und stieg nun gemeinsam mit Jounouchi in den Wagen. Der schwer bewaffnete Mann in seinem Sturmanzug tat es ihm gleich, verkündete mit strengen Worten, dass sie nicht noch länger warten konnten und dass Kaiba sich überlegen musste, ob er bereit war, mitzukommen oder lieber hierbleiben wollte. Zähneknirschend gab Kaiba nach und stieg ebenfalls in den gepanzerten Wagen, welcher nur wenige Sekunden später den Motor laut brummend startete und über den grauen Asphalt raste. Bei jeder Kurve quietschten die Räder und als Kaiba sich in diesem kleinen Innenraum befand, wurde er leicht panisch. Noch einmal versuchte er Mokuba zur Vernunft zu bringen, doch dieser zog sich, ohne ihn auch nur zu beachten, eine kugelsichere Weste an und streifte sich einen Schutzhelm über, während er das Equipment checkte und sicher ging, dass auch sein Headset richtig funktionierte. Kaibas verzweifelte Worte und seine beinahe flehende Stimme ignorierte er. Auch Jounouchi hatte sich die Kampfmontur übergezogen. Für einen Moment hielt Kaiba inne und musste beeindruckt feststellen, dass Jounouchi in diesem Aufzug mehr hermachte als in seinem üblichen zerschlissenen Shirts und den verdreckten Jeans, die er sonst trug. Jounouchi war fest entschlossen. Hin und wieder hörte man Funksprüche der anderen Einsatzwägen, die ihre Koordinaten durchgaben und versicherten, dass die Bodentruppen sofort zur Hilfe eilen würden, wenn sie gebraucht wurden. „Mokuba, du musst mir nichts beweisen! Du musst hier nicht den Helden spielen!“, versuchte es Kaiba erneut, doch scheiterte einmal mehr an der Entschlossenheit seines Bruders, dessen Augen pure Selbstüberschätzung widerspiegelten, während er sich mutig zum Kampf bereit machte. Der Wagen hielt an und sie hatten ihr Ziel vorerst erreicht. Jounouchi stieg aus dem Wagen und gab weitere Anweisungen. Sein plötzliche Tapferkeit überraschte den Brünetten und als Mokuba an ihm vorbei ging, ohne seinen Bruder auch nur eines Blickes zu würdigen und den Wagen verließ, wusste Kaiba, dass er mit Worten allein nichts mehr ändern konnte. Mokuba war ebenso stur und stolz wie er selbst. Ihn davon zu überzeugen, das Ganze brav auszusitzen und abzuwarten, war nun schier unmöglich. Kaiba knurrte, kniff die Augen zu und griff ebenfalls nach einer der Westen und streifte sie über. Ebenso wie die anderen Mitglieder des Sondereinsatzkommandos zog er sich den Helm und die Schutzkleidung über. Das war doch absolut bescheuert! Das ergab doch gar keinen Sinn! Warum nur wollte Mokuba unbedingt selbst an der vordersten Front sein? Es reichte doch völlig aus, aus dem Hauptquartier der Kaiba Corporation das Ergebnis abzuwarten, um zu wissen, ob Yuugi in Sicherheit war. Kaiba hatte als Firmenleiter große Verantwortung, doch für ihn stand fest, dass er seinen kleinen Bruder unter keinen Umständen allein in die Höhle des Löwen lassen würde. Als er aus dem Wagen stieg, pfiff Jounouchi anerkennend, während Mokuba ihn nur fragend musterte. Wenn dieser verdammte Draufgänger Jounouchi nur nicht gewesen wäre! Nur wegen ihm brachte sich Mokuba bereitwillig in Gefahr! Das alles machte ihn rasend, aber er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Einige der Männer fragten ihren Boss, ob er wirklich mitkommen wollte, da die Kaiba Corporation ohne Führung dastehen würde, würde ihm etwas zustoßen. Kaiba schüttelte nur den Kopf und ließ sich weder Angst noch Sorge ansehen. Selbst in dieser Situation blieb er ernst und konzentriert. Nur ein Fehler könnte sein Ende bedeuten. Nur eine Unachtsamkeit und Mokuba könnte ernsthaft in Gefahr geraten. „Du musst nicht mitkommen“, meinte Jounouchi und trat dem Brünetten gegenüber. Durch die schwere Kampfausrüstung und die verdunkelten Scheiben ihrer Schutzhelme konnte er nicht in die Augen des Brünetten sehen und es war ihm unmöglich zu sagen, ob dieser seinen Entschluss nicht schon bereute. Jounouchi war es gewohnt gegen große Gruppen zu kämpfen. In seinen Straßenkämpfen musste er sich stets gegen eine Überzahl behaupten. Er wusste sich im Notfall zu helfen und seine Erfahrungen, die er in Schlägereien und Duellen erworben hatte, halfen ihm ungemein, um seine Gegner genau durchschauen zu können und ihre nächsten Bewegungen vorhersagen zu können. Der Blonde zweifelte stark daran, dass Kaiba sich in einem Zweikampf wehren könnte. Er mochte zwar muskulös sein, doch Muskeln zu haben, bedeutete nicht unbedingt, dass man sich mit Fäusten behaupten konnte. Auch wenn er seine Bereitschaft äußerte, mitzukommen, so konnte Jounouchi nicht glauben, dass dieser wirklich bereit war. Er bewunderte Kaibas Mut und seine Fähigkeit, sich so rasch an diese neue, ungewohnte Situation zu gewöhnen und sich entsprechend anzupassen, doch er befürchtete, dass wenn es Hart auf Hart käme, dieser ihm keine Hilfe sein würde und ein Risiko darstellen könnte. Natürlich hatte er noch die anderen erprobten Kämpfer an seiner Seite. Die meisten machten einen durchaus erfahrenden Eindruck und er war sich ziemlich sicher, dass der Großteil dieser Männer bereits im Wehrdienst gedient und als Soldaten in echten Kriegen gekämpft hatten, sodass sie auch in Krisen schnell agieren konnten. Diese Männer, die hier standen, wussten genau, was sie erwartete. Jounouchi hatte keine Angst. Was ihn antrieb, war die Wut darüber, dass ein Freund verletzt wurde. Der unbändige Zorn, dass Yuugis Ehre verletzt wurde und man ihn gegen seinen Willen entführt hatte. Jounouchi hatte sich mehr als einmal geschworen, seine Freunde zu beschützen. Vor allem Yuugi schuldete er so viel, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihn vor Unheil zu bewahren. Yuugi wartete sicher darauf, dass er kam. Denn so war es immer gewesen und so sollte es auch zukünftig sein. Jounouchi wollte, dass das erste Gesicht, in das Yuugi sah, seines war. Er sollte Jounouchis Grinsen sehen und wissen, dass er keine Angst mehr haben brauchte. Er sollte wissen, dass Jounouchi Himmel und Erde für ihn in Bewegung setzte und dass nichts und niemand ihn davon abhielt, für ihn da zu sein. Doch Kaiba hatte es selbst erwähnt. Er hatte diese Art der Bindung zu Yuugi nicht. Sie waren ja „nur“ Rivalen. Es ging ihm nur um sein Turnier. Um seinen Zeitplan, sein Image und seinen guten Ruf. Mit Freundschaft hatte das nichts zu tun. Mokuba fühlte sich Yuugi verpflichtet und er wollte ihm zur Hilfe eilen. Er wollte sich als wahrer Freund beweisen, weil er genau wusste, dass Yuugi dasselbe für ihn getan hätte. Darauf zu warten und zu hoffen, nicht zu wissen, was hier geschah, forderte viel Geduld und Vertrauen, doch Mokuba wollte selbst tätig werden. Er musste es selbst sehen und seine eigenen Erfahrungen sammeln. Jounouchi fand, dass Mokuba ein echter Mann war. Mutig und stark und das beeindruckte ihn ungemein. „Ich muss mitkommen, immerhin ist mein kleiner Bruder von allen guten Geistern verlassen und könnte hier umkommen! Denkst du, ich werde hier sitzen und tatenlos zusehen, dass mein Bruder getötet wird?!“, knurrte Kaiba und ballte seine Hände zu Fäusten, sodass die Handschuhe seiner Schutzkleidung knirschten. „Und genauso geht es mir, Nii-sama. Ich kann nicht warten. Ich habe genug davon, immer nur zu warten und außen vorgelassen zu werden.“ „Vergiss dein kindisches Ego, Mokuba! Das hier ist ernst! Kapierst du überhaupt nicht, was hier vor sich geht?“ „Im Gegensatz zu dir habe ich es verstanden. Ich riskiere mein Leben für einen Freund, von dem ich genau weiß, dass er dasselbe für mich tun würde. Ich vertraue ihm... mehr als dir.“ „Mokuba...!“, kam es geschockt von Kaiba und es verschlug ihm die Sprache. „Der Bruder, den ich kannte, war ein liebevoller und netter Junge, der sich für die Belange von Schwachen interessiert hat. Er träumte mit mir von einer Zukunft, in der auch Waisenkinder Spaß haben und Freizeitparks besuchen können. Und er hat gelächelt. Doch der Mann, der hier heute steht, erfreut sich am Leid anderer. Er zeigt keinerlei Gefühlsregung, wenn Menschen in seiner Umgebung verletzt werden. Er ist skrupellos und gefühlskalt. Er genießt es zu provozieren und glaubt, nur er allein habe das Sagen. Aber so ist das schon lange nicht mehr. Ich bin nicht dein folgsamer Angestellter, sondern dein Bruder. Ich bin kein Kind mehr und das werde ich heute beweisen.“ „Mokuba...“, hauchte Kaiba. Vor nur wenigen Stunden hatte er darüber nachgedacht, mehr mit ihm zu sprechen. Er hatte sich Gedanken gemacht, ob er sich nicht zu sehr von ihm entfernte und sich die Frage gestellt, ob Mokuba mit seinen kurzen Haaren ein Zeichen setzen wollte. Vielleicht wollte er gar nicht etwas Neues ausprobieren, sondern einfach nur die Aufmerksamkeit seines Bruders? Hatte er ihn so sehr vernachlässigt? War Mokuba wirklich der Ansicht, dass sie sich auseinandergelebt hatten und dass Kaiba ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, für den Profit seiner Firma opfern würde? Mokuba war noch jung und naiv. Es war vollkommen normal, dass Jugendliche unüberlegt und emotional handelten und er wusste, dass die Pubertät für die meisten Jungs sehr schwierig war und sie einen Ansprechpartner brauchten. Wieso hatte er ihn nicht gefragt, was in ihm vorging? Kaiba hatte seine Probleme stets selbst lösen müssen. Er hatte nie mit jemanden reden wollen, über das, was ihn belastete und es gab auch niemanden, den er mit seinen Problemen gar behelligen wollte. Er war der ältere Bruder. Es war seine Pflicht wie ein Fels in der Brandung zu stehen und Sicherheit auszustrahlen. Deshalb hatte er keine einzige Schwäche zugelassen. Für ihn. Damit niemals wieder ihn jemand ausnutzen oder gar manipulieren konnte. „Ich würde dich niemals im Stich lassen. Mokuba, auch wenn ich es nicht immer so zeige, aber du bist mir wichtiger als alles andere. Ich habe immer geglaubt, dass du mich von allen am besten verstehst. Seit wann ist das nicht mehr so?“ „Ich stehe hinter dir. Immer. Alles, was du tust, ist großartig und ambitioniert und ich weiß, dass du unglaublich intelligent bist, dennoch bist du nicht in der Lage soziale Bindungen aufrechtzuerhalten und deine Mitmenschen zu verstehen. Alles, was du tust, ist effektiv und ins genauste Detail durchgeplant. Du bist perfekt. Und deshalb verstehe ich dich schon lange nicht mehr. Ich bin nicht perfekt. Ich bin nicht so wie du.“ „Du hättest mir das doch einfach nur sagen müssen. Warum musst du deshalb dein Leben aufs Spiel setzen? Nur um mir eins auszuwischen? Komm doch zur Vernunft!“ „Nii-sama“, begann Mokuba, doch seine Worte klangen anders, sie waren durchdrungen von Enttäuschung und er schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. „Dass du nicht verstehst, warum ich Yuugi retten will, macht mir Angst. Deine analytisch geniale, aber sozial inkompetente Weltsicht unterscheidet uns voneinander. Alles, was dir nichts nützt, löscht du aus. Klar, du hast keine Schwächen. Du verschwendest keinen einzigen Gedanken daran, wie andere über dich denken. Dein Mangel an Emotionen ist deine Stärke, doch dass du selbst mir gegenüber nicht schaffst, deine wahren Gefühle zu zeigen, ist der Grund, warum ich davon überzeugt bin, dass ich Yuugi retten muss. Denn Yuugi hat sein Leben ohne nachzufragen für mich riskiert. Er hat nie darüber nachgedacht, welchen Nutzen es hat, anderen zu helfen. Du brauchst immer gute Argumente, doch dass Menschen auch aus Emotionen handeln können, verstehst du nicht“, meinte er dann und schnalzte leicht verächtlich mit der Zunge. „Yuugi hat mir immer ein Lächeln entgegengebracht. Du lächelst nie. Du lachst über meine Freunde. Da ist etwas in dir, das dich zurückhält und ich bin es nicht, der dieses Monster im Zaun hält. Der einzige, der das kann, ist er. Der einzige, der dir dabei helfen kann, dein eigenes Gefühlsleben zu verstehen und dich dazu bringt, das Zwischenmenschliche zu entwirren, so wie du sonst komplexe technische Probleme im Detail analysierst und sie behebst, bin nicht ich. Ich kann das nicht, weil ich dich nicht verstehe. Doch ich weiß, dass Yuugi dich durchschaut. Er kann, was ich nicht kann.“ Kaiba knirschte mit den Zähnen, doch durch den schweren Helm war es für keinen zu erkennen, wie schwer ihn Mokubas Worte trafen. Dieses Gespräch hatte er bereits einmal. Vor Jahren im Battle City hatte Mokuba ihn deswegen harsch zurechtgewiesen. Er wollte den Turm Alcatraz sprengen, obwohl Malik, Yuugi und dessen Freunde sich immer noch auf der Insel befanden und das finale Duell des Turniers immer noch im vollen Gange war. Er hatte den Timer gesetzt, zwei Stunden sollten sie Zeit haben, bis Kaiba die Schande seiner Vergangenheit endgültig vom Antlitz dieser Welt tilgte und sich mit erhobenem Haupt der Zukunft widmete, doch Mokuba hatte ihn ausgeschimpft. Er würde Menschenleben in Gefahr bringen. Er hatte Tränen in den Augen. Kaiba fand nicht, dass es tatsächliche Gefahren zu erwarten gab. Bis die Sprengung losging, war genug Zeit. Doch Mokuba war dennoch so unglaublich aufgebracht gewesen. Dass Mokuba sich gegen ihn stellte, hatte er als einmalige Sache angesehen. Das war ein Fehler. Jetzt machte sich dieser Fehler bemerkbar und er spürte Mokubas Zorn und seinen Frust über diese Art der emotionalen Vernachlässigung nun am eigenen Leib. Mokuba hieß nicht alle von Kaibas Entscheidungen gut. Da war etwas zwischen ihnen, das die beiden Brüder auseinandertrieb. Kaibas Unvermögen die Feinheiten zwischenmenschlicher Beziehungen zu verstehen trieb einen Keil zwischen die beiden. Mokuba sehnte sich nach Gesellschaft und Freunden. Kaiba hatte immer geglaubt, dass er niemanden brauchte außer seinen Bruder. Das rächte sich nun und sein eigener Bruder war bereit, sein Leben zu riskieren, nur um seinen Standpunkt zu untermauern. „Mokuba, ich verstehe, dass du wütend bist, doch wenn du aus einer Emotion heraus solche Entscheidungen triffst, hilft das niemanden. Du bringst dich selbst und Yuugi in Gefahr. Du bist nur verwirrt, weil du gerade von verschiedenen Hormonen, die deinen Körper steuern und dein Denkvermögen einschränken, gelenkt wirst. Denk doch mal darüber nach! Dein Hormonleben steuert gerade dein rationales Wahrnehmen und veranlasst dich dazu“, begann Kaiba, doch Mokuba fuhr ihn ins Wort. „Du denkst, das wäre eine pubertäre Phase von mir?!“, keifte er ihn an und kam ihm näher. Man hätte glauben können, dass Mokuba ihm mit einem Faustschlag vom Gegenteil überzeugen wollte. Jounouchi und Kaiba hatten den Schwarzhaarigen noch nie so aufgewühlt erlebt. „Mokuba. Kaiba“, sprach Jounouchi mit fester Stimme und ging zwischen die beiden Brüder, bevor ihr Streit noch weiter eskalierte. „Das reicht jetzt. Eure Diskussion könnt ihr auch zuhause weiterführen. Aber eines möchte ich dir sagen, Kaiba, glaube nicht, dass du einen Menschen an dich fesseln kannst. Mokuba ist ein freier Mensch und kann für sich selbst entscheiden. Nur weil du nicht in der Lage bist, die Gefühle deines Bruders zu verstehen, darfst du sie auf keinen Fall kleinreden. Du machst es nur schlimmer, wenn du die Sorgen deines Bruders auf Hormone reduzierst.“ Kaiba senkte den Kopf und am liebsten hätte er Jounouchi gesagt, dass ihn das Ganze überhaupt nichts anginge und er sich nicht einmischen sollte, doch er tief in seinem Herzen wusste er, dass er mit einer solch unüberlegten Reaktion nur noch mehr Schaden anrichten würde. Jounouchi hatte mit seinen Worten ins Schwarze getroffen. Mokuba war wütend. Wenn er sich mit seinem Bruder versöhnen wollte, musste er zumindest versuchen, ihn zu verstehen. Und das bedeutete mit ihm zu kommunizieren und nichts mehr zu tun, was die beiden Brüder nur noch weiter voneinander trennte. Kaiba konnte nicht bestreiten, dass er Yuugi als Duellanten und als seinen Rivalen schätzte. Vielleicht sollte er einfach mitspielen und sagen, dass er Yuugi als seinen Freund ansah, nur um den Schwarzhaarigen versöhnlich zu stimmen? „Wenn Yuugi etwas zustieße, würde mich das genauso treffen wie dich, Mokuba“, sagte er dann und beendete seinen Satz gedanklich: Ich würde es nicht ertragen, ihn zu verlieren. Genauso würde ich es nicht ertragen, dich zu verlieren. Du bist doch alles, was ich habe. Niemand durfte seine Worte hören. Viel mehr dienten diese Worte dazu, sich selbst zu überzeugen von dieser hirnrissigen Entscheidung, zusammen in das Hauptquartier des Gegners einzubrechen und sein Leben für seinen Rivalen und seinen Bruder in Gefahr zu bringen. Das war alles andere als rational. Das war lebensgefährlich, riskant und in keinem Fall das, was ein normal denkender Mensch tun sollte. „Ich werde euch begleiten“, kam es nun resigniert von Kaiba. Diese Niederlage war zerschmetternd. Auch wenn er glaubte, dass Mokuba nur gerade an einer Stimmungsschwankung litt, ausgelöst durch eine erhöhte Testosteronausschüttung, so musste er akzeptieren, dass sich Mokubas Einstellung zu ihm langsam veränderte und er anfing, sich von seinem großen Bruder zu distanzieren. Kaiba hatte allerhand Bücher gelesen und sich informiert, was es bedeutete, wenn ein Junge in die Pubertät kam, doch wirklich vorbereitet war er nicht auf diese plötzlichen Veränderungen seines Bruders. Kaiba überlegte. War er selbst auch so schwierig gewesen? Kapitel 22: Kapitel 22 ---------------------- Sie betraten das Grundstück. In der Finsternis der Nacht kamen sie gut voran und sicherten das Gelände um sie herum. Mit jedem Stück, dem sie ihrem eigentlichen Ziel näher gekommen waren, wurde ein Funkspruch gesendet. Sie waren zu sechst. Jounouchi und ein anderer Soldat übernahmen die Vorhut. Er hatte direkt eine eigenartige Verbindung zu dem großgewachsenen Mann gespürt. Er fragte sich, ob sie sich schon einmal begegnet waren und warf dem großgewachsenen Mann mehrmals musternde Blicke zu, die dieser durch den verdunkelten Schutzhelm nicht sehen konnte. Dennoch schien er gespürt zu haben, dass Jounouchi ihn ansah. Er drehte sich um und hätte Jounouchi es nicht besser gewusst, hätte er gesagt, dass er ihm ein keckes Grinsen entgegenwarf. Diese Schutzhelme waren praktisch, wenn man unerkannt bleiben wollte, aber es machte es einfach unmöglich, dem Gegenüber in die Augen zu sehen. Er hatte sich nur kurz namentlich vorgestellt. Johnny Gayle. Bei Jounouchi klingelte es nicht. Auf die Frage, ob sie sich schon einmal begegnet waren, hatte der große Mann, der sicher die 2 Meter Grenze geknackt hatte, nur leise gelacht. „Für solche Schwätzchen haben wir jetzt keine Zeit, Kleiner“, hatte er gesagt und ihn damit abgespeist. Einerseits war Jounouchi genervt, dass man ihn als „Kleiner“ betitelte, doch andererseits musste er selbst zugeben, dass er im Gegensatz zu diesem Soldaten keine richtigen Erfahrungen hatte und sie einen enormen Größenunterschied hatten. Jounouchi reichte dem Mann gerade Mal bis zur Schulter. Dabei war er selbst gar nicht klein. Für einen Japaner war er sogar überdurchschnittlich groß und hatte stets mit seiner Körpergröße geprahlt. Immerhin war 1,78 m für einen Mann in diesem Land doch gar nicht wenig. Gerne sagte er auch, dass er 1,80 m groß war. Auf die zwei Zentimeter kam es ja nicht wirklich mehr an. Außerdem wollte er sich Honda nicht geschlagen geben! Auch ihre Körpergröße war etwas, worüber die beiden jungen Männer gerne miteinander wetteiferten. Dass Honda größer war, kränkte seinen Stolz. Auch wenn es sich letztendlich nur um zwei verdammte Zentimeter handelte. Immerhin waren Yuugi und Ryou etwas kleiner. Dass der Größenunterschied zwischen Ryou und ihm ebenfalls nur zwei Zentimeter betrug, konnte man getrost ignorieren und sich als Größter in ihrer kleinen Gruppe feiern. Für Männer war das nun mal wichtig. Zumindest für Jounouchi, der gerne den Macho raushängen ließ und versuchte besonders bedrohlich zu erscheinen, wenn sich Jugendbanden ihm und seinen Freunden näherten. Achtsam ließ er seinen Blick durch die Gegend schweifen. Es war ziemlich ruhig. Aus der Ferne hörte man die Autobahn, doch die Geräuschkulisse war so leise, dass man sie kaum wahrnahm und man sehr gut hinhören musste, um sie überhaupt mitzubekommen. Jounouchi wusste, dass ein falscher Schritt ganz schnell das Ende ihrer kleinen Mission sein konnte. Auf keinen Fall wolle er das Leben von Yuugi und den Kaibabrüdern riskieren. Er schluckte hart und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Im Gegensatz zu diesen ausgebildeten Soldaten kannte er sich hier gut aus und wusste genau, welche Gebäude man von vornherein meiden sollte, wenn man nicht auf unangenehme Gäste treffen wollte. „Hier müssen wir aufpassen“, sagte Jounouchi und ließ seinen Blick hin und herwandern. „Kann sein, dass Jugendliche sich hier herumtreiben. Wenn die uns bemerken, könnten die uns ganz schnell verpetzen, um selbst in der Gunst bei ihrem Boss zu steigen“, erklärte er dann und der große Johnny nickte als Zeichen, dass er verstanden hatte. Sie flüsterten nur und versuchten nicht zu viele Geräusche zu machen. Jounouchi war der Ansicht, dass sie sich glücklich schätzen konnten, Profis bei ihrer Infiltration dabei zu haben. Sicher rechneten sie damit, dass Kaiba und dessen Angestellte von vorne kamen, doch stattdessen schlichen sie sich von hinten an und nahmen große Umwege in Kauf, um nicht gesehen zu werden. Ohne sich vorher abgesprochen zu haben, wusste jeder, wie wichtig es war, nicht unnötig aufzufallen. Jeder von ihnen schwieg und ihre Füße schienen über den Boden zu schweben. Die Raritätenjäger konnten ja nicht wissen, dass sie jemanden auf ihrer Seite hatten, der sich hier so gut auskannte. „Das Gebäude hier meiden wir lieber“, kam es zuversichtlich von Jounouchi und er zeigte auf ein großes Gebäude, das früher einmal als Firmensitz gedient haben musste. Durch die ständigen Erdbeben in Japan gab es viele Gebäude, die einstürzten oder nur noch auf wackligen Beinen standen, weshalb sie von ihrem Hauseigentümern verlassen wurden. Ein Gebäude zu sanieren war weitaus kostspieliger als ein neues zu bauen, welches den modernen Anforderungen der Erdbebenforschung gerecht wurde und so sicher war, dass auch Erdbeben der Stufe 4 sie nicht zu Fall brachten. Die meisten Gebäude hier standen also schon seit vielen Jahrzehnten leer. Mutige Jugendliche hielten sich trotzdem hier auf und diverse Vereinigungen, die keine Angst vor Verletzungen hatten und es in Kauf nahmen, bei einem plötzlichen Erdbeben unter den wackligen Trümmern lebendig begraben zu werden, nur um ihre illegalen Geschäfte ausführen zu können. Sie näherten sich dem Gebäude, in dem sie Yuugi und die gestohlenen Gegenstände vermuteten. Mit jedem Schritt, indem Jounouchi dem Gebäude näher kam, schlug sein Herz noch wilder. Bis hierher lief alles wie geplant. Es gab keine plötzlichen Komplikationen. Big Johnny erwähnte die Uhrzeit und ihren aktuellen Standpunkt. Nur noch wenige Meter vom Ziel entfernt. 23:34 Uhr. Alles läuft nach Plan. Stillschweigend liefen die beiden Kaibabrüder den Soldaten und Jounouchi hinterher. Sie beide waren emotional geladen, doch konzentrierten sich auf das, was nun wirklich wichtig war. Immer noch konnte Kaiba nicht glauben, dass Mokuba seinen Willen durchgesetzt hatte und derart unüberlegt handelte. Sie hatten sich zum ersten Mal so richtig gestritten. All diese tollen Ratgeber, die er gelesen hatte, hatten ihm gar nichts gebracht. In der Praxis war das Wissen, das er erlangt hatte, weitaus schwerer umzusetzen als in der Theorie. Mokuba hatte sich kein einziges Mal nach ihm umgedreht und stampfte stur den Soldaten hinterher. Für Kaiba war es absolut unerklärlich, wie es nur so weit kommen konnte. Kaiba war immer Herr der Lage. Er war immer die Ruhe selbst. Es unterliefen ihm so gut wie gar keine Fehler und seine Kalkulationen stimmten immer und übertrafen sogar die Erwartungen. Es gab keine Situation, die er nicht handhaben konnte. Man musste einfach nur das Problem analysieren, es in seine Einzelteile zerlegen und es Stück für Stück lösen und letztendlich aus der Welt schaffen. Ob feindselige Gegenspieler auf dem Wirtschaftsmarkt, die versuchten mit der KaibaCorp zu konkurrieren und mit aller Macht versuchten, dieselbe wirtschaftliche Macht wie er zu erreichen oder die Medien, die versuchten, ihn und seine Firma in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Jeder, der in seinem Weg stand, wurde systematisch weggeräumt. Es gab immer Mittel und Wege, solange man einen kühlen Kopf behielt und sich nicht von Emotionen mitreißen ließ. Geld war hierbei immer das überzeugendste Argument. Auch in Duel Monsters gab es immer eine Karte, die die Strategie des Gegners nichtig machte. Das ganze Leben war ein Spiel, man musste seine Schachfiguren einfach nur richtig setzen und die zukünftigen Veränderungen genau berechnen und vorhersagen können und entsprechend handeln. Es war so einfach seinen Gegenüber zu manipulieren. Doch Gefühle waren wankelmütig. Wie sollte er Gefühle analysieren und entsprechend handeln, wenn sie sich doch im Sekundentakt veränderten? Wie beantwortete man Tränen? Wie sollte er die Wut seines Bruders beschwichtigen? Ein nettes Lächeln reichte aus, um einen zukünftigen Vertragspartner zu überzeugen. Ein paar Schmeicheleien und nett gemeinte Lügen, von denen jeder wusste, dass sie gelogen waren und schon hatte man seinen Gegenspieler in der Hand. Oberflächliche Komplimente taten ihr übriges. Er wusste, wie man Menschen manipulierte. Es war so einfach, seine Stimmlage anzupassen, um direkt Sympathien zu wecken, seine Körperhaltung dem Gegenüber anzupassen, um eine Verbindung aufzubauen und die Art der Handbewegung, die entscheidend zur gewünschten Antwort führte. Selbst die Art des Händedrucks lenkte Kaiba selbst, so hielt er seine Hand dem Gegenüber stets von oben entgegen, um so sicherzugehen, dass sein Gegenüber automatisch die devote Haltung einnahm und er mit seiner Dominanz überzeugte. Kaiba war dominant. Manipulation war das beste Mittel, um seine eigenen Ziele zu erreichen und ein gewünschtes Ergebnis hervorzubringen. Doch Mokuba war kein Geschäftspartner. Er war sein Bruder. Kaibas einziger Verwandter. Kaiba sagte zwar Bruder, doch genau genommen fühlte er sich für ihn verantwortlich wie ein Vater. Er hatte die Rolle des Erziehungsberechtigten auch immer gut erfüllt. Das war es, was er selbst glauben wollte, umso unverständlicher war es für ihn, dass Mokuba sich so veränderte und ihn nicht mehr Teil an seinem Leben haben lassen wollte und darauf pochte, seine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen. Es war nur natürlich, dass Jugendliche sich irgendwann abkapselten und sich neue Vorbilder suchten, doch dass er sich ausgerechnet Jounouchi als neues Vorbild nahm, bereitete dem CEO Kopfzerbrechen. Sie schlichen zum Gebäude und drückten ihre Leiber gegen die eiskalte Wand. Jounouchi bemerkte die dicke Wolkendecke am Himmel und die vereinzelten Schneeflocken, die seicht zu Boden fielen. Ein Glück, dass noch kein Schnee liegt. Wäre schlimm, wenn sie unsere Position anhand der Fußabdrücke ausmachen könnten, dachte Jounouchi und fragte Big Johnny, was er nun als nächstes plante zu tun. Das Gebäude direkt stürmen? Die anderen Bodentruppen benachrichtigen und sie dazu beordern, nun von vorne zu kommen? Abwarten? Der große Mann warf einen Blick auf die Uhr und gab erneut einen Lagebericht durch. Stehen direkt vorm Ziel. Bisher keine nennenswerten Vorkommnisse. 23:48 Uhr. Er hörte den Funkspruch, der weitere Befehle durchgab. Zunächst abwarten, denn genau in diesem Augenblick würden zwei andere Einsatzwagen am Vordereingang für Aufsehen sorgen und ihnen somit genügend Zeit geben, von hinten reinzugehen und ohne Schwierigkeiten die Geisel und die gestohlenen Gegenstände zurückzuerobern. Jounouchi fand, dass das viel zu einfach war. In Videospielen passierte immer irgendetwas, womit man nicht gerechnet hatte. Wer sagte denn, dass alle Raritätenjäger direkt das Gebäude verließen und nach draußen stürmten? Konnte man das mit Sicherheit sagen? „Kleiner, hast du etwa Schiss?“, fragte Big Johnny leicht amüsiert. Jounouchi schüttelte nur den Kopf. „Unsinn. Bin nur bis oben mit Adrenalin vollgepumpt“, sagte er aufgeregt, überspielte seine Nervosität perfekt. Johnny boxte ihm gegen die Schulter. Das war wohl seine Art zu sagen, dass alles gut werden würde und er sich keine Sorgen machen brauchte. „Gut, wir gehen da jetzt rein und holen uns das zurück, was uns gehört!“, begann Johnny etwas lauter und sämtliche Aufmerksamkeit lag auf dem Hünen. Die anderen beiden Soldaten und die Kaibabrüder nickten. „Wenn wir da reingehen, gibt es kein Zurück mehr. Alles oder nichts. Kaiba-sama, Mokuba-sama, ich warne euch, im Kampf gibt es keine festen Regeln wie in einem Spiel. Wer zuerst schießt, gewinnt. Ich möchte, dass ihr beide stets hinten bleibt und nichts unüberlegtes tut. Jounouchi, du gehst mit mir zusammen rein“, gab er ihren Plan vor und Kaiba riss schockiert die Augen auf. „Mister Gayle, das geht nun wirklich nicht! Jounouchi ist kein Soldat, sondern ein Duellant!“, kam es von dem Brünetten. Dass er den Blonden in Schutz nahm, fühlte sich eigenartig an. Auch wenn er gesagt hatte, dass dieser für sich selbst verantwortlich war und er sicher nicht zu seiner Hilfe eilen wollte, so konnte er nicht zulassen, dass der blonde Trottel sich hier munter in die Gefahr stürzte und dabei sein Leben riskierte. Mal davon abgesehen, dass Kaiba wusste, dass Yuugi ihm nie verzeihen würde, würde diesem dämlichen Hinterwälder etwas passieren und es würde zudem ein schlechtes Licht auf die KC werfen. Negative Propaganda konnte er nicht gebrauchen. Nicht, dass ihm irgendetwas an diesem schäbigen Kerl lag! Mister Gayle muss verrückt geworden sein, wenn er zusammen mit Jounouchi das Gebäude stürmen will. Jounouchi und ich sind nicht befreundet und es ist ausgeschlossen, dass wir jemals auf einer Stufe stehen, trotzdem kann ich doch nicht zulassen, dass er blindlings in sein Verderben rennt. Verdammt...!, schoss es Kaiba durch den Kopf, der sonst absolute Kontrolle gewohnt war. Kaiba war ein Kontrollfreak. Er wusste alles. Er sah alles. Domino war seine Stadt. Alles lief nach seinem Plan und dass er nicht vorhersagen konnte, was geschehen würde, machte ihn, ja, nervös. Diese Unsicherheit, die er verspürte, ließ ihn Wanken. Das hier war kein Spiel oder gar eine Simulation, wo alles nach haargenauen Berechnungen lief. Niemand wusste, was sie da drin erwartete. Big Johnny kam Kaiba näher. Kaiba, der es gewohnt war, größer als seine Mitarbeiter zu sein, wurde von diesem Hünen in den Schatten gestellt und es war das erste Mal seit Langem, dass er sich etwas eingeschüchtert fühlte. Dieser Soldat hatte echt Nerven. Er wagte es tatsächlich, sich seinem Chef ohne Erlaubnis zu nähern! Und auf ihn herabzublicken! Typisch Amerikaner, die hatten keinen Anstand oder Respekt vor japanischen Sitten. “Mister Kaiba, I know what you mean, but this is my personal judgment. I trust Mister Jounouchi. He is strong. You might be the leader of the Kaiba Corporation, but I am the leader of the special forces. You will follow my orders or stay put! The lives of my soldiers depends on my judgment. I am sure that I have more experience on the battlefield than a CEO who develops games and never leaves his office.” “I am your boss. I simply cannot approve of your orders. Jounouchi does not have more experience on a battlefield than I do. You are endangering his life.” “Right now, Kaiba, you are my soldier and you will follow my orders. Stay here if you can't follow my orders. I'm not going to discuss this matter any longer.” Jounouchi staunte darüber, dass Big Johnny und Kaiba diskutierten. Hatte der Große seinen Chef gerade ohne Suffix angesprochen? Ganz schön respektlos, stellte Jounouchi nüchtern fest, machte diesen Mann aber irgendwie unheimlich sympathisch in seinen Augen. Er hatte kein einziges Wort verstanden. Kaiba war nicht zufrieden mit ihrem Plan und er wollte nicht, dass Jounouchi gemeinsam mit Big Johnny da reinging. Doch Johnny wurde mit jedem Wort lauter und erinnerte an einen Ausbilder aus dem Militär, sodass Kaiba kleinlaut wurde und keine weiteren Widerworte gab. Ein bisschen genoss der Blonde es, zu sehen, wie Kaiba wortlos dastand und einsehen musste, dass ihm seine arroganten und ach so schlauen Sprüche ihm in dieser Situation gar nichts brachten. Ein schadenfrohes Grinsen schlich sich für einen Moment auf seine Lippen. Doch dann fasste er sich. „Kaiba, ich kann auf mich selbst aufpassen. Wenn überhaupt, solltest du dir Sorgen um dich selbst machen“, meinte Jounouchi nur mit einer solch festen Stimme, dass Kaiba sich fragte, ob hier nun wirklich jeder übergeschnappt war. „Leute, los geht’s!“, kam es siegessicher von Big Johnny und Jounouchi nickte ihm zu. Gemeinsam liefen sie in das Gebäude. Das halb zerfallene Gebäude stellte sich als ehemalige Lagerhalle heraus. Im Dach befanden sich teilweise so große Löcher, dass man problemlos in den Nachthimmel sehen konnte und vereinzelt Schneeflocken ihren Weg ins Gebäude fanden, die sanft zu Boden segelten und dort liegen blieben. Wäre der Himmel nicht mit Wolken verhangen gewesen, hätte sicher auch das Mondlicht hier hineingereicht und sie hätten sich weitaus besser einen Weg bahnen können. Big Johnny schaltete seine Taschenlampe immer wieder an, nur um sie im nächsten Moment wieder auszuschalten und sich die Umgebung haargenau einzuprägen. Vermutlich wollte er nicht mit zig Taschenlampen bewaffnet hier durch die Dunkelheit laufen, denn ansonsten hätten sie ihren Standpunkt direkt offengelegt. Jeder ihre Schritte hallte leise wider und als Jounouchi auf ein paar kleine Steine trat, die unter seiner Schuhsohle unangenehm knirschten, schluckte er hart. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass jeden Moment ihm irgendetwas aus der Ecke anspringen konnte. Die Luft war eiskalt. Sicher hatten sie nun Minusgrade erreicht. Durch ihre dicken Schutzanzüge spürte Jounouchi aber kaum etwas von der Kälte und stellte fest, wie praktisch dieser Anzug war. Er fühlte sich ein bisschen wie ein Charakter aus einem Videospiel, nur dass er nicht praktisch speichern und von vorne anfangen konnte, wenn etwas geschah. In den Spielen sah das alles immer so einfach aus. Man schlich von einem Punkt zum nächsten und ballerte munter drauf los, wenn man Feinde sah, aber im echten Leben war es absolut lebensgefährlich so zu handeln. Man konnte sich nicht mit einem Klick mal eben heilen oder sich mit diversen Items boosten und die gegnerischen Angriffe abwehren. Es brauchte nur einen gezielten Schuss, um das Leben eines Menschen zu beenden. Jounouchi kannte die Vitalpunkte eines Menschen und wie schnell man einen Feind ausknocken konnte. Ein harter Schlag in die Magengrube, ein kleiner Druck auf die Schläfe oder ein kurzer, unauffälliges Ruck oder ein bisschen Druck in der Nähe des Schlüsselbeins oder am Oberarm, genau da wo die lebenswichtigen Blutgefäße entlang liefen und schon konnte man einen Kampf unblutig für sich selbst gewinnen. Im echten Leben war das nicht so einfach. Menschen starben schnell. Wer Videospiele mit der harten Realität eines echten Krieges und den dort drohenden Gefahren verglich, gar auf eine Stufe stellte, hatte wohl jeglichen Verstand verloren. Glücklicherweise gewöhnten sich seine Augen irgendwann an die Dunkelheit, sodass er seine Umgebung schemenhaft wahrnehmen konnte. Der Verfall des Gebäudes und der aus Stein gehauenen Gemäuer war gut zu erkennen. Bei jedem Windstoß knirschten die Dielen im Dach und man wurde umso vorsichtiger, da man befürchten musste, dass man von herunterfallenden Trümmern, die der ewigen Witterung nicht mehr standhielten und nachgaben, erschlagen werden konnte. Mit einer Handbewegung zeigte ihm Big Johnny, dass er näherkommen sollte und er tat wie ihm geheißen. Sie fanden eine gut in Schach gehaltene Metallluke, die beim Öffnen unangenehm laut quietschte und eine Treppe, die nach unten führte. Die Dunkelheit, die aus dem Loch zu strömen schien, fühlte sich wie giftiges Miasma an und er spürte eine leise Gänsehaut aufkommen. Ein eisiger Schauer durchfuhr ihn. Das war kein Spiel. Das war bitterer Ernst. Sein Blick blieb bei Mokuba und Kaiba hängen. „Es wäre besser, wenn ihr hier bleibt. Wir können euch dieser Gefahr nicht aussetzen“, meinte Jounouchi und drehte sich zu den beiden. Mokuba kam näher und protestierte. „Ich bin soweit mitgekommen, also ziehe ich das jetzt auch bis zum Ende durch“, sagte er selbstbewusst und stemmte seine Hände in die Hüften. Kaiba seufzte laut hörbar. „Mokuba, das ist kein Spiel. Wenn selbst Jounouchi dich nicht dabei haben will, dann aus gutem Grund“, erklärte er, doch Mokuba schüttelte nur vehement den Kopf. „Ich bin kein Kind mehr. Sondern ein Mann. Und als solcher muss ich kämpfen. Wenn ich jetzt einfach abhaue, werde ich mir das mein ganzes Leben lang vorwerfen“, sagte er nur und blieb direkt vor dem Blonden stehen. Jounouchi war beeindruckt von seinem Mut und fand, dass er recht hatte. Ein Mann musste kämpfen und für das einstehen, was ihm etwas bedeutete. Wer in so einer Situation der Gefahr den Rücken zukehrte und aus Angst, dass etwas passieren könnte, den Schwanz einkniff, würde sein ganzes Leben lang ein Feigling sein. Er würde jeden Tag daran denken müssen, dass er im entscheidenden Moment nicht den Mut hatte, sich der Gefahr zu stellen und würde für immer von diesem Schatten verfolgt werden. Die Angst und die Ohnmacht, die zur Untätigkeit verdammte, würde einen für immer begleiten und zurückhalten und auch zukünftig würde man stets den einfachsten Weg nehmen. Er hatte den Schwarzhaarigen unterschätzt. Er war weitaus mutiger und erwachsener als sein älterer Bruder, der kein einziges Risiko einging. “This might be a trap”, murmelte Big Johnny und die anderen sahen zu ihm. Nachdenklich beugte er sich zur Luke herunter und starrte auf die Stufen, die so tief reichten, dass man nicht sagen konnte, wie weit sie gingen. Man konnte auch kein Licht erkennen. Selbst wenn dort Personen waren, dann lauerten sie im Dunkeln und warteten nur darauf, dass ihre Opfer in ihre Falle gingen und sie diese in aller Ruhe und im Schutz der Dunkelheit ausschalten konnten. Wir haben eine Luke gefunden, die nach unten führt. Sehr wahrscheinlich eine Falle. Wir gehen runter. 0:14 Uhr, lautete seine Lagebericht. Jetzt verstand Jounouchi, warum sein Japanisch so angespannt klang. Als Amerikaner musste er ja einen Akzent haben. Seine manchmal etwas unbeholfene Art schwierige Wörter auszusprechen, fand Jounouchi auf merkwürdige Art und Weise beruhigend. Kapitel 23: Kapitel 23 ---------------------- Sie stiegen die Stufen schweren Herzens hinab. Für den Fall der Fälle waren sie alle mit Schusswaffen und Messern ausgestattet, doch Jounouchi betete zu all den Göttern, die es auf der Welt gab, dass sie diese nicht benutzen mussten. Für einen Augenblick schaltete Big Johnny seine Taschenlampe ein, versicherte, dass sie weiter gehen konnten und dass die Stufen weitaus tiefer reichten, als sie angenommen hatten. Erleichterung machte sich in Jounouchi breit, als er endlich unten angekommen war. Er fragte sich, wie viele Meter sie sich unter der Erde befanden. 10 Meter? Vielleicht auch 20? Ob das hier wohl ein ehemaliger Schutzbunker aus dem zweiten Weltkrieg war? Big Johnny ging weiter. Seine Schritte hallten beängstigend in dem Korridor wider. Erneut schaltete er seine kleine Taschenlampe an. Ein schmaler, langer Gang befand sich vor ihnen. Überall Spinnweben und ein modrig feuchter Geruch lag in der Luft. In den Wänden befanden sich Risse und man hörte aus der Ferne Wasser, das beinahe rhythmisch zu Boden tropfte. Vermutlich waren die Wände vollgesogen mit Wasser, da die Feuchtigkeit hier unten nirgendwohin entweichen konnte. Weder Kaiba noch Mokuba ließen sich ihre Furcht ansehen und liefen tapfer hinter Jounouchi und vor den anderen beiden Soldaten her. Jounouchi fand, dass sie beide weitaus mutiger waren, als er angenommen hatte. Selbst Kaiba, der absolut dagegen war hier runterzugehen, hatte sich beruhigt und zeigte keinerlei Gefühlsregung. Nicht, dass das etwas Neues für ihn gewesen wäre. Kaiba war nur schwer zu ergründen und man wusste nie so genau, was er dachte. Dass er bis hierher mitgekommen war, deutete der Blonde jedoch so, dass tief in diesem arroganten Kerl doch ein menschliches, warmes Herz schlug und er sich vielleicht in ihm geirrt hatte. Dieses Monster, von dem Mokuba sprach, vielleicht war es einfach nur Kaibas Unvermögen sich auf seine eigenen Gefühle und die anderer einzulassen. Sein falscher Stolz, der ihn davon abhielt, ehrlich das zu sagen, was tief in seinem Herzen war. Was es auch war, was ihn so sehr geprägt hatte, in diesem Augenblick hatte es keine Kontrolle über ihn und Kaiba war bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um seinen kleinen Bruder zu schützen. Jounouchi hätte dasselbe für seine kleine Schwester Shizuka getan. Jeder seiner Freunde lag ihm am Herzen und für jeden von ihnen hätte er ohne zu Zögern sein Leben riskiert. Sein Atem ging stoßweise. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Luft hier unten weitaus dünner war und es wurde mit jedem Atemzug schwieriger für ihn, Luft in seine Lungen zu pumpen und konzentriert zu bleiben. Immer wieder musste er die Augen schließen und sich selbst motivieren, weiter zu gehen. Big Johnny bemerkte das und legte behutsam eine Hand auf seine Schulter. „Die Luft hier unten ist sehr dünn, Kleiner. Aber keine Angst, daran gewöhnt man sich schnell“, meinte er fürsorglich und der Jüngere nickte, versuchte sämtliche Furcht von sich zu schütteln. Irgendwie glaubte er, dass es sich so anfühlen musste, einen großen Bruder zu haben. Jounouchi hatte nur eine jüngere Schwester und er war es nicht gewohnt, dass jemand mit Sorge zu ihm blickte und ihn hilfreiche Ratschläge gab. Alles, was er wusste, hatte er sich selbst angeeignet. In der Schule wurde einem nicht beigebracht, wie man Rechnungen bezahlte oder wie man als Minderjähriger an Zigaretten und Alkohol kam, um den abhängigen Vater mit seinem Stoff zu versorgen. Zahlen, Schriftzeichen und anderer Mist, der ihm im echten Leben bisher so gar nicht weitergeholfen hatte. Nicht, dass er sonderlich gut schreiben, lesen oder gar rechnen konnte. Er verstand die japanische Sprache, aber hätte man ihn ein richtiges Buch lesen lassen, hätte er vermutlich viele Schriftzeichen nicht richtig verstanden und aus Frust das Buch irgendwann in die Ecke geworfen. Yuugis Mangas und Comics dagegen war immer gut zu verstehen, die las er sehr gern. Und bei Videospielen konnte Yuugi ihm etwas erklären, immerhin sah er ihm sehr oft beim Zocken zu und kam selten in eine Situation, wo er fragend zurückblieb, weil Yuugi seinen angestrengten Gesichtsausdruck richtig deutete und von sich aus ein Wort vorlas, sodass Jounouchi den Wortlaut hören und somit verstehen konnte. Aber lesen und schreiben zu können, brachte ihm in einem Kampf nicht weiter. Auch in seinen beiden Jobs als Bauarbeiter und als Kellner reichten seine einfachen Sprachkenntnisse aus. Algebra, Kurvendiskussion und andere mathematische Gleichungen hatte er bis heute nirgendwo anwenden können. Dass Big Johnny sich die Zeit nahm, ihn zu beruhigen und ein behütendes Auge auf den Neuling mit den schnellen Fäusten warf, baute Vertrauen in ihm auf. Irgendwann mussten sie sich schon begegnet sein und Jounouchi wünschte sich, dass er durch die getönten Scheiben des Helmes hätte hindurchschauen können, um endlich das Gesicht des Mannes zu sehen, der hier so mutig und furchtlos das Kommando übernahm und trotz des Stress ein wachendes Auge auf seine Kollegen hatte. Kaiba wurde langsamer. Etwas besorgt warf Jounouchi einen Blick nach hinten. Die beiden Brüder hatten weitaus größere Schwierigkeiten bei diesem Luftmangel geradeaus zu gehen. Nicht jeder Mensch ging gleich gut oder schlecht damit um, wenn der lebensnotwendige Sauerstoff plötzlich weniger wurde. Kaiba wollte sich keine Schwäche ansehen lassen, stützte sich mit einer Hand an der kalten, nassen Wand ab und ging laut keuchend weiter. „Bringen wir das schnell hinter uns...“, grummelte er und kämpfte um sein gutes Ansehen. Jetzt auf die Knie fallen? Schwäche zeigen? Doch nicht Kaiba. Der doch nicht. Jounouchi fand ja, dass sein falscher Stolz ihn nur belastete und dass es in Ordnung war, die Hilfe anderer anzunehmen, wenn es wirklich sein musste. Nicht, dass er selbst die Hilfe anderer angenommen hätte. In der Hinsicht war er ein Heuchler. Genau wie Big Johnny es gesagt hatte, gewöhnte er sich an die dünne Luft und sie folgten dem Gang, während das Licht der Taschenlampe ihnen etwas Sicherheit schenkte. Am Ende des Meterlangen Ganges – Jounouchi hatte das Gefühl, dass sie seit Stunden unterwegs waren – befanden sich drei große Stahltüren, die von rotem Rost durchzogen waren und wo die einstige Farbe, die man drauf gestrichen hatte, bereits abblätterte. Big Johnny versuchte ein Signal reinzukriegen, doch sein Funkgerät funktionierte nicht. „Jungs, ab hier sind wir auf uns gestellt. Bleibt wachsam! Good luck and don't die, guys!“, sagte er und legte seine großen Hände auf die Tür direkt vor ihm, drückte so stark dagegen, dass sie mit einem lauten, unheimlichen Geräusch knarrte und dann so laut quietschte, dass es ein Echo warf. Jounouchi schluckte. Jetzt ging es um Ganze. Jetzt durften ihnen keine Fehler unterlaufen. Jounouchi, Big Johnny und die beiden anderen Soldaten drängten sich durch die Tür in den Raum. Der Raum stand leer. Mit ihren Taschenlampen durchleuchteten sie die Gegend, mussten jedoch feststellen, dass niemand hier war. Massenweise Kisten und Fässer, aber keine Menschen. Man hörte das Fiepsen von Ratten, die wahrscheinlich nun panisch die Flucht ergriffen und zurück in die Löcher krochen, aus denen sie gekommen waren. Jounouchi musste zugeben, dass er kein großer Fan der Dunkelheit war und er hatte mehr und mehr das Gefühl, der Protagonist eines Horrorfilms zu sein, wo ihn jeden Moment paranormale Aktivitäten erwarteten und ihm plötzlich Gegenstände entgegenflogen, bevor ein Geist sein Leben mit einem lauten Kampfgeschrei beendete. Allein beim Gedanken erschauderte es ihn. Mann, ich hasse Geister und Gruselzeugs..., grummelte er gedanklich. Da waren ihm Gangster und schwer bewaffnete Yakuza doch lieber. Die konnte man wenigstens besiegen und ihnen ordentlich auf die Fresse hauen, wenn es sein musste, aber was machte man bei Geistern? Genau, die ließen einen gar nicht entkommen und stürzten sich wie ein gieriger Geier, der Wochenlang nichts zu Fressen bekommen hatte, auf einen und stahlen einem die Seele. Wenn man Pech hatte wurde man selbst zum Geist und verlor die Kontrolle über sich, verletzte sogar seine ehemaligen Liebsten. Oder aber, er hatte zu viele Gruselfilme mit Ryou geschaut, die ihn nachhaltig empfindlich für solche Dinge machten und seine vorher leicht ausgeprägte Angst in eine starke Phobie verwandelt hatten, sodass er selbst in seinem eigenen Zimmer manchmal schweißgebadet aufwachte, weil er glaubte, dass das Quietschen seiner Schranktür durch einen Geist verursacht wurde, der ihm an den Kragen wollte. Zum Glück kämpften sie hier „nur“ gegen ein paar Raritätenjäger und Gangster. Vermutlich hätte Kaiba ihn laut schallend ausgelacht, hätte er seine Gedanken gehört. Jounouchi glaubte an übersinnliche Dinge und Geister. Immerhin war er sehr lange mit einem Geist befreundet, also gab es genug Grund zur Annahme, dass es diese okkulten Dinge tatsächlich gab. Mit Logik und Formeln konnte man solche Dinge vielleicht nicht belegen, aber es musste sie einfach geben. „Bleib wachsam, Kleiner“, hörte er Big Johnnys mahnende Stimme, der an ihm vorbei stapfte und die nächste Tür öffnete, in denen auch nur Kisten und Fässer eingelagert waren. Sie machten sich gar nicht die Mühe, diese weiter zu untersuchen, da sie ziemlich alt und verfallen aussahen. Selbst wenn sie Karten und Merchandise, die mit Duel Monsters zu tun hatten, gestohlen und hier gelagert hatten, würde niemand ein solches Gefäß für solche Wertgegenstände wählen. Ein Fass, dessen Holzriemen schon beinahe auseinanderfielen und mit Wasser vollgesogen war, war wohl kaum die erste Wahl, wenn man gestohlene Waren verstecken wollte. Also blieb nur noch die dritte Tür. I hear voices, murmelte Big Johnny und hob eine Hand, als wollte er seine Kameraden und seinen neuen Schützling daran hindern weiter zu gehen. Er überlegte für einen Moment. Sollte er die Tür einfach aufstoßen, wie die anderen? Hatte er sich die Stimmen vielleicht nur eingebildet und es war nur der Wind, der geheult hatte und ihn unnötig ihn Alarmbereitschaft versetzt hatte? Sein Blick wanderte umher. „Mokuba-sama, Kaiba-sama, Ihr bleibt hier“, flüsterte er und sein Schutzhelm blitzte im Licht der Taschenlampe bedrohlich auf. Mokuba, der erneut protestieren wollte, wurde direkt abgehalten, denn Jounouchi packte ihn so fest an der Schulter, dass er glaubte, in den Boden gedrückt zu werden und in dem aufgeweichten Boden zu versinken. Jounouchi schüttelte den Kopf. „Du hast es also auch gehört, Kleiner“, flüsterte Big Johnny ihm zu und sie nickten sich wissend zu. „Vermutlich wissen sie schon, dass wir hier sind. Könnte sein, dass sie das Quietschen der Türen gehört haben und nur darauf warten, dass wir reingehen. Und das heißt, dass sie auf uns zielen werden“, erklärte Jounouchi und fühlte wie Big Johnny ihm anerkennend zunickte. „Auch mit der Schutzkleidung sind Verletzungen nicht ausgeschlossen. Kaiba-sama, Ihr seid der Firmenleiter der KC und es ist meine Pflicht, Euer Leben zu beschützen. Die Befreiung der Geisel ist unsere oberste Priorität, doch im Notfall werde ich meinen Befehl missachten und Euch zur Hilfe eilen. Damit das nicht geschieht, solltet Ihr hier bleiben. Wir dürfen nicht riskieren, dass Ihr ebenfalls als Geiseln genommen werdet“, erklärte Big Johnny leise, aber gut hörbar. Mokuba senkte den Blick, nickte, um damit zu zeigen, dass er verstanden hatte. Zufrieden war er nicht, das konnte Jounouchi spüren, aber auch er war der Ansicht, dass ein 14 Jähriger im Kampfgetümmel nichts zu suchen hatte. Auch Kaiba war kein Kämpfer. Dass dieser einen schnellen Haken nicht abwehren konnte und schnell zu Boden ging, hatte Jounouchi erst heute Vormittag selbst mitbekommen. Im Ernstfall waren die beiden Kaibabrüder nur Störfaktoren, weshalb es umso wichtiger war, dass sie so weit wie möglich vom Kampfgeschehen wegblieben und den Soldaten nicht im Weg standen. Jounouchi war unheimlich stolz, dass Big Johnny ihm zutraute, Seite an Seite mit ihm zu kämpfen. Diese Art der Anerkennung tat gut. Selbst Kaiba schluckte seine Argumente einfach runter, schnalzte zwar genervt mit der Zunge, weil sein Untergebener ihn behandelte wie ein hilfloses Kind, aber akzeptierte die Entscheidung des großgewachsenen Mannes, der kein Anzeichen von Angst verströmte, dafür aber einen festen Willen und mit seiner Courage glänzte. „Bob, du bleibst hier bei den Kaibabrüdern. Wir gehen zu dritt rein. Es dürfen keine Fehler gemacht werden. Habt ihr das verstanden? Wir gehen keine unnötigen Wagnisse ein“, meinte er dann und zückte seine Schusswaffe. Der Soldat, den er gerade als Bob bezeichnet hatte, nickte zustimmend wies die Brüder dazu an, ein Stück zurückzugehen, stellte sich schützend vor diese und zog ebenfalls überraschend schnell seine Waffe aus der Halterung. Einmal mehr wurde Jounouchi bewusst, dass diese Männer Profis waren und sich in ihrem Gebiet auskannten. Der dritte Soldat nickte ebenfalls zu. Noch immer kannte Jounouchi seinen Namen nicht. Nun, es war ja nicht so, dass sie sich nach dieser Aktion nochmal begegnen würden, also hatte er sich auch nicht weiter um diese Kleinigkeit gekümmert. In erster Linie war es wichtig, dass diese Soldaten ihren Befehle folgten und ihre Mission erfüllten. Jounouchi legte unsicher eine Hand auf seine Schusswaffe, schluckte. Er hatte noch nie eine Waffe in der Hand gehalten. Auch in seiner dunklen Vergangenheit war er glücklicherweise nie mit diesen Teufelsdingern in Berührung gekommen. Nur ein gezielter Schuss. Mehr brauchte es nicht. Eine einzige Kugel konnte über Leben und Tod entscheiden. Der Gedanke war beängstigend und wenn er ehrlich war, hatte er Schiss. Dass er sich selbst eingestehen musste, dass er wirklich Angst hatte, war unangenehm, doch seine Motivation einen Freund zu retten wog mehr als die Furcht, sein Leben zu verlieren. Die Waffe würde er nur im äußersten Notfall ziehen. Jetzt geht’s ums Ganze, beruhigte er sich und fokussierte seinen Blick auf die rostige Tür, die Big Johnny mit einer solchen Kraft aufstieß, dass der Blonde glaubte, dass Hulk höchstpersönlich hinter diesem Helm stecken musste. Niemand zeigte sein Ass zu Beginn, war doch logisch, dass sein mutiger Kollege noch weitaus mehr zu bieten hatte und das gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. Als sie die Tür aufstießen und in den Raum hasteten, hatten die beiden Soldaten ihre Waffen nach vorne gerichtet, um für den Fall der Fälle direkt schussbereit zu sein und keine Sekunde zu verschwenden. Man hörte Schritte, aber keine Personen. Bob blieb unter den Türrahmen stehen, die beiden Brüder standen nun links und rechts von ihm und warfen ebenfalls neugierige Blicke in den Raum. Jounouchis Atem ging schwer. Ein Blick nach links, dann nach rechts. Nichts zu sehen. Dunkelheit. Er versuchte mit der Taschenlampe den Raum zu beleuchten, um sicherzugehen, dass sich niemand in den Ecken oder hinter den Fässern versteckte oder hinter der Tür heraussprang, um sie anzugreifen. Dann ein lauter, erschrockener Aufschrei und die Tür wurde zugestoßen. Noch ehe einer von ihnen reagieren konnte, fiel Kaiba vorwärts in den Raum, landete auf dem harten Boden und keuchte, während die Tür ins Schloss fiel. Aus der Dunkelheit des Raumes hallte ein lauter Schuss und Big Johnnys Taschenlampe fiel zu Boden, flackerte ein wenig und rollte durch den Raum, schaltete sich zum Glück jedoch nicht aus. Jounouchi wollte in seine Richtung leuchten, um zu sehen, was geschehen war und ob sein Gefährte Hilfe brauchte, doch irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er zurückweichen musste. Er hatte den Angriff weder kommen sehen, noch hatte er ihn gehört. Es war sein siebter Sinn, der ihn vor einer möglichen Attacke gewarnt hatte. Ein Messer fuhr nah an seinem Gesicht an ihm vorbei und er spürte, wie die scharfe Klinge seine Wange streifte und seinen Pony kürzte. Es waren nur wenige Millimeter gewesen, die ihn von der Waffe trennten. Blitzartig machte einen Ausweichschritt nach hinten, leuchtete in die Richtung, aus der der Angriff gekommen war, doch erkannte niemand. Big Johnny erhob sich nun und griff ebenfalls nach seiner Taschenlampe. “Have you gone crazy?!”, brüllte er so laut, dass Jounouchis Ohren schmerzten. Der Schuss hatte ihn nur am Unterarm gestreift. Seine Kampferfahrung und seine geschulten Reflexe hatten ihm dabei geholfen, diesem hinterhältigen Angriff auszuweichen und sein eigenes Leben zu retten. Der dritte Soldat, dessen Namen Jounouchi nicht kannte, hatte sich gegen sie gestellt und hatte immer noch die qualmende Waffe in die Luft empor gehalten. In nur wenigen Sekunden wurde Jounouchi klar: da musste noch jemand sein. Der Soldat, hatte ihn nicht mit dem Messer angegriffen. Seine volle Aufmerksamkeit lag bei Big Johnny, der diesen Verrat nicht hatte kommen sehen. Vielleicht war es eine Vorahnung oder aber seine Erfahrung, denn irgendetwas sagte ihm, dass er sich beeilen musste und er keine weitere Sekunde mit seinem großen Kollegen verschwenden durfte und dass, wenn er jetzt nicht handelte, etwas Schreckliches passieren würde. Sein Kopf wurde beherrscht von einem Gedanken: Kaiba war in Gefahr. Panisch drehte er sich um und erkannte die schemenhafte Gestalt, die sich auf den wehrlosen Kaiba stürzen wollte, der im Begriff war aufzustehen und vermutlich die Situation noch nicht erfasst hatte. Dieser Bob musste Kaiba geschubst und dann die Tür geschlossen haben, damit niemand ihm folgen konnte. Verdammte Scheiße! Das alles geschah so schnell, dass Jounouchi nicht einmal mehr die Zeit hatte, einen klaren Gedanken zu fassen. Stattdessen bewegte sich sein Körper wie von allein. Schützend stellte er sich vor den Brünetten und spürte im selben Augenblick wie eiskaltes Metall durch seinen Schutzanzug hindurch glitt und mit voller Wucht in seine linke Schulter gerammt wurde. Scharf sog er die Luft ein und griff rasch in die Richtung, aus der das Messer gekommen war, denn der Angreifer hielt es immer noch in der Hand. Mit einem festen Schlag mit seiner rechten Hand schaffte er es den Angreifer wegzuschlagen, sodass dieser gegen die Wand schmetterte und laut krachend in die dort abgestellten Fässer fiel. Man hörte, wie die hölzernen Fässer auseinanderbrachen. Der Angreifer keuchte und wollte erneut aufstehen, um den nächsten Angriff auszuführen, doch der Blonde war blitzschnell auf ihm zugekommen, nahm ihn in die Mangel und drehte seinen Arm auf den Rücken, während er ihn gegen die Wand presste und ihn bewegungsunfähig machte. „Du verdammter Wichser!“, brüllte er und verdrehte seinen Arm noch stärker. Das Messer steckte immer noch in seiner Schulter, doch er zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht oder gar Zurückhaltung. Sein ganzer Körper war in Alarmbereitschaft versetzt und am liebsten hätte er vor Schmerzen geschrien, doch sein Stolz ließ das nicht zu, so auch sein unfassbarer Wille, der mit Waffen und Schmerz allein nicht zu brechen war. Ob Folter oder Feuer – Jounouchis Wille war nicht zu brechen. Auch ein Gott hatte ihn nicht töten können, denn seine Willenskraft forderte den Schöpfer selbst heraus und ließ sich nicht in Ketten legen. Er kämpfte für das, woran er glaubte. Und wenn er für etwas oder jemanden kämpfen musste und diese beschützen wollte, brachte ihn auch gesunder Menschenverstand nicht mehr von seinen Überzeugungen ab. Kaiba war derweil aufgestanden und starrte den Blonden fassungslos an, der den Angreifer in seiner Gewalt hatte und hätte man sein Gesicht sehen können, hätte man sein blankes Entsetzen gesehen. Er wusste nicht, was ihn mehr schockierte. Die Tatsache, dass Jounouchi sein Leben für ihn riskiert hatte oder dass er ohne zu zögern, den Angreifer kaltherzig an die Wand presste und dessen Flehen ignorierte. Big Johnny rannte drauf los und griff mit der bloßen Hand nach der Waffe seines ehemaligen Kollegen, doch dieser hob sein Bein und trat ihm in die Seite. Johnny keuchte, lockerte seinen Griff um die Mündung der Waffe dennoch nicht und versuchte seinen Gegenüber mit Gewalt zu entwaffnen. Ein paar Faustschläge und er warf seinen ehemaligen Kollegen zu Boden, hockte sich mit seinen Knien auf dessen Arme und hielt ihm seine geladene Schussaffe gegen die Kehle. Sein Finger lag bereits auf dem Abzug. Mit der anderen Hand riss er ihm den Helm vom Kopf, um ihm genau ins Gesicht zu sehen. “You bastard! I trusted you! You were like a brother to me and you dare to betray me? What has gotten into you?!” Jounouchi hörte Johnnys laute und alles einnehmende Stimme. Dessen Worte riefen ihn wieder zur Besinnung und er lockerte den Griff um den Arm des mysteriösen Angreifers. Dieser ächzte und flehte um Gnade, doch Jounouchi ließ ihn dennoch nicht gehen. Er wollte nicht so sein wie diese Kerle. Geblendet vor Zorn hatte er seine eigenen Prinzipien verraten und war selbst schockiert darüber, zu welch Grausamkeiten er imstande war, wenn sein eigenes Leben bedroht war. Ruckartig schubste er den Mann nach vorne, dieser fiel zu Boden und winselte weiter, flehte und erklärte mehrmals, dass er nur Befehle folgen würde. Kaiba war aufgestanden und packte den weinenden Kerl am Kragen, schüttelte ihn und verlangte auf der Stelle zu erfahren, was hier gespielt wurde. Kaiba war überfordert. Nicht mehr Herr seiner Sinne und die Dunkelheit um sie herum, die nur vom fahlen Licht ihrer Taschenlampen erleuchtet wurde, stimmte ihre Gemüter zunehmend trüber. Der Mann jammerte nur und Kaiba ließ ihn wieder los. Fassungslos ließ er seinen Blick im Raum umherschweifen, bis er die beiden Soldaten erkannte und sich sicher sein konnte, dass keine weiteren Angreifer mehr auf sie lauerten. Jounouchi versuchte die schwere Metalltür zu öffnen, doch sie bewegte sich kein Stück. Bob hatte sie von außen verriegelt. Scheiße... der Kerl hat Mokuba! Wir müssen hier raus! Doch wie nur? Er schlug mehrmals gegen die Tür, sodass seine Schläge metallisch in den Raum hallten und sowohl Kaiba als auch Johnny sich zu ihm umdrehten. „Alles in Ordnung, Kleiner?“, rief Johnny und ließ nicht locker von seinem ehemaligen Kollegen. Sie arbeiteten seit Jahren in dem Sondereinsatzkommando. Sie waren sich so nah gekommen und er hatte stets daran geglaubt, dass er Bob und James vertrauen konnte. Kaiba hatte sie angeheuert und gemeinsam hatten sie im Turm des Todes – auch Death-T – gegen die Widersacher der KaibaCorp gekämpft und sich geschworen, dass sie ihre neue Chance auf ein ruhigeres Leben gemeinsam ergreifen würden. Auch nachdem Kaiba ins Koma gefallen war, waren sie geblieben und übernahmen die Aufgabe der Überwachung der KaibaCorp. Drei Jahre arbeiteten sie für Kaiba und er konnte nicht fassen, dass seine beiden Kollegen, mit denen er so viel Zeit verbracht hatte, sich nun gegen ihren Chef stellten und diesen verrieten. Johnny hatte Treue geschworen. Er war Kaiba loyal ergeben und er hatte geglaubt, dass seine beiden Kollegen, die er als seine Freunde bezeichnete, genauso empfanden! James dicke Augenbrauen wanderten runter und er grinste. „Komm schon, du wirst doch deinen lieben Freund James nicht abknallen, oder?“, fragte er und versuchte sich nicht einmal zu befreien, wissend, dass Johnny nicht schießen würde. „Du verdammtes Schwein! Du spielst ein falsches Spiel! Sag mir auf der Stelle, was hier los ist!“, schrie er ihm entgegen und drückte die Mündung der Pistole fester gegen seinen Adamsapfel. Der Schwarzhaarige grinste nur und öffnete seinen Mund einen Spalt breit. „Hast du nicht auch langsam genug davon den Babysitter zu spielen? Wir sind Soldaten! Kämpfer! Stattdessen patrouillieren wir durch die Stadt und passen auf kleine Kinder auf, die sich mit ihren Karten bekämpfen. Diese Blagen sind verweichlicht und wissen nicht, was ein echter Krieg ist. Meinst du nicht auch?“ „Wie bitte? Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du deinen Chef aus Langeweile verraten hast?!“ „Endlich passiert mal wieder was! Die Raritätenjäger wissen wenigstens, wo der Hase langläuft. Am Ende gewinnt der, der zuerst abdrückt. Diese dummen Kinder glauben ernsthaft, dass ihre Duelle mit einem echten Kampf zu vergleichen sind. Du, als ehemaliger Soldat, der in Irak und in Afghanistan gekämpft hat, sollte sich von einem Kind wie Kaiba doch beleidigt fühlen! Du musst mich doch verstehen, oder? Merkst du nicht, wie sie uns ins Gesicht rotzen und uns auslachen? UNS? Die wir für ihren Frieden gekämpft haben?!“ „Du spinnst doch! Komm zur Vernunft, James!“ „Kapierst du es nicht? Wie sie sich wie die Helden aufspielen und so tun, als wären sie erfahrene Kämpfer? Ignorant der wahren Welt und der Probleme spielen sie sich auf wie echte Soldaten und zeigen uns, den echten Kriegern, keinen Respekt! Ich habe genug davon, mir von einer Göre wie dem da ins Gesicht spucken zu lassen!“ „Was bringt es dir denn, dich gegen Kaiba-sama zu stellen? Wir verdienen gutes Geld und haben einen sicheren Job und du wirfst das alles einfach weg? Das hier ist unsere Chance auf ein normales Leben. James, bitte sag mir nicht, dass du wegen deines Egos alles aufgibst“, hauchte Johnny ihm entgegen. „In einem Krieg geht es immer darum, wer das größte Ego hat, aber hier geht es um weitaus mehr, mein Freund. Sobald die KaibaCorp aus dem Weg geräumt ist, werden wir über diese Stadt regieren und schon bald über die ganze Welt. Hier können wir unsere Talente wirklich nützlich einsetzen und bekommen die Anerkennung, die wir verdienen.“ „Geht es dir um Anerkennung? Verdammt, James! Das ist doch noch lange kein Grund sich mit den Yakuza zusammenzutun!“ „Hier verdienen wir echtes Geld, Johnny. Bist du echt so blöd zu glauben, dass du als Babysitter Aufstiegschancen hast? Dass du irgendetwas in deinem Leben erreichen wirst, wenn du weiterhin für Kaiba arbeitest? Was erwartet dich denn in der Zukunft? Willst du den Rest deines Lebens auf verwöhnte Gören aufpassen?! Sei klug und komm auf die Seite der Gewinner!“ „Kaiba-sama und Mokuba-sama sind beide äußerst gefragte Geschäftsmänner und ich glaube fest daran, dass das, was die Kaiba Corporation leistet, einen Wert für die Zukunft hat. Die Menschen werden auch noch in hundert Jahren darüber nachdenken, was Kaiba erreicht hat und seine Technologie wird diese Welt verändern! Niemand denkt über die Kriege der Vergangenheit nach, keiner will wissen, warum diese Kämpfe gefochten wurden und erst recht fragt niemand danach, wer auf dem Schlachtfeld gefallen ist. Als Krieger bleiben wir niemanden in Erinnerung, doch Kaiba-sama und seine Ideen wird die Zukunft dieser Welt positiv prägen und wenn ich dabei helfen kann, die Zukunft zu formen, ist das Grund genug für mich, ihm meine Treue zu schwören.“ „Kindischer Idealismus...“, lachte James, zuckte sogleich zusammen, als Johnny den Druck erneut verstärkte und danach fragte, wo sie Mokuba hingebracht hatten. James schwieg. Auch der andere Angreifer machte keine Anstalten etwas zu sagen und obwohl Kaiba ihn angeschrien hatte und ihn mit Blicken zu vernichten drohte, musste selbst der Brünette einsehen, dass es ihn keinen Schritt voranbrachte, wenn er sich mit diesem Handlanger weiter beschäftigte, der sehr wahrscheinlich keine Informationen bei sich hatte. Johnny fesselte seinen ehemaligen Freund und den anderen Angreifer, obwohl er sicherlich innerlich aufgewühlt war, verzog er keine Miene und seine Stimme war nach wie vor fest und unerschütterlich. Kaiba warf einen Blick auf Jounouchi. Er wagte es nicht, ihn anzusprechen. In seinem Kopf herrschte Durcheinander. Johnny brach die Metalltür auf und hob sie aus den Angeln, sodass sie mit einem lauten, dumpfen Knall zu Boden ging und sie das Gebäude verlassen konnten. Weder befand sich die Geisel, noch die gestohlenen Gegenstände hier und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, wurden sie in einen Hinterhalt gelockt und von ihren eigenen Kameraden verraten. Die Stimmung war mies. Kaiba schien am Boden zerstört zu sein. Er sagte kein Wort und starrte einfach nur auf den Boden. Seine Welt schien sich aufzulösen und er hatte das Gefühl, dass die Erde bebte und er deshalb keinen Halt finden konnte. Nicht nur Yuugi hatten sie nun in ihrer Gewalt, sondern auch Mokuba. Er hörte noch Mokubas Worte in seinen Ohren widerhallen: „Muss erst jemand sterben, damit dir klar wird, was du an dieser Person hast?“ Kapitel 24: Kapitel 24 ---------------------- Wie zuvor nahmen sie die Schleichwege. Auf dem Rückweg trug Big Johnny seinen ehemaligen Freund Kollegen auf dem Rücken. Als sie das Sperrgebiet verlassen hatten und in Richtung des Einsatzwagens liefen, der sie zuvor hergebracht hatte, bemerkte Jounouchi, dass Kaiba unnatürlich still war. Kaiba versuchte sich nichts ansehen zu lassen. Durch den Helm konnte er sein Gesicht nicht sehen, so konnte er nur erahnen, was in diesem vor sich ging. Es musste hart für ihn sein. Immerhin bemühte er sich immer darum unnahbar zu sein, doch in diesem Augenblick war von dem sonst so starken und unnachgiebigen Firmenleiter nicht mehr viel übrig, nur ein gebrochener Mann, der vom tiefsten Herzen trauerte und nach einem Schuldigen suchte. Dass der perfekte Kaiba eine solche emotionale Reaktion zeigte, verwirrte Jounouchi und ließ ihn einmal mehr daran zweifeln, ob dieser Mann wirklich ein Herz aus Stein hatte. Kaiba zeigte es vielleicht nicht gern, aber dass er seinen Bruder über alles liebte, musste er nicht in Worte fassen, seine Körperhaltung war aussagekräftig genug. Sie näherten sich den Einsatzwägen. James wurde festgenommen und Big Johnny sah seinem ehemaligen Kollegen tief in die Augen, als dieser endlich den schweren Helm abnahm. Johnnys Augen sprachen eine deutliche Sprache. Aus der Ferne beobachtete Jounouchi den großen Mann, der trotz allem seinen Kopf nicht hängen ließ und Jounouchi einen Daumen nach oben zeigte, während er ebenfalls in den Wagen stieg. Sein Gesicht bekam er nicht zu sehen. Noch immer fragte sich Jounouchi, ob er Big Johnny nicht von irgendwoher kannte. Eines stand fest: Johnny kannte Jounouchi und irgendwann waren sie sich über dem Weg gelaufen. Vielleicht würden sie sich eines Tages wiedersehen und wenn er sein Gesicht sah, würden seine Erinnerungen wiederkehren. Kaiba hatte den Kopf leicht zu Boden geneigt. Alles um ihn herum schien zu verschwimmen. „Keine Sorge“, begann Jounouchi und drehte sich zu Kaiba um. Dieser schnalzte verächtlich mit der Zunge und setzte nun den schweren Helm ab, warf ihn zu Boden und starrte den Blonden an, welcher sich nun ebenfalls den Helm absetzte, um Kaiba direkt in die Augen sehen zu können. Plötzlich war Kaiba erfüllt von Wut und Hass. „Ich soll mir keine Sorgen machen?!“, schrie er und kam dem Blonden näher, packte ihm am Kragen seiner Schutzjacke und zog ihn gewaltsam näher zu sich heran. Es war das erste Mal, dass sie sich so nahe kamen und Jounouchi hielt den Atem an, während er in Kaibas eisblaue Augen sah, die mit einer unbändigen Flamme des Hasses brannten und nur noch ihn wahrnahmen. „Worauf stützt du deine Aussage?!“, keifte er noch lauter, doch obwohl er sich so sehr um Fassung bemühte, bemerkte der Blonde das Beben in seiner Stimme. Kaiba war verzweifelt. Jounouchi stieß die Luft aus seinen Lungen und schlug Kaibas Hände weg. Immer noch ragte das Messer in seiner Schulter. Kaibas Blick blieb bei der Waffe hängen. Zweifelnd sah er das Ding an. Es steckte in seiner Schulter. Dass Jounouchi sich trotz seiner Verletzung nicht aus der Ruhe bringen ließ und die Dreistigkeit hatte, ihm zu sagen, dass es sich keine Sorgen machen sollte, warf den Firmenleiter derartig aus der Balance, dass es ihm die Sprache verschlug. „Schon gut, Kaiba. Lass deinen Zorn ruhig an mir raus. Doch wenn du damit fertig bist, musst du dich wieder zusammenreißen, damit wir Mokuba und Yuugi retten können. Wir brauchen jetzt den Kaiba, der mit seiner überragenden Intelligenz die Lage durchschaut“, meinte er nur und legte seine Hand auf Kaibas Schulter. Dieser sah ihn immer noch mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Blick wanderte nun von der Waffe zu Jounouchis Gesicht. Seine Haare waren klatschnass und kalter Schweiß lief ihm die Wange hinab und trotzdem schaffte er es sich irgendwie zu einem Lächeln zu zwingen. Obwohl die Lage schlecht aussah und sie genügend Gründe hatten, die Hoffnung zu verlieren, ließ sich der Blonde nicht entmutigen und glaubte weiterhin daran, dass sie seinen Bruder und Yuugi retten konnten. Dass Jounouchis Hand immer noch auf seiner Schulter ruhte, störte ihn nicht, aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, dass diese Verbindung ihn beruhigte und dass Jounouchis Optimismus auf ihn abfärbte. Kaiba biss sich auf die Lippe. „Ha“, begann er spöttisch. Es war ihm anzuhören, dass er sich selbst dazu zwang, wieder in seine alte Rolle zurückzufinden. Zurück zum unnahbaren, gefühlskalten Kaiba, der sich von nichts und niemanden einschüchtern ließ und stets die Oberhand behielt. „Du sagst das so, als hätte ich den Kopf verloren, aber ich bin die Ruhe selbst. Ich bin Kaiba Seto und niemand legt sich ungestraft mit mir an. Ich werde diesen verdammten Bastarden zeigen, wer hier das Sagen hat. Keiner von ihnen wird ungeschoren davonkommen!“, meinte er zuversichtlich und Jounouchi zog seine Hand zurück. Der arrogante und selbstsichere Kaiba war ihm lieber als das aufgelöste Wrack, das keine Kontrolle über sich selbst hatte und sich von Zweifeln auffressen ließ. Es war nur ein Moment gewesen. Diese Schwäche, die Kaiba gezeigt hatte, hatte Jounouchi davon überzeugt, dass er weitaus mehr für seinen Bruder und Yuugi empfand, als er geglaubt hatte. Er hatte den Firmenleiter falsch eingeschätzt. So langsam konnte er verstehen, warum Yuugi diesen Mann nie aufgegeben hatte und was es war, was er in ihm sah. „Gut, dann sollten wir uns sofort auf den Weg machen“, meinte der Blonde und wandte sich zum Gehen, doch Kaiba beschleunigte seine Schritte und stellte sich ihm in den Weg. „Zuerst müssen wir deine Verletzung behandeln. Alles andere besprechen wir danach.“ „Ist nur ein Kratzer! Außerdem haben wir dafür keine Zeit.“ „Dann nehmen wir uns die Zeit eben! Du bist ein nötiges Bauernopfer und es wäre fatal, wenn ich meine nächsten Züge ohne dich planen müsste!“, erklärte Kaiba und grinste. Jounouchi war sich nicht sicher, ob er ihn nun beleidigt hatte oder aber unterschwellig ausdrücken wollte, dass er ihn dabei haben wollte und weiterhin mit ihm zusammenarbeiten wollte. Aber das Wort „Bauernopfer“ klang alles andere als positiv, also entschloss er sich dazu, wütend zu werden. Dass er Jounouchi mit einer Schachfigur verglich, kam ihm gar nicht erst in den Sinn. „Wie bitte?!“, knurrte er erbost, doch Kaiba wandte sich zum Gehen und richtete seine Aufmerksamkeit auf einem seiner Soldaten, der ihm entgegen kam. Jounouchi war unheimlich erleichtert. Kaiba hatte wieder zu seinem alten Selbst gefunden. Mit dem Einsatzwagen fuhren sie zurück in Richtung der Kaiba Corporation. Im Wagen wurden seine Wunden behandelt. Kaiba beobachtete, wie Jounouchi kein einziges Mal jammerte und staunte über dessen Willenskraft und dass er die Schmerzen ertrug, ohne auch nur ansatzweise zu klagen. Erst als der Arzt mit einer Nadel kam und begann die Wunde zuzunähen, hatte Kaiba den Blick leicht angewidert abgewendet. Wieso nur hast du dein Leben für mich riskiert? Ich kann dich einfach nicht verstehen. Was nur geht in deinem Kopf vor? Jetzt schulde ich dir etwas und trotzdem... schaffe ich es nicht, mich zu bedanken. Er linste erneut zu Jounouchi und dem Soldaten, der offensichtlich eine Arztausbildung hatte und sich häufiger um solche Verletzungen gekümmert haben musste. Jeder Stich war haargenau gesetzt und mit seiner Erfahrung dauert es auch nicht lange, bis die klaffende Wunde geschlossen wurde. Die blutigen Tücher zu ihren Füßen weckten ein Ekelgefühl in ihm auf und er musste erneut wegsehen. Was ist, wenn sie Mokuba etwas antun? Oder Yuugi? Ich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Wenn sie es wirklich auf mich und meine Firma abgesehen haben, dann werden sie mich sicher kontaktieren. Verdammt... und das alles nur wegen ein paar Karten? Nur um mir zu schaden? Kaiba grübelte weiter. Seine beiden Angestellten James und Bob McGuire hatten sich gegen ihn gestellt und einmal mehr bereute er es, dass er blindlings in eine Falle gelaufen war. Dabei hatte er schon vorher den Verdacht gehabt, dass sich jemand in seine Firma eingeschlichen haben könnte. Sein System hatte Fehler. Wem konnte er jetzt überhaupt noch trauen? Woher sollte er wissen, wer Freund oder Feind war? Maschinen waren einfach zu handhaben. Man musste nur ihren Algorithmus kontrollieren und sie mithilfe von Codierungen steuern. Man gab ihnen einfache Befehle und sie gehorchten und führten ihre Aufgaben aus. Doch Gefühle konnte man nicht abschalten. Das musste er heute am eigenen Leib erfahren. Gefühle waren hinderlich und waren nicht so einfach zu durchschauen oder gar zu berechnen. Es brauchte nur eine Millisekunde, um die wahre Absicht hinter einer Person zu erkennen. Zu wenig Zeit für das menschliche Auge und viel zu schnell vorbei, als dass das menschliche Gehirn die winzige Regung im Gesicht des Gegenübers auch nur analysieren konnte. Kaiba hatte jahrelang trainiert, um diese winzigen Veränderungen in der Mimik zu erkennen und zu seinen Gunsten auszunutzen. Umso tiefer saß der Schock darüber, dass in seiner Firma – unter seinen Angestellten, die er selbst eingestellt hatte und als vertrauenswürdig eingestuft hatte – Ratten waren, deren falsches Lächeln selbst ihn zu täuschen vermochte. Es war frustrierend. Dass Kaiba die potentielle Gefahr nicht erkannt hatte, war wie ein harter Schlag ins Gesicht. Natürlich hatte er mit den Mitgliedern des Sondereinsatzkommandos nicht so viel zu tun. Er sah sie vielleicht einmal im Monat, nein, noch seltener. Es war, schlicht gesagt, nicht seine Abteilung. Außerhalb seiner Reichweite. Umso mehr erhärtete sich sein Verdacht, dass Bob McGuire und James nicht die einzigen Spione waren. „Kaiba“, riss ihn Jounouchis Stimme aus den Gedanken. Mit nackten Oberkörper und bandagierter Schulter setzte er sich neben ihn und Kaiba war sich sicher, dass dieser Kerl so gar keinen Anstand oder gar gesunden Menschenverstand besaß. Wieso zog er sich nicht vorher etwas über? Sicher hätte er sich zumindest die Schutzweste überziehen können. Außerdem war es Ende Januar. Noch lange nicht warm genug, um derart unbekleidet umherzulaufen. Es war nur ein flüchtiger Blick auf den Oberkörper des Blonden. Aus der Ferne hatte er sie nicht gesehen. Diese Narben. Vermutlich aus seiner Zeit als Bandenmitglied oder von seinem alkoholabhängigen Vater. Mit Sicherheit konnte er es nicht sagen. Jounouchi war äußerst muskulös und jetzt, wo er ihn so halbnackt vor sich sitzen sah, musste er sagen, dass die schlabbrigen T-Shirts, die er sonst trug, diesen wohl geformten und durchtrainierten Körper gut versteckt hatten. Kein Wunder also, dass Jounouchis Schlag ihn von den Füßen gefegt hatte. Er wirkte trottelig, aber mit allen Wassern gewaschen. „Es tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe“, meinte er mit einem tiefen Seufzer. „Was genau meinst du?“, fragte Kaiba und verdrehte genervt die Augen und vermied es den Blonden weiter anzusehen. Wieso nur musste er ausgerechnet jetzt ein Gespräch anfangen? Kaiba konnte nicht von der Hand weisen, dass er tatsächlich neugierig war und wissen wollte, was genau der Blonde meinte, aber es ärgerte ihn, dass dieser ungefragt seine Gedanken unterbrochen hatte. Sein grimmiger Gesichtsausdruck verriet, dass er gar keine Lust auf Smalltalk hatte und hätte der Blonde sich die Zeit genommen, einmal hinzusehen, hätte er dies sicher selbst erkannt. Kaiba staunte dennoch darüber, dass er ihn nicht aus einem Impuls heraus zuerst beleidigt hatte und dass er sogar ruhig und gelassen nach dem Grund der Entschuldigung fragte. „Alles“, stieß er hervor und zuckte mit den Schultern. „Kannst du dich auch mal klipp und klar ausdrücken? Ich kann dir nicht folgen. Deine kryptischen Botschaften kannst du für dich behalten. Wenn du mir nichts zu sagen hast, dann sprich mich auch nicht an“, sagte er und atmete laut hörbar aus, doch Jounouchi ließ sich nicht provozieren, schien sich sogar darüber zu freuen, dass Kaiba nach allem, was passiert war, immer noch die Kraft hatte, ihn runterzumachen und sich mit ihm anzulegen. „Ich habe dir fiese Dinge an den Kopf geworfen. Hab dir vorgeworfen, dass Yuugi dir nichts bedeuten würde und dass du auch Mokuba nur für dich ausnutzt. Ich kenne dich nicht gut genug, um mir so ein Urteil zu fällen. Ich bin mir sicher, dass Mokuba und auch Yuugi dir genauso wichtig sind wie mir und deshalb wollte ich mich entschuldigen“, sagte er und biss sich dann auf die Unterlippe. Warum nur fiel es ihm so schwer, das zu sagen? Wieso schlug sein Herz so schnell und warum fürchtete er sich davor, dass Kaiba ihn auslachen würde? Doch Kaiba lachte ihn nicht aus. Ruhig hatte er ihm zugehört. Es war das erste Mal, dass er nicht auf Durchzug geschaltet hatte, als Jounouchi den Mund öffnete. Mit allem hätte er gerechnet. Nur nicht damit, dass er sich bei ihm entschuldigte. Kaiba dachte fieberhaft darüber nach, wie er ihm antworten wollte. Es war nicht seine Art auf solche sentimentalen Gespräche einzugehen und er wusste, dass Jounouchi gerne Dinge gern falsch verstand, weil er sich gerne aufregte und immer irgendetwas oder eher jemanden brauchte, dem er die Schuld für sein eigene Unfähigkeit geben konnte. Jounouchi räusperte sich. „Sorry, ich hätte das echt nicht sagen dürfen.“ „Ist schon in Ordnung...“, meinte Kaiba und senkte den Blick, ehe er weitersprach. „Ich habe auch gemeine Dinge gesagt. Dass du so bist wie dein Vater stimmt nicht. Das hätte ich nicht sagen sollen. Deine familiären Angelegenheiten gehen mich nichts an und es war falsch von mir, dich mit ihm in einen Topf zu werfen. Du bist du. Und er ist er. Ihr seid unterschiedliche Personen.“ Betroffenes Schweigen. „Sprechen wir nie wieder darüber. Lass uns das Thema abhaken und uns darum bemühen, unsere Freunde zu retten.“ „Endlich kommt mal was Nützliches aus deinem Mund“, grinste Kaiba, dennoch schaffte er es nicht, seinen Stolz zu überwinden und sich für Jounouchis Einsatz zu bedanken. Der blonde Mann neben ihn hatte, ohne lange zu zögern oder gar darüber nachzudenken, sein Leben für ihn riskiert. Und das, obgleich Kaiba kein einziges gutes Haar an ihm ließ und ihn immer provozierte. Kaiba schämte sich, dass er sich nicht dazu durchringen konnte, ihm seine Dankbarkeit zu zeigen und tief in seinem Unterbewusstsein stellte er sich die Frage, ob er den Blonden nicht falsch eingeschätzt hatte. Jounouchi hatte es bereits einmal erwähnt. Yuugi hätte für Kaiba alles stehen und liegengelassen. Obwohl er nichts dafür erhielt. Auch Jounouchi hatte ihn nicht gerettet, mit dem Hintergedanken, dass Kaiba nun in seiner Schuld stand, sondern weil er das Richtige tun wollte. Er erwähnte es auch nicht. Mit keinem Wort erwähnte er, was dort unten passiert war und er lachte Kaiba nicht für diesen Moment der Schwäche aus. Kaiba wunderte sich. Wie hätte ich reagiert? Hätte ich Jounouchi ausgelacht und ihn gedemütigt? Hätte ich ihn wissen lassen, dass er in meiner Schuld stände?, fragte er sich und schämte sich in Grund und Boden, wissend, dass die Antwort ein klares „Ja“ gewesen wäre. Er hätte es genossen, sich über ihn lustig zu machen. Kaiba hätte ihn beim Beisein anderer gedemütigt. Kaiba hätte es genossen, Jounouchi an seinen Platz zurückzuverweisen. Schließlich hatte er ihn auch mehr als einmal als „Bonkotsu“ bezeichnet, nur um ihn zu verletzen. Er hätte jedes noch so kleinste Anzeichen von Schwäche ausgenutzt, um seine eigene Stärke und Macht zu demonstrieren. Er hatte geglaubt, dass Jounouchi ihn bereits so sehr hassen musste, dass er ihn, der Mann, der kein einziges nettes Wort an ihm ließ und ihn stets kritisierte, zum Sterben zurücklassen würde. Das wäre die logische Konsequenz gewesen. Doch Jounouchis Gehirn schien sich gegen die allgemein gültige Logik zu wehren und suchte nach anderen Mitteln und Wegen, weshalb er selbst jemanden, der ihm schadete und ihn kränkte, als schützenswert einstufte. Seine Vorstellung von Moral war anders. Lebensechter. Er entschied instinktiv, nach seinem Bauchgefühl heraus und hörte nicht auf das, was sein Gehirn ihm sagte. Der Faktor, dass Jounouchi ihn beschützen wollte und sich demnach hinsichtlich als stärker empfand, ärgerte Kaiba zwar ein wenig, aber er musste neidlos zugestehen, dass der Blonde weitaus mehr Erfahrung im Nahkampf hatte und tatsächlich verborgene Talente besaß, die ihm zwar als Duellant nicht weiterbrachten, es ihm aber ermöglichten in dieser Gesellschaft, getrieben von Geld und Gier, zu überleben. Schon immer war es so, dass Menschen ihre Probleme mit Geld lösten. Doch der Blonde hatte kein Geld, also hatte er sein ganzes Leben lang nach Umwegen suchen müssen. Schweigend saßen sie nebeneinander. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Als sie auf das Gelände der KC einfuhren, verriet ein kurzer Blick auf die Uhr, dass es bereits 2:24 Uhr war. Spät in der Nacht. Doch Kaiba hatte jetzt nicht vor, nach Hause zu fahren und sich ruhig in sein Bett zu legen. Sein Herz pochte so wild und fordernd gegen seinen Brustkorb, als wollte es ihn daran erinnern, dass er jetzt nicht ruhen durfte. In der Tat würde er nicht eher ruhen, ehe er den Übeltätern, die sich gegen ihn und seine KaibaCorp stellten, gefunden und ihrem gerechten Urteil zugeführt hatte. Sie vergriffen sich an seinem Rivalen und wagten es ihm seinen Bruder zu entreißen. Kaiba hatte die schwere Schutzkleidung nun endlich restlos abgelegt und gemeinsam betraten sie das Gebäude. Sie waren nur wenige Schritte hineingekommen, als er schon eine ihm vertraute Stimme hörte, die beinahe panisch nach ihm rief und laute Schritte, die auf ihn zukamen. Einer seiner Angestellten rannte in einem irrsinnigen Tempo auf ihn zu. Ein großgewachsener Mann mit kurzem, schwarzem Haar und dunkler Sonnenbrille blieb vor ihm stehen. Es handelte sich um Isono, der bereits seit vielen Jahren loyal an seiner Seite stand und sich um die Auswertung der Daten der Duellanten kümmerte. Er war mit der Ausführung, Planung und Auswertung von Duellen vertraut, doch übernahm auch viele andere Aufgaben und half in verschiedenen Abteilungen aus, wenn es nötig wurde. Er hatte ein äußerst ausgeprägtes Verständnis von Duel Monsters und sehr gute Menschenkenntnis, weshalb er ihn während des Battle City Turniers als Schiedsrichter eingesetzt hatte. Er war äußerst professionell und wirkte nach außen hin vielleicht etwas gefühlskalt, aber Kaiba mochte Menschen, die souverän ihren Tätigkeiten folgten und ihre Aufgabe vor alles andere stellten. Er arbeitete zuverlässig und war loyal – war er wirklich loyal? Bestand die Möglichkeit, dass ausgerechnet Isono ihn nach all den Jahren hintergehen konnte? Für einen Hauch einer Sekunde kam Unsicherheit in ihm auf. Er durfte jetzt nicht einfach jeden verdächtigen. Kaiba wollte nie wieder enttäuscht oder verraten werden. „Kaiba-sama! Ich habe schlechte Nachrichten!“, brüllte er aus Leibeskräften und blieb nur einen halben Meter vor ihm stehen, was Kaiba überhaupt nicht störte. Isono war ein treuer Mitarbeiter und er gehörte zu den wenigen, die sein Vertrauen verdient hatten, weshalb er sich bei ihm auch nicht daran störte, wenn er ungefragt näher kam. Dass er dieses Vertrauen nun anzweifelte beschämte ihn zutiefst. Nein, Isono würde ihm niemals in den Rücken fallen. Kuwabata und Isono gehörten beide zu seinen wichtigsten Mitarbeitern und sie beide wussten, wie wichtig sie für den Erfolg der Firma waren und dass Kaiba sie wertschätzte. Kaiba war niemand, der mit Lobeshymnen und Komplimenten um sich warf. Sein Zuspruch zeigte sich auf andere Weise, mit einem kurzen Lächeln, mit einem Nicken und unterschwelligen Aussagen, die sich meist auf ein Projekt bezogen und nicht auf die Person, aber diese ebenfalls in Betracht zogen. Das war ein voller Erfolg bedeutete in Kaibas Welt, dass der Mitarbeiter dazu beigetragen hatte, dass ein Projekt verwirklicht werden konnte und jeder, der längere Zeit mit dem Brünetten zusammengearbeitet hatte, verstand auch, wie sich seine Anerkennung definierte und nach außen hin zeigte. „Was ist passiert, Isono-san?“, fragte Kaiba ruhig nach und bewegte sich keinen Millimeter mehr. „McGuire hat angerufen und fordert ein Lösegeld von 200 Millionen Yen pro Geisel und die Aushändigung aller drei Weißen Drachen. Er sagte, er habe Mokuba in seiner Gewalt! Wir sollen auf keinen Fall die Polizei verständigen, wenn wir den König an einem Stück zurückhaben wollen“, erklärte er weiter und erlangte seine Fassung zurück. „Hat er weitere Informationen gegeben?“, wollte Kaiba wissen und er bewegte sich an Isono vorbei, in Richtung des Aufzugs. Fragend drehte sich Isono um und sah seinem Chef zu, wie dieser ohne ein Wort der Erklärung seinen Weg unbeirrt verfolgte. Er warf einen kurzen Blick auf den Blonden hinter sich, der mit nackten Oberkörper dastand und nur perplex eine Augenbraue in die Höhe zog. Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte Isono dem Brünetten und auch Jounouchi tat es ihm gleich. „Nun, sie sagten, dass sie einen Tausch wollten und dass wir Morgen Abend um 19:00 Uhr am Domino Pier erscheinen sollen. Es dürfen maximal drei Leute kommen, sollten sie bemerken, dass etwas nicht stimmt, blasen sie den Deal ab“, erklärte er nüchtern. Jounouchis Auge zuckte gefährlich. Es gefiel ihm nicht, dass Isono von den Geiseln sprach, als wären sie Gegenstände. Hier ging es um Menschenleben! Warum blieb dieser Kerl so ruhig? Jounouchi kochte vor Wut, unterdrückte den Drang, sich einzumischen und Isono anzubrüllen und ballte seine Hände zu Fäusten. „Verstehe“, kam es äußerst trocken von Kaiba und er zeigte keinerlei weitere Emotion, was Jounouchi nun doch dazu brachte, sich einzumischen. „Wie kannst du da so ruhig bleiben?!“, keifte er und schlug mit seiner Faust gegen die eiserne Metalltür des Aufzugs, sodass er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner beiden Fahrgenossen hatte. Kaiba seufzte nur tief. In seinem Gesicht war nicht auszumachen, was er fühlte oder dachte. War er genervt? Wütend? Verzweifelt? Ängstlich? Dass Jounouchi die Antwort auf diese Frage einfach nicht finden konnte, machte ihn nur noch nervöser. Er war aufgewühlt und verzweifelt, klammerte sich an das letzte bisschen Hoffnung, das am Horizont erstrahlte. War sich Kaiba überhaupt im Klaren, dass die Raritätenjäger mit den Yakuza zusammenarbeiteten und dass eine Ablehnung der Forderung gleichzusetzen damit war, das Leben beider Geiseln zu opfern? „Jounouchi, beruhige dich wieder“, meinte er nur. Das leise Klingeln des Fahrstuhls machte deutlich, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren. Kaiba lief wortlos an Jounouchi vorbei und lief in Richtung seines Büros. „Ich habe nicht vor, das Leben meines Bruder oder gar von Yuugi zu riskieren. 400 Millionen Yen ist nichts weiter als ein Tropfen auf dem heißen Stein“, entgegnete er und öffnete die Tür zu seinem Büro, wo er ohne auch nur ein Wort zu sagen, seinen Tisch ansteuerte und die erste Schublade öffnete, wo er sein Deck herausholte und begann die einzelnen Karten durchzuschauen. Drei Karten legte er an die Seite. „Du willst ihnen wirklich deine Weißen Drachen übergeben?“, hauchte Jounouchi schockiert. „Ich habe keine andere Wahl“, meinte Kaiba nur und starrte seine drei geliebten Drachen an. Sein Blick verriet, dass er bestürzt sein musste. Sich von diesen Karten zu trennen, musste ihm unheimlich schwerfallen und es war ihm anzusehen, dass er noch immer mit sich selbst haderte. Er liebte Duel Monsters. Seine drei Weißen Drachen bedeuteten ihm alles und sie waren auch das Markenzeichen der KaibaCorp geworden. Vor dem Gebäude standen zwei Statuen dieses Drachens und Kaibas Liebe diesem eleganten Wesen gegenüber war weltweit bekannt. Selbst Jounouchi wusste, wie viel ihm an diesen Karten lag. Wie wichtig es ihm war, dass nur er diese Karten besaß. Allein der Gedanke, dass ein anderer Duellant diese Karte spielte, löste selbst in Jounouchi so etwas wie Verachtung aus. „Aber du liebst deine Drachen“, kam es etwas lauter von Jounouchi, der dem Schreibtisch nun etwas näher kam. „Ich sagte doch: Ich habe keine Wahl“, knurrte Kaiba nun erbost und hob seinen Blick nicht, seine volle Aufmerksamkeit lag auf den drei Karten, dessen Holobilder im Licht leicht schimmerten. Obwohl Kaiba sie in jedem Duell gegen Yuugi spielte und er diese Karten schon lange in seinem Besitz hatte, sahen sie aus wie nagelneu. Man hätte sie von einer neu gedruckten Karte kaum unterscheiden können. So sehr liebte Kaiba seine Drachen. Auf dem Schreibtisch befand sich eine Miniaturstatue des Weißen Drachen, der Jounouchis Aufmerksamkeit erhaschte. Kaibas Liebe zu dem Weißen Drachen mit dem Eiskalten Blick war immer und überall spürbar. „Es muss doch noch einen anderen Weg geben!“, sagte Jounouchi nun und stützte sich am Schreibtisch ab und kam Kaibas Gesicht näher. Dieser hob seinen Blick noch immer nicht, ignorierte, dass Jounouchi ihm so nahe gekommen war. „Der Weiße Drache gehört zu dir! Er ist dein Markenzeichen! Es ist nicht richtig, wenn irgendjemand anderes diese Karten spielt! Das kann ich nicht zulassen. Yuugi würde das niemals wollen“, erklärte Jounouchi und drehte sich zu Isono um, der wortlos unter der Türschwelle stand und den Blick zu Boden gerichtet hatte. „Isono!“, rief der Blonde und kam den Brillenträger näher. Dieser gab keine Reaktion von sich. „Es muss doch irgendetwas geben, was wir noch tun können, oder? ODER?“ „Wir dürfen Mokuba-samas Leben nicht gefährden. Ich wüsste keinen anderen Weg“, meinte er kleinlaut. „Jounouchi“, drang Kaibas gefasste Stimme zu ihm. „Ich weiß dein Mitgefühl zu schätzen, aber ich werde weder Yuugis noch das Leben meines Bruders für meine Karten riskieren. Wir haben sie bereits einmal unterschätzt. Es ist meine eigene Schuld, dass Mokuba entführt worden ist. Hätte ich meine Angestellten besser im Blick gehabt, dann wäre so etwas nie passiert.“ „Das ist doch nicht deine Schuld! Die haben Schuld! Diese verdammten Bastarde!“, brüllte Jounouchi lauter. Es war ihm anzuhören, dass er sich nicht mehr zu helfen wusste und daher lauter wurde. „Scheiße...! Verfickte Scheiße noch mal!“, schimpfte er und stampfte mehrmals auf den Boden. „Hier herum zu fluchen bringt uns auch nicht weiter. Jounouchi, ich danke dir für deinen Einsatz, aber ab hier kannst du wirklich nichts mehr ausrichten. Das ist jetzt einzig und allein mein Problem“, kam es nüchtern von Kaiba, in dessen Gesicht sich nichts abzeichnete. Wieder stellte sich der Blonde die Frage, ob er wirklich nichts fühlte oder ob er einfach nur seine Gefühle so gut kontrollieren konnte. Für einen Moment wanderte Kaibas Blick umher. Er schaffte es nicht, Jounouchi direkt in die Augen zu sehen. Da war er. Ein Anflug von Angst. Unsicherheit. Kaum merklich. Kaiba spielte seine Rolle so gut, dass man wirklich glauben konnte, dass er nichts fühlte, doch Jounouchi meinte, dass er immer mehr lernte, ihn zu durchschauen. Wenn er wütend wurde, zogen sich seine Augenbrauen ganz rasch zusammen und eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen Augen und wenn er sich freute, huschte ein flüchtiges Lächeln über seine Lippen, welches aber sehr schnell wieder verschwand. Dennoch bildeten sich kleine Lachfalten um seine Augen und wenn man genau hinsah, erkannte man das Leuchten in diesen sonst so trüben und matten Augen, die alles zu durchschauen schienen. Jounouchi war sich sicher, dass Yuugi den Firmenleiter schon längst durchschaut hatte und diese minimalen Anzeichen erkannte und ihn deshalb mit ganz anderen Augen sah. Deshalb konnte er den Brünetten als seinen Freund bezeichnen, weil Kaiba ihn, ohne es selbst wahrzunehmen, diese Bestätigung gegeben hatte. „Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn du wegen solchen Mistkerlen deine Drachen verlierst. Sie sind deine Signature Card – dein Markenzeichen – sie bestimmten den Charakter deines Decks! Ein Kaiba ohne seine Drachen ist ein ganz anderer Mensch! Und ich bin mir sicher, dass Yuugi es sich selbst niemals verzeihen könnte, wenn du seinetwegen deine geliebten Drachen verlierst“, kam es nun etwas ruhiger von dem Blonden, der sich weigerte Kaiba in dieser schweren Stunde allein zu lassen und einfach zu gehen, so zu tun, als wäre all dies nie geschehen. Er würde bis zum Ende bleiben. Selbst wenn er nichts beitragen konnte, so sagte ihm sein Herz, dass er hier bleiben musste. „Es geht hier aber nicht darum, was ich will! Sondern darum, dass ich keine Wahl habe! Bist du wirklich so verblendet von deinem kindischen Optimismus und deiner farbenfrohen Weltanschauung, dass du nicht verstehst, dass es keine andere Option gibt? Willst du sagen, ich soll alles auf eine Karte setzen?“ Kaibas Augen blitzen gefährlich auf. Jounouchi ließ sich davon nicht abhalten. „Alles oder nichts! Ich glaube daran, dass es noch einen anderen Weg gibt und dass wir Yuugi, Mokuba und deine Karten retten können, ohne dass irgendwer zu Schaden kommt!“ „Du glaubst? Seit wann richten wir unsere Pläne nach einem vielleicht, eventuell oder könnte sein? Das sind Variablen, die ich nicht berücksichtigen kann! Selbst du musst doch einsehen, dass wir uns in keiner Situation befinden, wo wir mit Hoffnung allein vorankommen. Genau das kann ich an dir nicht ausstehen, Jounouchi! Du denkst einfach nicht nach und bist dich der Konsequenzen nicht bewusst!“ „Trotzdem können wir nicht davon ausgehen, dass unsere Gegner vollständig vorbereitet sind. Wir könnten sie selbst in einen Hinterhalt locken! Du bist doch so perfekt und hochintelligent, für dich ist das doch ein Klacks, oder? Oder gibt es wirklich Dinge, die du nicht kannst?“ „Mit Schmeicheleien kommst du bei mir nicht weit...“, knurrte Kaiba und verengte seine Augen zu Schlitzen und noch bevor er weitersprechen konnte, kam Jounouchi ihm wieder näher und sprach weiter. „Deine Technik... diese Hologramme sind doch unsere stärkste Waffe! Sie sind täuschend echt. Werden die Raritätenjäger es denn bemerken, wenn ein Hologramm vor ihnen steht? Ich habe den Unterschied nicht bemerkt. Auf diese lebensechten Hologramme bist du doch besonders stolz, nicht wahr?“ Kaibas Gesichtsmuskeln froren ein. Er ließ sich wortlos in seinen Bürostuhl fallen und in seinem Kopf ließen in nur wenige Sekunden tausende Abläufe ab. „Du bist weitaus klüger, als du aussiehst...“, murmelte Kaiba und verschränkte die Arme, warf einen nachdenklichen Blick auf seine drei Karten. Jounouchi hatte Recht. Es gab eine Möglichkeit. Warum nur hatte er nicht selbst daran gedacht? Wieso kam ein Hohlkopf wie Jounouchi noch vor ihm auf diesen Gedanken? „Das Kompliment gebe ich dankend zurück“, zischte Jounouchi und drehte sich grummelnd um. Kaiba hatte freien Blick auf Jounouchis Rücken. Auch hier befanden sich Narben. Brandwunden? Was nur hatte dieser Trottel in seinem Leben alles erlebt, dass er so viele Verletzungen davon getragen hatte? Wie konnte er, nach allem, was er erlebt haben musste, immer noch lächeln und so optimistisch sein? Wie hatte er es geschafft, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen? Kaiba wusste die Antwort auf diese Frage, doch sein Verstand weigerte sich, dies zu akzeptieren. Freundschaft. Jounouchi hatte Yuugi, der immer hinter ihm stand und ihn niemals verriet. Dieses bedingungslose Vertrauen zwischen den beiden hatte Jounouchi die nötige Kraft gegeben, sein altes Leben hinter sich zu lassen und mit einem Lächeln nach vorne zu gehen. So wie Mokuba. Auch Mokuba hatte es gesagt. „Pah“, stieß Kaiba hervor und legte seine Karten wieder zurück in seine Schublade, drehte den Schlüssel um und schloss die Karten weg. Wieder warf er einen Blick auf die Uhr. Es war bereits 2:40 Uhr. Sechs Stunden lang hatten sie für ihre Infiltration verschwendet, nur um resigniert feststellen zu müssen, dass sie in eine Falle gelockt worden waren. Obwohl die schwarzen Wägen der Raritätenjäger in das Sperrgebiet gefahren waren, hatten sie weder Yuugi noch die Karten dort abgeliefert, sondern hatten andere Wege gefunden, ihre Beute wo anders hinzuschaffen. Es war ein Fehler gewesen, sich nur damit zu befassen, wo die Wagen hinfuhren. Sie hätten die Satellitenaufnahmen noch länger durchschauen müssen. Kaiba schlussfolgerte, dass sie dort nur einen Zwischenstopp gemacht hatten und die Waren und Yuugi in einen anderen Wagen geschafft hatten und dann in verschiedene Richtungen weggefahren sein mussten. Das bedeutete, dass die Raritätenjäger weitaus organisierter handelten als vor ein paar Jahren. Sie hatten also noch 30 Stunden Zeit, bis die finalen Runden des Turniers begannen. Übermorgen um 9:00 Uhr morgens würde das Viertelfinale beginnen, dann käme das Halbfinale und letztendlich das Finale. Der Sieger durfte gegen den König spielen. Dass der Sieger Kaiba sein würde, verstand sich selbst redend. Nur der König musste wieder beschafft werden. Die Übergabe fand am Abend statt, also genügend Zeit, um das zurückzuerlangen, was man ihm geraubt hatte. „Bevor wir irgendetwas planen, ziehst du dir erst mal etwas über“, sagte Kaiba eher beiläufig. „Ich hab nichts zum Anziehen dabei“, gab Jounouchi zurück und zuckte mit den Schultern. „Ich habe noch ein Ersatzhemd dabei. Wir sind ungefähr gleichgroß, es sollte dir also passen.“ „Sicher, dass du mir etwas von dir geben willst? Vielleicht mache ich es kaputt“, meinte Jounouchi breit grinsend. „Jounouchi, meine Hemden sind mehr wert, als du mit deinen beiden Jobs und sämtlichen Turniergeldern je verdienen könntest, also hoffe ich für dich, dass das nur ein schlechter Scherz war“, gab Kaiba genervt zurück und warf dem Blonden einen bösen, ermahnenden Blick zu. „Sind deine Hemden etwa aus purem Gold? Oder Seide? Warte, was ist der teuerste Stoff der Welt? Ich kenne nur Baumwolle, Leinen, Fleece...“, begann der Blonde an seinen Fingern aufzuzählen, bei drei Stoffarten hörte sein Wissen jedoch auf und er sah Kaiba verwirrt an. „Ernsthaft...?“, kam es von Kaiba und er hob beide Augenbrauen in die Luft und starrte den Blonden an. Als keine weiteren Aufzählungen mehr kamen, schüttelte er enttäuscht den Kopf. „Was hast du in den zehn Jahren, in der du in der Schule warst, eigentlich gelernt? Hast du jemals von Kaschmir gehört? Oder von Vikunja-Wolle? Ist dir Seide ein Begriff? Weißt du, was Chiffon ist?“ „Klatschmir? Wikingerwolle? Seide und Schifffahrt?“, fragte er nach und sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an. „Das machst du doch mit Absicht“, knurrte Kaiba und Jounouchi lachte amüsiert. „Vielleicht“, sagte er grinsend, während Isono ihm ein Hemd aus reinster Satin Seide reichte. Kapitel 25: Kapitel 25 ---------------------- „Jounouchi, du kannst nach Hause gehen. Ich brauche dich hier nicht“, meinte Kaiba nur nebenbei, während er sich von seinem Platz erhob und elegant an dem Blonden vorbeilief. Jounouchis Auge zuckte gefährlich. Hatte er nicht gerade erst gesagt, dass er bis zum Ende dabei sein wollte? „Denkst du ernsthaft, dass ich jetzt einfach nach Hause gehe?“, wollte er wissen und ballte seine Hände zu Fäuste. „Denkst du ernsthaft, dass du mir bei dem Programmieren eines Hologramms eine Hilfe sein kannst?“, fragte Kaiba in ähnlicher Tonlage und zuckte mit den Schultern. „Ich will Mokuba und Yuugi retten. Du hast doch gesagt, dass du mich als Bauernopfer brauchst! Also plane mich ruhig ein. Gib mir eine Rolle und ich tue alles, was du mir sagst“, erklärte Jounouchi mit einem leidenschaftlichen Feuer in seinen Augen. „So demütig und folgsam kenne ich dich ja gar nicht. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen“, grinste Kaiba gehässig und sah den Blonden erneut an. Kleider machten Leute, musste er feststellten, als er Jounouchi in dem hellblauen Satinhemd sah. Der glänzende Stoff schimmerte vornehm im Licht und verlieh selbst diesem Bauern eine gewisse Grazie. Hätte Jounouchi nun noch einen ordentlichen Haarschnitt gehabt und die Haare wie ein Geschäftsmann nach hinten gegelt, hätte man ihn nicht wiedererkannt. „Bitte?!“, keifte Jounouchi und kam dem Firmenleiter näher. Wieder zuckte seine Augenbraue und er erinnerte sich mehrmals daran, dass er jetzt nicht ausrasten und sich vor allem nicht provozieren lassen durfte. Es grenzte ja an ein Wunder, dass Kaiba selbst jetzt noch in der Lage war, den Blonden irgendwie auf die Nerven zu gehen. Das musste ihm wohl im Blut liegen. Dieser arrogante Kerl merkte sicher gar nicht mehr, wie scheußlich er sich anderen gegenüber verhielt. Und dennoch konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass Kaiba nur darüber hinwegtäuschen wollte, dass auch er am Ende seiner Kräfte war und mit sich selbst kämpfte. Kaiba wirkte müde und erschöpft, doch er ließ keine Müdigkeit zu und zwang sich selbst dazu, weiterzugehen. Jounouchi fand, dass sein Verhalten ziemlich gesundheitsgefährdend war. Kaiba seufzte tief und er öffnete mehrmals seinen Mund, als wollte er etwas sagen, doch was auch immer es war, was er zu sagen versuchte, es wollte einfach nicht über seine Lippen kommen. Isono kam seinem Chef näher, räusperte sich und bemerkte, dass sie keine Zeit verlieren durften. Kaiba war genervt. Und wütend. Jounouchi war sich nicht sicher, was genau es war, das ihn so sehr aus der Fassung brachte, aber egal, was es war, er würde seinen Zorn wie immer an ihm auslassen, nur um sich dann besser zu fühlen. Verdammt! Dachte Kaiba etwa, dass er ein Sandsack war? Da Kaiba ihn einfach nur ansah und dabei die Augen zukniff und seine Atmung so unregelmäßig ging, hatte er das Gefühl, dass er irgendetwas angestellt hatte, von dem er sich nicht sicher war, was es sein könnte. Ist er sauer, weil ich sein Hemd trage?, wunderte sich Jounouchi und warf einen Blick auf sich herab, hob seine Achseln, um sicherzugehen, dass sich dort keine Schweißflecken befanden. Doch eigentlich hatte er nicht das Gefühl, dass er sonderlich schwitzte oder dass man es ihm ansehen würde. Am Hemd lag es also nicht. Natürlich hatte er genügend Gründe, um aufgebracht zu sein und auch Jounouchi wollte am liebsten schreien und auf irgendetwas einschlagen, um seinen Frust endlich rauszulassen, doch er hatte das Gefühl, dass Kaiba irgendetwas anderes belastete. Er lief an Isono vorbei, flüsterte ihm etwas zu und verließ den Raum. Jounouchi versuchte auszumachen, was er gesagt hatte. Isono hatte überrascht die Augenbrauen gehoben. Durch seine dunkle Sonnenbrille konnte er ihm nicht in die Augen sehen, doch da auch sein Gesicht entgleiste und er sich panisch umdrehte, war er sich sicher, dass es irgendetwas Wichtiges sein musste. Jounouchi legte perplex den Kopf schief und wartete darauf, dass man ihn endlich in dieses große Geheimnis einweihte. Isono drehte sich zu dem Blonden um. „Kaiba-sama wird nun zu seiner Villa zurückkehren und sich dort darum kümmern, ein Hologramm seiner selbst zu programmieren. Es steht Ihnen frei, ob sie nun nach Hause gehen oder mitkommen wollen. Kaiba-sama lässt Sie wissen, dass er ein Gästezimmer für Euch vorbereiten lassen wird, solltet Ihr Euch dazu entscheiden, ihn zu begleiten“, meinte er nur und verneigte sich leicht, ehe auch er das Zimmer verließ. Kaiba lädt mich in seine Villa ein?!, wiederholte er gedanklich und sein Kinn fiel wortwörtlich in den Keller. Das war nicht sein Ernst. Oder? Als würde ausgerechnet Kaiba ihn dazu einladen, bei ihm zu übernachten! Gut. Ja. Er war sehr müde. So langsam holte auch ihn die Erschöpfung ein und eine warme Dusche könnte er auch gut vertragen, trotzdem fiel es ihm schwer zu glauben, dass Kaiba von sich aus diesen Vorschlag machte. Zwar hatte er es ihn nicht direkt gesagt, weil er dazu viel zu feige war, aber diese Einladung war von ihm ausgegangen. Jounouchi überlegte. Ausgerechnet zu ihm? Er war bereits einmal dort gewesen. Das letzte Mal hatte man versucht ihn zu vergiften und Yuugi zu töten. Sonderlich gute Erinnerungen an diesen Ort hatte er nicht, aber wenn er nun nach Hause ging, würde sein Vater vermutlich nur wieder stinkig werden, weil er ihn so spät nachts störte. Und eine Dusche wäre echt wunderbar. Er schüttelte den Kopf und folgte Kaiba und Isono, die vor dem Fahrstuhl auf ihn zu warten schienen. Kaiba sagte kein Wort. Er vermied es den Blonden anzusehen. Er war einfach nicht der Typ für Smalltalk und auch wenn der Gedanke, ausgerechnet bei diesem reichen Pinkel zu übernachten, angsteinflößend war, so konnte er nicht anders, als dieses einmalige Angebot anzunehmen. Er durfte einfach nur nicht seine Deckung vernachlässigen! Vielleicht war es auch nur dumm und voreingenommen von ihm, zu glauben, dass Kaiba ihn nur einlud, um sich seiner zu entledigen. Kaiba war ja kein Mörder. Zumindest schien er diese Phase endlich überwunden zu haben. Vielleicht war Kaiba ja doch gar nicht so gemein. Vielleicht schlummert ein echt netter Kerl in ihm, auch wenn er das nicht zeigt, überlegte Jounouchi und nickte sich selbst zustimmend zu. „Du könntest eine Dusche vertragen“, murrte Kaiba nebenbei und rümpfte angewidert die Nase. Jounouchis Gehirn lief nun plötzlich auf Hochtouren. Vielleicht habe ich mich doch geirrt! Verdammtes Arschloch! Na, dem werde ich es zeigen und ihm ordentlich die Meinung geigen!, schoss es ihm durch den Kopf. Er pumpte Luft in seine Lungen und öffnete den Mund, machte sich bereit ihm ebenso selbstgefällig und unverschämt zu kontern, doch bevor Jounouchi sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, öffnete sich die Tür des Fahrstuhls und Kaiba machte sich in Richtung Ausgang, ließ den Blonden hinter sich, ohne ihn weiter zu beachten. Jounouchi atmete nur laut aus und ließ frustriert den Kopf hängen. Zu spät. Jetzt lohnte es sich auch nicht mehr, ihm zu antworten, dann würde der Brünette sich nur über seine lange Leitung lustig machen und seine geistigen Kapazitäten anzweifeln. Hatte Sensei nicht sogar gesagt, dass es Leuten wie Kaiba immer nur darum ging, eine Reaktion zu bekommen? War vielleicht gar keine so üble Idee, ihn zu ignorieren. Eventuell – Jounouchi war sich da absolut nicht sicher – würde Kaiba daraus lernen, dass seine kindischen Provokationen einfach fehl am Platze waren und dass Jounocuhi nicht vorhatte, auf diese einzugehen. Gut. Wie oft hatte er sich nun vorgenommen, sich eben nicht von ihm provozieren zu lassen? Sicherlich hunderte Male. Und trotzdem gingen immer seine Emotionen mit ihm durch. Dann machte es Klack!, Zisch! und Bumm! in seinem Kopf und er verlor die Kontrolle über sich und seine Handlungen. Dann kam schwarzer Rauch aus seinen Ohren und in seinem Oberstübchen brannte es lichterloh. Da war einfach dieser Schalter, der sich von selbst umlegte und auf den er keinen Einfluss hatte. Wenn sich zu viel Druck ansammelte, musste die gestaute Wut eben wieder raus und sicher wusste Kaiba das auch. Deshalb genoss er es so sehr, ihn zu veralbern und zu verarschen. Scheiße, ey! Bin ich echt so leicht zu durchschauen? Ruhe bewahren. Ich stinke nicht. Außerdem ist schwitzen voll normal. Kaiba ist auch nur ein Mensch. Der müffelt sicher auch nach Schweiß nach einem langen und anstrengenden Tag im Büro... Ist Büroarbeit eigentlich körperlich anstrengend? Also mir läuft jetzt schon der Schweiß über die Stirn, wunderte sich Jounouchi und folgte dem Firmenchef grübelnd. Isono verneigte sich und verabschiedete sich. Er erklärte, dass er zusammen mit Kuwabata noch einmal die Aufnahmen durchgehen würde, um weitere Hinweise zu finden. Jounouchi war erleichtert, dass diese beiden Angestellten ihren Job so ernst nahmen. Die hatten echt was drauf. Er konnte gar nicht anders als sie zu bewundern. Man sah sie bei ihrer Arbeit und man erkannte sofort, dass sie immer 100% gaben. Jede Handbewegung saß, alles war routiniert und genau durchgeplant. Das waren Fachmänner. Kein Wunder, dass Kaiba ihnen so sehr vertraute. Jounouchi biss sich auf die Unterlippe. Kaiba wurde erneut hintergangen von seinen eigenen Leuten. Ob er sich innerlich darüber ärgerte? Und es vielleicht nicht zeigte? Verdammt... ich wünschte, ich würde ihn besser durchschauen. Yuugi hätte sicher gewusst, was in ihm vorgeht. Warum nur ist dieser Kerl auch nur so schwer zu verstehen? Als würde es ihm wehtun, mal offen und ehrlich, frei heraus, das zu sagen, was er wirklich denkt. Einfach mal Gefühle zulassen, dann wäre vieles so viel einfacher. Dann müsste ich mich nicht immer so sehr über ihn aufregen... stinke ich echt so sehr nach Schweiß? Jounouchi überlegte hin und her. Die Tatsache, dass Kaiba sich seine wahren Gefühle nicht anmerken ließ, war einerseits bewundernswert und gab ihm ein perfektes Pokerface, andererseits ärgerte er sich darüber, dass er sich deshalb nicht sicher sein konnte, was er wirklich dachte. War seine Aussage als Angriff gedacht? Oder wollte er nur einen Fakt aussprechen? Jounouchis Hose war blutverschmiert und dreckig, auf seinem Arm befand sich immer verkrustetes und getrocknetes Blut und nur das schöne, glänzende Hemd täuschte über seine körperlich schlechte Verfassung hinweg. Jounouchi raufte sich die Haare. Da Kaiba vor ihm ging, konnte dieser das nicht sehen. Und da machte es schon wieder Zisch! und Rauch schoss aus seinen Ohren hinaus, während seine Augen kleinen, drehenden Kreiseln ähnelten und die Welt sich im Karussell zu drehen begann. Warum nur war es so kompliziert über Kaiba nachzudenken?! Nur wenige Meter von dem Ausgang entfernt, hielt ein großer, schwarzer Wagen vor ihnen. Eine luxuriöse Limousine kam zum Stehen und die Tür öffnete sich nach oben, sodass Kaiba einfach einstieg. Jounouchi war wie von den Socken. Es gab Autos, deren Türen sich automatisch nach oben öffneten? Immer noch bewunderte er die Türmechanik, bis Kaibas Stimme ihn aus seinen Tagträumen riss und er sich zügig hineinsetzte und die Innenausstattung bestaunte. Dieses „Auto“ war einfach riesig. Dass es sich bei diesem Wagen um eine Stretchlimousine handelte, kam ihm gar nicht in den Sinn. Solche Dinge hatte er in seinem normalen Alltag eben nie kennengelernt. Für jemanden wie Kaiba, der immer in der Highsociety verkehrte und der sicher zum Frühstück Kaviar verspeiste und dazu edlen Rotwein zu sich nahm, war das sicher normal. Doch Jounouchi konnte nicht anders als zu staunen. Es fühlte sich so an, als hätte man ihn in eine neue Welt gestoßen. Bunt, aufregend und vollkommen anders als das, was er je erlebt hatte! Samtweiche Sitze, eine kleine Minibar an der Seite und der Innenraum des Wagens war groß genug für eine Fußballmannschaft. Über der Minibar befanden sich gläserne Statuen des Weißen Drachen. Kaibas Liebe zu diesem Drachen war immer und überall zu spüren. Umso mehr durfte Jounouchi nicht zulassen, dass er seine Drachen an diese gierigen Raritätenjäger verlor. So sehr er Kaiba auch hassen wollte und sich immer wieder über ihn ärgerte, ein wenig Neid und Bewunderung konnte er nicht verleugnen. Verdammt, Kaiba war in vielem wirklich besser als er, doch sein kindliches Ego ließ diesen Gedankengang einfach nicht zu. Als er sich setzte, fühlte sich der Stoff des Sitzes unglaublich weich an und er strich ungläubig über den samtigen Stoff, sodass ein kleiner Schauer über seinen Rücken fuhr. Und Kaiba fuhr sonst allein in diesem riesigen Teil? Wie konnte man so viel Geld zum Fenster rauswerfen? Jounouchi war schon froh, wenn er mit seinem Fahrrad von A nach B kam, ohne dass ihm die Kette heraussprang oder er einen Platten bekam. „Es ist ja schon beinahe amüsant zu sehen, wie sehr dich eine stinknormale Limousine begeistert.“ „Normal? Stinknormal?“, wiederholte Jounouchi und zog die Augenbrauen erschrocken in die Höhe. „Ein Standardmodell mit den gerade mal nötigsten Innenausstattung raubt dir bereits den Atem?“, kam es fies grinsend von Kaiba, der die Arme verschränkte und kurz verächtlich schnaubte und sich scheinbar köstlich über Jounouchis Unwissen belustigte. „Nötig? Ich glaube nicht, dass eine Minibar notwendig ist, um sein Ziel zu erreichen“, meinte Jounouchi eingeschnappt und bemühte sich um Fassung, drehte den Kopf demonstrativ weg, um so den eingebildeten Firmenleiter nicht mehr sehen zu müssen. Seine Vorstellung von lebensnotwendig und gewöhnlich waren einfach komplett anders als seine. Für Jounouchi war es schon ein Luxus, wenn er einmal in der Woche richtiges Fleisch zu essen bekam. Fleisch war teuer. Kaiba war so reich und abgehoben, dass er sicher gar nicht die Probleme eines normalen Bürgers verstehen konnte. War ja nur logisch, dass er auch Jounouchi nicht verstehen konnte. Mürrisch grummelte der Blonde vor sich hin. „Oh, ich bitte dich. Eine Minibar ist ziemlich bescheiden, wenn man bedenkt, wie andere Limousinen aufgebaut sind. Wärst du ein gefragter Duellant wie Yuugi oder ich würdest du sicher häufiger in so einer Limousine fahren und würdest die Unterschiede auch sofort erkennen“, erklärte Kaiba und zuckte theatralisch mit den Schultern. „Keine Sorge, sobald wir Yuugi und Mokuba gerettet haben, werde ich den Boden beim Turnier mit dir wischen und dann werde ich auch ein Teil dieser tollen Welt.“ „Ich wollte nicht wissen, wovon du nachts träumst, Jounouchi.“ Jounouchi sah nun wieder zu Kaiba und suchte nach irgendwelchen Gegenargumenten, doch so auf die Schnelle wollte ihm nichts einfallen, was Kaiba nur noch mehr amüsierte. „Siehst du?“, meinte er dann und sah seinen Gegenüber nicht einmal an. „Wenn du nicht mal auf so einen dummen Kommentar richtig kontern und deine Ruhe bewahren kannst, wirst du auch als Duellant niemals ernst genommen. Du bist zu lesen wie ein offenes Buch. Du musst dich mehr deiner selbst bewusst werden und darauf achten, dass du mit deinem Gesichtsausdruck deine wahren Intentionen nicht durchscheinen lässt.“ Jounouchi war sich nicht sicher, ob er ihm nun einen Tipp gab oder ihn wieder unterschwellig beleidigte. „Was willst du damit sagen?“, fragte er nach. „Du musst lernen dich selbst zu reflektieren und dir deiner eigenen Wirkung auf andere bewusst werden. Du merkst es wahrscheinlich nicht mal selbst, aber selbst die kleinste Regung in einem Gesicht verrät sehr viel über das Gefühlsleben. Du hast keine Kontrolle über deine Emotionen und noch viel weniger kannst du dich zurückhalten. Das ist äußerst problematisch.“ „Ach, darum geht es dir. Du willst mir also wieder unter die Nase reiben wie viel besser du doch bist und dass ich mir meine Karriere als Duellant abschminken soll“, raunte Jounouchi genervt, doch Kaiba fuhr ihm ins Wort, ehe er weitersprechen konnte. „Du kannst ja nicht mal mit neutraler Kritik umgehen und erwartest allen Ernstes von mir, dass ich dich für voll nehme? Ich habe nicht gesagt, dass du deine Karriere aufgeben sollst, sondern dass du mehr über dich selbst nachdenken sollst. Wenn du das nicht bis zum Austausch schaffst, kann ich dich für meinen Plan nicht gebrauchen.“ „Moment, du willst mich also doch einbinden?“ „Wirst du mich denn in Ruhe lassen, wenn ich es nicht tue? Du bist ein Opfer, das ich gerne bereit bin zu bringen, wenn ich damit meinen Bruder und Yuugi retten kann. Doch wenn du nicht die Ruhe bewahren kannst, bist du nur ein Saboteur auf meinem Spielfeld und ein Risiko für meinen Sieg“, knurrte Kaiba. Jounouchi atmete tief durch. Nicht wütend werden. Er hatte es selbst gesagt: um Yuugi und Mokuba zu retten, würde er alles tun, was Kaiba von ihm verlangte. Hier ging es nicht darum, Kaiba zu beweisen, wie viel besser er war oder gar seine Anerkennung zu erlangen, sondern um das Leben seiner Freunde, die sich in Gefahr befanden und ihre Hoffnung auf ihn setzten. Diese Hoffnung zu erfüllen und niemanden zu enttäuschen, war ihm im Moment wichtiger als sein Stolz. Im Moment brauchte er Kaiba. Ohne ihn war er chancenlos. Natürlich könnte er alleine den Domino Pier stürmen und sich einen Weg durchprügeln und alles niedermähen, was sich in seinem Weg befand, doch dieser Plan, wenn man es überhaupt so nennen konnte, barg viele Risiken. Nicht für ihn, sondern für die Geiseln. Kaiba war klug. Unglaublich klug. Das musste Jounouchi wohl oder übel einsehen und auch wenn er des Öfteren an seiner Menschlichkeit zweifelte, so war sein unglaubliches Wissen in diesem Fall der Schlüssel zum Sieg. „Kaiba, ich vertraue dir. Ich vertraue darauf, dass wir Yuugi und Mokuba da raus kriegen, ohne dass die beiden verletzt werden“, meinte er nur nüchtern. Kaiba zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe. Er hatte damit gerechnet, dass Jounouchi aufgrund seiner Wortwahl an die Decke gehen würde, doch gegensätzlich zu seiner Spekulation verhielt er sich anders. Auffallend anders. So viel Folgsamkeit und Demut kannte er gar nicht von ihm. Jounouchi vertraute ihm. Seine Wortwahl machte ihn nachdenklich. „Und was ist mit dir? Was wäre, wenn mein Plan deinen Tod in Kauf nehmen würde?“, fragte er nach. Er musste es wissen. Würde er jetzt endlich wütend werden? Würde er jetzt endlich seine wahre Persönlichkeit zeigen? In der Not ging es doch jedem Menschen nur um das eigene Überleben. Kaiba wusste tief in sich drin, dass sowohl Yuugi als auch Jounouchi anders waren und trotzdem weigerte sich sein Verstand sich, diese Art der Bindung, des Vertrauens, zu akzeptieren. Denn er selbst war nicht in der Lage bedingungslos zu vertrauen. Er hatte diese Art der Bindung nie kennengelernt und wenn doch, hatte er die Erinnerung daran verdrängt. Und weil er es selbst nicht konnte, wollte er, dass auch Jounouchi in Wirklichkeit so dachte. Denn dann würde es ihm selbst besser gehen und sein Gewissen wäre beruhigt. Doch Jounouchi meinte es ernst. „Wenn ich dadurch meine Freunde retten kann, ist das in Ordnung. Aber sollte mir wirklich etwas passieren, habe ich nur eine Bitte an dich. Kümmere dich gut um Yuugi, sollte ich sterben. Er braucht jemanden, der ihn motiviert und ihm das Gefühl gibt, geliebt und gebraucht zu werden, ansonsten verliert er sich nur wieder in negativen Gedanken.“ Kaiba wusste nicht, was er sagen sollte. Vollkommen perplex und nach den richtigen Worten suchend, starrte er den Blonden an. Seine Augen verrieten, dass er es ernst meinte. Kaiba hatte mit dieser Antwort gerechnet. Trotzdem wünschte er sich so sehr, dass das alles nur ein gespielter Akt war, dass seine Worte scheinheilig und erlogen waren. Neben Jounouchi und auch Yuugi... ja, gegen diese beiden und ihre naive Vorstellung von der Macht der Freundschaft, fühlte er sich einfach nur dreckig und ekelhaft. Da schämte er sich sogar dafür, dass er nicht so gutherzig sein konnte. Es erfüllte ihn mit Unsicherheit und rüttelte an seiner Überzeugung, wenn er sich selbst mit diesen Menschen verglich. Kein Wunder, dass Mokuba sich zu ihnen hingezogen fühlte. Jeder von ihnen war bereit, für den anderen sein Leben aufs Spiel zu setzen. Mokuba hätte genauso wie Jounouchi keine Sekunde gezögert. Sein lieber, kleiner Bruder hatte ein reines Herz, das so sehr strahlte, dass Kaibas pechschwarze und korrupte Seele nur noch größer erschien. So langsam dämmerte ihn, warum Mokuba nicht mit ihm reden wollte. Gefühle waren nicht logisch. Man konnte sie nicht mit Gleichungen erklären. Sie stellten eine Schwäche im menschlichen Organismus dar. Genau das hatte Kaiba immer geglaubt und nach außen gezeigt, sodass sein Bruder ihn selbst für einen gefühllosen Roboter hielt. Kaiba wandte den Blick ab und schnalzte mit seiner Zunge. „Ich lege mein Leben in deine Hände, deshalb bitte ich dich, tue alles, was in deiner Macht liegt, um sie zu retten.“ „Du bist wohl in der Birne weich. Wie kannst du für einen Freund dein Leben wegwerfen wollen? Ich kann dich nicht ausstehen, Jounouchi. Das weißt du genau. Wie kannst du nur so naiv sein, mir zu vertrauen? Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“ „Weil Yuugi dasselbe für mich tun würde. Und Mokuba sicherlich auch. Mokuba hat fest daran geglaubt, dass du ein guter Mann bist und auch Yuugi hat dich immer in Schutz genommen. Sie können sich unmöglich beide irren, oder? Immerhin sind beide unabhängig voneinander zum selben Schluss gekommen. Ich vertraue ihnen und sie dir.“ „Pah, was für ein Unsinn!“, lachte Kaiba und überspielte seine Unsicherheit. „Deine Arroganz macht dich nicht zu einem besseren Menschen, Kaiba. Deine Überheblichkeit ist deine größte Schwäche“, kam es von Jounouchi, der nun ebenfalls die Arme verschränkte und unbewusst Kaibas Körperhaltung nachahmte. Kaiba reagierte nicht und weil Jounouchi die Stille langsam unangenehm wurde, sprach er einfach weiter. „Würdest du mich denn sterben lassen? Nur um mich loszuwerden? Sollte das der Fall sein, darfst du dich nicht wundern, dass du dich von Mokuba immer weiter entfernst. Denn Mokuba denkt nicht so wie du. Für ihn ist ein Leben kostbar und schützenswert. Bist du so sehr abgehoben, dass du wirklich nicht verstehen kannst, was dein eigener Bruder denkt?“ „Ich sagte schon einmal, dass meine Beziehung zu meinem Bruder dich nichts angeht. Mokuba ist mein Bruder und dass man sich als Geschwister mal in die Haare kommt und unterschiedliche Ansichten vertritt, ist durchaus normal und keine Seltenheit.“ „Nicht in der Form, wie es bei euch der Fall ist.“ „Was weißt du schon? Es ist deine Schuld, dass Mokuba entführt worden ist. Hättest du ihn nicht zu diesem Irrsinn ermutigt und ihn, wie ein verantwortungsvoller Erwachsener, von seiner Entscheidung abgehalten, wäre ihm nichts passiert.“ „Das ist die Aufgabe des Bruders, nicht meine. Ich bin ein Außenstehender. Dass Mokuba deine Ratschläge nicht mehr annimmt, sollte dir zu denken geben.“ „Das hat mit deinem schlechten Einfluss zu tun, weil du ihm Flausen in den Kopf setzt. Jounouchi, ich erkläre dir mal, wie die Welt funktioniert. Mit Hoffnung und Träumen bezahlt man keine Rechnungen. Der Wille allein versetzt Berge? Na, das möchte ich sehen! Ich habe noch nie davon gehört, dass irgendjemand auf diesem Planeten mit der Kraft seiner Gedanken einen Berg abgebaut hat. Wenn du an diesen esoterischen Müll glauben willst, darfst du das gerne tun, aber dass du meinem Bruder diese Gedanken einpflanzt und ihm vom rechten Weg abbringst, kann ich nicht dulden.“ „Dann solltest du das ihm sagen und nicht mir. Erzähle ihn von deinem rechten Weg. Sag mir dann nur, wie gut das geklappt hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mokuba eigene Pläne und Ziele für seine Zukunft hat und dass es ihm ziemlich egal ist, was du dazu zu sagen hast. Aber mach ruhig so weiter. Stoß alle Menschen, die dich mögen und dich verstehen wollen, von dir, aber heule nicht rum, wenn am Ende niemand außer der Einsamkeit auf deiner Seite ist.“ „Du redest so, als würdest du ihn besser verstehen als ich.“ „Was ist Mokubas Lieblingsfarbe? Wie heißt sein bester Freund aus der Schule? Was war seine letzte Note in Japanischer Geschichte?“ Kaiba überlegte, musste sich aber eingestehen, dass er keine einzige dieser Fragen mit absoluter Sicherheit beantworten konnte. „Gelb?“, begann er und Jounouchi lachte direkt auf. „Gelb?! Wie kommst du denn darauf?“ „Er hat sehr lange seine gelbe, wattierte Weste getragen.“ „Ja, und? Ich trage auch häufig weiße T-Shirts, deshalb ist meine Lieblingsfarbe doch nicht gleich weiß.“ „Weiß und schwarz sind ja auch keine richten Farben, sondern unbunte Farben und“, begann Kaiba erneut, doch Jounouchi unterbrach ihn wieder und ließ gar nicht erst zu, dass er mit seinem unnötigen Fachwissen prahlte und vom Thema ablenkte. „Darum geht es doch gar nicht! Ist doch scheißegal, ob weiß oder schwarz Farben sind oder nicht. Es geht darum, dass du deinen eigenen Bruder nicht richtig kennst und dich wunderst, dass er sich andere Vorbilder sucht und sie dann in Menschen wie Yuugi und mir finden. Die Lieblingsfarbe eines Menschen hat auch mit Gefühlen zu tun. Dass du nicht einmal das weißt, zeigt sehr deutlich, dass du kein Interesse an ihm hast“, kam es dann wieder lauter von ihm. „Natürlich interessiere ich mich für ihn“, meinte Kaiba nur und warf nun endlich einen Blick zum Blonden. Dieser hatte das Gesicht verzogen und Kaiba hielt einen Moment inne. Jounouchis Augen waren blutunterlaufen, seine Haut blass und die Augenringe sprachen ebenfalls Bände. Jounouchi jammerte und beschwerte sich nicht, doch es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich nicht in bester Gesundheit befand. Die Verletzung musste ihn weitaus mehr Kraft gekostet haben, als er zugab. „Dann musst du ihm das zukünftig zeigen. Lächele öfter, lache mal oder nimm dir einfach mal einen Nachmittag frei, wo ihr euch hinsetzt und etwas gemeinsam macht. Noch hast du die Chance dazu. Ich hatte diese Wahl nicht“, murmelte Jounouchi. „Ich soll mir einfach einen Nachmittag freinehmen?“, wiederholte Kaiba fassungslos, wollte gerade zu einem Gegenargument ausholen, als Jounouchi weitersprach. „Du bist so kompliziert, dass ich schon Kopfschmerzen kriege! Musst du dich verhalten wie ein arrogantes, besserwisserisches Arschloch?! Hier geht es nicht um dich, sondern um deinen Bruder. Wenn du sein Vorbild sein willst, dann verhalte dich auch entsprechend, dann brauchst du dir auch keine Sorgen machen, dass ich schlechter Umgang auf ihn abfärbe.“ Kaiba sagte nichts. Viel mehr erstaunte ihn, dass Jounouchi exakt dieselbe Wortwahl nutzte wie Mokuba. Mokuba hatte auch gesagt, dass er Kopfschmerzen bekam, weil Kaiba so kompliziert wäre. Und dieser Gedankengang, dass er selbst der Grund für Mokubas Veränderung war und dass die Distanz, die sich mehr und mehr zwischen ihnen aufbaute, von ihm selbst ausging, bestürzte ihn. Jounouchi hatte recht. „Woher nimmst du diesen festen Glauben? Wieso glaubst du daran, dass alles gut enden wird?“ „Woran soll ich denn sonst glauben? Wenn ich mir von Anfang an sage, dass eh alles scheiße und schlecht ist und dass ich meine Ziele sowieso nicht erreichen kann, hätte ich ja gar keinen Grund mehr, morgens aufzustehen. Wenn ein Mensch nicht mehr hoffen kann, wenn du ihm das letzte bisschen Hoffnung raubst, bleibt nichts mehr übrig, wofür es sich zu leben lohnt. Denn Hoffnung gibt mir Kraft. Freunde geben mir Rückhalt. Die Anerkennung anderer motiviert mich. Du stehst doch sicher auch morgens auf, weil es Dinge gibt, von denen du weißt, dass du sie tun willst und dass du es schaffen kannst, solange du dich wirklich hinter klemmst. Das ist doch auch eine Art von Hoffnung, eine Form des Willens. Oder nicht?“ „Womöglich“, kam es nur knapp von Kaiba. „Doch wenn man mir immer nur sagt, dass alles, was ich tue, sinnlos und dumm ist, zieht mich das runter. Wenn jemand mich nicht respektiert und mich schlecht behandelt, stelle ich mir doch automatisch die Frage, ob die Person richtig liegt. Und dann mache ich mich runter und fange an zu glauben, dass ich sowieso nichts kann, weil mir andere das Gefühl geben, dass es so ist. Und schon zweifle ich an mir und anderen Menschen. Du zeigst deinem Bruder nicht, wie sehr du ihn schätzt, also hinterfragt er sich selbst, aber vor allem dich.“ „Ich wusste nicht, dass du Psychiater bist oder gar zu solch tiefsinnigen Gedanken im Stande bist.“ „Ja, ja. Mach dich lustig über mich, doch ich glaube, dass jeder Mensch respektiert, anerkannt und wahrgenommen werden will und wenn nicht mal die eigene Familie – oder der eigene Bruder Interesse an einem zeigt, führt das dazu, dass man sich auseinanderlebt und nach Menschen sucht, die einem das geben, was diejenigen im eigenen Umfeld einem nicht geben können oder wollen. Und dann lebt man sich schnell auseinander.“ „Es fällt mir schwer, diese Art des Denkens nachzuvollziehen, aber du möchtest mir sagen, dass Mokuba sich mehr von seinen Gefühlen abhängig macht und sich daher von mir entfremdet. Mein taktisches Kalkül stört ihn also.“ „Jupp. Das hat nichts mit Hormonen zu tun. Die Pubertät ist anstrengend, aber du musst einfach offener auf ihn zugehen, dann bringt er sich auch nicht in Gefahr, nur um zu testen, ob du ihn wirklich magst.“ „Verstehe. Ich bin die ganze Thematik viel zu nüchtern angegangen und habe versucht, ihn zu analysieren. Anstatt auf meinen Verstand, soll ich also auf mein – wie würdest du es sagen – Herz hören. Ist es das, was du sagen willst?“ „Na, so langsam schnallt er es ja doch!“ „Unglaublich wie schnell du zwischen deinen Rollen wechseln kannst. Für einen Moment hatte ich tatsächlich das Gefühl einen erwachsenen und ernstzunehmenden Gesprächspartner neben mir zu haben, aber dann hast du mir schnell das Gegenteil bewiesen. Deine Ausdrucksweise ist einfach niveaulos“, sagte Kaiba und zuckte genervt mit den Schultern. „Kann schon sein, trotzdem habe ich recht.“ „Ja, genieße deinen kleinen Sieg. In einem Duell habe jedoch ich die Oberhand.“ „Das werden wir ja noch sehen“, grummelte Jounouchi, senkte dann seinen Blick auf den Boden und rieb sich das Nasenbein. Mist... wieso ist mir so schwindelig? Liegt das am Schmerzmittel oder habe ich zu viel Blut verloren?, dachte er und biss sich auf die Unterlippe. „Trotzdem wüsste ich gerne, wie du mich für deinen Plan nutzen willst.“ „Das wirst du noch früh genug sehen.“ „Okay“, murmelte Jounouchi. Dass er keine Widerworte gab, beruhigte Kaiba gleichermaßen wie es ihn besorgte. Jounouchi sieht schlecht aus. Das ist auf jeden Fall ein Umstand, den ich in meinen Plan mit einberechnen sollte. Wenn ich diesem Faktor nicht ausreichend Aufmerksamkeit schenke, könnte es zu Problemen kommen, überlegte Kaiba. Doch er durfte auch Jounouchis Kampfgeist und seinen starken Willen nicht unterschätzen. Sein Wille allein befähigte ihn zu Dingen, die scheinbar unmöglich waren und dass er selbst dies anerkennend zugeben musste, schien ihm eine komplett andere Welt zu offenbaren. Kaibas Zielstrebigkeit war also auch eine Form vom Willen. Kaiba hatte nie an sich selbst oder seiner Arbeit gezweifelt. Diese feste Überzeugung war also in Jounouchis und vielleicht auch in Mokubas Augen eine andere Form des Glaubens. Ersetzte man einfach die Wörter, die für Kaiba keinen Sinn ergaben, ergab sich direkt ein anderer Konsens und merkwürdiger Weise hatte er das Gefühl, sowohl den blonden Duellanten als auch seinen Bruder etwas besser zu verstehen. Kapitel 26: Kapitel 26 ---------------------- Die Tore zur Kaiba Villa öffneten sich und sie fuhren auf das gigantische Grundstück. Vor dem Haus standen zwei Statuen des Weißen Drachen direkt vor dem Eingang, die mit hellen Scheinwerfern beleuchtet wurden und einen beinahe gruseligen Schatten auf diese riesigen Kreaturen aus weißem Marmor warfen. Der Wagen hielt nur wenige Meter vor dem Eingang an und Kaiba stieg aus. Als Jounouchi ihm nicht folgte, weil er wohl eingeschlafen war, überlegte er kurz, ob er ihn einfach zurücklassen und gehen sollte oder er ihn wecken sollte. Er wusste nicht, was ihn dazu verleitet hatte, doch irgendetwas zwang ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen. Vorsichtig schüttelte er Jounouchis rechte Schulter, sodass dieser erschrak und ihn verdutzt anstarrte. Es waren nur wenige Sekunden und trotzdem hatte Kaiba das Gefühl, dass er ihn viel zu lange betrachtet hatte. „Du kannst hier drin nicht schlafen. Nutze gefälligst das Gästezimmer“, knurrte er, zwang sich selbst dazu, zu seiner alten Form zu finden und möglichst fies zu klingen. Der Blonde hatte nicht direkt verstanden und warf einen prüfenden, beinahe suchenden Blick durch die Limousine, bis ihn endlich die Ereignisse einholten und er wieder wach war. Wach im Sinne von, dass er gerade aufnahmefähig genug war, um zu realisieren, dass er sich nicht zu Hause befand und auch nicht bei der Familie Mutou. Er richtete sich auf und folgte dem Brünetten, welcher wortlos in Richtung des Eingangs gerauscht war und dem es eindeutig anzusehen war, dass er keine Lust auf Smalltalk hatte. Jounouchi fühlte sich müde und erschöpft, aber er wollte nicht ruhen, ehe er sicher sein konnte, dass seine Freunde in Sicherheit waren. Es ärgerte ihn, dass sein Körper ihm einen Strich durch die Rechnung machen wollte und er trotz seiner Bemühungen wach zu bleiben, immer wieder von der Müdigkeit übermannt wurde. Als sie in die Eingangshalle der Villa traten, waren die Lichter an, doch niemand zu sehen. Es musste bereits 3:00 Uhr morgens oder sogar noch später sein, kein Wunder also, dass niemand ankam, um den Chef zu begrüßen. Doch dann hörte er Schritte. Ein älterer Mann im Frack kam die Treppe hinunter und blieb direkt vor dem Brünetten stehen. „Kaiba-sama, was ist denn nur geschehen?“, wollte er wissen und seine kleine Hornbrille glänzte im Licht. Jounouchi verkniff sich das Grinsen. Nicht nur seine Brille glänzte, sondern auch seine Glatze. Der Mann war ziemlich klein und reichte Kaiba nicht einmal bis zur Brust, sein Buckel verlieh ihm eine beinahe angsteinflößende Präsenz und für einen Moment da hatte sein Gehirn eine Assoziation zu Quasimodo aus einem bekannten Disneyfilm aufgebaut, doch diesen Gedanken schüttelte er schnell ab, wissend, dass sich ein solcher Vergleich nun wirklich nicht gehörte. „Daimon...“, murmelte Kaiba und atmete tief aus, schüttelte den Kopf. „Ich habe leider keine Zeit, Euch die genauen Umstände zu erläutern. Wie Ihr seht, habe ich einen Gast. Bringt ihn doch bitte ins Gästezimmer und kümmert Euch um seine Belange.“ „Kaiba-sama?!“, fragte Daimon perplex nach, warf einen Blick auf den Blonden. „Seid Ihr etwa mit diesem gar schäbigen Kerl befreundet?“ Sein Blick war finster und herablassend. Ein bösartiges Funkeln kam in seinen Augen auf. „Wie bitte?!“, keifte Jounouchi und wollte Daimon direkt an den Kragen, doch Kaiba hob nur seinen Arm, zeigte den beiden, dass er weder Widerworte noch sonstige Streitigkeiten duldete. „Ihr hinterfragt meine Befehle? Daimon, ich erwarte absolute Loyalität. Wenn Ihr mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden seid, verlasst meine Villa. Jounouchi und ich haben einen Waffenstillstand ausgemacht. Auch wenn Ihr Gefallen daran habt, andere zu foltern, so möchte ich nicht, dass meinem Gast auch nur ein Haar gekrümmt wird. Er gehört nicht zu dieser Sorte Gast.“ „Verstanden, Kaiba-sama. Verzeiht mein Verhalten“, sagte er monoton und verbeugte sich. „Jounouchi-san?“, fragte er dann in einer komplett anderen Stimmlage und Jounouchi lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ein täuschend echt wirkendes Lächeln auf seinen Lippen, eine komplett andere Körperhaltung und Augen, die Wärme ausstrahlten. Der Blonde schluckte hart. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er ganz schnell hier weglaufen musste. Er kannte Daimon aus der Vergangenheit. Kaibas persönlicher Butler, der sich um alle Hausangelegenheiten und Gäste kümmerte. Sowohl jene Gäste, die eingeladen wurden oder unerlaubt sich Zutritt verschafft hatten. Letztere, die unerwünschten Gäste, bekamen einen ganz besonderen Service geboten und verließen meist das Gebäude nur im Beisein von Polizisten oder Gerüchten zufolge überhaupt nicht. Jounouchi schluckte. Auf keinen Fall gehörte dieser Mann zur Sorte Mensch, der man bedingungslos vertrauen durfte und weil Jounouchis Instinkt ihm zur Vorsicht riet, konnte er nicht anders, als den Butler, der sein Wesen so schnell veränderte, misstrauisch zu beäugen. Daimon wies ihn dazu an, ihm zu folgen. Kaiba drehte sich auf dem Absatz um und lief in eine andere Richtung. Jounouchi wagte nicht, ihn zu fragen, was er vorhatte. Immerhin wusste er ganz genau, dass Kaibas Plan ihn miteinbezog und dass ihm in dieser Situation nichts anderes übrig blieb, als all seine Hoffnungen in den Mann zu setzen, von dem er sagen wollte, ihn zu hassen. Irgendwie eigenartig. Kaiba war weitaus menschlicher als er ihn in Erinnerung hatte. Nicht gerade herzlich, aber auch nicht so abgrundtief bösartig, wie er immer geglaubt hatte. Seit Jahren hatte Jounouchi Alpträume von Kaiba, der ihn selbst im Schlaf verfolgte, nur im ihn demütigen und lächerlich zu machen. Immer hatte er das Gefühl gehabt, dass es unmöglich für die beiden war, friedlich nebeneinander zu existieren oder sich gar auf einer Ebene zu begegnen. Doch heute hatte er Kaiba von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Niemals würde er behaupten, dass sie nun beste Freunde werden würden, aber er hatte ein bisschen mehr Achtung vor dem, was Kaiba tat. Kaiba war viel beschäftigt und alles, was er tat, wurde zum Erfolg. Er hatte einen wachen Verstand und auch wenn er dessen Arroganz nicht unbedingt guthieß und sich davon genervt fühlte, so musste er mehr und mehr einsehen, dass Kaibas Professionalität und sein ganzes Wesen ihn zutiefst beeindruckte. Ich wäre gern ein bisschen mehr wie er, nur weniger arrogant und eingebildet. Aber so klug zu sein, wäre echt praktisch. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, voraussichtlich zu planen, aber er...? Er kann das. Mit ihm zusammen rette ich meine Freunde, überlegte er weiter und verneigte sich leicht vor Daimon, der seine Zimmertür öffnete und ihn allein zurückließ. Es tat Jounouchi unheimlich gut, endlich allein zu sein und seine Gedanken sortieren zu können. Neugierig sah er sich im Zimmer um. Ein Blick auf die große Wanduhr verriet ihm, dass es fast vier Uhr nachts war. Duschen konnte er auch morgen noch. Müde schleifte er sich ins Badezimmer. Zu seiner Überraschung lagen Handtücher und sogar eine verpackte Zahnbürste samt Zahnpasta bereit. Erst etwas zögerlich, dann entschlossen, machte er sich fürs Bett fertig und schlief direkt ein. Die Erschöpfung forderte seinen Tribut. Leise schnarchte er vor sich hin. Er hatte nicht einmal daran gedacht, das teure Hemd, das Kaiba ihm geliehen hatte, auszuziehen. Kaiba befand sich in seinem privaten Arbeitszimmer. Keine einzige Sekunde hatte er verschwendet und sich sofort hingesetzt, sein Programm gestartet und begonnen ein Abbild seiner selbst und des Blonden zu erstellen. Da er von Natur aus ein Perfektionist war, achtete er auch auf die kleinsten Details. Sein eigenes Ebenbild hatte er schnell fertig, doch als er begann, Jounouchis Hologramm zu programmieren, hielt er mehrmals inne. Obwohl er den Blonden so oft gesehen hatte, hatte er sich nicht einmal seine Augenfarbe merken können. Mehrmals musste er im Duellanten Verzeichnis nachsehen und sich die Fotos des Blonden ansehen. Beim dritten Blick erkannte er eine kleine Narbe, die direkt unter seinem Auge entlang lief. Jounouchis Körper war übersät von Narben. Viele kleine, unscheinbare Wunden, die nur bei einem genauen Blick zu erkennen waren und große, leicht hervorstehende Verletzungen, die sicherlich Monate gebraucht hatten, um zu verheilen. Kaiba ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Jegliche seiner Aufgaben und Projekte beendete er mit Bravour. Ein Hologramm zu erstellen, dauerte in der Regel nur wenige Stunden, vor allem wenn es sich um bekannte Gegenstände handelte oder um Duel Monsters Karten, dessen einzigartigen Details er sich genau eingeprägt hatte. Auch Yuugis Gesicht, seine verschiedenen Gesichtsausdrücke, seine Augenfarbe und wie sich sein Haar bewegte, wenn er eine Karte zog oder ein Windzug aufkam, konnte er in nur wenigen Sekunden vor seinem geistigen Auge replizieren. Das Bild von Yuugi, wie er mit einem zufriedenen Lächeln eine Karte von seinem Stapel zog, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Ebenso sein liebes Lächeln und die kleinen Falten, die sich um seine Augen bildeten, wenn er herzlich lachte. All diese Kleinigkeiten hatte er in seinem Gehirn gespeichert und konnte sie, wann immer es für nötig hielt, abrufen. Kaiba war schon immer stolz auf sein gutes Gedächtnis gewesen. Er merkte sich Bilder schon beim ersten Blick und prägte sich ihre Einzelheiten ein und konnte sie ganz genau wiedergeben. Eine Fähigkeit, um die ihn seit jeher viele andere beneidet hatten. Und obwohl er Jounouchi so oft gesehen hatte und sie immer wieder aneinander gerieten, hatte er sich nicht einmal merken können, welche Augenfarbe dieser hatte. Es kränkte ihn. Einmal mehr hatte ihm die Realität bewiesen, dass sein Perfektionismus eben nicht vollkommen war. Kaiba war nicht perfekt. Und obwohl er doch so viele Fehler machte, die er mit aller Macht zu vertuschen versuchte, bezeichnete Mokuba ihn als perfekt. Ob Mokuba diese Worte mit ihm in Verbindung brachte, weil er das genaue Gegenteil meinte? War Mokuba der Ansicht, dass es diese Perfektion, die Kaiba selbst anstrebte, gar nicht gab? Kaiba wusste, dass es äußerst dumm wäre, zu behaupten, keine Fehler zu machen. Letztendlich musste er genauso wie jeder andere Mensch essen und trinken, um am Leben zu bleiben. Und obwohl Kaiba wusste, dass er ein Mensch wie jeder andere war, versuchte er all diese primitiven Eigenschaften auszumerzen und das Paradebeispiel eines grandiosen Geschäftsmannes darzustellen. Waren nicht alle Menschen so? Alles, was den Mensch einem Tier ähnlich machte – seine Instinkte, Triebe, der Geruch und die Körperbehaarung – versuchte er auszulöschen, obgleich es klar war, dass er diese biologischen Dinge nicht einfach verschwinden lassen konnte. Doch auch dieses Streben sich aus der Menge hervorzuheben, ob als Rasse oder als Einzelperson, gehörte zu dem, was einen Menschen erst „menschlich“ machte. Deshalb hatte Kaiba sein Streben nach Perfektion nie als Einschränkung angesehen, doch erst jetzt viel ihm auf, wie sehr er sich durch das, was ihn als Person auszeichnete, von jenen entfernte, die er liebte. Je mehr er sich darum bemühte, dass man ihn verehrte und ihm die Beachtung schenkte, die er verdiente, desto mehr suchte sein eigener Bruder nach authentischen und zwanglosen Vorbildern. Kaiba bemühte sich sehr um sein Ansehen und vielleicht hatte er selbst seinem Bruder gegenüber angefangen, diese distanzierte Haltung aufrechtzuerhalten. Unbemerkt. War ihm sein eiskaltes Auftreten so sehr ins Blut gegangen, dass selbst sein Bruder ihn nicht mehr verstehen konnte Ausgerechnet Jounouchi bezeichnete er seinen Freund und für Kaiba war es mehr als nur offensichtlich, dass der Schwarzhaarige diesem sogar nacheiferte. Irgendetwas musste der Blonde also haben, dass sein Bruder ihn ins Herz geschlossen hatte und seine Gesellschaft sogar bevorzugte. Er schüttelte den Kopf. Er hatte nun wirklich keine Zeit, um sich weitere Gedanken über seinen Bruder und dessen fragwürdige Wahl an Helden zu verschwenden. Sobald Mokuba wieder zuhause war, würde er sich die Zeit nehmen und mit ihm reden. Als erstes musste er seine Lieblingsfarbe wissen. Er hatte sich vorgenommen, seinem Bruder mit mehr Interesse entgegenzukommen und ihn mehr in die Entscheidungen der KC betreffend einzubinden. Mokuba sollte verstehen, dass Kaiba ihn brauchte und ihn nicht nur als Geschäftsmann, als Vizepräsident schätzte, sondern auch als seinen Bruder. Beim vierten Blick erkannte er, dass Jounouchis Augenbrauen dunkler waren als seine Kopfhaare. Jounouchi war muskulös und gut gebaut. Mehr und mehr erkannte er kleine Details, die er in seine Programmcodierung installierte und so erschuf er ein Replika des blonden Duellanten, das ihm bis aufs Haar glich. Ein Gähnen überkam den Brünetten und er rieb sich die Schläfen. Erschrocken stellte er fest, dass es bereits 11 Uhr mittags war und er sehr lange hier gesessen hatte, um einen Mann zu begutachten, von dem er sagte, ihn zu hassen. Genervt schnalzte er mit der Zunge, verschränkte die Arme und betrachtete sein fertiges Werk. Nur die Bewegungen waren noch nicht ganz so gut, wie Kaiba es gern gehabt hätte, doch ein ungenaues Hologramm sollte reichen, um ihre Gegner zu täuschen. Der Unterschied zwischen einem Menschen und seiner Solid Virtuality – sein Hologrammsystem, das so täuschend echt war, dass man es von der Realität nur schwer unterscheiden konnte – waren für ungeschulte Augen kaum zu erkennen. Ein weiteres Mal spielte er die Animation des Blonden ab. Trotz der Müdigkeit und seiner inneren Zerrissenheit hatte er es geschafft, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Noch war er nicht fertig. Kaiba überlegte fieberhaft, welche Möglichkeiten ihm offen standen und welche Szenarien denkbar waren. Würden die Raritätenjäger allein kommen? Es handelte sich um einen Austausch. Am Domino Pier. Würden sie Yuugi und Mokuba tatsächlich dorthin bringen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie die beiden nicht dabei hatten und eine direkte Befreiung nicht möglich war? Was würde in dem Fall geschehen, wenn ihre Gegner bewaffnet waren und sie damit drohten die Geiseln zu verletzen? Wohl oder übel würde er seine drei geliebten Drachen mitbringen müssen, sofern er das Vertrauen dieser Entführer erschleichen und sie auf die sichere Seite wiegen wollte. 400 Millionen Yen (3 Millionen Euro) war zwar eine große Stange Geld und sicher keine Summe, die er unbedingt verschenken wollte, aber er sollte dennoch das Geld bereit haben. Er griff nach seinem Telefon und gab Isono weitere Anweisungen. Sein jahrelanger Angestellter war überhaupt nicht davon angetan, eine solch große Menge Bargeld von der Bank holen zu müssen, tat es aber dennoch. Zudem wies Kaiba ihn dazu an, ebenfalls die Karten, die er vorsichtshalber in seinem Büro in der Schublade weggeschlossen hatte, mitzubringen. Zumindest sollte er einige Kopien erstellen. Raritätenjäger waren nicht sonderlich klug. Nur die wenigsten von ihnen waren in der Lage eine Fälschung und ein Original zu unterscheiden. Das Hologrammsystem bemerkte den Unterschied sofort, denn jedes Original trug einen kleinen Chip in sich, der elektrische Signale an das Gerät abgab und somit sicherstellte, dass nur echte Karten in Verbindung mit einem Duel Disk genutzt werden konnten. Kaiba stoppte abrupt. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass die Raritätenjäger dieses Wissen hatten? Auch das war eine Variable, die er in seinen Plan einberechnen musste. Dass diese verdammten Kerle es wagten, sich mit ihm anzulegen, würde ihnen noch leidtun. Das Klopfen an seiner Zimmertür weckte ihn langsam. Vorsichtig richtete er sich auf, ließ sich noch einmal in das große, gemütliche Gästebett fallen. Ich glaube, ich habe noch nie in so einem bequemen Bett geschlafen. Ich würde am liebsten nie wieder aufstehen, schoss es ihm durch den Kopf und er schmiegte sich noch einmal an das Kissen, versuchte noch ein bisschen weiterzuschlafen. Wieder klopfte es. Dieses Mal wurde die Tür geöffnet und eine junge Bedienstete trat in den Raum. „Jounouchi-san. Es ist bereits halb Zwölf. Möchten Sie duschen gehen, bevor Sie zu Mittag essen?“ Überrascht sah er sie an. Plötzlich stand er kerzengerade und hampelte panisch von einem Bein auf das andere. Nicht nur, dass er das Frühstück verschlafen hatte – welches in diesem Haus sicherlich besonders üppig und einem Fürsten angemessen war – warf ihn aus der Bahn, sondern auch die Tatsache, dass er hier seelenruhig schlief, während seine Freunde sich in Gefahr befanden und Kaiba die ganze Nacht durchgemacht hatte, um einen Plan auf die Beine zu stellen. Es frustrierte ihn, dass er für einen Moment so ruhig war und es sich hier bequem machte, während seine Freunde auf ihre Rettung warteten. Dann blieb er stehen und sah die junge Dame mit dem kurzen, schwarzen Haar an und nickte ihr zu. „Ich gehe eben duschen!“, rief er aus und zischte ins Bad, wo er seine Klamotten unbedacht auf den Boden warf und die Dusche hüpfte. Alles, was er brauchte, war bereits bereit gestellt worden und er schätzte diesen Komfort sehr. Gut aufgewärmt und erholt kam er aus der Dusche und verließ dann das Zimmer. Sein Magen knurrte so laut, dass er glaubte, jeden Moment vor Hunger Tod umzufallen. Die junge Dame, die ihn geweckt hatte, war einfach gegangen und nun stand er orientierungslos im Eingangsbereich. Die meisten Angestellten hetzten von einem Raum zum nächsten, wo sie vermutlich Putzarbeiten erledigten. Einige Minuten später hatte er vollends die Orientierung verloren. Aber er wollte nicht nach dem Weg fragen. Einerseits, weil die Leute hier unheimlich beschäftigt aussahen und er genau wusste, wie wichtig das Einhalten von Terminen in diesem Haus war, andererseits weil er sich ziemlich dumm vorkam, um Hilfe bitten zu müssen. Er war einfach nicht der Typ, der nach dem Weg fragte und irrte lieber selbst umher, bis er die richtige Spur gefunden hatte. Er schnupperte und nahm den Geruch von Essen wahr. Dem Duft folgend, wurde er in die Richtung der Küche gelenkt. Vorsichtig öffnete er die Tür und linste hinein. Ihm fielen die Schuppen von den Augen. Das war doch keine Küche mehr! Es sah aus, wie der Küchenbereich eines gigantischen Nobelrestaurants. Sprachlos trat er ein und bestaunte die vielen Utensilien und die vielen Öfen und Herde, die nur darauf zu warten schienen, benutzt zu werden. Unmöglich. Kaiba und Mokuba hatten keine weiteren Familienmitglieder. Wozu brauchten zwei Leute so eine gigantische Küche und so viele verschiedene Speisen? Er nahm den Duft von geräuchertem Fleisch wahr. Viele Köche waren konzentriert bei der Arbeit und keiner von ihnen hatte auch nur eine Sekunde aufgesehen, um den ungebetenen Gast wieder herauszubitten. Überall standen Küchengeräte, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Da er in einem Restaurant kellnerte, hatte er ja schon einiges an Erfahrung in der Gastronomie gesammelt. Mehr als einmal hatte er hinter dem Herd gestanden und hatte Ramen im Kochkessel zubereitet oder einfach nur Fleisch gebraten. Das Restaurant, in dem er arbeitete, war weitaus kleiner und bescheidener als der Küchenbereich hier. So etwas hatte er bisher nur im Fernsehen gesehen. Er hörte das Klappern von Töpfen, sah wie Gemüse geschält, gerieben oder einfach nur in Stücke geschnitten wurde und tapste unbeholfen durch den riesigen Arbeitsraum, wo viele Köche an verschiedenen Stellen Mahlzeiten zubereiteten, ehe er sich erschrak, weil eine gigantische Flamme ungehalten in den Raum hinein strahlte. Er machte einen großen Ausweichschritt zur Seite, schubste dabei einen anderen Koch weg, der eine köstlich nach mediterranen Kräutern duftende Suppe zubereitete, sodass dieser etwas verschüttete und sich nun umdrehte und ihn ausschimpfte. „Cosa stai facendo qui?“, rief er aus und Jounouchi starrte ihn nur mit großen, unschuldigen Augen an. „Eh...was?“, fragte er und ging vorsichtig zur Seite, versuchte den Abstand zwischen sich und dem Koch zu vergrößern. Dieser drehte sich um. Auf seiner weißen Küchenkleidung befanden sich rote Flecken. Er musste einen Teil der Suppe auf seine Kleidung verschüttet haben. Entschuldigend hob Jounouchi die Hände in die Höhe und versuchte sich zu erklären, doch der Koch ratterte nur weitere unverständliche Wörter runter. Er konnte nicht einmal sagen, was für eine Sprache er verwendete. Eines stand fest: es handelte sich weder um Japanisch, Englisch oder Deutsch. Irgendetwas Europäisches. „Esci di qui!“, brüllte er dann und packte Jounouchi am Kragen und zerrte ihn aus dem Raum, knallte die Tür schwungvoll hinter sich zu. „Ups... das lief jetzt nicht so gut. Was er wohl gesagt hat?“, fragte er sich und lief unbeholfen in die entgegensetzte Richtung. Irgendwo würde er schon noch ankommen. Oder zumindest Kaiba über dem Weg laufen. Wieder rumorte sein Magen und er hielt sich den Bauch, lehnte sich leicht nach vorne und ließ den Kopf hängen. Bestimmt hatte sein Magen nun erkannt, dass er sich auch selbst auffressen konnte. Es war lange her, dass Jounouchi so hungrig gewesen war. Warum nur musste diese Villa so riesig sein? Er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und hielt sich weiter seinen Magen, der einfach nicht zu knurren aufhören wollte. Warum nur konnte man das Gefühl von Hunger nicht einfach abstellen? Und wie der Zufall es so wollte, kam ihm ein bekanntes Gesicht entgegen. „Was machst du hier? Ich habe dich zwar eingeladen, das heißt aber nicht, dass du hier frei rumlaufen kannst, wie es dir beliebt. Jounouchi, du bist in meinem Haus, also benimm dich auch wie ein Gast“, kam es von Kaiba, der nun direkt vor ihm stehenblieb. „Du willst also, dass ich in meinem Zimmer sitze und warte, bis ich gerufen werde? Du weißt, dass ich diese Art von Geduld nicht habe“, erklärte Jounouchi und stieß sich nun von der Wand ab und versuchte Kaiba auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Sein lautes Magenknurren verriet jedoch sofort seine wahre Intention. Kaiba verstand sofort, dass Jounouchi auf der Suche nach Essbarem gewesen war und verglich ihn mit einem Neandertaler, grinste leicht amüsiert über die Vorstellung, dass der Blonde mit Keule gewappnet und ungerader Haltung durch die Wildnis lief und Steine umdrehte, nur um die darunter lebenden Kreaturen zu verspeisen. Jounouchi atmete tief ein und verfluchte seinen Körper, der sich gegen ihn gestellt hatte. Kaiba verdrehte die Augen und lief an ihm vorbei. „Es ist bereits Zeit fürs Mittagessen. Folge mir.“ Kaiba führte ihn zu einem gigantischen Saal, in dessen Mitte sich ein großer Tisch befand. Der Tisch war für zwei Leute gedeckt worden. Ein kristallener Kronleuchter hing von der Decke und an den Wänden befanden sich bunte Gemälde, die den Raum einen lebendigen Eindruck verleihen sollten. Trotzdem fühlte sich Jounouchi in diesem Raum unwohl. Es lag nicht einmal daran, dass er mit Kaiba hier saß, sondern viel mehr an dieser Einrichtung. Sie wirkte so gestellt. Unecht. Man hatte das Gefühl, das nichts hiervon echt war. Modern und farbenfroh sah anders aus. Es war nur eine Vermutung, aber die Einrichtung der Villa musste ziemlich alt sein. Hier und da hingen LED Lampen und einige Dekogegenstände verrieten, dass hier junge Leute lebten, doch der Großteil des Gebäudes wirkte kalt und leer. Für Jounouchi fühlte es sich so an, als würde die Zeit hier drin stehenbleiben. Auch die großen Plasma Fernseher, die an den Wänden angebracht waren und mit der neuesten Technik überzeugten, füllten den Raum nicht mit Wärme. In diesem Haus wurde Tradition und Moderne gekonnt gemischt und aufeinander abgestimmt – trotzdem hatte Jounouchi nicht das Gefühl, dass hier wirklich Menschen wohnten oder gar lebten. „Cattivo ragazzo!“, hörte er eine laute und ungehaltene Stimme. Jounouchi sackte in sich zusammen. Der Koch kam hinein und zeigte wütend auf den Blonden. Kaiba versuchte ihn zu beschwichtigen. Beschämt senkte Jounouchi den Blick, während Kaiba mit diesem Mann in aller Ruhe auf einer Sprache diskutierte, von der er keine Ahnung hatte, woher sie stammte. Er schämte sich fast dafür, so ungebildet zu sein und staunte über Kaibas Vermögen verschiedene Sprachen perfekt zu beherrschen. „Jounouchi“, kam es dann kühl von Kaiba. Seine Augenbraue zuckte. „Solltest du noch einmal meine Angestellten belästigen, schwöre ich, werde ich dich persönlich aus meiner Villa schmeißen und dafür sorgen, dass du nie wieder auch nur in die Nähe meiner Grundstücke kommst, das Duel Stadion mit eingeschlossen. Haben wir uns da verstanden?“ „Es tut mir leid“, murmelte Jounouchi und ließ den Kopf hängen. „Das will ich für dich hoffen. Martinelli ist einer der angesehensten Köche der Welt und es wäre eine Blamage sondergleichen, würde es öffentlich werden, dass ausgerechnet die Familie Kaiba ihn verschmäht hat. Ich dulde derart respektloses Verhalten nicht. Was immer dich dazu geritten hat, meine Köche bei ihrer Arbeit zu stören, ist mir egal, doch ich bitte dich als Geschäftsmann mit großem Einfluss darum, meinen Ruf nicht unnötig zu schädigen.“ „Martini...?“, wiederholte Jounouchi leise für sich. Kaiba wuchs eine Zornesader auf der Stirn. „Martinelli. Martini ist ein alkoholischer Cocktail. Er ist Italiener.“ „Oh, das war Italienisch?!“, kam es von Jounouchi und sah Kaiba bewundernd an. Kaiba zog nur eine Augenbraue in die Höhe. Wieso freute sich der Dorftölpel auf einmal so? Sein Auge zuckte leicht, als er das zerknitterte Seidenhemd sah, das einem schmuddeligen Lappen glich. Nicht, dass er damit gerechnet hatte, dass der Blonde auf das Hemd achten würde, aber man sagte ja schließlich, dass die Hoffnung zuletzt stürbe. Diesem Mann ein solches Hemd in die Obhut zu geben, war so, als würde man Perlen vor die Säue werfen. Trotzdem schluckte er seinen Ärger runter. Genau genommen war es nicht so, dass er das Hemd zurückhaben wollte. Immerhin hatte er noch zig andere ähnliche Hemden im Schrank gehabt. „Wie viele Sprachen kannst du eigentlich?“, wollte er dann wissen. Kaiba war es unangenehm, dass Jounouchi ihn mit einer solch fröhlichen Miene ausfragte und dabei mit großen, fast glitzernden Augen zu ihm sah. Peinlich berührt wandte er den Blick ab. „Viele“, antwortete er nur knapp. Es war ihm irgendwie unangenehm, für etwas gelobt zu werden, was er immer für selbstverständlich hielt. Als Geschäftsführer, der in verschiedene Länder expandierte, war es doch wohl selbstverständlich, dass man sich verschiedene Sprachen aneignete. Und sobald man eine Sprache verstanden hatte, war es viel einfacher eine neue zu lernen. Aber eigentlich freute er sich darüber, dass ihn jemand mit einem solch ehrlichen Interesse entgegenkam. Die meisten Menschen heuchelten Interesse. Die meisten Menschen, die Kaiba kennengelernt hatte, spielten nur eine Rolle und wenn sie danach fragten, wie es ihm ging, handelte es sich um bloße Etikette und kein echtes Interesse. Bei Jounouchi fühlte es sich jedoch echt an. Alles an ihm war unkompliziert und einfach zu durchschauen, was es besonders leicht machte, ihn einzuschätzen. „Wie viele genau? Komm schon! Du hast doch selbst gesagt, dass du keine ungenauen, halbgaren Antworten magst!“ „Ich spreche acht Sprachen fließend. Reicht dir das?“, stöhnte er dann. War er genervt oder war das doch etwas anderes? „Welche Sprachen! Das will ich wissen. Oder ist das geheim? Mach es nicht so spannend!“ „Japanisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch und Koreanisch. Reicht dir das?“ „Wow“, kam es von Jounouchi und sein Mund blieb sperrangelweit offen. „Mund zu, sonst kommen Fliegen rein. Du hast die Grazie eines Kuhbauers.“ „Aber... wow, das ist doch einfach nur großartig. Ich verstehe gerade mal ein paar Wörter Englisch. Und in einigen Videospielen kommen manchmal deutsche Begriffe vor.“ „Eine Fremdsprache zu beherrschen ist heutzutage wichtig, Jounouchi. Wir leben in Zeiten der Globalisierung. Du solltest dir zumindest ausreichende Sprachkenntnisse in Englisch aneignen. Insbesondere da du als Kellner im Dienstleistungsbereich arbeitest und dort sicher auch ausländische Kunden bedienen wirst“, meinte Kaiba nur. „Ja, schon... aber so einfach ist das nicht. Die nutzen ja ein ganz anderes Schreibsystem“, erklärte Jounouchi und kratzte sich verlegen die Wange. „Und du träumst davon Pro Duelist zu werden? Jounouchi. Wenn du wirklich Karriere als Duellant machen willst, musst du Englisch verstehen können. Wie sonst willst du bei internationalen Turnieren durchkommen? Lächerlich... mit so einer Einstellung erreichst du nie etwas!“ „Es sind nun mal nicht alle Menschen so klug wie du! Entschuldige, dass ich nicht im Luxus aufgewachsen bin und ich eher langsam lerne. Dass Menschen unterschiedlich schnell lernen, ist dir wohl noch nie in den Sinn gekommen“, kam es aufgebracht von Jounouchi. „Es geht nicht darum, wie schnell man lernt, sondern um Disziplin und Hingabe. Wenn du etwas wirklich willst, kannst du das auch schaffen, aber du musst mit Ernst bei der Sache bleiben. Du darfst nicht einfach aufgeben und musst dich wirklich hinsetzen und etwas dafür tun.“ Kaiba hielt inne. Konnte man Disziplin etwa mit dem Willen, der angeblich Berge versetzen konnte, vergleichen? Waren Jounouchis Bemühungen ein Pro Duelist zu werden eine andere, unausgereifte Form von Hingabe? Hatte er den Blonden etwa falsch eingeschätzt? Vielleicht verbarg sich unter dem dreckigen Stein ein kleiner, ungeschliffener Diamant, der nur noch nicht entdeckt wurde und nur darauf wartete, endlich in seiner wahrer Pracht zu erstrahlen? So ein Unsinn. Jounouchi ist ein Nichtsnutz. Aus dem wird allerhöchstens ein Straßenfeger... aber... was ist, wenn ich mich irre? Mit ein bisschen Unterstützung von außen, mit den richtigen Werkzeugen ist da vielleicht doch etwas zu machen, schoss es ihm durch den Kopf. Kaiba war hin und hergerissen. Einerseits wollte er den Blonden schlechtreden und er weigerte sich, sich einzugestehen, dass aus diesem Gambler jemals mehr werden würde, als ein geschminkter Clown auf einem Jahrmarkt, den man fünf Minuten bei seiner Performance zusah, nur um ihn wenige Augenblicke später zu vergessen, doch auch stellte er sich die Frage, was man aus ihm noch herausholen konnte. Auf der anderen Seite war er ein Publikumsmagnet und sorgte stets für gute Laune und brachte auch den größten Miesepeter mit seiner authentischen Tollpatschigkeit zum Lachen. Ein Mann, der immer und überall polarisierte, sorgte für Aufmerksamkeit und man sprach automatisch über so jemanden. Ein sympathischer Dorftrottel, der bei dein Massen ein Gefühl von Normalität auslöste, war auch bei der Vermarktung von Produkten ein großer Vorteil, denn so konnte man das Vertrauen bei Kunden wecken und nachhaltig die Entscheidungen dieser prägen. Es handelte sich um ein zweischneidiges Schwert. „Das ist einfacher gesagt als getan“, flüsterte Jounouchi. Jetzt war die Stimmung im Keller. „Versuch es wenigstens. Die europäischen Buchstaben sind leichter zu lernen, als du denkst. Vielleicht brauchst du einfach nur ein anderes Lernsystem. Ein praktischer Sprachkurs wäre sicher etwas für dich und soweit ich weiß, ist Yuugi ebenfalls sehr gut in Englisch und kann dir bestimmt dabei helfen. Learning by doing – Lernen durch Anwendung wird bestimmt auch einem Hohlkopf wie dir auf die Sprünge helfen“, sagte er nur und zuckte mit den Achseln. „Ich bin mir gerade nicht sicher, ob du mich schon wieder unterschwellig beleidigst oder versuchst, mir zu helfen“, erwiderte Jounouchi skeptisch und hob eine Augenbraue. „Such es dir aus. Zunächst einmal sollten wir uns darauf konzentrieren, meinen Bruder und Yuugi zu retten. Nach dem Essen werde ich Isono-san, Kuwabata-san und auch dich in meinen Plan einweihen.“ Hosted by Animexx e.V. 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