Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 7: If I die before I wake... a.k.a. The longest night ------------------------------------------------------------- Chris presste den bebenden Körper des Jungen an sich. Er konnte nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen war, seit er hier unten aufgewacht war, aber einige Stunden mussten es sein. Sein Magen verkrampfte sich vor Hunger, doch gleichzeitig wagte er nicht, auch nur einen Bissen von dem kargen Essen auf dem Tablett anzurühren. Wenn das wirklich der Kerl war den Jason jagte, dann war ihm alles zuzutrauen. Wenn das hier allerdings tatsächlich der Mann war der Luke ermordet hatte, blieb die Frage warum sowohl er als auch Marcus noch lebten. Luke war kurze Zeit nachdem er Kontakt mit dem Killer hatte bereits gestorben, schließlich hatte Chris einige Zeit vorher noch mit ihm geredet. Aber Marcus musste bereits seit ein oder zwei Tagen hier sein, er selbst seit Stunden und nichts war geschehen. Nicht das er sich wünschte, dass etwas geschehen würde, aber die Ungewissheit über sein Schicksal beunruhigte ihn fast noch mehr. Ständig drifteten seine Gedanken zu Jason, er hoffte inständig, dass er ihn schnell genug finden würde. Aber was dann? Würde Jason ihm je wieder vertrauen? Ihn je wieder in seine Nähe lassen? Chris hatte sein Vertrauen missbraucht, war weggelaufen und das obwohl Jason ihm versprochen hatte, auf ihn acht zu geben. Marcus stöhnte und riss Chris so aus seinen trüben Gedanken. Der Junge zitterte am ganzen Körper und schwitze furchtbar. Seine Augen waren noch glasiger. "Mir... ist kalt... warum ist es hier so... ka... kalt?" stammelte er. "Es ist nicht kalt." Chris strich ihm sanft über den schweißverklebten Haaransatz. "Das kommt dir nur so vor, dein Körper rebelliert, weil er keine Drogen bekommt" "Es tut... tut... weh..." "Ich weiß... ich weiß, mein Schatz. Ich bin ja bei dir." Chris fühlte sich plötzlich für den Jungen verantwortlich. Vielleicht weil er selbst allein durch diese Hölle hatte gehen müssen, obwohl er wesentlich älter gewesen war. Aber Marcus sollte nicht das gleiche erleiden wie er, nicht jahrelang an der Nadel hängen und sich das Geld für den nächsten Schuss mit Blowjobs und Sex in Seitenstraßen verdienen, so wie er das getan hatte. Es war ein Wunder das er noch lebte und gesund war und er wollte nicht zulassen, dass dieser Junge sich der gleichen Gefahr aussetze wie er. Er wusste selbst nicht warum, er hatte nie Verantwortung für andere übernehmen wollen, aber obwohl er Marcus erst wenige Stunden kannte, berührte der Junge ihn tief drinnen in seinem Herzen. Marcus klammerte sich an ihn. "Bitte... mach das es... aufhört weh zu tun... bitte..." "Das kann ich nicht, ich würde wenn ich es könnte." "Lügner!" Marcus stieß ihn plötzlich mit aller Kraft von sich und rappelte sich auf die Beine. Er stolperte ein Stück von Chris weg. "Lügner!" brüllte er. "Du willst mir nicht helfen! Keiner will mir helfen! Du hoffst bloß, dass dieser Kerl mich zuerst umbringt, aber das nutzt dir auch nichts! Wir werden beide krepieren, hörst du?! Beide!" Er stürmte zur Tür und fing an wie verrückt dagegen zu hämmern. "Mach schon, du Schwein! Bring uns endlich um! Los doch!" Chris sprang auf und war mit wenigen Schritten bei ihm. Er wusste das da nicht der wirkliche Marcus sprach, sondern der Junkie, dessen Verzweiflung über den Entzug ihn übermannte. Doch für den Moment musste er energisch sein. Er packte Marcus und zog ihn von der Tür weg. Der Junge wehrte sich verbissen. "Lass mich! Lass mich los, du Mistkerl! Vielleicht gehörst du sogar zu ihm und das ist nur ein perverses Spiel für euch um mich zu quälen!" "Du bist paranoid! Hör auf zu schreien, bitte!" Er zerrte Marcus in der Ecke mit dem Kissen zu Boden und wickelte mit einiger Mühe die alte Decke um sich und den Jungen. Marcus Versuche sich zu wehren wurden immer schwächer. Tränen liefen über sein gerötetes Gesicht "Du kannst nicht... verstehen... wie das ist... du kannst nicht..." Chris küsste ihn sanft auf den Kopf. "Doch, ich kann dich verstehen. Ich weiß genau wie das ist, glaube mir. Ich bin durch die selbe Hölle gegangen, aber ganz allein..." flüsterte er ihm ins Ohr. "Du bist...?" "Ich war genau wie du. Aber ich hab es geschafft von dem Zeug weg zu kommen, aber glaube mir, ich habe nächtelang nur so geschrieen wie du. Und mehr als einmal war ich nah dran, wieder zur Nadel zu greifen, aber wenn ich es allein geschafft habe, schaffst du es erst recht, hörst du?" "Aber welchen Sinn hat das denn noch? Wir werden eh sterben..." "Nein!" Chris drückte ihn fester an sich um ihm ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und wünschte sich dabei, jemand würde das gerade auch für ihn tun. "Wir werden nicht sterben, das darfst du nicht einmal denken! Das wir noch leben ist ein verdammt gutes Zeichen. Weißt du, normalerweise lässt er sich glaube ich nicht so lange Zeit, aber ich vermute, dass er im Moment weniger Aufsehen erregen will, weil man sein Bild durch mich kennt. Ich hab nämlich gesehen, wie er Luke getötet hat... so lange wir noch leben, bleibt auch Hoffnung. Mein Freund ist bei der Polizei und er wird uns finden." "Dein Freund? Bist du schwul?" "Ja, warum?" Marcus antwortete zunächst nicht, aber Chris merkte, dass er schon deutlich weniger zitterte und er hatte auch aufgehört zu weinen. Scheinbar war die Ablenkung eines Gesprächs genau das richtige. "Ich bin es auch..." sagte er schließlich leise. "Zumindest glaube ich das... ich hab mich in einen aus meiner Schule verliebt... und es ihm gesagt. Er hat das überall rumerzählt und plötzlich haben alle nur noch über mich gelacht und waren gemein. Also bin ich nicht mehr hingegangen... als meine Eltern davon erfuhren, waren sie ziemlich sauer, aber sie hätten eh nie Verständnis dafür gehabt... ich bin einfach weggelaufen..." "Du hast deinen Eltern nicht erzählt, was dich bedrückt?" Chris widerstand in diesem Moment der Versuchung, alle Eltern über einen Kamm zu scheren, schließlich mussten nicht alle so Versager sein wie seine. "Nein... ich hatte Angst..." "Wo wohnst du denn?" "Ich wohne mit ein paar Leuten zusammen, ist ganz praktisch, die teilen auch ihren Stoff mit mir..." "Ich meinte, wo du wirklich herkommst!" unterbrach ihn Chris schnell, damit er sich nicht wieder auf das Heroin konzentrieren konnte. "Aus Los Angeles." "Los Angeles, dann bist du aber ganz schön weit weg von daheim..." Marcus schmiegte sich mittlerweile wie ein kleines Kind an Chris, der ihn weiterhin in den Armen hielt. Das Gefühl der Verbundenheit war nun noch stärker als zuvor. "Du?" "Was?" fragte Chris. "Sieht dein Freund gut aus?" wechselt er das Thema. Chris musste trotz der grauenvollen Situation unwillkürlich lachen. "Ja, das tut er." "Echt?" "Ja, weißt du, er ist groß, muskulös, hat brauen Haare, die er so niedlich zerzaust trägt und wunderbare grüne Augen. Er behauptet sie seien Olivgrün, aber ich finde sie sehen aus wie Smaragde. Manchmal ist er etwas tollpatschig, so wie ein großer, kuscheliger Bär. Aber es ist eigentlich auch egal wie er aussieht, weil das beste an ihm ist, dass er so unglaublich liebevoll und freundlich ist. Und in seinen Armen kann man sich unendlich sicher fühlen." "So wie in deinen?" "Was meinst du?" "Ich fühle mich in deinen Armen sicher..." antwortete Marcus leise. Chris lächelte und küsste ihn noch einmal sanft auf den Haaransatz. "Du kannst dich auch sicher fühlen. Wir kommen hier schon raus." "Weiß dein Freund wo du bist?" Mit der Frage hatte Chris nicht gerechnet. "Nein..." musste er zugeben. "Und wie soll er uns dann finden?" Jetzt wusste Chris nichts mehr zu erwidern. Wie sollte Jason ihn finden? Es gab bis auf das Phantombild keine Hinweise auf den Killer und er konnte ihn und den Jungen weiß Gott wohin gebracht haben. San Francisco war groß und die Umgebung noch ungleich größer. Aber Chris wollte den Gedanken nicht akzeptieren, dass Jason ihn nicht finden würde. Er würde ihn finden, ganz sicher! "Er wird uns finden, ganz bestimmt..." antwortete er Marcus, aber so recht überzeugend klang seine Antwort selbst für ihn nicht. Jason und Randy warteten im Sprechzimmer des Priesters, der Raum war karg, aber freundlich eingerichtet, mit ein paar gepflegten Blumen und einem Kreuz über der Tür. Der Priester, Pater Flannigan, einen Mann um die sechzig, mit einer kleinen Brille, hellgrauen Haaren und einem freundlichen Lächeln, hatten sie bereits in der Kirche getroffen und er hatte sie gebeten in seinem Raum auf ihn zu warten, bis er die Kleidung gewechselt hatte, er trug noch sein Messgewand. Jasons Blick wanderte unruhig durch den Raum und ohne das er es wahrnahm, biss er sich immer wieder nervös auf die Lippe. "Ganz ruhig, Jay, ganz ruhig. Hochwürden kommt sicher gleich." "Ich weiß, Randy, ich weiß, aber ich hab Angst. Es kann um Minuten, vielleicht um Sekunden gehen und der Pfaffe lässt sich Zeit!" "Dich mal so reden zu hören ist auch ein Erlebnis!" lachte Randy. "Wenigstens wissen wir, dass der Priester selbst definitiv nicht unser Mann ist. Der hatte nun so gar keine Ähnlichkeit mit dem Phantombild das dein Freund uns verschafft hat und ich gehe mal nicht davon aus, dass er eine Brille braucht, oder?" "Nicht das ich wüsste... nein..." Jason merkte erst jetzt, dass er Randys Scherz nicht verstanden hatte. "Scherzkeks... dich ohne angedeuteten Würgereflex von meinem Freund reden zu hören ist übrigens auch ein Erlebnis." "Na siehst du, ganz hast du deinen Humor ja doch noch nicht verloren." In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und der Priester kam herein, jetzt ganz in Schwarz mit dem typischen, gestärkten weißen Kragen. Er nickte kurz und ließ sich gegenüber von Randy und Jason hinter seinem Schreibtisch nieder. "Also, meine Herren, was kann ich für Sie tun?" "Bitte verzeihen Sie wenn ich direkt und ohne Umschweife auf den Punkt komme," begann Jason, "wir haben weder einen Durchsuchungsbefehl, noch sind wir hundertprozentig sicher, dass wir hier finden, was wir suchen, aber wir hoffen auf Ihre Kooperation. Es geht um einen Mann, der sicher schon mehr als 40 Menschenleben auf dem Gewissen hat." "Mord ist eine der größten Sünden die es gibt, mein Sohn, Sie können sich meiner vollsten Kooperation sicher sein, auch wenn ich nicht sehe, wie ein Mann Gottes hier helfen könnte." Jason nickte Randy zu und dieser zog das Phantombild aus der Tasche um es dem Priester hinzuschieben. "Kennen Sie diesen Mann? Das Bild wurde absichtlich nicht in der Presse veröffentlicht, da der Täter sehr gerissen ist und bei zuviel Aufmerksamkeit sicher schnellstens verschwunden wäre." Der Priester sog die Luft ein und gab Randy das Bild mit spitzen Fingern wieder. "Das ist John Melton, unser neuer Hausmeister. Er betreut das Pfarrzentrum, also den Gemeindesaal und diese Einrichtungen, die mit auf unserem Grundstück liegen. Er ist mir kaum aufgefallen, ein sehr ruhiger, sehr gottesfürchtiger Mann voller Freundlichkeit." "Und mit einem Hang zu bestialischen Morden an schwulen Männern!" "Randy!" Der Priester winkte ab. "Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass jeder so leben sollte, wie er glücklich wird. Wissen Sie, nur unter uns, nicht jeder katholische Priester steht vollkommen hinter den teils doch sehr mittelalterlichen Ansichten, die aus der Ewigen Stadt kommen. Und sollte Mr. Melton wirklich für diese ungeheuerlichen Verbrechen verantwortlich sein, muss er zur Rechenschaft gezogen werden!" "Vielen Dank, Pater. Aber es gibt noch ein weiteres Problem. Wir gehen davon aus, dass sich ein Augenzeuge, der ihn bei einer seiner Taten beobachtet hat, in seiner Gewalt befindet. Wir müssen ihn finden, bevor es einen weiteren Toten gibt." Bei Randys Worten krampfte sich Jasons Brustkorb zusammen. Chris musste noch leben! Eine Alternative gab es nicht, er würde ihn nicht verlieren! Und sollte Chris wirklich tot sein, würde er diesen Kerl eigenhändig umbringen, egal was das für ihn bedeutete. Sollte er Chris auch nur ein Haar krümmen, würde er zahlen. "Ich zeige Ihnen die Örtlichkeiten, die Mr. Melton betreut. Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen. Vielleicht haben Sie Glück und finden sowohl ihn als auch die Geisel. Aber ich muss Sie bitten, meine Herren, dass Sie sich bewusst machen, dass weder ich noch sonst jemand aus dieser Gemeinde, etwas damit zu tun hat." "Das wissen wir, Pater. Ihre Hilfe und Ihre Bestürzung zeigt das sehr deutlich. Vielen Dank." Jason nickte als Zeichen seiner Dankbarkeit. Der Priester erhob sich. "Beeilen wir uns." Das Gemeindehaus war ein großer Komplex mit verschiedenen Sälen und kleineren Räumen, die durch Flure verbunden waren. Ein Altbau, nicht sonderlich schön, aber für eine kleine Gemeinde sicherlich ausreichend. Ein Park mit hoch gewachsenen, alten Eichen und wunderschönen Blumenbeeten umgab das alte Backsteingebäude. Der Priester hatte Jason und Randy auf dem Weg hierher erzählt, dass Mr. Melton auch den Garten pflegte. Jason lief ein Schauer über den Rücken, wenn er sich vorstellte, dass ein Mann der so einen schönen Ort anlegen konnte, gleichzeitig zu so grausamen Taten fähig war. Er hatte sich selbst bei dem Gedanken erwischt, dass diese Blumen vielleicht auf heimlichen Gräbern von Meltons Opfern blühten, aber da man die Leichen bisher immer gefunden hatte, musste er nicht davon ausgehen. Zumal ihn die Vorstellung, Chris könne vielleicht schon unter einem dieser Beete liegen, zutiefst erschreckte. Das Gemeindehaus lag in der Dämmerung dunkel und verlassen da. Der Priester war am Eingang zurück geblieben, für den Fall das Melton von dort kam wollte er ihn ablenken. Jason konnte nicht anders als den Mut des Paters zu bewundern. Da sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatten, würde es vielleicht leichter werden, den Mann zu überwältigen. Obwohl er von dem Phantombild aus nicht wirklich gefährlich ausgesehen hatte, aber so etwas konnte täuschen. Sämtliche Räume des Erdgeschosses waren leer und still. "Gibt es hier noch andere Etagen?" fragte Jason, als sie wieder bei dem Priester ankamen. "Ja. Einen Keller und den Dachboden. Sie erreichen beides über diese Tür dort drüben." Er deutete auf eine Tür direkt neben dem Eingang auf der "Zutritt verboten" stand. "Du den Dachboden, ich den Keller!" bestimmte Randy und Jason nickte zustimmend. Ihre Dienstwaffen im Anschlag trennten sich die Partner, während Jason die Treppe hinter der Tür hinauf stieg, folgte Randy den Steinstufen, die in den alten Gewölbekeller hinabführten. Chris hatte die Befürchtung, dass ihm langsam aber sicher der Gesprächsstoff ausging. Marcus hatte große Schmerzen und war kaum noch ansprechbar, meist nickte er nur oder schüttelte den Kopf. Es zerriss Chris beinahe das Herz, dass er nichts für ihn tun konnte. Marcus gehörte in medizinische Betreuung, er schien wesentlich schlechter mit dem Entzug klar zu kommen, als er selbst es damals getan hatte. Er war ja aber auch um einiges älter gewesen. Und über allem hing die Angst, dass jederzeit dieser Kerl hereinkommen und sie töten könnte. "Tut...weh..." stammelte Marcus. "Ich weiß, mein Schatz, ich weiß..." Chris konnte nicht anders, als auf diese Art mit dem Jungen zu reden. Er kannte ihn erst seit wenigen Stunden, aber er fühlte sich mittlerweile verantwortlich für ihn, beinahe wie ein großer Bruder. "Ich bin bei dir, alles wird gut..." "Ver... versprich...st du... das?" "Ich verspreche es dir!" Plötzlich knackte es an der Tür und Chris hörte, wie draußen ein schwerer Riegel zur Seite geschoben wurde. Sein Herz begann zu rasen. Die Panik pumpte Adrenalin durch seinen Körper und sorgte dafür, dass er nicht einmal zitterte, als er sich erhob und sich schützend vor Marcus stellte. Der Junge wimmerte. Chris war sich im klaren, dass er nicht viel ausrichten konnte, aber er würde diesem Schwein Marcus nicht ohne weiteres überlassen. Wenn er unterging, dann als Mann, so pathetisch der Gedanke auch war. Die Metalltür schwang knarrend auf und Chris stürmte los. Er stürzte sich auf den vermeintlichen Angreifer, doch noch bevor er ihn erreichte, rannte er mit voller Wucht gegen eine ausgestreckte Hand und fiel rückwärts zu Boden. Erschrocken blickte er auf und erkannte, wen er da beinahe angegriffen hätte. "So erfreut mich zu sehen, Mr. Fairgate?" "Detective Forbes!" "Wie er leibt und lebt. Gut zu sehen, dass Sie noch leben, das wird besonders Jason sehr freuen!" "Ist er hier?" Chris konnte es nicht fassen. Randy nickte. "Ja, aber alles andere später. Kommen Sie, ich bringe Sie hier raus." Chris fühlte, wie ein gigantischer Stein von seinem Herzen fiel, so groß, dass er schon beinahe erwartete, den Aufschlag zu hören. "Einen Moment!" Er wandte sich um und ging neben Marcus in die Knie. "Hast du gehört? Wir sind gerettet, die Polizei ist da!" "Dein... Fr...eund?" "Nicht ganz!" lächelte Chris. "Aber immerhin." Randy trat neben ihn. "Was ist mit dem Jungen?" Chris blickte zu ihm auf. "Er ist schon seit ein oder zwei Tagen hier, keine Ahnung warum der Kerl ihn hier eingesperrt hat. Vielleicht wollte er erst einmal kein Aufsehen erregen. Marcus ist heroinabhängig und hat schlimme Entzugserscheinungen, er muss in ein Krankenhaus!" Auf Randys Gesicht erschien ein Ausdruck ehrlicher Bestürzung. "Dann sollten wir uns beeilen. Jason wartet sicher schon oben. Geht es oder soll ich helfen?" Chris legte Marcus' Arm um seine Schultern. "Es geht, er ist nicht zu schwer. Außerdem müssen Sie doch Ihre Waffe führen, Detective." grinst er. Die neue Hoffnung brachte auch die Schlagfertigkeit wieder zurück. "Auch wieder wahr. Kommen Sie, wir..." Weiter kam Randy nicht. Denn als er sich in diesem Moment umdrehte, blickte er direkt in die Augen der maskierten Gestalt, die unbemerkt von Chris und ihm während ihres Gesprächs den Raum betreten hatte. Der Mann trug eine Skimaske, die in Anbetracht der Situation eher wie eine Henkersmaske wirkte. Er war wesentlich kleiner als Randy, aber der Körper unter der schwarzen Kleidung war drahtig und trainiert. Er hatte sich vollkommen lautlos bewegt. Der Polizist und der maskierte Mann sahen sich an. Randy öffnete den Mund, doch kein Laut kam über seine Lippen. Nur ein dünner Strom aus Blut trat aus seinem Mundwinkel. Als er zusammenbrach, glitt die Klinge des Jagdmessers in der Hand des Mannes mit einem so widerlichen Laut aus dem Bauch des Polizisten, dass Chris sich sicher war, dieses Geräusch nie wieder im Leben vergessen zu können. Wie ein gefällter Baum brach Randy an der Stelle zusammen, an der er gestanden hatte. Sein Hemd färbte sich von seinem Bauch aus immer stärker rot. Er lebte noch und rang röchelnd nach Atem. Chris wich erschrocken zurück und zog Marcus mit sich. Doch schon nach wenigen Schritten stoppte die Wand seine Flucht. Marcus fing an zu weinen und klammerte sich an ihn, während Chris' Gehirn, vom Adrenalin aufgepeitscht, fieberhaft nach einem Fluchtweg suchte. Aber es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Jeder Weg führte sie zu nahe an dem Monster vorbei, das sich langsam und siegessicher, mit der blutverschmierten Klinge näherte. Immer noch hatte der Mann kein einziges Wort gesprochen. Mit Marcus würde ihm eine Flucht niemals gelingen und den Jungen zurückzulassen, das war absolut keine Alternative. "Wissen Sie, was Sie da getan haben? Er ist Polizist! Sie kommen hier niemals raus! Geben Sie auf! Bitte!" Seine Stimme sollte sicher klingen, doch über das rauschende Blut in seinen Ohren hörte er sich nur flehen. Die Panik wich Todesangst. Plötzlich schien der Raum zu explodieren. In der Enge des Kellers wurde der unerwartete Knall hundertfach verstärkt. Marcus schrie auf und presste sich noch enger an Chris, der die Augen nicht von dem Angreifer nehmen konnte. Der Mann blieb noch ein oder zwei Sekunden lang stehen, dann sackte er zusammen. Ohne einen Ton. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug war er tot. In der Tür des Kellers stand Jason, den gerade abgefeuerten Revolver noch in Schussposition. Chris Herz machte einen Sprung, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Er war gerettet. Marcus und er würden leben. Sanft ließ er den Jungen zu Boden gleiten. "Ich bin gleich wieder bei dir. Jetzt wird alles gut." Es war ihm klar, dass es egoistisch war, Marcus jetzt quasi sich selbst zu überlassen, aber er konnte nicht anders. Als er sich wieder erhob war Jason bereits in den Raum getreten und kniete neben Randy nieder. "Halt durch, Randy, halt durch." Der Priester erschien in der Tür und sah schockiert auf die sich ihm bietende Szenerie. Doch Jason ließ ihm keine Zeit dazu. Er griff in seine Tasche und warf dem Mann sein Handy zu, welches dieser überrascht auffing. "Rufen Sie einen Krankenwagen, aber schnell! Es geht um Leben und Tod!" Zum Glück schaltete der Priester sofort, nickte und verließ eilig den Keller Richtung Treppe. Randy war bei Bewusstsein, wohl durch das Adrenalin, das sein Körper in Massen ausschüttete. Er presste die Hand auf die Wunde, als könne er damit die Blutung stoppen. "Du hast es geschafft... Jungchen... ich hab... nicht auf...gepasst..." "Alles wird gut, Randy. Glaub mir! Bald kommt Hilfe." "Jason?" Chris war neben ihn getreten. Der junge Polizist blickte zu dem blonden Mann auf und erhob sich. Sie standen sich gegenüber, endlich wieder. Für einen endlosen Moment sahen sie sich an, dann holte Jason aus und verpasste Chris mit voller Wucht eine Ohrfeige. So heftig, dass dieser beinahe nach hinten gefallen wäre. "Ich hoffe, du bist zufrieden mit dem was du angerichtet hast! Nur weil du Idiot weglaufen musstest!" Chris hielt sich erschrocken die Wange. Der Schmerz pochte darin, aber viel schlimmer war der Schmerz in seinem Herzen, als er in Jasons Augen blickte. Die Wut darin tat unbeschreiblich weh. Die Lichter des Krankenwagens tauchten die Kirche in flackerndes, blaues Licht. Überall wimmelte es von Polizisten. Das Gelände wurde durchsucht, sämtliche Beweise, besonders die vielen Fotos, konfisziert, die Leiche des Mannes, den Jason erschossen hatte, abtransportiert. Jason bekam das alles nur entfernt mit. Er beobachtete, wie man Randy auf der Trage in Richtung des Krankenwagens rollte. Sein Partner war festgeschnürt und eine Decke verbarg die Verbände um seinen Bauch. Er hatte schon eine Menge Blut verloren, ein Sanitäter lief mit einer Blutkonserve in der Hand, die über eine Kanüle mit Randys Arm verbunden war, neben der Trage her. Jason stand mit Claire neben dem Krankenwagen, Marcus war bereits drin, Chris saß in einem Streifenwagen ein Stück entfernt und sah zu ihnen hinüber. Er war bereits untersucht worden, die Verletzung am Kopf war nur oberflächlich und musste nicht behandelt werden, allerdings bestanden die Ärzte darauf, dass er sich auf eine Gehirnerschütterung hin untersuchen ließ. Jason vermied es, in seine Richtung zu blicken. Bevor die Trage in den Wagen gebracht wurde, hob Randy schwach den Kopf. "Einen Moment noch...Jason?" "Ja?" "Kommst du... mit ins Krankenhaus?" Das Reden fiel ihm offenbar schwer. "Na klar, ich bleib bei dir, Partner." "Danke... ich... ich möchte dich ... um was bitten... wenn ich... wenn ich nicht mehr... aufwachen sollte..." hustete Randy. "Sag so etwas nicht!" "Lass... mich... ausreden...wenn ich... wenn ich nicht mehr... aufwache... möchte ich... dass du meiner Tochter... sagst... das ihr Daddy sie... liebt... mehr als... alles auf der Welt... versprich mir das..." Jason spürte, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen, aber er schämte sich nicht. "Das wirst du ihr selbst sagen." "Versprich... es...mir..." "Versprochen." Jason nickte. "Und... Sie... Agent Wentworth... gehen mit mir aus.... wenn ich rauskomme... oder?" Er grinste schwach. Claire lächelte. "Wenn das für Sie ein Grund ist schnell gesund zu werden, werde ich das auf jeden Fall tun!" Als die Sanitäter die Trage in den Wagen hoben, formte Randy eine Faust und streckte den Daumen hoch. "Mich... haut... das schon nicht... um..." Dann wurden die Türen geschlossen und der Wagen preschte mit Sirene und Blaulicht in die Nacht. Jason und Claire sahen ihm nach. Der junge Polizist wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ich werde zum Department fahren und den Papierkram erledigen, ich komme dann später zum Krankenhaus. Fahren Sie ruhig vor." Claire berührte Jason sanft an der Schulter. "Und reden Sie mit ihm. Er sieht die ganze Zeit hier herüber und sein Gesichtsausdruck ist unerträglich." Damit ging auch sie und Jason blieb allein zurück. Er atmete tief durch und drehte sich um. Chris Kopf ruckte herum, er wollte vermeiden, dass Jason merkte, dass er ihn die ganze Zeit angesehen hatte. Jason ging zum Wagen hinüber und öffnete die Tür hinter der Chris saß. "Darf ich?" Chris verschränkte die Arme und rutschte auf den Sitz daneben. Jason stieg ein und zog die Tür hinter sich zu. Augenblicklich wurde der Lärm leiser . Jason atmete hörbar aus. "Tut es noch weh...?" Chris schüttelte den Kopf. Auf seiner Wange zeichnete sich ein deutlicher blauer Fleck ab, er war noch rot, aber das Hämatom würde sich bald blau färben. "Was wirst du sagen, wer dich geschlagen hat?" "Die Wahrheit... das dieser Kerl mich verprügelt hat, als ich Marcus helfen wollte..." "Du musst nicht lügen..." "Das überlass mir, ja?" Er blickte aus dem Seitenfenster auf die Kirche hinaus. "Es tut mir leid..." Jasons Stimme versagte kurz. "Ehrlich... ich wollte dich nicht schlagen... es war Randys Anblick, die Wut... und ich... ich wusste das so etwas in meinen Beruf jederzeit passieren kann... aber in all den Jahren bei der Polizei hab ich noch nie... einen Menschen töten müssen... egal was für ein Monster er war... es war kein gutes Gefühl..." Chris drehte sich zu Jason um und sah, wie eine Träne im Schein der Blaulichter funkelte. Plötzlich konnte er nicht anders als zu Jason rüber rücken und sich an ihn zu lehnen. Der junge Polizist blickte ihn kurz überrascht an, dann zog er ihn an sich und schloss ihn in die Arme. "Ich hatte solche Angst um dich..." schluchzte er und vergrub sein Gesicht in Chris' Haaren. Er presste den blonden Mann an sich, als wolle er ihn nie wieder loslassen. Chris ließ seine Hände beruhigend über Jasons zitternden Rücken gleiten. "Warum bist du weggelaufen...?" "Es tut mir leid..." Auch Chris kamen die Tränen. Es war beiden egal, ob einer der draußen herumeilenden Polizisten sie sah oder nicht. "Mach so etwas nie wieder... versprich mir das..." "Ich verspreche es dir. Es tut mir so leid..." In diesem Moment wurde die Fahrertür geöffnet. Jim Mayer, der junge Deputy, steckte den Kopf hinein. Jason und Chris ließen sich abrupt los, doch zu langsam als das die Situation nicht längst eindeutig gewesen wäre. Jim lief rot an. "Ich... es tut mir leid..." Jason winkte so cool wie möglich ab, obwohl seine Wangen glühten. "Ist schon okay..." "Ich soll Sie zum Krankenhaus fahren. Kommt Ihr..." er brach ab und suchte scheinbar nach einem Wort das er verwenden konnte. "Mein Freund kommt mit, er kann später eine Aussage machen." Jason nahm seinen ganzen Mut zusammen und griff nach Chris' Hand. Chris sah ihn überrascht an, sagte aber nichts. "Okay, ich fahre Sie dann. Ach... Detective... ich wollte nur sagen... ich finde es ist egal, ob Sie nun schwul sind oder nicht... das sagt doch nichts über Sie aus... Detective Forbes hatte da vollkommen recht." Beim Anblick von Chris Gesichtsausdruck hätte Jason beinahe laut losgelacht, wenn die Situation nicht so bedrückend gewesen wäre. Deputy Mayer ließ sich auf den Fahrersitz gleiten, schaltete die Sirene an und fuhr los. Fahren war vielleicht das falsche Wort, er raste eher los wie die sprichwörtliche besengte Sau. Chris' sanfte Berührung von Jasons Hand wurde plötzlich ziemlich heftig, als er sich erschrocken verkrampfte. "Nimm den Fuß vom Gas, du Rennfahrer!" rief Jason. "Wir wollten in einem Stück im Krankenhaus ankommen, so eilig ist es nun auch wieder nicht!" "Sorry!" Jim wurde schon wieder rot, aber er bremste den Wagen merklich ab. Chris entspannte sich wieder. Während sie durch die Straßen von San Francisco in Richtung des Memorial Krankenhauses fuhren, lehnte Chris ganz nebenbei den Kopf zu Jason hinüber. "Hab ich mich verhört oder hat er vorhin gesagt, dass dein Partner recht hätte, dass es egal sei ob du schwul bist oder nicht? War ich so lange weg? Wurde er von Außerirdischen entführt und umgepolt?" Jetzt lachte Jason wirklich, verzichtete aber darauf, dem Verlangen nachzugeben und Chris zu küssen, er hatte keine Lust darauf, dass Jim vielleicht vor Schreck das Auto gegen den nächsten Baum setzte. "Ich erzähl dir das alles, ist eine lange Geschichte. Vielleicht das einzig positive an der ganzen Sache..." Chris setzte den kleinen Teddybären, den er im Geschenkshop gekauft hatte, in Marcus' Arm. "Der passt auf dich auf, wenn ich nicht da bin." "Danke..." Marcus war ein wenig weg getreten. Er hatte ein Beruhigungsmittel bekommen, damit er besser schlafen konnte. Chris strich ihm sanft über die Stirn. Jason stand hinter ihm und beobachtete die Szene. Er sorgte sich immer noch um Randy, aber was er hier sah, rührte ihn. Er hatte Chris noch nie so fürsorglich gesehen, so besorgt und liebevoll als läge dort sein eigener Sohn. Er lächelte als Marcus ihn ansah. "Ist... ist das jetzt dein Freund?" Chris blickte zu Jason hinüber. "Ja, das ist er." "Er sieht... wirklich gut aus." "Ja, das tut er." "Hab ich da was verpasst?" "Du musst nicht alles wissen, mein Süßer, das ist ein Gespräch unter uns Männern, nicht wahr, Marcus?" grinste Chris. "Genau... Was passiert... jetzt?" "Du schläfst erst einmal, dann sehen wir weiter. Ich bleibe hier, versprochen. Wenn du aufwachst, bin ich da. Ich passe auf, dass dir nichts passiert." "Danke..." Marcus schloss die Augen, als Chris ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. "Schlaf gut..." Er drehte das Licht herunter und verließ mit Jason das Zimmer. Als die Tür ins Schloss fiel, nahm Jason Chris auf dem Flur in den Arm. "Du bist wundervoll, weißt du das? Aber lass ihn nicht zu nah an dich ran. Ich will nicht das du leidest. Claire lässt seine Eltern verständigen und selbst wenn sich herausstellen sollte, dass er nicht mehr nach Hause kann, ist er ein Fall fürs Jugendamt. Das ist dir klar, oder?" Chris seufzte. "Ich weiß..." "Ich liebe dich, dafür dass du so bist, weißt du das?" "Ich liebe dich auch... Gibt es etwas neues von Randy?" Jason löste sich von ihm und schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit des Krankenhausparks hinaus. "Nein... nichts... er ist noch im OP. Die Ärzte können mir immer noch nichts sagen. Ich hab Angst, dass das etwas schlechtes bedeutet." "Gib die Hoffnung nicht so schnell auf. Er ist doch zäh, oder nicht? Er kommt sicher durch." Die Beiden gingen den Gang entlang in den großen Warteraum. Der Raum war hell und freundlich, hinter Glaswänden auf der Rückseite standen blühende Pflanzen um einen kleinen Teich mit einem Springbrunnen herum, dahinter führte ein Weg entlang in den Park des Krankenhauses, warme Lichter erleichterten die Orientierung in der Dunkelheit. Auf mehreren Tischen lagen Zeitschriften. Die gepolsterten Stühle waren unbesetzt, es war ruhig an diesem Abend. Chris ließ sich auf einen Stuhl sinken und streckte die Beine aus. Jason ging nervös auf und ab. In diesem Moment betrat Claire den Raum. Die Agentin sah müde aus. Sie hob grüßend die Hand. "Gibt es etwas neues?" "Nein..." antwortete Chris an Jasons Stelle. "Ich habe dafür Neuigkeiten. Unser Mann heißt oder besser hieß Donald Quinn. Zweiundvierzig Jahre alt, geboren in Cabbot Cove, einem kleinen Dörfchen an der Küste von Maine. Er ist der Polizei dort bekannt, er hat in seiner Heimatstadt als Prediger gearbeitet bis er eines Tages verschwand. Er wurde dort nie wieder gesehen. Allerdings hatte er einen fragwürdigen Ruf, weil er in seinen Predigten immer wieder aufs heftigste die Homosexualität verfluchte, sie als größte Sünde der Menschheit betitelte und den Homosexuellen die Verbreitung von AIDS zur Last legte." Jason ballte die Fäuste. "Das ist doch eigentlich nichts besonderes... genug Leute denken, dass Homos ", er sprach das Wort voller Sarkasmus aus, "der Auslöser für AIDS sind. So etwas hört man sogar von Leuten der Kirche." Claire nickte. "Leider wahr, aber nicht jeder der so etwas sagt ruft auch zum systematischen Beseitigen von Homosexuellen auf." "Bitte?" Chris sah sie verständnislos an. "Das kann doch nicht Ihr Ernst sein." "Mein voller Ernst, so erschreckend das klingt. Donald Quinn stammt aus einer zerrütteten Familie. Seine Vater ist als er noch jung war mit einem Mann durchgebrannt und hat die Mutter mit Quinn allein gelassen. Seine Mutter muss ihm von frühster Jugend Hass auf Homosexualität eingeimpft haben. Ich weiß das vom Polizeichef von Cabbot Cove, der war sehr geschwätzig am Telefon. Als ihm verboten wurde, solche Reden zu schwingen, verschwand Quinn schließlich spurlos. Was danach geschah, wissen wir ja. Er lebte seinen Hass auf Schwule auf die widerlichste Weise aus, die man sich vorstellen kann. Man hat in seinem Keller dort in dem Gemeindehaus Fotos von fast fünfzig verschiedenen Männern gefunden. Viele von denen sind uns überhaupt nicht bekannt, da er seine Morde ja immer im Strichermilieu begangen hat, die Dunkelziffer war größer als wir es uns vorgestellt haben. Ich muss Ihnen gratulieren, Jason, Sie haben da einem der größten Serienmörder Ding fest gemacht, den die Polizei seit Jahrzehnten erlebt hat. Es ist mir unbegreiflich, wie er es geschafft hat, so lange dem Zugriff des Gesetzes zu entkommen bis das FBI überhaupt auf ihn aufmerksam wurde. Er hat das vermutlich auf eine pervers geschickte Weise gemacht. Er bewegte sich unter diversen Namen stets in kleinen Gemeinden und fiel wohl nur durch seine Frömmigkeit auf. Wenn er merkte, dass es zu brisant wurde, verließ er die Stadt. Wir haben ihn sicher nur erwischt, weil er seine Spuren verwischen, also Mr. Fairgate beseitigen wollte. Dadurch wurde er unvorsichtig und hat beim Kampf mit Ihnen den Zettel der Kirche verloren, der Sie auf seine Spur brachte, Jason. Wir können das alles nur mutmaßen, auch sein Motiv, wobei wir davon ausgehen, dass er die Homosexuellen als Sünder sah, die er erlöste und reinigte. Aber genau werden wir es wohl nie erfahren. Aber ganz ehrlich, Jason, wenn Sie ihn nicht hätten töten müssen, hätte ich das mit Vergnügen getan. Dieser Mann war eine Bestie." Noch nie hatte Jason soviel Zorn in Claires Augen blitzen sehen. "Und vielleicht wird Randy sein letztes Opfer..." seufzte der junge Polizist. "Wie steht es um ihn?" "Ich weiß es nicht. Er wird noch operiert..." "Was ist mit Marcus?" Chris wechselte absichtlich schnell das Thema, weil er spürte, wie sehr Jason die ständigen Fragen nach dem Befinden seines Partners mitnahmen. Claire schien das auch zu merken und ging auf den Themawechsel ein. "Man hat seine Eltern ausfindig gemacht. Sie wohnen in einem Vorort von Los Angeles, in Yorba Linda. Ich hab persönlich mit dem Vater telefoniert. Das er vor Freude nicht durchs Telefon gesprungen ist, ist auch schon alles. Er war überglücklich, dass wir seinen Jungen gefunden haben. Im Hintergrund habe ich die Mutter weinen hören vor Freude. Ich glaube, dass Marcus einen ziemlich falschen Eindruck von seinen Eltern hatte, als er weglief." "Erlauben Sie, dass ich trotzdem mit ihnen rede, wenn sie hierher kommen?" "Haben Sie Zweifel, Mr. Fairgate?" Chris schüttelte den Kopf. "Nein, nur weil meine Eltern Versager waren, müssen seine nicht genauso sein. Aber ich will dass sie wirklich wissen, was mit ihrem Sohn los ist, dass sie ihn verstehen und ihm keine Vorwürfe deswegen machen... Ich kenne Marcus erst seit ein paar Stunden, aber ich fühle mich für ihn verantwortlich. Dieser Junge ist lieb und schüchtern. Ich werde nicht zulassen, dass er das gleiche durchmachen muss wie ich. Er soll nicht so leiden..." Ein Moment des Schweigens folgte. Jason lehnte mit dem Rücken an der Glasscheibe und hatte die Arme vor dem Brustkorb verschränkt. Er lächelte Chris an. Claire ließ sich ebenfalls auf einem Sessel nieder und schlug die Beine übereinander. Auf dem Flur eilte eine Schwester vorbei. "Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen, Mr. Fairgate." "Nennen Sie mich Chris, Agent Wentworth, ich bin es nicht gewohnt die ganze Zeit so förmlich angesprochen zu werden. Ich war immer für alle nur Chris." "Wie Sie wünschen., Chris." Chris erhob sich. "Ich hole mir einen Kaffee, möchten Sie auch einen? Und du, Jason? Du siehst vollkommen übermüdet aus." "Vielen Dank, gern!" antwortete Claire und auch Jason nickte. "Danke." Chris nickte und verließ den Raum. Claire sah ihm hinterher, wie er den Flur hinab und in Richtung des Kaffeeautomaten verschwand. "Passen Sie bloß gut auf ihn auf, Jason, Sie haben an ihm etwas ganz besonderes." Jason blickte auf, er war schon wieder in Gedanken versunken gewesen. Er schien überrascht. "Kennen Sie den Film "Aladdin"?" Jason nickte. Disneyfilme waren etwas, das er schon immer geliebt hatte. Er hatte noch nie einen Disneyfilm im Kino verpasst und besaß alle auf DVD oder zumindest auf Video. Sein Vater hatte ihn schon öfter gefragt, wann er denn mal erwachsen würde, aber Jason war der Meinung, dass man sich ein Stück Kindheit immer im Herzen behalten sollte. Und außerdem war sein Vater genau der Richtige um so etwas zu sagen, war er doch ein glühender Verehrer von Daffy Duck. "Das ist einer meiner Lieblingsfilme," fuhr Claire fort, "und ganz am Anfang kommt ein Satz vor, der passender nicht sein kann. Dieser komische Händler spricht von der Wunderlampe und sagt: Wobei der Bursche, der diese Lampe hegte, viel mehr war als das wofür man ihn hielt: Ein ungeschliffener Diamant. Denken Sie mal darüber nach." Jason konnte nicht anders als ihr zuzustimmen. Chris war sein ungeschliffener Diamant. Nach außen hin etwas bockig und dickköpfig, für viele nichts weiter als ein gut aussehender Versager, der es im Leben zu nichts gebracht hatte. Aber Jason konnte dahinter sehen, Chris war weit mehr als ein hübsches Gesicht. Er war warmherzig und liebevoll und konnte wenn er wollte sehr verantwortungsbewusst sein. In diesem Moment wurde Jason klar, wie sehr er Chris eigentlich liebte. Und wie glücklich er im Grunde seines Herzens war, dass Randy und nicht Chris dort im OP um sein Leben kämpfte. Jason drehte sich um und sah in die Dunkelheit hinaus. Sein Gesicht spiegelte sich im Glas, halb erkennbar, halb in der Finsternis verschwunden. Der Gedanke den er eben gehabt hatte gefiel ihm nicht. Randys Leben war ebenso wertvoll wie das von Chris. Also schob er diese Erleichterung, die er sich eingestehen musste aber nicht wahrhaben wollte, zurück. Tief in sein Herz, in die eigene Dunkelheit, die jeder in sich trug. Er schloss die Augen und betete still für Randys Leben. Chris zuckte zusammen und schreckte aus dem Schlaf hoch, als er eine Berührung spürte. Er blickte sich um. Jason und er waren allein im Wartesaal, Claire hatte schon um Mitternacht das Krankenhaus verlassen, sie musste noch eine Menge Formalitäten erledigen, die sie Jason damit abnahm, wofür er ihr unendlich dankbar war. Es war mittlerweile weit nach Mitternacht, fast drei Uhr morgens. Er musste eingenickt sein. Die Berührung die er gefühlt hatte war eine Wolldecke gewesen, die sich über ihn gelegt hatte. Jason ließ sich gerade neben ihm auf einem Sitz nieder und lächelte ihn an. "Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken. Ich hab dir eine Decke besorgt." "Danke..." Chris rollte sich auf dem Stuhl so bequem es ging zusammen und deckte sich zu. "Gibt es etwas neues?" Jason nickte. "Es sieht ganz gut aus, soweit mir die Schwester Auskunft geben konnte. Die stellen sich hier eh an, weil ich nicht mit Randy verwandt bin. Aber er ist noch nicht über den Berg. Ich darf auch nicht zu ihm." Jason nahm eine Zeitschrift, Chris bemerkte erst jetzt, wie sehr seine Hände zitterten. Jason fiel sein Blick auf. "Kaffee..." erklärte er unaufgeforderte. "Ich schütte das Zeug schon die ganze Nacht in mich hinein. Ich will wach bleiben. Du musst auch nicht hier bleiben, ich kann einen Wagen rufen, der dich nach Hause bringt." "Nach Hause?" Jason sah von der Zeitschrift auf und blickte ihn an. "Zu mir." "Das ist aber nicht meine Wohnung." "Was nicht ist kann noch werden." lächelte Jason. "Glaube ja nicht, dass ich dich noch einmal abhauen lassen. Dazu liebe ich dich zu sehr." "Ich liebe dich auch." Chris schluckte. Er hatte einen Kloß im Hals vor Rührung über diese Worte und er wusste nicht so recht was er erwidern sollte. "Ich bleibe bei dir. Wenn es sein muss die ganze Nacht und länger. Er wird durchkommen. Ganz sicher!" Jason nickte und wandte den Blick wieder der Zeitschrift zu. Allerdings nicht schnell genug als das Chris nicht die Unsicherheit in seinen Augen hätte erkennen können. Doch er sprach seinen Freund nicht darauf an. Bald war er wieder eingeschlafen. Als Chris erneut aufwachte, wurde draußen der Himmel bereits hell. Die Dämmerung war angebrochen und so wie es aussah würde bald ein weiterer wundervoller Sommertag über San Francisco hereinbrechen. Chris gähnte. Jason stand mit dem Rücken zu ihm vor der Scheibe und sah in den Garten hinaus. Man hörte selbst hier die vielen Vögel in den Bäumen im Park zwitschern, sie begrüßten den neuen Morgen. Chris erhob und streckte sich kurz, sein Rücken hatte ihm die Nacht auf dem Stuhl übel genommen und war ein wenig verspannt. "Jason?" Sein Freund zuckte zusammen, er hatte offenbar überhaupt nicht registriert, dass Chris erwacht war. "Jason, was ist los? Was neues wegen Randy?" Jason nickte und wandte sich um. Erst jetzt erkannte Chris das er weinte. Tränen liefen über seine Wangen, die Augen waren gerötet und verquollen von einer durchwachten Nacht. Chris bekam es mit der Angst zu tun. Die Furcht vor dem, was er hören könnte, vor dem was geschehen sein könnte legte sich wie eine eiskalte Hand um sein Herz. "Jason? Was ist...?" Sein Freund antwortete zunächst nicht. Er ging einfach auf ihn zu, mit hängenden Schultern. Chris nahm ihn in den Arm. Der kräftige Körper seines Freundes zitterte, er schluchzte und drückte Chris fester an sich, als würde nur er ihm noch Halt geben können. "Randy..." Seine Stimme erstickte fast in den Tränen. "Er ist... er ist vor einer Viertelstunde gestorben..." Chris schloss die Augen, während er den vollkommen aufgelösten Polizisten an sich presste. Er wusste nichts, was er hätte sagen können. Also standen sie einfach dort im Warteraum des San Francisco Memorial Krankenhaus und Chris hielt Jason fest. Draußen ging die Sonne auf, die Nacht war zu Ende, ein neuer Tag brach an. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich erlaube mir dieses Mal ein Nachwort zu diesem Kapitel, weil ich denke, dass es nötig ist. Mit "If I die before I wake" endet die Storyline um den Serienmörder, obwohl die eigentlich Geschichte erst anfängt. Da ich aber immer mehr ein Freund des Soap-Elements und nicht des Krimis war, bin ich auch eigentlich froh darum, den Mörder los zu sein. Ich denke man merkt an diesem Kapitel, dass Krimi nicht wirklich meine Stärke ist, ich bin mir im klaren, dass die Auflösung des Mörders etwas konstruiert ist und sicher nicht das, was sich einige erhofft hatten, aber mehr sollte der Mörder nie sein, nur ein fehlgeleiteter Irrer. Ein Katalysator um die Handlung zwischen Jason und Chris in Gang zu bringen und den Polizisten zu zwingen, sich selbst zu erkennen. Das wahre Herz der Story beginnt erst jetzt. Wie wird Jason das Leben mit Chris meistern? Wie wird er damit klar kommen, dass seine Kollegen jetzt über ihn bescheid wissen? Außerdem wird David endlich zurückkehren und seinen eigenen Handlungsstrang bekommen, das hat er als meine liebste Schöpfung einfach verdient. Und ein neuer Chara, der mir besonders am Herzen liegt, steht bereits in den Startlöchern um die Lücke zu füllen, die Randy hinterlässt. Womit wir beim Thema wären: Randys Tod. Bitte, bitte, besonders an Alaska und KatoKira, hasst mich dafür nicht! Randys Schicksal war schon lange besiegelt, sein Tod schon lange beschlossene Sache. Es blieb nur ein Problem, das auch meine Quasi-Lektorin Ivy (hier: LinkyBaby) erkannte. Sie meinte damals zu mir, dass Randy niemand eine Träne nachweinen würde, so wie er ist. Und da musste ich ihr recht geben. Also erteilte ich dem großmäuligen, homophoben und etwas nervigen Polizisten eine Absolution und veränderte ihn auf die radikalste Weise die gerade noch realistisch war. Das Ergebnis hat mich umgehauen. Das er dadurch zu einem so sympathischen Charakter werden würde, hatte ich nicht erwartet. Deswegen dachte ich sogar kurz darüber nach, Randy nicht sterben zu lassen, aber wie gesagt, sein Platz in dieser Geschichte ist längst neu reserviert. Außerdem bringt es zusätzliche Dramatik, dass Jason jetzt dem Kollegen beraubt wurde, auf den er sich am meisten hätte verlassen können. Eine Schweigeminute für Randy und dann geht es weiter, aber erst im nächsten Kapitel! ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)