Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 16: Wrong for each other? (Part 2 of 3) ----------------------------------------------- "Steven... bitte... ich..." "Du hast mich schwer enttäuscht, Marcus, weißt du das eigentlich?" Marcus wurde von der Panik mitgerissen. Ohne zu antworten stürmte er los. Wenn er nur schnell genug , wenn er das Überraschungsmoment ausnutzen könnte, wenn es ihm gelingen würde an Steven vorbei zu schlüpfen, wenn er es nur schaffen könnte ins Treppenhaus zu gelangen, wenn... Ein harter Griff, der ihm beinahe den Atem raubte, riss ihn brutal in die Wirklichkeit zurück. Er wurde gestoßen, verlor das Gleichgewicht und stürzte vor Steven zu Boden. Einer seiner Gorillas hatte die Flucht schnell beendet. Kaum lag er auf dem Teppich, wurde er auch schon wieder hinaufgezerrt und gegen das Bett geschleudert. Er sank zusammen. Über das Pochen seines Herzens und das rauschende Blut in seinen Ohren hinweg, hörte er, wie die Tür geschlossen wurde. Die zwei Schlägertypen bauten sich um ihn herum auf, wie auf Kommando. Zwei gut erzogene, bissige Hunde. Steven ging vor ihm in die Hocke und schob sein Kinn mit der Spitze des Messers nach oben, so dass Marcus ihm in die Augen sehen musste. "Das war dumm, das siehst du ein, oder?" "Bitte..." "Denk nicht einmal darüber nach, dass noch einmal zu versuchen, okay? Du kämst nicht weit. Und gib die Hoffnung auf, dass dich hier oben jemand hört, die Musik ist viel zu laut. Also gib dir nicht die Blöße, wie ein Mädchen zu schreien, klar?" "Ja..." presste Marcus hervor. Er hatte Angst zu atmen, während er den kühlen Stahl der Klinge an seinem Kinn fühlte. "Dann können wir uns ja jetzt unterhalten." Steven nahm das Messer weg, hielt es aber immer noch so nah an Marcus, dass sich dieser kein Bisschen beruhigen konnte. "Wie... hast du..." "Wie ich dich gefunden habe?" setzte Steven das Gestammel zusammen. "Nun, ganz einfach. Es war ein bösartiger Zufall. Wie das Leben so spielt, mein lieber Marcus. Holly ist meine Schwester. Aber natürlich hat unser blonder Engel keine Ahnung davon, dass ihr Bruder einen florierenden Nebenverdienst hat. Sie wusste nicht, was für einen Gefallen sie mir damit getan hat, dich einzuladen. Was glaubst du, wie entzückt ich war, meinen lieben, kleinen Marcus hier zu entdecken. Nach so langer Zeit. Enrico war schnell bereit, dich hier hinauf zu bringen. Netter Junge, aber keinerlei Rückrad, solche sind die besten Kunden." "Steven, ich..." "Halt die Klappe!" schnitt ihm der ältere das Wort ab. "Marcus, Marcus... du hast mir wirklich Sorgen bereitet. Wie ist es dir so ergangen?" "Das interessiert dich doch eigentlich nicht..." flüsterte Marcus. "Antworte!" brüllte ihn sein Gegenüber an, so heftig, dass der blonde Junge zusammen fuhr. "G...gut..." "So, so, gut, das ist schön! Hast wohl einen besseren Dealer gefunden und hast gedacht, du lässt den ollen Steven einfach mal links liegen, egal wieviel Geld du ihm noch schuldest, was?" "Nein... so war das nicht... meine Eltern..." "Habt ihr gehört, Jungs?" lachte Steven. "Seine Eltern! Da bin ich ja mal gespannt!" Wie auf Befehl stimmten die zwei Typen in Stevens Gelächter ein. "Ich gehe nicht mehr auf den Strich!" ereiferte sich Marcus. "Ach, nein, wirklich?" "Steven... ich tu alles was du verlangst, aber lass mich bitte gehen... du kriegst dein Geld!" flehte Marcus. "Alles was ich will?" Marcus nickte nur. Steven stellte sich hin und blickte herausfordernd auf den blonden Jungen herab. Er stemmte die Hände in die Hüften. "Blas mir einen!" forderte er ohne eine Regung in der Stimme. Marcus sah ihn erstaunt an. Von seiner Position am Boden aus sah Steven noch größer, seine Schläger noch bedrohlicher aus. Verzweifelt mühte sich Marcus' Verstand, die Geschehnisse auf die Reihe zu bringen, die Panik ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. "Und... und...dann lässt du mich... gehen...?" "Wer weiß, wer weiß. Wenn du deine Sache gut machst. Natürlich ist das nicht alles. Rick und Nathan hier haben ja auch Bedürfnisse." Marcus schaute zwischen den beiden Gorillas und Steven hin und her. "Beiden...?" "Ja, beiden!" bestätigte Steven seelenruhig. "Erst mir, dann den beiden. Und du schluckst, kapiert?" Marcus schloss die Augen und atmete tief durch. Er musste sich beruhigen, sonst würde er noch endgültig in Panik verfallen. So etwas hatte er doch schon oft gemacht. Blowjobs waren keine große Sache, auch wenn ihn in diesem Fall heftiger Ekel erfasste. Aber wenn er so heil aus dieser Situation heraus kommen konnte, war es doch der Zweck, der die Mittel heiligte. Deshalb nickte er langsam. "Okay..." "Dann mal ran, Marcybaby!" grinste Steven und drückte das Becken durch. Marcus sank auf die Knie und rutschte ein Stück an den älteren Mann heran. Seine Finger zitterten fürchterlich als er sie vorsichtig nach dem Reißverschluss der Jeans vor sich ausstreckte. Er musste an Gary denken, der sich jetzt da unten amüsierte und nichts ahnte. Der Gedanke, wieder zu ihm zu kommen, hielt ihn aufrecht. Er würde das jetzt durchziehen. Den Schlag, der ihn in diesem Augenblick traf, hatte er nicht kommen sehen. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, sein Mund füllte sich mit dem metallischen Geschmack von Blut, er hatte sich auf die Lippe gebissen. Als sein Blick wieder klar wurde, lag er erneut am Boden. Steven hatte ihn niedergeschlagen. "Du hättest das wirklich gemacht, nicht wahr? Du bist so erbärmlich, selbst wenn ich ein Homo wie du wäre, würde ich dich nicht an meinen Schwanz lassen! Ich fasse es nicht, dass du dich dermaßen angebiedert hättest! Und da sagst du, du wärst kein Stricher mehr!" "Das bin ich nicht mehr!" Marcus musste husten und spuckte ein wenig Blut. "Na klar!" Der Junge spürte Wut in sich aufsteigen. Er wusste, dass das keine gute Idee war, aber er kam nicht dagegen an. "Ich bin kein Stricher mehr! Ich hab damit aufgehört und außerdem bin ich clean! Deswegen habe ich deine verdammten Drogen nicht mehr gekauft! Und meine Eltern haben mich von hier weggeholt. Ich bin nur zu Besuch hier! Verdammt noch mal, du kriegst dein beschissenes Geld und dann lass mich in Ruhe!" Für ein paar Sekunden sah Steven ihn einfach nur an. Dann lächelte er. "Packt ihn!" Bevor Marcus reagieren konnte, hatten ihn Nathan und Rick gepackt und zerrten ihn auf die Beine. Die beiden Männer hielten ihn mit eisenhartem Griff gnadenlos fest. "Was soll das?!" "Marcus, entspann dich. Die beiden passen nur auf, dass du uns nicht verlässt. Und ich mache in der Zeit eine Spritze für dich fertig. Was meinst du, schaffen wir es, dich wieder auf den Geschmack zu bringen?" Das war's. Der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Marcus fing an zu schreien. Gary war außer Atem. So lange hatte er schon lange nicht mehr durchgetanzt. Das kühle Getränk in seinem Glas tat wahnsinnig gut. Er stürzte es herunter und lächelte Holly an. "Du machst mich fertig." "Und ich hatte erwartet, dass du mehr Kondition hast." "Das hier ist ja härter, als jedes Baseballspiel!" "Wenn du das sagst." Gary schaute sich suchend um. Lauter unbekannte Gesichter um ihn herum. Es war erst knapp eine Stunde vergangen, seit sie hierher gekommen waren. Die Party kam jetzt erst richtig in Schwung, besonders da nun offenbar Alkohol ausgeschenkt wurde, obwohl hier sicher niemand über einundzwanzig war. Was ihn aber viel mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass er niemanden im Raum kannte. "Hast du Marcus gesehen?" Holly schüttelte den Kopf. "Nein, ich hab deinen schweigsamen Freund nicht mehr gesehen, seit wir tanzen gegangen sind. Aber das ist doch egal." "Nein, ist es nicht." "Komm schon, du bist doch nicht sein Daddy." "Ich muss ihn suchen." "Gary, ich bitte dich!" Sie klang genervt. "Vergiss den Kleinen doch endlich. Oder hast du was mit ihm?" "Was soll das denn jetzt heißen?" "Weil du so ein Theater um ihn machst! Das klingt ja, als würdest du was von ihm wollen." "Du spinnst ja!" schnappte Gary. "Komm schon, ich hab dich eingeladen, weil ich dich näher kennen lernen wollte. Meinst du ich hätte so einen Bubi wie Marcus gebeten zu kommen, wenn du es nicht gewollt hättest? Vergiss ihn doch einfach." "Marcus ist kein Bubi!" Gary hatte plötzlich das Gefühl, Marcus verteidigen zu müssen. Er wusste selbst nicht genau wieso. Aber irgendwie hatte sich mit einem Mal alles verändert. Diese Holly, die er bis eben noch so nett fand, kam ihm plötzlich wie eine Zicke vor. Er mochte Marcus und er hatte nicht vor zu zulassen, dass Andere in seiner Abwesenheit über ihn herzogen. Und das sagte er ihr auch. "Hör mal, ich stehe nicht so darauf, wenn man in ihrer Abwesenheit über meine Freunde herzieht!" "Spielst du jetzt seinen Beschützer? Typen wie den kenne ich, das sind die Uncoolen, die Loser, die in einer Ecke hocken und hoffen, dass man sie bemerkt oder auch nicht. Solche Typen ignoriert man oder man verarscht sie." Sie beugte sich lasziv zu ihm vor und lächelte, was so überhaupt nicht zu der Rede passen wollte, die sie eben gehalten hatte. "Ich hatte eigentlich gedacht, du seiest cool, aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Aber vielleicht hast du ja wirklich was mit dem Schlaffi, dann solltest du vorsichtig sein, ich hab nämlich gesehen, wie er sich mit Enrico verzogen hat, während wir getanzt haben." "Wer ist denn Enrico?" "Einer von den Typen, die mein Bruder hier angekarrt hat... Langweiler." "Sag mal, ist in deinen Augen irgendjemand kein Langweiler?" Gary konnte es nicht fassen, dass er noch vor wenigen Minuten ruhig mit dieser Zicke getanzt hatte. Unglaublich wie Leute sich entpuppen konnten. "Du warst bis vor kurzem keiner, aber das muss ich wohl überdenken." "Arrogante Zicke!" rutschte es Gary heraus. "Weißt du was? Such doch einfach deinen kleinen Schlaffifreund und dann verzieh dich zu Mami und Papi! Ist hier zwar nicht meine Party, aber was mich angeht, so bist du hier eindeutig fehl am Platz!" Gary schnaubte verächtlich. "Das glaube ich auch! Schönes Leben noch!" Damit ließ er Holly einfach stehen. Er kochte vor Wut... und er wusste noch nicht einmal ganz genau warum. Er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und war nie jemand gewesen, der über Schwächere lachte, aber als Holly so über Marcus hergezogen war, war ihm einfach der Kragen geplatzt. Ohne es zu merken, hatte er sich in den letzten Tagen wohl sehr mit ihm angefreundet. Er stellte sich neben zwei Jungs, die in der Nähe des Durchgangs zum Wohnzimmer herumlungerten. Beide schienen mehr als ein Bier gekippt zu haben, ihrer Fahne nach zu urteilen. "Hey, habt ihr zufällig einen blonden Jungen gesehen? Etwa so groß." Gary hielt seine Hand neben sich auf die Höhe, auf die er Marcus schätzte. "Trägt ein ziemlich auffälliges Shirt mit roten Blumen drauf." "Jep, der ist vorhin mit Enrico nach oben gegangen..." Die Zunge des Jungen war offenbar reichlich schwer. "Enrico ist ... abgezischt. Keine Ahnung, wo der Blonde geblieben ist, Mann. Willst du ein Bier?" "Nein. Aber trotzdem Danke, Jungs!" Gary blickte die Stufen ins obere Stockwerk hinauf. Was hatte Marcus da oben mit einem anderen Jungen zu schaffen gehabt? Langsam stieg er die Treppe hoch. Die Stufen knarrten fürchterlich, müssten dringend mal nachgebessert werden. Oben war ein kurzer Flur mit vier Zimmern, kaum beleuchtet, sämtliche Türen zu. Gary konnte sich denken, was hinter den Türen abging. Auf so einer Party war das eigentlich normal. Er konnte jetzt dreist alle Türen öffnen und diverse Blow-, Handjobs und Schäferstündchen unterbrechen oder einfach warten. Das war ja fast wie bei "Geh aufs Ganze!" Was befindet sich hinter Tor Nummer 1? Marcus oder ein bumsendes Pärchen... vielleicht auch der Zonk. Und wer sagte eigentlich, dass sich Marcus und ein bumsendes Pärchen ausschloss? Vielleicht hatte Marcus ein Mädel gefunden und dieser Enrico hatte ihm nur gezeigt, wo er mit ihr ungestört... In diesem Moment ertönte ein Schrei, den man trotz der lauten Musik hören konnte, zumindest hier oben. Gary erkannte sofort, dass es Marcus war, der da schrie und das klang ganz sicher nicht lustvoll. Er hechtete zu der Tür, hinter der er die Quelle der Geräusche vermutete, und riss sie auf. Das Bild, welches sich ihm bot, war so grotesk, so unerwartet, dass er für einen Moment nur mit offenem Mund dastehen konnte. Marcus, eingekeilt zwischen zwei bulligen Typen mit wahren Schlägervisagen, um Hilfe schreiend, und ein zwielichtiger, auf den ersten Blick unsympathischer Typ, der gerade eine Spritze und eine Tüte mit Pulver aus der Tasche zog. "Na, na, wer wird denn so schreien? Du magst doch meinen Stoff!" grinste der Typ mit der Spritze gerade. "Was geht denn hier vor?!" Der Satz war nicht gerade typisch heldenhaft, zeugt eher von Begriffsstutzigkeit, aber er war ihm so heraus gerutscht. Marcus hatte seine Anwesenheit zuerst bemerkt und starrte ihn panisch an. "Gary! Lauf weg! Ruf die Polizei! Bitte!" Der zwielichtige Typ wandte sich um und fixierte Gary. "Wen haben wir denn da? Ist das dein Lover, Marcus? Hör zu, Schönling, wenn dir deine Gesundheit was wert ist, verziehst du dich! Du findest eh was Besseres als so eine miese, fixende Bordsteinschwalbe!" Marcus sackte bei seinen Worten völlig in sich zusammen, ganz so, als würde gerade die Welt für ihn untergehen, aber Gary dachte nicht darüber nach, was sie genau bedeuteten. Das war jetzt vollkommen irrelevant. Was zählte war, dass er Marcus so schnell wie möglich aus dieser Situation brachte. Er war selbst überrascht, wie cool er reagieren konnte, obwohl er insgeheim hoffte, dass keiner dieser drei Figuren eine Knarre hatte. "Lasst ihn sofort los!" "Sonst tust du was, Hübscher?! Bewirfst du uns mit Wattebällchen? Ihr Tucken seid doch allesamt Weicheier!" Der Kerl brach in johlendes Gelächter aus, offenbar unglaublich angetan von seinem eigenen Witz. Die beiden Schläger schienen ein wenig länger zu brauchen, bis die Worte in ihre Gehirne (sofern da welche waren) vordrangen, dann stimmten sie ein. "Lass ihn in Ruhe, Steven!" flehte Marcus mit weinerlicher Stimme. "Halts Maul!" Er verpasste Marcus eine Ohrfeige. "Mach das noch einmal und du kannst was erleben, ich mach dich fertig!" Zum zweiten Mal an diesem Abend platzte Gary der Kragen. "Feiges Pack! Zu dritt gegen einen Schwächeren und dann auch noch schlagen, wenn der andere sich nicht wehren kann! Feiglinge!" "Riskierst wohl eine dicke Lippe, was?" schnappte Steven. Er packte Marcus am Arm. "Rick! Nathan! Macht ihn alle!" Kaum hatte er den Befehl ausgesprochen, zerrte er Marcus in eine Ecke des Raumes. "Einen Mucks und ich mach dich fertig!" zischte er. "Hör nicht auf ihn, Marcus! Der blufft nur!" "Musst du ja wissen, mal sehen ob du gleich immer noch so eine große Klappe hast." Die beiden Schläger gingen langsam auf Gary zu, der sich spannte. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. "Na, wer will zuerst?" Einer der beiden, Rick, stürmte los. Brachial, ungebremst, ohne zu denken. Ein derart plumper Angriff konnte Gary nicht schocken. Er hatte jahrelang Karate trainiert und es mittlerweile auf den schwarzen Gürtel gebracht, da wusste man, wie man mit so einem lächerlichen Manöver umzugehen hatte. Der brünette Junge tauchte geschmeidig unter dem wuchtigen Schlag weg, bekam genau den Punkt von Rick zu fassen, den er beabsichtig hatte und hebelte den wesentlich schwereren Kerl von den Füßen. Sekunden später blieb der Schläger benommen am Boden liegen. "Der nächste bitte, ich...." Weiter kam er nicht. Nathan hatte seine Verwunderung über den gelungenen Konter schneller überwunden als erwartet und rammte Gary seine Faust in die Seite. Der Treffer war so heftig, dass er dem Jungen regelrecht die Luft aus den Lungen presste und ihn auf den Teppich schickte. "Gary!" schrie Marcus entsetzt. "Game over!" grinste Steven. Nathan stand triumphierend über Gary, doch in diesem Augenblick schlang dieser seine Beine um die des Anderen, fand sofort den Schwachpunkt in Nathans Balance und zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Nathan kippte mit einem wirklich dümmlichen Gesichtsausdruck zur Seite, konnte sich nicht mehr fangen und schlug mit dem Kopf ans Bettgestell. Gary sprang wieder auf die Füße. "Will noch jemand Nachschlag?" Das musste sein. Er fühlte sich großartig, trotz des pochenden Schmerzes in seiner Seite. Ganz wie ein Actionheld, der die Bösen ohne weiteres niedermachte. Allerdings zwang er sich, die Situation nicht allzu spaßig zu sehen, schließlich war Marcus immer noch nicht außer Gefahr. Von den beiden Schlägern drohte aber keine Bedrohung mehr, sie taten das, was Typen wie sie immer tun, wenn sie merken, dass jemand stärker ist: Sie kniffen den Schwanz ein und traten einen strategischen Rückzug an, kurz, sie hauten ab. "Bleibt hier, ihr dämlichen Idioten!" schrie Steven, sein Gesicht war knallrot vor Zorn, wie bei einer überreifen Tomate. Die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor. Als er bemerkte, dass Gary sich ihm näherte, zog er Marcus brutal vor sich und setzte ihm das Messer an den Hals. "Keinen Schritt näher, du Kampf-Schwuchtel, oder ich mache ihn kalt!" Gary blieb stehen, doch er setzte ein überlegenes Pokerface auf, obwohl ihm innerlich nicht mehr ganz so wohl war. "Du bluffst!" "Meinst du? Willst du es ausprobieren?" Marcus kämpfte gegen die Tränen an, Gary war so mutig, so stark und setzte sich für ihn ein, da durfte er sich jetzt nicht die Blöße geben. "Du bist doch ein Dealer, oder?" "Schlaues Kerlchen!" "Siehst du, wenn du Marcus jetzt tötest und das vor Zeugen, bist du kein kleines Licht mehr, kein indirekter Mörder, sondern an deinen Fingern klebt dann Blut! Und das wirst du nicht mehr los. Und nur so als Information: Mein Bruder ist bei der Polizei. Detective beim Morddezernat. Was glaubst du, wie viele Problem er dir machen könnte? Er wird dir das erbärmliche Leben zur Hölle machen!" "Jetzt bluffst du!" "Willst du es drauf ankommen lassen?" Damit hatten die beiden Kontrahenten einen klassischen Patt. Sie standen sich gegenüber, mit Marcus zwischen sich, und keiner von beiden war bereit nur einen Schritt zu weichen. "Steven, sein Bruder ist wirklich ein Cop..." "Halt die Klappe, Marcus!" herrschte Steven ihn an. "Hör lieber auf ihn, Steven. Er sagt die Wahrheit. Rühr ihn an und du wanderst auf direktem Weg in den Knast für den Rest deines Lebens. Dealen und Mord, eine gute Mischung!" Steven schien nicht genau zu wissen, wie er reagieren sollte und das merkte Gary sofort. Gotcha! dachte er. Diesen Moment des Zweifels musste er ausnutzen. "Hör zu! Du lässt Marcus gehen und kommst nie wieder in seine Nähe. Dann vergessen wir das Ganze hier." "Und was ist mit meinem Geld, hm?" Gary langte in seine Tasche, zog einen Zwanzig Dollar Schein heraus und warf ihn auf den Boden. Der Dealer musterte den Schein mit einem dermaßen blöden Blick, dass Gary beinahe gelacht hätte. "Das sind zwanzig Dollar!" "Mehr kriegst du nicht! Und jetzt lass Marcus los, ein Anruf genügt und mein Bruder ist hier." Einen unendlich langen und schrecklichen Augenblick befürchtete Gary, dass alles umsonst gewesen war. Sein Herz klopfte wie wild. Wenn Marcus etwas geschehen würde, würde er sich das niemals verzeihen können. Doch dann erlöste ihn der Dealer, indem er Marcus einen heftigen Schubs in Garys Richtung gab. Der blonde Junge stolperte in Garys Arme, der ihn schnell hinter sich schob. "Lass dich hier ja nie wieder blicken. Sei froh, dass dein Lover so ein harter Bursche ist!" Steven bemühte sich sichtlich, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn diese Niederlage wurmte. Er bückte sich doch tatsächlich nach dem Schein, bevor er sich direkt vor Gary stellte. "Viel Spaß, vielleicht holst du dir ja eine nette Geschlechtskrankheit von dem kleinen Stricher!" Garys Faust krachte in sein Gesicht. Stevens Nase knackte, Blut schoss aus den Nasenlöchern, er verdrehte die Augen, taumelte um seine eigene Achse und knallte auf den Boden. "Fuck! Das tut weh!" Gary rieb sich seine Hand. "Na ja, ihm mehr als mir!" stellte er grinsend mit einem Blick auf den ausgeknockten Dealer fest. "Gary, ich..." "Später!" Der ältere Junge nahm Marcus bei der Hand und zog ihn mit sich. "Erst einmal verschwinden wir von hier." Die Idee gefiel Marcus sehr gut. Marcus' Herz schlug wild. Nachdem sie von der Party getürmt und den ganzen Weg bis zur Bushaltestelle gerannt waren, hatten sie im Bus nicht miteinander gesprochen. Nun waren sie gerade mal anderthalb Stunden nachdem sie aufgebrochen waren schon wieder Zuhause. Das bedeutete, dass noch eine Menge Zeit blieb, bis Jason und Chris wiederkommen würden. Obwohl sie sicher nicht verfolgt wurden, schien Gary erst beruhigt, als die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel. Im Bus hatte Marcus fieberhaft überlegt, was er nun sagen konnte. Alles war dahin, jetzt hatte er so sorgsam die Wahrheit vor Gary versteckt und dann musste Steven alles kaputt machen. Jetzt konnte Gary sich an drei Fingern abzählen, dass er schwul war. Und damit nicht genug, er würde sicher auch wissen wollen, was er mit einem Dealer zu schaffen hatte und warum dieser ihn eine Bordsteinschwalbe nannte. Und gleichzeitig war er so glücklich, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Das Gefühl der Dankbarkeit, der unendlichen Dankbarkeit Gary gegenüber, war unglaublich stark. "Was für ein Abend!" "Das kannst du laut sagen... Danke... noch mal." Marcus konnte nicht mehr, es sprudelte aus ihm heraus. "Das war so cool! Cooler als jeder Dead or Alive Kampf! Du bist ein Held! Du bist mein Held! Du hast mir das Leben gerettet!" Ohne Vorwarnung umarmte er den älteren Jungen, egal was dieser dazu sagen mochte. "Aua!" ...Aua? Hat er gerade aua gesagt? "Aua? Ist das alles, was dir dazu einfällt?" Gary schob ihn von sich. "Du tust mir weh. Deswegen sagte ich aua." Mit diesen Worten zog er sein T-Shirt über den Kopf und entblößte seinen Oberkörper. Marcus sog die Luft ein, doch nicht etwa wegen der Muskeln, die er zum wiederholten Male zu Gesicht bekam, sondern wegen des großen Blutergusses an Garys Seite, dort wo ihn Nathan erwischt hatte. Die Haut hatte sich an dieser Stelle mittlerweile tiefblau gefärbt. "Shit, der hat dich voll erwischt!" Gary betastete die Verfärbung mit spitzen Fingern und verzog das Gesicht. "Ist nicht so schlimm!" stellte er fest, in einem krassen Gegensatz zu seiner Mimik. "Warte, ich hab so eine Salbe gegen Schmerzen, die kühlt, vielleicht hilft die. Meine Mutter packt mir immer solche Carepakete mit Medikamenten." Ohne auf eine Reaktion von Gary zu warten lief Marcus ins Badezimmer und kramte in seinem Kulturbeutel nach der Salbe. Als er sie endlich gefunden hatte, kehrte er zu Gary zurück, der mittlerweile auf dem Sofa im Wohnzimmer saß. "So, hier. Warte, das hilft sicher." Er ging vor dem Sofa auf die Knie und drückte sich etwas von dem Gel auf die Hand. "Darf...ich?" Gary nickte. "Tu dir keinen Zwang an." Marcus Hand zitterte leicht, als er sie nach Garys Körper ausstreckte. Das Gel war kalt und der brünette Junge zuckte kurz zusammen, ließ die Behandlung aber über sich ergehen. Vorsichtig verteilte Marcus das Gel über die blaue Stelle. Er kam dabei nicht umhin zu bemerken, dass sich Garys Brustwarzen aufgrund der Kälte verhärteten. Trotz der Situation war das Gefühl, endlich die Haut dieses Jungen zu berühren, einfach wunderschön. "Macht dich das an?" Marcus zuckte zusammen und starrte Gary erschrocken an. "W...was?" "Ob es dich anturnt, dass meine Brustwarzen hart werden, die schaust du nämlich die ganze Zeit an." Ganz so als hätte er sich an Gary verbrannt riss Marcus die Hand zurück. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Unaufhaltsam stiegen Tränen in ihm auf. Jetzt war alles vorbei, Gary wusste es und er würde nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen! "Es tut mir leid!" brachte er noch hervor, dann sprang er auf und rannte aus dem Raum. "Marc!" Gary sah ihm erschrocken nach. Beim Geräusch der sich öffnenden Tür verfluchte sich Marcus selbst, nicht abgeschlossen zu haben. Aber er war zu verstört gewesen, um daran zu denken. Er wusste genau, wer da den Raum betreten hatte, war ja nicht schwer zu erraten, aber er wagte es nicht, Gary ins Gesicht zu sehen. Der ältere Junge kam zum Bett hinüber und setzte sich neben ihn. Immer noch herrschte Schweigen. Marcus bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Gary immer noch oben ohne war. "Hättest du dir nicht etwas anziehen können?" sagte er leise. "Entschuldige, aber ich war zu perplex, dass du so schnell weggerannt bist. Ich wollte dich nicht beleidigen oder so." "Hast du nicht..." "Wirklich?" "Nein..." "Was ist es dann?" Marcus sah ihn vollkommen verständnislos an und vergaß darüber sogar, Gary nicht ins Gesicht zu schauen. "Fragst du das im Ernst?!" Gary lächelte und sah dabei wieder so bezaubernd aus wie eh und je. "Hör zu, Marc. Ich hab uns Pizza bestellt, die wird bald hier sein. Was hältst du von dem Vorschlag, dass ich mir was anziehe, wir ins Wohnzimmer gehen, die Pizza vernichten und einfach mal über alles reden?" "Was für Pizza?" "Thunfisch." lachte Gary. "Woher wusstest du, dass ich die am liebsten mag?" "Das war ein Schuss ins Blaue." "Und du willst wirklich über alles reden? Bist du dir sicher?" "Ja, keine Märchen mehr. Ich möchte alles über dich wissen." Für einen Augenblick war Marcus unschlüssig, was er erwidern sollte, doch dann entschied er sich für ein "Okay." Jetzt war eh alles egal. Eine halbe Stunde später fläzten sich die Beiden auf der Couch im Wohnzimmer. Vor ihnen auf dem Tisch zwei leere, fettige Pizzakartons, Gläser mit Cola und mehrere bisher noch unberührte Tüten Chips. Gary hatte seine Beine über die Armlehne des Sofas geschwungen und lag auf dem Rücken, mit einem Kissen unter dem Kopf. Marcus hatte sich ein Kissen von der Couch untergelegt und saß auf dem Boden, mit dem Rücken an das Möbelstück gelehnt. Er sah den Fettflecken im Pizzakarton beim Eintrocknen zu. Bisher hatten sie nur wenig geredet, mehr gegessen und obwohl er schrecklich aufgeregt war, hatte der blonde Junge seine Pizza wesentlich schneller verputzt als Gary. "Nun?" Garys Stimme klang freundlich. "Nun was? Was willst du wissen?" "Hm, vielleicht fangen wir mit den Basics an. Erstens, obwohl ich mir das zusammenreimen kann, warum hat dich dieser Steven gefragt, ob ich dein Lover wäre? Zweitens: Woher kanntest du ihn? Und drittens: Warum hat er dich eine Bordsteinschwalbe genannt?" Marcus seufzte. "Weißt du..." Er druckste herum. "Wo fang ich an....?" "Bei erstens?" Der Jüngere atmete tief ein. "Ich bin... ich bin..." "Schwul?" "Ja..." Damit war es heraus und Gary hatte die Bestätigung, dass er die ganze Zeit belogen worden war. Am liebsten hätte Marcus geheult. "Und warum sagst du mir das erst jetzt?" Bitte?! Kein Geschrei? Keine Wut? Kein "Du verlogenes Schwein, ich will dich nicht mehr sehen!"? Und meint er diese Frage wirklich ernst?! Marcus drehte sich nun doch herum, um Gary ins Gesicht sehen zu können. "Meinst du diese Frage wirklich ernst?" wiederholte er seinen letzten Gedanken. "Ja. Ich meine, wirke ich wie ein Schwulenhasser oder so, dass man die Wahrheit vor mir verbergen muss? Sogar Jason hat mich schon wieder angelogen." In seiner Stimme schwang unmissverständlich ein wenig Enttäuschung mit. "Sei deinem Bruder nicht böse, ich habe ihn darum gebeten. Ich hatte Angst, dass du mich irgendwie anders behandeln würdest... das du vielleicht Probleme damit hättest, mit mir befreundet zu sein... und das, was du in der ersten Nacht gesagt hast, hat mir dann gereicht..." "Was meinst du?" "Was schon?" Marcus legte den Kopf schräg. "Zitat Anfang, ich bin froh, dass du nicht schwul bist, Zitat Ende." "Aber das war doch gar nicht so gemeint. Ich war da gerade erst mit der Tatsache konfrontiert worden, dass mein Bruder im Nachbarzimmer sein Bett mit einem Mann teilt und da habe ich vielleicht etwas Unsinn gequatscht." "Hättest du mit mir in einem Bett geschlafen, wenn du es gewusst hättest?" Gary sah ihn verdutzt an und brauchte einen Moment, bis er antwortete. "Ja, natürlich...!" "Das hat aber gedauert!" stellte Marcus fest. "Ehrlich!" beteuerte Gary. "Na ja... etwas komisch wäre ich mir schon vorgekommen. Aber es ist doch nicht so, dass du in mich verliebt bist, oder?" Natürlich liebe ich dich, du Idiot!... sollte ich jetzt sagen. Und dann fallen wir uns in die Arme, küssen uns und er trägt mich ins Schlafzimmer... oder gleich hier auf der Couch. Natürlich müsste erst die Hölle einfrieren, damit das geschieht. "Nein, natürlich nicht!" sagte Marcus schließlich laut, "Ich mag dich sehr gern, aber ich bin nicht in dich verliebt." Nur wenn in dich verliebt sein heißt, dass mir dein Anblick den Atem raubt, ich in deinen Armen liegen möchte und das dein Desinteresse mir das Herz bricht, ja dann, dann bin ich in dich verliebt... "Na siehst du, dann besteht doch überhaupt kein Problem. Was allerdings nicht heißt, dass alle Fragen beantwortet sind." "Ich hatte gehofft, du hättest den Rest vergessen." "Na komm, so schlimm wird es nicht sein." "Ich... ich fang am besten ganz von vorne an." Marcus lehnte sich zurück und sah zur Decke. "Ich war... fünfzehn als ich merkte wie ich tickte... ich hab mich verliebt. Dan saß zwei Reihen vor mir... er sah wirklich gut aus..." Nicht so gut wie du... "und irgendwann habe ich es ihm gesagt." Gary drehte sich auf den Bauch. "Und was hat er getan?" "Er hat es allen erzählt und einen Tag später war ich das Gespött der ganzen Schule. Ich wurde beschimpft, gedemütigt, ausgelacht... ich hab das irgendwann nicht mehr ertragen. Ich habe angefangen, nicht mehr zu Schule zu gehen. Das ging natürlich nicht lange gut, meine Eltern bekamen Wind von der Sache und einmal hat mich sogar die Polizei aufgegriffen. Mum und Dad haben einen Riesenaufstand gemacht, weil ich vorher ein Musterschüler gewesen bin. Ich hab es nicht übers Herz gebracht ihnen alles zu sagen, die Erlebnisse in der Schule haben dafür gesorgt, dass ich der Meinung war, sie würden es nicht akzeptieren." "Schreckliche Situation..." "Kann man so sagen, obwohl ich sie im Rückblick nur in meinem Kopf schrecklich gemacht habe, meine Eltern hätte Verständnis gehabt... auf jeden Fall sah ich nur einen Ausweg: Ich lief von Zuhause weg. Irgendwie bin ich dann hier gelandet und habe nach einigen Wochen auf der Straße Steven getroffen. Er gab mir einen Tipp, wo ich unterkommen konnte. Eine Art Wohngemeinschaft, die in den verlassenen Gebäuden im Hafenviertel lebt. Die Jungs und Mädels dort waren alle ungefähr in meinem Alter. Einer von denen hat mit einen Weg gezeigt, mit der Realität besser umgehen zu können, respektive ihr zu entfliehen... Heroin..." "Ist das dein Ernst?" Die Bestürzung in Garys Stimme war deutlich zu hören. Plötzlich schämte sich Marcus fürchterlich vor ihm. Er war damals schwach gewesen. Willensschwach, leicht beeinflussbar und vollkommen verantwortungslos. "Ja, leider..." gab er zu, "Ich glaube, Steven hat mich absichtlich da eingeschleust, er beliefert viele von den Leuten, mit denen ich zusammen wohnte und von da aus war es eigentlich nur noch ein kleiner Schritt bis in den Teufelkreis... mein Konsum an Heroin stieg, ich hatte nicht genug Geld, brauchte aber dringend Stoff. Da hat mir einer der Jungs dort einen Mann vorgestellt, von dem ich Geld bekommen könnte. Was der Kerl mit mir gemacht hat, führe ich lieber nicht aus, aber ich hatte noch tagelang Schmerzen. Aber ich hatte Geld, ich konnte mir den nächsten Schuss leisten und so habe ich meine Karriere begonnen... ich ging auf den Strich, viele Monate lang, bis ich in die Fänge des Mörders geraten bin, den dein Bruder zur Strecke gebracht hat...dort habe ich..." Im buchstäblich allerletzten Moment schluckte er die Bemerkung herunter, dass er Chris dort kennen gelernt hatte. Er hatte es nicht verdient, auch noch erniedrigt zu werden. "...beschlossen, wenn ich das überlebe, dann ändere ich mein Leben..." Und schon wieder eine Lüge, ich bekomme Übung darin... "Chris und Jason haben mir dabei geholfen... aber ich war ein Stricher... deswegen hat mich Steven eine Bordsteinschwalbe genannt... ich wette, jetzt willst du nichts mehr mit mir zu tun haben oder hältst mich für eklig oder so..." Ohne die Antwort abzuwarten stand Marcus auf und ging ein paar Schritte in den Wintergarten hinein. Jetzt waren alle Geheimnisse heraus. Er fühlte sich unglaublich mies. Was war er schon? Abschaum, Schmutz... all das würde ewig an ihm heften und für Typen wie Gary, die so perfekt waren, einfach nur abstoßend wirken. Gary hatte kein Wort gesagt und Marcus traute sich nicht, sich zu ihm umzudrehen. Selbst als er Schritte hinter sich hörte, blickte er stur auf die Scheiben des Wintergartens, hinaus in die Dunkelheit des Gartens. Beinahe wäre er zusammengefahren, als Gary ihm die Hand auf die Schulter legte. Eine einfach Berührung, aber sie sagte mehr als Tausend Worte. Die Hand des brünetten Jungen fühlte sich wunderbar warm, liebevoll und gerade deswegen so vollkommen unerwartet an. Marcus schossen die Tränen in die Augen, er kam nicht dagegen an. Er warf sich auf dem Fuß herum und presste sich an Garys Brust. Der Fluss der Tränen schien gar nicht versiegen zu wollen, er schluchzte und zitterte, während er sich fest an den älteren Jungen drückte. Seine Hände verkrallten sich in den Stoff von Garys Shirt. Gary schien für einen Moment mit der Situation vollkommen überfordert zu sein, aber dann legte er seine Arme um den weinenden Jungen und strich ihm sanft über den Rücken. Marcus brachte es nicht fertig sich zu beruhigen. Etwas, was noch nie, nicht bei seinen Eltern, nicht bei der Therapie und auch nicht bei Chris, geschehen war, bahnte sich nun seinen Weg. All die vergrabenen Schuldgefühle, der Ekel vor sich selbst, die Erinnerungen an die schreckliche Zeit auf der Straße, die Dinge, von denen er sicher gewesen war, dass er mit ihnen fertig wurde und sie hinter sich gelassen hatte, all das brach aus ihm heraus und erschütterte ihn bis tief in seine Seele. Der Weinkrampf überwältigte ihn, er sank wimmernd in Garys Armen zusammen, völlig kraftlos. Und hier geschah nun das, was er sich schon so lange wünschte. Gary verlagerte sein Gewicht und nahm ihn ganz vorsichtig hoch. Sein Kopf ruhte an Garys Schulter, seine Kniekehlen und der Rücken auf den starken Armen des Jungen. Obwohl es ihn sichtlich anstrengte, trug er Marcus die Treppe in den ersten Stock hinauf. "Es tut mir leid..." Marcus lag ausgestreckt auf dem Bett und sah an die Decke. Gary saß neben ihm auf der Bettkante. Er hatte Marcus hier abgelegt und es wirklich fertig gebracht, den völlig aufgelösten Jungen langsam zu beruhigen. Marcus' blaue Augen waren rot vom Weinen, ebenso seine Nase. Er schien peinlich berührt. "Tut mir leid, dass ich so ausgetickt bin..." "Ist doch nicht schlimm..." "Ich war regelrecht hysterisch, Gary." "Ist das denn nicht zu verstehen? Hast du überhaupt schon mit jemandem darüber geredet?" "Ja... aber so einen Ausbruch... das hatte ich nur bei dir... ich glaube..." Marcus suchte die richtigen Worte. "Weil ich mich so vor dir geschämt habe... mir ist in diesem Moment bewusst geworden, wieviel ich wirklich in meinem Leben verbockt habe. Und was für widerliche Dinge ich getan habe... du musst mich zum Kotzen finden." "Keineswegs." Gary schüttelte den Kopf. "Nicht?" "Nein. Ich finde dich nett. Ich mag dich, Marcus, egal was du warst oder was du getan hast. Ich habe die letzten Tage wirklich genossen." Das wäre der Augenblick. Sollte er es tun? Wenn nicht jetzt, wann sollte er Gary dann seine Liebe gestehen? Aber Marcus brachte es nicht übers Herz. Die Furcht die Freundschaft des Jungen dadurch zu verlieren, ließ die Worte in seiner Kehle stecken bleiben. Mehr als ein "Ich auch." brachte er nicht hervor. "Darf ich dich was fragen?" "Was denn?" "Also... als... ich meine... als ich am ersten Abend..." Gary wurde rot. Wie unglaublich süß das aussieht! schoss es Marcus bei diesem Anblick durch den Kopf. "Als ich... nackt vor dir... hab ich da... hast du..." "Deswegen gewichst?" half ihm Marcus auf die Sprünge. "Ja..." gab er zu. "Ich konnte nicht anders, du bist eben unglaublich sexy, falls du das nicht weißt." "Wirklich?" "Ja, tu doch nicht so." "Nein, ehrlich! Das hat mir noch nie jemand gesagt." Marcus sah Gary verdutzt an. "Gary, du bist umwerfend und das soll dir noch niemand gesagt haben? Du bist unglaublich sexy. Was meinst du, wie schwer das war, jede Nacht neben dir zu liegen und dich nicht zu berühren!" Er riss die Augen auf, als er realisierte, was er da gesagt hatte. "Tut mir leid... sorry, ich wollte nicht..." Er musste den Satz abbrechen, denn Gary beugte sich abrupt vor und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, Marcus war zu perplex um überhaupt zu reagieren. Ungläubig tastete er mit den Fingern über seinen Mund. "Was war das denn?" Gary schaute etwas verschämt. "Ich... ich wollte mal wissen wie es sich anfühlt..." "Was? Mich zu küssen, als wäre ich deine Mutter?" Kaum war der Satz raus, bereute er ihn schon wieder. Das hatte arrogant geklungen. Und dabei war das doch eine Entwicklung, wie Marcus sie sich immer gewünscht hatte. Er rang mit sich. Sollte er das ganze hinterfragen oder einfach geschehen lassen. Die Entscheidung fiel auf letzteres. Gary war alt genug, um seine Entscheidungen selbst zu treffen... "Entschuldige, ich..." Marcus setzte alles auf eine Karte. Er stemmte sich hoch, schlang den Arm um Gary und zog ihn zu sich. Als sich ihre Lippen trafen, tastete er sich vorsichtig mit der Zunge vor und tatsächlich gewährte ihm Gary Einlass. Zunächst war der Kuss nur zaghaft, Marcus übernahm die Führung, doch plötzlich ergriff auch der ältere Junge die Initiative. Marcus hatte das Gefühl, dass sein ganzer Körper langsam in Flammen aufging, ihm wurde unglaublich heiß, der Druck gegen die Innenseite seiner Jeans stieg stetig an. Wenn dieser Moment doch nur ewig andauern würde. Offenbar legte Gary es genau darauf an, er schien keinerlei Interesse daran zu haben, dass der Kuss endete. Doch irgendwann zwang der Drang Luft zu holen die beiden, sich von einander zu trennen. Marcus war schwindlig vor Erregung. "Das war..." "Entschuldige, es ist so über mich gekommen..." Marcus bemühte sich, dem Rausch der Endorphine nicht vollkommen zu erliegen und einen klaren Kopf zu behalten. Und damit kam auch die Angst, gerade einen furchtbaren Fehler gemacht zu haben. "Nein... ich wollte sagen, dass das schön war... du küsst... wirklich gut..." "Danke, du aber auch." Schweigen folgte. Die Situation schwankte zwischen erotisch aufgeladen und unangenehm gehemmt, keiner von beiden schien so recht zu wissen, was er sagen sollte. "Gary... ich..." Der Ältere legte ihm den Zeigefinger auf den Mund. "Lass uns jetzt nicht reden... wenn wir darüber reden, verlässt mich vielleicht der Mut..." "Der Mut?" Statt zu antworten nahm Gary Marcus' Hand. Der blonde Junge merkte, dass der andere zitterte. Er führte Marcus' Finger in seinen Schritt. Marcus hatte für einen Moment das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein. Er spürte durch den Stoff der Jeans deutlich die Erregung des anderen Jungen, scheinbar hatte ihn der Kuss nicht unberührt gelassen. Ruckartig zog er die Hand zurück. "Bist du dir sicher, dass du das willst?" "Nein, nicht absolut, aber ich glaube... ich möchte es..." Marcus strich ihm über die Wange. "Du bist zu nichts verpflichtet." "Ich weiß... du musst mir auch sagen, was ich tun muss... ich weiß nicht so recht..." Marcus lachte leise, das war so niedlich. "Überleg dir einfach, was dir gefallen würde, dann weißt du, was du zu tun hast." "So einfach?" "Ja." "Soll ich das Hemd ausziehen?" Gleich falle ich wieder aus dem Bett! Das ist ein Traum... wahrscheinlich hat er mich auf der Treppe fallen gelassen und ich bin mit dem Kopf angeschlagen. Vielleicht liege ich längst im Krankenhaus mit einem Schädeltraume und halluziniere. Das kann nicht sein... das kann... ach scheiß drauf! "Ja!" antwortete Marcus. Gary nickte und zog sich das Hemd über den Kopf. Der Fleck an seiner Seite war mittlerweile noch farbenfroher, aber das tat dem Anblick keinen Abbruch. Vorsichtig, beinahe andächtig, streckte Marcus die Finger aus und berührte Garys Brust. Die Haut war warm, er fühlte die kräftigen Muskeln und den Herzschlag seines Gegenübers. "Du glaubst nicht, wie sehr ich mir das gewünscht habe..." "Wirklich?" "Ja... seit ich dich das erste mal gesehen habe..." Statt zu antworten drückte Gary ihn sanft in die Kissen und beugte sich über ihn. Er schien einen Moment zu überlegen, was er tun sollte, dann begann er, Marcus' Hals und den Ausschnitt seines T-Shirts mit Küssen zu bedecken. Marcus bekam eine Gänsehaut. Seine Hände fuhren über Garys breiten Rücken, erforschten ihn, während er wiederum mit den Liebkosungen immer näher an Marcus' Mund heran kam. Als sie sich schließlich wieder in einem leidenschaftlichen Zungenkuss wieder fanden, entglitt Marcus endgültig die Kontrolle. Wenn das hier ein Traum ist, möchte ich nie wieder erwachen... "Leise..." flüsterte Chris. Der blonde Mann hatte seine Schuhe ausgezogen und schlich auf Zehenspitzen den Flur entlang. Es war weit nach Mitternacht als sie wieder Zuhause waren, erschöpft, aber gut gelaunt. Der Abend war fabelhaft gewesen, die Inszenierung der Oper ein Genuss, zum Glück recht klassisch ohne den vielen surrealen modernen Schnickschnack, und danach ein wunderbares Essen. Sie hatten es sogar den ganzen Abend geschafft, dass Thema "Wo habt ihr euch kennen gelernt?" zu vermeiden. Eigentlich hatten sie erwartet, die beiden Jungs wach anzutreffen, aber das ganze Haus war still. Nur das Schlachtfeld auf dem Wohnzimmertisch zeugte von einem großen Pizza Essen. Jason war ein wenig sauer darüber, dass die Beiden einfach alles hatten stehen und liegen lassen, aber Chris hatte ihn davon überzeugt, dass sie aufpassen mussten, nicht als langweilige, pingelige Erwachsene rüber zu kommen. Sollten die Jungs es doch einfach am nächsten Tag wegräumen. Jason öffnete leise die Schlafzimmertür und machte eine Verbeugung in Chris' Richtung, doch der winkte ab. "Ich geh noch mal eben gucken, ob alles okay ist." "Du benimmst dich ja richtig mütterlich!" stichelte Jason. Chris streckte ihm die Zunge raus. "Mach so weiter und ich ziehe mein Angebot von vorhin zurück, du weißt wovon ich rede." "Von den rasierten Stellen, ich weiß." Jason grinste. "Bin ja schon still." "Und unersättlich noch dazu!" zischte sein blonder Freund. "Lass mich nicht zu lange warten." "Keine Angst, aber fang nicht ohne mich an." Während Jason grinsend ins Schlafzimmer ging, stahl sich Chris in Richtung Gästezimmer davon. Ganz vorsichtig, peinlich darauf bedacht kein Geräusch zu machen, drückte er die Klinke der Tür herunter. Er öffnete sie einen Spalt und Licht vom Flur fiel in einem Strahl über das Bett. Es war eh nicht allzu dunkel im Zimmer, die Vorhänge waren geöffnet. Chris lächelte beim Anblick von Marcus und Gary, die Arm in Arm schliefen. Langsam schloss er die Tür wieder... und musste sich im nächsten Moment zurückhalten, sie nicht gleich wieder aufzureißen. Er konnte es nicht fassen. Aber es bestand kein Zweifel, da gab es nichts zu rütteln. Die beiden kuschelten miteinander und das sah eindeutig nicht nach einer versehentlichen Stellung aus, die einer von beiden im Schlaf eingenommen hatte. Das war beabsichtigt. Die Decke ging ihnen nur bis knapp an die Brust und Chris hatte den dringenden Verdacht, dass sie auch weiter hinunter nackt waren. Er macht die Tür endgültig zu und lehnte sich daneben an die Wand. Erst nachdem er tief durchgeatmet hatte, macht er sich auf den Weg ins Schlafzimmer. Jason lag ausgestreckt auf dem Bauch im Bett - vollkommen nackt. Er hob den Kopf als Chris das Zimmer betrat. "Du hast dir aber Zeit gelassen. Ist was los?" "Was?" Chris brauchte einen Moment um die Frage zu realisieren. "Nein... nein, alles okay, die Beiden schlafen." Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Ich... ich muss eben ins Bad." Jason sah ihm verdutzt nach. Im Badezimmer stützte sich Chris auf das Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Er wusste einfach nicht, wie er nun reagieren sollte. Sollte er sich für Marcus freuen? Was war denn da bloß geschehen? Erst diese Weltuntergangsstimmung, weil Gary nicht das geringste Interesse zeigt und dann das. Wie Jason das wohl aufnehmen wird? Chris wusste nicht genau warum, aber in ihm stieg eine irratonale Angst auf, dass der große Knall noch bevorstand. Jason trat in die Badezimmertür. Er lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust, immer noch nackt. "Was hast du?" Chris sah ihn an. Er brachte es nicht fertig, Jason alles zu sagen. Zu groß war die Befürchtung, sein Freund würde direkt nach drüben stürmen und die beiden zur Rede stellen. "Nichts... nur Kopfschmerzen. Wärst du sehr böse, wenn wir heute nur kuscheln würden? Trotz meines Versprechens?" "Hey, das mit dem Versprechen war doch nur Blödelei, wenn es dir nicht gut geht, ist das doch kein Problem. Ist das wirklich alles?" Chris nickte. "Ja." Zum Glück glaubte ihm sein Freund. Aber die Sorge ging nicht weg, im Gegenteil, als er später im Dunkeln in Jasons Arm lag, wuchs sie noch an. Jason war längst eingeschlafen, als Chris immer noch wach lag. Er überlegte, ob er rüber gehen und mit den Beiden sprechen sollte, aber erstens wurde Jason leicht wach und zweitens würde das den Beiden sicher furchtbar peinlich sein. Eine ausweglose Situation. Was sollte er schon anderes tun, als den Dingen ihren Lauf zu lassen und den nächsten Morgen abzuwarten? Über diesen trübsinnigen Gedanken schlief er irgendwann ein. Die Morgensonne weckte Marcus, ihre Strahlen schienen ihn regelrecht an der Nase zu kitzeln. Er gähnte herzhaft, streckte sich und öffnete dann erst die Augen. So gut wie in der Nacht hatte er schon lange nicht mehr geschlafen, in Garys Armen war das auch kein Wunder. Glücklich erinnerte er sich an jedes Detail des gestrigen Abends, es war so wundervoll gewesen, obwohl nicht viel mehr als Petting gelaufen war. Aber allein das Gefühl danach mit Gary zu kuscheln und dann auch noch ganz nah bei ihm einzuschlafen, war schöner als alles, was Marcus je erlebt hatte. Er war einmal nachts wach geworden, weil er gedacht hatte, er hätte auf dem Flur jemanden gehört, aber dem war wohl nicht so gewesen. Danach war er noch eine ganze Zeit lang wach geblieben und hatte Gary beim Schlafen zugesehen, er war einfach so süß. Doch jetzt war die Seite neben ihm verwaist. Marcus setzte sich auf und blinzelte. Gary stand, voll angezogen, am Fenster und sah hinaus. "Morgen!" lächelte Marcus. Er sprang aus dem Bett, lief zu dem älteren Jungen herüber und umarmte ihn ohne groß darüber nachzudenken von hinten. "Hast du gut geschlafen?" "Wir müssen reden, Marc." Was war das denn für eine Reaktion? "Worüber?" "Über gestern Abend... ich... es tut mir leid..." Marcus war immer noch viel zu glücklich, um klar denken zu können. "Was?" "Was mir da passiert ist." "Meinst du, dass du in meinem Mund... hey! Mach dir deswegen keine Sorgen. Kann doch mal passieren, du hast mich überrascht und es ging sicher nur so schnell, weil du so erregt warst, das ist kein Problem. Ich schlucke nicht so gern, aber es ist wirklich keine große Sache." Gary drehte sich um und schob ihn von sich. "Davon rede ich doch nicht!" "Wovon denn dann?" "Von allem! Davon das wir zusammen..." "Wir waren miteinander im Bett, ja und?" "Das war ein Fehler!" Marcus hatte in diesem Augenblick das Gefühl, dass etwas in ihm zerbrach. Er hörte Garys Worte, doch der Sinn wollte ihm nicht klar werden. Er sträubte sich dagegen. Sie waren sich in der letzten Nacht nahe gekommen, es war wunderschön und romantisch gewesen, liebevoll, zärtlich, so etwas war doch kein Fehler! "Was?" hörte er sich selbst weit entfernt sagen. "Hör zu," Gary gestikulierte etwas hilflos. "Ich war ein wenig durcheinander. Ich meine, ich hab erst kurz zuvor erfahren, dass mein Bruder schwul ist und dann hab ich Angst gekriegt, ich sei es vielleicht auch... und als du... ich meine... ich..." Er brach ab. Für einen Moment herrschte Stille. Das was Gary da eben gesagt hatte, brauchte ein wenig, bis Marcus es begriff. Aber als dies geschah, änderte sich das Gefühl. Verwunderung verwandelte sich in blinde Wut. Wie ein Feuer, in das man Öl goss, schoss sie wie eine Stichflamme in Marcus hoch. Er ballte die Fäuste. "Das war ein Experiment?! Das kann doch nicht wahr sein?!" "Schrei doch nicht so! Werde bitte nicht sauer, ich..." "Ich soll nicht sauer werden?!" Marcus spürte, wie ihm Tränen des Zorns aus den Augen traten. "Ich soll nicht sauer werden?! Du verdammter Mistkerl stehst seelenruhig da und eröffnest mir, dass du einfach mal ausprobieren wolltest, wie es ist und das du dich eigentlich nur davon überzeugen wolltest, dass du nicht schwul bist und ich soll nicht sauer werden?! Weißt du was du bist?! Ein arrogantes Arschloch! Denkst du, dass du mit mir alles machen kannst?! Hast du auch nur einmal darüber nachgedacht, dass ich vielleicht nicht einfach nur geil auf dich sein könnte?! Hast du Dreckskerl schon mal was von Liebe gehört?!" Gary zuckte zusammen. "Du meinst doch nicht..." "Oh ja, das meine ich!" Marcus war jetzt alles egal, die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. "Ich liebe dich, du Idiot! Deswegen wollte ich dir nah sein! Nicht wegen deiner Muskeln oder deines Schwanzes, das ist doch vollkommen nebensächlich! Ich liebe dich!" Gary starrte ihn an. "Ich..." Er wusste nicht was er sagen sollte. Und schließlich sagte er genau das Falsche. "Was kann ich dafür, wenn du mir das nicht verrätst. Du hast es ja sogar abgestritten! Ich dachte wir haben einfach ein bisschen Spaß..." "Du Arschloch!" Marcus verlor die Beherrschung. Er stürmte auf Gary zu und schlug den Fäusten auf dessen Brust ein. Der ältere Junge packte ihn und versuchte ihn zu bändigen, was ihm aber kaum gelang, so rasend gebärdete sich sein Gegenüber. "Beruhig dich doch!" Ohne Vorwarnung zog der blonde Junge das Knie hoch. Gary konnte nicht mehr ausweichen und bekam es mit voller Wucht in den Schritt gerammt. Er schrie vor Schmerzen auf und stieß Marcus mit einer solchen Kraft von sich, dass dieser rückwärts nach hinten stürzte. Gary hielt sich vornüber gebeugt und keuchend am Fensterrahmen fest und presste die andere Hand zwischen seine Beine. Er war leichenblass. Marcus lag schwer atmend am Boden. Plötzlich hatte er Schuldgefühle wegen dem, was er eben getan hatte. "Gary..." Der andere Junge hob den Kopf und funkelte ihn hasserfüllt an. "Hysterische Schwuchtel!" Mit diesen Worten ließ er Marcus einfach zurück. Er stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Marcus sah auf die geschlossene Tür und realisierte erst jetzt, dass er soeben alles verloren hatte. Wieder kamen ihm die Tränen, aber diesmal aus Verzweiflung. Er sank weinend auf dem Boden zusammen. Chris verschlucke sich fast an seinem Kaffee, als Gary wie ein Berserker die Treppe hinabgepoltert kam, sein Skateboard unter der Garderobe schnappte und ebenso lautstark die Haustür hinter sich ins Schloss warf. Für einen Augenblick konnte Chris nichts tun, als an der Arbeitsfläche der Küche zu stehen und durch die geöffnete Flurtür auf den Hauseingang zu starren. Jason war unterwegs, Brötchen kaufen, und sein blonder Freund dankte dem Zufall für diese Fügung. Es war besser, wenn Jason erst einmal nichts mitbekam, denn dieser Auftritt Garys, der ihn scheinbar noch nicht einmal wahrgenommen hatte, ließ Übles ahnen. Er stellte seinen Kaffee ab und eilte nach oben. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich, als er die Tür zum Gästezimmer öffnete. Ein Blick auf den weinend am Boden kauernden, unbekleideten blonden Jungen reichte aus. Chris zog die Decke vom Bett und ging neben Marcus in die Knie um ihn darin einzuwickeln. Der Junge schluchzte fürchterlich und sackte regelrecht in seinen Armen zusammen. "Ich hab alles verbockt..." wimmerte er. Trotz des leichten Gefälles gab Gary immer wieder mit dem Fuß Gas, er beschleunigte sein Skateboard um möglichst schnell viel Distanz zwischen sich und Marcus zu bringen. Immer noch pochte dumpfer Schmerz in seiner Lendengegend. Er kochte vor Wut obwohl er nicht einmal genau wusste, warum und auf wen. Das Schlimme war, dass es ihm genau bewusst war, dass er einen Fehler gemacht hatte. Hatte er wirklich angenommen, Marcus wäre jemand, der nur seine Geilheit befriedigen wollte? Dazu hatte er den anderen Jungen in den letzten Tagen zu gut kennen gelernt. Sie hatten über alles mögliche gesprochen und Marcus schien sehr nähebedürftig. Nachdem er nun seinen Hintergrund kannte, war das nur noch verständlicher. Warum hatte er daran nicht gedacht, als er das gestern zuließ? Und warum hatte er es eigentlich zugelassen? Er hatte noch nie Ambitionen in Richtung eines Mannes verspürt und sich für durch und durch hetero gehalten, doch so erschreckend der Gedanke war, was er gestern mit Marcus gemacht hatte, hatte ihm gefallen. Aber heute morgen, als er mit einem Jungen im Arm aufgewacht war, hatte er plötzlich Panik bekommen. Das Ganze lief in eine völlig falsche Richtung und machte ihm Angst. Und als Marcus ihm dann auch noch seine Liebe gestanden hatte. "Ich liebe dich"... so etwas hatte noch niemand zu ihm gesagt. Er selbst tat sich auch schwer, diese Worte jemandem gegenüber auszusprechen, zumindest wenn es um eine Beziehung ging. Aber bei Marcus hatte das trotz seines Zorns ehrlich geklungen, keine Floskel, die so dahin gesagt wurde. Marcus liebte ihn... aber Gary sah sich nicht in der Lage, dies zu erwidern, er wusste ja selbst nicht genau, was er fühlte, was mit ihm geschah. Und jetzt hatte er genau den falschen Weg eingeschlagen. Er hatte Marcus verletzt, dass wurde ihm in diesem Augenblick schlagartig klar. Das, was er da mit ihm abgezogen hatte, war einfach falsch gewesen. So sehr er sich dessen auch schämte, er würde mit Marcus reden müssen, all das klären. Und er musste sich endlich klar werden, was er fühlte. Eben als er den Entschluss fasste umzukehren, ertönte plötzlich die Hupe eines Autos. Der schrille Ton holte Gary in die Wirklichkeit zurück, aber alles ging zu schnell. Er sah etwas silbernes aufblitzen, hob im Affekt die Arme vors Gesicht, dann wurde er von den Füssen gerissen und seine Welt verschwand in einem tosenden Wirbel aus Schmerzen und Dunkelheit. Daniel Madison war auf dem Weg zur Arbeit. Es war ein herrlicher Tag, sonnig, warm. Und er hatte ausnahmsweise sogar Spaß am Aufstehen gehabt, was vermutlich an seiner neuen Freundin lag, die ihm das Aufwachen auf ihre ganz besondere Art versüßt hatte. Er war heute richtig gut drauf und konnte sich nicht vorstellen, dass ihm irgendetwas die Laune verderben konnte. Wie sehr er sich irrte, wurde ihm in dem Augenblick klar, als der brünette Junge auf dem Skateboard ohne Vorwarnung auf die Straße geschossen kam. Daniel trat in die Bremsen, so fest er konnte und drückte gleichzeitig im Reflex die Hupe durch, aber zu spät. Er fuhr die erlaubte Geschwindigkeit, aber die Wucht des Aufpralls reichte aus, um den Jungen auf die Motorhaube zu katapultieren. Er rutschte davon ab und stürzte zurück auf die Straße, sein Skateboard landete einige Meter entfernt. Daniel riss sein Handy aus der Freisprechanlage und wählte den Notruf, er reagierte wie eine Maschine. Er nannte der Dame am anderen Ende die Straße, in der er sich befand und legte auf, als sie ihm versichert hatte, dass ein Krankenwagen schon auf dem Weg war. Für eine Sekunde dachte er daran, den Rückwärtsgang einzulegen und zu verschwinden, aber ebenso schnell verwarf er den Gedanken wieder. Er verließ den Wagen. Auf seiner Motorhaube klebte ein wenig Blut und der Junge lag verkrümmt auf dem Boden vor dem Wagen. Daniel wusste, dass es fatal sein könnte ihn zu bewegen, deswegen widerstand er dem Drang, genau dies zu tun. Denn die Position des Jungen sah sehr schmerzhaft aus. Sein rechter Arm war merkwürdig verdreht, damit war er wohl voll gegen den Wagen geknallt. Sein Kopf blutete, warum trug er auch keinen Helm? Daniel hatte wahnsinnige Angst, dass er ihm hier auf der Straße wegstarb. Er kniete sich neben den Jungen. Dieser atmete zum Glück noch. "Halt durch. Hilfe ist unterwegs." "Ma...rc..." "Marc? Ist das dein Name?" Aber der Junge war ohnmächtig geworden. "Bitte, halt bitte durch..." Daniel war mit den Nerven am Ende. Dabei hatte er noch vor ein paar Minuten gedacht, dass dieser Tag wundervoll werden würde. Der Küchentisch war mit Taschentüchern bedeckt. Marcus schluchzte immer noch. Chris saß ihm gegenüber. Er war fassungslos über das, was da geschehen war. Nur mit Mühe hatte er es überhaupt geschafft, Marcus zum Reden zu bringen. Und es graute ihm jetzt schon davor, was passieren würde, wenn Jason heimkäme. Das war genau das, was sein Freund befürchtet hatte, die große Katastrophe, der Knall. So ganz hatte er die Zusammenhänge noch nicht durchschaut, aber offenbar hatte das noch nicht einmal Marcus vollkommen. Als das Telefon klingelte, zuckte er zusammen. "Einen Moment." "Okay..." Marcus' Stimme erstickte immer noch beinahe in Tränen. Chris eilte an den Apparat neben der Küchentür. "Fairgate... Jason! Wo bist du denn bloß? Muss der Bäcker erst noch das Mehl für die Brötchen mahlen?" Es entstand eine Pause, während er wohl Jason zuhörte. "Was?! Nein!" Marcus wurde hellhörig, Chris schien total schockiert, es musste etwas passiert sein. "Wir sind auf dem Weg! Bis gleich!" Er legte auf, sein Gesicht war kalkweiß. "Was...was ist?" "Gary... er hatte einen Unfall... er ist angefahren worden." ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Oh! My! God! Ist dieses Kapitel so lang (In Word sind es 16 Seiten)? Ich hoffe es überschreitet nicht die Animexx Bestimmungen und wird geteilt >_< Aber dieses Kapitel ist dermaßen wichtig, ich konnte es nicht trennen und ich konnte es nicht kürzer machen als es ist, am Ende habe ich mich schon kürzer gefasst als ich es wollte (eigentlich sollte der Zoff zwischen Marc und Gary weitaus heftiger werden). Ich habe so lange mit mir gerungen, ob ich die Beiden nun miteinander ins Bett schicke oder nicht. Ich hab mich dafür entschieden und hoffe, dass es nicht allzu sehr wie Fan-Service wirkt ;-) Ich hatte schon länger Neugier als Motivation für Gary im Kopf, sobald er erfahren würde, dass Marcus schwul ist und als KatoKira ebenfalls eine Idee in dieser Richtung äußerte, fand ich es vielleicht gar nicht so abwegig. Dies ist immer noch eine Geschichte und so lange Chris nicht plötzlich stirbt, Jason Wochen später morgens aufwacht, ihn unter der Dusche antrifft und realisiert, dass alles nur ein Traum war (so geschehen als Patrick Duffy "Dallas" verlassen wollte, seine Serienfigur Bobby starb, Duffy aber nach einer Staffel zurückkehren wollte und man seinen Tod und sämtliche Ereignisse der vergangenen Season kurzerhand zu einem bösen Traum seiner Ehefrau Pamela machte und für nichtig erklärte. Diesen Heckmeck machte man wohl auch, weil der Ausstieg Duffys den Quoten nicht gerade gut tat) kann ich mir wohl erlauben, den bisherigen Hetero Gary neugierig zu machen *lach* Damit ist die Story Arc um Gary und Marcus auf dem Höhepunkt (vielleicht waren es auch mehrere *g*) angelangt. Diesen Cliffhanger hatte ich seit Wochen im Kopf, mitsamt seiner Konsequenzen. Vielleicht geht es mit dem nächsten Kapitel etwas schneller als mit diesem, denn ich freue mich schon sehr darauf. Jetzt geht es rund *g* Ach ja, ich hoffe Garys Kampf für Marcus ist nicht zu abgehoben, es hat einen ziemlichen Actionheld Pathos, aber genau das war beabsichtigt, deshalb konnte ich es mir auch nicht verkneifen, dass Gary den Dealer am Ende niederschlägt. Er ist eben ein Held wie sein Bruder ;-) Und baut genauso gern Mist wie dieser, da sieht man die Familienähnlichkeit ^^ Special Thanks erneut an Alaska für super schnelles Korrekturlesen und ein paar wirklich gute Vorschläge für einige etwas holprige Formulierungen ^^ Letzteres gilt auch für KatoKira, die mir geholfen hat, aus einem Satz die vielen Küsse zu streichen *lol* *knuddels*!!! Bis zum nächsten Chap! ^^ Euer Uly PS: Im letzten Moment habe ich die Überschrift verändert, da der bisherige Titel "A wrong day's journey into right...?" etwas umständlich war ;-) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)