Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 29: Run, Chris, run! (Part 3 of 5) ------------------------------------------ "Wie lange?" David hörte sich selbst die Frage stellen. Es kam ihm vor, als habe er seinen Körper verlassen und schaue auf sich selbst und den Arzt herab. Seine ganze Welt zerbrach in diesem Moment in Stücke. Ganz langsam bekam sie Risse und bröckelte, was übrig blieb, war Leere. Doktor Pierce rückte seine Brille gerade. "Von der momentanen Position zu schließen... ich würde sagen, ein halbes Jahr, vielleicht etwas mehr." "Ein halbes Jahr...", wiederholte David ohne eine Emotion in der Stimme. "Mr. Vanderveer, ich kann Ihnen nur dringend raten, sich dieser Operation zu unterziehen. Sie rettet Ihnen das Leben. Und ist das nicht die Hauptsache?" David schüttelte den Kopf. "Doktor, würden Sie eine völlige Lähmung vom Hals abwärts als Leben bezeichnen? Ans Bett gefesselt zu sein, gefangen im eigenen Körper?" "Es ist ja nicht gesagt, dass Sie danach gelähmt sind", widersprach der Arzt. "Fifty-Fifty nenne ich nicht gerade hoffnungsvoll!" "Mr. Vanderveer, bedenken Sie bitte die Tragweite Ihrer Entscheidung. Sie sind fünfunddreißig, bei bester Gesundheit und leben in einer Beziehung." "Lassen Sie Jeremy gefälligst da raus! Das hat nichts mit ihm zu tun!" "Hat es das nicht? Mr. Vanderveer, Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass die Entscheidung gegen diese Operation Ihren Tod bedeutet! Und eines sage ich Ihnen, der wird nicht friedlich sein." Der blonde Mann schaute den Arzt mit einem geradezu kindisch trotzigen Blick an. "Doktor Pierce, meine Entscheidung steht fest. Ich werde nicht riskieren, den Rest meines Lebens ans Bett gefesselt zu sein! Das ist es nicht wert! Dann genieße ich lieber die Zeit, die mir noch bleibt." Die Schultern des anderen Mannes sackten regelrecht herab. Vollkommen resigniert schob er erneut sein Brillengestell zurück auf die Spitze des Nasenrückens. "Ich kann Sie nicht zwingen, aber ich möchte Ihnen empfehlen, diese übereilte Entscheidung noch einmal zu überdenken. Vielleicht besprechen Sie das mal mit Ihrem Freund oder mit dem Herrn von der Polizei, der Sie hierher gebracht hat. Er schien mir ein guter Freund von Ihnen zu sein. Wenn Sie mit den Menschen reden, die Ihnen etwas bedeuten, dann..." "Kein Wort davon verlässt dieses Zimmer!" unterbrach David. Der Arzt reagierte mit einem ungläubigen Blick. "Haben Sie mich verstanden, Doktor? Ich bin Anwalt, ich kenne jedes Detail der Schweigepflicht. Kein Wort, zu niemandem. Weder zu Detective Cunningham, noch zu meinem Freund!" "Sie wollen das ganz mit sich allein ausmachen?" keuchte Pierce bestürzt. "Mr. Vanderveer, das ist der falsche Weg, Sie sollten..." "Das ist meine Sache!" fiel David erneut ins Wort. "Und jetzt lassen Sie mich bitte allein. Ich möchte meine Ruhe haben." Der Arzt nickte und ging mit hängenden Schultern in Richtung Tür. Er hatte etwas von einem getretenen Hund. Bevor er die Tür öffnete, blieb er noch einmal stehen und wandte sich zu David. "Denken Sie noch einmal darüber nach. Die OP kann jederzeit durchgeführt werden, aber je länger Sie warten, umso höher ist das Risiko." Damit verließ er den Raum. David legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein, er ignorierte dabei die Schmerzen, die durch seinen Oberkörper flammten, jetzt, da die Wirkung des Schmerzmittels nicht mehr hundertprozentig war. Ganz langsam wurde ihm klar, was gerade geschehen war. Er hatte sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Der Schuss war nicht tödlich gewesen, aber seine Nachwirkungen würden es sein. Und trotzdem betrachtete er seine Entscheidung als richtig. Niemals würde er zulassen, anderen soviel Mühe zu machen, und noch weniger war er bereit dazu, eine völlige Abhängigkeit von anderen zu akzeptieren. Seine Augen brannten und das Zimmer verschwamm leicht, aber er erlaubte den Tränen nicht sich ihren Weg zu bahnen. Mit seiner ganzen Kraft, drängte David sie zurück, wischte sich die ersten feuchten Spuren mit der freien Hand weg. Die Tür wurde geöffnet und Jeremy kam herein, gefolgt von Abby. Der junge Mann trug ein Tablett mit drei Sandwiches und Kaffeebechern. "Zimmerservice!" flötete Abby. "Wir haben nachgefragt, wenn du möchtest, kannst du ein Sandwich essen, nur auf Kaffee musst du leider verzichten, aber wir haben ganz leckeren Kamillentee für meinen Süßen!" Jeremy zwinkerte ihm zu. David sah das Grinsen der Beiden, spürte die Freude, die sie ausstrahlten und die sie offenbar an ihn weitergeben wollten. "Alles okay?" War es das? Nein, gar nichts war okay. "Ja, alles okay", antwortete David. Jason trommelte nervös mit den Fingern auf die Armlehne des bequemen Stuhls vor dem Schreibtisch seines Chiefs. Er und Ash warteten nun schon eine ganze Weile auf den Obersten des Departments. Sie hatten sich durch die grüne Hölle seiner Sekretärin, Mrs. Hoover, gekämpft, deren Dschungel aus Grünpflanzen von Woche zu Woche dichter zu werden schien. "Wenn du nicht gleich damit aufhörst, muss ich dir leider wehtun...", zischte Ash zu ihm hinüber. "Ich bin nervös." "Und mich machst du nicht nur nervös, sondern aggressiv, mit diesem Getrommel!" Jason wollte zur Antwort ansetzen, als die Tür aufging. Die beiden Männer sprangen auf, als der Chief das Büro betrat, hinter ihm niemand anders als Detective Rodriguez. "Was will der denn hier?" rutschte es Jason heraus. "Was er hier will, werden Sie schon gleich sehen, Cunningham!" gab Rodriguez zurück. "Meine Herren, bitte. Setzen Sie sich." Die drei Männer nahmen Platz, während sich Chief Carter, ein beeindruckender Mann Anfang fünfzig, ihnen gegenüber in seinem Stuhl niederließ. "Ich bin froh, Sie wohlauf zu sehen, Detective", begann er an Jason gerichtet. "Detective Tallman hat uns alles über den Anschlag im Krankenhaus erzählt. Ich hoffe, ihrem Freund geht es auch gut?" "Den Umständen entsprechend, ja. Danke, Sir." Carter nickte. "Nun, ich denke, Sie alle wissen, warum wir hier sind. Ein Mordanschlag auf einen Polizisten ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Unsere Stadt lebt vom Tourismus und wir können von Glück sagen, dass der Täter bereits geschnappt ist. Schlagzeile über einen Heckenschützen würde uns der Bürgermeister niemals verzeihen. Wobei "geschnappt" natürlich das falsche Wort ist, ist unser Schütze ja bedauerlicherweise tot." "Allerdings habe ich einen Verdacht, wer den Kerl geschickt hat, Sir." "Jason!" mahnte Ash, er wusste genau, auf wen sein Freund hinaus wollte. "Was? Ich werde das ja wohl noch mitteilen dürfen." "Wie dem auch sei." Der Chief unterbrach den Dialog mit fester Stimme, die Jason und Ash sofort zum Verstummen brachte. "Ich habe Sie hierher geholt, um Ihnen mitzuteilen, dass die Ermittlungen in diesem Fall von Detective Rodriguez geführt werden." Jason spürte, wie sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Ohne es unterdrücken zu können, wandte er sich mit fassungslosem Gesicht dem verhassten Kollegen zu, der schadenfroh grinste. "Sir, warum das? Es war unser Fall!" ereiferte sich Ash, auch ihm stank diese Entscheidung deutlich. "Detective Rodriguez hat mich davon überzeugt, dass Sie beide in diesem Fall nicht mit der nötigen Distanz und Objektivität zu Werke gehen können. Schließlich ist Detective Cunningham direkt betroffen und durch Ihre unorthodoxe und eigenmächtige Aktion mit dem gefälschten Totenschein außer Gefecht gesetzt, Detective Tallman. Und allein diese Handlung zeigt mir schon, dass Sie für diesen Fall emotional zu sehr involviert sind." "Ich bin was?! Nur weil ich meinen Partner und guten Freund auf diese Weise schützen wollte?!" Ash wurde laut. "Außerdem habe ich bereits einen eindeutigen Verdacht, der davon untermauert wird, dass mein Freund verschwunden ist!" fügte Jason hinzu. Rodriguez zischte etwas, das wie "Schwuchtel" klang, aber es war zu undeutlich, als das der Chief es beachtet hätte. "Meine Entscheidung steht fest, Detectives. Besprechen Sie alles weitere mit Detective Rodriguez. Er wird Sie dann sicher über den Fall auf dem Laufenden halten." "Aber natürlich, Sir", schleimte der unsympathische Cop. "Sir, bitte, ich..." "Das wäre alles, Detective Cunningham." "Sir!" Ash berührte Jason am Arm. "Gib es auf." Er erhob sich und Rodriguez und schließlich auch Jason folgten seinem Beispiel. Zu dritt verließen sie den Raum. Kaum hatten sie das Dickicht des Vorzimmers hinter sich gelassen und waren ins Großraumbüro gekommen, platzte Jason der Kragen. "Was soll die Scheiße, Rodriguez?!" "Jason!" Ash wollte seinen Partner darauf aufmerksam machen, dass er dermaßen laut war, dass alle Köpfe im Büro sich in ihre Richtung drehten, doch Jason beachtete ihn gar nicht. "Was bilden Sie sich ein, uns den Fall wegzunehmen?!" "Das war der Chief, nicht ich!" "Ach, Haarspalterei! Das ist unser Fall! Es geht hier schließlich auch um meinen Freund!" "Unsinn! Was hat es mit diesem Fall zu tun, dass sich Ihr kleiner Betthase wahrscheinlich einfach nur einen anderen Stecher gesucht hat und abgedampft ist?!" "Wichser!" Jason packte den Detective am Kragen und rammte ihn mit voller Wucht gegen die Wand. Er holte aus, um seine Faust in das Gesicht seines Gegenüber krachen zu lassen, doch Ashs Hand schnellte vor und packte ihn am Arm. Jason funkelte seinen Partner an, in seinen Augen glomm rasende Wut, doch Ash schüttelte nur den Kopf. Widerwillig senkte Jason den Arm wieder und ließ Rodriguez los. Dieser gewann sofort wieder Oberwasser und rückte grinsend seine Kleidung zurecht. "Und das nennen Sie emotional nicht involviert!" "Wir besprechen das unter uns!" beschloss Ash, er schob Jason in Richtung von Rodriguez' Büro. Als die Tür hinter ihnen zufiel, ließ der Latino auch mit einem Mal seine scheinheilige Maske fallen. "Dein Glück, dass du so einen klugen Partner hast, Schwuchtel! Wenn du mich anfasst, hetze ich dir eine Disziplinaruntersuchung auf den Hals!" "Soviel Professionalität, wirklich beeindruckend, Rodriguez!" schnappte Ash mit verschränkten Armen. "Tallman... wie immer gleich zur Stelle, wenn es darum geht, für die Rechte der Tunte ein zu stehen. Was kriegst du dafür? Bläst er dir einen?" "Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein!" Jason wollte sich auf den Detective stürzen, doch wieder war Ash schneller. "Jason! Verdammt, reiß dich zusammen. Das will er doch nur!" Während der blonde Mann seinen Partner unter Kontrolle hielt, ging Rodriguez seelenruhig um seinen Schreibtisch herum und setzte sich. "Würden die Herren, ich meine natürlich der Herr und die Tunte, bitte mein Büro verlassen, ich habe zu arbeiten!" "Das ich nicht lache!" schrie Jason ihn an. Er gönnte Rodriguez den Triumph nicht, aber er konnte sich einfach nicht beherrschen. Die letzten Stunden hatten ihn zu sehr mitgenommen und die Angst um Chris machte ihn schier wahnsinnig. "Wie sollen die Ermittlungen in meinem Fall denn aussehen?!" "Nun ja... ich werde ein paar Zeugen befragen... hier und da... aber der Attentäter ist schließlich tot und die Schwuchtel im Krankenhaus lebt auch noch... ich denke, ich werde dem Chief recht schnell mitteilen können, dass die Ermittlungen leider ins Leere laufen. Wahrscheinlich war der Auftraggeber sowieso einer von deinen hysterischen Tuntenfreunden. Vielleicht einer, dem du deinen Arsch nicht hinhalten wolltest!" "Es reicht jetzt!" donnerte Ash, er war knallrot vor Wut, schließlich gingen die vielen schwulenfeindlichen Bemerkungen eigentlich auch gegen ihn. "Und was soll dann aus Chris werden?! Du verdammtes Arschloch, du kannst die Ermittlungen nicht einfach schleifen lassen!" Rodriguez grinste Jason breit an. "Wie ich bereits sagte, Cunningham, deine kleine blonde Tucke wird sich wohl einen mit einem größeren Schwanz gesucht haben, Pech für dich!" Ash griff zur Seite und fasste Jason am Handgelenk, so fest, dass dieser genau merkte, was ihm sein Partner mitteilen wollte. "Darin ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, das schwöre ich dir!" Ashton zog Jason regelrecht aus dem Büro, der brünette Polizist feuerte die Tür dermaßen fest zu, dass beinahe das milchige Glasfenster aus der Fassung gesprungen wäre. Rodriguez verdrehte die Augen. "Dämliche Schwuchtel..." Dann wandte er sich wieder wichtigeren Sachen zu - einer Runde Tetris auf seinem Arbeitscomputer. Langsam öffnete Chris die Augen. Das helle Licht im Raum tat ihnen weh, deswegen kniff er sie so schnell es ging wieder zusammen. Erst nach ein paar Sekunden wagte er einen neuen Versuch. Ihm war schwindelig. Ganz vorsichtig setzte der blonde Mann sich auf. Er lag auf einem bequemen Bett inmitten eines freundlich eingerichteten Zimmers. Die Wände waren in einem warmen, sonnigen Gelb gestrichen und verströmten zusammen mit den rustikalen Möbeln einen mediterranen Flair. Alles passte bis ins kleinste Detail, angefangen vom Teppichboden bis zu den Bilder an den Wänden, die südländische Stillleben mit Tonkrügen und Oliven zeigten. Die Decke zeigte einen blauen Himmel mit sanften weißen Wolken, über dem Bett war ein geöffnetes Fenster täuschend echt auf die Wand gemalt, das den Ausblick auf eine typisch italienische Landschaft freigab. Chris schwang langsam die Beine aus dem Bett und stand auf. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwummerig, er schwankte und musste sich am Bettpfosten festhalten. Übelkeit wallte in ihm auf, ebbte aber ebenso schnell wieder ab. Er machte ein paar unsichere Schritte, bevor er langsam aber sicher die Kontrolle über seinen Körper wiedererlangte. Nach ein paar Sekunden der Orientierung, begann Chris den Raum zu untersuchen. In den Schubladen der Kommode lagen Utensilien wie Kämme, Bürsten und sogar Haarbänder, die er selbst besaß. In anderen Schubladen befand sich säuberlich gefaltete Unterwäsche, im Schrank hingen Kleidungsstücke, von denen er auch eine Menge in seinem eigenen Schrank hängen hatte, aber auch neue, teilweise ziemlich teuer wirkende Klamotten. Erst jetzt sah er an sich herab. Er trug weiße Hosen, nicht etwa Jeans, sondern feinster Stoff, und ein fließend fallendes Seidenhemd, ebenfalls strahlend weiß. Um seinen Hals lag immer noch die Kette, die Jason ihm am Morgen geschenkt hatte, ein schmales, weißgoldenes Band mit einem Stern daran, dessen Fläche teilweise mattiert war, sein Freund hatte sie extra für ihn anfertigen lassen und sie ihm zusammen mit einem Frühstück am Bett überreicht. Chris ging zum Fenster und sah hinaus. Das Zwielicht des späten Nachmittags schimmerte durch die Baumkronen eines dichten Mischwaldes. Ein sehr friedlicher Anblick, wären da nicht die dicken Metallstangen vor dem Fenster gewesen. Öffnen ließ es sich auch nicht, wie er schnell feststellen musste. Der Schlüssel drehte sich in der Tür. Chris zuckte zusammen und wich automatisch ein paar Schritte zurück, als sie geöffnet wurde und jemand das Zimmer betrat. Ihm stockte der Atem. "D... Dave?" Sein Freund aus Kindertagen lächelte ihn an. Er sah blendend aus, wie immer. Edler Nadelstreifenanzug, die Krawatte ordentlich gebunden, seine Schuhe glänzten wie frisch poliert. "Hallo, mein Schatz." Chris war viel zu perplex, um überhaupt auf die ungewohnte Anrede einzugehen. "Was ist hier los? Wo bin ich hier?!" "Gefällt dir meine kleine Überraschung? Du hast damals in Dallas immer davon geredet, dass du irgendwann einmal nach Europa möchtest, Frankreich oder Italien. Ich mochte schon immer Italien mehr. Das Zimmer ist wundervoll gelungen, oder?" "Dave, was soll das?" "Hast du die Kleider im Schrank gesehen? Ich habe alles gekauft, was dir gut stehen könnte. Ich bin so gespannt darauf, dich in all dem Zeug zu sehen! Ein paar alte Sachen sind natürlich auch dabei, aber nur die, die du oft und gern trägst." "Dave!" sagte Chris schon wesentlich lauter, doch der andere Mann schien ihn gar nicht zu bemerken. "Nebenan ist ein Badezimmer mit einer gigantischen Badewanne. Mit Whirlpool natürlich, du wirst es lieben." "Verdammt noch mal! Was soll das alles?!" "Chris, nicht so laut", beschwichtigte Dave immer noch lächelnd. "Lass mich doch ausreden, ich muss dir doch alles über dein neues Zuhause erzählen." "Mein neues... was?! Spinnst du jetzt völlig?!" "Keineswegs." "Ich denke schon!" Chris schüttelte empört den Kopf. "Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Ich will nach Hause, sofort!" Er ging auf Dave zu und wollte an ihm vorbei, doch dieser packte ihn am Arm. "Du bist Zuhause, Chris." "Lass mich los, du kranker Spinner!" zischte Chris. Dave lächelte ihn an, holte aus und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. So heftig, dass der blonde Mann zur Seite taumelte, gegen die Kommode stieß und zu Boden ging. Für einen Augenblick sah er Sterne, so stark war der Schlag gewesen. Der Millionär ging vor Chris in die Hocke. "Das war nicht nett, mein Schatz." "Arschloch...", entgegnete der blonde Mann leise und spuckte Dave ins Gesicht. Ohne darauf zu achten, dass Chris' Speichel seine Wange hinab lief, packte Dave den Kopf seines Gegenüber und hämmerte ihn, bevor dieser reagieren konnte, mit Schwung gegen die Kommode. Chris hatte das Gefühl, dass sein Schädel jeden Moment explodieren würde, er bekam pochende Kopfschmerzen. Er hatte sich auf die Zunge gebissen und bemerkte den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund. Dave stand seelenruhig auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. Der Blonde wagte es nicht, noch etwas zu sagen, Angst kroch in ihm herauf, panische Angst. "Es tut mir leid, Chris, aber du hast mich dazu eben gezwungen. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir gegenüber unhöflich und aufsässig ist, verstehst du?" "Dave... bitte..." "Halt den Mund!" brüllte der Angesprochene, nur um sofort wieder in einen völlig ruhigen und emotionslosen Ton zu verfallen. "Ich denke, das ist mein Problem. Ich habe ein Problem damit, wenn man mir widerspricht. In der Klinik damals haben sie gesagt, ich habe meinen Emotionen nicht unter Kontrolle. Dass ich mit Ablehnung nicht klar käme. Kindheitstraumata. Unerfüllte Wünsche. Dass ich nicht lache. Alles Idioten! Solange man tut, was ich sage, ist doch alles in Ordnung. Also bitte, Chris, sei lieb und widersprich nicht dauernd." Chris bekam kein Wort heraus, seine Kehle war wie zugeschnürt. Dave ging wieder in die Hocke und sah den anderen Mann mit schräg gelegtem Kopf und einem geradezu unheimlichen Lächeln an. "Hast du verstanden, was ich sagte?" Chris nickte hektisch, dabei hatte er das Gefühl, dass in seinem Kopf Schnellzüge kollidierten. "Das ist gut." Dave tätschelte ihm die Wange. "Das ist sehr gut. Weißt du, Chris. Ich muss dir sonst weh tun. Und ich will dir doch nicht weh tun. Verstehst du?" "Bitte lass mich gehen...", flüsterte Chris mit schwacher Stimme, ohne dass er es kontrollieren konnte, liefen Tränen über sein Gesicht. "Das kann ich nicht, Chris. Das hier ist doch jetzt unser Zuhause. Wir werden hier glücklich sein. Nur du und ich. Wir werden miteinander essen, miteinander reden und lachen, wir werden uns küssen und uns lieben, voller Leidenschaft." "Das kannst du nicht ernst meinen..." "Aber vollkommen. Das hier ist unser Paradies." "Jason wird das niemals zulassen! Er holt mich hier raus." Daves Gesichtsausdruck veränderte sich, als Chris den Namen des Polizisten erwähnte. So etwas wie Triumph umspielte seine Züge. "Jason...", wiederholte er den Namen in einem seltsam gleichgültigen Tonfall. "Dieser grobe Gorilla, von dem du dich sonst hast besteigen lassen, ist kein Problem mehr. Nur noch für die Würmer und Maden, dich sich an ihm den Magen verderben werden." "Wovon redest du?!" Dave beugte sich weit nach vorn, so dass er Chris ins Ohr flüstern konnte. "Das ist mein zweites Geschenk für dich. Ich befreie dich von diesem Klotz. Ich habe ihn beseitigen lassen. Happy Birthday, mein Schatz." Chris hörte die Worte seines Jugendfreundes, aber er konnte nicht glauben, was er da vernahm. Seine Ohren mussten ihm einen Streich spielen. Das durfte nicht wahr sein. "Du lügst..." "Meinst du? Ich werde dir den Beweis bringen." Er schaute auf Chris' Ausschnitt und die Kette darin. "Und das brauchst du nicht mehr." Seine Hand schloss sich um den Anhänger und er riss dem Blonden mit einem Ruck das Schmuckstück vom Hals. Damit stand er einfach auf und ging zur Tür. Erst als er sie schon hinter sich zu zog, erwachte Chris mit einem Mal aus seiner Starre. Er sprang auf. "Dave! Nein!" Doch es war zu spät. Die Tür war zu und draußen bewegte sich der Schlüssel durch die Mechanismen, die verhinderten, dass man sie wieder öffnete. Chris warf sich dagegen, er drückte wie wild auf die Klinke, hämmerte wie von Sinnen gegen das Holz. "Lass mich sofort raus hier! Lass mich raus!" Draußen blieb es still. Die gesamte Panik bahnte sich in diesem Moment ihren Weg. Chris tobte noch minutenlang. Er riss Schubladen aus der Kommode, verteilte Kleidungsstücke und Pflegeutensilien dabei im ganzen Zimmer und warf mehrmals eine der Laden gegen das Fenster. Aber es war kein normales Glas, der Aufprall der Schublade verursachte nicht einmal einen kleinen Sprung. Über fünf Minuten trommelte er gegen die Tür, bis er weinend und zitternd, mit schmerzenden Händen, daran hinab sank. "Jason...", wiederholte er immer wieder. "Jason... bitte hol mich hier raus..." "Ich muss ihn finden!" Jason schlug mit der Hand auf Ashs gläsernen Couchtisch, die durchsichtige Platte klirrte bedrohlich. Nachdem sie das Department verlassen hatten, hatte Ash Jason in seine Wohnung gebracht und war dann selbst losgezogen, um Chris zu suchen. Erfolglos. Jasons Freund war wie vom Erdboden verschluckt. Inzwischen war Claire vorbei gekommen, die Agentin hatte sich tierisch über die Neuigkeiten aufgeregt. Auch sie hatte sich in ihrem Leihwagen auf die Suche nach Chris gemacht, ebenfalls ohne Ergebnis. Bei Marcus und Colin, die Batman mit zu sich genommen hatten, hatte er sich auch nicht gemeldet und Sly war nicht zu erreichen, sein Handy war aus. Mittlerweile dämmerte es draußen bereits, aber immer noch fehlte von Chris jede Spur. "Im Moment musst du dich erst einmal bedeckt halten!" hielt Ash dagegen. "Du hast leicht reden! Dein Freund ist nicht verschwunden!" "Kunststück, ich habe keinen." "Nicht witzig, Ash, nicht witzig." Jason stand auf und tigerte unruhig durch das Wohnzimmer seines Partners. "Jason, es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass ihm etwas passiert ist! Und auch nicht, dass dieser Dave Jerrod etwas damit zu tun hat." "Er hat mich nicht verlassen!" Jason verlor die Kontrolle über sich, er brüllte Ash an. Doch dieser ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er wusste, was Jason da durchmachte. Sorge um den Freund kannte er nur zu gut. "Du musst die Ruhe bewahren, Jason. Glaubst du wirklich, dass du Chris etwas nützt, wenn du dich hier wie ein Berserker aufführst oder Rodriguez in die Umlaufbahn prügelst?" "Hör mir auf mit dieser Ratte! Der wird keinen Handschlag tun, um Chris zu finden, das garantiere ich dir! Dem ist es doch scheißegal, was mit einer Schwuchtel passiert!" "Ich weiß selbst, was er für ein Idiot ist. Aber wir sind schließlich nicht auf ihn angewiesen! Wenn Chris vierundzwanzig Stunden vermisst ist, gibst du erst einmal eine Vermisstenanzeige auf, dann muss nach ihm gesucht werden." "Das bringt mir viel!" schnappte Jason. "Das übernehmen dann Kollegen von der Abteilung für Vermisste und nicht ich!" "Aber dann geht es wenigstens voran. Und sollte sich der Verdacht verhärten, dass Chris etwas zugestoßen ist, dann hast du auch gehört, dass Claire mit allen Mitteln helfen wird." "Ich hasse es... diese Ungewissheit und die Hilflosigkeit sind grauenvoll! Ich würde am liebsten direkt diesen Wichser Jerrod ausfindig machen und aus ihm heraus prügeln, wo sich Chris befindet!" "Glänzende Idee, besonders das mit dem Verprügeln. Im Gefängnis soll es um diese Jahreszeit sehr schön sein." "Behalt deinen dämlichen Sarkasmus für dich!" Ash stand auf und ging zu Jason hinüber. Er berührte seinen Partner sanft an der Schulter und zog ihn dann an sich. Jason ließ das widerstandslos mit sich geschehen, er fiel regelrecht in Ashtons Umarmung. "Es tut mir leid... ich habe nur so Angst um ihn..." Ash strich ihm beruhigend über den Rücken. "Wir finden Chris, das verspreche ich dir. Weißt du was? Du gehst jetzt ins Bad und stellst dich unter die Dusche, so lange du willst. Entspann dich mal." "Ich muss auch noch bei den McKays anrufen... Bescheid sagen, dass wir nicht kommen." "Aber erst danach. Ich versuche noch mal Sly zu erreichen, ob Chris bei ihm ist und du gehst jetzt duschen. Nimm dir einfach ein Handtuch aus dem Schrank." "Habe ich eine Wahl?" "Nein, denn sonst zerre ich dich persönlich da runter und das dürfte Chris nicht gefallen, wenn er wieder bei dir ist." "Überredet", lächelte Jason schwach. Er trottete in Richtung Badezimmer davon. Ash fuhr sich durch die Haare. Diese ganze Situation war einfach nur beschissen. Er wollte es Jason nicht spüren lassen, aber die Unauffindbarkeit von Chris beunruhigte ihn sehr. Er teilte zwar nicht Jasons vehementen Verdacht gegen Dave Jerrod, aber eigentlich hatte sein Partner ein gutes Gespür, was so etwas anging, sein hitziges Gemüt hin oder her. Chris war niemand, der Jason Hals über Kopf und dann auch noch ohne Angabe von Gründen verlassen würde, dessen war sich Ashton sicher. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht und allmählich beschlich ihn das Gefühl, dass sie in dieser Angelegenheit auf sich selbst gestellt waren. Es klingelte an der Tür. Der Blonde eilte hinüber und spähte durch den Spion. Sly. Schwungvoll riss Ash die Tür auf. "Da bist du ja! Endlich, ich versuche die ganze Zeit, dich zu erreichen!" Sein Freund trug ein perfekt geschnittenes Sakko in schwarz, mit einer passenden Hose und einem bordeauxroten Hemd. Er sah aus wie aus dem Ei gepellt, bis hin zu seiner Frisur. "Willst du heute noch weg?" fragte Ash verdutzt. "Nein. Ich laufe immer so rum! Blödmann, natürlich will ich heute noch weg! Ich war extra noch beim Friseur. Warum bist du nicht umgezogen? Die Party beginnt doch um halb acht." Endlich begriff Ash. Chris' Geburtstagfeier. Natürlich wusste Sly von nichts. Und hiermit erledigte sich auch der letzte mögliche Aufenthaltsort für Chris, der ihm einfiel. Sly drängte sich an seinem Freund vorbei in die Wohnung. "Zieh dich endlich um!" "Sly... ich..." Der Brünette lauschte. "Läuft da etwa die Dusche?! Hast du einen Kerl hier, von dem ich nichts weiß?" Die Antwort kam in diesem Moment von selbst. "Ash? Ich will nicht alle deine Schränke durchwühlen, wo genau sind die Handtücher?" "Oben links!" rief Ash zurück. Die Badezimmertür fiel wieder zu und das Geräusch der Dusche wurde wieder leiser. "Darf ich dich mal sprechen?" fragte Sly in einem sehr bedrohlichen Ton. "Ich stehe neben dir, also denke ich schon." "Was bildest du dir eigentlich ein?!" Sly ging hoch wie ein Vulkan, so heftig, dass Ash regelrecht zusammenzuckte. "Hältst mir Vorträge darüber, dass ich nicht mit Chris flirten soll und vögelst dann heimlich den Supercop?! Was für eine hinterhältige Schlange bist du denn?! Das ist ja wohl das Allerletzte!" "Sly!" "Und überhaupt! Jason, dieser scheinheilige Fatzke! Mich von Chris fernhalten wollen, aber selbst bumst er am Geburtstag seines Freundes einen Anderen! Dem werde ich was erzählen!" Er wollte ins Bad stürmen und Jason direkt unter der Dusche zur Rede stellen, doch Ash verhinderte das. Er überholte Sly und brachte ihn mit ausgestreckten Armen zum Stehen. "Sly, es ist nicht, wie du denkst!" "Was besseres fällt dir nicht ein?! Es ist nicht, wie du denkst, wir haben nur aus Versehen gebumst. Er ist auf mich drauf gefallen und wir hatten rein zufällig keine Hosen an, da ist es einfach passiert!" "Chris ist verschwunden." Für einen Augenblick wurde es still. "Was sagst du da...?" "Setzen wir uns, ich erkläre dir alles." Sly hatte keine Einwände. Marcus hockte neben Colins Bett auf dem Boden und hatte Batman auf dem Schoss. Der Welpe hatte sich langsam wieder beruhigt und schmiegte sich eng an den Jungen, während er sich den Bauch kraulen ließ. Colin kam ins Zimmer, er balancierte ein Tablett mit Tellern und Gläsern in der einen Hand und in der anderen einen Napf mit Hundefutter. Sie hatten auf dem Heimweg noch in einem Supermarkt gehalten und Futter für ein paar Tage besorgt, sicherheitshalber. Der Schwarzhaarige stieß die Tür mit dem Fuß zu und stellte dann zunächst das Tablett auf dem Bett und danach die Futterschüssel auf dem Boden ab. Batman sprang sofort von Marcus' Schoss und machte sich über sein Abendessen her. Colin hob das Tablett vom Bett herab und setzte sich im Schneidersitz neben Marcus. "Spaghetti Bolognese. Nicht ganz so gut wie ihre Nudeln mit Käsesauce, aber immerhin kann meine Mum das hier kochen, ohne Probleme mit der Seuchenschutzbehörde zu bekommen." "Sei nicht immer so gemein zu deiner Mutter!" grinste Marcus. "Sei froh, dass sie für dich kocht." "Ich bin gar kein übler Koch, ich habe sogar mal einen Kurs in der Abendschule über europäische Küche gemacht. Ich bin nur..." "Faul." "Das auch. Aber eigentlich wollte ich "Um dich besorgt" sagen und dich deswegen nicht allzu lange hier allein brüten lassen." "Du bist süß." "Faul und süß, ich bin eben ein Traumtyp." Marcus drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Danke." "Wofür? Das ich dir Mamas Essen hochbringe?" "Weil du für mich da bist, du Spinner!" "Ach so, deswegen", grinste Colin breit. Er langte nach der Fernbedienung auf dem Bett und schaltete den Flachbildschirm an der Wand ein, eine Anschaffung, die er mit Hilfe seines Gehalts und spendabler Verwandtschaft zur Weihnachtszeit hatte tätigen können. Der Fernseher war nicht unbedingt riesig, aber es reichte. Auf dem Bildschirm erschien ein flackerndes Kaminfeuer, eine spezielle DVD, die er dazu bekommen hatte. Aus den Boxen drangen die typischen Geräusche eines prasselnden Feuers. Zusätzlich drehte er das Licht runter und stand noch einmal auf, um ein paar Kerzen zu entzünden. Marcus war hin und weg. Es war eine wunderschöne, beruhigende Atmosphäre entstanden, die sogar von seinen Sorgen ablenken konnte. Colin ließ sich wieder neben ihm nieder und für eine Zeit lang aßen sie schweigend ihre Spaghetti. Die Bolognese war wirklich nicht umwerfend und die Nudeln waren so weich gekocht, dass man sie am Gaumen zerdrückten konnte, aber der Hunger trieb es rein. "Schade, dass heute soviel Chaos war..." "Warum?" Colin sah ihn von der Seite an. "Wenn das alles nicht wäre, wäre diese Stimmung perfekt für unser erstes Mal." Marcus verschluckte sich an dem Bissen, den er gerade im Mund gehabt hatte. Er musste heftig husten und hatte Mühe, nicht die zerkauten Nudeln auf den Teppich zu spucken. Eilig griff er zu seinem Colaglas und stürzte den Inhalt in einem Zug runter. "Was für eine romantische Reaktion!" lachte Colin. "Na ja, meine Aussage war ja auch nicht sonderlich romantisch!" "Entschuldige...", keuchte der Blonde. "Verzeihung... ich habe mich nur erschreckt..." "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich will dich nicht bedrängen. Klar, jeder ist aufgeregt vor seinem ersten Mal, das war ich damals auch. Wir warten einfach auf den richtigen Moment." Colin beugte sich rüber und küsste ihn auf die Stirn. "Und ich verspreche dir, ich werde ganz zärtlich sein." Marcus sah seinem Freund in die Augen. Er meinte es wirklich ernst. Colin schenkte ihm ein so herzerweichendes Lächeln, einen so liebevollen Blick, dass dem blonden Teenager ganz schwummerig wurde. Was sollte er jetzt sagen? Schließlich war er selbst schuld. Er hatte Colin doch gesagt, dass er noch nie eine Beziehung gehabt hatte. Und wer vermutete schon, dass der eigene Freund bereits mit mehr Kerlen geschlafen hatte, als man selbst... für Geld versteht sich. Mach dir keine Gedanken. Da waren schon so viele drin, einer mehr oder weniger macht da nichts aus. Natürlich... genau das sollte man sagen, wenn man seine Beziehung möglichst schnell über den Jordan schicken wollte. Oh Geliebter, bitte weine nicht, aber ich wurde bereits mehrfach geschändet, meine Jungfräulichkeit kann ich dir leider nicht vermachen. Ja genau... und dann als Krönung oben drauf noch gemeinsam in den Freitod gehen. Glänzende Idee. Schatz? Wärst du ganz arg böse, wenn du vielleicht doch nicht der Erste wärest? Die Letzten werden doch die Ersten sein, heißt es schon in der Bibel. Amen. Nein, das war alles Quatsch. Marcus griff zu der einzig richtigen Reaktion. Ablenken und so tun, als sei nichts gewesen. Nicht ganz ehrlich, aber effektiv. "Entschuldige, ich bin nicht ganz bei der Sache. Chris und Jason... das nimmt mich sehr mit." "Natürlich, kein Problem", stimmte Colin in einem derart verständnisvollen Ton zu, dass es Marcus fast das Herz zerriss. Dieser Junge war zu gut um wahr zu sein. "Sie bedeuten dir viel, oder?" Der blonde Junge nickte. "Sie bedeuten mir wahnsinnig viel. Sie waren meine einzigen Freunde, bevor ich dich kennen gelernt habe. Auf meiner alten Schule war ich unten durch, nachdem ich geoutet wurde... Chris und Jason haben mich so akzeptiert, wie ich bin, und haben mir geholfen, mich vor meinen Eltern zu offenbaren. Wenn Chris etwas passiert... er ist doch mein großer Bruder... zumindest im Geiste." "Es wird alles gut." "Ach, lass doch diese Floskeln, Colin. Du kannst nicht sagen, ob alles wieder gut wird. Ob ihm nicht vielleicht etwas passiert ist... vielleicht ist er tot." Marcus schob den Teller von sich und hob Batman wieder auf seinen Arm. Colin stand auf und räumte das Geschirr aufs Tablett, um es außerhalb der Reichweite des Hundes auf die Kommode zu stellen, Batman hatte schon mehrfach versucht, sich vom Teller seinen Nachtisch zu beschaffen. "Das sind keine Floskeln. Es geht immer irgendwie weiter, mein Schatz." Marcus musste lächeln. Colin hatte ihn Schatz genannt, das gefiel ihm. "Warum stehst du so vehement für die Hoffnung ein?" "Weil ich selbst weiß, wie wichtig das ist." Er drehte sich um und lehnte sich an das Möbelstück. "Als ich dreizehn war, wurde ich beim Sport ohnmächtig. Ich hatte vorher schon öfter Atemnot gehabt. Die Ärzte fanden einen Schatten auf meiner Lunge." "Oh mein Gott..." "Kein Grund zur Panik. Es stellte sich schließlich als ein gutartiger Tumor heraus. Aber bis ich das wusste, musste ich mit der Vorstellung leben, vielleicht meinen vierzehnten Geburtstag nicht zu erleben. Lungenkrebs ist sehr gefährlich. Aber ich habe aus der Sache eines gelernt: Hoffnung gibt es immer und man darf nie aufgeben." Sein Freund konnte nichts erwidern, denn Colin hatte vollkommen Recht. "Aber ich komme trotzdem nicht gegen die Angst an." Colin kehrte zu ihm zurück und setzte sich neben ihn. Er legte den Arm um den Jüngeren. "Natürlich darfst du Angst haben. Deswegen bin ich so froh, dass du heute hier schläfst. Ich werde für dich da sein und dich die ganze Nacht festhalten, wenn es sein muss. Ich bin bei dir." Marcus kuschelte sich in Colins Arm, legte die Hand auf seine Brust und genoss für einen Augenblick den Duft seines Freundes. Die Umarmung schenkte ihm soviel Wärme und Geborgenheit. Und mit einem Mal wusste er, dass er in Colin jemanden gefunden hatte, bei dem er ganz er selbst sein konnte. Hier musste er keine Gefühle verstecken, keine Angst vor Ablehnung haben. Es war so ganz anders als mit Gary. Gary war so unnahbar gewesen, unerreichbar und dadurch so wahnsinnig reizvoll. Aber selbst nach ihrer Nacht hatte er sich nicht dazu durchringen können, sich Marcus weiter zu nähern als in sexueller Hinsicht. Bei Colin war das anders. Er war auf ihn zu gegangen, er hatte sich nicht um ihn bemühen müssen. Und ihre Bindung war nicht auf sexueller Basis entstanden, dafür hatte der Schwarzhaarige persönlich gesorgt. Aber statt ihn dadurch langweilig erscheinen zu lassen, machte ihn das im Gegenteil noch attraktiver. In diesen drei Wochen hatte er sich zu einem Felsen in der Brandung entwickelt. Zu seinem Jason, das wurde Marcus in diesem Moment klar. Und noch etwas. "Ich liebe dich." Colin schaute ihn überrascht an, doch der anfänglichen Überraschung folgte sogleich ein warmes Lächeln. "Ich dich auch." "Das hätte ich jetzt nicht erwartet." "Warum?" lächelte sein Freund. "Weil ich Angst hatte, du könntest vielleicht nicht bereit sein, so etwas zu sagen." "Wenn es nun einmal das ist, was ich fühle." Marcus lächelte nur, er fühlte sich unglaublich gut. Für ein paar Augenblicke verschwamm selbst die Realität, die Sorgen um Chris, die langen Stunden der Angst um David. Er war einfach nur glücklich. Alex öffnete die Tür zur Aussichtsplattform des Coit Towers. Der Turm hatte die Form der Spritze eines Feuerwehrschlauchs und war als Erinnerung an die alte Garde der hiesigen Feuerwehr errichtet worden. Gestiftet und benannt nach der reichen Lillie Coit, die selbst in der Freiwilligen Feuerwehr Dienst getan hatte, zählte der Turm zu den Wahrzeichen des alten San Francisco. Er befand sich am Ende der weltberühmten Lombard Street, oben auf dem Telegraph Hill. Coit Tower kam in zahllosen Filmen vor, die in der Küstenstadt spielten, unter anderem hatte Eddie Murphy hier in "Doktor Dolittle" den Selbstmord eines depressiven Tigers verhindert. Nachts erstrahlte das Gebäude im hellen Licht mehrerer Scheinwerfer, auch der Wandelgang auf der Spitze war beleuchtet. Jeremy stand an einem der bogenförmigen Öffnungen und schaute auf die Stadt hinaus. Von hier ging der Blick ungehindert bis zur Bucht. Die Golden Gate und Downtown San Francisco strahlten in Tausenden von Lichtern. Ein sanfter Wind wehte von der See her und bewegte die roten Haare des Tänzers. Alex stellte sich neben ihn und stützte sich ebenfalls mit den Händen auf das Geländer. "Der Ausblick ist jedes Mal aufs Neue atemberaubend." "Wie hast du mich gefunden?" fragte Jeremy, ohne den Blick von der Stadt zu wenden. "Das war nicht schwer. Abby hat mir widerwillig gesagt, dass du noch unterwegs bist. Du wollest etwas allein sein und nachdenken. Dafür kam nur ein Ort in Frage. Du warst auch früher oft hier." "Was genau an "allein sein" hast du nicht verstanden?" "Früher galt das nicht für mich." "Jetzt schon..." Alex seufzte. "Soll ich wieder gehen?" "Bleib meinetwegen." "Wirklich gut, dass immer noch der alte Joe hier Nachtwächter ist. Der hat uns damals schon immer hier rauf gelassen. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir hier oben waren. Aber ich weiß noch genau, was wir hier manchmal getan haben." "Alex...", stöhnte Jeremy genervt. "Ich bin nicht in der Stimmung, um mit dir in der Erinnerung daran zu schwelgen, dass wir hier oben gevögelt haben." "Entschuldige... wie geht es deinem Freund?" "David...", betonte der Tänzer. "...geht es schon besser. Ich war noch lange bei ihm, aber er wollte nicht, dass ich über Nacht bleibe... na ja, er ist ja auch kein kleines Kind mehr." "Also wird er wieder ganz gesund?" "Enttäuscht?" Jeremys Ton war ziemlich kalt. Alex drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben der Öffnung. Er verschränkte die Arme vor der Brust und winkelte ein Bein an, um den Fuß gegen die Mauer zu drücken. "Unsinn. Hör bitte damit auf." "Warum bist du nun hierher gekommen? Nach dem Gespräch im Krankenhaus hatte ich nicht erwartet, so schnell wieder etwas von dir zu hören." "Ich bin heim gefahren... aber ich konnte nicht abschalten... ich muss mit dir reden, mit dir etwas klären." "Schieß los...", forderte der Rothaarige mit mäßigem Interesse in der Stimme. "Also ich..." Alex sah zur Decke über ihnen. "Wegen damals... als ich versucht habe, mich umzubringen... ich... wie soll ich sagen..." Er holte tief Luft. "Ich habe die Tabletten erst geschluckt, nachdem ich sicher war, dass du kommst... ich wollte, dass du mich findest... und dass du dadurch wieder mehr Zeit mit mir verbringst." Jeremy drehte ihm den Kopf zu und sah ihn mit einem völlig ausdruckslosen Gesicht an. Dann stieß er sich vom Geländer ab, trat einen Schritt auf Alex zu, holte wortlos aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Der Schwarzhaarige hielt seine Wange. "Das habe ich wohl verdient", sagte er traurig. "Du hättest noch viel mehr verdient, du Blödmann! Weißt du, was du mir damals für einen Schreck eingejagt hast?! Wie viel Angst ich um dich hatte?! Stell dir vor, ich wäre im Stau stecken geblieben oder so. Du wärst verreckt!" "Dann hättest du einen Krankenwagen vom Auto aus gerufen." "Das tut doch jetzt gar nichts zur Sache!" motzte Jeremy. "Du bist doch wirklich total daneben, so ein Risiko einzugehen!" "Ich habe es für uns getan!" "Es gibt kein uns, Alexander! Versteh das endlich!" "Aber das ist nicht so leicht zu akzeptieren! Besonders nicht, nachdem du mir dann plötzlich wieder näher warst! Ich habe das zunächst nur für dich getan, aber nach und nach wurde mir klar, dass ich genau auf dem richtigen Weg war! Die Anonymen Alkoholiker, der Entzug, die Therapie, ich bin glücklicher als je zuvor. Ich habe sogar mit den Pornos aufgehört und jobbe jetzt als Verkäufer in einem Klamottenladen. Ich habe mein Leben endlich wieder im Griff... nur du... du fehlst mir." "Alex, glaubst du wirklich, dass Intrigen, Lügen und Spielchen der richtige Weg in mein Herz sind?" Jeremy lächelte schief. "Nein... vielleicht habe ich das gedacht... aber dein Herz ist mir eh verschlossen..." "Daran bist du selbst schuld." Alex schlug mit der Faust gegen die Wand. "Ich habe alles ruiniert..." "Na ja, nicht alles." Irgendwie tat sein Exfreund Jeremy leid, nicht zu vergessen, dass er auch Blut für David gespendet hatte. "Mein Angebot mit der Freundschaft steht weiterhin. Aber wenn ich dich noch einmal bei einer Lüge oder einem Spielchen erwische, dann war es das." "Dann gestehe ich lieber auch gleich, dass ich David gesagt habe, dass du Pornos gedreht hast...", flüsterte Alex mit gesenktem Blick. "Aber das weißt du ja sicher sowieso schon von ihm." "Nein, keineswegs. Er wollte mir nicht verraten, woher er es weiß, ich habe vermutet, dass ihm ein Film von mir in die Hand gefallen war." Alex blickte überrascht auf. Das hatte er nicht erwartet. "Kriege ich noch eine?" "Ohrfeige? Macht dich scharf, was? Vergiss es, diesmal nicht. Denn du hast schließlich dafür gesorgt, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen David und mir gibt und so unsere Beziehung erst ermöglicht." "Das nennt man wohl einen Schuss, der nach hinten losging." "Kann man so sagen", grinste Jeremy. "Hast du noch Lust auf einen Kaffee? Merkst du? Ich habe Kaffee gesagt, früher hätte es ,Hast du noch Lust auf einen Drink?' geheißen." "Brav gesagt. Aber leider nein. Ich bin müde. Ich fahre heim, damit ich morgen früh wieder ins Krankenhaus kann." "Grüß David von mir, ja?" "Mal sehen", lächelte der Rothaarige. "Soll ich dich heimfahren?" "Ich bin mit dem Fahrrad da, vielen Dank." Er klopfte Alex auf die Schulter. "Gute Nacht." Damit ging er, die Tür der Aussichtsplattform fiel hinter ihm zu. Der Schwarzhaarige blieb noch hier oben und beobachtete, wie Jeremy auf dem Vorplatz auf sein Rad stieg und in Richtung Lombard Street davon fuhr. Er lächelte auf eine undefinierbare Art, die aber deutlich etwas triumphierendes hatte. Jason saß allein in der Dunkelheit von Ashs Wohnzimmer. Das Bettzeug auf der Couch war zerwühlt von seinem unruhigen Dämmerzustand. Schlaf konnte man das beim besten Willen nicht nennen. Einmal wäre er sogar beinahe herunter gefallen. Er fand einfach keine Ruhe. Jetzt hockte er vorn über gebeugte auf der Couch und stützte das Gesicht in die Hände. Und hier in der Einsamkeit gestattete er sich sogar, seiner Schwäche freien Lauf zu lassen. Im Licht der Großstadt, das durch den nicht ganz geschlossenen Vorhang einfiel, funkelten Tränen. Die Angst um Chris wuchs von Minute zu Minute, die Gewissheit, dass seinem geliebten Engel etwas zugestoßen war, wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, größer. Er hatte alle Mühe gehabt, Chris' Mutter davon abzuhalten, die nächste Maschine nach San Francisco zu nehmen. Erst als er ihr versprochen hatte, sie stets auf dem Laufenden zu halten und Chris so schnell wie möglich zu finden, hatte sie ihren Plan fallen gelassen. Die arme Frau tat Jason unendlich leid. Eben erst ihren Sohn wieder gefunden und schon wurde er vermisst. Sly war total fix und fertig, als Jason ihn nach der Dusche bei Ash im Wohnzimmer angetroffen hatte, und mit einem Mal waren alle Differenzen zwischen den ungleichen Männern vergessen gewesen. Ash hatte schließlich nicht zulassen wollen, dass Sly, aufgelöst wie er war, noch nach Hause fuhr, deswegen schlief sein Exfreund jetzt bei ihm nebenan. Jason war das ganz Recht, er wäre sich etwas unwohl vorgekommen, mit Ash das Bett zu teilen und hatte auch nicht gewollt, dass dieser auf die nicht zum Schlafen gedachte Couch auswich. Eine Nacht Seite an Seite mit Sly zu verbringen, das war dann doch nicht so ganz seine Kragenweite, und wäre sicherlich auch irgendwie peinlich geworden. Deswegen hatten sie sich schließlich auf diese Lösung geeinigt. "Du solltest das nicht tun." Jason sah auf. Chris stand vor dem großen Fenster, im Gegenlicht des nächtlichen San Francisco. Er trug immer noch die lockere Jogginghose und den schlabberigen Pullover, die er bei Jasons Aufbruch am Vormittag anhatte, zusammen mit der Kette, seinem Geburtstagsgeschenk. "Was?" Chris lächelte, das konnte man sogar im Halbdunkel deutlich erkennen. "Ich kenne deinen Blick, Jason. Und ich weiß, was du tust." "Es ist dunkel. Du kannst gar nicht wissen, wie ich schaue." "Aber ich weiß trotzdem, was du tust", beharrte sein blonder Freund. Chris kam näher zu ihm und ging vor der Couch in die Hocke. Er strich mit dem Zeigerfinger eine Träne von Jasons Wange. "Tut mir leid...", sagte der Polizist leise. "Was tut dir leid?" "Dass ich weine... ich weiß, ich sollte stark sein... aber ich..." "Du musste nichts weiter sagen. Ich verstehe dich." Chris Hand fuhr sanft über seine Wange und wuschelte dann liebevoll am Hinterkopf durch Jasons Haar. "Du fehlst mir..." "Und deswegen möchtest du wieder alle Probleme der Welt auf deine Schultern laden?" Chris klang ein wenig amüsiert. "Das tu ich überhaupt nicht." "Mach mir nichts vor, das schaffst du nicht." "Na ja, und wenn schon...", gab Jason klein bei. "Es ist doch auch alles meine Schuld... egal, was David sagt, ohne mich würde er nicht im Krankenhaus liegen... und ohne mich wärst du nicht entführt worden..." "Ohne dich, wäre ich heute vielleicht tot." Jason sah seinem Freund überrascht in die blauen Augen. In diese Augen, an denen er sich niemals satt sehen konnte. Unendlich tief, voller Wärme und so voller Liebe und Verständnis. Die Augen eines Engels. Er konnte nicht anders, als zu nicken. "Erinnerst du dich noch, was ich dir mal erzählt habe? Wo ich gerne einmal küssen würde?" "Auf dem Eifelturm", lächelte Jason. "Und du hast mir versprochen, dass du mich eines Tages dort küssen wirst." "Ich weiß..." "Halte dein Versprechen, okay?" Chris beugte sich vor und seine Lippen berührten flüchtig die von Jason. Der Polizist wollte die Arme ausstrecken, seinen Freund an sich reißen und nie wieder, niemals wieder los lassen. "Jason?" Sein Kopf ruckte nach oben. Ash stand im Türrahmen zum kleinen Verbindungsflur, der zu den restlichen Räumen des Apartments führte, seine muskulöse Silhouette zeichnete sich scharf im Licht der Flurbeleuchtung ab. "Ist alles okay?" Jason blickte sich um. Er war allein. Kein Chris. Langsam, unendlich langsam, nickt er. "Ja... alles klar..." "Ich habe dich reden gehört, als ich zum Klo gegangen bin. Ich dachte, du würdest schlafen. Hast du Selbstgespräche geführt?" "Ja..." Jason verspürte keine Lust, seinem Partner zu erklären, was genau eben geschehen war. Das ging nur ihn etwas an. "Wirklich alles okay?" Ash legte den Kopf schräg, dabei fielen ihm Strähnen seines vom Schlaf zerzausten Haares in die Stirn. "Ja... eigentlich nein... gar nichts ist okay....", lächelte Jason. "Aber für heute Nacht schon..." "Soll ich noch etwas hier bleiben?" "Geh ruhig schlafen." "Wie du meinst." Ash gähnte. "Bis Morgen, Jason." Sein Partner wünschte ihm eine gute Nacht und nachdem Ashton das Licht gelöscht hatte, kroch auch Jason wieder auf die ungemütliche Couch und zog die Decke über sich. Und als er die Augen schloss, hatte er für einen kurzen Moment das Gefühl, dass sich Chris' Arme um ihn legten. Irgendwann schlief er endlich ein. Chris erwachte langsam aus einem unruhigen Schlaf. Um ihn herum herrschte das pure Chaos. Er hatte sich einfach in dem verwüsteten Zimmer auf dem Bett zusammengerollt und war dann wohl doch eingeschlafen. Sein Nacken und sein Rücken schmerzten von der verkrampften und ungewohnten Schlafposition. Das Geräusch des Schlüssels in der Tür hatte ihn geweckt und er setzte sich ruckartig auf. Sein blondes Haar fiel ihm ins Gesicht, zerzaust von der Nacht, auf dem Laken hatte sich ein kleiner Blutfleck ausgebreitet, bei seinem Tobsuchtsanfall hatte er sich an der Hand verletzt. Dave betrat das Zimmer, offensichtlich glänzender Laune und geschniegelt und gestriegelt wie immer. "Guten Morgen, mein Schatz." Er schaute sich um. "Oh, waren wir etwas wild letzte Nacht? Warum hast du mich nicht dazu gebeten? Ich hätte deine Ungezähmtheit schon kanalisieren können." Chris verkniff sich eine Antwort, in Erinnerung der Schläge und der brutalen Kopfnuss gegen den Schrank vom Vortag. "Ich habe dir die Morgenzeitung mitgebracht. Höchst interessant." Grinsend hielt er Chris ein Stück Papier entgegen. Dieser starrte ihn einfach nur trotzig an. "Nimm es!" donnerte Dave in wesentlich weniger freundlichem Ton, so dass Chris sich dann doch überreden ließ. "Was soll ich damit?" "Ließ es, mein Schatz", lächelte Dave. Chris faltete das Blatt auseinander und seine Augen huschten über die Zeilen. Mit einem Mal wich sämtliche Farbe aus seinem Gesicht. Seine Lippen bebten, als er die Worte vor sich sah und plötzlich entglitt der Zettel seinen zitternden Fingern. "Das ist nicht wahr!" presste er hervor. "Das ist nicht wahr!" Dave nahm seelenruhig den Zettel wieder an sich. "Aber natürlich ist das wahr. Das ist eine beglaubigte und echte staatliche Sterbeurkunde, mein Schatz. Datiert auf gestern, wie du siehst, unterschrieben vom leitenden Pathologen. Ich lese es dir noch einmal vor, wenn du magst: Jason Robert Cunningham. Geboren: 21. September 1974. Gestorben: 3. Februar 2005. Größe..." "Hör auf damit!" brüllte Chris. "Hör auf damit! Das ist nicht wahr!" Seine Stimme überschlug sich, so laut schrie er. "Das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge! Nein! Das ist nicht wahr!" Er sprang auf und stürzte sich auf Dave. Voller Wut schlug er mit den Fäusten auf die Brust des anderen Mannes ein, was sich dieser für ein paar Sekunden gefallen ließ. Dann packte er den Blonden an den Schultern und stieß ihn heftig von sich, so sehr, dass Chris ins Stolpern geriet und rückwärts hinfiel. Er landete in einem chaotischen Haufen Klamotten. Tränen liefen über sein Gesicht, seine Worten waren über die stoßweise gehende, hektische Atmung kaum noch zu verstehen. "Das wirst... wirst... du... bereuen! Ich... bringe... bringe dich um... du widerliches Monster!" Kaum hatte er das gesagt, war Dave auch schon in der Hocke vor ihm und hielt sein Gesicht mit beiden Händen fest. Chris Finger verkrampften sich um die Handgelenke seines Jugendfreundes, aber er hatte nicht die nötige Kraft, sich aus Daves Griff zu befreien. "So etwas möchte ich nicht noch einmal hören, okay, mein Liebling?" flüsterte Dave in gefährlich ruhigem Ton. "Ich bin nicht dein Liebling!" schluchzte Chris. "Du ekelhafter Mörder!" "Chris, sei vorsichtig! Überspanne nicht den Bogen." Er lächelte. "Weißt du eigentlich, wie leicht ein Genick bricht? Ich müsste jetzt nur deinen Kopf einmal ruckartig herumreißen, dann war es das für dich. Deine Wirbel würden der plötzlichen Überbelastung nicht stand halten, sich verdrehen und schließlich auseinander reißen. Dabei würde das Rückenmark durchtrennt und dein Kopf würde niedlich herunter hängen, so wie ein abgebrochener Ast, der nur noch mit einem kleinen Stück am Baum befestigt ist. Zwing mich nicht dazu, dir deinen niedlichen Hals umzudrehen!" "Tu es doch!" Chris war in diesem Moment alles egal. Er war mit den Nerven am Ende. Jason war tot. Sein Jason, sein geliebter Jason. Der Fels in der Brandung, der Mann, der immer für ihn da war, der ihn mehr als alles auf der Welt geliebt hatte und den er ebenfalls über alle Maßen liebte, lebte nicht mehr. Ausgelöscht von der Gier und Rachsucht dieses Monsters, das ihn im Augenblick mit dem Tode drohte. Seine Welt zerbrach in Tausend Stücke und zurück blieb nur die furchtbare Leere der Einsamkeit. Und gleichzeitig glomm die Angst vor Dave wie ein Buschfeuer in ihm auf und fraß sich durch seinen Körper. Wenn dieser Mistkerl ihn nun tötete, dann würde er nie seine gerechte Strafe bekommen. Und da war noch etwas. Tief aus den Schatten seiner Seele, sonst verborgen hinter all seiner Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, kroch etwas hervor. Ein finsteres Ungetüm, das seine Reißzähne fletschte und mit seinen Fängen Chris' ganzes Selbst einnahm. Es drängte sich sogar vor die panische Angst vor dem Psychopathen: Hass. Abgrundtiefer, alles verzehrender Hass. Diese Bestie hatte innerhalb eines Tages sein ganzes Leben ruiniert. Dafür sollte es zahlen! "Wirfst du dein Leben wirklich so einfach weg?" Chris erkannte sich selbst nicht wieder. Er hob den Blick und fixierte Dave plötzlich mit einer Kraft, die er sich selbst nie zugetraut hätte. "Nein", sagte er mit fester Stimme. "Oh, ein Sinneswandel, mein Schatz? Etwas zu plötzlich für meinen Geschmack." "Selbsterhaltungstrieb." "Wie kühl von dir. Stört es dich gar nicht, dass dein Hengst jetzt eine Kugel im Kopf hat, nur weil du dich lieber von ihm besteigen ließest und mich abgewiesen hast?" Chris' Herz durchfuhr ein schmerzhafter Stich, doch er schaffte es, nicht einmal mit der Wimper zu zucken. "Zumindest möchte ich ihm nicht folgen." Daves Blick war voller Skepsis. "Das klingt so gar nicht nach dir." Die Hände des blonden Mannes lösten sich von den Handgelenken seines Gegenüber und umfassten dessen Hinterkopf. Chris zog Dave an sich und gab ihm einen tiefen und leidenschaftlichen Kuss, obwohl er dabei einen Brechreiz unterdrücken musste. Ihre Zungen umspielten sich lang, viel zu lang für Chris, aber er wagte nicht, den Kuss zu beenden, bevor Dave es tat. Er war ein mieser Küsser, viel zu ungestüm und grob, keinerlei Verbesserung seit ihren Experimenten im Teenageralter. "Wow...", flüsterte Dave und ließ sogar seine Hände von Chris' Gesicht gleiten. "Du hast geschickte Lippen, noch viel geschickter als damals." Mit diesen Worten zog er seinen Reißverschluss auf und ohne Chris überhaupt zu fragen, drückte er den Kopf des blonden Mannes in seinen Schritt. Chris hockte am Boden und wischte sich mit dem Handrücken den klebrigen Tropfen weißer Flüssigkeit aus dem Mundwinkel, nur mühsam verbarg er dabei seine Abscheu. Übelkeit wallte in ihm auf. Dave stand vor ihm und schloss soeben seinen Reißverschluss. Schweißperlen glitzerten auf seinem erröteten Gesicht. "Wie in alten Zeiten, mein Schatz." Chris antwortete nicht. "Ich muss leider noch einmal weg, aber heute Abend haben wir ganz für uns allein. Und dann werden wir das hier etwas vertiefen." Er ging zur Tür. "Egal wie gut du küsst oder bläst, du verstehst sicher, dass ich dich noch hier einsperren muss, bis ich sicher sein kann, dass du keinen Unsinn machst. Im Schrank ist etwas zu trinken und auch was zum Essen, aber das hast du bei deiner kleinen Umräumaktion ja sicher schon bemerkt. Ein richtiges Abendessen gibt es dann leider erst, wenn ich zurück komme. Ich bin heute Abend wieder da." Bevor er die Tür hinter sich zu zog, lächelte er Chris noch einmal an. "Und räum ein bisschen auf und mach dich frisch. Ich will nicht, dass du vielleicht noch nach diesem Affen riechst, wenn wir uns heute Abend lieben. Einen schönen Tag, mein Schatz." Die Tür fiel zu und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Chris war wieder allein. Und noch bevor die Schritte auf dem Flur vollkommen verklungen waren, sprang er auf die Füße, rannte in das angrenzende Badezimmer und konnte gerade noch die Brille der Toilette hochreißen, ehe er sich heftig erbrach. Sein Körper krampfte und zitterte, er würgte so lange, bis nichts mehr kam, und noch über diesen Moment hinaus. Dann sank er neben der Toilette zusammen und weinte fast eine halbe Stunde hemmungslos. Erst als er das Gefühl hatte, dass in ihm gar keine Tränen mehr sein konnten, beruhigte er sich langsam. Die Nachricht von Jasons Tod hatte seine Welt bis in die Grundfesten erschüttert, aber noch sicherer war, dass er hier raus musste. Dave Jerrod musste für seinen Taten büssen, unter allen Umständen. Wenn er fliehen konnte, würde er seine Strafe bekommen und wenn er persönlich dafür sorgen musste, dass dieser Bastard in seinen Heimatstaat überstellt und dort auf dem elektrischen Stuhl gebraten wurde. Liebend gern würde er selbst den Strom anschalten. Der Hass und die Wut verzerrten den Blonden von innen heraus und ließen nichts übrig, als eine kühl agierende Hülle. Die Emotionen, die Trauer über Jason, traten in den Hintergrund, bis ihre Zeit gekommen war. Er rappelte sich auf und machte sich auf die Suche nach etwas, dass er benutzen konnte, um dieser Ratte zu entkommen. In wilder Eile riss er sämtliche Schränke des Badezimmers auf und durchwühlte sie. Tonnen von Badeölen, Duschgels und ähnlichem Zeug, alles in Plastikflaschen, keine Chance, die als Waffe zu gebrauchen. Auch eine Packung Massageöl fiel ihm in die Hand. "Ekelhafter Widerling, das hättest du gern...", zischte Chris. Und endlich fand er, was er gesucht hatte. Ganz hinten, in der Ecke des Schränkchen unter dem Waschbecken, stand etwas, das er gebrauchen konnte. Als Colin und Marcus sich an diesem Morgen dem Krankenzimmer von David näherten, wurde just in diesem Moment die Tür des selbigen geöffnet. Jeremy trat heraus, überrascht schaute er zunächst den blonden Jungen, dann dessen Begleiter an, der Blick auf Colin war jedoch eher von Schrecken geprägt. "Morgen, Jeremy", lächelte Marcus. "Wir wollten David besuchen." "Oh... ähm... da wird er sich sicher freuen." Jeremy rieb sich über den Ausschnitt seines Shirts. "Hört zu... ich wollte gerade Kaffee holen... wie wäre es, wenn du schon mal rein gehst, Marcus, und... äh, Colin hilft mir." Der Schwarzhaarige legte den Kopf schräg, nickte dann aber trotz des verdutzten Gesichtes seines Freundes. "Klar, gerne." "Kennt ihr euch eigentlich?" fragte Marcus etwas misstrauisch. "Nein, bisher nicht wirklich, obwohl ich das Gefühl habe, Jeremy schon sehr genau zu kennen." Colin grinste. "Wollt ihr mich verarschen?" "Nein, natürlich nicht. Geh ruhig schon rein, David wird sich freuen." Marcus schenkte seinem Freund und dem rothaarigen Tänzer einen weiteren mehr als misstrauischen Blick, zuckte dann aber mit den Schultern und betrat nach einem Klopfen Davids Zimmer. "Wir müssen reden!" begann Jeremy ohne Umschweife, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war. "Wenn du möchtest." Die Beiden schlenderten den Gang hinab in Richtung des Kaffeeautomaten. Durch die Fenster fiel die Vormittagssonne ein, Ärzte und Schwestern eilten hin und her, ein paar Patienten gingen allein oder mit ihren Familienangehörigen auf den Gängen spazieren. "Wie geht es David?" "Schon viel besser als gestern", griff der Rothaarige dankbar den hingeworfenen Gesprächsansatz auf. "Er scheint sich sehr schnell zu erholen, ich bin wirklich froh darüber." "Das freut mich ehrlich, auch wenn ich David noch nicht gut kenne." "Wenn du vorhast, weiter mit Marcus zusammen zu sein, wirst du ihn sicher besser kennen lernen", lächelte Jeremy. "Worüber genau wolltest du mit mir reden, nur damit wir zum Punkt kommen, bevor wir den Automaten erreichen." "Ich glaube, das weißt du genau." "Über Ricky Blue?" riet Colin ohne großes Risiko, daneben zu liegen. "Du hast das damals im Club schon gewusst, oder?" Jeremy schaute den größeren Jungen nicht an, er blickte stur gerade aus. "Nein, nicht sofort... ich wusste, ich kenne dich, aber mir wurde das später erst bewusst. Schon komisch, eine seiner Wichsvorlagen persönlich kennen zu lernen." Der Tänzer blieb abrupt stehen und starrte Colin an, dieser erwiderte den Blick für ein paar Sekunden. Plötzlich begannen Jeremys Mundwinkel zu zucken und auch die von Colin gerieten in Bewegung. Augenblicke später brachen Beide in schallendes Gelächter aus. Viele Köpfe drehten sich verwundert in ihre Richtung, niemand konnte nachvollziehen, was dermaßen komisch sein konnte. "Du Blödmann!" kicherte der Rothaarige. "Das hier sollte ein ernsthaftes Gespräch werden!" Er schnappte nach Luft. "Ich weiß!" Colin hielt sich den Bauch, er war knallrot im Gesicht vor lachen. "Aber ich hatte das Gefühl, es sei dir peinlich. Deswegen wollte ich etwas auflockern." "Ach, und du meinst, die Vorstellung, dass du dir bei meinem Anblick einen runter geholt hast, ist weniger beschämend?" "Hey, du hast mir durch einige sehr einsame Stunden hindurch geholfen. Was meinst du, wie ich dich beneidet habe?" grinste der Schwarzhaarige. Seine Augen wurden groß. "Moment mal! Ich war gestern zu aufgeregt, aber der freche Kerl mit den schwarzen Haaren im Warteraum, war das etwa?!" "Ja, das war er." "Hehe, ich fasse es nicht. Jessie und Ricky Blue auf einmal. Zusammen wart ihr unschlagbar." Jeremy wurde wieder ernst. "Mal ehrlich. Das liegt hinter mir. Und ich würde dich gern bitten, das möglichst für dich zu behalten... ich bin nicht unbedingt stolz darauf..." "Weiß dein Freund davon?" Auch Colin schaltete auf ernsthaft um. Er spürte, dass Jeremy das Thema lange nicht so locker nahm, wie er tat. "Ja. Aber ich möchte das möglichst nicht so häufig auf den Tisch packen. Also erzähl nach Möglichkeit Marcus nichts davon. David hat mir gesagt, dass Chris und Jason davon wissen, nachdem ich nun weiß, dass ihr euch aus der Videothek kennt, denke ich mal, von dir." "Schuldig im Sinne der Anklage... tut mir leid." gab Colin zu. "Schwamm drüber, die Beiden haben mich nie darauf angesprochen. Aber wie gesagt, Ricky Blue ist Vergangenheit. Ich drehe keine Filme mehr und Alex, also Jessie, tut das auch nicht mehr." "Kein Wort werde ich mehr darüber verlieren, versprochen", lächelte Colin. "Danke." Der Schwarzhaarige nickte nur. "Sag mal, hast du vielleicht Lust, heute Abend etwas mit Marcus und mir zu unternehmen? Ich will ihn etwas von der Sorge um Chris ablenken und du könntest sicher auch etwas Abwechslung gebrauchen. Bring doch... wie heißt sie noch... Abby! Ja, genau, bring Abby mit. Wir können ins Kino gehen, oder so." Jeremy erwiderte sein Lächeln. "Wirklich?" "Wenn ich das sage, meine ich das auch so." "Na dann, gerne!" Colin freute sich über die Zusage. Etwas an dieser Begegnung sagte ihm, dass er gerade einen Freund gefunden hatte. Er mochte Jeremy auf Anhieb sehr gern, nicht die Fantasiegestalt Ricky Blue, sondern den jungen Mann, der hier vor ihm stand. Und Marcus konnte ihn auch gut leiden, dass wusste er. Was sprach also dagegen? Gemeinsam machten sie sich daran, endlich den "wohlschmeckenden" Automatenkaffee zu holen. Zur gleichen Zeit rückte sich Marcus einen Stuhl neben Davids Bett zurecht. Der Anwalt saß aufrecht, mit einem Kissen im Rücken, da, das typische Krankenhaushemdchen verdeckte dabei seinen bandagierten Oberkörper. Er war überrascht gewesen, allerdings nicht negativ, den Jungen zu sehen, war ihr Kontakt doch bisher nicht ganz so eng gewesen. "Geht es... dir schon etwas besser?" Marcus musste sich erst wieder ins Gedächtnis rufen, dass David ihm bereits erlaubte hatte, ihn zu duzen. "Danke, ja. Und bei so liebem Besuch, kann es einem ja nur gut gehen." David spürte genau, dass die Situation dem Teenager etwas unangenehm war. Er lächelte ihn an und Marcus wurde leicht rot. "Ich... äh. Gern geschehen." "Hör mal, Marcus, ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst. Sieh in mir nichts anderes als in Jason. Und Jasons Freunde sind auch meine Freunde." "Es ist mir ja eigentlich nicht unwohl oder so!" ereiferte sich Marcus. "Ich mag dich gern, aber wir haben uns lange nicht mehr gesehen und ich will nicht unverschämt wirken." David lachte leise. "Du bist süß, weißt du das?" "Findest du?" "Ja." Der ältere Blonde zwinkerte ihm zu. "Hast du deinen nicht minder süßen Freund nicht mitgebracht?" "Du kennst Colin?" Marcus blickte verblüfft auf. "Flüchtig, ich habe ihn mal in einem Club kennen gelernt und hab gedacht, er wollte Jeremy angraben. Aber da wart ihr noch nicht zusammen." David merkte, dass der Junge bei diesem Thema auftaute, deswegen verfolgte er es weiter. "Ich hoffe, mit ihm läuft es besser, als mit Jason zwei." "Mit Gary habe ich keinen Kontakt mehr", tat Marcus die Erwähnung von Jasons Bruder ab, "Aber mit Colin läuft es spitze..." Er schlug die Augen nieder. "Na ja... bis auf..." "Bis auf was?" "David, du liegst hier im Krankenhaus, nachdem dir eine Kugel rausoperiert wurde, hast du wirklich den Nerv, dich mit den Problemen eines Teenies zu befassen?" David zuckte fast unmerklich zusammen. Die Erinnerung an das, was mit ihm geschehen war, was noch mit ihm geschehen würde, brachte ihn beinahe aus der Fassung. Aber er schaffte es irgendwie, sich wieder in den Griff zu bekommen und die finsteren Gedanken in den Hintergrund zu drängen. "Marcus, ich bin seit gestern hier und mir fällt schon die Decke auf den Kopf. Lenk mich etwas ab." "Es ist aber nichts erfreuliches." "Komm schon, raus damit." "Colin will mit mir schlafen." Stille. David schaute ziemlich blöd aus der Wäsche. "Und?" fragte er schließlich. "Nichts und, das ist das Problem." "Wenn du nicht minderjährig wärst, würden mir jetzt eine ganze Menge Fragen einfallen, woran es liegen könnte, aber ich warte lieber auf das, was du dazu zu sagen hast." "Er denkt ich sei noch... ich sei noch Jungfrau." Marcus wurde schon wieder rot, aber er hatte mit einem Mal das Gefühl, dass er sich Jasons bestem Freund anvertrauen konnte. "Und du bist es nicht...?" David kratzte sich am Hinterkopf. "Oh... ich verstehe." "Du weißt es?" "Jason hat mir mal erzählt, wie Chris und du euch kennen gelernt habt. Keine Panik, das bleibt unter uns." "Aber dann weißt du, was mein Problem ist! Colin ist so ein lieber Kerl. Er hat mir gestern sogar gesagt, dass er mich liebt. Und er macht sich solche Hoffnungen, er plant ein total romantisches erstes Mal mit allem Drum und Dran. Und wie sagt man so einem wunderbaren Jungen, dass man selbst schon mit mehr Männern Sex hatte, als er vermutlich in seinem ganzen Leben haben wird?" "Das ist beschissen... aber die Wahrheit wäre keine Möglichkeit? Wenn er so ein toller Junge ist, wie du sagst, dann müsste er doch Verständnis haben, glaubst du nicht?" Marcus spielte etwas unsicher mit seinen Fingern. "Ich weiß nicht..." "Ich bin kein Beziehungsexperte, Marcus, ganz sicher nicht. Aber ich glaube nicht, dass eine Beziehung eine Zukunft hat, die auf einer Lüge aufbaut." "Das weiß ich auch... vor allem... selbst wenn... ich glaube nicht, dass ich ihm überzeugend vorspielen kann, dass es mein erstes Mal wäre... dazu bin ich mittlerweile zu..." Er suchte das richtige Wort. "...erfahren... denke ich." "Das klingt ganz schön abgebrüht, mein Schatz." Marcus stieg schon wieder das Blut in die Wange. Einmal wegen dem, was David gesagt hatte bzw. wie er eben rüber gekommen war, und andererseits, weil der selbst jetzt unbestritten umwerfend aussehende Mann ihn "Schatz" genannt hatte. "Na ja, ich meine, ach, er...Colin hatte schließlich auch schon einen Freund, es ist doch nicht so, dass er mit mir die Liebe entdecken müsste. Er weiß, wie es sich anfühlt, jemanden zu vögeln!" Er schlug erschrocken die Hand vor den Mund. David grinste nur. "Ich kann dir keinen allgemein gültigen Rat geben, denke ich. Die Wahrheit ist wahrscheinlich der beste Weg," Sagt ausgerechnet der Mann, der jetzt alle Menschen um sich herum belügt, fügte er in bitterem Ton im Kopf hinzu, "aber du solltest ihm keinen Holzhammer an den Kopf zimmern. Warte auf den richtigen Moment, vielleicht wenn sich die Wogen etwas geglättet haben, wegen der ganzen Scheiße, die hier abläuft. Wenn er dich wirklich liebt, dann wird er es verstehen." Marcus konnte nicht anders als dankbar zu lächeln. Im Reflex stand er auf, beugte sich vor und drückte David einen Kuss auf die Wange. Der ältere Mann nahm ihn in diesem Moment in den Arm. "Genieß dein Leben, Marcus, jede Sekunde davon", flüsterte er. Als sich der Teenager von ihm löste, schaute er ihn leicht verwundert an. Davids Worte hatten so komisch geklungen, mit einem verbitterten Unterton und so endgültig. Aber bevor Marcus ihn dazu befragen oder auch nur den Gedanken daran weiterverfolgen konnte, öffnete sich die Tür und sein Freund und Jeremy kamen bester Laune in den Raum. Vor den vergitterten Fenstern dämmerte es, als Chris endlich Schritte auf dem Flur hörte. Alles war vorbereitet. Mit geradezu eiskalter Ruhe hatte er das gesamte Zimmer wieder aufgeräumt, das Bad wieder in Ordnung gebracht und sich selbst gestylt. Er hatte seine Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden und ein paar Strähnen in die Stirn gezupft. Ein Hauch seines Lieblingsparfums, wusste der Teufel, woher Dave die Marke kannte, umspielte ihn. Dazu trug er einen schneeweißen Seidenbademantel, der an einen Kimono erinnerte, das gleiche Modell, mit dem er Jason vor Marcus' erstem Besuch becirct hatte. Die Erinnerung daran vergrub er aber mit aller Kraft in sich, solche Gedanken behinderten ihn jetzt nur. Für eine kurze Zeit kam wieder der Chris aus seiner Zeit in New York ans Tageslicht, der Straßenjunge, der sich jahrelang allein durchgeschlagen hatte, kühl und berechnend. Als er den Schlüssel im Schloss hörte, legte er sich aufs Bett, in dem vollen Bewusstsein, dass der Mantel bei seiner Position mehr zeigte denn verdeckte. Dave betrat den Raum und sofort wurde deutlich, dass ihm der Anblick mehr als gefiel. "Schatz, du siehst umwerfend aus." "Vielen Dank", hauchte Chris und setzte sich auf, wobei rein zufällig die Seide von seinem nackten Oberschenkel glitt und das ganze Bein entblößte. Dave kam ans Bett und reicht Chris eine mit einer großen Schleife verzierte Packung seiner Lieblingspralinen. "Oh, die liebe ich!" jubelte der blonde Mann, während er sich vorstellte, jede einzelne dieser Kalorienbomben langsam in Daves Hals zu schieben, bis er daran erstickte. Beinahe erschrak er vor sich selbst, über soviel Hass, aber sein Gewissen hatte in diesem Moment nichts zu melden. "Woher wusstest du das?" "Ganz ehrlich? Ich habe dich und deinen ehemaligen Freund überwachen lassen, seit ich zum ersten Mal bei dir war. In dem alten Haus gegenüber von eurem ist ein Detektiv stationiert gewesen. Ich habe Hunderte von Fotos von dir, auch welche davon, wie dieser Affe dir eine Packung davon schenkt. Und dein Lieblingsparfum, deine liebsten Kleidungsstücke und so weiter, kenne ich, weil ich ein paar Mal in eurem Haus war, als ihr nicht da wart." Chris lief es eiskalt den Rücken runter. Beinahe wäre ihm ein "Perverser Psychopath!" herausgerutscht, aber er riss sich zusammen. "Ich bin immer noch überrascht, dass du dich so plötzlich gedreht hast. Immerhin habe ich deinen ach so geliebten Jason ermorden lassen." Chris stand auf und schmiegte sich an Dave, seine Hand glitt am Bauch des Mannes hinab in dessen Schritt, wo er die Männlichkeit seines Jugendfreundes durch die Hose zu massieren begann. "Mag sein. Aber ich will ganz sicher nicht sterben. Ehrlich, Dave, ich habe keine Lust, den Rest meines Lebens in diesem Zimmer zu verbringen. Da will ich lieber ein Leben an deiner Seite führen, in dem Luxus, den du mir bieten kannst." Er sah Dave dabei in die Augen, die plötzlich zu strahlen begannen. "Siehst du?" lachte der Millionär übermütig. "Du brauchtest nur ein bisschen Überredung! Jason war ein Idiot, er hat den Tod verdient! Jetzt bist du frei und wir sind füreinander bestimmt! Das waren wir schon immer!" Chris wurde genau jetzt endgültig klar, dass Dave Jerrod krank war. Ein totales psychisches Wrack. Er hatte so normal gewirkt, aber wahrscheinlich hatte seine Ablehnung in Dallas ihn endgültig über die Grenze geschickt. Er war gefährlich, aber in seiner Fixierung auch unglaublich dumm. Jeder normale Mensch hätte in dieser Situation Lunte gerochen. Keiner, der einigermaßen bei Verstand war, konnte nach dem Mord an dem Menschen, den er liebte, so schnell umschwenken und den Mörder vergöttern, außer man war ein wirklich widerliches Miststück. Aber bei Dave reichten schon ein paar liebe Worte und ein angedeuteter Handjob, um ihn zu überzeugen. An das Ekel erregende Erlebnis vom Morgen wollte er lieber nicht denken. "Ja. Wir sind füreinander bestimmt, das erkenne ich jetzt auch." Trotz allem Widerstreben küsste er Dave erneut voller Leidenschaft. Dann nahm er ihn an der Hand und führte ihn in Richtung Badezimmer. "Wo gehst du mit mir hin?" Chris öffnete die Tür und betrat das Bad. Er ließ Daves Hand los und drehte sich kokett um. Dabei öffnete er den Gürtel seines Mantels und ließ ihn mit einer geschickten Bewegung von seinem Körper gleiten. "Ich will, dass du mich nimmst. Fick mich, Dave. Ich will, dass du es mir besorgst. Machst du das, mein Süßer?" Er fasste sich mit einer vulgären Bewegung in den Schritt. Das ließ sich Dave nicht zweimal sagen. Er packte Chris, hob ihn hoch und drückte ihn gegen das Waschbecken. Ihre Lippen trafen sich und schon wieder musste Chris einen ekelhaften Kuss über sich ergehen lassen. Daves Erregung drängte gegen sein Becken. Ihm wurde schon wieder übel, am liebsten hätte er sich direkt in den Mund des anderen Mannes übergeben. Endlich ließ Dave von ihm ab. Chris griff nach hinten. Mit einem Lächeln nahm er die Plastikflasche mit Massageöl in die Hand. "Damit dein großer Junge besser rutscht", grinste er. Vermutlich ist das Ding seit du sechzehn warst eh nicht mehr gewachsen, du Wichser!, beendete er den Satz in Gedanken. Dave leckte sich mit der Zunge über die Lippen und beugte sich etwas vor, um seinen Reißverschluss zu öffnen. Bevor er noch etwas daraus hervor holen konnte, intervenierte Chris. "Eines noch, Dave..." Der Mann hob den Kopf. "Hm?" Chris drückte die Ölflasche mit beiden Händen zusammen. Ein dicker Strahl einer zähen Flüssigkeit schoss hervor und klatschte Dave direkt in die Augen, noch bevor er sie schließen konnte. Der Entführer fiel mit einem Schrei auf die Knie und presste seine Hände auf die Augen. Der blonde Mann atmete schwer. Kaum das Dave die Finger kurz von seinem Gesicht nahm, hielt er noch einmal mit der Flasche drauf. Selbst als er seine Augen wieder bedeckte, spritzte er ihm die Flüssigkeit weiter ins Gesicht, bis die Flasche leer war. "Was hast du?" fragte er mit einer Stimme weit unter dem Gefrierpunkt. "Es gibt doch kaum etwas geileres, als eine Ladung Abflussreiniger in die Augen zu bekommen." Das war seine Entdeckung gewesen. Dumm wie er offenbar war, hatte Dave in einer Packung Abflussfrei in der hintersten Ecke des Schranks keine Bedrohung gesehen. Chris aber hatte den Inhalt des Massageöls im Ausguss verschwinden lassen und die Gott sei Dank undurchsichtige Flasche mit dem aggressiven Putzmittel gefüllt. Es war beinahe zu leicht gewesen. Dave schrie und zeterte, er benutzte Schimpfworte, die Chris kaum über die Lippen brachte und immer wieder drohte er ihm mit dem Tod. Der Blonde ignorierte ihn und wollte das Badezimmer verlassen, als Daves Hand vorschoss und seinen Knöchel packte. Obwohl er sicher nicht das Geringste sehen konnte, seine Augen waren rundherum feuerrot und er musste sie zukneifen, hielt er ihn bombenfest. "Lass mich los, du Dreckskerl!" "Niemals! Ich mache dich fertig, du mieses, verlogenes Stück Scheiße!" Chris trat ihm in den Schritt, er konnte die Stelle in Daves hockender Position mit dem freien Fuß mühelos erreichen. Der andere Mann heulte erneut auf und bevor er reagieren konnte, gab ihm Chris einen Stoß. Er verlor das Gleichgewicht, stürzte nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf an die Toilette. Dann war es still. Dave lag reglos am Boden, aber Chris wagte es nicht, zu kontrollieren, ob er tot war oder noch lebte. So schnell er konnte, fingerte er in den Taschen des Mannes nach dessen Schlüsselbund. Dave atmete flach, aber selbst wenn er jetzt sterben sollte, Chris war es egal. Er rannte ins Zimmer nebenan, fand am Bund den Schlüssel für die Badezimmertür und verriegelte sie. Dann zog er sich in Windeseile etwas an und verließ sein Gefängnis in Richtung Flur, natürlich nicht ohne auch die zweite Tür zu verschließen. Das restliche Haus entpuppte sich als ziemlich groß. Es war wohl eine Art nobles Landhaus. Holzvertäfelungen, eine Menge Zimmer. Von Chris' Gefängnis aus führte ein kurzer Gang auf eine Galerie des Hauptraumes, ein ausladendes Wohnzimmer komplett mit einem großen Kamin und Jagdtrophäen an den Wänden. Allerdings war das ganze Haus offenbar schon lange nicht mehr genutzt worden. Überall lagen dicke Schichten von Staub, in den Ecken waren ausufernde Spinnweben und alle Möbel waren mit weißen Laken abgedeckt. Chris eilte die Treppe von der Galerie in den Wohnraum hinab. Die einzigen nicht bedeckten Möbelstücke waren der große Esstisch in der Ecke des Raumes, von oben nicht zu sehen, da die Balustrade den Blick behinderte, und ein Stuhl. Auf dem Tisch verteilt lagen Unmengen von Blättern. Der Blonde näherte sich, damit er sie besser sehen konnte. Fotos. Unendlich viele Fotos. Jason und er, wie sie ins Auto stiegen, er beim Aufschließen der Haustür, während sein Freund hinter ihm Einkaufstüten balancierte, sowohl Jason als auch Chris beim Verlassen des Hauses mit Batman an der Leine, Fotos von Marcus, Colin, David und sogar dem Postboten. Und nicht nur der Eingangsbereich war ein Motiv. Chris stockte der Atem als er die mit einem offensichtlich sehr teuren Objektiv gestochen scharf geschossenen Fotos aus ihrem Schlafzimmer entdeckte. Er bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sie die ganze Zeit beobachtet und fotografiert worden waren, und noch mehr bei der Vorstellung, wie Dave sich diese Fotos betrachtete. Die Aufnahmen wären perfekter Stoff für ein Pornoheft gewesen, selbst beim Orgasmus waren sie abgelichtet worden. Außerdem gab es noch Dutzende andere Bilder. Chris beim Einkaufen, im IHoP, beim Bummeln und Kaffee trinken mit Sly, bei einem Ausflug mit Marcus, Jason und Colin in den Golden Gate Park, sogar von dem Gespräch mit Ash, dass er an dem Tag geführt hatte, an dem er seinen "kleinen Bruder" verkuppelt hatte. Es war alles da, quasi sein ganzes Leben seit Daves erstem Auftauchen in San Francisco. "Du perverser Mistkerl!" Seine Hände zitterten. Angewidert warf er die Fotos wieder auf den Tisch. Sein Blick fiel auf den Schürhaken am Kamin. Für einen Augenblick überlegte er sich, das metallene Werkzeug zu nehmen, wieder ins Badezimmer zurückzukehren und so lange auf Dave einzudreschen, bis man nicht mehr erkennen konnte, ob er Männlein oder Weiblein war. Aber er konnte es nicht. Außerdem wäre das sicher nicht als Notwehr durchgegangen und vielleicht noch wegen Selbstjustiz im Gefängnis zu landen, das war die Sache nicht wert. Neben den Papieren lag ein Handy. Chris Herz setzte für eine Sekunde aus. Seine Rettung. Er musste nur jemanden anrufen, dann könnte man das Gespräch zurückverfolgen und ihn finden. Er nahm das Telefon zur Hand und klappte es auf. Kein Empfang. Die Striche der Antennenanzeige waren auf null, nicht einmal das Betreiberlogo war zu sehen. "Verdammte Scheiße!" In diesem Moment wurde es im Obergeschoss laut. Jemand hämmerte gegen die Badezimmertür, das konnte man bis hier unten hören. Dave war wohl doch nicht schwer verletzt gewesen. Er war schon wieder wach. Panik erfasste den blonden Mann. Er griff sich das Handy, riss die Schlüssel wieder an sich und war mit wenigen Schritten bei der Haustür. Er taumelte ins Freie. Um ihn herum nichts als dichte Wälder. Eine schmale, unbefestigte Straße führte vom Haus in den Forst hinein, schnurgerade, wenn er dort entlang lief, würde Dave ihn sofort finden. Das Auto seines Peinigers stand vor der Jagdhütte, aber neben der Tatsache, dass er immer noch nicht fahren konnte, fand Chris keinen Autoschlüssel bei seiner Beute. Also tat er das einzig Mögliche: Er stopfte den Schlüsselbund und das Handy in seine Tasche und rannte ins Unterholz, weg von diesem Haus, weg von Dave, erst einmal nur hinein in das immer düsterer werdende Zwielicht des abendlichen Waldes. "Wollt ihr etwas trinken?" Marcus und Colin schüttelten den Kopf. Sie saßen Jason gegenüber im Wohnzimmer von Ash, welcher ihnen eben diese Frage gestellt hatte. Draußen wurde es schon dunkel, Chris war nun schon mehr als vierundzwanzig Stunden unauffindbar. "Und? Gibt es etwas Neues?" Jason nippte an seinem Drink, sein Partner hatte ihm einen doppelten Bourbon eingeschenkt, damit er seine Nerven etwas beruhigte. "Nein. Wir waren heute im Department und haben eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Und wisst ihr, was dieser Idiot gesagt hat?" Er wartete einen Moment, aber da es wohl niemand außer ihm wusste, von Ash mal abgesehen, fuhr er fort. "Haben Sie sich in letzter Zeit vielleicht häufiger mit ihrem Lebensgefährten gestritten? Gab es Anzeichen, dass er vielleicht anderweitige Kontakte pflegte?!" Er knallte sein Glas regelrecht auf den Tisch. "Hallo?! Ich hätte dem am liebsten eine rein gehauen! Würde ich eine Vermisstenanzeige aufgeben, wenn ich vermuten würde, dass Chris mich verlassen hat?! Aber Schwule sind ja dermaßen wechselhaft, heute bums ich den, morgen einen Anderen. Und wenn der besser ist, lasse ich meine ganze Habe bei meinem letzten Deckhengst und verschwinde auf Nimmerwiedersehen!" Der Polizist schnaubte verächtlich. "Das sind doch alles gottverdammte Idioten! Bescheuerte Spinner und Schwulenhasser!" "Jason, reg dich nicht wieder so auf." "Hör auf mit mir zu reden, als sei ich ein zurückgebliebener Geisteskranker, Ash!" fuhr Jason seinen Partner in einem dermaßen wütenden Ton an, dass sowohl Marcus als auch Colin zusammenzuckten. Er fixierte den blonden Mann kampfeslustig, der sich aber nicht aus der Ruhe bringen ließ. Schließlich sackten Jasons Schultern nach unten, er blickte zu Boden. "Entschuldigung... was müsst ihr von mir für einen Eindruck haben? Besonders du, Colin..." Marcus' schwarzhaariger Freund lächelte nur. "Du hast Angst um den Mann, den du liebst." Er nahm seinen Freund in den Arm. "Ich würde wahrscheinlich genauso sein, wenn Marcus verschwunden wäre." "Ist er nicht süß?" grinste dieser und drückte Colin einen Kuss auf die Wange. "Das rechtfertig trotzdem nicht, dass ich mich bei den Menschen, die mir helfen wollen, wie die Axt im Walde benehme. Tut mir leid, Ash." "Schon okay." Sein Partner machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich kenne dich mittlerweile gut genug, um mir so etwas nicht zu Herzen zu nehmen." "Lenkt mich ab!" forderte Jason mit einem Hilfe suchenden Blick in Richtung der Teenager. "Wie geht es David? Ihr wart doch bei ihm. Ich hoffe, er ist nicht sauer, weil ich ihn nicht besuchen kann." "Keine Spur, er klopft schon wieder lockere Sprüche!" grinste Marcus. "Tut er das?" Colin schaute ihn von der Seite an. "Ja...äh, du warst doch erst mit Jeremy draußen. Und später habt ihr ihn schließlich kaum zu Wort kommen lassen, du und Jem. Ihr habt gequatscht wie ein Wasserfall." "So, so", mischte sich Jason ein, "magst du Jeremy?" Colin nickte lächelnd. "Er ist cool. Ich habe ihn übrigens gefragt, ob er heute Abend mit uns was unternehmen will, so sind wir alle etwas abgelenkt." "Schön, dass du mir das auch mal sagst!" Marcus stemmte die Hände in die Hüften. "Hat er dich etwa angemacht? Ich werde ein Auge auf euch Beide haben!" Sein Lachen strafte seine Worte Lüge. "Aber keine Spur, du bist mein Ein und Alles, mein Schatz." Colin zog Marcus an der Nasenspitze zu sich und küsste ihn. "Waren wir in dem Alter auch so?" Ash beugte sich von hinten über die Couch und legte seine Hand kumpelhaft auf Jasons Schulter. Dieser lächelte, der Wortwechsel und die Neckerei zwischen Marcus und Colin hatten ihn tatsächlich einen Moment von der Wirklichkeit abgelenkt. "Ich war sicher nicht so. Ich war in dem Alter verklemmt und hatte Angst, dass jemand merkt, dass ich schwul bin." "Ich hatte eine Freundin", lachte Ash. "Sie war lesbisch und ich war schwul, das war die perfekte Kombination. Keiner von uns Beiden wurde belächelt, weil er solo war, und keiner von uns musste sich schämen, weil er kein Interesse am jeweils Anderen hatte." Alle Augen im Raum wandten sich ihm zu, besonders Jason schaute vollkommen perplex über seine Schulter. Ash streckte ihnen die Zunge raus. "Was gibt es da zu glotzen?" kicherte er. Mitten in diesen Moment der Entspannung klingelte Marcus Handy. Chris stürmte weiter in den immer finsterer werdenden Wald. Äste schlugen ihm ins Gesicht und die Büsche, durch die er brach, zerkratzten ihm die Arme. Aber er rannte einfach weiter, immer weiter. Seine Lungen brannten wie Feuer, die Seitenstiche waren kaum noch auszuhalten, aber trotzdem wagte er es nicht, anzuhalten. Das Gehölz um ihn herum war vollkommen unberührt und scheinbar verdammt groß. Es gab keine Wanderwege, Schilder oder Wegweiser, nur Bäume, Sträucher und jede Menge Stolperfallen in Form von Wurzeln. Es drang mittlerweile kaum noch Licht durch die Baumkronen, die den Himmel nahezu verdeckten. Die Nacht brach über den Wald herein. Plötzlich verfingen sich Chris' in einem tief hängenden Ast. Der schmerzhafte Zug zwang ihn, stehen zu bleiben. Mit verzerrtem knallroten Gesicht versuchte er, seinen verschwitzten blonden Schopf von dem aufdringlichen Auswuchs des Baumes zu befreien, dabei zerriss sein Haarband. Endlich kam er frei. Nach Luft ringend lehnte er sich an den Baum, der ihn zum Anhalten genötigt hatte. Er war vollkommen allein, kein Anzeichen für einen Verfolger, aber trotzdem traute er sich nicht, lange an diesem Ort zu verweilen. Mit immer noch zitternden Fingern suchte der Blonde in seiner Tasche nach dem Handy, um es zu öffnen. Das Licht des Displays war so hell, dass es ihn für einen Moment blendete, seinen Augen hatten sich zu sehr an die Finsternis des Waldes gewöhnt. Beinahe hätte Chris vor Freude aufgeschrieen. In der linken Ecke des Bildschirm war das schönste Geschenk, dass ihm die moderne Mobilfunkindustrie hatte machen können: Die Antennenanzeige hatte einen von fünf möglichen Balken! Ein Käuzchen begann durch den Wald zu rufen und läutete die Nacht ein. Aus Angst, entdeckt zu werden, lief Chris weiter, während er die erste Nummer wählte, die ihm außer Jasons in den Kopf kam. Marcus hielt sein klingelndes Handy in der Hand, die Titelmelodie der Teenie-Soap um Orange Countys Schickeria, O.C., California, erfüllte den Raum. "Unbekannter Teilnehmer, keine Nummer." "Nimm trotzdem ab.", riet Colin. Sein Freund drückte die Taste zur Annahme des Gesprächs und führte den Hörer an sein Ohr. "Hallo?" Seine Augen wurden riesengroß. "Oh mein Gott! Chris!" Jason setzte sich erschrocken auf. Am liebsten hätte Chris geweint, als er Marcus' Stimme hörte. Der erste vertraute, freundliche Klang seit fast zwei Tagen. Die Verbindung rauschte und war sehr schwach, aber er hatte Kontakt zur Außenwelt, er war gerettet! Seine Gedanken überschlugen sich, er wusste kaum, was er zuerst sagen sollte. "Marcus! Ich brauche Hilfe! Er ist hinter mir her, glaube ich!" Marcus zitterte am ganzen Körper. "Chris?! Verstehst du mich?! Die Verbindung ist so schlecht! Wo bist du?! Und wer ist hinter dir her?! Chris!" Jason sprang fast über den Couchtisch, als er dem Jungen das Handy geradezu brutal aus der Hand riss. Sein Glas wurde umgeworfen und verteilte seinen Inhalt auf der durchsichtigen Oberfläche und im Teppich. Irgendwo im Wald, in der näheren Umgebung, knackte etwas. Ein Ast zerbrach. Chris wirbelte herum. War da jemand? Er konnte niemanden erkennen. Panik erfasste ihn. Marcus schrie etwas gegen die Störgeräusche an, aber er konnte es kaum verstehen. Sollte er es wagen und in den Hörer brüllen? Was, wenn dieses Geräusch nun von Dave stammte. Wenn er sich verriet und dann seinen Kontakt zu Marcus mit dem Leben bezahlte? Hektisch trat er ein paar Schritte zurück, damit er in den großen Büschen verschwand, die sich hinter ihm aufbauten. Er drückte sich ins Unterholz und nahm all seinen Mut zusammen, um ins Handy zu rufen, als sein rechter Fuß plötzlich ins Leere trat. Er kippte nach hinten, verlor die Balance und stürzte mit einem erstickten Schrei auf den Lippen. Die Äste des Busches hatten nicht die Kraft, seinen Fall zu bremsen. Hinter dem Gebüsch befand sich ein steiler Abhang, verdeckt von der Dunkelheit und den Gewächsen. Chris überschlug sich und das Handy flog aus seiner Hand, Dreck, Blätter und kleine Äste knallten in sein Gesicht. Der Wald verwandelte sich in einen tosenden Wirbel aus Finsternis und Schmerz, bevor er endlich am Ende des Abhangs benommen liegen blieb. "Chris?! Schatz?! Sag etwas! Bitte! Los doch!" Jason brüllte wie ein Wilder in den Hörer von Marcus' Handy. "Sag etwas! Bitte!" Die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor, er hielt das Telefon so fest umklammerte, dass man befürchten musste, es würde jeden Moment zerbrechen. Alles blieb still, in der Leitung war nur noch ein statisches Rauschen zu hören. "Verflucht!" Der Polizist feuerte das Gerät auf die Couch. "Warum hast du Idiot mir das Handy nicht sofort gegeben?! Jetzt ist die Verbindung weg! Wie blöd bist du eigentlich?!" schrie er Marcus an, der sich ängstlich in die Kissen drückte, seine Lippen bebten und Tränen zeigten sich in seinen Augen. "Es reicht!" schritt Colin ein. "Hör auf, ihn so anzuschreien! Er kann doch nichts dafür!" "Colin hat Recht, Jason! Beruhige dich!" "Ich soll mich beruhigen?! Ich soll mich beruhigen?!" Jasons Zorn suchte sich ein neues Ziel, er ging auf Ash zu. "Das war mein Freund da am anderen Ende! Und wenn Marcus nicht unbedingt hätte den Helden spielen müssen, hätte ich vielleicht erfahren, was los ist! Also sag mir nicht, ich soll mich beruhigen! Ich..." Weiter kam er nicht, denn Ash verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. "Jetzt reiß dich mal zusammen! Deine irrationalen Wutanfälle nützen Chris einen Dreck! Marcus hat keinerlei Schuld daran, dass die Verbindung abgebrochen ist, er hat gerade mal einen Satz gesagt! Und er war ebenso überrascht wie wir, dass Chris am Telefon war! Also komm jetzt gefälligst runter!" Ashs Stimme duldete keinen Widerspruch. Jason schien in diesem Moment seine ganze Kraft zu verlassen. Langsam kehrte er zum Sofa zurück und ließ sich darauf fallen. Seine Wange färbte sich rot, man konnte deutlich Ashs Handabdruck erkennen. Marcus hatte die Tränen nicht mehr zurückhalten können, er lag weinend in Colins Armen, der schwarzhaarige Junge fixierte Chris' Freund mit unverhohlenem Zorn, während er mit der Hand über Marcus' blonde Haare streichelte. "Entschuldige, Marcus... es tut mir leid...", sagte Jason leise, seine Stimme zitterte dabei. "Ich bin das reinste Nervenbündel... verzeih mir..." "Schon okay...", schluchzte der Teenager, er schien mühsam zu versuchen, mit dem Weinen aufzuhören. Ash ließ sich neben dem Jungen nieder. "Marcus, was hat er gesagt?" Er löste sich von Colin und wischte sich mit der Hand über die Augen, bevor er die Nase hochzog. "Ich konnte ihn kaum verstehen." Seine Finger suchten die Hand seines Freundes und umschlossen sie. "Er hatte Angst. Und er sagte, jemand sei hinter ihm her. Er ist hinter mir her... war sein Wortlaut, glaube ich..." "Soviel zum Thema, dass dich dein Freund verlassen hat, Jason. Jetzt haben wir wenigstens den Beweis, dass etwas nicht stimmt, und gleichzeitig, dass er noch am Leben ist." "Aber wo ist er?" Jason vergrub sein Gesicht in den Händen. So nah dran und doch wieder gescheitert. "Wo bist du nur...", flüsterte er verzweifelt in seine Handflächen. Chris stemmte sich ein Stück vom Boden hoch und spuckte angewidert. In seinem Mund war ein Geschmack, als hätte er eine Handvoll Erde gekaut. Alles tat ihm weh. Mittlerweile war es so dunkel, dass er nicht einmal mehr den oberen Rand des Abhangs erkennen konnte, der für seinen Sturz verantwortlich war. Mühsam stand er auf. Zum Glück schien er sich nichts gebrochen, nicht einmal verstaucht oder gezerrt zu haben. Zwar hatte er im ganzen Körper Schmerzen, aber er konnte zumindest stehen und auch laufen, wie er mit ein paar vorsichtigen Schritten feststellt. Das Handy! Wo war es?! Auf allen Vieren kroch der blonde Mann über den Waldboden, fuhr mit den Fingern durch den Dreck und die Blätter, auf der Suche nach seiner einzigen Verbindung nach San Francisco. Irgendetwas krabbelte über seinen Arm, aber trotz seiner Abneigung vor Insekten und Spinnen wischte er das undefinierte Tier mit einer schnellen Bewegung weg. Endlich schlossen sich seine Finger um etwas aus Plastik, das eindeutig nicht zu den Früchten des Waldes gehörte: Die obere Seite des Handys. Es war wohl in der Mitte auseinander gebrochen, wahrscheinlich gegen einen Stein oder ähnliches geprallt. Der Bildschirm war gesplittert. Wieder traten Tränen in seine Augen. Mit einer wütenden Bewegung feuerte er die kläglichen Überreste des Mobiltelefons in die Dunkelheit. Für ein paar Sekunden hatte er gedacht, er sei gerettet. Jetzt konnte er nur auf Marcus hoffen, dass er Jason... Jason. Hier, in der Einsamkeit und unheimlichen Finsternis des Waldes, kehrte die Gewissheit mit einem Schlag zurück. Jason war tot. Sein Ein und Alles, der wichtigste Mann in seinem Leben, war gestorben. In der Überzeugung, Dave entkommen zu können, hatte er die Schmerzen über den Verlust verdrängt, aber jetzt brach alles über ihn herein. Weinend und schluchzend lief er langsam weiter in den Wald hinein, bis er ganz in der Nähe einen Überhang aus Felsen und Wurzeln entdeckte. Natürlich konnten dort Spinnen hausen, aber im Augenblick war ihm alles egal. Während weiter Tränen über seine Wangen rannen, drückte er sich unter den Überhang, damit er ihm zumindest ein wenig Schutz bot. Es war bitter kalt und rund herum erklangen die nächtlichen Geräusche des Waldes. Äste brachen, der Wind fegte durch die Baumkronen und ließ die Bäume rauschen. Irgendwo rief wieder das Käuzchen. Chris winkelte die Knie an und schlang die Arme um seine Beine, damit möglichst wenig von seiner Körperwärme abgegeben wurde. Trotzdem fror er erbärmlich. Beim Sturz hatte er sich seine Wange verletzt, brennender Schmerz zog sich über einen Streifen seines Gesichts, wohl weil Erde in die Wunde gekommen war. Mehr als einmal hatte er das Gefühl, in den Büschen um sich herum Augen funkeln zu sehen und er betete inständig dafür, dass es hier keine Bären oder gar Wölfe gab. Irgendwann forderte sein Körper den Tribut für die Anstrengungen der letzten Stunden und er glitt in einen unruhigen und angsterfüllten Schlaf. Die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens weckten den blonden Mann. Etwas kitzelte an seinem Bein. Er riss die Augen auf und entdeckte einen Waschbären, der interessiert an seinem Schuh nagte. Das kleine Tier blickte ihn erschrocken an und nahm die Beine in die Hand. Blitzschnell war es im Unterholz verschwunden. Unwillkürlich musste Chris lächeln, trotz der schrecklichen Situation. Er hatte die Nacht überlebt und das einzige Tier, dass ihm nahe gekommen war, war ein grauweiß gestreifter, niedlicher Nager gewesen. Er war vollkommen verspannt, sein Nacken krachte, als er sich aus seinem notdürftigen Versteck schob und streckte. Immer noch allein. Dave hatte ihn nicht gefunden, das war ein gutes Zeichen. Wenn er es schaffte, aus diesem Wald zu kommen und irgendeine Form von Zivilisation zu erreichen, war er gerettet. Und in Amerika sollte es doch möglich sein, eine Straße oder ein Telefon zu finden. An einem Baum in der Umgebung des Überhangs leerte er seine Blase und machte sich dann mit knurrendem Magen auf den Weg. Der Winter verließ die Natur allmählich, aber hier hatte er noch alles fest in der Hand. Zwar waren die Nadelbäume grün, aber im Tageslicht präsentierte sich das Unterholz in einem ganz anderen Bild. Es gab kaum Blätter an den Büschen und Sträuchern, geschweige denn Beeren, die Chris aber sowieso nicht gewagt hätte zu essen. Die vereinzelten Laubbäume des Mischwaldes waren weitestgehend kahl. Auch seine nächtliche Angst vor Bären erwies sich als übertrieben, sollte es hier welche geben, wurde Chris klar, hielten sie noch Winterschlaf. Was allerdings Wölfe anging... Er dachte lieber nicht weiter. Die Sonne kletterte immer höher und zeigte dem blonden Mann, in welcher Richtung er sich bewegte. Immer weiter nach Osten. Gut, dass sein Vater ihn als Kind zu den Pfadfindern geschleift hatte. Auch an dem Moosbewuchs an den Bäumen konnte er sich die Himmelsrichtungen erschließen. Seine Füße begannen bald zu schmerzen, ebenso wie sein vollkommen leerer Bauch. Aber Chris gab nicht auf. Er bahnte sich seinen Weg durchs Unterholz, kletterte über Steinbrüche und überquerte sogar einen klaren eiskalten Bach. Er hatte Durst, traute sich aber nicht, das schneidend kalte Wasser des Flüsschens zu trinken. Außerdem sollte man das in der heutigen Zeit nicht mehr tun, rief er sich ins Gedächtnis, egal wo man war. Und dann war es endlich soweit. Die Sonne hatte den Zenit schon lange überschritten, als der Wald plötzlich dünner wurde. Nach wenigen Schritten trat Chris aus dem schattigen Forst in das Licht des Tages hinaus. Das Himmelsgestirn brannte mit für diese Jahreszeit erstaunlicher Kraft auf die Straße hinab, an deren Rand der Blonde nun stand. Er konnte sich entscheiden, ihr nach Norden oder Süden zu folgen und entschloss sich spontan für Norden. Ein Hochgefühl erfasste ihn. Er hatte den Wald hinter sich gelassen, wenn er jetzt noch eine Notrufsäule finden konnte, war alles vorbei. Dann würde er nur noch am Waldrand ausharren müssen, bis die Rettung nahte. Und dann würde Dave Jerrod büßen. Er hörte das leise Geräusch eines Motors hinter sich und drehte sich im Gehen um. Ein Auto. Tatsächlich ein Auto. Noch besser als die Notrufsäule zu Fuß zu suchen. Vielleicht hatte der Besitzer ein Handy. Chris trat aus dem Waldrand hervor und stellte sich auf die Straße. Noch war der Wagen weiter entfernt, aber es konnte nichts schaden. Er winkte mit den Armen und rief "Hierher!" obwohl der Fahrer das sicher nicht hören konnte. Und tatsächlich wurde das Auto langsamer und kam schließlich circa zehn Meter von ihm entfernt zum Stehen. Die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe des schwarzen Geländewagens. Chris hätte vor Freude am liebsten laut gejubelt. Er machte einen Schritt auf das Auto zu und blieb im nächsten Moment abrupt stehen. Plötzlich war alles um ihn herum still, er hörte seinen eigenen Herzschlag, der sich immer weiter beschleunigte. Er kannte diesen Wagen. Und er wusste auch woher. Er hatte ihn vor der Jagdhütte gesehen! Wie zur Bestätigung öffnete sich die Fahrertür und Dave Jerrod stieg grinsend aus. Er hatte einen Verband um den Kopf und winkte Chris zu. "Nein!" Der blonde Mann warf sich auf dem Fuß herum und rannte los. Wie von Sinnen stürmte er in den Wald hinein. Er nahm Daves Schritte wahr, die sich ebenfalls beschleunigten. Das durfte nicht wahr sein, nicht jetzt! Ohne auf die Richtung zu achten, rannte Chris immer weiter. Hinter ihm brachen Äste und Sträucher, als sein Verfolger aufholte. Er war weniger erschöpft als sein Opfer, viel agiler und flinker. Schließlich kam es, wie es kommen musste. Chris' Fuß verfing sich an einem Stein und er schlug der Länge nach hin. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, war Dave bei ihm und packte ihn am Kragen. Chris riss die Hände vors Gesicht. "Dave! Bitte nicht!" Der andere Mann rang nach Atem. "Ich hätte dir das Paradies auf Erden bieten können, du undankbares Miststück. Aber damit ist Schluss! Willkommen in der Hölle, Christopher!" Mit diesen Worten holte er aus und schlug Chris so heftig mit der Faust ins Gesicht, dass der junge Mann das Bewusstsein verlor. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Zeugenschutzprogramm, Zeugenschutzprogramm *flöt* *namen änder* *umzieh* Uly I, vielleicht solltest du doch mit der Kettensäge zu meinem Schutz anrücken *gggg* Obwohl dir dieses Kapitel sicher sehr gut gefällt. *das mal annehm* Das Ganze hier hat sich etwas gezogen, auch weil meine Freundin krank ist und ich mich natürlich um sie kümmere. Ich bin meistens erst abends ein Stündchen oder so zum Schreiben gekommen und habe deswegen sogar meinen Laptop immer noch nicht zur Reparatur gebracht (weil die Tastatur am PC zu laut ist, um noch zu tippen, wenn meine Liebste schläft XD). Aber er ist noch recht brav und die Garantie gilt noch *g* Das Kapitel der Enttäuschungen *g* David lehnt die lebensrettende Operation ab und Chris' Flucht wird auf den letzten Metern vereitelt, aber das wäre doch auch zu schnell gegangen, oder? *grins* Jetzt legt Dave erst richtig los. *muahahahahaaaaaa* Als Gegenpol gibt es etwas Zucker bei Colin und Marcus, aber natürlich auch hier nicht ohne dunkle Wolken, ich kann es nicht lassen *g* Wenigstens stehen der Freundschaft von Colin und Jem keine Hindernisse im Wege, somit ergibt sich ein weiterer Partner mit dem der Neuzugang (platonisch!!!) näher interagieren kann ^^ Ich bin heute irgendwie etwas unkreativ, was das Nachwort angeht und meinen Rekord was Seitenzahlen angeht, habe ich leider auch nicht gebrochen, aber dieses Kapitel hat immerhin 28 Seiten reine Story ^^ Ich hoffe, ihr verzeiht mir die längere Wartezeit und alles Unbill, durch das ich meine Charas jage, und bleibt mir gewogen ^^ Bis zum nächsten Mal ^^ Euer Uly PS: Zumindest den Rekord an Wörtern habe ich im Vergleich zu "It's all about Chris" gebrochen *g* PPS: Der Titel ist eine Abwandlung des englischen Titels von "Lola rennt", im englischsprachigen Raum heißt der Film "Run, Lola, run!" 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