Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 17: The sweetest goodbye (Part 3 of 3) ---------------------------------------------- "Sag mir bitte, dass das ein schlechter Scherz ist!" Marcus war so abrupt aufgesprungen, dass sein Stuhl scheppernd zu Boden fiel. Chris schüttelte den Kopf. "Jason war fix und fertig. Gary ist mit seinem Skateboard direkt vor ein Auto gerast. Der Fahrer konnte nicht mehr ausweichen und hat ihn voll erwischt. Er liegt im Memorial. Seine Eltern sind auch schon da." "Ich muss da hin, Chris!" "Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Nach all dem, was zwischen euch passiert ist?" "Willst du mich etwa hier lassen?!" empörte sich Marcus. "Und wenn ich den ganzen Weg zum Krankenhaus laufe, ich will da hin!" "Ist ja gut." Chris hob die Hände. "Ist okay." Er sah sich um. "Shit, wie kommen wir da jetzt hin. Um diese Uhrzeit ein Taxi zu bekommen, wird dauern. David hat sicher keine Zeit, der wird in der Kanzlei sein...Moment." Er lief ins Wohnzimmer zum Telefontisch und kramte in seinem Adressbuch, Marcus, der ihm gefolgt war, blieb im Türrahmen stehen. Er war immer noch blass. "Was machst du da?" "Warte, ich hab es gleich." Eilig suchte er in dem kleinen Adressbuch, das dort lag, herum. Endlich hatte er das Gesuchte entdeckt, nahm den Hörer und wählte mit flinken Fingern eine Nummer. Er wartete kurz bis am anderen Ende abgenommen wurde. "Hi, ich bin es, Chris Fairgate. Ich hab ein großes Problem, ich brauche jemanden, der mich zum Memorial fahren könnte." Pause. "Nein, nein, keine Panik, mir geht es gut und Jason auch. Ich erklär dir alles später." Erneut eine Pause. "Das würdest du tun? Hast du wirklich Zeit?" In der folgenden Unterbrechung lächelte Chris glücklich. "Okay, ich komme dann raus, du weißt ja, wo wir wohnen. Tausend Dank, Sly, das vergesse ich dir nicht!" Er legte auf. "Sly?" "Der Exfreund von Jasons neuem Partner." "Ach, der..." "Sag das nicht so komisch, schließlich war er sofort bereit uns zu fahren." Marcus sah auf den Boden. "Tut mir leid...Chris, ich hab Angst...wenn er..." "Sag es nicht! Denk es nicht einmal!" unterbrach ihn der blonde Mann scharf. "Das darfst du nicht, okay?" Marcus nickte nur und eine Träne lief über seine Wange. "Mach dich fertig, Sly wird bald hier sein." "Okay..." Marcus ging nach oben. "Was ist denn eigentlich passiert?" fragte Sly ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Er war total überrascht gewesen, als Chris ihn angerufen hatte, auch wenn die Überraschung eine sehr schöne war. Immer wieder schaute er vorsichtig zu dem blonden Mann hinüber, bewunderte sein hübsches Gesicht im Profil. Allerdings musste er aufpassen, dass der Junge das nicht merkte, aber der schien eh mit seinen Gedanken vollkommen woanders. Beide, Chris und er, wirkten total angespannt und nervös. "Jasons Bruder ist angefahren worden..." "Shit!" Chris nickte. "Ich weiß nichts genaueres. Jason ist schon im Krankenhaus, seine Eltern auch. Ich hab Gary heute morgen mit dem Skateboard aus dem Haus gehen sehen, beim Fahren muss es passiert sein." "Es ist meine Schuld..." "Hör auf so einen Mist zu reden!" sagte Chris mit dem Kopf nach hinten zu Marcus gewandt. "Du bist nicht schuld!" Er merkte, wie hart er klang und lächelte. "Entschuldige, ich wollte dich nicht anmotzen, aber ich bin total mit den Nerven fertig." "Ich doch auch..." "Ich hatte auch mal einen Unfall..." warf Sly ein, offenbar um die Situation etwas zu lockern. "Mir ist ein Radfahrer vors Auto gerast, aber ich hab damals rechtzeitig bremsen können. Ich hab ihn nur leicht angestupst. Hat aber für eine Gehirnerschütterung gereicht..." Er registrierte, dass diese Art von Geschichte kaum hilfreich war. Seine Wangen färbten sich rötlich. "Entschuldigt, ich baue echt nur Mist. Wenn es ein Fettnäpfchen gibt, dann trete ich garantiert rein." "Ist schon gut. Allein, dass du für uns da warst, um uns zu fahren, ist Gold wert und entschuldigt jedes Fettnäpfchen." Daraufhin herrschte wieder Schweigen. Marcus sah aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Häuser. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Er fühlte sich leer, wie eine Hülle, es wollte ihm einfach nicht in den Sinn, wie all das passieren konnte. Gestern Abend war doch noch alles okay gewesen. Gary und er waren Freunde, Gary hatte ihm sogar buchstäblich das Leben gerettet. Und dann das. Wenn er Gary nicht so geküsst hätte, wäre vielleicht überhaupt nichts geschehen. Dann wäre Gary nicht weggelaufen und hätte nicht den Unfall gehabt. Hätte, würde, sollte, das alte Spiel. Er wusste nicht, was er tun würde, sollte Gary sterben. Wie sollte er jemals mit dieser Schuld leben? Gleichzeitig hatte er wahnsinnige Angst, Jason gegenüber zu treten. "Da wären wir." Marcus zuckte bei der Feststellung Slys zusammen. Vor ihnen ragte der große Komplex des San Francisco Memorial auf, modern, kühl und bedrückend. Chris rieb sich mit den Händen über die Oberarme, ganz so als würde er frieren. "Ich hasse dieses Krankenhaus... als ich das letzte Mal hier war, hat Jason seinen Partner verloren. Keine schöne Erinnerung..." "Kann ich mir denken. Soll ich vielleicht hier bleiben?" Chris schüttelte den Kopf. "Nein, ist schon gut. Du kannst ruhig fahren. Ich will nicht noch mehr von deiner Zeit stehlen." "Tust du nicht." Der blonde Mann lächelte. "Trotzdem, ist wirklich okay." "Wenn du meinst." Chris drehte den Kopf nach hinten. "Gehen wir?" Marcus nickte zögerlich, die Angst schnürte ihm mittlerweile beinahe die Kehle zu. Seine Hände waren eiskalt und zitterten. "Ist gut." Er stieg aus. Chris tat es ihm nach. Bevor er die Tür schloss, beugte er sich noch einmal zu Sly hinunter. "Ich danke dir, dass war wirklich nett. Ich melde mich, sobald ich etwas weiß, okay?" "Mach das. Ich hoffe, dass Jasons Bruder nichts passiert." "Ich auch...bis dann." "Bis dann..." Die Tür fiel ins Schloss und Sly beobachtete die Beiden, wie sie Richtung Hospital gingen. Chris und Marcus sahen wirklich aus wie Brüder, nur dass Chris' Haare um einiges länger waren. Es war heute windig und Böen fegten durch die blonden Strähnen des Mannes. Ein wunderschöner Anblick. Sly riss sich von diesen Gedanken los, es gab momentan wirklich wichtigeres. Er zog sein Handy aus der Tasche und drückte die Taste sechs durch, bis die im Kurzwahlspeicher abgelegte Nummer aktiviert wurde. Einen Moment lang musste er warten, bis am anderen Ende abgenommen wurde. "Donovan? Ich bin es, Sly. Du, ich fühl mich nicht so gut, hab mir den Magen wohl verdorben. Würde es dir was ausmachen, ausnahmsweise meine Schicht zu übernehmen? Hast auch was gut bei mir." Er verfolgte nebenbei, wie Chris und der Junge im Krankenhauseingang verschwanden. "Danke, Donovan. Ich mach es wieder gut! Bis dann!" Lächelnd legte er auf. Das wäre geklärt. Zwar hatte Chris ihm gesagt, dass er fahren sollte, aber er wollte auf jeden Fall hier bleiben, falls er doch seine Hilfe brauchen würde. Er konnte ja im Foyer warten. Entschlossen stieg er aus, verriegelte den Wagen und lief über den Parkplatz Richtung Klinik. Als Jason Chris und Marcus in den Warteraum kommen sah, sprang er auf und eilte seinem blonden Freund entgegen. Er zog ihn in seine Arme und hielt ihn einen Moment lang einfach nur fest, um seine Nähe zu spüren. Marcus blieb ein Stück entfernt stehen und sah auf seine Füße. Unruhig bewegte er sich hin und her. Sie waren allein im Raum, worüber Marcus unglaublich glücklich war. "Weißt du schon was?" fragte Chris, als er sich aus Jasons Umarmung löste. "Mum und Dad sind bei ihm. Er ist noch ohne Bewusstsein, aber er wird durchkommen. Momentan weißt nichts auf Komplikationen hin. Sein Arm ist gebrochen, zwei Rippen und der Fuß. Wird wohl einige Zeit dauern, bis er sämtlichen Gips los ist. Er war am Kopf verletzt, weil er keinen Helm getragen hat, aber da hatte er Glück im Unglück. Nur eine Gehirnerschütterung, aber keinerlei Anzeichen für ein Aneurysma oder so." "Dann wird er nicht sterben?" Jason wandte sich Marcus zu. "Nein, wird er nicht." Er ging zu dem Jungen herüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Du brauchst keine Angst haben. Sein Leben ist außer Gefahr." "Gott sei Dank..." Marcus glaubte regelrecht zu spüren, wie ihm ein tonnenschwerer Stein vom Herzen fiel. Die erste Hürde war genommen. Dass Gary nicht in Lebensgefahr war, stellte eine wunderbare Nachricht dar. Aber immer noch blieb die Tatsache, dass er wegen ihm einen Unfall gehabt hatte. "Ich begreife nur nicht, wie Gary so dumm sein konnte. Er ist direkt vor dieses Auto gefahren. Der Fahrer ist vollkommen fertig, aber es gab Augenzeugen, die bestätigen, dass er sich vollkommen korrekt verhalten hat. Gary war der, der Mist gebaut hat. Er ist verdammt noch mal einfach auf die Straße gefahren ohne zu gucken!" Jason hatte sich regelrecht in Fahrt geredet und gestikulierte, um seine Worte zu untermalen. Chris strich ihm sanft über die Wange. "Vielleicht kann er ja sagen, was los war, wenn er wieder aufwacht, wir..." "Es war meine Schuld." Die beiden Männer sahen Marcus vollkommen verständnislos an. Der Junge hatte vollkommen resigniert geklungen, voller Schuldgefühle. Chris fing sich zuerst. "Rede nicht so einen Quatsch!" "Aber es ist so!" hielt Marcus dagegen. "Wenn wir nicht..." "Sei still!" schnitt ihm Chris das Wort ab, aber es war zu spät. "Wenn ihr nicht was?" Chris fasste Jason an den Oberarm. "Jason, bitte, ich..." Sein Freund schüttelte die Hand ab, als sei sie ein lästiges Insekt. "Ich will wissen, was er meint, Chris!" "Bitte sei nicht sauer auf Chris, er will mir nur helfen!" "Marcus, ich flehe dich an, sei still!" Chris schien regelrecht Panik zu haben. "Das ist jetzt nicht der Ort und auch nicht die Zeit, um ihn damit zu belasten!" "Wann soll ich es ihm denn sonst sagen?" "Verflucht, hört endlich auf zu reden als sei ich nicht da!" Jason war so laut geworden, dass sowohl Chris als auch Marcus zusammenfuhren. "Ich will wissen, was los ist!" "Gary und ich...wir waren...miteinander im Bett..." Schockierte Stille senkte sich über den Raum. Jason starrte Marcus an, der nur mit Mühe seinem Blick stand hielt. Chris hörte sein eigenes Herz pochen, er erkannte genau, dass sich gerade Wut in seinem Freund aufbaute und er wusste nicht, wie er Herr der Lage werden sollte, wenn Marcus sämtliche diplomatische Versuche mit seinem übereilten Geständnis boykottierte. "Ihr wart was?!" "Wir haben... ich hab ihn gestern Abend geküsst und dann ist es einfach passiert... und heute morgen haben wir uns gestritten und er ist weggelaufen... ich glaube er war so sauer, dass er... dass er..." "Weil er nicht fassen konnte, zu was du ihn gebracht hast! Deswegen hat er nicht auf das Auto geachtet! Weil er so verstört war wegen dir!" "Nein... ich meine..." "Ich hab es doch gewusst, dass du nur Ärger machen würdest!" "Jason, bitte!" Chris versuchte, das Schlimmste zu verhindern. "Nein!" Jason machte sich nicht die Mühe seine Stimme zu senken, als er mit Chris sprach. "Diesmal nicht! Diesmal ergreifst du nicht seine Partei! Diesmal nicht!" Er wandte sich wieder Marcus zu. Plötzlich war er ruhiger, dabei aber lauernd und wirkte eiskalt. Beinahe hasserfüllt. "Das hast du wirklich gut gemacht, Marcus. Ich hoffe du hattest deinen Spaß. Denn das wolltest du doch die ganze Zeit, oder? Aber ich werde dir jetzt mal was verraten." Er ging auf Marcus zu, der ängstlich zurückwich. "Das Leben ist nicht nur Spaß. Weißt du eigentlich, was Gary nach der Schule machen wollte?" Der Junge schüttelte den Kopf. "Er hat dir sicher mal erzählt, dass er Baseball spielt, oder? Gary liebt Baseball, er hat es sogar zum Kapitän der Schulmannschaft gebracht und sein Sportlehrer hat ihm eine glänzende Zukunft prophezeit. Gary träumt davon, nach der Schule Profibaseballer zu werden und er hat gute Chancen. Oder besser: Er hatte!" "Was meinst du damit?" Marcus' Stimme zitterte. "Das werde ich dir sagen, Marcus. Garys rechter Arm ist mehrfach kompliziert gebrochen. Er wird wieder zusammen wachsen, aber er wird niemals wieder so wie zuvor. Er wird ihn nicht mehr belasten können wie früher. Der Arzt hat gesagt, dass er niemals wieder Baseball spielen darf, weil das eine zu große Belastung für seinen Arm wäre. Weißt du, was das bedeutet? Garys größter Traum, seine Zukunft, all das ist dahin! Unwiederbringlich. Wenn Gary aufwacht, wird er erfahren müssen, dass er all seine Träume begraben kann. Und das verdankt er dir! Ich möchte, dass du weißt, was du meinen Bruder gekostet hast! Was du ihm durch deinen Egoismus weggenommen hast. Du allein hast seine Zukunft auf dem Gewissen! Nur damit du es weißt! Und jetzt leb damit!" Marcus starrte Jason mit weit aufgerissenen Augen an. Dann warf er sich auf dem Fuß herum und rannte weg. "Marcus!" Chris lief zu Tür, aber er sah ihn gerade noch um die Ecke verschwinden. Fassungslos blickte er seinen Freund an. "Das war vollkommen unnötig!" "War ja klar, dass du dich auf seine Seite stellst! Ihr könnt mich beide mal!" Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, verließ Jason den Raum. Chris blieb allein zurück. Er konnte nicht fassen, was eben geschehen war. Und ebenso wenig wusste er, was er nun tun sollte. Sollte er jetzt Marcus nachlaufen? Oder lieber Jason? Seine Hände zitterten. Er war mit der Situation vollkommen überfordert. Warum musste das passieren? Die ganze Lage war vollkommen außer Kontrolle. "Chris?" Er sah auf. "Sly. Was machst du denn hier?" "Ich konnte doch nicht einfach verschwinden." Der junge Mann kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. "Ich wollte hier bleiben, falls du... ihr mich braucht. Ich hab eben Marcus weglaufen sehen. Was ist denn bloß passiert?" "Hier bricht alles zusammen, das ist passiert..." Chris Stimme versagte. "Alles geht schief..." Er spürte, dass Tränen in seine Augen traten, obwohl er das nicht wollte. Die Kälte mit der Jason Marcus behandelt hatte, die Art, wie er ihn gerade hatte stehen lassen, all das war zuviel für den harmoniebedürftigen Mann. So sollte das nicht laufen. Sly schien zu merken, was in ihm vorging, mit wenigen Schritten war er bei ihm und umarmte ihn. "Hey, ist ja gut... ist ja gut..." Chris versank regelrecht in der Wärme seiner Umarmung, er presste sich an den brünetten Mann und schluchzte. Slys linke Hand glitt über seinen Rücken, während er ihm mit der rechten über das Haar strich. Er wusste, dass das nicht die Situation dafür war, aber er konnte nicht anders als festzustellen, wie gut Chris roch. Ihm so nahe zu sein, war ein wunderbares Gefühl. Er war versucht, seine Hand näher an den Po des blonden Mannes zu legen. Am liebsten hätte er ihn nie wieder losgelassen. In diesem Moment wurde er aber dazu gezwungen. Und zwar von Jason. Der Polizist packte ihn, riss ihn mit voller Wucht von Chris weg und drückte ihn gegen die Wand. Sly bekam es mit der Angst zu tun, als er die Wut in Jasons Augen sah. "Wenn du ihn noch einmal so anfasst, dann ramme ich dich durch die Wand, verstanden?!" "Ich... ich wollte doch nur..." "Verdammt, Jason, hör auf!" schrie Chris in diesem Moment. Jason funkelte ihn an. "Wieso lässt du zu, dass er dich so anfasst?" "Er wollte mich nur trösten! Er hat mich bloß in den Arm genommen! Sly war wenigstens da, im Gegensatz zu dir!" "Ja, das habe ich gesehen!" "Jason, du machst mir Angst! Bitte, komm endlich von diesem Trip runter! Das hilft Gary doch auch nicht. Lass Sly los. Er kann nichts dafür und er hat nichts getan!" Ein paar Sekunden lang schien es, als würde er nicht zu seinem Freund durchdringen, doch dann ließ dieser Sly los, der keuchend von ihm wegstolperte. Jason senkte den Blick. "Tut mir leid..." Sly rieb sich die Oberarme, an denen Jason ihn gepackt hatte. Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass er Jason noch nicht einmal sauer sein konnte, denn er hatte ja wirklich mehr in dieser Situation empfunden. Natürlich hatte er Chris trösten wollen, aber er hatte nicht damit gerechnet, wie wundervoll es sich anfühlen würde, ihn im Arm zu halten. Aber der Zorn im Blick Jasons hatte ihn in die Wirklichkeit zurück geholt. Er würde keine Chance gegen diesen Mann haben und um ehrlich zu sein, hatte er nun regelrecht Angst vor ihm. So ganz konnte er das auch nicht wieder verdrängen, obwohl Jason sich nun wieder vollkommen normal verhielt und sich sogar entschuldigte. "Ist schon...okay... war ja nur ein Missverständnis." Er sah auf die Uhr, obwohl er gar nicht unter Zeitdruck war. "Ich muss dann mal los, ich hab Mittagsschicht." Chris nickte. "Ist gut, ich sag dir bescheid, wenn es was Neues gibt." "Danke." Er wandte sich zum Gehen. "Sly!" Es kostete ihn einige Überwindung, noch einmal zu Jason zu sehen, doch der junge Polizist lächelte nur verschämt. "Ich hoffe, dass das nicht unser Verhältnis beeinträchtigt... ich hab überreagiert, aber ich bin mit den Nerven am Ende... tut mir wirklich leid." Sly konnte nicht anders als ebenfalls zu lächeln. "Schon gut. Kann man ja verstehen. Ist okay." "Danke." Sly beantwortete dies nur mit einem Kopfnicken und ging dann. Als er draußen war, atmete Chris hörbar aus. "Bist du jetzt wieder du selbst? Das war ja schlimm, du hast mir wirklich Angst gemacht." Jason ließ sich auf einen der Stühle des Warteraumes fallen. "Das wollte ich nicht... ich bin einfach ausgetickt... ich bin nur zurück gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen und dann hab ich gesehen, wie er dich umarmt und..." "Das ist doch nichts anderes, als wenn David das tut." Jason seufzte. "Ich weiß, aber bei ihm stört mich das irgendwie... würdest du wollen, dass ich Ash umarme?" "Ich würde dir vertrauen!" "Ich dir doch auch!" "Das wirkte aber gerade nicht so. Sly ist nur ein Freund und selbst das noch nicht lange. Aber man kann sich auf ihn verlassen. Er war sofort da, als Marcus und ich hierher mussten und er ist obwohl ich gesagt hatte, dass er fahren kann, hier geblieben falls wir ihn brauchen. Er ist nur hierher gekommen, weil er Marcus hat weglaufen sehen." "Hör mir auf mit dem!" schnaubte Jason. "Das ist nicht gerade zuträglich für meine Nerven." Chris stemmte die Hände in die Hüften. "Es tut mir leid dir das sagen zu müssen, aber die Art wie du ihn eben behandelt hast, war das Allerletzte! Das hat er nicht verdient!" Jason sprang auf. "Hat er nicht?!" Er wurde schon wieder laut. "Hör endlich auf, ihn in Schutz zu nehmen! Du hast meinen Bruder noch nicht da im Bett liegen sehen! Er sieht schlimm aus! Er hätte wegen Marcus auch tot sein können! Ich will, dass dieser Junge aus unserem Haus verschwindet!" "Hör auf mich anzuschreien!" "Dann hör du auf, seine Partei zu ergreifen!" "Einer muss es doch tun!" schnappte Chris. "Nicht, wenn er es nicht verdient! Nur wegen seiner Geilheit liegt mein Bruder hier! Er ist das Opfer dieser Geschichte, nenn mir einen Grund, warum Marcus irgendein Recht hatte, das mit meinem Bruder abzuziehen!" "Weil er ihn liebt!" stellte Chris ohne mit der Wimper zu zucken fest. "Er tut...was?!" Das Entsetzen in Jasons Stimme war unüberhörbar. "Er liebt ihn, Jason. Er hat sich in ihn verliebt, deswegen hat er es zugelassen, dass das geschehen ist. Er hat unglaubliche Angst um ihn." "Marcus weiß doch gar nicht, was Liebe ist! Er ist sechzehn." "Jetzt wirst du unfair." Chris fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Selbst mit sechzehn kann man sich wirklich verlieben. "Wie lange weißt du es schon?" Chris ging zu Jason hinüber und schlag die Arme um seine Hüften. Er lehnte sich mit der Wange an seine Schulter. "Seit ein paar Tagen. Er hat es mir anvertraut, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Er meinte, Gary sei vollkommen unempfänglich für seine Signale, er war deswegen total am Boden. Allerdings hatte er mir gesagt, dass er aufgibt, aber so ganz geglaubt habe ich ihm das nicht... aber ich begreife trotzdem nicht, wie es passieren konnte, dass die beiden miteinander ins Bett gegangen sind. Ich meine, Gary ist doch niemand, der sich dazu zwingen lässt, schon gar nicht von einem Jungen wie Marcus. Und Marcus ist nicht der Typ, der jemanden bedrängt, dazu ist er viel zu schüchtern..." "Und da bist du dir sicher?" Chris schmiegte sich an ihn. "Schatz, hör dir doch mal selbst zu. Du kennst Marcus mittlerweile auch." "Jason?" Die Beiden sahen zur Tür. Dort stand Emily Cunningham. Chris erschrak fast, als er Jasons Mutter erblickte. Emily Cunningham war stets eine adrette Dame, doch jetzt wirkte sie müde, alt, als wäre sie innerhalb von Stunden um Jahre gealtert. Die Sorge um ihren Sohn hatte sie gezeichnet. "Mutter?" "Er ist wach, Jason." "Kann ich zu ihm?" Emily nickte. "Aber pass auf, was du sagst. Er weiß noch nichts, der Arzt hat gesagt, wir sollen ihn nicht sofort damit konfrontieren." "Dann weiß ich bescheid. Kommst du mit, Chris?" Sein Freund schüttelte den Kopf. "Nein, ich komme nach. Ich muss Marcus suchen, das verstehst du, oder?" "Tu das..." Chris drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Bis später" Er eilte aus dem Raum. "Habt ihr euch gestritten?" Jason sah seine Mutter an. Er wollte sie nicht auch noch damit belasten, sie musste nicht wissen, dass nun auch noch ihr anderer Sohn mit einem Mann ins Bett gegangen war, selbst wenn es hier um einen sechzehnjährigen Jungen ging. "Nein, die Nerven liegen nur etwas blank, alles okay." Marcus rannte einfach immer weiter. Seine Lungen brannten mittlerweile wie Feuer, die Seitenstiche waren kaum noch auszuhalten. Während der kurzen Zeit, die sie sich im Krankenhaus aufgehalten hatten, hatte sich der Himmel bewölkt. Dunkle Regenwolken türmten sich über der Stadt und hatten längst begonnen ihren Inhalt auf die Straßen zu ergießen. Damit hatte kaum jemand gerechnet, überall eilten die Passanten durch die Gegend, Jacken, Zeitschriften oder ähnliches über den Kopf haltend, in der Bemühung nicht nass zu werden. Marcus war bereits bis auf die Haut durchnässt, aber er achtete überhaupt nicht darauf. Tränen rannen über seine Wangen, unaufhörlich, wie der Strom des Regens. Er wusste nicht wohin er lief. Zu allem Überfluss stolperte er und fiel kopfüber in eine große Schlammpfütze. Das schmutzige Wasser spritzte auf und Marcus bekam sogar etwas in den Mund, es schmeckte widerlich. Niemand kam ihm zur Hilfe, aber das hatte er auch nicht verdient. Er stemmte sich hoch und lief weiter, immer weiter. In seinem Kopf schwirrten die Worte Jasons in einem tosenden Strudel durcheinander. Er hatte Garys Leben ruiniert, er ganz allein. Er konnte dem Jungen nicht mehr unter die Augen treten, auf keinen Fall. Und Jason hasste ihn jetzt, Chris wahrscheinlich auch. Er war wieder vollkommen allein. Er hatte weder Geld für ein Taxi oder den Bus, noch Kleingeld zum Telefonieren. Also rannte er immer weiter in das Unwetter hinein. Jason schluckte, als er das Zimmer seines Bruders betrat. Der junge Mann war überall bandagiert. Am Kopf, um den Oberkörper, zudem steckte sein Arm in einem dicken Gips. Bei dem Gedanken daran, dass dieser Bruch das Ende aller Träume seines Bruder darstellte, spürte Jason schon wieder kalte Wut in sich auflodern, egal ob Marcus seinen Bruder nun liebte oder nicht. Er hatte mit seinem Verhalten all dies hier zu verantworten! Der Regen hämmerte gegen die Scheibe und übertönte die Geräusche der Maschinen, an die Gary zur Überwachung angeschlossen war. Draußen herrschte eine wahre Weltuntergangsstimmung, ein so heftiges Unwetter hatte es dieses Jahr noch nicht gegeben. Gary sah müde aus. "Hi, Bruderherz." Seine Stimme war schwach. "Na du." Jason rang sich ein Lächeln ab. "Was machst du bloß für Sachen?" "Tut mir leid, Jay. Ich... ich weiß gar nicht mehr genau, was los war..." Jason setzt sich auf einen Stuhl neben dem Bett. "Du bist angefahren worden." "Bin ich? Alles, woran ich mich erinnern kann, ist ein lautes Geräusch... Quietschen... dann nichts mehr... nur das es weh tat." "Du bist direkt vor ein Auto gefahren. Der Fahrer konnte nicht mehr reagieren und hat dich voll erwischt, obwohl er noch gebremst hat. Wahrscheinlich waren seine schnellen Reflexe dein Glück, er hat dich nicht mit voller Wucht erfasst..." Gary schloss für einen Moment die Augen, als müsse er sich sammeln und seine Gedanken ordnen. Immer noch klafften da große Lücken, ein furchtbares Gefühl. "Mum war gar nicht sauer..." "Das kommt noch, im Moment hast du den Bonus, dass sie sich um dich sorgt!" lachte Jason. "Bist du sauer auf mich?" Er strich seinem Bruder über den nicht verletzten Arm. "Nein, nur glücklich, dass du noch lebst." "Ist... ist Marc auch hier?" Jason sah ihn verdutzt an. "Warum fragst du das?" "Ich will mit ihm reden." "Ich weiß nicht, warum du das solltest! Ich habe ihn weggeschickt!" Jason konnte es nicht fassen. Er hatte erwartet, dass Gary stinksauer auf Marcus sein würde und ihn niemals wieder sehen wolle, aber doch nicht, dass er ein Gespräch suchte. "Warum denn das?" Es war offensichtlich, dass Gary, wenn er es gekonnt hätte, sich nun im Bett aufgesetzt hätte. So konnte er Jason nur schockiert ansehen. "Weil ich stinksauer auf ihn bin! Er hat mir alles erzählt. Er hat zugegeben, dass er Schuld an allem ist, dass er dich verführt hat! Und das ihr euch dann so gestritten habt, dass dir dieser Unfall passiert ist." "Aber das stimmt doch gar nicht!" "Bitte?!" Gary wurde immer aufgeregter. "Jason, ich hab ihn zuerst geküsst! Nicht er mich. Er hat mir nicht einmal Avancen gemacht. Als ich erfahren habe, dass er schwul ist... nun ja... weißt du... weil du doch... ich hatte einfach Angst. Ich wollte wissen, ob ich es auch bin. Und dann ist es einfach passiert. Ich hab ihn geküsst und damit ermutigt. Ich war es sogar, der ihn quasi verführt hat. Und am nächsten Morgen habe ich kalte Füße gekriegt. Daran kann ich mich genau erinnern. Ich hatte Panik, weil ich morgens mit ihm im Arm aufgewacht bin und wollte aus der Sache raus. Und als er mir dann gesagt hat, dass das für ihn keine einfache Nummer war, sondern dass er mich liebt... da hab ich das runtergespielt und er ist sauer geworden... daraus ist der Krach entstanden, nicht etwa durch seine Schuld. Und ich bin nur so durch die Gegend gebrettert, weil ich sauer war, größtenteils auf mich selbst." Seine Worten brauchten einen Moment, um komplett zu Jason durchzudringen. Erst dann erfasste er die gesamte Tragweite dessen, was sein Bruder da gesagt hatte. Er hatte Marcus vollkommen zu unrecht beschimpft und ihm die Schuld in die Schuhe geschoben! "Oh mein Gott..." "Eines sage ich dir, Jason! Wenn Marcus sich deswegen etwas antut, habe ich die längste Zeit einen Bruder gehabt!" Gary sagte das knallhart, man merkte deutlich, dass er es vollkommen ernst meinte. "Ich muss ihn suchen!" Jason sprang vom Stuhl auf und eilte zur Tür. Er riss sie genau in dem Augenblick auf da Chris und seine Eltern das Krankenzimmer betreten wollten. "Was ist denn los, Jason? Ich wollte dir gerade bescheid sagen, dass ich Marcus nirgendwo finden kann. Er ist nicht mehr im Krankenhaus." Der Polizist schob Chris zur Seite und eilte den Gang hinab. "Ich hab einen Fehler gemacht!" rief er über die Schulter. "Ich fahre los und suche ihn, bleib du bei Gary! Ich muss Marcus finden und zwar schnell!" Chris sah ihm verdutzt nach. "Bist du ganz sicher? Danke, Ash!" Jason legte auf und atmete erleichtert aus. Er hatte sich über die Polizei versichert, dass er nicht etwa befürchten musste, Marcus nur noch tot aufzufinden. Sein Herz raste. Wenn er daran dachte, den Jungen zu verlieren und das nur wegen seiner impulsiven Dummheit... er würde nicht nur damit leben müssen, Marcus auf dem Gewissen zu haben, sondern auch den Hass seines Bruders zu spüren bekommen. Warum geriet er eigentlich immer in solche Situationen? Na ja, viele schuf er sich ja selbst. Darin war er Meister. Aber diesmal hatte er den Vogel abgeschossen. Marcus war so vom Leben gebeutelt und dementsprechend labil und dann musste er so etwas tun. Der Junge musste vollkommen verstört sein... was ja auch letztendlich seine Absicht gewesen war. Jason hätte sich selbst in den Hintern treten können. Zusätzlich noch der peinliche Auftritt Sly gegenüber, konnte der Tag noch besser werden? Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe, die Scheibenwischer kamen kaum noch nach mit ihrer Arbeit. Wie sollte er Marcus in dieser Stadt finden? San Francisco war ja nicht gerade klein. Er trat auf die Bremse. Ohne es zu merken, hatte er den Weg nach Hause eingeschlagen. Er wäre um ein Haar an Chris' und seinem Haus vorbei gefahren und hätte dabei Marcus übersehen, der auf den Stufen vor dem Eingang saß. Er war vollkommen durchnässt, schien das aber nicht einmal wahr zu nehmen. Jason fuhr rechts ran und sprang aus dem Wagen. Innerhalb von Sekunden war er bis auf die Haut nass. Marcus hob noch nicht einmal den Kopf, als Jason auf ihn zulief. "Marcus! Gott sei Dank!" Er fiel auf die Knie und zog Marcus in seine Arme. Der Junge erwiderte die Geste überhaupt nicht, er ließ sie einfach über sich ergehen. "Ich bin so froh, dass du in Ordnung bist. Ich hab mir so Sorgen gemacht." "Warum...?" Marcus klang vollkommen teilnahmslos. "Lass uns da lieber irgendwo drüber sprechen, wo es nicht ganz so nass ist." "Über was wolltest du mit mir reden?" Chris zog sich den Stuhl, den vor kurzem noch Jason benutzt hatte, näher an das Bett von Gary heran. Mr. und Mrs. Cunningham waren noch einmal bei den behandelnden Ärzten, um zu klären, ob es möglich wäre, Gary nach New York zu überführen. Schließlich wartete dort Arbeit auf seinen Vater und er wollte seinen Sohn unter keinen Umständen am anderen Ende der Staaten in einem Krankenhaus allein lassen. Chris fühlte sich etwas unwohl, weil Gary immer noch nicht wusste, was ihn der Unfall gekostet hatte. Aber er hatte auch nicht vor, es diesem zu erzählen, das war eindeutig die Sache seiner Eltern. Außerdem fragte er sich immer noch, wohin Marcus verschwunden war und ob Jason ihn mittlerweile gefunden hatte. Er hätte sich in den Bauch beißen können für den Einfall, sein Handy Zuhause liegen zu lassen. Gary schaute ihn nicht direkt an, sondern schien einen Punkt woanders im Zimmer zu fixieren. Offenbar war ihm die Situation sehr unangenehm. "Ich... ich wollte dich was fragen." "Nur raus damit." "Ich weiß nicht so recht... wie ich es sagen soll..." Chris lächelte ihn an. "Gary, wir sind hier ganz allein, egal was du mich fragen willst, es bleibt unter uns." "Du sagst nichts Jason?" "Wenn du es möchtest." Gary seufzte. "Wie hast du... wie hast du gemerkt, dass du...?" "Das ich schwul bin?" "So ungefähr..." Chris verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Das war bei mir recht früh. Weißt du, man merkt, dass etwas nicht stimmt, wenn alle um einen herum anfangen, sich für Mädchen zu interessieren und du selbst, na ja, verliebst dich in den Quarterback." "Und woher wusstest du, dass du Jason liebst?" wollte Gary wissen. "Die Frage ist nicht leicht zu beantworten..." Der blonde Mann sah in Richtung Fenster, wo immer noch heftiger Regen niederging. Er schien einen Moment überlegen zu müssen, die richtigen Worte finden. "...so etwas spürt man intuitiv, denke ich... Jasons Lächeln... seine Augen... das ist wie nach Hause kommen... ich weiß nicht, ob du das verstehst... ich bin fast mein ganzes Leben einsam gewesen, aber nur ein Augenblick mit Jason macht das alles vergessen. Natürlich hat er seine Fehler, wer hat das nicht? Nur das ist nebensächlich. Er ist ein wundervoller Mensch und ich bin glücklich mit ihm. Wenn du das sagen kannst, weißt du, dass du jemanden wirklich liebst, denke ich." "Du weißt warum ich das frage, oder?" Chris nickte nur zur Bestätigung. "Und was soll ich jetzt tun?" "Das musst du ganz allein entscheiden, Gary. Dabei kann ich dir nicht helfen. Hör auf dein Herz und dann tu, was du für richtig hältst. Jason sucht nach Marcus und er bringt ihn dann sicher hierher. Nur tu mir einen Gefallen." "Welchen?" "Tu Marcus nicht weh. Mach ihm keine Hoffnungen, wo keine sind." "Wenn er überhaupt noch mit mir reden will... nach allem was Jason getan hat..." "Du musst deinen Bruder verstehen," nahm Chris Jason in Schutz, "er hat sich Sorgen um dich gemacht und er ist manchmal etwas zu impulsiv. Aber ich bin mir sicher, er wird das alles wieder hinbiegen. Ich wette, Marcus und er sprechen sich gerade aus." Eisiges Schweigen. Jason biss sich auf die Lippe. Er hatte es geschafft, Marcus ins Haus zu verfrachten. Der Junge saß auf der Couch, in ein Badetuch gewickelt, und blickte auf seine Füße. Er zitterte ein wenig. "Bist du wirklich den ganzen Weg bis hierher gelaufen?" Die Frage war dermaßen plump, dass sich Jason beinahe dafür schämte. Aber er war ins Schwimmen geraten, keinen Plan wie er die Situation entschärfen konnte, keinen Ansatz für eine Konversation. Und in der Not... Allerdings machte es ihm der Junge auch nicht gerade einfach. Ein Kopfnicken war nun nicht unbedingt redselig. "Okay! Gut, dann eben anders, hör mir einfach zu, ja?" Er wartete kurz auf eine Antwort, als keine kam, ließ er es dabei bewenden. "Ich bitte dich, meine Entschuldigung zu akzeptieren." Marcus Kopf ruckte nach oben. "Ich habe Riesenmist gebaut. Gary hat mir alles erzählt." "Er ist wach?" "Ja, ist er. Und er hat mir die Situation klar gemacht... ich habe dir Unrecht getan... es tut mir leid. Glaub mir, mir fällt das sehr schwer zuzugeben, dass ich Mist gebaut habe... aber es ist so... ich bin immer schnell dabei, Gary auf ein Podest zu heben. Er ist mein kleiner Bruder und ich sehe oft in ihm noch den kleinen Jungen, den ich früher vor Rowdys beschützt habe und der weinend zu mir kam, wenn er sich ein Knie aufgeschlagen hatte. Und als das alles passiert ist, hab ich einfach überreagiert. Ich hab keine Sekunde angenommen, dass er auch etwas mit der Situation zu tun, ja sie sogar selbst heraufbeschworen haben könnte... und ich war sofort sicher, dass es also nur deine Schuld gewesen sein konnte..." Er schaffte es trotz aller Scham Marcus fest in die Augen zu sehen. "Ich hoffe, dass du verstehst und mir verzeihst... glaub mir, die letzte halbe Stunde war grauenvoll, ich hatte solche Angst, dass du dir vielleicht etwas angetan haben könntest." "Glaubst du wirklich, ich würde so etwas tun, Jason? Ich könnte Chris... und dich... niemals in solch eine Situation bringen... außerdem geht es immer weiter. Glaubst du, ich hätte mich nicht längst umgebracht, wenn ich nicht der Auffassung wäre, dass Selbstmord keine Lösung ist?" Für ein paar Sekunden war Jason sprachlos. "Oh mein Gott..." "Was denn?" "Ich... ich begreife nur gerade die ganze Tragweite dessen, was ich verbockt habe. Ich hätte dich nicht falscher einschätzen können... ich war immer der Meinung, du wärst ein unreifer Teenager... na ja, so wie die Jungs in deinem Alter meistens sind..." "Wenn die Straße eines von dir verlangt, dann ist das schnell erwachsen zu werden. Zumindest ab und an." Er lächelte etwas verlegen. Wieder herrschte kurz Schweigen, doch dann sprang Marcus unvermittelt auf und warf sich in Jasons Arme. Er schluchzte. "Es tut mir leid, was passiert ist, glaub mir bitte... ich hab das nicht gewollt." Selten hatte sich Jason so sehr für etwas geschämt wie in diesem Moment. Er hatte kein Recht gehabt Marcus so zu behandeln. Er drückte den Jungen an sich und spürte selbst, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Er war nicht nah am Wasser gebaut, aber er konnte nicht anders. Trotzdem drängte er die Tränen mit aller Kraft zurück, das war wirklich nicht der Augenblick für Schwäche. Vor allem, da Marcus jetzt gerade jemanden brauchte, der stark war. Noch nie hatte der Junge ihn so sehr an Chris erinnert wie jetzt. Willensstark und gleichzeitig so verletzlich. Er strich ihm übers Haar, so wie er es mit Chris tun würde. Eine beruhigende Geste, die selten ihre Wirkung verfehlte. "Ist ja gut. Ich weiß, dass du es nicht wolltest." "Ich liebe ihn so sehr!" Marcus' Stimme erstickte in Tränen. "Ich weiß." Der Junge sah ihn mit seinen verheulten blauen Augen verwundert an. "Du weißt es?" "Chris hat es mir erzählt und Gary auch... es tut mir leid, dass ich nicht erkannt habe, wie sehr du ihn liebst." Marcus schmiegte sich mit dem Kopf an Jasons Brust, er vergrub sich regelrecht in der Umarmung, schutzsuchend. "Es ist aber auch schwer, deinen Bruder nicht zu lieben..." "Das weiß ich." "Er muss mich jetzt hassen..." "Das tut er nicht..." beruhigte ihn Jason, "er will mit dir reden. Deswegen habe ich dich gesucht." Marcus löste sich von ihm. "Er will wirklich mit mir reden?" Der ältere Mann nickte. "Ja und zwar so schnell wie möglich. Ich weiß nicht, ob er mittlerweile darüber aufgeklärt wurde, was der Unfall für ihn bedeutet... vielleicht wäre es gut, wenn du da wärst." "Aber ich habe sein Leben zerstört!" "Ach ja? Hast du das Auto gefahren? Hast du ihm gesagt, er soll nicht aufpassen und einfach auf die Straße fahren? Mein Bruder hat sich dir gegenüber wie ein totaler Arsch benommen, etwas, das ihm jetzt total leid tut. Aber deine Reaktion war nur zu verständlich." "Das heißt, du hasst mich nicht?" Jason schüttelte den Kopf. "Chris hat dich wahnsinnig gern und ich auch. Trockne dich ab, zieh dich um und wir fahren zum Krankenhaus." "Ich danke dir... von ganzem Herzen." Jason lächelte ihm zu. "Mach schnell." "Ich bin sofort wieder da!" Marcus eilte aus dem Zimmer. Jason ließ sich auf die Couch sinken und seufzte. Die Frage ging ihm immer noch nicht aus dem Kopf. Warum immer er? Konnte sein Leben nicht einmal ganz normal verlaufen? Wieder einmal waren Chris und er nur knapp an einer Katastrophe vorbei gerutscht und das nicht zuletzt durch das Verantwortungsbewusstsein und die Reife eines Jungen, den er selbst für ein Kind gehalten hatte. Marcus' Herz schlug wie wild, als er das Krankenzimmer betrat. Chris war überglücklich gewesen ihn unversehrt wieder zu sehen. Das war doch kaum noch zu ertragen, offenbar dachte hier jeder, dass er extrem selbstmordgefährdet war. Hatte er irgendeinen Grund dafür geliefert? Eine Packung Schlaftabletten hatte er ebenso wenig in der Tasche wie Rasierklingen. Aber so ganz verdecken konnte er es Chris und Jason auch nicht. Das war jetzt aber eh nebensächlich. Garys Anblick traf ihn zutiefst. "Gary?" Der Junge drehte ihm den Kopf zu. "Hi, Marc..." Stille senkte sich über den Raum und zwar genau so lange, damit es peinlich wurde. Marcus suchte nach einem passenden Satz, aber ihm fiel nichts ein außer: "Darf ich mich setzen?" "Mach ruhig." Der blonde Junge ließ sich also auf den heute besonders stark ausgelasteten Stuhl neben dem Bett nieder. Wieder erlahmte die Unterhaltung zwischen den Beiden. Bis zu dem Augenblick in dem Gary plötzlich in Tränen ausbrach. Marcus erschrak regelrecht. "Was ist?" "Ich..." Er schluchzte. "Ich werde... ich darf nicht mehr..." Mit einem Mal war Marcus klar worauf Gary hinaus wollte. Er reagierte ohne groß darüber nachzudenken und nahm die linke Hand des anderen Jungen. Er hielt sie fest in der Hoffnung, ihm damit Kraft zu spenden. Dabei bemühte er sich selbst, nicht zu weinen, ohne zu wissen, dass es Jason vorhin mit ihm ähnlich ergangen war. Gary drückte seine Hand, er klammerte sich regelrecht an ihn. "Ist ja gut... beruhige dich..." "Baseball war mein Leben..." "Ich weiß, es tut mir so leid." Obwohl er weinte, erkannte man deutlich die Verwunderung auf Garys Gesicht. "Warum tut es dir leid?" "Warum schon? Ohne mich wäre..." "Sprich nicht weiter... du hast keine Schuld an dem Unfall..." Marcus erhob sich im Reflex. "Doch!" ereiferte er sich. "Egal was Jason sagt, ich fühle mich dafür verantwortlich! Wenn wir nicht..." "Dazu gehören zwei, Marc... und dann hat auch nicht nur einer Schuld..." Marcus ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Gary hatte ja Recht. Aber er konnte die Gewissheit dessen, was ihr Abenteuer den anderen Jungen gekostet hatte, kaum ertragen. In diesem Augenblick war er bereit alles zu geben, nur damit Gary geheilt und gesund sein konnte. Gary schien sich langsam ein wenig zu beruhigen. Marcus konnte das nur bewundern, ebenso wie Jason strahlte sein Bruder eine Stärke aus, die er niemals aufbringen könnte. Allein der Gedanke an das, was geschehen war, trieb ihm die Tränen in die Augen. Er war nicht in der Lage, das Gespräch wieder aufzunehmen. Gary spürte das offensichtlich. "Ich möchte mich entschuldigen." "Wofür?" "Für alles, was du wegen mir durchmachen musstest... und für die hysterische Schwuchtel, ich hatte kein Recht so etwas zu dir zu sagen." "Du warst wütend und ich hatte dich getreten..." "Das entschuldigt es nicht!" Gary gestikulierte mit der unverletzten Hand soweit ihm das seine anderen Verletzungen erlaubten. "Ich war einfach nur dumm... ich hab... ich habe nicht verstanden, vielleicht auch nicht verstehen wollen, was diese Nacht für dich bedeutet hat. Aber du musst mich auch verstehen... ich..." Er sah aus dem Fenster, scheinbar unfähig, Marcus länger ins Gesicht zu schauen. "Ich hab diese Nacht... das was wir da getan haben... es hat mir Spaß gemacht... ich fand es schön. Aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, mit dir im Arm... ich... ich hab einfach durchgedreht. Ich hatte Panik. Weißt du, ich habe noch nie... noch nie in meinem Leben... etwas mit einem Jungen gehabt, ich hab noch nicht einmal mit Kumpels gewichst oder so, nichts. Und dann das... und als du mir dann deine Liebe gestanden hast... ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte, die Situation ist mir über den Kopf gewachsen. Aber allmählich erinnere ich mich auch an Sachen vor dem Unfall... ich wollte zurück zu dir... mit dir reden... Ich... hab ich dich doch gern... vielleicht können wir noch mal von vorn anfangen... es langsam angehen lassen..." Marcus stützte sein Gesicht auf die gefalteten Hände und schloss die Augen. Gary hatte ihn gern. War das nicht genau das, was er sich gewünscht hatte? Bestand vielleicht doch Hoffnung für ihn und den brünetten Jungen. Marcus wünschte sich nichts sehnlicher als das, aber in diesem Moment meldete sich eine Stimme der Vernunft in seinem Kopf, die er lange unterdrückt hatte. "Gary... ich muss dich was fragen. Du musst nicht sofort antworten. Denk drüber nach." "Okay..." "Die Nacht mit mir hat dir Spaß gemacht. Aber das ist nicht alles. Es braucht mehr als hinter verschlossener Tür Spaß zu haben. Kannst du dir vorstellen, mich vor aller Welt als deinen Freund vorzustellen? Mich mit deinen Freunden in New York bekannt zu machen? Kannst du dir vorstellen, mit mir Hand in Hand über die Straße zu gehen? Mich zu küssen? Kannst du dir vorstellen, abends mit mir ins Bett zu gehen, mit mir zu schlafen? Das alles und mehr. Kurzum, kannst du dir vorstellen, mit mir eine echte Beziehung zu haben?" Gary sah ihn überrascht an, doch er blickte schnell wieder weg. Er schien zu überlegen. Dann, nach einer für Marcus fast endlosen Weile schüttelte er den Kopf, sagte jedoch: "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, Marc. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich weiß momentan selbst nicht mehr genau, wer ich bin und was ich will." Marcus schloss erneut die Augen. Genau das hatte er erwartet. Insgeheim hatte er auf eine andere Antwort gehofft, aber das war pure Utopie. Dies war die einzig mögliche Antwort gewesen. Und ebenso wusste er nun, was er zu tun hatte. Das, was richtig war, auch wenn es ihm das Herz zerriss. "Es tut mir leid, Gary, aber ich kann das nicht." "Was meinst du?" "So kann das nicht gehen... ich kenne dich erst ein paar Tage, aber ich liebe dich so sehr, dass es schon weh tut. Mit jeder Minute, die verging habe ich mich mehr in dich verliebt, mit jeder Stunde habe ich mich mehr nach dir gesehnt... du hast mir sogar quasi das Leben gerettet, als du mich vor Steven bewahrt hast... danach warst du für mich ein Held und du bist es immer noch..." Eine Träne rollte über seine Wange, aber er schaffte es, seine Stimme stark zu halten. "Die letzte Nacht war die Erfüllung all meiner Träume, ich habe mich noch nie so sicher gefühlt wie in deinen Armen. Ich hab schon soviel mitgemacht, aber gestern Nacht war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich vollkommen glücklich." Sein Blick wurde trüb, so stark drängten sich die Tränen in seine Augen. "Aber ich muss auch ein wenig an mich denken... wenn ich jetzt warten würde, wie du dich entscheidest... und du würdest dich gegen mich entscheiden... das würde ich nicht ertragen. Ich kann einfach nicht abwarten, was geschieht. Ich weiß, was ich mir wünsche und das hier ist für uns beide nur eine Qual..." Er ballte die Fäuste, damit seine Hände nicht zu sehr zitterten. "Und was für eine Zukunft hätten wir schon? Uns trennen sogar Zeitzonen. Ich will nicht, dass du dich wegen mir quälst und ich will auch nicht, dass du dich selbst zu etwas zwingst, was du nicht willst, nur weil du glaubst, mir nicht weh tun zu dürfen. Für uns gibt es kein "Wir"... ich glaube es ist besser, das direkt einzusehen..." "Können wir... wenigstens Freunde bleiben?" Marcus machte eine Kopfbewegung, die eine Mischung aus Kopfschütteln und Nicken war. "Ich weiß es nicht..." "Dann ist das hier jetzt das Ende?" Statt zu antworten erhob sich der blonde Junge und beugte sich vorsichtig über Gary. Ein letztes Mal wollte er seine Lippen spüren, ihm ein letztes Mal nahe sein. Gary wehrte sich nicht. Der Kuss war unendlich langsam, zärtlich und liebevoll. Wie in Zeitlupe umspielten sich ihre Lippen und Zungen. Eine Träne von Marcus tropfte auf Garys Wange und rann daran hinab. "Ich liebe dich..." flüsterte Marcus bevor er sich gewaltsam aus Garys Nähe losriss. Mit festen Schritten ging er zur Tür. "Marcus!" Der Junge zuckte fast zusammen. Mit aller Kraft wünschte er sich, dass Gary ihn zurückhalten, ihm seine Liebe gestehen würde. Aber er wusste, dass es nicht so war, tief in seinem Inneren wusste er es. "Darf ich dich... darf ich dich mal anrufen?" Marcus lächelte. "Chris hat meine Nummer, aber du wirst nicht anrufen..." Gary erwiderte nichts und sein Schweigen wirkte wie eine stumme Bestätigung, ihre Geschichte endete hier, noch ehe sie wirklich begonnen hatte. Marcus hatte einen furchtbaren Kloß im Hals, seine Augen füllten sich schon wieder mit Wasser. "Leb wohl, Gary..." schaffte er zu sagen, dann öffnete er die Tür des Krankenzimmers und schlüpfte hinaus. Erst als sie hinter ihm ins Schloss fiel, brach er endgültig in Tränen aus. Gary sah im Zimmer aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört und langsam brach die Sonne wieder durch die Wolken. Auch ihm rannen unaufhörlich Tränen über das Gesicht... Chris zog leise die Tür von Marcus' Zimmer hinter sich zu. Der Junge lag zusammengerollt auf seinem Bett und schluchzte. Chris ließ sich neben ihm nieder und streichelte ihm sanft über den Rücken. "Ich kann nicht aufhören zu weinen..." schluchzte Marcus. "Irgendwann muss man doch leer sein... warum kommen da immer noch Tränen?" Chris lächelte. Jason hatte ihn und Marcus kurz nach dem Gespräch mit Gary nach Hause gefahren. Marcus hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und sich dann in sein Zimmer verzogen. Chris hatte es für besser gehalten, ihn ein wenig in Ruhe zu lassen. Sein Freund war daraufhin noch einmal ins Krankenhaus gefahren und hatte von Gary alles erfahren, was geschehen war. "Wenn es dich tröstet, ich bin wirklich stolz auf dich..." "Aber ich nicht auf mich... ich zweifle mittlerweile an mir. Was, wenn er mich doch lieben gelernt hätte? Vielleicht wären wir doch ein Paar geworden. Wenn ich nun voreilig war... es tut so weh..." Er rollte sich noch weiter zusammen, wie ein Fötus im Mutterleib, als wolle er in seine eigene Welt fliehen, weg von den Schmerzen seines gebrochenen Herzens. "Du hast genau das Richtige getan." Chris hoffte, dass er überzeugend klang. "Hab ich das?" nuschelte Marcus ins Kissen. "Woher weißt du das?" "Du hast unglaublich erwachsen gehandelt, Jason und ich waren sehr beeindruckt." Marcus stemmte sich hoch. "Ach ja? Aber warum fühlt es sich so falsch an, wenn es doch so reif und erwachsen war? Ich will gar nicht reif handeln, wenn das so weh tut!" Chris zog ihn in seinen Arm. "An so etwas wirst du wachsen." "Dann bleib ich lieber klein!" "Okay..." Chris zog das O absichtlich lang. "Ich habe jetzt alle weisen Sprüche verschossen und deine Reaktionen sind nicht gerade hilfreich." Marcus sah ihn an. Langsam, ganz langsam wanderten seine Mundwinkel nach oben. Chris zog absichtlich eine Flunsch und setzte einen Welpenblick auf. Jetzt konnte Marcus nicht mehr. Obwohl ihm immer noch Tränen in den Augen standen, brach er in Gelächter aus. Chris stimmte ein. Für über eine Minute erfüllte nur Lachen den Raum, dann sank Marcus in Chris' Arme. Er rang nach Atem. "Ich hasse dich!" "Ach ja?" "Ja! Ich hasse dich, weil du genau weißt, wie du mich zum Lachen bringen kannst! Dabei ist mir gar nicht nach lachen, ich will eigentlich nur weinen..." "Aber lachen macht doch mehr Spaß!" grinste Chris. Er drückte Marcus an sich. "Hör zu, ich weiß, dass es furchtbar weh getan hat, was du tun musstest, aber ich verspreche dir, und das ist jetzt kein weiser Spruch, schon bald wirst du darüber hinweg kommen und wirst einsehen, dass es genau das Richtige war." "Ich bin mir da nicht so sicher..."entgegnete Marcus. "Aber ich wäre schon froh, wenn es aufhören würde, weh zu tun..." "Ich sag dir jetzt mal was: Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Wie du heute gehandelt hast, selbst nach der Sache mit Jason, für die er sich übrigens immer noch schämt, war unglaublich verantwortungsbewusst und erwachsen. Vor ein paar Monaten, als Jason und ich mal einen heftigen Streit hatte, habe ich mich besoffen und mich dann mit Tabletten beinahe aus Versehen umgebracht. Und du bist trotz allem noch nicht einmal auf die Idee gekommen, dir etwas anzutun, weil du der Meinung bist, dass es immer weiter geht. Du bist wirklich bewundernswert, Marcus." "Findest du das wirklich?" Chris nickte. "Das hilft aber auch nichts gegen die Schmerzen..." "Ich weiß aber, was hilft..." flüsterte Chris ihm ins Ohr, "Schokolade und Kekse." "Meinst du?" Chris strich ihm eine Träne von der Wange. "Ja, auf jeden Fall. Ich hab einen Vorschlag für dich. Ich weiß, das wird den Schmerz nicht auslöschen, aber Jason wartet drüben bei uns mit einem Berg Schokolade, Oreo Cookies und anderen Süßigkeiten, die wunderbar ungesund sind. Außerdem hat er ein paar Actionfilme besorgt, in denen es garantiert keine Romanzen gibt. Ich ertrag es nicht, dass du hier hockst und Trübsal bläst. Was meinst du? Kommst du mit rüber?" Er zwinkerte Marcus zu und sah ihn erwartungsvoll an. Der Junge konnte nicht anders als zu lächeln. Auch wenn ihm eigentlich nur nach allein sein war, fühlte er doch sofort, wie wichtig es Chris war, ihn aufzuheitern. Und wer weiß, vielleicht würde es ja wirklich helfen. Außerdem kam er so aus dem Zimmer raus, in dem so viele Erinnerungen hingen. Selbst das Bett roch nach Gary. "Also gut!" "Wunderbar, komm!" Chris sprang auf und eilte zur Tür, er öffnete sie, bevor er Marcus mit einem angedeuteten Knicks zum Mitkommen aufforderte. Der Junge stand ebenfalls auf und nahm kurz entschlossen seinen Teddy mit, den er die ganzen Nächte mit Gary über nur auf seinem Nachttisch hatte sitzen lassen, weil es ihm peinlich gewesen war. Er schaute erst den Teddy, dann Chris an. "Weißt du was, Chris? Ich liebe meine Eltern, aber ich wünschte, ich könnte für immer hier bleiben." "Ob du es glaubst oder nicht, das würde ich mir auch wünschen. Aber du kannst uns ja jederzeit besuchen." "Sieht Jason das auch so?" "Absolut!" nickte Chris. "Du musst ihn ein bisschen aufbauen, er hat immer noch ein sauschlechtes Gewissen wegen der Sache, die er mit dir abgezogen hat. Deswegen legt er sich auch so ins Zeug." "Ich mag ihn doch immer noch." "Und er dich auch. Komm jetzt, sonst fängt er noch ohne uns mit den Filmen an!" grinste Chris, nahm Marcus bei der Hand und gemeinsam verließen sie das Zimmer. Es war bereits spät in der Nacht. Marcus lag zusammengerollt auf Chris' Seite des Bettes, den Teddybär im Arm. Er schlief tief und fest. Chris saß an Jason gekuschelt neben ihm und betrachtete ihn. Um das Bett herum lagen diverse Schokoladenpapiere, leere Schachteln von Oreo Cookies und weiterer Süßkram. Jason hatte seinen Arm um Chris gelegt und strich seinem blonden Freund jetzt mit der Hand, die auf dessen Schulter lag, sanft über die Wange. "Diesen Blick würde ich gern fotografieren." Chris schaute ihn an. "Was meinst du?" "So wie du ihn ansiehst... so unendlich liebevoll." "Schaue ich dich nicht so an?" "Auf eine andere Art... du hast ihn sehr lieb, oder?" "Ja..." sagte Chris leise und zog die Decke ein bisschen weiter über Marcus' Schultern. "Ich fühle mich furchtbar wegen heute..." "Er hat dir längst verziehen." "Hat er?" Chris nickte. "Er ist erwachsener, als er selbst denkt." "Ich weiß." "Was wird jetzt aus Gary?" "Er wird morgen nach New York überführt. Dad muss zurück. Wir können uns morgen noch verabschieden." "Sind deine Eltern sauer auf ihn? Oder auf Marcus?" Jason schüttelte den Kopf. "Sie wissen es gar nicht. Gary hat mich darum gebeten. Sie könnten also höchstens sauer sein, dass er nicht auf die Straße geachtet hat, aber dazu sind sie viel zu glücklich, dass er noch lebt." Chris seufzte und kuschelte sich tiefer in Jasons Arme. "Ob wir wohl jemals zur Ruhe kommen?" "Das habe ich mich heute auch schon ein paar Mal gefragt..." "Irgendwann muss es ja mal soweit sein!" lächelte Chris. "Ja, hoffentlich... Willst du ihn wecken?" "Lass ihn schlafen," beschloss sein Freund, "ich will nicht, dass er allein schlafen muss. Wir haben ja genug Platz. Mach einfach das Licht aus." Jason langte zum Nachttisch und löschte die Beleuchtung. Leise glitten sie unter die Decke und Chris schmiegte sich an seinen Freund. Endlich wurde es ruhig im Haus. Jason schlief mit dem Gedanken ein, dass diese Krise hoffentlich die letzte gewesen war... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ That's it! Dieses Kapitel hat mir beinahe graue Haare bereitet. Mit dem gesamten Anfang bis zur Abschiedsszene bin ich nur bedingt zufrieden und eine Schreibblockade hatte ich auch noch... aber jetzt ist es endlich vollbracht ^^ Marcus und Gary wird eine besondere Ehre zuteil, ihr großes Finale füllt die 200. Seite dieser Geschichte! War nicht eben erst Seite 100 vorbei? Es geht so wahnsinnig schnell ^^ Hier mit endet Marcus und Garys Geschichte fürs Erste und ich hoffe, dass ihr nicht allzu enttäuscht seid, aber die beiden sollten von Anfang an kein Happy End bekommen. Aber lasst den Kopf nicht hängen, ich plane ein Spin-off, in dem es um die beiden geht, ähnlich "Pure as New York snow" und vielleicht wird es ja da was mit dem Happy End ;-) Die Beiden machen jetzt die Bühne frei für einen der heimlichen Stars, David und sein großes Problem werden die nächsten Kapitel bestimmen, ich hoffe es wird euch gefallen ^^ Mich mal ganz auf meine liebste Schöpfung zu konzentrieren, wird eine große Herausforderung und sicher auch lots of fun ^^ Passend dazu dudelt im Hintergrund gerade "Mr. Moonlight", der Song, den Zuckerfee David gewidmet hat (noch mal 1000 Thx für die CD *hopps*) ^^ Nach den vielen depressiven Momenten der letzten Kapitel wird es endlich Zeit für etwas Spaß!!! *gggg* Also bis dann!! ^^ Euer Uly PS: Der "Titelsong" zu diesem Kapitel ist "Sweetest goodbye" von Maroon5, der Text dieses wundervollen Songs hat mich dazu inspiriert ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)