Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 34: Welcome back, Gary... just go away, ok? --------------------------------------------------- Marcus starrte den brünetten Jungen in der Tür einfach nur an. Es war tatsächlich Gary. Das gleiche freundliche Lächeln, die gleichen schönen Augen, die gleiche Stimme mit dem warmen tiefen Tonfall. Colin schaute seinen Freund von der Seite an, stupste ihn an den Arm. "Was ist denn los mit dir?" Marcus antwortete nicht. Sämtliche Worte blieben in seiner Kehle stecken. Nicht Gary! Nicht jetzt! Nicht hier! Am besten niemals! "Wie dem auch sei.", lächelte Jasons Bruder. "Ich bin Gary, der jüngere Bruder von Jason. Nett dich kennen zu lernen." "Colin.", nannte der Schwarzhaarige seinen Namen. "Ich bin Colin." "Kommt doch rein." "Was machst du hier?!" Der Ausbruch von Marcus kam total plötzlich, er blickte Gary nur voller Unglauben an. "Was willst du hier?!" Die Frage klang fast vorwurfsvoll. "Entschuldige mal." Gary stemmte die Hände in die Hüften. "Hier wohnt zufällig mein Bruder und ich studiere jetzt hier an der Uni. Bis ich meine Bude auf dem Campus beziehen kann, stelle ich mich bei ihm unter." "Du bleibst hier?! Nein!" "Marcus, was hast du denn? Warum bist du so unhöflich?" Colin schaute verwirrt hin und her. "Kommt ihr nun rein? Mir ist kalt." Gary trug nur ein enges schwarzes Shirt mit kurzen Ärmeln. Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging wieder ins Haus, ließ dabei die Tür offen. "Was hast du, der ist doch nett?" Colin betrat ebenfalls das Haus. Marcus blieb auf der Fußmatte stehen. Das durfte nicht war sein. Nicht jetzt! Nicht hier! Niemals! Nicht Gary! Warum konnte nicht einmal alles glatt laufen? Mit viel Überwindung folgte er endlich seinem Begleiter. Im Haus lief er beinahe Jason in die Arme. Er erschrak fast beim Anblick seines Freundes. Der ehemalige Polizist sah übernächtigt aus, eingefallen, mit dunklen Ringen unter den sonst so glänzenden Augen. Er hatte einen ungepflegten Dreitagebart und hielt ein Glas Orangensaft in der Hand.. "Oh, hallo, Marcus." "Morgen, Jason." Der Brünette war sogar noch in Shorts und Bademantel, er wirkte regelrecht verlottert. "Du hast also Gary schon begrüßt?" Marcus linste ins Wohnzimmer, wo sich doch tatsächlich sein Freund und sein ehemaliger Schwarm angeregt unterhielten. Sie schienen ihn vollkommen vergessen zu haben. Deswegen drängte er Jason in Richtung Küche. "Was tut er hier?" "Hat er dir das nicht gesagt?" Jason ging zur Anrichte und füllte noch etwas O-Saft in sein Glas. Und zu Marcus' Entsetzen schraubte er danach die Flasche mit Wodka auf, die daneben stand, und goss auch davon etwas hinein. "Doch, hat er, aber... was um alles in der Welt machst du da?" Der Brünette nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas. "Hm?" "Jason! Wodka?! Es ist noch nicht einmal Mittag!" "Ich glaube nicht, dass dich das was angeht.", entgegnete Jason kühl. "Außerdem ist das nur ein Glas und ich werde schon nicht betrunken. Ich muss ja heute nirgendwo hin." "Und das ist ein Grund zu saufen?" "Halt dich da raus, Marcus! Davon verstehst du nichts!" Seine Stimme war scharf geworden, duldete keinen Widerspruch. Marcus senkte den Blick. Jason tat ihm leid, aber was sollte er tun? "Gary hat dich etwas aus der Bahn geworfen, oder?", wechselte der Ältere abrupt und endgültig das Thema. "Ja... er... ist er wegen mir?" "Nein!", lachte Jason und trank seelenruhig noch einen Schluck von seinem Wodka-Orange. "Er will hier studieren. An dich hat er sicher nicht gedacht." "Danke schön." "So meinte ich das nicht!" Jason winkte ab. "Ich meine, dass er sicher keine Intentionen hat, sich wieder an dich ran zu machen. Und du hoffentlich auch nicht.", fügte er lauernd hinzu. "Nein!" Marcus hob abwehrend die Hände. "Nein! Auf keinen Fall!" "Dann ist ja gut. Er soll sich auf sein Studium konzentrieren. Der Unfall hat ihn schon zuviel gekostet." Jason merkte, wie sich Marcus' Augen verdüsterten. "Das war kein Vorwurf.", sagte er schnell. Marcus reagierte nicht. Er wusste selbst, dass es keiner gewesen war, aber die Erinnerung an Garys Unfall holte ihn ein. Und auch die an ihre gemeinsame Nacht. "Was wolltet ihr eigentlich hier?" Marcus schaute überrascht auf. Er war vollkommen in Gedanken gewesen. "Wir wollten dich abholen und etwas mit dir unternehmen." Jason schüttelte den Kopf. "Nein... lieb von euch, aber nein... ich glaube, ich lege mich noch etwas hin..." Er ging einfach aus der Küche, ohne auch noch auf eine Antwort zu warten, und ließ Marcus allein. Der blonde Junge war fassungslos. Das war doch nicht mehr der Jason, den er kannte. Er hätte niemals gedacht, dass diesen Mann etwas derart aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Aber die Sache mit Chris hatte ihm offenbar den Boden unter den Füßen weggezogen und Jason war es bisher nicht gelungen, wieder aufzustehen. "Du willst also dein Testament ändern?" David saß Steve Nichols gegenüber, einem befreundeten Anwalt. Sie kannten sich über die Kanzlei und obwohl Steve glücklich verheiratet war und zwei Kinder hatte, also eher nicht zum bevorzugten Freundeskreis von David gehörte, verstanden sie sich gut und sahen sich hier und dort mal. "Stimmt." "Und warum so plötzlich?" "Reicht es nicht, dass ich es will?", lächelte David. "Man wird ja noch fragen dürfen. Also, was ist die Änderung?" David lehnte sich zurück. "Dieses Jahr habe ich die letzte Rate für meine Wohnung bezahlt, sie gehört jetzt mir. Ich möchte, dass sie nicht wie im Testament vermerkt veräußert wird, sondern ich möchte Jeremy Sumner als Erben einsetzen." "Den Jungen, mit dem du ausgehst?" "Er ist dreiundzwanzig, Steve, also lange kein Junge mehr.", widersprach David, "Und wir gehen nicht mehr miteinander... aber ich will trotzdem, dass er die Wohnung kriegt." "Weiß er davon?" "Nein und er wird auch bis zur Testamentseröffnung nichts davon erfahren." Steve verschränkte die Arme vor der Brust. "Gibt es da etwas, wovon ich wissen müsste, David?" Der Blonde schüttelte den Kopf, nickte dann aber doch. "Ich will, dass du das Testament schnell änderst und ich verlasse mich auf deine Schweigepflicht." "Bist du krank?" Steve legte den Kugelschreiber weg und schaute den anderen Anwalt besorgt an. "Hat es was mit dem Schuss damals zu tun?" "Steve, ich betone noch einmal, als mein Anwalt hast du zu schweigen. Wenn du irgendjemandem etwas davon erzählst, zerre ich dich vor Gericht und mache dich fertig!" Er schaute auf den Tisch. "Entschuldige... meine Nerven sind im Moment etwas gespannt..." "David, was ist denn nur los?" Der Blonde sah auf. "Ich werde sterben, Steve. In ein paar Monaten." Der Anwalt starrte ihn entsetzt an. "Das ist..." Er suchte nach Worten. "Kann man da denn nichts tun?" "Nicht wirklich, außer ich habe Lust, den Rest meines Lebens vom Hals abwärts gelähmt zu sein." "Und du schleppst das Ganze mit dir allein rum? Niemand weiß davon?" "Nein, niemand,", bestätigte David, "und das bleibt auch so." "Du warst schon immer ein Spinner..." Steve schüttelte den Kopf. "Was soll ich denn tun?!", brach es aus dem blonden Mann heraus. "Soll ich allen die Ohren voll heulen?! Sollen sich alle wegen mir schlecht fühlen?! Mein bester Freund macht gerade die schwerste Zeit seines Lebens durch und Jeremy hat es nicht verdient, da mit hinein gezogen zu werden! Ich muss es für mich behalten! Ich muss einfach..." Er kämpfte gegen Tränen, hatte nicht geahnt, dass ihn der Gefühlsausbruch so mitreißen würde. "Entschuldige...", meinte er kühl. "Ist gut." Steve nickte, er spürte, dass David nicht mehr darüber reden wollte, fühlte direkt, wie der Mann eine Mauer um sich aufbaute. Da war nichts zu machen, das wusste er. "Und so kam ich nach San Francisco. Ich konnte ja nicht ahnen, dass hier gerade alles drunter und drüber geht." Gary hatte die Beine lässig übereinander geschlagen und erzählte Colin gerade seine Lebensgeschichte. Alles bis auf seinen Zusammenstoß mit dem Schwulenleben, den ließ er komischerweise aus. Oder glücklicherweise, wenn es um Marcus ging. Er saß wie auf glühenden Kohlen, nippte immer wieder an seinem Eistee ohne wirklich etwas zu trinken. Es war zum aus der Haut fahren. Da saßen sein Freund und sein ehemaliger Schwarm und freundeten sich offensichtlich an! Das war doch einfach nur grausam! Freunde und Schwärme sollten sich entweder Spinnefeind sein oder sich nicht kennen. Aber doch nicht so! "Und du wolltest wirklich Profibaseballer werden?" "Ja, aber dann kam etwas dazwischen, ich hatte einen Autounfall und dann war es Essig mit der Karriere... aber ich bin drüber weg. Ich will jetzt hier in San Francisco an der Uni Sportjournalismus studieren, so bin ich wenigstens ein bisschen mit dem Sport verbunden." "Das ist cool, ich studiere ab diesem Semester dort Medienwissenschaft, es kann sogar sein, dass sich bei unseren Fächern ein paar Kurse überschneiden." Marcus bekam eine Gänsehaut. "Cool!", lächelte Gary. "Dann kenne ich wenigstens jemanden und weiß, neben wen ich mich setzen kann." Die Gänsehaut wurde immer stärker. "Ja und wir können für einige Fächer vielleicht zusammen lernen, keiner meiner Freund geht auf die San Francisco Uni, ich kenne auch niemanden.", schlug Colin vor. Marcus hatte das Gefühl, dass seine Gänsehaut gerade Gänsehaut bekam. "Ist ja toll, dass ihr euch so klasse versteht!", zischte er. "Hast du was gesagt, Kätzchen?" Gary warf Marcus einen Blick zu und zog die Augenbraue hoch, ganz wie Jason es immer tat. "Kätzchen?" Colin lachte liebevoll. "Ja, Marcus ist mein Kätzchen." Konnte die Gänsehaut einer Gänsehaut auch Gänsehaut bekommen? Wie nannte man das dann? Marcus wünschte sich in diesem Moment ein Loch, in das er versinken konnte. "Jason hat nie erwähnt, dass du hier her kommen würdest. Warum eigentlich ausgerechnet San Francisco?", wechselte er das Thema und lächelte Gary süffisant an. "Na ja," Gary zuckte mit den Schulter, "in New York hat mich nichts mehr gehalten. Als ich aus dem Team ausscheiden musste, hat sich gezeigt, wie viele meiner "Freunde"," Er machte Anführungszeichen mit den Fingern, "echt waren und das waren leider nicht unbedingt viele. Die sind auch in alle Winde an Unis verstreut, also habe ich mir gedacht, dass ich hierher gehe. Meine Mum ist dann auch glücklich, weil Jason ein Auge auf mich haben kann." "Ist ja toll..." "Ja, nicht wahr?" Entweder hatte Gary die Ironie in Marcus' Worten nicht gehört oder er überging sie absichtlich. "Na ja, eine Zeit lang weiß er es schon, aber ich denke, die Sache mit Chris hat ihn ganz schön mitgenommen. Ich denke, es ist gut, dass ich hier bin, er macht mir Sorgen." "Er hat eben Wodka in seinen Orangensaft getan.", petzte Marcus, aber er meinte, dass Gary das wissen sollte. "Schon wieder...", seufzte Jasons Bruder. "Hat er gestern auch schon... er ist nie richtig betrunken, aber ich habe das Gefühl, er steigert das allmählich..." "Vielleicht sollten wir David davon erzählen." Colin schaute bei der Erwähnung des Namens überrascht zu seinem Freund hinüber. "Das habe ich ganz vergessen, ich wollte es dir noch erzählen! Jeremy hat mich gestern angerufen! David hat mit ihm Schluss gemacht! Einfach so! Zack und aus." "Was?!", war alles, was der blonde Junge hervorbrachte. "Ja, Jeremy war fix und fertig, David muss ihn wohl richtig beschimpft und quasi aus der Wohnung geworfen haben! Arschloch!" "Das klingt überhaupt nicht nach ihm...", murmelte Marcus mehr zu sich, als zu den Anderen. "Mann, ich hatte fast vergessen, wie viele Schwule es hier gibt!", lachte Gary. "Du bist also keiner von uns?" Die Frage kam von Colin, mit einem frechen Grinsen. "Nein! Ist er nicht!" Beide schauten zu Marcus herüber, der die Quelle dieses urplötzlichen Ausbruchs war, der Gary das Wort abgeschnitten hatte. Der Blonde lächelte verlegen. "Entschuldigung... ich wollte nicht vorgreifen." Garys Blick ruhte einen Moment länger auf Marcus, als es der von Colin tat. Und irgendetwas daran störte den Jüngsten der Runde. Es klingelte an Davids Wohnungstür. Bis der Anwalt jedoch öffnete, dauerte es ziemlich lang. Er trug nur einen Bademantel und Hausschuhe, seine Haare waren unfrisiert und auf seinen Wangen zeigten sich ein paar hellblonde Bartstoppeln. "Wer ist da?", fragte er noch durch die geschlossene Tür. "Abby!" David senkte die Lider und öffnete mit einem Stoßseufzer. "Du verdammtes Arschloch!" Er hatte Abby mittlerweile das ,Du' angeboten. Sie stürmte an ihm vorbei in die Wohnung wie eine Furie. "Du beschissenes, elendes, dreckiges, mieses, blödes Arschloch!", brüllte sie ihn mit den Händen in den Hüften an, bevor sie ausatmete. "So, jetzt geht es mir schon besser..." "Abby..." David hob die Hände. "Nein! Nichts da! Du hörst zu!" In ihren Augen lag ein Feuer, das David regelrecht Angst machte. Eine Horrorvision baute sich auf. Er sah es genau vor Augen. "Abby, bitte, hör mir zu." "Nein, David, jetzt ist genug!" Das zierliche Mädchen zog sein Maschinengewehr. "Abby! Nein!" "Ich hatte dir gesagt, dass ich dir in den Arsch trete, wenn du Jem weh tust." "Abby!" Rattatatatatatatatatatataa. Zwei Tage später würde man ihn finden. Weil er anfing zu stinken. David Vanderveer, mit fünfzig Kugeln durchsiebt, an der Wand zusammen gesunken. Mit einem Zettel auf der Brust, auf dem "Arschloch" stand. Der Blonde schüttelte den Kopf. Abby stand immer noch vor ihm, aber nicht mit ihrer automatischen Waffe, sondern nur mit einem stinksauren Gesichtsausdruck. "Wie konntest du ihm das antun?! Rede, bevor ich richtig sauer werde." "Du bist es noch nicht?" "Glaube mir! Du willst mich nicht wirklich sauer erleben!" "Abby..." David ging ins Wohnzimmer und setzte sich hin. "Bitte... ich kann das nicht brauchen." "Du... Du kannst das nicht brauchen?! Du verdammter Wichser! Glaubst du, Jeremy konnte das brauchen?! Glaubst du, er hat es gebraucht, dass du widerliches Drecksschwein auf seinen Gefühlen herum getrampelt bist?! Dass du ihn aus der Wohnung geworfen hast wie ein lästiges Insekt?! Du beschissenes Schwein! Du hast ihm sein Herz aus der Brust gerissen und bist darauf herum gesprungen! Wie kannst du dich eigentlich noch selbst im Spiegel ansehen? Wie kannst du das ohne zu kotzen?!" David starrte sie an. Sie hatte Recht. Natürlich hatte sie Recht. Und das hieß, dass es nur eine mögliche Art zu reagieren gab. Langsam stand er wieder auf. "Raus." Das war ganz ruhig gewesen. "Was?" David hob den Blick, in seinen Augen funkelte eisige Kälte. "Ich sagte: Raus! Und zwar sofort! Verschwinde, du Miststück!" Abby verlor den Faden. Sie schluckte. "Du... was?" "Ich will, dass du auf der Stelle meine Wohnung verlässt! Auf der Stelle!" "David..." "Raus hier! Raus!", brüllte er Anwalt plötzlich, so laut, dass Abby zusammen fuhr. "Raus! Wenn du deinen Arsch nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten aus dieser Wohnung schwingst, rufe ich den Sicherheitsdienst! Und glaube mir, die werden dich hier raus werfen! Egal, ob du ein Weib bist oder nicht! Hau ab und komm ja nicht wieder! Ich will weder dich, noch Jeremy je wieder sehen! Verschwindet aus meinem Leben und lasst mich endlich mit euren Kindereien zufrieden!" Stille senkte sich über den Raum. "David..." "Raus! Raus! Raus!" Abby schüttelte den Kopf. "Du bist so ein ekelhaftes Schwein. Ich fasse es nicht, dass wir uns so in dir täuschen konnten. Fahr doch zur Hölle." Sie wandte sich um und verließ die Wohnung, knallte die Tür hinter sich zu. David stand einfach nur da, atmete so schwer und heftig wie jemand, den man gerade zu Tode hetzte. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Herz raste. Quälend langsam ging er zu seiner Hausbar und schüttete sich einen Scotch ein. Scheiß auf die Tabletten und die Wechselwirkung. Er stürzte den Alkohol in einem Zug runter. Sein Rücken tat so weh. Mit bebender Hand stellte er das Glas wieder ab, schleppte sich zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen. Schlafen. Nur noch schlafen. Ihm kamen die Tränen, er ekelte sich vor sich selbst, aber schließlich hatte er keine andere Wahl. Mit diesem quälenden Gedanken schlief David irgendwann ein. "Warum hast du mir nie erzählt, dass Jason so einen netten Bruder hat?" Marcus ruhte mit seinem Kopf auf Colins Oberschenkel, der Schwarzhaarige kraulte ihm durchs Haar, während er diese Frage stellte. "Müssen wir jetzt über Gary reden?" Sie lagen in Colins Zimmer auf dem Bett, draußen war es schon dunkel. "Warum nicht? Magst du ihn nicht? Er ist doch echt cool." "Ja...", stöhnte Marcus. "Er ist cool, er sieht gut aus, er ist sportlich..." Er verdrehte die Augen. Keine Lügen, keine Halbwahrheiten mehr, das hatten sie sich schließlich versprochen. "Und ich war letztes Jahr bis über beide Ohren in ihn verliebt." Das Kraulen stoppte abrupt. "Verliebt?" "Ja...." Marcus setzte sich auf und schaute Colin in die Augen. "Wir waren ein paar Tage ständig zusammen, ich habe damals bei Jason gewohnt. Und wir haben miteinander rum gemacht. Er weiß, was ich früher getan habe und den Unfall hatte er wegen mir... Gott, ich rede wie ein Wasserfall, aber ich will nicht, dass wir wieder Geheimnisse haben." "Du hast mit ihm...?" "Nichts Tolles... ich meine, es war schon toll. Aber nur ein bisschen rumfummeln, ich hab ihm einen geblasen, ich meine... das ist doch auch egal. Aber da war nichts. Er weiß nicht einmal, was er will. Ich glaube eher, dass er hetero ist und ich der homosexuelle Ausrutscher war. Na ja, wir haben uns dann gestritten, er ist aus dem Haus und irgendwie vor einen Wagen... war verdammt hart damals." Während er sprach, gestikulierte er hilflos, mal wegwischende Gesten, mal etwas ratlose, als wolle er unter allen Umständen zeigen, dass das Ganze unwichtig war. Colin beugte sich vor und strich ihm über die Wange. "Dein Leben ist wirklich ein Chaos, weißt du das? Gut, dass du jetzt mich hast, ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert." Marcus berührte verblüfft die Hand auf seiner Wange. "Und das ist alles, was du dazu sagst? Kein Eifersuchtsanfall?" "Warum sollte ich?", lächelte Colin. "Wenn du sagst, dass da nichts ist, glaube ich dir das auch. Gary ist ein netter Kerl und scheinbar denkt er gar nicht mehr daran, dass ihr mal miteinander in der Kiste wart. Also warum ein Drama machen?" "Du bist wundervoll, weißt du das?" "Ja, ich weiß, das sagt man mir öfter!" "Blödmann!", lachte der Blonde und warf sich gegen seinen Freund, so dass sie beide umfielen. "Ich liebe dich!" "Ich dich auch!", kicherte Colin. "Und wenn Gary was dagegen hat, vermöbele ich ihn nach Strich und Faden, so einfach ist das... und bis dahin... hast du was dagegen, wenn wir uns mit ihm anfreunden?" Marcus strich mit dem Finger über Colins Brust, spielte durch das Shirt mit dessen Brustwarzen, so dass sie sich verhärteten. "Nein... merkwürdiges Gefühl... aber es ist schon okay. Und jetzt reden wir nicht mehr über Gary, sondern vielleicht lieber über... uns..." Er knabberte an Colins Ohr. "Gern... hast du ein bestimmtes Thema im Sinn?" Marcus' Hand wanderte zur Gürtelschnalle des Schwarzhaarigen. "Wie wäre es mit: Was trägst du heute für Unterwäsche?" Colin grinste nur. "Gutes Thema." Ein paar Tage später. "Jeremy!" Der Fotograf ächzte genervt. "Schätzchen. Wie soll ich so Fotos von dir schießen?! Du siehst aus, wie eine wandelnde Leiche! Alice! Alice! Wo steckt die wieder?! Mit so etwas kann ich nicht arbeiten! Alice!" Jeremy bekam davon überhaupt nichts mit. Er hockte auf dem Stuhl vor seinem Spiegel und starrte vor sich hin. Einfach nur auf die reflektierende Oberfläche in das Gesicht des Fremden, das er dort sah. Tiefe schwarze Augenringe, eben diese tief in ihren Höhlen, blutunterlaufen. Wann hatte er aufgehört zu weinen? Irgendwann war er scheinbar ausgetrocknet, es kamen keine Tränen mehr. Aber es tat so weh. In ihm war etwas gestorben. Sein Herz schlug eigentlich gar nicht mehr. "Jeremy...?" Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Alice beugte sich über ihn. "Süßer, was ist los? Ich verstehe, warum sich Antoine so aufregt, du siehst furchtbar aus." "Das ist mir egal..." "Jeremy. Dieses Shooting ist wichtig. Es geht um eine Menge Geld, Schatz." Der Rothaarige sah sie an und seine Augen wirkten leer, leblos. "Das ist mir egal... mir ist das egal, verstehst du... ich habe keine Lust." "Schatz, was ist denn?" "Ich habe keine Lust! Ich habe einfach keine Lust! Kapiert das doch endlich!" Er stand abrupt auf und warf dabei den Stuhl um. "Ich will heute einfach nicht!" Alice sah ihn mitleidig an. "Ist das dein letztes Wort?" "Bitte... sei mir nicht böse, Alice... sei mir nicht böse. Ich kann einfach nicht..." "Ist schon okay. Ich rufe Andy an, der springt sicher ein." "Danke..." Die junge Frau streichelte ihm über die Wange. "Lass dich von deinem gebrochenen Herzen aber nicht zu lange niederschmettern, du bist angesagt, setz das nicht aufs Spiel." "Ja..." Tonlos, fast gleichgültig. "Da wartet übrigens jemand auf dich." Jeremy schaute auf. David! David hatte es sich überlegt! Es war alles nur ein Fehler gewesen. Er liebte ihn immer noch. Er liebte ihn! Er war hier! Ohne ein weiteres Wort eilte er aus der Halle, in der das Shooting statt fand. Doch als er sah, wer auf ihn wartete, blieb er stehen und seine Schultern sanken herunter. "Ach du..." "Was für eine nette Begrüßung!", lachte Alex und strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Ich wollte mir dein Shooting ansehen." "Es fällt aus." "Was ist denn los mit dir? Du siehst so... verändert aus." Jeremy sagte einen Augenblick nichts. Alexander hatte ihn seit diesem Abend nach der Modenschau nicht mehr gesehen, er wusste nicht einmal, was vorgefallen war. Er fuhr sich durch die Haare. "Ich hasse es, wenn du Recht hast... ich hab das schon immer gehasst, weißt du das?" "Wovon sprichst du?" Alex verstand kein Wort. "Wegen David. Du hattest wegen David Recht... er ist... er hat... Er ist ein Arschloch. Er hat mich aus seiner Wohnung geworfen, aus seinem Leben! Völlig ohne Grund! Einfach so." "Oh nein... komm her..." Alex zog den Rothaarigen in seinen Arm. Er drückte Jeremy an sich, ganz fest, schaute im dabei über die Schulter. "Das tut mir so leid..." In seinen Augen glitzerte Hohn. "Danke...", flüsterte Jeremy und ließ sich regelrecht in die Umarmung fallen. "Bringst du mich bitte hier weg... irgendwo hin... ich muss einen klaren Kopf kriegen..." Alex nickte nur. Er setzte Jeremy in sein Auto und fuhr mit ihm aus der Stadt hinaus an die Küstenstraße, die sich Richtung Golden Gate Bridge und von dort aus in die Vororte der Stadt in Marin County schlängelte. Hier gab es mehrere Rastplätze, an denen man den Wagen parken und auf das Meer und die Bucht von San Francisco hinaus sehen konnte. Es war ein sonniger, wenn auch kühler Tag, der Wind fegte durch die langen offenen Haare von Alex, während er mit Jeremy an der Absperrung stand und aufs Wasser schaute. "Besser so?" Jeremy reckte die Nase in den Wind und hielt die Augen geschlossen. "Viel besser... ich hatte das Gefühl zu ersticken." "Ist das Modelbusiness doch nichts für dich?" "Doch, es macht Spaß, nur im Moment nicht... es wird mir einfach alles zuviel..." "Was ist denn geschehen?" Alex fragte das voller Mitgefühl, aber eigentlich ging es ihm darum, jedes noch so unschöne und brutale Detail zu erfahren, mit dem Jeremy von diesem blonden Sack das Herz gebrochen worden war. Gott, wie Jeremy das verdient hatte! Der Tänzer erzählte ihm alles, von vorne bis hinten und Alex hörte voller Interesse und geheucheltem Mitleid zu. Als Jeremy fertig war, weinte er schon wieder, so dass Alex ihn liebevoll in seine Arme schloss. "Ist ja gut, Baby, ist ja gut... er ist ein Wichser. Das hast du echt nicht verdient...", log er dem Rothaarigen ins Ohr. "Ich verstehe es einfach nicht... bin ich wirklich so nervig?" Du bist eine elende Heulsuse, hätte Alex ihm am liebsten gesagt, beließ es aber bei einem: "Natürlich nicht, du bist der wundervollste Mann, den ich kenne und er ist ein bescheuerter Idiot, wenn er das nicht erkennt." Jeremy lächelte ihn mit feuchten Augen dankbar an. "Das habe ich echt gebraucht..." "Ich bin immer für dich da, Baby..." "Ich weiß..." Jeremy wusste nicht, ob es sein gebrochenes Herz war, die Stimmung dieses schönen Ortes oder endlich wieder das Gefühl von Geborgenheit, aber er reckte den Kopf etwas, um Alex zu küssen. Doch dieser schob schnell die Hand dazwischen. "Nein.", lächelte er. "Das würdest du nur bereuen. Du bist verletzt und suchst nach Halt. Den gebe ich dir gern als dein Freund, aber nicht als dein Liebhaber. Und wenn du ehrlich zu dir bist, willst du das auch gar nicht." Das klang alles furchtbar klug, aber in Wirklichkeit hätte Alex nichts dagegen, wenn Jeremy sich von ihm aus Dankbarkeit vögeln lassen würde. Aber das durfte nicht sein. Es würde das sorgsam geschaffene Bild des treuen Freundes zerstören und er würde wieder am Anfang stehen. Und außerdem hatte er Angst, dass die Nähe zu Jeremy seinen Rachegelüsten schaden würde. "Na gut...", lächelte Jeremy und lehnte sich an ihn. "Dann halt mich einfach nur fest..." "Das werde ich... bei mir bist du sicher, Baby... vollkommen sicher..." Alex schloss ihn in die Arme und schaute Richtung San Francisco. Das war ja alles leichter, als er dachte. Am nächsten Tag klopfte es an der Tür des Hauses von Jason und Chris. "Ich gehe schon!", rief Jason durch den Flur, bekam aber keine Antwort von seinem blonden Mitbewohner, der sich irgendwo oben herum trieb. "Oh, Jeremy... was für eine Überraschung." Jason öffnete die Haustür ein wenig weiter. Der Rothaarige schaute ihn aber etwas entsetzt an, statt einzutreten. "Habe ich dich aus dem Bett geholt? Es ist vier Uhr, ich dachte..." "Nein, hast du nicht, warum?" Jason sah an sich herab. Boxershorts, oben ohne, Bademantel und dann noch unrasiert. Eilig schloss er zumindest den Bademantel. "Komm doch rein." Jeremy trat an ihm vorbei und ging dann einfach ins Wohnzimmer, Batman begrüßte ihn überschwänglich. "Ich habe lange nichts mehr von dir und David gehört. Nicht mehr seit diesem Abend." Er fuhr sich durch die unfrisierten Haare. "Aber ich verstehe das schon, ich bin im Moment sicher nicht die beste Gesellschaft." "Darum geht es gar nicht!", entgegnete Jeremy schnell. Er setzte sich auf die Couch. "Du hast also von David seitdem nichts mehr gehört?" "Nein, nichts. Aber um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht versucht ihn zu erreichen. Hier gab es... Klärungsbedarf, weißt du...?" Jeremy nickte nur, ging aber nicht darauf ein. "Ich bin hier, weil ich... ich muss mit dir über David reden." "Hat er wieder Mist gebaut? Jeremy, sei mir nicht böse, aber ich habe im Augenblick..." "Er hat Schluss gemacht.", fiel ihm der Tänzer ziemlich rüde ins Wort. Jason brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, was Jeremy ihm eben gesagt hatte. Trotzdem fragte er ziemlich dämlich: "Mit dir?" "Nein, mit dem Postboten!", ätzte der Jüngere. "Sorry... aber... warum um Himmels Willen?" "Frag mich was Leichteres! Er hat mich rausgeworfen, Jason! Ich glaube, wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich noch einen Tritt in den Arsch bekommen!" In Jeremy kochte Wut hoch, obwohl Jason die ja eigentlich nicht verdiente. "Er hat... ich weiß nichts davon." "Ja, das denke ich mir." Jeremy fing an, im Raum auf und ab zu gehen. "Ich habe das nicht verdient, verstehst du! Ich habe mir den Arsch für ihn aufgerissen, habe ihm mehrere heftige Fehltritte durchgehen lassen! Ich hab alles für ihn getan! Als wir hier auf dich gewartet haben, haben wir gekuschelt und ein paar Tage später, zack! Ende! Aus! Vorbei! Ohne einen Grund! Er will wieder Spaß! Und sein Leben nicht an ein Kind verschwenden!" Jason hörte dem Wutausbruch fassungslos zu. "Ich will ihn nicht bei dir schlecht machen, versteh mich nicht falsch!", fuhr Jeremy fort. "Aber ich musste herkommen... ich meine ich..." Er schien sich wieder zu fangen, aber man erkannte trotzdem Tränen in seinen Augen. "Ich muss endlich aufhören, wegen ihm zu weinen, verstehst du? Es ist genug... er hat mir ein Messer in die Brust gerammt und es genüsslich dreimal gedreht, aber ich hasse ihn noch nicht einmal..." "Jeremy..." "Jason, ich muss wirklich damit aufhören...", ignorierte der Tänzer den Ansatz des ehemaligen Polizisten. "Ich will nicht mehr an ihn denken, ich will ihn nicht mehr sehen, ich will nicht einmal mehr wissen, ob er tot ist oder lebt!" Der Brünette hörte ihm schweigend zu. "Deswegen..." Er schaute zu Jason, blickte ihm fest direkt ins Gesicht. "Es ist nichts gegen dich oder Chris und ich hasse es, das in dieser Situation tun zu müssen, aber... ich werde nicht mehr herkommen und ich bitte dich, mich auch in Ruhe zu lassen. Ruf mich nicht an, komm nicht vorbei... streicht mich aus eurem Leben, alle Beide... okay?" Stille senkte sich über den Raum. Jason war sprachlos. "Denkst du wirklich, dass das die richtige Lösung ist?", fragte er schließlich, als er seine Fassung wieder fand. "Ja!", kam es von Jeremy wie aus der Pistole geschossen, als habe er Angst, es selbst nicht zu glauben. "Das ist der richtige Weg! Hier könnte ich jederzeit David treffen und wenn ich mit euch befreundet bleibe, werde ich immer an diesen Dreckskerl erinnert werden. Ich muss einen Schlussstrich ziehen!" "Aber ich..." Er brach ab. Was sollte er da sagen? Wortlos ging er zu Jeremy hinüber und nahm ihn in den Arm. Was für ein Idiot war er eigentlich? Rund um ihn herum zerbrach die Welt und er dachte nur an sich. Wenn er so weiter machte, würde er irgendwann noch ganz allein enden. Jeremy sackte in seine Arme und fing an zu weinen. "Entschuldige... ich wollte jetzt einfach gehen... aber ich..." "Ist schon gut... ich verstehe dich... nur..." Er hielt ihn bei sich, obwohl er spürte, dass sich der Tänzer von ihm lösen wollte. "Ich will dich nicht so einfach gehen lassen. Lass mich mit David reden, hm?" Jeremy schüttelte entschieden den Kopf. "Nein! Es ist sowieso sinnlos! Noch eine Chance kriegt er nicht!" "Aber ich mag dich und ich will nicht, dass unsere Freundschaft so endet." Der Rothaarige schob ihn nachdrücklich von sich. "Ich auch nicht, aber es geht nicht anders. Ich will nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen, aber an mir liegt es nicht! Er hat alles zerstört. Er hat sogar noch Abby wie den letzten Dreck behandelt und ihr mit dem Sicherheitsdienst von seinem verdammten Schickimicki-Wohnhaus gedroht!" Er ging mit festen Schritten zur Wohnzimmertür. "Es tut mir leid, Jason... wirklich... ich wünschte, es wäre anders gelaufen..." Bevor der Brünette noch etwas sagen konnte, stürmte er aus dem Raum und kurz darauf knallte die Haustür hinter ihm zu. "Verdammte Scheiße!", fluchte Jason und trat gegen den Couchtisch, der scheppernd umflog. Chris erschien auf der Treppe und schaute ins Wohnzimmer hinunter. "Hast du einen Schaden?" "Ich habe diesen Tisch gekauft, also kann ich auch damit machen, was ich will!", fauchte Jason zurück. Chris schüttelte nur den Kopf und ging wieder nach oben. "Der kann was erleben!", meckerte der ehemalige Cop zu sich selbst. Er würde zu David fahren und ihn sich vorknöpfen. Was dachte der Kerl sich dabei? In diesem Moment klingelte sein Handy, Jason eilte in den Wintergarten, wo es auf dem Metalltisch lag. Ein unbekannter Teilnehmer, wohl eine Nummer aus dem Festnetz. "Cunningham." Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann wurden seine Augen groß. "Nicolai?!... Wo bist du?... Auf dem Polizeirevier?" Er fuhr sich durch die Haare. "Fuck... ich komme sofort, keine Angst." Er legte auf. Musste David eben doch noch warten. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis Jason soweit gepflegt war, dass er das Haus verlassen konnte. Zum Glück hatte er heute mal auf seinen morgendlichen Wodka mit Orangensaft verzichtet, er musste ja fahren. Nicolai hatte ihn ausgerechnet von seinem alten Revier aus angerufen. Natürlich nicht aus der Abteilung für Mord, aber trotzdem war es beschissen, denn auf dem Revier kannte ihn eigentlich jeder. Er hielt diesmal auf dem Besucherparkplatz, Zugang zur Tiefgarage hatte er ja nicht mehr. Am Empfang traf er auf Sandy, eine korpulente junge Dame, die dort schon seit Jahren arbeitete. "Jason! Dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen! Urlaub?" "Gekündigt, Sandy.", antwortete er nur schnell, "Ich muss zur Sitte, kann ich durch?" "Aber klar...", meinte die Frau, sie schien ehrlich betroffen über Jasons Weggang, sagte aber nichts mehr. In den Büroräumen der Sitte traf Jason Larson Wendall, einen Kerl, den er noch nie hatte leiden können, ein guter Freund von Rodriguez. Und als wäre es nicht schlimm genug, war genau der anwesend. Die Beiden stopften Donuts in sich hinein und tranken Kaffee. "Nein! Wen haben wir denn da?!", feixte der Latino. "Cunningham! Was für eine nette Überraschung! Sehnsucht nach mir? Ich weiß, ich bin zum Verlieben! Auch wenn du ziemlich scheiße aussiehst, rasier dich mal wieder!" Er spielte auf Jasons mittlerweile mehr als Dreitagebart an, der Brünette hatte sich vor der Abfahrt nicht rasiert. Jason schaffte es, seinen ehemaligen Kollegen vollkommen zu ignorieren und wandte sich stattdessen Wendall zu. "Ich bin wegen eines Jungen hier, den ihr eingesperrt habt. Er heißt Nicolai." "Die Strichschwuchtel!", grölte der Polizist los. Rodriguez grinste breit. "Das passt ja, Cunningham, genauso stelle ich mir deinen Umgang vor!" "Kann ich nun zu ihm oder nicht?" Wendall bekam sich nur mühsam unter Kontrolle. "Klar kannst du zu der kleinen Bordsteinschwalbe! Der freut sich sicher, wenn er endlich wieder eine andere Tucke trifft! Er kann sowieso gehen, ist ja das erste Mal, dass wir ihn geschnappt haben. Aber wir wollten ihn noch ein bisschen in der Zelle lassen, damit er weiß, wohin es ihn bringt, anderen seinen Arsch anzubieten!" "Es reicht jetzt. Bring mich endlich zu ihm.", knurrte Jason, "Schöne Grüße an die Kollegen, Rodriguez!", fügte er mit ätzender Stimme hinzu. Wendall führte ihn grinsend zur Sammelzelle, einem größeren Raum, bei dem eine Wand aus Gitterstäben bestand. Es gab drei Liegen und ein offen an der Wand hängendes Metallklo. Auf einer der Liegen fläzte ein ziemlich ungemütlich dreinblickender Typ mit circa fünfhundert Tattoos, ansonsten war die Zelle zu Nicolais Glück leer. Der blonde junge Mann hockte in der anderen Ecke, möglichst weit entfernt von seinem Mithäftling. Als er Jason sah, sprang er auf und eilte zum Gitter. "Gott sei Dank!" Er schien den Tränen nahe, trug die gleiche Kleidung wie an dem Abend als Jason ihn getroffen hatte. Der Brünette musterte ihn kurz, lächelte und wandte sich dann Wendall zu, wobei sein Lächeln augenblicklich verschwand. "Woher hat er das blaue Auge?!" "Er hat sich der Verhaftung widersetzt, nicht wahr, Schwuchtel?" Nicolai sah den Polizisten an und nickte dann langsam. Man hätte schon blind sein müssen, um nicht zu erkennen, dass es nicht die Wahrheit war. "Nicolai, ist das wirklich wahr?", fragte Jason einfach noch einmal. "Ja! Ist es! Wirklich! Und jetzt hol mich bitte hier raus! Bitte!" Jason tat ihm den Gefallen. "Und jetzt sag die Wahrheit!", forderte Jason, während er in den Verkehr auf der Van Ness Avenue einfädelte. Nicolai saß auf dem Beifahrersitz. "Was meinst du?" "Spiel nicht den Dummen, ich habe dir geholfen, also verdiene ich auch die Wahrheit." "Jason, bitte... es bringt doch sowieso nichts." "Was war los?", beharrte der Brünette. "Ich habe... na ja, der Freier war ein Bulle, als ich ihn angesprochen habe, wollte er mich mitnehmen. Ich habe nur gesagt, dass ich mit meiner Schwester reden müsse, dass sie nicht allein bleiben kann so lange... da hat er zugeschlagen." "Ich wusste es!" Jason setzte den Blinker. "Das wird ein Nachspiel haben!" "Nein! Bitte!", flehte der Blonde. "Bitte nicht. Ich bin doch dort weg. Mehr will ich nicht... wenn du den Kerl anzeigst... oder ich... ich will nicht, dass meine Schwester erfährt, was ihr Bruder tut." Jason seufzte lautstark und schaltete den Blinker wieder ab, blieb auf der Straße, die sie immer weiter vom Department weg führte. "Du siehst nicht gut aus, übernächtigt.", stellte er stattdessen fest. "Ich habe in letzter Zeit kaum geschlafen..." Nicolai sah aus dem Fenster. "Entschuldige, das musst du dir nicht aufladen... du hast mich rausgeholt, dafür bin ich dir sehr dankbar, aber mehr musst du nicht tun." "Unsinn! Ich lade dich jetzt auf einen Kaffee ein und dann erzählst du mir alles. Ich brauche Ablenkung und ich will dir helfen, wenn ich kann." So war es vielleicht wirklich besser. Wenn er direkt zu David gegangen wäre, hätte er ihn vor Wut sicherlich fast umgebracht. Erst einmal beruhigen, war der bessere Weg. "Ich frage noch einmal: Von welchem Planeten kommst du?!", lachte Nicolai. Wenig später saßen sie in einem kleinen Café in der Innenstadt. Jason trank nur einen Espresso, während der blonde Stricher an einer großen heißen Schokolade nippte, zudem stand ein beachtliches Stück Kirschkäsekuchen vor ihm. "... und deswegen musste ich die letzten Nächte durcharbeiten. Wenn ich die Miete nicht zusammenkriege, wirft uns der Vermieter raus. Er hat einfach die Preise erhöht... ich kriege das niemals zusammen und weiß nicht, wohin ich mit meiner Schwester soll..." Er machte sich über den Kuchen her. Jason hatte ihm die ganze Zeit schweigend zugehört. "Dir ist schon klar, dass du ins Gefängnis wanderst, wenn sie dich jetzt noch einmal beim Anschaffen erwischen, oder? Und da kann ich nichts tun, ich bin kein Cop mehr." Nicolai erstarrte mit der Gabel noch halb im Mund. "Wirklich...?" "Ja, noch einmal und du landest hinter Gittern." "Verdammt!" Der junge Blonde warf das Besteck klirrend auf den Teller. "Und jetzt? Wenn ich nicht bald bezahle, dann schmeißt uns der Vermieter raus!" Jasons Mund öffnete sich und sagte etwas. Der New Yorker wusste selbst nicht, was er da tat und es konnte eigentlich nur ein Fehler sein, hatte er doch schon genug Probleme am Hals, jetzt auch noch die mit David, aber seine Lippen formten den Satz wie von selbst. "Ihr zieht zu uns." "Bitte?" "Du hast mich doch verstanden. Wir haben ein großes Haus, ein Gästezimmer, einen Hund... letzteres ist sicher für deine Schwester interessant." "Jason... du kannst doch nicht, ich meine ich kann doch nicht..." Nicolai stammelte vor sich hin. "Du kennst mich doch kaum..." "Gut genug, um dir helfen zu wollen. Vielleicht lenkt mich das auch ein bisschen ab, also ist das durchaus auch ein wenig Eigennutz." Er grinste breit. "Hast du immer noch Probleme mit deinem Freund?" "Exfreund." Jason hörte sich das Wort selbst sagen und es klang so merkwürdig in seinen Ohren. Aber anders konnte man es nicht nennen, Chris war nun sein Exfreund, ihre Beziehung war zu Ende und der Blonde schien auch kein Interesse daran zu haben, sie wieder aufzunehmen. "Das tut mir leid zu hören." "Schwamm drüber!", wischte Jason den Gedanken beiseite. "Wir fahren jetzt deine Schwester abholen und ein paar Sachen packen und dann kommt ihr mit zu uns. Deine Wohnung kannst du dann noch später kündigen." "Jason, das geht doch nicht..." "Doch, ich bestehe darauf!", beharrte der Brünette und erfreute sich an dem dankbaren Gesichtsausdruck seines Gegenübers. Chris saß an seinem Laptop und klickte sich durchs Internet. Das war alles so unheimlich. In seiner Erinnerung war die Technik bei weitem nicht so fortgeschritten und Begriffe wie AOL oder Internetbrowser, URL, Webchat oder Onlineforum waren ihm vollkommen unbekannt. Aber er hatte schnell gelernt, mit diesem Ding hier umzugehen. Seine Finger flogen über die Tastatur, während er sich durch die Welt klickte. Nachrichten, Jahresrückblicke, er sog diese Sachen auf wie ein Schwamm. Wer war gerade wo an der Regierung, wo schlugen sich die Menschen wieder einmal die Köpfe ein, welche Mannschaft hatte wann die Meisterschaft gewonnen... besonders die Berichte über den 11. September schockierten den jungen Mann, er war froh, dass nicht erlebt zu haben, zumindest dachte er das ja. Chris wusste nicht, dass er näher am einstürzenden World Trade Center gewesen war, als viele andere auf der Welt, die diese Katastrophe nur im Fernsehen mitverfolgt hatten, schließlich lebte er zu der Zeit in New York. Etwas drängte sich an seine Beine und er erkannte Batman, der ihn fiepend ansah. Mit einem Schmunzeln nahm der den Welpen auf den Schoss. "Na, mein Kleiner... wollen wir mal gucken, was die Hundefutterindustrie in den vielen Jahren gemacht hat?" Batman hechelte nur glücklich, als er mit einer Hand gekrault wurde. Chris hatte nun nur noch eine Hand frei, die er der Mouse zuwandte. Schluss mit Internet, er klickte lieber noch ein wenig in den zahllosen Files herum, die sich auf dem Gerät verbargen. Schließlich geriet er an einen Ordner, der "J&C" hieß. Neugierig öffnete er ihn und gelangte so in eine umfangreiche Galerie von Digitalkameraaufnahmen. Alle zeigten Jason und ihn. An allen möglichen Orten der Stadt, manchmal nur allein auf dem Bild, manchmal war auch David dabei oder Jeremy. Es gab auch eine Menge Aufnahmen nur von Jason allein und welche, die sie wohl mit dem Selbstauslöser gemacht hatten. Eine ganze Serie von Fotos in ihrem Schlafzimmer mit wenig Textilien. Eines hatten alle Aufnahmen gemeinsam: Sowohl sein Gesicht als auch das von Jason strahlte unglaubliches Glück aus. Hatte er sich so verändert, dass er das nicht einmal mehr fühlen konnte? Nicht einmal mehr im Ansatz? Chris schloss den Ordner und machte einen Klick mit der rechten Maustaste, schob das Highlight auf die Zeile "Delete". Eine Bestätigung später zeigte eine Leiste an, wie die Bilder in den Papierkorb des Rechners rasten. Chris lehnte sich zurück und atmete aus. Es war besser so. Sein Blick wanderte über Batman, der eingeschlafen war, das Gewicht des wachsenden Welpen war nicht unbedingt angenehm, aber Chris wollte ihn nicht vertreiben. "Was mache ich hier...?", flüsterte er dem Hund zu, der sich aber nicht angesprochen fühlte. Dann öffnete er den Papierkorb und stellte den Ordner "J&C" wieder her, bevor er das Notebook ausschaltete. Unten im Flur wurde die Haustür geöffnet und Chris hörte mehrere Stimmen. Eine gehörte Jason, die andere kannte er nicht, außerdem noch ein Kind. Batman wetzte von seinem Schoss und peste so schnell er konnte ins Treppenhaus. Kurz darauf fing das Kind, wohl ein kleines Mädchen, freudig an zu quietschen. Chris stand auf und folgte dem Welpen. Im Wohnzimmer fand er Jason zusammen mit einem blonden jungen Mann, den er nicht kannte und einem kleinen ebenfalls blonden Mädchen. Die Kleine tollte mit Batman durch die Gegend, der sich sichtlich freute, jemanden getroffen zu haben, der mit seiner unendlichen Spielenergie umzugehen wusste. Jason entdeckte ihn zuerst und lächelte. "Chris, das ist Nicolai und der kleine Wirbelwind ist seine Schwester Anna. Sie werden für einige Zeit hier wohnen." Chris musterte den blonden Mann mit kühlem Gesicht. Die langen Haare, die schmale Statur. "Ist das mein Ersatz?", fragte er, immer noch unterkühlt. "Chris!" Jason konnte es nicht fassen, sein Chris wäre nie so unhöflich gewesen. Der Blonde aus Dallas zuckte mit den Schultern. "Meinetwegen wohnt er hier, ist ja dein Haus. Ich habe noch zu tun." Damit war er wieder verschwunden. "Es tut mir leid.", sagten Jason und Nicolai fast gleichzeitig. "Was tut dir leid?" Der Brünette schien verdutzt über Nicolais Entschuldigung. "Na, dass er wegen mir jetzt sauer auf dich ist. Vielleicht ist das doch keine gute Idee." "Oh ja, das ist eine gute Idee! Chris ist dauernd so zickig und wie er sagte, dass ist mein Haus." Anna und Batman fegten jagend an ihnen vorbei, als Jason beherzt zugriff und die Kleine hochhob. Sie war höchstens sechs oder sieben Jahre alt. "Und du? Wollen wir mal sehen, ob wir Eiscreme da haben?" Anna nickte so wild, dass ihre blonden Locken flogen. "Ja!", freute sie sich. Nicolai schaute sich die Szene an und er kam nicht dagegen an, dass ihm warm ums Herz wurde. Jason war ein wundervoller Mann, sicherlich nicht perfekt, aber trotz allem ein echter Gewinn. "Jason! Schön dich zu sehen!" David wollte seinen Freund in die Arme nehmen, doch der marschierte schnurstracks an ihm vorbei in seine Wohnung. "Ich muss mit dir reden." "Das merke ich, Sunshine, das merke ich." David kam ihm hinterher, nachdem er die Tür geschlossen hatte. "Wie geht es Chris?" "Wir haben uns getrennt." Der Blonde blieb abrupt stehen. "Dein Ernst?" Jason lächelte ihn süffisant an. "Ja, weißt du, Trennungen sind in! Am besten man macht es so richtig grausam, damit der Andere auch leidet." David schaute ertappt zur Seite, aber er schaffte es nicht, die gleiche Kälte an den Tag zu legen, die er sie Jeremy und Abby gezeigt hatte. Jason kannte ihn besser als kaum jemand sonst und er brachte es nicht fertig, vor ihm den Arsch zu mimen. "Jason... bitte..." "Was hast du dir dabei gedacht?", fragte der Brünette erbost. "Was hat der Junge dir getan?" "Nichts!" David gestikulierte etwas hilflos mit den Armen. Er hatte nicht erwartet, dass Jason ihn direkt darauf ansprechen würde. Woher wusste er das überhaupt? Genau das fragte der Anwalt dann auch. "Oh, ich weiß das von Jeremy. Er war bei mir, um mir die Freundschaft zu kündigen, damit ihn nichts mehr an den Mann erinnert, der sein Herz in Stücke gerissen hat, zudem läuft er so auch nicht Gefahr, dich zu treffen." David ließ sich ihm gegenüber in den Sessel fallen. "Das tut mir leid, ich hätte nicht damit gerechnet, dass er das tut." "Was erwartest du? Jeremy sah aus wie der wandelnde Tod, fix und fertig." Er griff sich an sein kaum rasiertes Kinn, das sagte eindeutig der Richtige. "Jason, das ist meine Sache, es geht eben nicht anders." "David, ich bin dein bester Freund, ich will wissen, was los ist. Du hast dich doch nicht auf diese Beziehung eingelassen, um beim ersten Anzeichen von Problemen das Handtuch zu werfen, das bist nicht du!" "Du weißt nichts, Jason..." "Dann sag es mir! Verdammt, sag es mir! Ich bin kein rohes Ei, nur weil Chris mich nicht mehr will! Ich bin nicht abhängig von diesem Mann, ich leben auch noch ohne ihn!" "Das sieht man dir an! Das pralle Leben!", frotzelte David. "Lenk nicht ab, David!" "Aber es stimmt! Mann, du siehst wirklich ätzend aus. Wann hast du dich das letzte Mal rasiert? Und deine Haare gewaschen?" "David!" "Verträgst du keine Kritik, Sunshine! Du tust so, als wäre alles okay, aber dabei siehst du einfach beschissen aus und offensichtlich bist du keineswegs darüber hinweg, dass mit Chris Schluss ist.", fuhr David unbeirrt fort. "Halt deine Schnauze!" Jason brüllte ihn regelrecht an. David hielt verdutzt inne. "Wir reden hier nicht über mich! Wir reden über dich, fuck! Über dich! Über dich und die widerliche Art wie du Jeremy abserviert hast!" "Jason..." "Warum! Sag mir jetzt auf der Stelle, warum du das getan hast! Hat er dich betrogen?! Hast du ihn betrogen?! Was in aller Welt ist geschehen?!" "Es geht dich nichts an!" David erhob sich. "Ach ja? Ich bin dein bester Freund, schon vergessen?!" "Es gibt auch Dinge, die einen besten Freund nichts angehen!" "Und wer beschließt das?!" Jason stand auch auf. "Ich! Kapiert?! Ich! Ihr könnt mich bald alle mal!" Wutentbrannt drehte er sich um und wollte zur Tür stürmen, Jason rauswerfen. Die Situation entglitt ihm, er konnte Jason nicht mehr weiter davon abhalten Fragen zu stellen. Musste er ihn eben auch vor den Kopf stoßen, zumindest erst einmal, er konnte sich ja später entschuldigen. Weit kam der Blonde nicht. Von einer Sekunde auf die andere verlor er sämtliches Gefühl in seinem rechten Bein. David kämpfte für einen Moment mit dem Gleichgewicht, aber er verlor und schlug hin. "Scheiße!", fluchte er. Jason war sofort bei ihm. "David! Was ist?! Bist du gestolpert!" "Ja... schon okay..." David versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht, sein Bein knickte einfach weg. "Scheiße! Scheiße!" Der Brünette sah ihn an. Erkenntnis lag in seinen Zügen. "Du kannst dein Bein nicht bewegen, oder?" "Doch, es ist alles okay." "Dann steh auf, sofort!" David senkte den Blick. Er konnte nicht. "Habe ich mir gedacht..." Jason schob seine Hände ohne zu fragen unter den Körper seines Freundes und hob ihn mit einem Ächzen hoch. "Gott, bist du schwer." Mit knallrotem Gesicht trug er David in dessen Schlafzimmer und legte den blonden Mann aufs Bett um sich dann daneben zu setzen. "Und jetzt die Wahrheit." "Jason..." Der Brünette strich seinem Freund sanft über die Wange. "David, ich bin dein bester Freund... ich liebe dich... und ich glaube, ich habe die Wahrheit verdient, oder? Wir haben uns doch immer alles gesagt... oder nicht?" David schaute ihn an. Dieses liebevolle Gesicht, das ihn voller Mitgefühl ansah. Jason war immer für ihn da gewesen. Sie hatten sich immer respektiert, selbst wenn sie sich gestritten hatten. Jason war ihm so wichtig wie seine eigene Familie. Nein, er gehörte zu seiner Familie. "Jason, ich... ich werde sterben..." Ein Moment herrschte Stille, dann sank der ehemalige Polizist nach vorn und zog David in seine Arme. Der Blonde klammerte sich an ihn. Jason wusste, dass es die Wahrheit war. Mit so etwas würde David niemals Scherze machen. "Halt mich fest..." Davids Stimme war schwach und kaum hörbar, er weinte. Danach sagte Minuten lang keiner von beiden mehr ein Wort. Jason hielt ihn einfach nur in den Armen. Scheinbar unendlich. Auch er weinte lautlose Tränen. Irgendwann ließ Jason den Blonden langsam wieder in die Kissen sinken. "Seit wann weißt du es?" Er fragte das ganz sachlich, fast kühl. "Schon seit der Operation... Ich habe einen Splitter in meinem Rückenmark, der auch diese Lähmungen verursacht..." "Und du... wirst...?" "In ein paar Monaten..." Jason hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. "Und deswegen hast du..." David schaute zur Decke, seinen Augen schimmerten feucht. "Ja... deswegen. Ich kann es ihm nicht antun... er ist so jung, so lebensfroh... ich kann ihm das nicht antun. Er bedeutet mir soviel, soviel wie noch nie jemand zuvor, abgesehen von dir..." "Du hast das so lange mit dir herum getragen, ohne das mit jemandem zu teilen? Wie hast du das überstanden?" "Gar nicht... ich bin am Ende, am Ende meiner Kräfte..." "Und es gibt keine Hoffnung?" Was fragte er da? Wenn es noch eine Möglichkeit geben würde, dann würde David sie doch nutzen. "Na ja..." Wieder herrschte einen Moment Stille. "Dieses ,na ja'... David... meinst du etwa, dass es eine Möglichkeit geben würde?" David schloss die Augen und dann fing er an zu erzählen. Alles. Er redete und redete und endlich, seit so langer Zeit, fühlte er sich frei. Jason sagte kein Wort. Er hörte nur zu. "Und du willst nicht...?" "Nein." "Warum?! Es wäre doch eine Chance! Eine echte Chance!" "Eine Chance, mein Leben vom Hals abwärts gelähmt zu verbringen! Jason, das ist keine Chance, nicht für mich! Ich war immer unabhängig und ich könnte das nicht ertragen..." Jason seufzte resigniert. "Und was erwartest du jetzt von mir? Soll ich mit ansehen, wie mein bester Freund freiwillig in den Tod geht?" David setzte sich auf, das Gefühl war in sein Bein zurück gekehrt. "Ich erwarte dein Stillschweigen, das musst du mir schwören! Jeremy darf nichts davon erfahren!" "Du bist grausam!" "Ich weiß, aber bitte schwöre es mir, schwöre es mir als mein bester Freund!" "Du hast mein Wort...", sagte Jason leise. David zog ihn ohne etwas zu sagen zu sich herunter, Jason schloss ihn in seine Arme, er lag nun hinter dem Blonden, an ihn gedrückt, während seine rechte und Davids linke Hand vor dessen Körper gefaltet waren. Wieder herrschte Stille. "Ich bin so froh, dass ich jetzt nicht mehr allein bin...", sagte David irgendwann kaum hörbar. Jason antwortete zunächst nichts, er war sich nicht sicher, ob er nun froh oder noch mehr am Boden sein sollte. "Ich liebe dich, David, wie meinen eigenen Bruder, natürlich werde ich für dich da sein..." "Danke...", war alles, was der Blonde dazu sagte. Dann senkte sich wieder das Schweigen über die Beiden. Sie lagen noch lange so da. Nicolai streckte sich genüsslich in der Badewanne aus. Er hatte Chris um Erlaubnis gefragt, obwohl er sich etwas scheute, mit dem kühlen Mann zu reden, der ihn irgendwie spüren ließ, dass er ihn hier nicht haben wollte. Allerdings war Chris mit Anna ganz anders, die Kleine hatte er bereits ins Herz geschlossen. Deswegen hatte Nicolai ihn mit seiner Schwester und dem Hund im Garten gelassen und sich selbst in die Badewanne gelegt. Das war so wundervoll. Das heiße Wasser, der duftende Schaum, er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal voller Genuss ein Schaumbad genommen hatte. Es musste eine Ewigkeit her sein. Allmählich verfiel er in einen Dämmerzustand und wäre wahrscheinlich sogar eingenickt, wenn nicht in diesem Moment die Badezimmertür aufgerissen worden wäre. Jason stürmte hinein, offensichtlich mieser Laune, oben ohne und mit einem Gesicht, dass einem regelrecht Angst machen konnte. Dieses veränderte sich aber abrupt zu einem überraschten Ausdruck. "Oh... entschuldige." Nicolai zuckte mit den Schultern. "Kein Problem. Schließlich ist das dein Bad." Jason lächelte, wenn auch etwas abwesend. "Ja... ich geh dann mal wieder, ich muss pinkeln, von daher..." "Tu dir keinen Zwang an, ich gucke auch weg!", lachte der Blonde und drehte demonstrativ den Kopf zur Seite. Er hatte damit kein Problem. Jason wusste nicht so recht, ob er das tun sollte, aber warum eigentlich auch nicht? An einem Pissoir scheute er sich ja auch nicht. Also tat er, was zu tun war. Ein Grinsen schlich sich über Nicolais Züge. "Guter Junge, du setzt dich hin..." "Ich dachte, du guckst nicht!", lachte Jason, während er die Spülung betätigte. Nicolai antwortete nicht, er grinste bloß. "Hast du Sorgen?", fragte er, als Jason schon nach der Türklinke griff. Der Brünette drehte den Kopf und musterte den jungen Russen in der Badewanne. "Sieht man mir das an?" "Es fehlt nur noch das kleine blitzende Gewitterwölkchen über deinem Kopf." Nicolai setzte sich etwas auf. "Magst du reden? Dann schlaf ich auch nicht ein und sauf ab!" "Ist schon okay..." "Wie du meinst, großer Krieger. Du machst wohl immer alles mit dir aus, was?" "Ist die beste Methode.", lächelte Jason. "Keineswegs, aber ich will meinen Wohltäter ja nicht kritisieren." "Frech bist du gar nicht, oder?" "Nein, nie.", lachte Nicolai verschmitzt. "Na ja, es ist aber verdammt warm hier drin, in meiner Hose wird es schon feucht und..." Jason schloss die Augen. "Okay... Fettnäpfchen lieben mich abgöttisch..." Er wurde tatsächlich ein wenig rot. "Bevor es noch feuchter in deiner Hose wird,", kicherte der Blonde, "zieh sie doch aus und komm rein." Er winkelte die Beine ein wenig an. "Genug Platz für zwei." Jason schaute ihn verdutzt an. "Ich kann doch nicht einfach..." "Keine Angst, ich angele schon nicht nach verbotenen Früchten, ich bin brav, erinnerst du dich?" Jason fasste sich an die leicht verschwitzte Stirn und resignierte. Warum eigentlich nicht, ging es ihm schon zum zweiten Mal durch den Kopf. Er stieg aus seinen Schuhen, entledigte sich der Hose und seiner Unterwäsche und stieg dann Nicolai gegenüber in die Wanne. "Na siehst du, war doch gar nicht so schwer!" "Nein, war es nicht." Jason spürte, wie seine Beine die des Blonden berührten. Er hatte so eine weiche Haut, keinerlei Haare, offenbar rasierte er sich seine Beine. "Willst du jetzt reden?", lächelte Nicolai und legte die Arme links und rechts auf den Wannenrand. Trotz seines blauen Auges, war der junge Mann wirklich hübsch, wie Jason erneut feststellen musste. "Nein, eigentlich nicht... ich habe versprochen, nicht darüber zu reden." "Noch mehr Probleme?" "Mein Leben besteht im Moment nur noch aus Problemen, Nicolai. Ich warte eigentlich jeden Tag darauf, dass sie mich erschlagen." "Du siehst auch nicht gut aus. So erschöpft. Soll ich dich massieren?" "Kannst du das?", fragte Jason überrascht. "Dreh dich um und probier es aus!" Der Brünette kam der Aufforderung nach. So geschickt es in der Wanne eben ging, drehte er sich und schob sich mit dem Rücken voran zwischen Nicolais Beine. Der junge Russe legte seine schlanken Hände auf den breiten Nacken des anderen Mannes und griff beherzt zu. Er machte seine Sache wirklich gut, Jason begann schon bald genießerisch zu stöhnen, als sich die Verspannungen etwas lösten. "Du hast wirklich magische Hände...", seufzte er und drängte sich näher an den Blonden. "Oh..." Er hatte etwas gespürt, dass sich nun überdeutlich gegen seinen Steiß drückte. Augenblicklich hörte Nicolai mit der Massage auf. "Entschuldige!", stieß er verschämt hervor. Jason drehte sich halb herum, damit er dem Jungen in sein Gesicht schauen konnte. "Schon okay... mir geht es nicht anders..." "Wirklich?" Der Ältere sagte nichts mehr, sondern ließ nur seinen Blick über Nicolai gleiten. Über das ebene jugendliche Gesicht, den schlanken Hals, die blonden Haare. Ein wenig wie Chris und doch anders. Jason drehte sich vollkommen herum, Badewasser schwappte über den Rand, aber er achtete nicht darauf. Sein sehniger Körper schob sich über den schlanken Leib des jungen Russen, seine Hand legten sich auf Nicolais Hinterkopf und zog ihn zu sich, damit sich ihre Lippen trafen. Nicolai hatte ihm gesagt, dass er nicht küssen würde, aber Jason tat dies nicht als Freier und er hoffte, dass der Blonde das ebenso sehen würde. "Bist du sicher, dass du das tun willst...?", flüsterte der Stricher, als der Kuss endete, er schien nicht im Geringsten schockiert. "Ja... aber nur, wenn du es auch willst...", war Jasons Antwort. Nicolai nickte. "Du gehst mir seit diesem Abend schon nicht mehr aus dem Kopf." Der Brünette reckte seine Lippen wieder denen Nicolais entgegen, doch dieser legte seinen Zeigefinger dazwischen. "Aber ich bin kein Chris-Ersatz... das habe ich nicht nötig." "Das würde ich auch niemals so sehen. Ihr seid grundverschieden." Nicolai lächelte und nahm den Finger wieder weg. Sofort fand er sich in einem weiteren leidenschaftlichen Kuss wieder und bald schwappte noch einiges Badewasser mehr über den Rand. Chris öffnete die Schlafzimmertür, er musste sich eine frische Hose anziehen, Batman hatte sie vollkommen versabbert. Anna hatte er mit einer großen Portion Eis und dem Welpen in der Küche gelassen. Im Gegensatz zu diesem komischen blonden Kerl hatte er die Kleine sofort gern gehabt, er hatte auch in Dallas oft auf Kinder aus der Nachbarschaft aufgepasst, so etwas lag ihm. Eigentlich wusste er auch nicht, was ihn an Nicolai störte, er kannte ihn ja kaum, aber es war so ein merkwürdiges Gefühl. Er suchte sich leise eine Hose aus dem Kleiderschrank, damit Nicolai ihn im Bad nicht hörte. Dafür vernahmen seine Ohren aber etwas. Lachen. Ziemlich ausgelassenes Lachen. Er schlich sich an die Badezimmertür und legte sein Ohr daran. Das waren zwei Stimmen, die von Jason und die von Nicolai. Sie schienen sich glänzend zu amüsieren. Chris zuckte zusammen. War das eben ein Stöhnen gewesen?! Hatte Jason gestöhnt?! Er wusste nicht, warum er es tat, aber mit einem Ruck riss der blonde Mann die Tür auf. Was er sah, ließ ihn erbleichen. Jason und Nicolai lagen eng umschlugen in der Wanne und wenn man den Winkel von Nicolais ins Wasser gestrecktem Arm weiterdachte, konnte man unschwer erkennen, warum Jason lustvolle Laute von sich gab. "Entschuldige bitte, du störst!", knurrte Jason ihn an. "S...Sorry...!", war alles was Chris heraus brachte, dann schlug er die Tür wieder zu und floh so schnell er konnte aus dem Schlafzimmer. Nicolai schaute Jason etwas erschrocken an. "Sollen wir... ich meine... sollen wir aufhören?" Jason schüttelte den Kopf und sein nasses Haar verteilte Wassertröpfchen. "Auf keinen Fall! Er ist mein Ex und er kann klopfen!" Mit diesen Worten küsste er Nicolai einfach wieder und schnitt ihm jeden weiteren Einwurf ab. Vier Tage später stand Colin mit verschränkten Armen im Golden Gate Park. Es hatte einen erneuten Kälteeinbruch gegeben und seine Jacke schützte nur notdürftig vor der Witterung. Der Seewind fegte durch seine Haare und wirbelte sie in sein Gesicht. Er war am Rande eines der Wäldchen des Parks, etwas abseits der größten Wanderwege in der Nähe des japanischen Gartens. Hier hatte er sich früher oft mit Brandon verabredet und so war es auch heute. Die SMS hatte so eindringlich "geklungen", dass Colin zugestimmt hatte, Marcus hatte einen gigantischen Berg Hausaufgaben und hatte deswegen keine Zeit, Colin hatte ihm jedoch nicht gesagt, mit wem er sich traf, auch wenn er ein schlechtes Gewissen deswegen hatte. Endlich wurde er vom Warten erlöst und der blonde Hüne der früher sein Freund gewesen war kam den Weg entlang. "Du bist wirklich gekommen." "Überrascht dich das? Ich hatte doch zugestimmt. Aber wenn du mich noch lange in dieser Saukälte hättest warten lassen, wäre ich sauer geworden." Die Saukälte war natürlich an kalifornischen Maßstäben gemessen. "Danke, dass du da bist..." "Brandon... bitte, lass diesen Unterton." "Welchen?" Colin seufzte. "Dieses leidige Getue sollst du lassen. Du klingst, als wolltest du den Boden küssen, auf dem ich wandle. Das hier ist kein Date. Du wolltest mich sprechen und damit hat es sich. Also, was ist los?" "Seit wann bist du so widerlich kratzbürstig?" Der Schwarzhaarige stieß die Luft aus und schaute in den leicht bewölkten Himmel. "Seit ich weiß, was für ein treuer Freund du warst..." "Wirst du mir das nie verzeihen?" "Ich weiß nicht, wie ich Lust habe... mal sehen..." Colin schaute in die traurigen Hundeaugen seines Exfreundes und schon schmolz ein wenig seiner kühlen Schale dahin. "Okay... okay...", gab er sich geschlagen, "Ich reiße mich zusammen, schließlich liegt das alles schon zurück und ich bin mit Marcus sehr glücklich." "Das freut mich ehrlich für dich." "Beeindruckend, wie du mir ins Gesicht lügen kannst.", lächelte Colin. "Bitte!" Der Schwarzhaarige hob die Hände. "Schon gut! Aber erwarte trotzdem nicht, dass ich dir das abkaufe." Er sah sich um. "Ich habe auf dem Weg hierher die 49ers Youth League trainieren gesehen, schwänzt du?" Brandon schaute auf seine Füße. "Ich bin nicht mehr im Team." "Was? Warum?!" Der Blonde blickte den Weg entlang. "Gehen wir ein Stück?" In schweigender Zustimmung setzte sich Colin in Bewegung. Mit langsamen Schritten wanderte das ehemalige Paar durch die trotz Winter immer noch grünen Parkanlagen. "Nun...?", fragte Colin nach einer Zeit des Schweigens. "Ich bin aus dem Team geflogen, Col." "Hast du einen der Spieler befummelt?" Das kam mit einem Grinsen, doch es drang nicht bis zu Brandon durch. "Bei meinem Gesundheitscheck kam etwas heraus, was man als Profispieler nicht haben darf." Colin blieb ruckartig stehen. "Bist du krank?!" Der Blonde drehte sich um und tatsächlich schimmerten Tränen in seinen Augen. "Ja..." Seinem Exfreund stockte der Atem. Brandons Gesicht verhieß nichts Gutes. Im Gegenteil. Colin bekam es mit der Angst zu tun. Er war immer noch sauer auf den anderen Jungen, aber nicht so, dass er ihm etwas Schlechtes wünschen würde. Auf keinen Fall. "Sag bitte nicht, dass es Krebs ist..."; flüsterte er. Brandon schüttelte den Kopf, unendlich langsam. Er biss sich auf die Lippe, bewegte hilflos die Hände, als suche er nach Worten. "Colin... ich wünschte fast, es wäre Krebs... ich bin... ich... ich bin HIV-positiv..." Der Schwarzhaarige hatte für einen Moment das Gefühl, dass sein Herz aussetzte. Einfach so. Er hörte die Worte, wollte aber ihren Sinn nicht akzeptieren. Ohne etwas zu sagen ging er zu Brandon und schloss ihn in die Arme. Der muskulöse Junge sackte zusammen und fing endgültig an zu weinen. Nach einer endlosen Zeit des Schweigens klopfte Colin ihm auf den Rücken. "Hey... das heißt doch aber nicht, dass du jetzt sterben musst. Heute ist das doch etwas, womit man leben kann..." Der Satz klang sogar in seinen eigenen Ohren hohl. "Ich muss eine Diät einhalten und jeden Tag einen ganzen Pillencocktail schlucken, dann kann man sogar mit HIV alt werden..." Brandon sagte diese Worte wie ein auswendig gelerntes Mantra. Sanft schob er Colin von sich. "Aber das ist nicht alles... ich meine..." "Was denn noch?" Brandon löste sich ganz von ihm und drehte ihm den Rücken zu, ging ein paar Schritte, blieb dann stehen und sah auf die Hügelkette, hinter sich die Wolkenkratzer der Innenstadt erhoben. "Ich weiß nicht, wie lange ich schon positiv bin. Ich hatte mit mehreren Partner ungeschützten Verkehr..." "Brandon... warum bloß?" Colin blickte zur Seite und mahnte sich für den vorwurfsvollen Ton, auch wenn es angebracht war. "Ich weiß selbst wie blöd das war... ich war leichtsinnig, aber ich..." Er hielt weiter den Rücken zu Colin gewandt. "Ich hatte auch... ich habe auch damals, als ich dich betrog... ich war betrunken... es war ohne Gummi..." In diesem Augenblick fror die Zeit ein. Zumindest für Colin. Sämtliche Laute verschwanden, die Vögel sangen nicht mehr, der Wind rauschte nicht mehr in den Bäumen, das Hundegebell von der nahen Spielwiese verstummte. "Nein..." "Colin, ich..." "Du dreckiges Arschloch!", ging der Junge in die Luft. Er stürmte auf Brandon zu, riss ihn herum und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. "Du hast mich damals auch ohne Gummi gebumst! Was hast du dir dabei gedacht?!" Brandon und er hatten damals beide heimlich einen HIV-Test machen lassen und waren beide negativ gewesen, das war am Anfang ihrer Beziehung. "Ich weiß nicht... ich..." "Du hast mich auch noch ohne Kondom genommen nach dieser Nacht!" "Woher hätte ich denn wissen sollen...?! Und wie hätte das ausgesehen, wenn ich plötzlich bei dir ein Kondom genommen hätte." "Da gehst du lieber das Risiko ein, deinen Freund mit AIDS zu infizieren?! Wie krank bist du, du Arschloch?!" "Ich habe doch damals nicht an AIDS gedacht!", brüllte Brandon zurück. "Nein! Gedacht hast du wirklich nicht! Das hast du nie!" Colin atmete heftig ein und aus. "Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich in diesem Moment hasse! Weißt du was, verreck doch und fahr zur Hölle!" "Colin!" Brandon zog ihn an sich, doch der Schwarzhaarige beendete den Körperkontakt, indem er seinem Ex ins Gesicht spuckte. "Ich hasse dich...", zischte er, dann warf er sich auf dem Fuß herum und rannte los, einfach nur weg. Brandon kam ihm nicht nach. Colin rannte bis seine Lungen wie Feuer brannten und er nicht mehr konnte. Irgendwo mitten im Gate Park brach er an einem Baum zusammen und weinte bittere Tränen. Marcus drückte seinen Füller so fest auf das Papier, dass die Mine in die Schreibunterlage einschnitt und einen dunklen Riss zog. Wie er Mathematik hasste. Es gab doch nichts schlimmeres außer vielleicht Sport. Sein Blick wanderte zu dem Bild von Colin auf dem Schreibtisch und er lächelte. Wenn er doch jetzt nur hier wäre. Colin war gut in Mathe und er würde es ihm vielleicht erklären können... oder ihn auf seine unnachahmliche Weise ablenken. Aber er hatte ja heute keine Zeit. Marcus' Finger strichen über das kühle Glas des Bilderrahmens, seine andere Hand ruhte in seinem Schritt. Durfte man sich in einer Beziehung beim Gedanken an den Freund einen runterholen? Über so etwas hatte er nie nachgedacht. Aber eigentlich sprach doch nichts dagegen. Abgesehen von dem Klopfen an der Tür. Schnell ruckte seine Hand wieder auf den Schreibtisch. "Ja?" Seine Mum öffnete und lächelte ihn an. "Da ist ein junger Mann, der dich sprechen will." "Colin?" "Dann hätte ich auch Colin gesagt, Schatz. Er sagt, er sei Jason Cunninghams Bruder." "Sag ihm, ich hätte Kopfschmerzen!", entschied Marcus schnell. "Schatz, er steht hinter mir." Seine Mutter lachte. Volltreffer! Das war kein Fettnäpfchen, sondern eine Fetttonne gewesen. Marcus legte die Stirn auf den Schreibtisch. "Schon okay..." Gary trat grinsend an Marcus' Mutter vorbei, die daraufhin die Tür schloss. "Ich komme wohl nicht gelegen. Sind die Kopfschmerzen so schlimm?" "Immer feste drauf!", knurrte Marcus, bevor er den Kopf hob. "Was willst du?" "Wow, du bist wirklich weit unter Null, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Bei deiner Art erfriert man ja." "Sorry..." Marcus merkte selbst, dass er sich ziemlich arschig benahm, aber er kam nicht wirklich dagegen an, es war so eine Art Schutzreflex. "Ich weiß nur nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll!" Er stand auf. "Seit der Sache damals hast du den Kontakt zu mir total abgebrochen und jetzt bist du plötzlich wieder da und tust so, als wären wir die besten Freunde." "Aber ich dachte, wir wollten Freunde sein." "Ja! Aber Freunde telefonieren mal oder schreiben sich eine Mail. Du hast absolute Funkstille vorgezogen." "Ich wusste eben nicht... es ist damals soviel passiert. Und soweit ich Jason verstanden habe, hast du ziemlich gelitten." "Das ist untertrieben. Aber Colin hat mir da raus geholfen." Gary nickte. "Ja, er ist ein netter Kerl." "Das klang jetzt fast wie eine Beleidigung, was soll dieser Tonfall?" Marcus musterte zum ersten Mal seit er wieder da war, den Brünetten genauer. Sah immer noch verdammt gut aus. Auch wenn er weniger Sport treiben durfte, war er immer noch ausgeprägt muskulös, auf jeden Fall mehr als Colin, der ja schon beachtlich war. Und sein Lächeln war immer noch so warm und freundlich wie damals, die Haare trug er ein ganzes Stück länger, was ihm aber ausgezeichnet stand. "Nichts, ich wollte nur feststellen, dass er ein netter Kerl ist." "Das hast du ja jetzt..." Marcus sammelte seine Schulsachen zusammen und brachte sie zu seinem Rucksack, um sie darin zu verstauen. Er fühlte sich wirklich unwohl in Garys Gesellschaft, es war so ein merkwürdiges Gefühl, ihm wieder gegenüber zu stehen. "Also, was willst du nun?", fragte er mit dem Rücken zu Jasons Bruder gewandt. Es kam keine Antwort, doch als Marcus sich wieder herumdrehte, stand Gary plötzlich direkt hinter ihm. Bevor der blonde Junge reagieren konnte, zog der Andere ihn an sich und küsste ihn auf den Mund, leidenschaftlich und verlangend. "Dich...", flüsterte Gary, als sich ihre Lippen lösten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Im Moment ist es wirklich ätzend... ich komme kaum voran, schramme immer knapp an Schreibblockaden vorbei... warum geht es mir bei meinen RPGs nicht so, aber hier? Na ja, es ist wohl das Problem, dass ich weiß, wohin der Weg führt, ich dieses Zwischenstück aber nie bedacht habe. Die Rettung kam in Form von Nicolai, dessen Rückkehr zwar geplant war, auf die gleiche Art wie hier, aber nicht so früh und auch nicht in der Form, in der es hier geschieht. Er wird die Story nun etwas länger begleiten und mal sehen, was da noch passiert. Im Nachhinein bereue ich Anna, aber da muss ich jetzt durch, ein kleines Kind hat eben wenig Potenzial. Ansonsten Sturm an allen Fronten. Colin muss eine HIV-Infizierung fürchten, Garys Intentionen in Richtung von Marcus sind offenbar geworden, Jason verfällt Nicolai und erfährt endlich die Wahrheit über David. Und dann ist da noch Jeremy, der sich vollkommen von allen zurückzieht und in die Arme seines ach so fürsorglichen Ex stürzt. Ich glaube, so viele Cliffhanger auf einmal hatte ich noch nie ^^ Aber am Ende hatte ich wieder richtig Spaß an diesem Kapitel und die letzten sechs Seiten schrieben sich wie von selbst. ^^ Nur Sly und Ash haben im Moment eher Pause, obwohl ich eine Idee für Sly für dieses Kapitel hatte, die mir dann aber gespart habe, sie passt besser auf das nächste ^^ Hoffentlich kommt das diesmal etwas schneller, da ich aber mit Riesenschritten auf die Zwischenprüfung zugehe *zitter* wird natürlich auch meine Zeit etwas knapper. Aber ich verspreche, mir Mühe zu geben und habe hoffentlich die Schreibblockade überwunden ^^ Ganz liebe Grüße und danke, dass ihr mir trotz der längeren Wartezeit treu bleibt ^^ *wink* Dat Uly ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)