Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 15: Blast from the past (Part 1 of 3) --------------------------------------------- "Du siehst gut aus, Sunshine!" David führte den Strohhalm an die Lippen und nahm einen tiefen Zug von seinem White Chocolate Coffee. Er und Jason saßen bei Starbucks in der Nähe von Davids Kanzlei, der Anwalt hatte Jason morgens angerufen und sich mit ihm hier in der Mittagspause verabredet. Jason war sofort klar warum: David wollte alle Neuigkeiten erfahren und vor allem, wie sein Outing vor den Eltern gelaufen war. Er war und blieb unglaublich neugierig. Jetzt saß Jason ihm also gegenüber und knabberte an seinem Brownie. "Danke. Wo wir uns schon so lange nicht mehr gesehen haben, dass dir das aufgefallen ist, also wirklich!" "Werden wir sarkastisch?" "Nein, du?" "Jetzt erzähl schon! Wie lief es?!" "Klasse." David stellte seinen Becher ab und lehnte sich zurück. "Unfassbar, wie genau du das schilderst, mir ist als wäre ich dabei gewesen." Jason lachte. "Du Spinner!" "Jetzt raus damit! Gab es Diskussionen? Dramen?" "Wünscht du mir so etwas?" "Nein, aber ich will es trotzdem wissen." "Sie wussten es." "Bitte?!" David schaute ihn vollkommen verdutzt an und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. "Ich hab es erst nicht fertig gebracht was zu sagen und Chris war sogar bereit für mich zu lügen. Er hatte sich bereits zu einem alten Freund gemacht, der übergangsweise eine Bleibe braucht. Ich war fix und fertig. Und als er mich in der Küche getröstet hat, kam meine Mum rein. Ich bin in Erklärungen ausgebrochen oder besser wollte es und was war? Sie erklärt mir lapidar, dass sie und Dad es schon die ganze Zeit geahnt hätten. Sie haben Chris sofort in die Familie aufgenommen und heute gehen wir sogar gemeinsam in die Oper, Mum, Dad, Chris und ich." Jetzt war es an David zu lachen. "Was ist daran so lustig?" Der Anwalt kriegte sich kaum noch ein. Er lief rot an vor Lachen, so dass sich schon die ersten Gäste zu ihnen umdrehten. "Entschuldige!" japste er. "Aber ich musste daran denken, wie oft du mir erzählt hast, dass du deine Eltern nicht enttäuschen willst und sie niemals damit leben könnten und dann das! Ach ja und dann auch noch an die vielen Male, wo ich gesagt habe, dass du sicher falsch liegst und recht hatte!" "Du liebst es, recht zu haben, oder?" "Ich bin Anwalt." "Das ist immer deine Ausrede!" "Zieht ja auch immer!" grinste David. "Irgendwann nicht mehr!" "Abwarten, Sunshine. Auf jeden Fall finde ich es klasse, dass du jetzt endlich in allen Bereichen ein echter Schwuler bist. Hat ja lange genug gedauert." "Wie das klingt!" "Ist doch wahr! Die Zeiten sich zu verstecken, sind ja nun wirklich vorbei. Wir sind zwar nicht mehr in den 60ern, aber ein bisschen freie Liebe sollte doch drin sein." "Solange du nicht zum Blumenkind mutierst!" "When you're going to San Francisco, be sure to wear a flower in your hair!" fing David an zu singen. "Du hast gute Laune, was?" David grinste breit. "Merkt man das?" "Ein bisschen. Warst du eigentlich seit der Party im Mighty? Hast du was von Jeremy gehört?" David sah ihn gleichgültig an. "Wer?" Jason zog die Augenbraue hoch. David tat so, als wäre ihm just in diesem Moment wieder eingefallen, wer Jeremy war. Er winkte ab. "Ach so! Du meinst die kleine Kanalie mit den schlecht gefärbten Haaren. Nein, von dem habe ich nichts mehr gehört. Ich war seitdem auch nicht mehr im Club, hatte keine Lust." "Du bist also immer noch beleidigt!" "Ich bin nicht beleidigt! Das hab ich nicht nötig. Ich verschwende nicht einmal mehr einen Gedanken an ihn!" "Natürlich... und deswegen traust du dich auch nicht mehr ins Mighty." grinste Jason. "Ich traue mich ins Mighty!" David hob ein wenig die Stimme, scheinbar hatte Jason einen wunden Punkt getroffen. "Ist ja gut." Jason unterdrückte mit aller Kraft ein Lachen. "Hör zu, ich will nicht über diesen Idioten reden. Ich bin nicht beleidigt. Es ist mir egal, was Jeremy von mir denkt." David verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du das sagst." "Hast du die Telefonnummer von deinem Partner, ich meine die Privatnummer?" David musterte scheinbar desinteressiert die Passanten auf der Straße vor den Glasfenstern des Cafés. Der Themenwechsel kam abrupt und offensichtlich hatte David kein Interesse daran, das alte Thema wieder aufzunehmen. "Warum?" David zuckte mit den Schultern. "Ach, nur so." "Nur so?" Jason zog schon wieder die Augenbraue hoch. "Ich will ihn ficken!" "Ich glaube es nicht!" Der junge Polizist schlug sich mit der Hand auf die Stirn. "Na hör mal! Ich bin noch nicht einmal über den Blowjob hinweg gekommen, bevor mir Jeremy die Tour vermasselt hat! Hast du mal seinen Arsch gesehen?" "Nein, bisher nicht." "Glaub mir, ich hab ihn gesehen! Und ich will ihn wieder sehen. Er ist einfach geil!" "Ich kann dir doch nicht einfach seine Nummer geben!" "Du willst deinem besten Freund die Chance auf einen guten Fick verbauen?" David lächelte ihn schief an und setzte einen herzerweichenden Hundeblick auf. "Glaubst du, dein geiler Partner würde es bereuen?" Jason seufzte und sah zur Decke. "Du bist unmöglich!" Er zog sein Handy aus der Jacke und drückte auf ein paar Knöpfe, im nächsten Moment gab das Handy seines Freundes in dessen Aktentasche den Ton einer eingehenden SMS von sich. "Ich hab dir seine Nummer als Visitenkarte geschickt, speichere sie ab und dann gib Ruhe!" "Du bist mein Lebensretter!" "Eher der Retter deiner Libido!" "Das ist beinahe das Gleiche!" grinste David. Er sah auf die Uhr. "Oh, oh, meine Mittagspause ist gleich zu Ende. Ich muss los, Sunshine." Er stand auf. "Ich wünsch dir viel Spaß in der Oper!" "Vielen Dank. Und ich wünsche dir viel Spaß bei... was auch immer du mit Ash vorhast!" "Danke!" David tippte sich an die Schläfe und ging. Jason sah ihm noch einen Moment nach und schüttelte den Kopf. War David wirklich davon überzeugt, dass ihm die Sache mit Jeremy nicht nachging? Normalerweise war doch gerade er es, der jeden Zusammenhang sofort durchschaute. Und jetzt das. Es war offensichtlich, dass er immer noch daran dachte. Jason musste schmunzeln. Ihn beschlich immer stärker das Gefühl, dass da etwas zwischen Jeremy und David war, das sich dieser auf keinen Fall eingestehen wollte. Chris' Finger glitten langsam über die kühle Oberfläche des großen Spiegels am Schlafzimmerschrank. Er konnte kaum glauben, dass er es war, der ihm dort aus dem reflektierenden Material entgegen blickte. Er trug ein weißes Hemd und darüber das Jackett eines schwarzen Smokings. Wie es neuerdings Mode war, wurde sein Kragen von keiner Fliege oder Krawatte geschlossen, sondern stand ein Stück offen. Seine Haare wurden von einem ordentlichen Pferdeschwanz gebändigt. Von den polierten Lederschuhen bis zu seiner Frisur war das ein völlig neuer Chris Fairgate. So elegant hatte er noch nie ausgesehen. Durch das Fenster schien die Abendsonne hinein, bald würde es Zeit sein in die Oper aufzubrechen. Chris war noch nie in seinem Leben so glücklich und gleichzeitig so nervös gewesen. Dieser Abend war etwas Besonderes, er wollte Jasons Eltern zeigen, dass er ein Mann von Welt war... was er eigentlich nicht war. Er mochte Opern, das stimmte, auch wenn ihm Musicals lieber waren, aber trotzdem hatte er niemals gelernt, sich in feiner Gesellschaft zu bewegen. Er hatte Angst Fehler zu machen, sich zu blamieren. Jasons Eltern waren so weltgewandt, geübt auf dem Parkett der Reichen. Ganz im Gegensatz zu ihm. Jason kam aus dem Badezimmer, er war bemüht, seine Krawatte zu binden. "Ich hasse diese Dinger!" "Komm her!" lächelte Chris. "Du kannst Krawatten binden?" "Ja, auch wenn ich so gut wie nie eine trage." Er machte sich mit geschickten Fingern daran, den Knoten der Krawatte zu formen. Jason sah ihm dabei zu. "Ich hätte nie gedacht, dass es so erotisch sein kann, angezogen zu werden." "Warte ab wie erotisch es wird, wenn ich dir das wieder ausziehen. Auch wenn wir dafür jetzt keine Zeit haben. So fertig." Er trat einen Schritt zurück und bewunderte sein Werk. Jason trug ebenfalls einen Smoking, aber im Gegensatz zu dem von Chris seinen eigenen und keinen geliehenen. Schwarzer Smoking, weißes Hemd, bordeauxrote Krawatte. Er sah einfach umwerfend aus. Der dunkle Stoff betonte wunderbar Jasons schlanke Hüften und die breiten Schultern. Chris fasste sich an den Hals. "Soll ich vielleicht doch eine Krawatte tragen?" "Nein." Jason schüttelte den Kopf. "Bleib genauso so, du siehst toll aus. Das heißt bis auf..." Er griff über Chris' Schulter hinweg und bevor dieser etwas tun konnte löste er das Haarband des blonden Mannes. "Trag die Haare offen." "Jason! Das ist doch nicht elegant!" "Quatsch! Du siehst so schön aus mit offenen Haaren, tu mir den Gefallen." Er legte den Kopf zur Seite und setzte einen Blick auf, dem Chris einfach nicht widerstehen konnte. "Na gut, na gut!" Er strich Jason über die Wange. "Du bist schlecht rasiert." "Ich mache es gleich noch mal." "Gut... es muss alles perfekt sein...", seufzte Chris und musterte sich ein weiteres Mal im Spiegel. Jason stellte sich hinter ihn und sah über seine linke Schulter hinweg ebenfalls hinein, er suchte den Augenkontakt mit seinem Freund über die spiegelnde Oberfläche hinweg. Er legte seine Hand auf Chris' Schulter. "Ach ja? Muss es das?" Chris griff nach oben und berührte seine Hand. "Ja, das muss es." "Seit wann?" "Jason! Jetzt tu nicht so, als würdest du es nicht verstehen!" "Ich verstehe es aber wirklich nicht, mein Engel. Meine Eltern lieben dich!" Chris seufzte erneut. "Ja und ich will, dass das so bleibt." "Dann sei doch ganz du selbst!" "Das geht nicht, Jason! Ich bin quasi in der Gosse aufgewachsen! Ich will, dass sie sehen, dass ich kultiviert sein kann und in deine Kreise passe." "In meine Kreise? Warum tust du plötzlich so, als sei ich ein Snob? Ich bin nicht anders als du! Wir gehen schließlich nur wegen meiner Eltern in die Oper. Ansonsten sind wir doch eher Anhänger der Popkultur als der echten Kultur, oder nicht? Also, ich ziehe das Kino der Oper allemal vor." "Stimmt, aber vielleicht besuchen wir deine Eltern ja mal in New York und müssen da auf irgendeinen festlichen Anlass. Ich will nicht, dass deine Eltern denken, sie müssten sich meiner schämen." "Mein Gott, wie kommst du denn darauf?" "Hast du dir deine Eltern mal angesehen?! Sie sind perfekt!" Chris löste sich von ihm und ging zum Bett, um sich zu setzen. "Noch einmal: Wie kommst du darauf?" "Das ist offensichtlich." Jason lächelte und ging vor ihm in die Hocke, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. "Ich sag dir jetzt mal etwas: Hör auf meine Eltern auf einen Sockel zu erheben. Mein Vater trinkt Milch direkt aus der Tüte, sieht sich gern Football im Unterhemd an und genehmigt sich dabei ein Bier. Und meine Mutter schaut am liebsten Talkshows oder Seifenopern wie General Hospital und liest diese furchtbaren Groschenromane mit den Bildern auf dem Cover, auf denen eine pralle Schönheit einem muskulösen, verwegenen Mann in die Arme sinkt. Wir sind doch hier nicht im Fernsehen. Meine Eltern sind ganz normale Menschen." Chris sah ihn einen Moment lang an, dann lächelte er verlegen. "Sorry... ich übertreibe fürchterlich..." "Das ist jetzt eine Untertreibung, mein Engel." "Ich glaube, ich habe Komplexe, Jason... seit deine Mum uns gefragt hat, wo wir uns kennen gelernt haben... wir kommen aus so unterschiedlichen Welten..." "Na und? Gegensätze ziehen sich an und du tust gerade so, als wärst du ein rülpsender, dreckiger Prolet, der nicht bis drei zählen kann. Du bist klug, du bist witzig und nicht zuletzt wunderschön, was glaubst du, warum ich mich in dich verliebt habe?" "Weil ich so gut im Bett bin!" grinste Chris. "Du!" rief Jason tadelnd und machte sich zum Sprung nach vorn bereit, doch Chris hob schnell die Hände. "Auch wenn nicht alles perfekt sein muss, wag es ja nicht, dich jetzt auf mich zu stürzen!" lachte er. "Geh dich lieber rasieren." Jason setzte ein gespielt beleidigtes Gesicht auf. "Na gut..." Chris beugte sich zu ihm, um ihm ins Ohr flüstern zu können. "Und wenn du das brav machst, zeig ich dir nachher, wenn wir zurück sind, wo ich mich vorhin unter der Dusche frisch rasiert habe..." "Verlockendes Angebot..." "Das will ich meinen, also ab mit dir!" Jason gab ihm einen Kuss auf die Wange und verzog sich ins Bad. Chris nahm seinen Platz vor dem Spiegel wieder ein und kontrollierte sich ein weiteres Mal. Auch wenn Jason vollkommen recht hatte, er wollte trotzdem sein Bestes geben. Genau wie Marcus. Er zog sich nun schon zum dritten Mal um. Natürlich diskret, ohne das Jason oder Chris das mitbekamen. Er wollte ja nicht, dass jemand Verdacht schöpfte. Was er ablegte, räumte er auch gleich wieder weg. Er konnte sich einfach nicht entscheiden. Im Moment stand er in einer dunkelblauen Jeans und einem engen schwarzen Oberteil vor dem Spiegel, das überall mit einem Blumendruck in Rotnuancen bedeckt war. Ziemlich auffällig, aber er hatte sich in dieses Shirt verliebt, als seine Eltern mit ihm einen Einkaufsbummel durch Oakland gemacht hatten. Allerdings war er nicht sicher, ob es auch jetzt die richtige Wahl war. Er zuckte beim Geräusch der Türklinke zusammen, doch es war Gary, der den Raum betrat. Er sah Marcus an und lächelte. "Hey, du siehst cool aus, Marc." Es war definitiv die richtige Wahl! "Ach, das hab ich mir nur schnell übergeworfen, nichts Besonderes." Er winkte betont leger ab und freute sich innerlich wie ein Schneekönig. "Trotzdem, es sieht wirklich stark aus." Wenn du wüsstest, wie herrlich es ist, von dir Komplimente zu bekommen... "Danke!" "Aber da fehlt noch etwas." Gary ging zu seinem Nachttisch, kramte in der obersten Schublade und zog etwas hervor. Er warf es Marcus zu, der den Gegenstand reflexartig auffing. Erst dann konnte er erkennen, was es war. Das Armband, das Gary getragen hatte, als er angekommen war. Das Leder war dunkel, fast schwarz und betonte dadurch die Silberapplikationen noch besser. Es passte super zu Marcus' Outfit. "Wow, du leihst es mir?" "Behalt es." Marcus sah Gary an, als hätte er ihn nicht verstanden und tatsächlich dauerte es einen Moment, bis er die Worte wirklich begriff. "Da...das kann ich nicht annehmen, das war doch sicher teuer." "Ich hab einige in der Art, mach keine große Sache daraus. Sieh es einfach als Prämie für deinen Sieg über mich bei DoA, das ist bisher niemandem gelungen." Marcus kämpfte ein paar Sekunden lang mit der Rührung und der Horrorvorstellung wegen des Geschenks in Freudentränen auszubrechen. "Danke..." "Gern geschehen. Warte, ich helfe dir, ist manchmal schwer umzulegen." Gary kam zu ihm und band ihm das Armband um das rechte Handgelenk. Dabei berührten seine Finger Marcus' Haut und allein dieser flüchtige Körperkontakt reichte aus, um dem blonden Jungen eine wohlige Gänsehaut zu verpassen. Verträumt musterte er das Accessoire an seinem Handgelenk, als wäre es das schönste Geschenk, das er je bekommen hatte... was ja auch stimmte, denn es war von seinem Gary! Übertreib es nicht, du Idiot! Er schöpft noch Verdacht! "Es steht dir." Marcus kam nicht dazu, sich noch einmal zu bedanken, denn die Tür ging auf und Chris betrat den Raum. Für einen Moment blieb er einfach stehen und breitete präsentierend die Arme aus, offensichtlich wartete er auf eine Reaktion. Marcus konnte ihn zuerst nur anstarren und sein erster Gedanke war, dass er hoffentlich irgendwann genauso hübsch sein würde wie Chris. Der Smoking stand ihm toll. Statt etwas zu sagen, zeigt er ihm den hoch gestreckten Daumen. "Sieht echt schick aus!" bestätigte Gary. Er mochte Chris mittlerweile sehr gern, obwohl er erst nicht genau gewusst hatte, wie er mit dem blonden Mann umgehen sollte. Aber mit der Zeit hatte er gemerkt, dass Chris eine sehr angenehme Persönlichkeit war, man konnte sich gut mit ihm unterhalten. "Danke, ihr beiden. Ich komme mir vor, wie ein anderer Mensch, aber egal... ich habe die Ehre, euch die übliche Rede zu halten: Ihr könnt euch was zu essen machen oder Pizza bestellen, Geld liegt in der Küche. Natürlich könnt ihr euch auch was Anderes als Pizza ordern, nur bitte keine Callgirls, ja?" Dabei grinste er absichtlich Marcus an, eine Geste, die seiner Tarnung zugute kommen sollte, als mache er sich besonders wegen Marcus in dieser Hinsicht Sorgen. Du bist genial, Chris! Danke! Es tat gut zu wissen, dass Chris ihn so unterstützte, auch wenn er natürlich davon ausging, dass er im Hinblick auf Gary aufgegeben hatte. "Des weiteren lasst ihr selbstverständlich die Finger von der Hausbar," fuhr Chris fort, "dreht die Musik nicht so laut, dass die Nachbarn einen Hörsturz kriegen und ach ja, bitte fackelt die Bude nicht ab, es ist immer schön, wenn es noch ein Zuhause gibt... zum nach Hause kommen!" grinste er. "Wir werden so zwischen Mitternacht und ein Uhr daheim sein, also müssen etwaige Partys bis dahin zu Ende sein." Er zwinkerte den Beiden zu. "Wehe ihr nehmt das Letzte ernst! Ich hab Jason von der Idee der Kontrollanrufe abgebracht, weil ich der Meinung bin, dass man euch Beiden vertrauen kann, also enttäuscht mich nicht, ja?" Plötzlich hatte Marcus ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. Er hoffte, dass es Gary ebenso ging und das sich die Party damit von selbst erledigt hatte. "Gary, schau doch mal eben nach deinem Bruder. Wir haben es eilig und er ist immer noch nicht fertig." "Mach ich! Das kenne ich noch von früher!" lachte Gary und verließ das Zimmer. Als sich die Tür hinter ihm schloss, stemmte Chris die Hände in die Hüften. "Raus damit, warum hast du dich so fein gemacht?" "Hab ich gar nicht!" "Marcus..." "Na gut... na gut..." Marcus sah auf seine Füße, er wollte Chris beim Lügen nicht in die Augen sehen müssen und er musste schwindeln, so lange er nicht wusste, ob Gary nun auf die Party ging oder nicht. "Ich wollte Gary zeigen, wie gut ich aussehen kann..." Und das war noch nicht einmal komplett an der Wahrheit vorbei, also eher ein Hintertürchen denn eine Lüge. "Ich hab gedacht, du hast aufgegeben?" "Hab ich ja auch..." Es tut mir so leid... "Ich habe aufgegeben," log Marcus, "aber das heißt ja nicht, dass ich ihn nicht beeindrucken darf, oder? Vielleicht ergibt sich ja ganz von selbst etwas. Schau mal, das hat er mir geschenkt!" Er streckte Chris den Arm mit dem Schmuckstück von Gary entgehen. "Sieht toll aus." "Ja, nicht wahr?" Marcus mustere das Armband wieder mit verträumtem Blick. "Ihr plant doch nichts, oder?" Chris klang misstrauisch. "Nein, absolut nicht!" "Ich glaube dir, aber denk daran, Marcus, ich habe gesagt, dass ich mehr Freund als Erwachsener für dich sein will, aber trotz allem haben Jason und ich die Verantwortung für dich, während du hier bist. Es ist eigentlich schon nicht in Ordnung, dass wir dich allein lassen." "Chris, ich bin sechzehn!" "Eben!" grinste Chris. "Und ich habe Gary hier, der ist älter, fast erwachsen, und passt auf, dass ich keinen Mist baue. Was ich eh nicht tun würde." rechtfertige sich der blonde Junge. "Ich weiß. Tut mir leid. Ich bin etwas nervös. Komm her." Er ging ein wenig in die Hocke und nahm Marcus in den Arm. "Nicht böse sein, wenn ich mich hier wie eine Glucke aufführe, ich bin ja nicht deine Mum." "Bin nicht böse, du meinst es ja nur gut." "Genau. Also mach dir einen schönen Abend mit Gary, ja?" "Und du mit Jason, viel Spaß in der Oper." "Danke!" Chris erhob sich wieder und ging zur Tür. Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal um. "Du siehst klasse aus, das muss sogar Gary merken." Marcus wurde rot. "Danke..." "Bis nachher." "Bis dann!" Damit ging Chris und Marcus setzte sich aufs Bett, um tief auszuatmen. Er hasste sich selbst dafür, dass er Chris, der sich so um ihn kümmerte, so sehr anlog, aber er musste einfach. Schließlich ging es hier um Gary. Und Marcus hatte sich fest vorgenommen heute Nacht Gary näher zu kommen, vielleicht ihm sogar einen Kuss abzuringen, koste es was es wolle. Das musste einfach klappen! Dieses blonde Gift Holly würde ihm nicht in die Quere kommen! Auf keinen Fall! "Ein faszinierendes Bild..." Ash ließ seinen Blick über die Fotografie in Davids Wohnzimmer gleiten. Er stand neben dem Sofa in Davids Wohnung und schaute dem blonden Anwalt zu, wie er eine Champagnerflasche köpfte. "Man kann eigentlich kaum den Blick davon abwenden." Der Korken sprang mit einem Knall aus dem Flaschenhals und David füllte zwei Gläser. "Das ist der Sinn der Sache." David reichte ihm ein Glas. "Ansonsten hätte ich es dort nicht hingehängt." "Ein bisschen narzisstisch, findest du nicht?" David lachte leise. "Du redest wie Jason." "Tatsächlich?" "Ja, er hat das auch gesagt." Er stieß mit seinem Glas an das von Ash. "Auf einen schönen Abend." "Auf einen schönen Abend." David nippte an seinem Champagner und schenkte Ash ein verführerisches Lächeln. "Ich war überrascht, als du mich angerufen hast. Hast du meine Nummer von Jason?" David nickte. "Aber sei ihm nicht böse." "Durchaus nicht. Schließlich hattest du mir ja versprochen, dass es eine zweite Runde geben würde. Diesmal bleiben wir aber zu zweit, oder?" "Auf jeden Fall." "Du hast einen schönen Ausblick von hier." Ash nickte Richtung Fenster. Draußen war es dunkel geworden. David hatte Ash noch in der Mittagspause angerufen und ihn gefragt, ob er abends Zeit hätte. Der Polizist hatte sofort eingewilligt, David in seiner Wohnung zu besuchen. "Danke." Ash kratzte sich am Kinn. "Meinst du, ich habe jetzt genug höfliche Floskeln von mir gegeben?" "Ich denke schon!" David stellte sein Glas ab. Ash tat es ihm nach. In der nächsten Sekunde stieß er hart mit dem Rücken an die Wand, David presste seine Lippen auf die des jungen Polizisten und verwickelte ihn in einen wilden Kuss. "Du gehst aber ran!" "Stört dich das?" David zerrte Ashs Shirt aus der Hose. "Keineswegs, ab und an hat die harte Gangart ihren Reiz!" "Du bist aber ein böse Junge!" "Du etwa nicht?" grinste Ash. Mit diesen Worten drückte er David an den Schultern nach unten, in Richtung seines Schrittes. "Und jetzt mach da weiter, wo du beim letzten Mal aufgehört hast." David zog Ashs Reißverschluss auf und schob die Hand hinein. Ashs Blick wanderte zu dem Aktportrait an der Wand. Ihm entfuhr ein Stöhnen... "Das sieht doch viel versprechend aus." Das konnte Marcus nun gar nicht behaupten. Nicht nur, dass er sich immer noch unwohl wegen der Party fühlte, nein, offensichtlich hatte Chris' Rede auch nur bei ihm ein schlechtes Gewissen ausgelöst, denn Gary hatte keinerlei Anstalten gemacht die Party sausen zu lassen. Im Gegenteil. So gut wie heute hatte er die ganze Zeit noch nicht ausgesehen. Eine enge Bluejeans, ein schwarzes Muscleshirt und darüber ein offenes, tailliertes Hemd in modischem Orange. Er sah einfach cool aus, besonders da das Shirt und die Hose seine tolle Figur zur Geltung brachten. Marcus stand etwas unsicher hinter dem brünetten Jungen in der Eingangstür eines Mittelklassehauses im Randgebiet der Innenstadt. Sie hatten ein ganzes Stück mit dem Bus fahren müssen um das Haus zu erreichen. Das war allerdings wieder von Vorteil, so konnten sie wenigstens nicht so lange bleiben. Marcus ließ den Blick schweifen. Das war so eine Art Party, auf die er gern eingeladen worden wäre, bevor er die Schule geschmissen hatte. Aber da war er nie cool genug gewesen. Bist du ja auch heute nicht, du bist nur das Anhängsel des coolen Typs... Überall tummelten sich spindeldürre, stark geschminkte Mädchen und schlanke bis muskulöse Jungs. Eine Party wie aus einer Clearasil Werbung... oder doch eher wie die für Barcadi, nur mit jüngeren Darstellern. Die Musik war ziemlich laut, aber da es hier eine Wohngegend war, konnte man sich zumindest mit gehobener Stimme noch unterhalten. Er war versucht, Gary zu bitten, doch gleich wieder gehen zu können, doch da war es schon zu spät. Mit einem freudigen "Hallo!" auf den Lippen kam Marcus ebenfalls blonder Erznemesis durch die Schar der Teenager gestürmt. Sie sah wieder einmal toll aus, wie Marcus zugeben musste. Wieder eine knallenge Röhrenjeans, die auf ihren schmalen Hüften saß, ein bauchfreies, glitzerndes Top und sie war, im Gegensatz zu einigen dieser Tuschkästen hier, sehr dezent geschminkt. Ein sehr hübsches Mädchen, so hübsch, dass Marcus plötzlich das dringende Bedürfnis spürte, ihr die Haare auszureißen. "Hi Marcus! Hi Gary!" Marcus zuckte zusammen. Hatten sie ihn wirklich zuerst begrüßt? Und das in einem furchtbar netten Ton. Die wollte sich doch eh nur einschleimen...Miststück! "Hi, Holly." "Es ist so schön, dass ihr kommen konntet." "Wir können leider nicht allzu lang bleiben. Wie soll ich sagen... wir sind eigentlich gar nicht hier, sondern bei meinem Bruder Zuhause, zumindest denken meine Eltern das." Sie lachte. "Ihr seid niedlich. Na dann wollen wir die Zeit, die wir haben nutzen. Magst du tanzen?" Sie streckte Gary ihre Hand entgegen. Nicht anfassen! Wer weiß wo sie die schon hatte! Die wäscht sicher nie ihre Krallen! Leider hörte Gary nicht auf ihn. Er lächelte und nahm die Hand des Mädchens. "Gern! Darauf habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut!" Okay, ich kann mich aufhängen... oder vielleicht doch lieber Schlaftabletten? Pulsadern aufschneiden... oder ich schau, ob ich mich hier besaufen kann... das reicht auch... "Für dich finden wir sicher auch jemanden." Marcus schaute sie für einen Moment an, als sei sie völlig verblödet, bis er realisierte, was sie meinte. "Äh... nein, danke! Ich hab zwei linke ....äh... Füße..." Er hatte wirklich Besseres zu tun, als sich von Ms. Tausendschön verkuppeln zu lassen. Nur was? "Ich...ähm... schau mich einfach ein bisschen um..." "Dein Ernst?" "Ja, geh ruhig, Gary. Ich komme schon klar." "Wenn du meinst." Damit rauschten sie Richtung Tanzfläche respektive Wohnzimmer ab. Als Marcus außer Hörweite war, was bei der Musiklautstärke nicht lange dauerte, sah Holly noch einmal zu ihm zurück. "Dein Freund ist ziemlich schüchtern, kann das sein?" "Nein, eigentlich macht er gar nicht den Eindruck..." meinte Gary. "Aber seit gestern ist er so komisch. Na ja, der fängt sich sicher wieder. Ich will jetzt tanzen!" "Nicht nur du!" "Na komm schon! Das kann doch mal passieren! Nimm es dir nicht so zu Herzen!" David kommentierte diese Bemerkung von Ash mit einem Knurren. Er lag bis zum Bauch zugedeckt auf seinem Bett und sah dem blonden Polizisten zu, wie er in seine Hose stieg. Statt sich sein Shirt anzuziehen, beugte sich Ash über das Bett und legte David die Hand auf die Schulter. "Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Soll ich es noch mal versuchen?" David schnaubte genervt. "Ach, lass stecken! Wenn du es noch weiter versuchst, werde ich langsam wund..." "Aber das ist doch nichts, weswegen man in solche Stimmung verfallen müsste." Ash hob sein Oberteil vom Boden auf und zog es sich über den Kopf. "Ach nein?!" "Nein, das kann doch jedem mal passieren." Der Polizist zuckte mit den Schultern. "Ist es dir schon passiert?" "Ähm..." Er druckste herum. "Um ehrlich zu sein... nein..." "Siehst du?! Da haben wir es! So etwas darf einfach nicht passieren." "Ach, David, nur weil es mir noch nicht geschehen ist, muss das nicht heißen, dass es auch keinem Anderen passiert." "Ja, sicher passiert es Anderen! Alten Säcken und Leuten die Prozac einwerfen! Aber nicht mir! Mir ist das noch nie passiert." "Hast du momentan viel Stress?" Er zog seine Schuhe an. "Spiel jetzt hier ja nicht den Seelenklempner!" David klang gereizt. Ash stemmte die Hände in die Hüften. "Also an mir hat es sicher nicht gelegen, dass du keinen hoch gekriegt hast! Das willst du ja sicher nicht behaupten. Mir tun die Hände weh vom vielen herumrubbeln und sicher hab ich morgen Muskelkater im Kiefer!" "Dann gehst du besser um dich auszuruhen! Du weißt ja, wo die Tür ist!" "Jeez, du bist ja ungenießbar. Ruf mich an, wenn du dich wieder beruhigt hast, ja? Wir können ja mal etwas trinken gehen." "Interessant, dass du jetzt gar nicht mehr ficken willst!" "Hab ich das gesagt?!" "Klang auf jeden Fall so!" "Das ist mir echt zu blöd! Nur weil du einmal keinen hoch gekriegt hast, tust du so, als würde die Welt untergehen!" "Raus jetzt!" brüllte David plötzlich, er setzte sich abrupt im Bett auf und deutete auf die Tür. Ash schüttelte nur den Kopf. Wortlos ging er ins Wohnzimmer und wenige Sekunden später knallte die Wohnungstür hinter ihm zu. David lehnte sich wieder zurück und starrte die Decke an. Er war vollkommen durcheinander. Wie konnte ihm so etwas passieren? Er stand auf und ging ins Badezimmer. Er stellte sich unter die Dusche, drehte das Wasser auf und hielt eine Zeit lang einfach das Gesicht in den Strahl. Als er die Dusche verließ, fühlte er sich immer noch nicht besser. Nackt und nass trat er vor den Badezimmerspiegel und musterte sich. Warum er? Er war scharf auf Ash gewesen, der Kerl war die Definition von Erotik, aber nichts. Nicht einmal Halbmast, nur peinliche, furchtbare Schlaffheit. Was war nur mit ihm los? Die Party lief glänzend. Alle amüsierten sich königlich, es wurde getrunken, gelacht, gescherzt. Nur einem war nicht danach. Marcus stand neben der Wohnzimmertür an die Wand gelehnt und trank immer noch an seinem ersten Glas Cola. Eigentlich war es Pepsi und er hasste Pepsi. Er hasste das alles hier. Diese Idioten, die Musik, die Einrichtung, das ganze Haus und vor allem Holly. Er kochte innerlich vor Wut. Seit sie Gary von ihm weggezerrt hatte, hatten die beiden die Tanzfläche nicht verlassen. Schon vier oder fünf Songs lang tanzten sie durch. Im Moment lief eine langsame Nummer, eine Ballade, von der Marcus weder den Titel noch den Interpreten kannte, aber er hasste sie. Denn nur wegen dieses Songs musste er zusehen, wie sich dieses blonde Miststück an seinen Gary schmiegte. Wie sie Arm in Arm tanzten, sich langsam zum Takt der Musik wiegten. Widerlich war das! Absolut schnulzig! Wenn Gary mit ihm tanzen würde, sähe die Sache anders aus, aber so war es einfach nur zum Kotzen. Am liebsten wäre er hingegangen und hätte Holly die widerliche Pepsi in ihr widerliches, hübsches Gesicht geschüttet. Aber er stand einfach nur da und sah seinem Traummann zu, wie er mit einem gut aussehenden Mädchen tanzte und flirtete. "Warum so ein langes Gesicht?" Erstaunt blickte er sich um und schaute in das Gesicht eines etwa gleichaltrigen, lateinamerikanischen Jungen. Er stand neben ihm, ebenfalls mit einem Glas in der Hand und lächelte freundlich. Das Letzte, was Marcus jetzt wollte, war Smalltalk, aber er brachte es nicht über sich so unhöflich zu sein und den Jungen einfach zu ignorieren. "Ich hab schlechte Laune." "Das sehe ich! Ich frage ja auch warum." "Etwas aufdringlich, findest du nicht?" Der Junge trat etwas näher zu ihm und lehnte sich an die Wand. "Nein, eigentlich nicht." "Ach wirklich? Ich schon!" "Ich heiße Enrico." Marcus seufzte übertrieben. "Ich weiß zwar nicht, was es dich angeht, aber ich bin Marcus." "Schön dich kennen zu lernen." "Hatte ich eine Wahl? Na ja, gleichfalls..." Marcus musterte den Jungen neben sich aus den Augenwinkeln. Er war etwa genauso groß wie er, schlank und sah eigentlich nicht schlecht aus. Er hatte diesen typischen Charme eines Latinos, rabenschwarzes, ein wenig lockiges Haar, dunkle Augen, eine leicht gebräunte Haut. "Du stehst auf ihn, nicht wahr?" Die Frage kam so plötzlich, so völlig unerwartet, dass Marcus für einen Moment vollkommen aus dem Takt geriet. Er starrte den anderen Jungen einfach nur an und versuchte, die Information zu verarbeiten. "Bitte?!" war alles, was er über die Lippen brachte. Enrico nickte Richtung Tanzfläche. "Den Brünetten, der da mit Holly tanzt, meine ich. Du stehst auf ihn, oder?" Marcus spürte das er rot wurde. Das fehlte gerade noch. Das würde ebenso enden wie damals auf der Schule. "So ein Unsinn!" "Ach, komm schon." Enrico legte den Kopf schräg. "Du musst hier keine Show abziehen, wir stehen auf der selben Seite, Marcus. Ich kann verstehen, dass du scharf auf ihn bist, er ist süß." Marcus sah sich um. Niemand schien sich für sie Beide zu interessieren, alle waren mit sich selbst oder anderen Gästen beschäftigt. Also bestand auch keine Gefahr, dass sie belauscht wurden, hoffte er zumindest. "Willst du sagen, du bist...?" "Schwul. Du nicht?" "Ich...äh..." "Das ist offensichtlich für jemanden, der genauso tickt, mein Freund. Ich kann deinen Blick sehen, den du ihm zuwirfst. Das verrät dich. Aber er ist scheinbar nicht ganz so aufmerksam oder? Hetero?" Marcus' Blick wanderte automatisch zur Tanzfläche. Er wusste nicht genau warum, aber es tat gut zu wissen, dass dieser Enrico jemand war, der ihn verstand und zwar aus seinem Blickwinkel, nicht aus dem eines Erwachsenen. "Ja, ich fürchte schon." "Tut mir leid für dich." "Danke." "Bist du in ihn verliebt?" Marcus sah wieder Enrico an. "Du fragst auch alles einfach so heraus, oder?" "Gibt es einen Grund das nicht zu tun? Wir sind doch unter uns." "Ja, ich glaube schon." "Das du verliebt bist?" "Ja." "Er ist ein Idiot, wenn er dich abweist." Marcus musste unwillkürlich lachen. "Er weiß es ja nicht einmal! Und was sollte das bitte heißen?" "Das ich dich den ganzen Abend schon beobachtet habe. Seit du gekommen bist. Ich... ich würde dich sicher nicht abweisen. Du siehst toll aus." Als Marcus begriff was er meinte, musste er trotz des miesen Geschmacks einen großen Schluck von seinem Getränk nehmen. Er schluckte hart. "Sorry, kein Interesse." "Hebst du dich für ihn auf?" Das klang herablassend. "Vielleicht!" Marcus machte Anstalten, sich wegzudrehen und zu gehen, als Enrico ihn plötzlich am Arm fasste. "Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen." Dabei lächelte er so herzerweichend, dass Marcus es dann doch nicht mehr fertig brachte, ihn einfach stehen zu lassen. Außerdem fühlte es sich nach der Quasi-Ablehnung durch Gary sehr gut an, ein Kompliment zu bekommen. Und die Tatsache, dass dieser Junge Interesse an ihm hatte, war ja an sich schon ein Kompliment. "Schon gut." "Aber mal ehrlich, hebst du dich für ihn auf? Er hat doch kein Interesse, oder?" Marcus lächelte ihn süffisant an. "Hör mal, glaub nicht, dass ich eine Jungfrau bin, die du deflorieren kannst." Er setzte das Glas an den Mund und schaute wieder zur Tanzfläche. "Wahrscheinlich habe ich mehr Erfahrung als du..." fügte er in gleichgültigem Ton hinzu. "Das kann sein. Aber vielleicht kann ich dir ja das eine oder andere doch noch beibringen, wer weiß das schon." Marcus konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das Spiel begann ihm Spaß zu machen. Er hatte noch nie mit jemandem richtig geflirtet, nur dieses oberflächliche Getue um einen Freier zu überzeugen. "Du könntest mir nichts beibringen, ganz sicher nicht." "Wenn du das sagst." Marcus Blick wanderte wieder zu Gary. War dieser verdammte Schmusesong denn nie zu Ende? Oder war das etwa schon ein neuer? Er hatte nicht so recht hingehört. Er spürte Enricos Finger, die ganz beiläufig über seinen Arm strichen. "Komm schon, das ist ja nicht mit an zusehen, wie du dich quälst. Lass uns ein bisschen Spaß haben." "Ich weiß nicht..." "Ich hab alles, was wir brauchen." Er grinste und zog ein Kondom aus seiner Hosentasche, gerade weit genug, damit Marcus es sehen konnte. "Hier gibt es genug Zimmer, wo man ungestört sein kann. Und ich wette in spätestens einer halben Stunde verzieht sich dein Traumjunge eh mit Holly." Das versetzte Marcus einen Stich im Herzen. Und leider hatte Enrico nur allzu recht. Gary schien vollkommen fasziniert von diesem Mädchen zu sein. Er flirtete auf Teufel komm raus mit ihr. In diesem Moment beugte sich Holly zu ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Das war zuviel! "Okay, überredet! Aber wehe, du hältst nicht was du versprichst!" Marcus kochte vor Wut. Er würde es Gary schon zeigen. Er brauchte ihn nicht um Spaß zu haben und wenn ihn dieser Enrico ablenken wollte, dann sollte er doch. "Dann komm mit." Der Latino winkte Marcus, mit ihm zu kommen und gemeinsam stiegen sie unbemerkt von Gary und unbeachtet von den anderen Gästen die Treppe in den ersten Stock hinauf. Marcus versuchte verzweifelt, nicht an Gary zu denken, während er diesen ihm fast völlig unbekannten Jungen küsste. Sie lagen auf einem Bett in der ersten Etage, der Raum war nur schummerig beleuchtet. Marcus Finger suchten sich ihren Weg unter Enricos Hemd, während sie immer wieder Küsse tauschten. Enrico war kein besonders begabter Küsser. Seine Küsse waren hart, ungestüm, so als wolle er mit der Zunge Marcus' Mandeln guten Tag sagen. Aber er war wenigstens recht sexy. Obwohl sich Marcus sicher war, dass er Gary in keinerlei Hinsicht das Wasser reichen konnte. Aber er würde das hier genießen! Auf jeden Fall. Gary konnte ihm gestohlen bleiben, sollte er doch mit seiner blonden Schlampe rummachen, er wusste ja gar nicht, was ihm entging. Enrico schien zu denken, dass er in einem Porno mitspielte, so wie er sich jetzt bereits ins Zeug legte. So offensichtlich gekünstelt hatte Marcus noch nicht einmal bei seinen Freier gestöhnt. Soviel zum Thema, er könne ihm was beibringen. Während er anfing, den Hals des blonden Jungen zu liebkosen (eher abzulecken), sah Marcus zur Decke. Ich bin so erbärmlich... Hatte er sich wirklich eingebildet, dass so etwas hier ihm helfen würde, Gary zu vergessen? Ein Junge, der sich wohl für Don Juan hielt und dabei ein wirklich unbegabter Liebhaber war? Wahrscheinlich würde er bei der Art von Zärtlichkeiten sogar an Gary denken müssen, um überhaupt einen hoch zu kriegen. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und Marcus war fast froh darum, auch wenn ihn plötzlich die Panik beschlich, Gary könnte reinkommen. Er stemmte sich hoch. "Noch nie von Anklopfen gehört, wäre..." Ihm blieb der Satz im Hals stecken, beim Anblick des Mannes, der in der Tür stand. Er war Anfang zwanzig, hoch gewachsen und kräftig. Sein blondes Haar stand in einem scharfen Kontrast zu seinen kalten, grauen Augen. Er wurde von zwei bulligen Kerlen in seinem Alter flankiert, echte Schlägervisagen. Die typischen Kerle fürs Grobe. Marcus spürte, wie sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich. "Steven...." "Lange nicht gesehen, Marcus!" grinste der Andere. Marcus schaute erschrocken auf Enrico, der sich vom Bett erhob. Der Junge schien den Tränen nahe. "Es... es... tut mir... leid..." "Das war ein abgekartetes Spiel, oder?" Marcus brachte es noch nicht einmal fertig, enttäuscht zu klingen, die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Enrico nickte. "Bitte versteh mich... ich hab Schulden... ich..." "Verzieh dich!" befahl Steven in hartem Ton. "Damit hast du deine Aufgabe erfüllt. Jetzt verschwinde. Wenn du Nachschub brauchst, weißt du ja, wo du mich finden kannst." Marcus ärgerte sich, dass er Enrico nicht ausgezogen hatte, die langen Ärmel... er trug sie absichtlich, damit man die Einstiche nicht sah. Der Junge verließ mit hängenden Schultern das Zimmer. An der Tür blickte er noch einmal mit um Vergebung haschendem Gesicht zurück, doch Marcus würdigte ihn keines Blickes. Panik stieg in ihm auf, seine Augen huschten zwischen der Tür und dem Mann hin und her. "Schön dich wieder zu sehen, Marcybaby." "Du verkaufst ihm Stoff, oder?" fragte Marcus und meinte damit Enrico. Steven nickte. "Genau. Der gute Enrico hatte einen finanziellen Engpass, aber er hat sofort angeboten, alles für mich zu tun, was ich will. Guter Kunde." Er lächelte. "Im Gegensatz zu Anderen, die mit einem Berg Schulden auf Nimmerwiedersehen verschwinden..." Marcus hob abwehrend die Hände. "Steven! Lass mich das erklären! Es gibt einen Grund dafür. Ich werde alles bezahlen!" Der Dealer nickte. "Oh ja, Marcybaby," Marcus zuckte zusammen, als mit einem zischenden Geräusch die Klinge des Sprungmessers in Stevens Hand aus der Halterung schoss, "du wirst bezahlen!" ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ha! So, das ist jetzt die Rache, Kathi! Die Rache für all die fiesen Cliffhanger, mit denen du mich bei "Sirenen der Nacht" zurückgelassen hast! Nur konnte ich damals direkt weiter lesen *muahahahahaaaa* Aber allzu lang wird der nächste Teil sicher nicht auf sich warten lassen. Dieser Dreiteiler wird wohl der Abschluss der Marcus/Gary Story Arc, ich bin mir über den Schluss noch immer nicht 100% sicher, aber das kommt schon noch. ^^ Davids Storybogen kommt hier jetzt wieder langsam in Fahrt, scheint als habe der Gute gewisse Probleme. *g* Ganz findige Leser werden wahrscheinlich schon auf den Grund dafür schließen können, aber mal abwarten ^^ Ash darf hier als Gaststar auftreten, seine Zeit ist noch nicht so ganz gekommen ;-) Meine persönliche Lieblingsszene ist aber wieder die zwischen Chris und Jason, ich hoffe sie kommt so liebevoll rüber, wie sie sein soll ^^ Mein großer Dank geht diesmal an Alaska, die sich selbstlos (*gggg*) als Korrekturleserin gemeldet hat und mit dafür gesorgt hat, dass dieses Kapitel etwas sauberer ist, als die letzten ^^ *knuddels* Thx!!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)