Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 28: And if at first you don't succeed... (Part 2 of 5) -------------------------------------------------------------- Jason sank unter Davids Gewicht auf die Knie, plötzlich war überall Blut. An seinen Händen, auf seiner Kleidung, überall. Der ganze Körper des blonden Mannes zuckte unkontrolliert, während er stoßweise nach Atem rang, die Augen immer noch weit aufgerissen. Jason presste seinen Freund an sich und kämpfte für ein paar Sekunden gegen das übermächtige Gefühl der Panik, das sich in ihm aufbaute. Die Studenten am Brunnen schauten erschrocken zu den beiden Männern herüber. "Verdammt! Glotzt nicht so blöd! Ruft einen Krankenwagen! Los!" brüllte Jason zu den Jugendlichen. Einer von ihnen riss daraufhin so schnell er konnte sein Handy aus der Tasche. Davids Hand ruckte hoch und verkrampfte sich in Jasons Shirt. "Lass... mich nicht... allein..." Jason fasste seine Hand und hielt sie fest, während er mit dem anderen Arm seinen Freund fester an sich zog. "Ich bin ja da. Ich bin da." Davids Augen waren glasig. Er atmete immer heftiger. Sein Brustkorb hob und senkte sich ruckartig. Jason spürte das warme Blut seines besten Freundes, das sich auf seinem Oberkörper ausbreitete. "Will... nicht... ster... sterben..." "Das wirst du auch nicht!" Jason drückte seine Hand noch fester. "Du wirst nicht sterben, verstanden! Wag es ja nicht, mir hier wegzusterben!" David hustete. "Ist das... ein Befehl...?" Er brachte trotz seiner Situation ein Lächeln zustande. "Nichts anderes! Und wehe du gehorchst mir nicht!" "Hab... Angst..." "Alles wird gut. Alles wird gut. Ich bin bei dir." Jason sah die Tränen in den Augen des blonden Mannes, die sich ihren Weg über seine fahlen Wangen suchten. Er hatte noch nie soviel Furcht in Davids blauen Augen gesehen und sein Herz verkrampfte sich bei dem schrecklichen Anblick. Die ganze Situation war geradezu surreal. Er hielt hier seinen besten Freund in den Armen, den Mann, der seit über vier Jahren immer für ihn da gewesen war, der ihn aufgebaut hatte, wenn er am Boden gewesen war, der immer zu ihm gehalten hatte. David war da gewesen, als er Probleme wegen seiner Homosexualität hatte, er war an seiner Seite gewesen, als er Angst davor hatte, sich seine Gefühle für Chris einzugestehen. Egal wann er jemanden zum Reden gebraucht hatte, David war zur Stelle gewesen. Sie hatten sich gestritten, sie hatten sich sogar schon geprügelt, aber all das hatte niemals einen Keil zwischen sie treiben können. David war ein Teil seines Lebens, auf den er auf keinen Fall verzichten wollte. Er konnte sich sein Leben ohne David nicht vorstellen. Wenn Chris die Liebe seines Lebens war, so war David der eine Freund, den man meist nur einmal findet, der Freund, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte. Er hatte es sogar geschafft, ihn aus dem Tief zu holen, dass Randys Tod ausgelöst hatte. Und an eben diese Situation musste Jason plötzlich denken. Randys Anblick in diesem Keller, sein Blut, seine letzten Worte, bevor er in den Krankenwagen kam, der letzte Moment, in dem er seinen Partner lebend gesehen hatte. Dies durfte nicht so enden! "So kalt...", flüsterte David. Von einer Sekunde auf die andere sackte sein Kopf zur Seite, sein krampfender Körper erschlaffte in Jasons Armen. "Nein!" schrie der Polizist verzweifelt. "Nein!" Doch zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass sein Freund noch atmete, wenn auch nur sehr flach. Eine Sirene heulte auf und wurde stetig lauter. Jason blieb über David gebeugte sitzen und hielt seinen Freund fest, er wiegte ihn in seinen Armen und flüsterte ihm immer und immer wieder "Bitte stirb nicht..." zu. Erst als die Sanitäter bei ihm waren, ließ er ihn los. "Sir?" Jason schaute den jungen Sanitäter an, als wäre er eben aus einem Traum erwacht. Der Krankenwagen raste dem Memorial entgegen. Jason konnte seinen Blick kaum von David abwenden, der bewusstlos auf der Liege lag, bereits an einen Tropf angeschlossen und mit einer Beatmungsmaske über dem Gesicht. "Sir, ist alles mit Ihnen in Ordnung? Möchten Sie ein Beruhigungsmittel?" "Nein... ich brauche nur ein Telefon..." Er hatte sein Handy irgendwo in der Aufregung verloren. "Sofort wenn wir im Krankenhaus sind." "Wird er durchkommen?" Jason hatte Angst vor der Antwort. "Das kann ich nicht sagen, aber die Ärzte im Memorial sind sehr gut." Jason gab ein Geräusch von sich, dass irgendwo zwischen Zustimmung und Abneigung schwankte. "Diese Ärzte haben meinen Partner verloren..." Der Sanitäter sagte nichts mehr. Jason griff hinüber und nahm die Hand seines blonden Freundes, er stützte sein Gesicht in die andere Hand, ohne darauf zu achten, dass er dabei Davids Blut auf seine Haut schmierte. Tränen traten in seine Augen. Endlich kam das Fahrzeug vor dem Krankenhaus zum Stehen. "Er versetzt mich! Mister Pünktlichkeit lässt mich warten!" Jeremy kickte seine Schuhe in die Ecke und zog seine Jacke wieder aus. Abby lehnte im Türrahmen seines Zimmers. "Ihm wird etwas dazwischen gekommen sein." "Ja, aber wehe, mir passiert so etwas! Dann bin ich wieder ein Trödler." "Regen wir uns künstlich auf? Du kannst es doch nur nicht mehr erwarten, endlich wieder in die Arme deines Adonis zu sinken." Jeremy streckte ihr die Zunge raus, doch dann nahm er das Bild von David in die Hand, das auf seinem Schreibtisch stand. David lächelte ihn aus dem Rahmen heraus an. "Ist das normal?" "Was denn?" Abby band sich ihre Haare mit einem pinkfarbenen Zopfgummi nach hinten. "Das ich ihn wirklich vermisse...? Ich habe Angst, dass ich ihn bedränge und anfange zu klammern." "Du bist eben in ihn verliebt." "Ja." Jeremy stellte das Bild zurück. "Und genau das ist das Problem. Weißt du, ich würde ihm zu gern sagen, dass ich ihn liebe, aber irgendwie habe ich Angst davor, dass ihn das wieder in Panik versetzt." "Nimm doch nicht wieder drei Schritte auf einmal." Abby setzte sich auf Jeremys Bett und schlug die Beine übereinander. "Genieß doch erst einmal das, was du erreicht hast. Ihr Beiden seid so süß zusammen. Ich glaube, ich wäre ausgeflippt, wenn du wirklich mit Alex zusammen gekommen wärst... ich kann diesen Kerl nicht leiden!" "Dafür ist er ausgeflippt, das weißt du doch." "Ach komm. Der Kerl ist ein Schwätzer. Der kneift doch sowieso wieder nur den Schwanz ein und bellt noch ein bisschen. Außerdem ist er doch in der Versenkung verschwunden." "Ich traue dem Frieden nicht." "Das liegt nur daran, dass ihr eindeutig zu viele weibliche Gene habt! Dieses Rumgezicke kennt man von Männern ja eigentlich nicht." Jeremy musste lachen. So kannte er Abby, nie um einen Spruch verlegen. Auch die junge Frau konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In das Lachen des Tänzers hinein schrillte das Telefon. "Na bitte!" stellte Abby fest. "Adonis will sich entschuldigen." Jeremy langte nach dem Hörer und nahm ab. "Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung für deine Verspätung! Ich höre?" Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht. "Oh, hallo, Jason. Entschuldige, ich dachte, es sei David. Wo steckt er? War er nicht mit dir unterwegs?" Abby wippte fröhlich mit ihrem Fuß, während sie Jeremy zuhörte, doch als plötzlich sämtliche Farbe aus dem Gesicht ihres besten Freundes wich, unterbrach sie die Bewegung. "Was ist?" "Nein... nein...", stammelte Jeremy, ohne auf ihre Frage zu achten. "Nein... ich... ich komme sofort..." Er legte auf und das Telefon rutschte ihm aus der Hand. "Was ist?!" wiederholte Abby die Frage mit deutlicher Sorge in der Stimme. "David wurde angeschossen...", antwortete der Tänzer wie eine Maschine. Er stand offensichtlich unter Schock. "Oh mein Gott..." "Ich muss ins Memorial..." "Keine Chance! Du gehst nicht allein! Ich komme mit." Abby hob die Schuhe vom Boden auf und begann, sie Jeremy anzuziehen. Der junge Mann wehrte sich nicht einmal. Marcus drückte die Badezimmertür auf und trat ein. Im Raum war es warm, die Wände der Dusche und der Spiegel über dem Waschbecken waren beschlagen. Durch die trübe Oberfläche konnte er Colins Silhouette ausmachen. Unwillkürlich musste er grinsen. Langsam zog der blonde Junge seine Boxershorts aus und öffnete dann die Türen der Duschkabine. Heiße Luft strömte ihm entgegen. Colin sah ihn überrascht an. "Oh, bist du auch endlich aufgewacht?" Es war am Abend zuvor spät geworden. Die Beiden waren im Kino und danach noch am Pier gewesen. Erst mitten in der Nacht waren sie zu Colin gegangen und Marcus hatte dort übernachtet. "Warum hast du mich nicht geweckt?" Marcus streckte sich zu Colin hoch und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Der heiße Wasserstrahl traf sie jetzt beide und der blonde Junge spürte, wie das Nass zwischen seinen auf Colins Brust gedrückten Fingern hinab rann. Der ältere Junge schloss ihn in die Arme. "Du hast so niedlich ausgesehen, da konnte ich dich nicht wecken." "Und da lässt du mich lieber den ganzen Spaß verpassen?" Die Hände des Jüngeren lösten sich von Colins Brust und umfassten frech dessen Po. Das alles war für Marcus vollkommen neu. Sie waren nun knapp drei Wochen zusammen und hatten gerade ein wenig Petting hinter sich. Colin schien sich Zeit lassen zu wollen, was Marcus aber nur zeigte, dass den Anderen mehr als nur sein Körper interessierte. "Stimmt, wie egoistisch von mir." Er grinste und drückte Marcus fester an sich, so dass dieser deutlich spürte, dass Colin die Nähe zu ihm sehr gefiel. Der Jüngere brachte seine Hände wieder nach vorn und erkundete mit dem Zeigefinger spielerisch Colins Oberkörper, von der Brust hinab über den Bauch. Er zog ein paar Kreise um den Bauchnabel, bevor er langsam aber sich der verheißungsvollen dünnen Linie aus Haaren weiter nach Süden folgte. Konnte ein Tag besser beginnen als so? Sicher nicht. In diesem Augenblick verwandelte sich der heiße Strahl aus der Brause in einen eiskalten Regen. Marcus stieß einen erschrockenen Schrei aus, versuchte im Reflex, dem Wasser auszuweichen und geriet ins Rutschen. Seine Füßen glitten weg und er sah sich selbst schon hinschlagen, als sein Freund ihn geistesgegenwärtig auffing. Dabei hielt er sich selbst an dem mit Saugnäpfen befestigen kleinen Regal mit Waschutensilien fest, das sich daraufhin löste und seinen Inhalt in der Duschkabine verteilte. Colin gelang es irgendwie, das Gleichgewicht zu halten und er versuchte verzweifelt den Regler der Dusche zu erreichen, um das Wasser abzustellen. Endlich gelang es ihm. Die Beiden stolperten zitterten aus der Kabine, darauf bedacht, nicht auf die herumliegenden Shampoo- und Duschgelflaschen zu treten, und Colin schnappte sich so schnell er konnte sein großes Badelaken, um sich und seinen Freund darin einzuwickeln. "Scheiße, was war das denn?" Marcus presste sich mit klappernden Zähnen an Colin, der ihn und sich trocken rieb. "Wenn ich das mal wüsste." Jetzt mussten Beide doch lachen, die Situation war total verrückt. "Mein Held, du hast mich gerettet!" lachte Marcus und küsste Colin erneut. Der andere Junge beugte sich zu ihm hinunter und zog ihn an sich, das Badetuch glitt zu Boden und ließ die Beiden nackt zurück, genau in dem Moment, da Colins Mutter aufgeregt die Tür des Badezimmers aufriss. "Mum!" Colin zerrte so schnell er konnte das Badetuch nach oben und hielt es vor sich und Marcus, der hinter seinem Freund in Deckung ging. Doch es war eh zu spät, die Situation war mehr als eindeutig, waren Beide doch klatschnass und unbekleidet. "Oh... ich... oh..." Mrs. Shephard drehte sich um. "Ich wollte nur... es hat eben einen Schaden mit dem Boiler gegeben, bis der Klempner da war, haben wir kein warmes Wasser... ich wollte das nur sagen... und ich hab einen Schrei gehört, ich dachte... du seiest vielleicht vor Schreck in der Dusch hingefallen." stammelte sie peinlich berührt. "Mum! Anklopfen! Merk es dir! Anklopfen!" Mrs. Shephard schnaufte beleidigt. "Natürlich! Und wenn du ohnmächtig in der Dusche liegst, antwortest du dann auch!" "Du blamierst mich!" Colin klang reichlich sauer. "Dann sag gefälligst das nächste Mal Bescheid, wenn du Besuch mitbringst!" Damit war das Thema für sie erledigt. Sie ging erhobenen Hauptes aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. "Es sind noch Brötchen da! Wenn ihr frühstücken wollt!" rief sie noch durch die geschlossene Tür, schon wieder viel mütterlicher. "Vielen Dank, Mrs. Shephard!" antwortete Marcus lautstark. Colin löste sich von ihm und stützte sich aufs Waschbecken. "Gott ist das peinlich!" Marcus umarmte ihn von hinten und schmiegte seine Wange an seinen Rücken. "Ach komm. Es gibt schlimmeres. Bei mir hätten wir gerade mal mein Zimmer, das wäre noch weniger privat. Und ich mag deine Mum." "Nimm sie nicht in Schutz!" "Mache ich gar nicht, aber sei froh, dass du sie hast." Im Nebenzimmer fing Marcus' Handy an die Titelmelodie von "The O.C." zu dudeln. Der blonde Junge eilte hinüber und wühlte in seinen Klamotten nach dem Telefon. Endlich fand er es. "Hallo? Oh, Jason. Hi." Colin kam hinterher und blieb in der Badezimmertür stehen. Beim Anblick seines trainierten Körpers hatte Marcus Mühe, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. "Nein, Chris ist nicht bei mir, ich bin bei Colin.... nein, ich habe ihn heute auch noch nicht gesehen. Warum ist das so wichtig? Und wo bist du? Das ist ja tierisch laut bei dir." Nach einer kurzen Pause veränderte sich der Gesichtsausdruck des Jungen. Er sah erschrocken aus. "Im Krankenhaus?!" Er beobachtete, wie sich Colin spannte, seine lässige Haltung war mit einem Mal dahin. "Was machst du im Krankenhaus?... Nein!" Marcus erbleichte. "Das ist nicht dein Ernst! Oh Gott! Ich komme hin!" Er hörte kurz zu und schüttelte dann vehement den Kopf, als könne Jason dies sehen. "Keine Chance! Ich komme da hin! Bis gleich!" Marcus legte auf und setzte sich fassungslos aufs Bett. "Was ist passiert?" "David wurde angeschossen..." "Der Freund von Jason? Ich glaube, ich habe ihn damals im Club getroffen." "Ja, der... fährst du mich hin? Jason klang fix und alle und er kann Chris nicht erreichen, weder auf der Arbeit, noch daheim oder am Handy. Deswegen hat er mich angerufen." Colin fing bereits an, sich anzuziehen. "Klar, fahre ich dich!" Jason knallte den Telefonhörer auf. Rund um ihn herum herrschte das geschäftige Treiben des Krankenhausalltags, mittlerweile schon viel zu bekannt für den Mann. Im Moment hatte er das dringende Bedürfnis, entweder in Tränen auszubrechen oder etwas zu zertrümmern. Er fühlte sich so schrecklich hilflos. David war bereits im OP, mehr wusste er nicht, weder wie es um ihn stand, noch was wirklich geschehen war. Jeremy war auf dem Weg hierher, Marcus und Colin ebenso, nur von einem fehlte jede Spur. Ausgerechnet von Chris. Er ging daheim nicht ans Telefon und im IHoP war er auch nicht. Auf seinem Handy antwortete nur die Mailbox. Jeder starrte ihn an und endlich wurde ihm auch klar warum: Er war immer noch voller Blut. Davids Blut klebte in seinem Gesicht und auf seinem Shirt, auch seine Arme waren damit beschmiert. Er wankte in den Waschraum und beugte sich über eines der Becken, um sich zu waschen. Das eiskalte Wasser löste nach und nach die rote Flüssigkeit aus seinem Gesicht und mit einigem Schrubben bekam er auch die Arme sauber. Das rötlich gefärbte Wasser verschwand im Ausguss. In der Kabine hinter ihm wurde die Spülung betätigt und ein Mann kam heraus, als er sah, wie Jason sich hektisch von dem Blut befreite, verzichtete er aufs Händewaschen und verließ so schnell es ging den Raum. Der Polizist musterte sich im Spiegel, das Gesicht von der Kälte des Wasser gerötet, am ganzen Körper zitternd, die Kleidung besudelt mit dem Blut seines besten Freundes. In diesem Augenblick setzte bei Jason etwas aus. Er brüllte voller Wut auf und fing an, wie von Sinnen auf den Handtuchspender neben den Waschbecken an der Wand einzuschlagen. Wie ein Berserker prügelte er auf den Kasten ein, bis er schief in der Halterung hing, verbeult und verbogen. Erst dann sank er zusammen und stützte sich schwer atmend an die Wand. Die Tür wurde geöffnet und sein Partner, Ashton, trat ein. Er musterte den zertrümmerten Kasten mit einem schiefen Blick und wandte sich dann Jason zu. "Hat dir das geholfen?" "Lieber würde ich das Schwein verprügeln, das David das angetan hat!" "Vielleicht kriegst du ja die Möglichkeit." "Was machst du hier, Ash?" Der Blonde zuckte mit den Schultern. "Na was schon? Ermitteln. Das ist unser Fall, Jason. Auch wenn hier kein Mord vorliegt, so ist es immerhin ein Mordversuch." "Wer weiß, ob es nicht noch ein Mord wird... ich hasse dieses Krankenhaus..." "Rede nicht so einen Unsinn! David wird durchkommen. Weißt du schon irgendwas?" Jason schüttelte den Kopf. "Nichts... er wird operiert. Es ging alles so schnell. Wir sind unterwegs, es knallt und das Nächste, was ich weiß, ist das David in meinen Armen liegt und blutet." "Die Spurensicherung ist schon am Tatort und es läuft eine Fandung, aber wir haben bisher keine Anhaltspunkte. Als ich hörte, wer das Opfer war, habe ich mir gedacht, dass du hier sein würdest." "Lass uns rausgehen...", sagte Jason leise. "Jeremy muss bald hier sein und ich will ihn nicht verpassen." Er sollte Recht behalten. Als sie die Toilette verließen, hörte er sofort Jeremys Stimme. Der junge Mann stritt lautstark mit der Schwester an der Anmeldung der Station. "Hören Sie, ich habe Ihnen eine einfache Frage gestellt! Ich will wissen, was mit David Vanderveer ist! Ich bin sein Lebensgefährte!" "Entschuldigen Sie, Sir, aber ich bin nicht befugt, Informationen an Nichtfamilienmitglieder heraus zu geben", ritt die ziemlich kratzbürstig aussehende Krankenschwester auf ihren Vorschriften herum. "Aber ich lebe mit ihm zusammen! Ich habe doch wohl ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihm los ist!" "Sir, ich habe meine Vorschriften." "Ich scheiße auf ihre Vorschriften, sie dämliche Kuh! Jetzt sagen Sie mir endlich, was mit ihm ist!" brüllte Jeremy. "Sir, bitte mäßigen Sie sich oder ich muss den Sicherheitsdienst rufen!" Abby legte ihrem Freund die Hand auf die Schulter. "Jem, gib es auf." In diesem Moment erblickte sie Jason. "Da drüben." Sie nickte in Richtung des Polizisten und als Jeremy ihn erkannte, rannte er zu ihm hinüber. Beim Anblick von Jasons blutbeflecktem Hemd schien er kurz aus der Fassung zu geraten, fing sich dann aber doch wieder. "Jason! Was ist hier los?!" "Nicht hier", sagte der New Yorker leise. "Komm, wir gehen da drüben in den Aufenthaltsraum, da ist gerade niemand, dort können wir reden." Daraufhin wiederholte Jason die albtraumhafte Geschichte ein weiteres Mal für Abby und Jeremy, der mittlerweile weiß wie die Wand war, seine Hände zitterten und er biss sich ständig auf die Lippe. Als Jason fertig war, wandte sich Ash dem jungen Tänzer zu. "Ich weiß, dass das jetzt schwer ist, Jeremy, aber du musst jetzt genau nachdenken. Fällt dir irgendjemand ein, der einen Grund hätte, David vorsätzlich etwas anzutun?" Jeremy musste nicht lange überlegen. "Alexander Stone! Er war es! Hundertprozentig! Er hasst David und er hat uns gedroht, dass wir uns noch umschauen würden. Er war es! Er war es!" Abby legte besorgt die Hand auf Jeremys Oberschenkel, sagte aber nichts dazu. "Kennst du den Kerl?" Jason nickte. "Persönlich nicht, aber David hat mir schon von ihm erzählt. Scheint ein ziemlicher Choleriker zu sein. Er war hinter Jeremy her und als er mit David zusammen kam, ist er ganz schön ausgetickt." "Also hat dieser Alexander Stone ein Motiv", folgerte Ash. "Ein Motiv für was?" Alle Köpfe ruckten herum. In der Tür des Aufenthaltsraumes stand niemand anders als Alex, eine Hand locker in der Hosentasche. Bevor jemand im Raum reagieren konnte, war Jeremy schon auf den Beine und stürzte sich mit einem Schrei auf seinen Exfreund. Von der Wucht des plötzlichen Angriffs überrascht, fiel dieser mit dem Tänzer zu Boden. "Du Dreckschwein! Ich bringe dich um!" Jeremy war wie von Sinnen, er schrie immer wieder, dass er Alex umbringen werde. Er lag auf dem anderen Mann, prügelte unkontrolliert auf ihn ein und schließlich schlossen sich seine Finger um Alex' Hals. Der dunkelhaarige Mann wehrte sich verzweifelt und fing an zu röcheln. Es gelang Jason und Ash nur gemeinsam, den rasenden jungen Mann von Alex herunter zu zerren. Der blonde Polizist hatte alle Mühe, Jeremy festzuhalten, der sich verbissen gegen seinen Griff stemmte. Jason stellte sich zwischen die Beiden und half Alex wieder auf die Füße, der leichenblass seinen Hals hielt und nach Luft rang. "Du hast ja einen Knall...", keuchte er. "Krepier, du Ratte!" Jeremy spuckte nach ihm. "Wenn ich dich in die Finger kriege, dann mache ich dich kalt!" "Niemand macht hier irgendwen kalt!" Jason wurde laut, er schlug einen unmissverständlichen Befehlston an. Auf dem Flur hatte sich eine Menschentraube versammelt, deren Schaulust Ash aber schnell unterband. Er ließ Jeremy los, der gleich wieder auf Alex losstürmen wollte, aber von Jason daran gehindert wurde, und hielt einer älteren Schwester seine Dienstmarke unter die Nase. "Hier findet eine polizeiliche Ermittlung statt, diesen Raum betritt nur ein Arzt, der Neuigkeiten über Mr. Vanderveer bringen kann, verstanden?" Die Frau nickte und noch bevor sie etwas sagen konnte, knallte der Polizist die Tür des Aufenthaltsraumes zu. Jason verfrachtete Jeremy mit leichter Gewalt auf einen Stuhl in der linken Ecke des Raumes, Ash brachte Alex auf die andere Seite. "Was ist denn hier überhaupt los?!" wollte Jeremys Ex wissen. "Du Wichser! Du weißt genau was los ist!" schrie der Tänzer aufgebracht. "Jeremy! Halt bitte die Klappe!" Jason schaute ihn wütend an, woraufhin dieser sich mit verschränkten Armen auf dem Sitz zurücklehnte, Abby musterte ihn etwas ängstlich von der Seite. "Was machen Sie hier, Mr. Stone?" wandte sich Jason schließlich an Alex. Dieser zuckte mit den Schultern. "Ich wollte zur Therapie. Hier im Krankenhaus finden Sitzungen für Drogenabhängige auf Entzug statt. Ich habe Jeremy gesehen und bin ihm gefolgt, weil ich wissen wollte, warum er hier ist." Jeremy wollte den Mund aufmachen, doch ein böser Blick von Jason brachte ihn dazu, es nicht zu tun. "Und wo waren Sie heute Mittag gegen zwölf Uhr?" "Bei den Anonymen Alkoholikern, wenn Sie es genau wissen wollen." "Reizend, du kommst viel rum...", rutschte es Abby raus. "Ach, halt die Klappe, blöde Kuh!" zischte Alex. "Was soll der ganze Scheiß hier?! Wofür soll ich ein Motiv haben?!" "Heute Mittag wurde auf David geschossen. Er ist im OP und schwebt in Lebensgefahr." "Ja und? Was soll ich damit zu tun haben?!" blaffte Alex die Polizisten an. "Jason! Er lügt doch, wenn er den Mund aufmacht! Er war es! Wer sonst?!" ereiferte sich Jeremy. "Jetzt hör mir mal zu! Du und David Vanderveer, ihr seid nicht der Nabel der Welt! Mag sein, dass einer diesen Fatzke abknallen wollte, aber nicht ich! Ich war bei den AA und danach hier, dafür gibt es eine Menge Zeugen! Ich hätte gar nicht schießen können!" "Dann hast du eben einen Killer engagiert!" hielt der Tänzer dagegen. Alex lachte verächtlich. "Ja, klar! Von welchem Geld denn, du Klugscheißer?! Bin ich Krösus?! Ich habe so schon kaum genug zum Leben, dann leiste ich mir locker nebenbei noch einen Auftragskiller, der deinem Stecher das Hirn wegpustet! Klar!" "Du lügst!" Jeremy sprang auf, wurde aber sofort wieder von Ash in die Schranken verwiesen. "Es reicht jetzt, Jeremy. Setz dich gefälligst hin und spiel hier nicht Lynchmob!" Der Rothaarige ließ sich auf den Sessel zurückfallen. Ash drehte sich um und bemerkte überrascht, dass Jason sich ebenfalls niedergelassen hatte. Der New Yorker starrte konzentriert auf einen Punkt in der Ferne. "Jason?" Doch der Polizist war in Gedanken. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt, etwas, das Alex gesagt hatte. Auftragskiller. Vor seinem geistigen Auge kehrte er auf den Ghiradelli Square zurück, zurück an die Stelle des Anschlags. Er sah alles genau vor sich. Die Studenten, die Mutter mit den Zwillingen und dem Hund, die Tauben, die Radfahrerin, die beinahe mit David zusammen gestoßen wäre, Sekunden vor dem Schuss. Er fuhr regelrecht aus dem Stuhl hoch. "Das ist es!" "Was ist denn los mit dir?" Plötzlich war Jason schrecklich aufgeregt. "Ash, wenn du jemanden mit einem Schuss töten willst, wohin schießt du dann?" Sein Partner schaute ihn verständnislos an. "Ins Herz oder in den Kopf." Er deutete dabei auf die entsprechenden Stellen an seinem Körper. "Eben! Aber David wurde nicht in den Kopf oder ins Herz getroffen. Die Kugel hat ihn in der Brust, fast im Bauch, erwischt. Eine solche Verletzung ist nicht zwingend tödlich, wenn derjenige dann Hilfe bekommt." "Das heißt, der Schütze war schlampig oder er wurde gestört." "Genau!" Jason hob den Finger. "Kurz bevor der Schuss fiel, ist eine junge Frau auf einem Fahrrad über den Platz gefahren. Ich weiß nicht warum, aber sie hätte David beinahe über den Haufen geradelt. Er musste ihr ausweichen, ist aus dem Weg gesprungen und hat mich dabei geschubst. Das ist mir eben erst bewusst geworden! Ash, er hat in dem Moment quasi meinen Platz eingenommen!" Im Raum wurde es still, alle starrten den Braunhaarigen an. "Das heißt...", begann Ash leise. "Das heißt, die Kugel war nicht für David. Hätte er mich nicht geschubst, hätten wir jetzt einen Mord, dann würde ich auf dem Ghiradelli Square liegen! Die Kugel war für mich bestimmt!" Marcus steckte sein Handy in die Tasche und atmete entnervt aus. "Scheiße." "Immer noch kein Glück?" Colin warf seinem Freund einen Blick zu, während er eine Parklücke suchte. "Nein, immer nur die Mailbox. Ich hab ihm auch eine SMS geschickt, aber was bringt das, wenn er sein Handy sowieso ausgeschaltet hat?" "Ist das seine Art? So vollkommen unerreichbar zu sein?" Marcus schüttelte den Kopf. "Nein, das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich. Kein bisschen." "Vielleicht ist er im Kino." "Allein?" Marcus schenkte dem älteren Jungen einen schiefen Blick. "Nein, er geht nicht allein ins Kino." Endlich fand Colin einen Parkplatz. Er manövrierte sein Auto hinein und stellte den Motor ab. "Dann mal los." Marcus schaute das Krankenhaus durch die Windschutzscheibe an. Der große Komplex, dessen Fenster im Sonnenlicht strahlten. Erinnerungen wurden wach, Erinnerungen an die Zeit nach seiner Entführung. An die bangen Stunden nach dem HIV-Test, an die Angst vor seinen Eltern. Und an Chris' Lächeln, das ihm all diese Angst für einige Zeit nehmen konnte. "Ich war das Ziel!" wiederholte Jason voller Aufregung. "Jason..." "Was gibt es daran zu zweifeln?!" erkannte der Polizist den Tonfall seines Partners korrekt. "Ein Auftragsmörder schießt nicht daneben! Zumindest nicht in so einem Fall. Wir waren vollkommen unvorbereitet. Wenn David das Ziel gewesen wäre, dann wäre er tot! Aber er lebt noch, weil er nicht im Fadenkreuz war, sondern ich." Es klopfte an der Tür. Jason ging hin um zu öffnen und die Krankenschwester von der Anmeldung schaute ihn etwas verunsichert an. "Detective Cunningham, hier sind zwei Jungen, die unbedingt zu Ihnen wollen. Ich habe ihnen gesagt, dass Sie nicht gestört werden wollen, aber..." Jason sah zur Anmeldung herüber, Marcus winkte ihm zu, neben sich Colin. "Das ist okay, lassen Sie die Beiden hierher." Er öffnete die Tür weiter, damit die Jungen in den Warteraum gehen konnten und schloss sie dann wieder. "Oh, noch mehr Besuch! Gibt es auch Snacks und Partyspiele?" frotzelte Alex beim Anblick der Neuankömmlinge. "Halt die Schnauze, Alex!" schnappte Jeremy. "Gibt es etwas neues von David?" Jason musste den erwartungsvollen Blick enttäuschen. "Nein, es ging nur um Marcus und Colin. Ich hab die Beiden angerufen." Jeremy schien erst jetzt zu registrieren, wer da neben Marcus stand. Der Anblick Colins löste den gleichen Gesichtsausdruck wie damals im Club aus, wie Jason nun bemerkte, aber nur für ein paar Sekunden, die Angst um David war stärker. "Die meisten hier kennt ihr ja und das hier ist Alexander." stellte Jason vor. "Ich unterbreche ja nur ungern, Jason, aber es gibt Wichtigeres. Wenn du wirklich das Ziel gewesen bist, dann muss ich jetzt die gleiche Frage an dich stellen. Fällt dir jemand ein, der einen Grund haben könnte, dich töten zu wollen?" Ash verschränkte die Arme. Jasons Blick irrte zum Fenster und verharrte auf den Dächern der Stadt. "Nein... ich meine... du weißt von meinem Privatkrieg mit Rodriguez, aber der würde nicht..." Das Aufflackern der Erkenntnis zeigte sich in seinen Augen. "Natürlich... aber eigentlich... nein, warum sollte er...? Aber es ist die einzige Möglichkeit..." "Jason?" Der Angesprochene schaute seinen Partner an. "Dave Jerrod." "Dieser Bonze? Ist der nicht schon lange wieder weg?" "Ja, aber er liebt Chris, da bin ich mir sicher! Und wer weiß, vielleicht will er ihn immer noch für sich haben." "Und dann meinst du, dass ein Mann, der sogar in der Öffentlichkeit steht, einen Killer anheuert, um den Freund seines Geliebten zu ermorden? No way!" "Ach, fuck! Ich weiß es doch nicht!" meckerte Jason leicht genervt. "Du wolltest jemandem mit einem Motiv und das ist der Einzige, der mir einfällt. Vielleicht ist das etwas weit hergeholt, aber sonst wüsste ich niemanden!" "Aber er ist doch seit Chris' Ausflug nach Dallas nicht wieder aufgetaucht. Das hat mir Chris erzählt", mischte sich Marcus ein, er hatte unbewusst nach Colins Hand gegriffen und hielt sie fest. "Ja, aber vielleicht hat er nur auf eine Chance gelauert... ach, was weiß ich... vielleicht war es auch ein Irrer, der mal aus Spaß jemanden abknallen wollte!" Jason kniff die Augen zusammen. "Colin, kannst du mit Marcus zu uns fahren und schauen, ob ihr Chris findet? Ich habe David versprochen, hier nicht weg zu gehen. Aber ich fühle mich wohler, wenn Chris bei mir ist." Der Junge nickte. "Sollte der Anschlag, gehen wir davon aus, dass es einer war, dir gegolten haben, dann lasse ich dich ohne Schutz sowieso nicht hier weg!" stellte Ash klar. Die beiden Teenager verabschiedeten sich, um zu Jason und Chris zu fahren. Als sie den Raum verließen, stand in diesem Augenblick ein Arzt vor der Tür. Ein Mann mit grauen Schläfen und einem militärischen Haarschnitt. Er hatte die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. "Detective Cunningham?" Jason nickte. "Das bin ich." Er sah aus den Augenwinkeln, wie Jeremy aufstand. "Ich bin Doktor Mancini. Dürfte ich Sie kurz sprechen, ich brauche noch ein paar Informationen von Ihnen. Es gibt Komplikationen." "Was für Komplikationen?!" Doch der Arzt ignorierte Jeremy vollkommen, er nahm kaum Kenntnis von ihm. "Es ist nichts lebensbedrohliches, aber Sie sollten doch bitte mitkommen." "Wie Sie meinen", entgegnete Jason etwas verwirrt. "Ich bin gleich wieder da, wenn das in Ordnung ist." Ash nickte. "Hier im Krankenhaus ist das schon okay, denke ich." Der Polizist verließ mit dem Arzt den Raum. Jeremy setzte sich wieder hin. "Frechheit..." "Was erwartest du? Vielleicht solltest du ihm sagen, dass du Vanderveers Sohn bist, dann lassen sie dich vielleicht zu ihm!" Alex verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Warum verpestest du nicht woanders die Luft?!" Abby funkelte den dunkelhaarigen Mann wütend an. "Oh je, noch ein Mitglied im Vanderveer-Fanclub! Warum eigentlich, dich bumst er doch nicht, Abbylein?" "Das reicht, ich brauche frische Luft! Ich ertrage deine Gesellschaft nicht noch eine Sekunde länger!" Jeremy sprang auf und stürmte zur Tür. Kaum hatte er sie aufgerissen, stieß er beinahe mit einem Arzt zusammen, ein väterlich wirkender Mann mit schlohweißen Haaren und einem freundlichen Gesicht. "Entschuldigen Sie." Er schaute in die verdutzte Runde und erspähte Ashs Polizeimarke am Hosenbund. "Ich bin Doktor Pierce. Sind Sie Detective Cunningham?" Ash schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin sein Partner, Detective Tallman." "Nun, Detective, vielleicht können Sie mir weiterhelfen, es gibt gewisse Komplikationen beim Fall von Mr. Vanderveer." "Das wissen wir schon. Doktor Mancini ist eben mit Jason weg. Ich meine, mit Detective Cunningham." Der Arzt betrachtete Ash mit einem völlig verständnislosen Blick. "Entschuldigen Sie, bitte wer?" "Doktor Mancini. Mittelgroß, kurze Haare, graue Schläfen", erklärte der Polizist. "Detective, ich arbeite seit zehn Jahren in diesem Krankenhaus, hier gibt es keinen Doktor Mancini." Ashton schaute an seinen Gegenüber vorbei auf die Tür zum Flur. Plötzlich kam ihm ein schrecklicher Verdacht. "Verdammte Scheiße!" fluchte er. "Aus dem Weg!" Bevor der Arzt überhaupt reagieren konnte, stieß der blonde Mann ihn zur Seite, riss seine Waffe aus dem Halfter und rannte den Gang in die Richtung hinunter, in die Jason mit dem Arzt verschwunden war. Doktor Pierce sah ihm verstört hinterher. "Doktor! Was sind das für Komplikationen?" Jeremy schien den Tränen nahe. Der Arzt wandte sich ihm zu. "Sind Sie mit Mr. Vanderveer verwandt, mein Junge?" Alex prustete los. "Ja, er ist sein Söhnchen!" "Halt deine Schnauze, du Arschloch!" Abby ballte die Fäuste, ihr Gesicht war knallrot vor Wut. "Ich bin sein Lebensgefährte", erklärte der Tänzer ohne auf Alex zu achten. "Bitte, Doktor... ich liebe ihn, bitte sagen Sie mir, was los ist. Mit Jason hätten Sie doch auch geredet." Doktor Pierce nickte langsam. "Im Moment sieht es gut aus für Ihren Freund, aber er hat viel Blut verloren. Mr. Vanderveer hat eine recht seltene Blutgruppe und aufgrund eines großen Unfalls heute Morgen ist ausgerechnet die nicht mehr ausreichend in der Blutbank vorhanden. Es ist bereits ein Kurier losgeschickt worden, aber es wäre am besten, wenn die Infusion nicht unterbrochen werden müsste." "Sie meinen, dass einer von uns spenden soll?" "Nun, es wäre zumindest hilfreich." "Welche Blutgruppe hat er?" fragte Abby. "Mr. Vanderveer hat AB negativ." "Ich habe A positiv", gab Jeremys Freundin zur Kenntnis, was sie automatisch als Spenderin ausschloss, schon wegen der Unverträglichkeit der Resusfaktoren. "Und ich weiß meine nicht...", seufzte der Rothaarige selbst. Alex stand auf und strich sich ein paar Haare aus der Stirn. "Ich habe seine Blutgruppe." "Nein! Von dir kann er sich sonst was holen!" Der dunkelhaarige Mann zeigte Abby den Mittelfinger. "Es geht dich zwar nichts an, aber ich war letzte Woche erst zu einem Check-up im Rahmen meiner Therapie, ich bin absolut gesund." "Therapie?" mischte sich Doktor Pierce ein. "Er ist ein Junkie!" schnappte Abby. "Ich bin clean! Schon länger. Rufen Sie meinen Hausarzt Doktor Carlton an, wenn Sie sich davon überzeugen wollen. Fordern Sie meine Ergebnisse an." "Das werden wir tun", nickte der Arzt. "Und Sie wären bereit, Mr. Vanderveer Blut zu spenden." Die beiden Freunde sahen Alex an, besonders Jeremy mit einer vollkommen fassungslosen Miene. Der Dunkelhaarige ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Durchaus." "Dann folgen Sie mir bitte." Er schaute die anderen Beiden an. "Und sie Beide warten bitte hier. Ich komme zu Ihnen, sobald Mr. Vanderveer im Aufwachraum ist. Machen Sie sich keine Sorgen, er ist in fähigen Händen. Kommen Sie, Mr...?" "Stone", ergänzte Alex. Er ging ohne ein weiteres Wort an Jeremy vorbei zur Tür, Doktor Pierce war schon auf dem Flur. "Alex!" Der junge Mann drehte sich zu dem Tänzer um. "Danke...", sagte Jeremy leise. Alex schnaubte und ging, die Tür fiel hinter ihm zu. Jeremy und Abby blieben allein zurück. Wortlos trat die junge Frau zu ihrem besten Freund und schloss ihn in die Arme. Und in diesem Moment löste sich die ganze Anspannung in Jeremy und er sackte weinend zusammen. "Hier hinein, bitte." Doktor Mancini machte eine einladende Geste in Richtung einer Tür. Jason nickte. "Okay. Aber sagen Sie mir jetzt bitte endlich, was für Probleme mit David aufgetreten sind!" "Sofort, so etwas sollte man nicht auf dem Flur besprechen, kommen Sie in mein Büro." Der Polizist zuckte mit den Schultern und trat durch die Tür, dicht gefolgt von dem Arzt. Für einen Moment sah Jason nicht die Hand vor Augen, als die Tür hinter ihm zufiel. Es war stockdunkel. "Haben Sie keine Fenster in ihrem Büro? Was soll das hier?!" Das Licht ging an und Jasons Blick fiel auf Regale mit Kartons und medizinischem Bedarf. Das war kein Büro, sondern eine Abstellkammer. Bevor er weiter realisieren konnte, was überhaupt los war, traf ihn ein harter Schlag gegen den Hinterkopf. Jason sah Sterne und dann gar nichts mehr. Die Leute wichen erschrocken zurück, als der blonde Mann mit der eindrucksvollen Statur und gezogener Waffe den Krankenhausflur hinunter eilte. Der Polizist mahnte sich, Ruhe zu bewahren. Wenn er richtig lag, war Jason nichts ahnend mit dem Killer mitgegangen. Warum sonst sollte ein Arzt auftauchen, von dem in diesem Krankenhaus sonst niemand wusste? Er bremste und fasste eine Schwester am Arm, die vor Schreck aufschrie. Routiniert deutete Ash auf seine Marke. "San Francisco Police. Haben Sie hier einen Mann in Begleitung eines Arztes vorbei gehen sehen? Er hat ungefähr meine Größe und Statur, braune Haare, ist eigentlich nicht zu übersehen. Der Arzt hat graue Schläfen und einen militärischen Kurzhaarschnitt!" Die Schwester schien kurz zu überlegen. "Ja! Den habe ich gesehen. Einen so gut aussehenden Mann bemerkt man schließlich. Er ist dort entlang." Sie deutete in eine Richtung und Ash stürmte los, viel mehr als ein über die Schulter gerufenes Dankeschön bekam die Schwester nicht. Es ging um jede Sekunde. Jasons Bewusstsein strampelte in den dunklen Tiefen eines schwarzen Sees verzweifelt dagegen an, nicht völlig in der Finsternis zu versinken. Er spürte einen dumpfen Schmerz, an den er sich klammerte, um der Wirklichkeit nicht zu entgleiten. Langsam wurde der helle Fleck in der Ferne größer, so als würde er durch die zähe Brühe des Gewässers nach oben tauchen. Als er die Oberfläche seines Bewusstseins erreichte, verlor er für ein paar Sekunden die Orientierung. Vor seinen Augen drehte sich alles, ihm war schlecht. Sein Körper war schlaff und kraftlos. Langsam, ganz langsam gelang es ihm, klare Formen in seiner Umgebung wahr zu nehmen, den Schleier vor seinen Augen ein wenig zu lüften. Neben ihm kniete der Arzt und zog mit einer Spritze eine Flüssigkeit aus einer Flasche auf. Er hielt die Spritze ins Licht, die Nadel funkelte, ebenso wie die Tropfen, die auf seinen sanften Druck hin aus ihr heraus spritzten. Der Mann schob Jasons Ärmel hoch und klopfte auf die Ellebeuge, bis er eine Vene ausmachen konnte. "Gleich ist es vorbei, schön ruhig...", flüsterte er. Jasons Gedanken wirbelten durcheinander, die Eindrücke verschwammen. Die Nadel, die sich langsam seinem Arm näherte... er war in Gefahr. Mit aller Macht kämpfte er gegen die Taubheit seines Körpers an, nur von dem Gedanken beseelt, wieder bei Chris sein zu können. Ihm durfte nichts geschehen. Sein anderer Arm ruckte hoch und schlug dem vermeintlichen Arzt das Mordwerkzeug aus der Hand, erschrocken über die plötzliche Bewegung, konnte der Mann nicht mehr reagieren und die Spritze segelte in eine Ecke des Raumes. "Verdammter Drecksack! Krepier endlich!" Zwei starke Hände schlossen sich um Jasons Kehle und schnürten ihm die Luft ab. Der Druck auf seinen Kehlkopf wurde immer stärker. Der Polizist versuchte, mit seinen eigenen Händen an den Handgelenken des Anderen zu zerren, aber er war zu schwach. Sein Bewusstsein drohte wieder in den See zu stürzen, vor seinen Augen wurde es dunkel. In diesem Moment ging die Tür auf und ein Schrei hallte durch die Ohren des jungen Mannes. Eine Krankenschwester taumelte kreidebleich von der Tür weg. In der nächsten Sekunde schrie sie um Hilfe. Ash rannte auf die Schwester zu, die sich ängstlich an die Wand vor einer offenen Tür presste. Noch bevor er den Raum erreichen konnte, stürmte "Doktor Mancini" heraus, erblickte den blonden Mann und hetzte den Gang in die entgegengesetzte Richtung hinab. Mit wenigen Schritten erreichte Ashton den Raum und fand Jason am Boden kauernd. "Jason!" Der Polizist hielt sich den Hals mit den rötlichen Würgemalen und rang nach Luft. "Alles okay...", stöhnte er. "Schnapp ihn dir!" Eine Ärztin kam hinzu. "Was geht hier vor?" "Detective Cunningham wurde angegriffen! Kümmern Sie sich um ihn!" befahl Ash mit einem Deut auf seine Marke, nickte Jason zu und verließ die Kammer. Die Ärztin beugte sich über Jason, der seine Hand betrachtete, mit der er sich eben an den Hinterkopf gegriffen hatte. An den Fingern klebte Blut. Der Blick der Ärztin fiel auf die Spritze, die in der Ecke lag. "Detective, das ist wichtig: Haben Sie einen Einstich gespürt?" Jason schüttelte den Kopf und hatte sofort das Gefühl, er würde explodieren, so schmerzte er. "Zeigen Sie mir Ihre Arme." Der benommene Mann streckte der jungen Frau seine Arme entgegen, so dass sie diese auf Einstiche untersuchen konnte. "Da hatten Sie Glück im Unglück." Sie schaute auf die Schwester, die immer noch mit einem Packen Handtücher auf dem Arm wie eine Salzsäule da stand. "Holen Sie zwei Pfleger! Wir müssen Detective Cunningham in ein Behandlungszimmer bringen!" Claire Wentworth stieg die Stufen des Treppenhauses im Memorial Krankenhaus hinauf, natürlich hatte sie den Aufzug unten genau verpasst. Sie war eben in San Francisco angekommen, sogar direkt von der Arbeit losgefahren, in Erwartung eines schönen Abends im Kreis von Freunden. Auf das Wiedersehen mit Jason und Chris hatte sie sich schon lange gefreut. Es hatte perfekt gepasst, dass sie eben Ermittlungen in Los Angeles hatte beenden können, wo sie als Profiler tätig gewesen war. Sie war zwar eine Bundesagentin, aber ihre Kenntnisse im Bereich der Psychologie wurden innerhalb des Bureaus hoch geschätzt. Und was war aus dem Tag geworden? Sie hatte Jason im Department besuchen wollen und dort hatte man ihr mitgeteilt, dass Cunningham und sein Partner Ashton Tallman in einem Attentat ermittelten und im Memorial Krankenhaus waren. Der Name des Opfers hatte ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen, kannte sie David Vanderveer doch noch von der Halloween Party als einen in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten und sehr sympathischen Mann. Sie hoffte inständig, dass sie nicht statt zu einer Geburtstags- zu einer Trauerfeier erschienen war. Ashton bog um eine Ecke und erkannte Mancini, der wie ein Irrer auf den Knopf des Aufzugs hämmerte. "Stehen bleiben! Polizei!" brüllte er. Der vermeintliche Arzt schaute zu ihm hinüber, entschied sich gegen den Lift und eilte stattdessen zur Tür des Treppenhauses. Ash folgte ihm, wobei er darauf achten musste, keine Patienten oder Personal über den Haufen zu rennen, die in Panik über den Flur drängten. "Stehen bleiben! Polizei!" Claire hörte die Worte genau, ihre Sinne waren vom Training beim FBI bestens geschult. Selbst die Stimme erkannte sie wieder, hatte sie sich doch mit dem Besitzer damals bei Jason unterhalten: Ashton Tallman. Die Agentin zog ihre Dienstwaffe, die sie glücklicherweise noch unter ihrem Mantel bei sich trug. Ash rammte mit der Schulter die Tür des Treppenhauses auf. Er hörte Schritte auf den Stufen, die sich eilig entfernten. Ein Blick in den Schacht zeigte ihm schnell, dass der Killerdoktor nach oben statt nach unten floh und er erkannte auch warum. Die Bundesagentin, die er auf Jasons Halloween Party kennen gelernt hatte, stürmte die Treppe empor, ihre Waffe im Anschlag. "Was ist hier los?!" "Später!" Ash deutete nach oben. "Wenn der uns durch die Lappen geht, ist Jason weiterhin in Gefahr!" Er setzte dem Angreifer nach, teilweise drei Stufen auf einmal nehmend, Claire hatte Mühe, dem blonden Mann zu folgen. Die Luft brannte in seinen Lungen, so strengte er sich an. Schließlich gelangte er durch eine Tür aufs Dach und musste, für einen Moment, von der plötzlichen Helligkeit geblendet, stehen bleiben. Endlich konnte er den Flüchtigen ausmachen, der über das Flachdach rannte. Das Krankenhaus hatte zwei separate Trakte, von denen jeder ein ebenes Dach mit einer Vielzahl an Röhren und Lüftungssystemen hatte. Diese behinderten Ash im Moment derart, dass er sich einen Schuss auf den Killer abschminken konnte, dafür wurde ihm dessen Ziel klar. Das andere Dach. Zwischen den Trakten klaffte eine Lücke von mindestens fünf Metern, nur überbrückt von einer schmalen Belüftungsröhre. Der Killer schwang gerade seine Beine über den Rand der Dachbegrenzung, um über genau diese Röhre zu balancieren. Der kann nur vollkommen wahnsinnig sein, schoss es Ash durch den Kopf. Er rannte los, kurz bevor Claire auf dem Dach auftauchte. "Stehen bleiben oder ich schieße!", wiederholte er noch einmal, obwohl er bezweifelte, dass es was brachte. Er hoffte, dass freies Schussfeld den Mann dazu bringen würde, sein Vorhaben aufzugeben, aber soweit kam es nicht. Noch bevor Ash freie Bahn hatte, glitt der falsche Arzt aus, ruderte für ein paar Sekunden mit den Armen und fiel. Als der Polizist den Rand erreichte, hing er strampelnd an der Röhre, viele Meter über dem Schrägdach des Verbindungstraktes. "Halten Sie durch!" rief Ash. "Ich helfe Ihnen!" Er stieg ohne groß nachzudenken auf das Geländer und wollte ebenfalls auf die Röhre gelangen. "Seien Sie vorsichtig!" Claire war bei ihm angekommen. Doch es war zu spät. Der Mann verlor den Halt und stürzte. Ash konnte ihm für einen Sekundenbruchteil in die weit aufgerissenen Augen sehen. Der Attentäter knallte auf das Dach weiter unten und rutschte wie ein grotesk verdrehter Frosch daran hinab, wobei er eine dünne Blutspur hinterließ. Er rollte über den Rand und fiel noch einmal ein ganzes Stück, bis der Beton des Vorplatzes seinen Sturz beendete. Ash schloss die Augen und stieg wieder vom Geländer herunter. Vor dem Krankenhaus sammelte sich eine Menschenmenge um den Auftragsmörder, der seinen letzten Anordnung mit dem eigenen Leben bezahlt hatte. Colin schloss den Wagen ab, während Marcus bereits die Treppe zu Jasons und Chris' Haus empor stieg und in seiner Tasche nach dem Schlüssel kramte. Mit einigen Schritten schloss der ältere Junge zu ihm auf. "Ich liebe dieses Haus! Wenn ich später mal einen gut bezahlten Job in der Filmbranche habe, kaufe ich für uns auch so eines!" Marcus musste lachen. "Und ich warte dann jeden Abend daheim auf dich, oder was? Ich hüte die Kinder, streiche unseren weißen Gartenzaun, wasche deine Wäsche, stopfe deine Socken und putze das Haus. Wenn du Heim kommst, wartet ein warmes Essen auf dich, danach massiere ich dir die Füße und dann haben wir exakt drei Minuten Sex bevor du wahlweise einpennst oder Football schauen gehst." "Du willst also Kinder?" grinste Colin und übersah absichtlich die restlichen Spitzen. "Okay, wie viele soll ich dir machen?" Der Blonde boxte ihn spielerisch in die Seite, wurde dann aber wieder ernst, als er den Schlüssel im Schloss drehte, plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen, dass sie in dieser Situation Witze rissen. Innerlich strahlte er allerdings. Denn gleichwohl ihr Dialog in Blödelei ausgeartet war, so war doch Colins erster Satz offenbar ernst gemeint gewesen, und das machte Marcus unsagbar glücklich. Wenn ein attraktiver Junge in Colins Alter bereits bei einer Beziehung so weit in die Zukunft dachte, konnte man ihn ja eigentlich nur als Hauptgewinn bezeichnen. Die Beiden betraten den Eingangsbereich und augenblicklich stürmte Batman auf sie zu. Der kleine Rüde überschlug sich fast, kaum war Marcus in die Knie gegangen, sprang er auch schon in seine Arme und winselte ängstlich. "Was ist denn mit ihm los?" "Ich weiß nicht...", sagte Marcus leise. "Chris?!" rief er dann laut ins Haus. "Chris?! Bist zu Zuhause?!" In der Wohnung blieb es still. "Chris?!" wiederholte Colin den Ausruf. Keine Antwort. "Ich sehe oben nach, du hier unten." Marcus stieg die Treppe hinauf, sein Freund ging vom Wohnzimmer aus in den Wintergarten hinüber. Die Sonne malte farbige Muster in den Raum, ihre Strahlen brachen sich funkelnd in den Buntglasfenstern. Auf dem gusseisernen Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch über die Geschichte der Vereinigten Staaten, das Chris für den bald beginnenden Unterricht brauchte. Daneben stand eine Teetasse samt Kanne, aus der kleinen Stereoanlage auf der Anrichte neben der Tür zur Küche spielte leise Musik, ein altes Album von Phil Collins. Der junge Mann warf einen Blick in die Tasse, sie war halbvoll. Auf dem Buch lag ein Textmarker, neongelb, mit offener Verschlusskappe. Colin ging in die Küche, auch sie war verwaist und sauber. Ein merkwürdiges Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit, ein Rumpeln. Er lauschte angestrengt nach der Quelle und fand sie in der offenen Kellertür in der Ecke des Raumes. Der Junge trat näher heran und endlich erkannte er das Geräusch: Eine laufende Waschmaschine. Unwillkürlich musste er grinsen, drängten sich doch Assoziationen zu ihrer Frotzelei vor der Tür in seine Gedanke. "Chris?!" Der neunzehnjährige stieg die Treppe in den schummerigen Keller hinab, aber auch hier gab es nichts, außer der ratternden Waschmaschine und einer Menge Gerümpel. "Colin?! Wo steckst du?!" "Im Keller!" brüllte er nach oben. Marcus' schlanke Silhouette erschien im Gegenlicht der Kellertür. "Fehlanzeige, ob ist keiner. Aber dafür liegt sein Handy auf dem Bett, klar, dass ich ihn nicht erreichen kann." "Hier unten ist er auch nicht. Aber die Waschmaschine läuft und im Wintergarten ist das Radio an und eine angetrunkene Tasse Tee steht herum." Er verließ den Keller. "Aber er hat heute Geburtstag!" ergänzte Marcus, noch bevor Colin die Küche erreichte. Batman kauerte neben ihm. "Wo treibt er sich bloß rum?" "Wenn ich das mal wüsste." Marcus schauderte, er bekam eine Gänsehaut. Das Haus sah aus wie immer, kein Zeichen für etwas Ungewöhnliches, aber trotzdem war es so kalt hier. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, schmiegte sich der blonde Junge an seinen Freund. Batman jaulte wieder leise. "Was ist hier nur los?!" flüsterte Marcus. Ash hörte schon von Weitem, in welchem Behandlungsraum sein Partner untergebracht war - an seiner erhobenen Stimme. Nach dem Fehlschlag auf dem Dach hatte er im Department angerufen, der Coroner war schon auf dem Weg, das Krankenhauspersonal hielt die Schaulustigen von der Leiche vor dem Haus fern. Der Cop ärgerte sich schwarz. Jetzt war diese Ratte tot und konnte ihren Auftraggeber nicht mehr verpfeifen. "Mir geht es gut! Ich habe jetzt keine Zeit für so einen Unsinn!" fluchte Jason. "Detective!" Ash und die Bundesagentin blieben belustigt in der Tür stehen, die im Raum anwesenden schienen sie gar nicht zu bemerken, kein Wunder, stritt sich doch die Ärztin mit ihrem störrischen Patienten, der auf der Behandlungsliege saß. "Detective, wir mussten Sie mit drei Stichen nähen, das ist nicht viel, aber der Schlag gegen Ihren Kopf war nicht ohne. Als Ihre behandelnde Ärztin rate ich Ihnen dringend dazu, das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Lassen Sie ein CT machen, um innere Verletzungen auszuschließen!" "Ich habe keine Zeit!" insistierte Jason erneut. "Nimm sie dir." mischte sich Ash ein. "Was bringt es uns, wenn wir uns noch mehr Sorgen um dich machen müssen?" Der Polizist schaute zuerst seinen Partner, dann die junge Frau hinter ihm, überrascht an. "Claire! Schön dich zu sehen!" "Das kannst du laut sagen, aber die Umstände sind doch etwas unglücklich." "Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?" Claire zückte ihren Ausweis und hielt ihn der Ärztin entgegen. "Special Agent Wentworth vom FBI." "Wo ist der Kerl?!" unterbrach Jason ungeduldig die Vorstellung. "Im Hof", bekam er von seinem Partner als Antwort. "Und was machst du dann hier?! Lässt du ihn entkommen?!" "Mach dir keine Sorgen." Ash zuckte mit den Schultern. "Der Aufzug war ihm zu langsam, deswegen hat er die direkte Verbindung genommen, Dach - Vorhof in wenigen Sekunden, nur mit einem Zwischenstopp auf dem Schrägdach des Verbindungstraktes." "Reizend!" lachte Claire. "Sie geben sich wirklich Mühe, in Detective Forbes Fußstampfen zu treten, Detective Tallman." Sie lächelte schief. "Was war eigentlich in der Spritze?" wandte sich Jason wieder an die Ärztin. "Spritze?" Ash schaute verdutzt zwischen den Beiden hin und her. "Bevor er versucht hat, mich zu strangulieren, wollte er mir etwas injizieren." "Um genau zu sein, wollte er Ihrem Partner eine gehörige Ladung Zyankali verpassen, er wäre fast augenblicklich ins Koma gefallen und sehr schnell gestorben." "Na das hat Stil..." Ash verdrehte die Augen. "Das Problem ist, dass wir die platte Flunder auf dem Pflaster draußen nicht mehr fragen können, wer ihm den Auftrag dazu gegeben hat." "Die Hauptsache ist doch erst einmal, dass es vorbei ist." "Sieh das nicht so leichtfertig, Jason." mahnte Claire. "Wenn das wirklich ein Auftragsmörder war, was sollte seinen Auftraggeber davon abhalten, den nächsten zu schicken?" "Wie wäre es fürs erste mit dem Tod von Jason?" "Drehst du jetzt vollkommen durch?!" Jason wedelte mit der flachen Hand vor seinem Gesicht. "Im Ernst! Einer aus der Pathologie schuldet mir noch einen Gefallen. Wir lassen die Leiche dieses Mistkerls als deine ausgeben, ich denke, dass derjenige, der ihn geschickt hat, zumindest kontrollieren wird, ob du wirklich tot bist", schlug Ash vor. "Meinen Sie wirklich, dass das reicht?" "Fürs Erste zumindest ja. Wir wissen ja, dass wir auf Jason aufpassen müssen, er hält sich eben bedeckt und vielleicht reicht die falsche Leiche im Leichenschauhaus aus, um uns zumindest etwas Zeit zu erkaufen." "Wenn überhaupt noch ein weiterer Killer aufkreuzt. Vielleicht hat sich das damit schon erledigt." Jason erhob sich. "Du und dein Vertrauen in die Zukunft...", ächzte Ash. "Auf jeden Fall will ich erst einmal nicht, dass du ins Anwesen zurück kehrst! Und Chris muss den Trauernden spielen, vielleicht wird euer Haus beobachtet." "Mir wäre wesentlich wohler, wenn Chris endlich bei mir wäre. Sind Colin und Marcus schon zurück?" "Bisher nicht... zumindest weiß ich nichts davon." In diesem Moment wurde die Tür des Behandlungszimmers beinahe aus den Angeln gerissen. Jeremy stand im Türrahmen, vollkommen außer Atem und mit Tränen im Gesicht. Jasons Herz setzte für ein paar Sekunden aus, plötzlich hatte er wahnsinnige Angst, dass der Tänzer mit der Nachricht kam, dass er eben seinen besten Freund für immer verloren hatte. Doch der Gesichtsausdruck des Rothaarigen erlöste ihn schnell. Jeremys Miene war voll von Erleichterung und Freude und das, obwohl immer noch Tränen über seine Wangen rannen. "Es ist alles okay! Er hat es überstanden!" Für einen Augenblick herrschte Stille, Jason musste das Gesagte erst einmal richtig realisieren. Es war vorbei. David lebte. Er lebte! Der Polizist riss seinen Partner an sich und umarmte ihn voller Freude. Ash wusste im erste Moment überhaupt nicht, wie ihm geschah, doch dann erwiderte er Jasons Geste. Dem brünetten Cop liefen Tränen übers Gesicht, er schluchzte unverblümt vor Freude. Jeremy schwebte im siebten Himmel. Sie alle warteten in der Nähe des Aufwachraumes, um sofort da zu sein, wenn David in sein Zimmer gebracht wurde. Der junge Tänzer konnte es immer noch nicht fassen. Keiner sagte etwas, aber auf allen Gesichtern war das Gleiche zu lesen. Freude. Die erste gute Nachricht des Tages, die selbst den zweiten Anschlag auf Jason in den Hintergrund drängte, der Polizist schien nicht einmal mehr daran zu denken. Ash hatte sich verabschiedet, er freute sich auch wegen David, aber er hatte gemeint, er müsse ein paar Sachen regeln und eine Möglichkeit finden, Jason so heimlich wie es ging aus dem Krankenhaus zu schaffen. Sein Partner sollte zunächst in seiner Wohnung unterkommen, so lange die Scharade mit der falschen Leiche andauerte. Abby hatte sich ebenfalls verabschiedet. Sie musste in ihrem Hotel einchecken, bevor man noch annahm, dass sie ihre Reservierung nicht antreten würde. Nachdem sie sich frisch gemacht hatte, wollte sie bei Ash vorbei schauen, sobald er und Jason dort waren. Jeremy tigerte ungeduldig auf dem Gang hin und her. "Jetzt bleib doch mal an einer Stelle stehen, du machst mich langsam kirre!" lachte Abby. "Ich bin so aufgeregt! Ich will endlich zu ihm!" Doch dann blieb er wirklich abrupt stehen, denn er hatte Alex entdeckt, der ein Stück entfernt im Gang stand und zu ihm hinüber sah. "Entschuldigt mich kurz..." Jeremy eilte zu seinem Exfreund hinüber, der sich allerdings in diesem Moment zum Gehen wandte. "Warte doch mal!" "Warum sollte ich?" "Jetzt tu nicht so theatralisch!" Jeremy hielt ihn an der Schulter fest. "Wenn du nicht mit mir reden wollen würdest, hättest du da nicht gerade den schweigsamen Beobachter markiert!" Alex blieb stehen, drehte Jeremy jedoch den Rücken zu. "Wie geht es Vanderveer?" "Er ist über den Berg... auch Dank dir..." Der Dunkelhaarige legte den Kopf in den Nacken und atmete schwer. "Alex..." "Hast du mir das wirklich zugetraut?" unterbrach er den Tänzer. "Hast du mir tatsächlich zugetraut, einen Menschen kaltblütig ermorden zu wollen? Hältst du mich für so widerlich?!" "Alex, nach allem, was du früher..." "Ich liebe dich, du dämlicher Idiot!" fiel er Jeremy erneut ins Wort. "Ich habe mein ganzes Leben für dich umgekrempelt! Ich weiß, dass ich viele Fehler habe, ich weiß, dass ich eine Menge Mist gebaut habe! Ich habe dich betrogen, dich sogar geschlagen, ich hab gesoffen und jeden Scheiß genommen, den ich in die Finger kriegen konnte, aber ich habe mich geändert! Und selbst damals hätte ich niemals jemanden getötet!" "Es tut mir leid, okay?" "Das sollte es auch!" Alex wirbelte herum. "Denn wenn hier jemand unfair war, dann du! Du hast mir Hoffnungen gemacht! Und dann wirfst du dich doch wieder ihm an den Hals! Weißt du, wie weh das tut?!" Jeremy antwortete nicht, er blickte zu Boden. "Und trotzdem habe ich ihm mein Blut gespendet. Ich hoffe, dass zeigt dir, dass ich kein psychopathischer Mörder bin, wie du es ja wohl von mir denkst." "Ich danke dir dafür... und David wird es sicher auch..." "Ich will deinen Dank nicht und erst recht nicht seinen!" Der junge Tänzer hatte plötzlich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Er folgte dem Bedürfnis, sein Gegenüber einfach zu umarmen. Alex tat es ihm nicht nach. "Und trotzdem danke ich dir...", flüsterte Jeremy. "Ich danke dir von ganzem Herzen..." Ein paar Sekunden lang schienen seine Worte keine Wirkung zu haben, doch dann endlich erwiderte Alex die Umarmung. "Ist ja schon gut..." "Ich will nicht dein Feind sein, Alex, das habe ich nie gewollt. Ich wünschte, wir könnten Freunde sein... das wünsche ich mir wirklich. Ich hasse es, mit jemandem zerstritten zu sein." Der andere Mann löste sich von ihm, er lächelte. "Ich denke darüber nach, okay? Ruf mich an und sag mir, wie es Vander... wie es David geht. Vielleicht unternehmen wir mal was zusammen..." Jeremy lächelte ebenfalls und nickte nur. Alex tippte sich an die Schläfe und ging dann einfach. Er drehte sich nicht noch einmal um, sondern entfernte sich mit festen Schritten, den Gang hinab. Der Rothaarige sah ihm nach. Mit klopfendem Herzen betrat Jeremy das helle Krankenzimmer. Die Vorhänge vor den Fenstern waren weit geöffnet und ließen die Sonne hinein, man konnte von hier aus ein Stück über die Stadt sehen, in der Ferne erhoben sich die Türme des Financial District glitzernd in den blauen Himmel. David lag mit geschlossenen Augen im Bett, immer noch angeschlossen an einige Apparate. Auf Monitoren wurde sein Herzschlag und der Kreislauf überwacht. Als er den jungen Mann hörte, öffnete er langsam die Augen und lächelte. "Hi..." Seine Stimme klang kratzig und leise und er schien Mühe zu haben, überhaupt zu sprechen. Jeremy trat ans Bett heran und legte etwas scheu seine Hand auf Davids Finger, aus Angst, ihm vielleicht weh zu tun, wenn er an die Kanüle im Handrücken des Mannes käme. "Hi...", meinte auch er. "Entschuldige... ich bin noch etwas... etwas benebelt... die geben einem hier wirklich gutes Zeug, bis man da wieder aufwacht..." Und trotz der Situation erkannte Jeremy mit einem Mal wieder diesen schelmischen Glanz in den blauen Augen seines Freundes. Eines der vielen Sachen, die er so an David liebte. Er war Mitte dreißig, aber seine Augen waren oft noch die eines Lausbuben, der Streiche ausheckte, in ihnen lag gleichzeitig eine unbeschreibliche Wärme, die einem entging, wenn man keinen genauen Blick hinter die Kulissen des extrovertierten Mannes warf. Mit aller Kraft kämpfte der junge Tänzer gegen die Tränen an, so ganz gelang es ihm aber doch nicht, seine Augen wurden feucht. "Warum... weinst du...? Ist jemand... gestorben?" lächelte David. "Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren." "So schnell... wirst du... mich nicht los... vergiss es!" "Hast du Schmerzen?" David bewegte leicht den Kopf hin und her. "Nein... aber ich fühle... mich... total kaputt... müde..." "Du warst lange im OP... hast viel Blut verloren. Alex hat..." Jeremy brach ab. Natürlich wollte er David von Alex' Tat erzählen, aber er hielt es nicht für den richtigen Moment, weil er nicht abschätzen konnte, wie David darauf reagieren würde. "Hat er... geschossen...?" Jeremy schüttelte den Kopf. "Nein, hat er nicht. Aber das war auch das Erste, was ich gedacht habe. Ich bin sogar auf ihn los gegangen. Aber er ist unschuldig. Ruh dich erst einmal aus, es ist alles in Ordnung." "Danke..." "David...?" Sein blonder Freund sah ihn aus seinen leicht geschlossenen blauen Augen an. Jeremy hatte einen Kloß im Hals, seine freie Hand verkrampfte sich in sein Hosenbein. Er wollte David etwas sagen und gleichzeitig hatte er Angst davor. Aber der Drang es zu tun, war übermächtig, vor allem angesichts der Tatsache, dass er ihn beinahe verloren hätte. Als seine Lippen die Worte formten, betete er inständig darum, jetzt nicht alles zu zerstören. "Ich liebe dich." Der andere Mann öffnete ein wenig den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Jeremy rieb sich etwas verlegen über den Ausschnitt seines Shirts. "Ich erwarte nicht, dass du antwortest... ich meine... du musst nichts sagen... ich... ich wollte nur, dass du es weißt... mehr nicht..." David deutete ein Nicken an. Ein Klopfen an der Tür erlöste die beiden Männer aus ihrer Verlegenheit. Jason steckte den Kopf ins Zimmer. "Ich will nicht drängen, aber lange halte ich es nicht mehr aus, hier vor der Tür zu warten." "Komm rein, Jason", lächelte Jeremy. Er stand auf. "Ich lasse euch allein und sage Abby Bescheid. Sie ist auch hier." "Grüß sie... von mir... ja?" "Natürlich." Er beugte sich vor und gab David einen sanften Kuss auf die Lippen, dabei sah er ihm direkt in die Augen. "Ich wollte dich nicht bedrängen, denk das bitte nicht", flüsterte er. "Ich weiß", gab David ebenso leise zurück. Jeremy ließ die beiden Freunde allein und zog die Tür hinter sich zu. David lächelte Jason an, der auf dem Stuhl Platz nahm, den eben noch der Tänzer besetzt hatte. "Mein Lebensretter." "Ach, hör auf. Ich habe doch gar nicht viel gemacht." "Du warst... da... ich erinnere mich... noch an den Moment.... bevor ich ohnmächtig wurde..." Jason berührte ihn am Unterarm, er wollte nicht mehr an diesen Augenblick denken müssen. "Wie fühlst du dich?" "Matt... aber sonst gut... die haben hier schnuckelige Ärzte und Helfer... hier hätte ich früher... reiche Beute gehabt..." "Du denkst selbst im Krankenbett nur an das Eine, was?" David lachte heiser. "Soll ich mich... hängen lassen? Ich habe es... hinter mir... nur das zählt... Bald bin ich hier... wieder raus." "David?" Der Anwalt schloss die Augen. "Willst du mir... jetzt deine... Liebe gestehen, Sunshine?" "Hä?" fragte Jason mit einem Gesichtsausdruck völligen Unverständnisses. "Bloß ein Witz." Sein Freund verzog das Gesicht zu einer Grimasse, wurde dann aber wieder ernst. "Ich wollte mich... ich wollte mich bei dir entschuldigen." "Hä?" äffte David seine Reaktion nach, doch Jason ging nicht auf den Scherz ein. "Du liegst hier wegen mir... David, der Schuss galt nicht dir. Er war für mich bestimmt. Irgendjemand wollte mich umlegen und nur weil du diesem Fahrrad ausweichen musstest..." Seine Stimme wurde schwach. "Es tut mir so leid..." "Sunshine, rede keinen Unsinn..." David hustete, wobei er das Gesicht verzog, die Bewegung war schmerzhaft gewesen, trotz der Schmerzmittel. "Wofür solltest du dich... entschuldigen? Du hast weder gewusst, was passieren würde... noch hast du... etwas für diese Frau auf dem Fahrrad gekonnt und schon gar nicht... für den Schuss... das war eben Schicksal. Und besser... ich liege hier... als du tot auf dem Ghiradelli Square." "Aber ich..." "Kein aber!" unterbrach David schon viel munterer. "Schluss jetzt!" Jason lächelte dankbar und gab dem Bedürfnis nach, David einen Kuss auf die Wange zu geben. "Ich bin so froh, dass du nicht..." "Mich wirft so leicht... nichts um. Unkraut vergeht nicht." Jason erhob sich. "Ich werde dich noch etwas ausruhen lassen. Schwester Rabiata da draußen ist eh schon sauer, weil mehr als einer zu dir wollte. Ich muss mich sowieso mal umsehen, ob Ash schon wieder da ist... Oder Marcus und Colin endlich mit Chris gekommen sind." Sein Blick fiel auf das Telefon neben dem Bett. "Soll ich deine Eltern anrufen?" David überlegte kurz, schüttelte dann aber kaum sichtbar den Kopf. "Nein. Sie sollen sich nicht... unnötig aufregen. Sonst kommen sie noch hierher und meine Mutter... stirbt Tausend Tode vor Sorge." "Wie du meinst." Jason wandte sich zum Gehen. "Werde schnell wieder gesund, hörst du?" "Ein Befehl?" "Nichts anderes", lächelte der Cop. "Bis später." David hob zur Verabschiedung ein wenig die Hand mit der Kanüle. Die Tür fiel zu und er war wieder allein. Obwohl die Rückstände der Betäubung immer noch wie Nebelschwaden in seinem Kopf herum zogen, konnte er nur an eines denken. Jeremy hatte ihm seine Liebe gestanden. Nicht nur, dass er ihn mochte oder ähnliches, er hatte die drei magischen Worte gesagt. Und was hatte er getan? Nichts. Kein Wort hatte er heraus bekommen, als ob seine Kehle zugeschnürt gewesen wäre. Warum, wusste er selbst nicht genau. Tief in seinem Herzen war ihm klar, dass er für Jeremy ebenso empfand. Er liebte den jungen Mann, sonst hätte er auch nie die Kraft gefunden, über seinen Schatten zu springen. Aber weiter konnte er einfach noch nicht. Vor ihm lag die dunkle Schlucht seiner Ängste, die Kluft, die Jack mit seinem Verhalten in Davids Gefühle geschlagen hatte. Er hatte es beim letzten Mal geschafft, sich wieder nach oben zu ziehen, nicht hinein zu fallen. Sein neues Leben hatte er ohne die offenen Gefühle gelebt, die auf der anderen Seite lagen. Und er brachte es nicht übers Herz, den Sprung hinüber zu wagen und zu hoffen, dass Jeremy ihm die Hände entgegen streckte. Er hatte Angst, dass er doch wieder nur fallen würde. Und noch einmal, würde er das nicht verkraften... Ash erwartete Jason bereits auf dem Flur. Er hatte einen schwarzen Pulli dabei, den er seinem Partner reichte. Jason zog sich das blutige Shirt über den Kopf, um das andere Kleidungsstück anzuziehen und dachte dabei überhaupt nicht darüber nach, wo er war, er war einfach nur froh, aus dem alten heraus zu kommen. Abby pfiff anerkennend durch die Zähne und bekam dafür einen Klaps von Jeremy, eine junge Krankenschwester, die eben vorbei ging, lief hochrot an und war sichtlich bemüht zu verbergen, dass sie den Cop angestarrt hatte. Ash grinste nur. "Freizügig, mein Guter." Der andere Polizist knurrte und überging die Scherze auf seine Kosten. "Gibt es was Neues?" "Wir sollen so schnell es geht aufs Department kommen. Der Chief will mit uns reden." "Er will sicher die weitere Vorgehensweise klären." "Mag sein. Außerdem habe ich die Sache mit der Leichenhalle abgeklärt. Fürs Erste wird dein Name in den Akten der Leiche eingetragen. In der Lobby warten zwei Cops, die dich unauffällig ins Department und danach in meine Wohnung bringen. Du solltest dich bedeckt halten, bis wir mehr wissen." "Das kann ja heiter werden... ich bin gespannt, was Chris zu der ganzen Sache sagt... schließlich muss er auch noch meinen trauernden Witwer spielen, falls unser Haus überwacht werden sollte." "Vielleicht klärt sich die Angelegenheit schneller, als du denkst." Weiter konnten sie nicht reden, denn Marcus und Colin kamen den Gang entlang auf sie zu. Der blonde Junge eilte voraus. "Wie geht es David?" rief er schon aus einiger Entfernung. "Alles klar", lächelte Jason. Die Gesichter der Beiden hellten sich deutlich auf. Marcus lief zu Jeremy hinüber und umarmte ihn überschwänglich. "Ich bin wirklich froh!" "Danke, Marcus." Der Tänzer klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken. "Ich bin auch froh darüber." Colin blieb ein Stück von Jeremy entfernt stehen. Der Rothaarige sah ihn an, als Marcus sich von ihm löste, und schien zu überlegen, was genau er sagen sollte. Schließlich war es nicht mehr als ein leises "Danke", bevor er seinen Blick von Marcus' Freund abwandte. Jason konnte sich denken, warum ihm Colins Anwesenheit peinlich zu sein schien, sagte aber nichts. "Was ist denn mit deinem Kopf passiert?", fragte Marcus verdutzt bei Jasons Anblick. "Nicht wichtig... ist schon okay. Wo ist Chris?", wollte dieser stattdessen wissen. Marcus' Miene verfinsterte sich wieder. "Er war nicht daheim. Es war niemand da. Ich erreiche ihn auf seinem Handy nicht, weil es im Schlafzimmer bei euch auf dem Bett liegt. Dafür lief die Waschmaschine im Keller immer noch. Wir haben Batman mitgenommen, er schläft im Auto. Der Kleine war vollkommen verstört." Jason spürte, wie sich Angst wie eine eiskalte Hand um sein Herz legte. Da stimmte etwas nicht, das wusste er sofort. Chris war etwas zugestoßen. "Ich muss ihn suchen!" Ash packte ihn am Arm. "Du musst gar nichts, verstanden? Du fährst jetzt mit mir zum Department und dann in meine Wohnung! Dann werde ich losziehen und Chris suchen." "Ash! Hast du nicht gehört, was Marcus gesagt hat?! Kommt dir das nicht komisch vor?!" Er ballte die Fäuste. "Je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich, dass Dave Jerrod was damit zu tun hat!" "Jason, nicht schon wieder!" "Verdammt noch mal! Sind das nicht ein paar Zufälle zuviel?! Der Mann, den dieser Kerl liebt, verschwindet am gleichen Tag, an dem auf dessen Freund ein Mordanschlag verübt wird?!" "Zugegeben, das ist schon arg seltsam, aber wir sollten trotzdem keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir fahren jetzt zum Department und dann sehen wir weiter, okay? Außerdem gilt eine Person erst nach vierundzwanzig Stunden als vermisst. Vielleicht ist Chris einkaufen, in der Bibliothek zum Lernen oder sonst wo!" Jason lenkte ein, auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel. Er nickte nur etwas resigniert, bevor er sich Marcus und Colin zuwandte. "Was ist mit euch?" "Ich bringe Marcus nach Hause", antwortete Colin. "Nein!" Der blonde Junge nahm seine Hand. "Lass mich bitte mit zu dir fahren. Ich rufe meine Eltern von dort aus an. Es ist Samstag und ich will heute nicht allein sein." Colin nickte und legte seinen Arm um seinen Freund. "Ich bleibe noch hier", erklärte Jeremy ungefragt. "Ich auch. Ich habe eine Freundin, die hier auf der Kinderstation arbeitet, ich schaue mal bei ihr vorbei, dann muss ich Jem auch nicht allein lassen." Abby lächelte den Rothaarigen an, der die Geste dankbar erwiderte. Damit war alles beschlossen. Die Gruppe verabschiedete sich voneinander und in der Lobby trennten sich dann auch die Wege von Jason, Ash und den beiden Jungen. Während Ash in seinem eigenen Auto zum Department fuhr, nahmen zwei zivile Cops Jason durch einen Nebenausgang mit zu ihrem Wagen. Marcus sah dem Polizisten nach und sendete ein Stoßgebet zum Himmel, dass Chris bald wieder auftauchen möge, dann folgte er seinem Freund zum Parkplatz. David lachte laut auf. Die Vorstellung, wie Jeremy sich wie ein Berserker auf Alex gestürzt hatte, amüsierte ihn. Der Tänzer war nun schon fast eine dreiviertel Stunde bei ihm und die Stimmung hatte sich deutlich verbessert. Vielleicht auch deswegen, weil Jeremy den Vorfall mit den drei Worten einfach zu übergehen schien. Er war mit einem Blumenstrauß aus dem Geschenkladen im Foyer wieder zu seinem Freund gekommen und hatte getan, als wäre nie etwas geschehen, wohl um David zu zeigen, dass er ihn wirklich nicht bedrängen wollte. Doch irgendwie war er mit der Situation so nicht zufrieden, es schien zwischen ihnen zu stehen und das wollte David nicht zulassen. Deswegen fasst er sich ein Herz und schnitt das Thema selbst noch einmal an. "Jeremy... wegen vorhin..." Der Rothaarige schluckte. Seine gute Laune fiel von ihm ab. "David... bitte, vergiss es einfach, es ist nicht wichtig." "Doch, natürlich!" widersprach sein Freund. "Ich will nicht, dass du denkst, ich würde dich nicht ernst nehmen, es ist nur..." Jeremy schaute ihn unsicher an. "Ja?" David suchte nach den richtigen Worten, er wollte auf keinen Fall einen Fehler machen. "Gib mir Zeit... ja? Ich brauche etwas Zeit. Die Sache mit der Beziehung war schon ein großer Schritt für mich... so komisch das auch klingen mag. Ich bin sehr glücklich mit dir... aber ich... ich kann einfach nicht... noch nicht..." Er brach ab, angesichts seines Gestotters. "Tolle Leistung... und ich will Anwalt sein... Ich sollte besser mit Worten umgehen können." Jeremy lächelte und nahm seine Hand, diesmal die andere, ohne Kanüle. Er hatte die Seite des Bettes gewechselt. "Ist okay. Ich verstehe, was du meinst. Du hast alle Zeit der Welt, David. Alles was für mich zählt, ist in deiner Nähe zu sein." Sein Gesicht verriet, dass er das ehrlich meinte. Ihm wurde ganz warm ums Herz. David hatte ihm eben auf seine unbeholfene Art gezeigt, wie viel er ihm bedeutete und das allein war schon ein wunderbares Geschenk. Da brauchte es kein "Ich liebe dich" unter allen Umständen. David lächelte nur dankbar und ein Hauch von Röte zeigte sich auf seinem noch blassen Gesicht. Ein seltener und unglaublich niedlicher Anblick, wie Jeremy fand. Wieder war es die Tür, die den Moment der Innigkeit unterbrach, nur betrat diesmal nicht Jason, sondern ein Arzt nach kurzem Klopfen den Raum. Jeremy erkannte den gleichen Arzt, der sie nach einem Blutspender gefragt hatte. "Dürfte ich kurz stören? Ich müsste mit Ihnen allein reden, Mr. Vanderveer." Jeremy stand auf. "Ich werde Abby suchen und mit ihr in der Kantine was zu Essen auftreiben." David nickte. Sein Freund wandte sich zum Gehen, überlegte es sich dann doch anders und gab David einen Kuss, bevor er an dem Arzt vorbei ging. Doktor Pierce schaute kurz zur Tür und trat dann näher an das Bett des Anwalts heran. "Ein sehr netter junger Mann." "Warum betonen Sie das "jung" so merkwürdig, Doktor? Er ist volljährig, falls sie etwas anderes denken." Davids Ton klang lauernd. "Keineswegs, Mr. Vanderveer. Sie Beide scheinen sehr glücklich zu sein. Es gibt so viele Männer, die mit viel jüngeren Frauen zusammen sind, warum sollten das nicht auch homosexuelle Paare dürfen?" "Ich möchte nicht unhöflich sein, Doktor, aber sind Sie hierher gekommen, um mit mir Konversation über mein Liebesleben zu führen?" Doktor Pierce seufzte. "Ich wünschte, ich wäre es, Mr. Vanderveer, aber ich muss mit Ihnen etwas Anderes besprechen. Wir haben bei der OP festgestellt, dass die Kugel, die sie getroffen hat, ihren Körper nicht glatt durchschlagen hat. Sie hatten Glück, dass keine Organe lebensgefährlich verletzt wurden, aber die Kugel ist an einer ihrer Rippen abgeprallt und dabei gesplittert." "Gesplittert...?" Der Arzt nickte langsam. "Fragmente des Geschosses haben sich in Ihrem Körper verteilt. Wir haben alle entfernen können, bis auf eines." David wurde schwindelig. Er konnte nichts erwidern, hinter seiner starren Miene wallte Panik auf, die er mit aller Macht unterdrückte. Nur die Kurve des EKGs strafte mit ihrem stärkeren Ausschlag seine betonte Ruhe Lüge. "Das Fragment steckt in Ihrem Rückenmark. So lange es sich dort befindet, kann es je nach Position dafür sorgen, dass es zu temporären Lähmungserscheinungen, vor allem in Ihrem Armen, kommen kann." "Kann man es entfernen?" fragte David mit absolut emotionsloser Stimme. Der Arzt nickte erneut. "Wir konnten diese Operation nicht sofort durchführen, weil wir dafür Ihr Einverständnis brauchen, denn es gibt gewisse Risiken." "Welche?" David antwortete wie eine Maschine. "Diese Operation ist bis heute sehr kompliziert. Je nachdem wie lange wir damit warten, besteht zu einem gewissen Grad das Risiko, dass sie nach der Operation vom Hals abwärts gelähmt sein werden. Im Moment fünfzig Prozent, vielleicht vierzig." Für David schien für einen Augenblick die Zeit stehen zu bleiben. Die Worte des Arztes brauchten etliche Sekunden, bis sie endgültig zu seinem Gehirn durchdrangen. Dann schlug er die Augen nieder. "Niemals." sagte er mit fester Stimme. "Dieses Risiko gehe ich nicht ein! Dann lebe ich lieber mit temporären Lähmungen." "Mr. Vanderveer." Der Arzt schien betroffen, obwohl er wohl häufig solche Situationen erlebte. "Sie wissen noch nicht alles. Wenn Sie den Splitter nicht entfernen lassen, dann wird er innerhalb Ihres Rückenmarks wandern. Die Dauer und die Häufigkeit der Lähmungsanfälle können dadurch zunehmen und dann ist es nur eine Frage der Zeit bis..." Er hatte sichtlich Mühe, David in die Augen zu sehen. "Bis Sie sterben." ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Und ich sollte mich wahrscheinlich allmählich ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen lassen *lol* Bitte verzeiht mir, aber ihr müsst euch daran gewöhnen, jetzt beginnt die Zeit der Cliffhanger. Die nächsten Kapitel werden wieder etwas actionreicher und gerade die Situation mit David schreit geradezu nach offenen Enden. Angesichts des tragischen Endes im letzten Kapitel, ist gerade mal einer Leserin die Szene mit Chris und der Haustür spanisch vorgekommen, nur Silent-Voice stellte da Vermutungen an. Was nun wirklich mit dem blonden Engel passiert ist, erfahrt ihr aber erst im nächsten Kapitel ^^ *diabolisch lach* Eigentlich sollte das schon hier geschehen, aber ich habe mich dann doch dagegen entschieden. David ist also über den Berg und irgendwie doch wieder nicht. Er steht nun vor der Entscheidung, sich operieren zu lassen oder dem Tod ins Auge zu sehen. Alex macht eine 180 Grad Drehung und wird zum großen Retter, nachdem im letzten Kapitel jeder ihn für den Schützen hielt... was durchaus beabsichtigt war und herrlich aufgegangen ist, niemand kam auf die Idee, in Jason das eigentliche Ziel zu sehen *gggg* Das Kapitel zog sich ansonsten zäh wie Kaugummi, erst gegen Ende platzte der Knoten plötzlich (Dank meiner Retterin Alaska *knuffs*) und ich habe bis drei Uhr nachts die letzten fünf Seiten getippt ^^ Also weiter geht's beim nächsten Mal ^^ Euer Uly Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)