Seydon von Linchan (2007er Version) ================================================================================ Kapitel 41: Ferne Erinnerungen ------------------------------ Mit einem lauten Krachen landete das Schiff im Hafen von Tare, und als es beinahe zu Bruch ging, wirbelten Holzplanken durch die Luft, es entstand eine große Staubwolke. Vom Hafen her drangen schrille Schreie von Menschen zu den Menschen auf dem Schiff herauf. Erst, als alles ruhig war, richtete Siana sich auf. „Wir sind in Tare!!“ rief sie begeistert und sprang auf, als wäre nichts geschehen. Die anderen richteten sich auf. Liona blickte zurück auf das Meer und lachte los. „Was ist??“ fragte Tiras, und Liona kreischte lachend auf. „Ich sehe Kindarns Männer als winzige Pünktchen im Wasser herumhampeln!!“ rief sie, „Haha, die können jetzt erstmal ihr Seepferdchen machen!“ „Wenn sie nicht schwimmen könnten, wären sie jetzt aber nicht mehr zu sehen,“ sagte Zenta, „So ´ne Rüstung ist ziemlich schwer, würde ich sagen!“ Zitan räusperte sich. „Wie ist es? Gehen wir erstmal ein Hotel suchen??!“ Die anderen sahen ihn an, und alle stimmten ihm zu. Ihnen fiel ein, während sie ihre Kizayas aus dem halb zerstörten Laderaum retteten, dass sie die ganze Nacht nicht geschlafen hatten. Es dämmerte bereits wieder zum Morgen, als die acht das Schiff verließen und sich in einem kleinen Hotel in Tare zwei Viererzimmer mieteten. Im Morgengrauen fielen die Kameraden in einen tiefen Schlaf. Es war schon Nachmittag, als sie wieder erwachten. Die Sonne schien draußen, und schnell beschlossen die acht, ihren Weg noch etwas fortzusetzen. „Was ist nun?“ fragte Zitan, „Wohin wollten wir noch gleich gehen???“ Zenta brummte und zupfte an Jalis Mähne herum. „Es ist ziemlich egal, wohin wir gehen! Kindarn weiß jetzt, dass wir auf Tinasira sind, immerhin hat er uns auf dem Schiff nach Tare gesehen! – Falls du es trotzdem wissen willst, wir wollten mal nach Kade, Zid.“ „Kade, Kade,“ machte Zitan, „Wo is’n das??“ Zenta hielt Zitan wortlos die Karte hin, und der Blonde faltete das Stück Papier auf Kaseras Rücken auseinander, während die Kameraden durch die kleine Stadt Tare gingen. Sie ließen sich Zeit – sie würden an einem nichtmal mehr halben Tag ohnehin nicht mehr weit kommen. Zitan sah konfus auf die Weltkarte von Seydon. „Ähhh-...!“ machte er, „Wo-... wo sind wir überhaupt??! Wo ist denn Tare, Zenta??“ Zenta seufzte. „In der Mitte! In der Nähe des Äquators, mittleres Drittel, Ziddy.“ Zitan starrte erst Zenta, dann die Karte an. „Mitte, Mitte-... ... Ä-...quator??“ „Weißt du, was ein Äquator ist, Zitan?“ fragte Zenta schnippisch, und Zitan lachte. „Klar! Das Ding, das in der Mitte vom Nordpol bis zum Südpol durchläuft!“ Zenta räusperte sich. „Das ist der Null-Grad, Zid.“ „Oh,“ machte Zitan überrascht, und Zenta zeigte ihm auf der Karte den Äquator. „Da, siehst du??! Das hier ist das mittlere Drittel, und da ist Tare! Re-naì?“ Zitan strahlte. „Aaahh, ja, jetzt hab ich's! – Und wo ist jetzt Kade??“ Bis Zenta Zitan erklärt hatte, dass Kade die Hauptstadt des großen Landes Siniore war, und sie, um da hin zu kommen, nach Nordosten gehen mussten, war es wieder Abend geworden. Es dämmerte, und die acht Freunde hatten Tare fast hinter sich gelassen. Sie gingen durch einen kleineren Vorort der Hauptstadt, in dem jetzt, in der Dämmerung, niemand mehr unterwegs war. Die Straßen waren längst nicht mehr gepflastert, sondern einfache Sandwege, an deren Rändern hübsche Häuser standen. „Hört ihr das auch?“ fragte Liona plötzlich und blieb stehen. „Was?“ fragte Nadaiya. Alle blieben stehen und lauschten. „Da-... singt jemand!“ sagte Liona erstaunt und lauschte erneut. Ganz leise aus der Ferne hörte sie eine zarte Stimme, die eine wundersam schöne, aber melancholische Melodie sang. Liona stutzte, als ihr das Lied auf seltsame Weise vertraut vorkam. Irgendwo tief in ihren Erinnerungen begann sich etwas zu regen, als sie diese Melodie hörte. „I saya ikari-naì-... ... sa skeii mo-jia i tamurya-...“ „I-... ta-...murya-...??“ keuchte Liona, und die anderen sahen sich an. Jetzt nahm auch Zitan die Worte wahr, die das Wesen – was immer es war – leise sang. Es waren musanische Worte. „I tamurya kalassa... mui sa na-ri casaiyou...“ „Vor langer Zeit – ich weiß, da ist etwas-... – etwas Fremdes... ... aber-... ich kann mich nicht erinnern-...“ murmelte Zitan wie in Trance, die Worte wie fließend übersetzend – er kannte das Lied. Es bestand kein Zweifel, dass er es kannte. Nur zu gut, denn seine Mutter hatte es ihm immer als Schlaflied gesungen, als er noch klein gewesen war. Als Zenta neben ihm auftauchte, drehte Zitan wie hypnotisiert den Kopf. „Zenta...“ stammelte er, „Das Lied... – das ist-... – das kann nicht-... ...“ „Doch,“ sagte Zenta monoton, „Das ist es. Das ist Karaniy an jia to hi, Zitan. Eure – Familienhymne!“ Alle erstarrten zu Salzsäulen, Liona erschauderte. „Saris Familienhymne??!“ stieß sie hervor, „Ja, ich... erinnere mich – aber-... wie kann das sein?? Ziddy ist der einzige Sari auf Seydon! Niemand außer den Saris kennt so einen Text auswendig, verdammt!“ „Jede Mesumanier-Familie hat eine Familienhymne,“ sagte Zenta, als er die verständnislosen Blicke der anderen in seinem Nacken spürte, „Liona!“ fuhr er dann auf, „Ich kenne Saris Familienhymne! Pff, und wie auswendig ich die kann, tse!“ Zitan wendete Kasera. Unser Lied! rief er innerlich laut, Unser Lied, das ist unser Lied! Aber wer kann es singen? Wer kennt unser Lied?? – Wer kennt-... mich?? Wortlos ging er dem Gesang nach, und die anderen starrten ihm nach. „Ziddy??!“ fragte Siana, „Wohin gehst du??“ „Ich muss herausfinden, wer dieses Lied kennt!“ gab er als Antwort, „Wer das Lied kennt – kennt meine Familie!!“ Er ging. Die anderen folgten ihm ungläubig. Doch weit und breit war kein Mensch zu sehen. Zitan gab nicht auf, er folgte dem Gesang, und als er ihm näher kam, wurde die Stimme lauter. Es war zweifellos ein Mädchen, das dieses Lied sang, es war eine hohe, liebliche Stimme. Er bog mit Kasera um die Ecke und – fand endlich die kleine Sängerin. Es war tatsächlich ein Mädchen. Sie war sehr jung, fast noch ein Kind, und hatte kurze, braune Haare. Sie trug einen lila Rock und ein ebenfalls lila Top. Als sie das Hufegetrappel hinter sich hörte, drehte sie sich um und blieb stehen. Sie erblickte eine Gruppe Menschen auf Kizayas hinter sich. Mit großen, braunen Rehaugen starrte sie die Gruppe an. „Wa-... wer seid Ihr??“ fragte sie scheu und trat zurück, als sie merkte, dass sie angestarrt wurde. Zitan sah sie blinzelnd an. Er kannte das Mädchen nicht. „Entschuldige, wenn wir dich erschreckt haben-... ...“ sagte er und kam dann gleich zur Sache: „Woher kennst du das Lied??“ Sie erstarrte. „Das Lied?“ fragte sie dann, „Welches Lied??“ „Das, was du gesungen hast!“ sagte Zenta perplex, „Karaniy an jia to hi, Mädchen!“ Sie sah die Freunde an. Dann lächelte sie. „Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Sir!“ sagte sie mit einer Verneigung, „Verzeiht.“ Zitan ließ die Arme sinken. Aber – sie HAT gesungen!! I-ich bin doch nicht blöd! Sie war es, ganz sicher!! Er merkte, dass Zenta sich mindestens so sicher war wie er, als sein Freund Jali plötzlich antrieb und vor das Mädchen lenkte, ihr damit den Weg abschneidend. Sie hatte gehen wollen und starrte Zenta jetzt erschrocken an. „S-Sir??!“ Zenta schnaubte. „Lüg mich nicht an, du kleine Bratze!!!“ zischte er warnend, „Ich kann es nicht haben, angelogen zu werden, kapiert??!“ Er musterte sie, während sie ihn perplex anstarrte, und plötzlich fiel ihm etwas ins Auge, was um ihren Hals hing: eine Kette mit einem tiefblauen, tropfenförmigen Edelstein. Sari...!! Zenta keuchte und drehte Jali sinnlos im Kreis herum, bevor er das Mädchen wieder anstarrte. „Wer-... zum Geier bist du??!“ Sie blinzelte. „Mein Name ist Lia Kasata,“ sagte sie, „Und jetzt lasst mich bitte gehen! Ich möchte nach Hause!“ „Du... heißt garantiert nicht Kasata!“ zischte Zenta, ohne darauf zu achten, was er da sagte, und Zitan erstarrte. „Zenta, nicht-...!“ Zenta griff nach dem Hals des Mädchens und riss ihr die Kette vom Hals. Sie kreischte. „Gib sie zurück!!!!“ schrie sie auf, „Bitte!!! Sie ist mir wichtig!!“ „Du heißt nicht Kasata, du kleine Lügnerin!! Oder du hast das geklaut!!! – Was ist das, Lia Kasata??! Weißt du, was das ist??!“ Das Mädchen ballte die Fäuste. „Es ist ein Geschenk der Göttin Kyana! Ich habe diese Kette seit meiner Geburt!!“ „Also doch!“ blaffte Zenta sie an und drehte Jali wieder herum, „Du bist also doch eine!!! Sari!!“ Eine erdrückende Stille folgte Zentas Emotionsausbruch, und das Mädchen starrte ihn an. Zitan rührte sich nicht. Sie ist eine Sari...?! Sie gehört – zu meiner Familie??!-... ... „Mein Name,“ sagte das Mädchen verbittert, „Ist Lia Sari! Gib mir meinen Stein zurück, Herr. Ich habe meine Familie an euch Menschen verloren! Und wenn du mir auch das noch nimmst, kannst du mich gleich auf den Scheiterhaufen stellen!“ „Du lieber Himmel!“ rief Siana schockiert, und erst jetzt brachte Zitan wieder einen Ton heraus. „Li-... ...Lia-...??! – Chilas-... Chilas Tochter! Chilas kleine Tochter hieß Lia, Zenta...!“ Zenta schnaubte. „Ich weiß!“ schnappte er, wieder etwas ruhiger, und ließ die Arme sinken, bevor er Lia Sari ihre Kette zurückwarf. Sie fing das kostbare Stück mit einer Hand und drehte sich zu Zitan um. „Wer seid ihr?“ fragte sie, „Was-... wollt ihr von mir???“ Zitan keuchte und fasste nach seinem Hals. Ihm fiel nur sporadisch auf, dass er immer noch oben ohne war und eigentlich eine neue Weste brauchte. Er ergriff seine Kette. „Wer wir sind...?“ stammelte er, „Wer-... du bist, ist, was mich schockiert-... ... du bist-... ohne Zweifel meine Cousine!“ Lia erstarrte. Sie starrte den Saristein in Zitans Hand an und weitete die Augen. „Du bist-... ... du bist-...??!“ stieß sie hervor, und schließlich schüttelte sie heftig den Kopf und schlug die kleinen Hände vor den Mund. „Zi-... Ziddy??!“ „Sie erinnert sich an ihn?“ fragte Tiras erstaunt, „Der Krieg ist aber zehn Jahre her, und sie dürfte kaum älter als zehn sein-...!“ Lia keuchte und umklammerte fest ihre eigene Kette, während sie zu Zitan herüberging und wie in Trance seine Kette berührte. „Zi-...tan-...!“ stammelte sie, „Ich erinnere mich-... an dein Gesicht...“ Zitan lächelte. „Und ich mich an deines, kleine Cousine. Du warst zwei Jahre alt, als der Krieg ausbrach... – du bist jetzt fast eine Frau geworden...“ Sie schluchzte. „U-und ich habe-... geglaubt, ich wäre die Letzte!“ brachte sie hervor, und Zitan verlor keine weiteren Worte, sondern schloss sie einfach fest in die Arme, sie dabei fast zu sich auf Kasera hochziehend. „D-das haben wir alle!“ rief Zitan aus, „Oh mein Gott, das haben wir alle!-... Dann sind wir-... jetzt die zwei letzten!“ Er grinste, und das Mädchen strahlte. „Lia,“ sagte Zitan andächtig, und alle anderen sahen den beiden gerührt zu. Das Mädchen schüttelte den Kopf und lächelte. „Nenn mich Lili!“ Lili lud die acht Kameraden zu sich nach Hause ein, nachdem sich alle vorgestellt hatten und Lili sich über Sianas Anwesenheit gewundert hatte (sie war doch die Prinzessin...). „Ich habe ein kleines Haus hier gleich um die Ecke!“ lachte sie, „Dann stelle ich euch Jägermeister und Atay vor!“ Freudig lief sie voraus, und folgsam liefen die acht ihr hinterher. Liona strahlte. „Ziddy!!“ rief sie, „Ich freue mich ja so, es gibt noch ganze zwei Saris!!“ Zitan lachte. Es war ungewohnt, so zu denken. Er würde sich erstmal daran gewöhnen müssen, nicht alleine zu sein. „Das einzige, was mich irritiert,“ sagte Tiras gedämpft zu Zenta, „Warum – kann das Mädel sich an Ziddy erinnern, wenn sie ihn das letzte mal gesehen hat, als sie zwei war??!“ Zenta lachte sein spöttisches Zenta-Lachen. Tiras fiel auf, dass es aber längst nicht so grauslich klang wie sonst. „Weißt du, Tiras...“ Der Junge sah Tiras mit einem sarkastischen Lächeln an, „...Mesumanier vergessen niemals.“ Die neun erreichten das kleine Haus in Tares Vorort. Lili brachte die Kizayas in einen kleinen Stall neben dem Haus und besorgte ihnen Wasser, bevor sie Tee für die acht Freunde aufsetzte und Brotscheiben schnitt. Nach einer Weile saßen alle neun in der kleinen Stube und aßen. Es war inzwischen dunkel geworden. „Jägermeister ist mein Kizaya!“ erklärte Lili freudestrahlend, „Aber momentan ist er krank-... er hat sich das Bein an einem Zaun verletzt und kann deswegen nicht laufen-...“ Sie seufzte. „Und Atay – Atay ist mein bester Freund!! Wartet, ich hole ihn!“ Sie stand übermütig auf und lief in die Diele. „ATAAAYY!!“ rief sie laut, „Komm runter! Wir haben Besuch!!“ „Sie sprudelt ja nur so vor Temperament!“ lachte Siana gut gelaunt, „So ein süßes Kind!“ „Sie ist wie Ziddy,“ beteuerte Zenta, und Zitan sah zur Seite. „Mir macht was ganz anderes Probleme,“ sagte er dumpf und drehte seinen Saristein zwischen den Fingern. „Hm?“ fragte Osea, „Was??“ „Sie ist meine Cousine-... sie wird sich nicht abschütteln lassen! Das bedeutet, wir werden sie wohl mitnehmen müssen!“ Die anderen sahen sich an, und Zenta wollte gerade etwas einwerfen, da kam Lili zurück – Osea, Siana und Nadaiya erschraken und sprangen auf, als sie sahen, was Lili auf dem Arm trug – eine Hina! „Das ist Atay!“ stellte Lili vor und zeigte auf den papageienähnlichen Vogel. Die Hina krähte. „Er sagt Hallo!“ „Hi,“ machten die Jungen im Chor, und Liona lachte. „E-eine Hina??!!“ rief Siana, „Sind die nicht-... ... gefährlich??!“ Lili lachte. „Quaaatsch, Atay würde mir nie etwas tun!“ „Naja, dir...“ murmelte Osea skeptisch und beäugte den Vogel misstrauisch. Lili klopfte Atay auf den gefiederten Kopf. „Er tut niemandem etwas, es sei denn, ich werde bedroht!“ „Lili,“ erhob Zitan da die Stimme, und alle sahen ihn an. „Hm?“ machte Lili, und Zitan sah zu Boden. „Morgen – werden wir aufbrechen nach Kade. Ich weiß, wir-... haben uns gerade erst wiedergetroffen, aber – wir können hier nicht bleiben! Wir haben-... viel vor.“ Lili sah ihn groß an. „Ihr wollt – weg??“ fragte sie, „Oh! Ich komme mit euch! Was fällt dir ein, du bist mein Cousin!“ Sie lachte frech, „Ich lasse dich doch nicht einfach weggehen!!“ „Das haben wir befürchtet!“ fuhr Zenta auf, „Du kannst nicht mitkommen!!!“ Lili sah ihn ernst an. „Und warum nicht???“ „Weil – es viel zu gefährlich ist!!“ Das Mädchen stemmte die Hände in die Hüften. „Ich habe ein Kizaya und Atay, ich kann mich wehren, klar??! Außerdem bin ich doch Magierin!“ „Du kannst zaubern???“ wunderte sich Nadaiya, und Lili hielt inne. „Ehrlich gesagt-... nein-...“ Die anderen sahen sich an. Schließlich seufzte Liona. „Wenn du tatsächlich mitkommen willst-... kann ich es dir beibringen! Ziddy kann es auch nur von mir, haha!“ Lili strahlte. „Heißt das, ich darf mit???!!“ Sie sah Zitan erwartungsvoll an, und Zitan schnaubte. „Das geht nicht!! Du bist hier in Tare sicher!! Da, wo wir hingehen, könntest du in Gefahr geraten, und ich will dich-... nicht noch einmal verlieren!“ Lili senkte lächelnd den Kopf. „Das würdest du doch, wenn du mich hier lässt, oder??“ Zitan erstarrte. Schließlich biss er sich verkrampft auf die Zunge und ballte die Fäuste. „Verdammt, ich – ich-... ...“ Er holte tief Luft und raufte sich dann die Haare. „Okay,“ gab er nach, und alle starrten ihn an, „Komm mit uns.“ „Was??!“ fragte Tiras, „A-aber-...! Sie ist noch ein Kind!“ „Pfff, und Osea??!“ fragte Siana, „Die ist genauso ein Kind!“ „Bäh!“ machte Osea, und Zitan sah Tiras nicht an, als er ihm antwortete. „Sie hat aber recht, Tiras. – Und egal, was kommt, ich werde sie beschützen!“ Lili setzte sich auf ihren Stuhl, während Atay auf ihren Kopf kletterte und krähte. Eine Weile herrschte Schweigen. „Eins irritiert mich immer noch,“ warf Tiras dann ein, und alle drehten sich zu dem Rothaarigen um, sogar Atay. „Ja?“ fragte Lili grinsend, und Tiras blinzelte. „Wie bist du nach Taje gekommen?“ Lili seufzte. „Das ist eine lange Geschichte! – Ich erinnere mich nur schwach, aber als der Krieg ausbrach, kamen wir nach Kesvitara, meine Eltern und ich, zusammen mit einem riesengroßen Haufen anderer Familien. Auf dem Weg dahin wurden meine Eltern getötet-... – als der Krieg zu Ende war, nahm mich eine Menschenfamilie auf, und die zogen mit mir hierher, als ich fünf war.“ Das Mädchen sah sich um. „Das hier war das Haus, in dem wir gewohnt haben! – Ein Jahr später zogen die Leute nämlich wieder um, und sie haben mich hier gelassen. Seitdem wohne ich hier in diesem Haus. Atay habe ich in Kesvitara getroffen, Jägermeister hab ich mir eingefangen, er war ein wildes Kizaya! – Nur kann ich momentan nicht auf ihm reiten, weil er was am Bein hat...“ „Die Menschen haben dich einfach hier gelassen??!“ empörte sich Osea, „Wie fies!!!“ „Nicht wahr?“ meinte Lili auch empört, und dann stand Liona auf. „Mh?“ Liona grinste. „Dein Kizaya kriegen wir gleich wieder hin!! – Wozu gibt es Vitra?“ Die neun gingen aus dem Haus in den kleinen Stall, in dem sich die acht Kizayas der Freunde regelrecht stapelten. In der Ecke lag ein kleines Kizaya auf dem Boden – als es Lili sah, versuchte es, aufzustehen. „Schscht, ruhig!“ mahnte Lili das Tier und deutete auf Zitan und die anderen, „Das sind meine Freunde, und meinen Cousin hab ich auch getroffen! Sie werden dein Bein heilen, sei ruhig,“ Liona kniete nieder und legte sachte die Hand auf das verletzte Bein des Tieres. Kurz darauf sagte sie: „Jetzt müsste es klappen!“ „Steh auf, Jägermeister, du bist wieder gesund!“ rief Lili fröhlich. Jägermeister, das kleine, braune Kizaya, stand auf, erst wackelig, dann wieherte er und galoppierte aus dem Stall, drehte eine Runde und galoppierte in den Stall zurück. „So ist’s brav...“ lobte Osea und streichelte ihn. „Und, läuft er schnell?“ fragte Zitan, das Tier betrachtend. Es war ein Tiyama-Kizaya, wie Nervi. Nur ein wenig kleiner. „Ja, sehr schnell!“ antwortete Lili stolz, „Deswegen heißt er ja Jägermeister! Weil wir in der Schule Fangen gespielt haben, auf Kizayas, und er hat immer alle gekriegt, deswegen ist er der Meister im Jagen, also Jägermeister! – Warum fragst du?“ Zitan sah zur Seite. „Du hast ja darauf bestanden, uns zu begleiten!“ sagte er, „Wir werden... viel rennen müssen! – Wir werden nämlich verfolgt.“ Lili starrte ihn an. „Was???!!“ So begannen die acht, zu erzählen, die ganze Geschichte von Anfang an. Und sie erzählten und erzählten – als sie fertig waren, war es nach Mitternacht. Lili war schwer beeindruckt von den Erlebnissen der Freunde, und Zenta hatte schon gehofft, das würde sie abschrecken, mitzukommen – aber Fehlanzeige. „Ich werde euch trotzdem begleiten!“ verkündete das Mädchen, „Und dieser Kindarn kriegt einfach eins auf die Nuss!!“ „Als ob das so leicht wäre!“ schnaubte Vento, und Nadaiya kicherte. „Okay-... lasst uns jetzt schlafen gehen...“ schlug Siana vor und gähnte, „Ich bin todmüde-...“ „Und – wo schlafen wir???“ fragte Vento, und Lili nickte. „Ich habe ein Ehebett, fünf Einzelbetten, ein Sofa und ein Schlafsofa, da passen auch zwei rauf! – Die Menschenfamilie hat ihren ganzen Krempel netterweise hier gelassen!“ „Ich schlaf bei Mama!“ rief Osea sofort und schnappte Nadaiyas Arm, dann suchte sie nach Zentas Arm. „Und Papi bleibt auch bei mir!!“ Zenta zog seinen Arm weg. „Nichtsda!!“ „Doooch!“ quengelte Nadaiya, „Wir können zu dritt in der Stube schlafen, du auf dem Sofa und Osea und ich auf dem Schlafsofa!“ Zenta schnaubte. „Lieber schlafe ich bei den Kizayas im Stall!!!“ „Kümmer dich nicht um die,“ sagte Tiras zu Lili, und Zenta blinzelte perplex, als plötzlich alle außer Nadaiya und Osea einfach gingen, ohne ein Wort zu ihm zu sagen. Er hörte noch Liona flüstern: „Zenta und Nadaiya gehören eigentlich zusammen in ein Bett, verstehst du??!“ „W-was hat die-...??!!?!“ fuhr Zenta wutentbrannt auf und wollte sich gerade lauthals beschweren, da zog Nadaiya ihn am Arm. „Komm schon,“ lachte sie, „Lass sie reden!“ Sie beugte sich zu ihm herüber und zischte ihm ins Ohr: „Hey, vergisst du ständig, dass wir uns schon desöfteren geküsst haben??!-...“ Zenta wagte darauf keinen Kommentar, und als er aus dem Augenwinkel Osea strahlen sah, ahnte er mit dunkler Gewissheit, dass Nadaiya dieses kleine Geheimnis nicht für sich behalten hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)