Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 38: I love you... (Part 4 of 4) --------------------------------------- Alex stürmte durch den Flur zum Aufzug. Sollte dieser dämliche Sack doch krepieren! Der Schwarzhaarige war stinksauer. Warum genau konnte er nicht sagen. Vielleicht weil David, trotz seiner blonden Haare, sofort durchschaute hatte, was wirklich los war. Dieser Kerl war nicht so blauäugig wie Jeremy. Er war ein echter Gegner. Und deshalb war es so sicher viel besser. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt! Mit einem „Ping“ öffnete sich die Aufzugtür. Alex setzte einen Fuß hinein und blieb dann wieder stehen. Er schaute zum Zugang der Feuertreppe. Vielleicht starb David eben elendig. Er hatte sich den Kopf angeschlagen, da war Blut gewesen. Unschlüssig schaute Alex zwischen Tür und Aufzug hin und her. David hatte das für seine beschissene Arroganz verdient! Es geschah ihm recht! Aber dennoch... Wenn der Anwalt drauf ging und man fand heraus, dass er hier gewesen war – und er hatte bestimmt genügend Beweise hinterlassen – dann war er dran. Unterlassene Hilfeleistung. „Ach Scheiße!“ Alex riss sein Handy aus der Tasche und wählte den Notruf. Er nannte die Adresse, das Stockwerk und die Art des Unfalls, dann rannte er zu David zurück und kniete sich neben ihn. Der Blonde hatte die Augen geschlossen, atmete flach. „Lass das, Dramaqueen!“, knurrte Alex, „Kämpf wie ein Mann und zieh gefälligst nicht so eine Show ab! Natürlich antwortete David nicht. Alex griff wieder zum Handy. „Jeremy! Schatzi!“ China McLean stürmte aus der Maske in den Raum, in dem das Fotoshooting stattfand. China war eine beeindruckende Erscheinung, über 1,90 m groß, farbig. Das lange lockige Haar wehte, als sie sich mit wogendem Busen näherte, auffällig geschickt trotz Highheels an den Lackstiefeln und einem knallengen Minirock. Auf ihren üppigen Busen war China mächtig stolz und im Moment sparte sie darauf, sich ‚das Würstchen abschnippeln zu lassen’, wie sie es selbst nannte. China hieß eigentlich Andy, aber sie war tödlich beleidigt, wenn man sie so ansprach. „China, bitte! Wir arbeiten!“, motzte der Fotograf. „Ach, Schatzi, mach dich doch nicht so wichtig!“, lachte China, „Du willst doch nur unseren leckeren Jungen ganz für dich haben!“ Jeremy lächelte ob des Kompliments. Er stand mit offenem Hemd und einer kniehohen engen Jeans in einer Kulisse eines modernen spartanisch eingerichteten Wohnzimmers, schwarze Möbel, weiße Wände, nur das Nötigste an Dekoration. Um seinen Hals und seine Handgelenke lagen eine Vielzahl an silbernen Ketten und Armbändern. „Jeremy, Schatzi, bei dir muss man als Frau echt aufpassen!“ China leckte ihren Zeigefinger ab und hielt ihn sich mit einem zischenden Geräusch an die Hüfte. „Besonders weil so eine Erektion im Minirock verdammt peinlich sein kann! Und unbequem!“, knurrte der Fotograf. „Was meinst du, wie unbequem erst der Absatz von meinem Stiefel in deinem rosa Knackarsch ist?!“ Die Maskenbildnerin, auf das –in legte sie Wert, stemmte ihre mit langen künstlichen Nägeln gezierten Hände in die Hüften. „China, worum geht es?“, mischte sich Jeremy ein. „Hach, Schatzi, das hätte ich fast vergessen!“ Sie wedelte mit Jeremys Handy. „Dein Telefon klingelt andauernd so penetrant, such dir doch mal einen anderen Klingelton, ich kenne da eine Seite, auf der du die echt günstig herunterladen kannst! Also echt, deine Melodie ist so...“ „China!“, fielen ihr Jeremy und der Fotograf fast gleichzeitig ins Wort. „Oh... ja...“ Sie strich sich Haare aus dem Gesicht. „Also, wie ich sagte, es klingelte so penetrant, dass mir bald die Dauerwelle hochging! Da bin ich mal dran gegangen.“ Ein kurzes Kichern, „Da war so ein Typ mit sexy Stimme dran, der meinte, du sollest ihn dringend anrufen.“ „Hat er seinen Namen genannt? David Vanderveer vielleicht?“ „Nein... nein, das war er nicht.“ Die Fingernägel kraulten über das Kinn, „Es war etwas mit A... Arthur... Armin... nein...“ “Alexander?“, half Jeremy auf die Sprünge. „Ja!“ China strahlte, „Ja! Genau das war es! Klang irrsinnig aufregend der Typ! Da kann ein Mädchen wie ich glatt schwach werden.“ „China.“ „Ich meine, die Typen lecken sich sowieso die Finger nach einer Sahneschnitte wie mir, aber sie...“ „Sie hören sofort auf damit, wenn die merken, dass die Sahneschnitte auch noch eine Zuckerstange zu bieten hat.“ „Ich gebe dir gleich Zuckerstange!“, motzte die Visagistin „China!“ „Ja doch, Schätzchen! Was denn?!“ „Mein Handy...“ Jeremy streckte ihm die Hand entgegen. „Bitte.“ „Ach so, na klar, Schätzchen.“ Sie reichte es ihm rüber, begleitet von einem Hinweis des Fotografen, dass Jeremy sich beeilen solle. Der Rotschopf wählte die Nummer seines Exfreundes und wartete auf das Freizeichen, er beobachtete dabei China, wie sie nun den Fotografen quer durchs Studio jagte, weil der schon wieder einen Kommentar über ihre Zuckerstange gemacht zu haben schien. „Alex. Du hast angerufen?“ „Verdammt, endlich gehst du ran!... Arschloch!“ „Wie meinen?!“ Jeremy starrte den Hörer an. „Nicht du! Das Arschloch, das mich eben geschnitten hat!“ „Alex, man soll nicht beim Autofahren telefonieren.“ „Behalt deine Ratschläge für dich und komm zum Krankenhaus! David ist eine Treppe runter gestürzt!“ „Was?!“ „Komm einfach!“ Alexander legte auf. Jeremy sah sein Handy an, er stand einfach nur da. Langsam glitt das Telefon aus seiner Hand und fiel auf den Boden. China blieb erschrocken stehen. „Schätzchen...?“ Der Rothaarige lächelte nur etwas abwesend. „Ja... ich... ja... ich muss ins Krankenhaus...“ Er trat zur Seite und fiel fast über den Sessel neben sich. „Ich muss ins Krankenhaus...mein Freund hatte einen Unfall... ich muss... ja, ich ... geh dann mal...“ „Du spinnst wohl!“ Die Visagistin lief zu ihm. „Ich fahre dich! Los,“, Sie zeigte auf den Fotografen, „gib mir deine Autoschlüssel!“ „Ist alles okay mit dir? Willst du wirklich nicht zum Arzt?“ Gary stand mit Marcus neben Colins Bett, sie hatten den Jungen zum Glück nach oben bekommen, ohne dass dessen Eltern etwas bemerkt hatten. Über kurz oder lang würden sie aber sicher dennoch von den Verletzungen erfahren. „Ja, danke. Ich brauche keinen Arzt“ Colin lag auf dem Rücken und starrte zur Decke. Seine Lippe war dick geschwollen, das Gesicht färbte sich bereits teilweise, morgen würde es wohl blau sein. Auch seine Seiten taten weh, überall spannte die Haut. „Kann ich noch was für dich tun?“ „Nein, schon gut. Kannst ruhig gehen.“ Marcus schaute seinen Freund etwas verdutzt an. Was war das denn gewesen, der Unterton war geradezu unhöflich. Und noch viel schlimmer: Undankbar. „Schon klar, du willst dich sicher ausruhen.“ Entweder hatte Gary es überhört oder er ignorierte es bestens. „Ich bringe dich noch raus.“ Marcus begleitete Jasons Bruder aus dem Zimmer, auf der Verbindungstreppe zum unteren Bereich blieb er jedoch stehen. „Es tut mir leid.“ „Was denn?“ Gary war schon zwei Stufen weiter und drehte sich nun um, Marcus und er waren dadurch plötzlich auf Augenhöhe. „Das er dich eben so rausgeworfen hat. Das ist nicht seine Art.“ „Ist doch egal.“ Gary legte ihm die Hand auf die Wange. „Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist. Das wäre schrecklich gewesen.“ Marcus schlug die Finger fast panisch weg, die Berührung hatte ein prickelndes Gefühl hinterlassen, dass er sich aber auf keinen Fall eingestehen wollte. „Lass das gefälligst! Wie soll das aussehen, wenn seine Mutter vorbei kommen würde!“ “Seine Schuld wenn er noch bei Mami und Papi wohnt.“ „Du wohnst bei deinem Bruder.“ „Noch. Und Jason geht mein Liebesleben nichts an.“ Gary lächelte süffisant. „Auf einmal halte ich es doch für eine gute Idee, wenn du dich verziehst, Gary.“ Der Brünette senkte den Blick. „Entschuldige, das war gemein von mir.“ „Oh, nein! Kein bisschen! Sei nicht immer so streng mit dir...“ Marcus streckte ihm die Zunge raus. „Ich bin nur sauer, du bist wegen ihm in Gefahr geraten!“ „Das ist doch Unsinn! Er konnte nichts dafür. Diese Kerle wollten ihn sich vorknöpfen, weil sie meinten, er habe Brandon eingeredet, schwul zu sein.“ „Und hat er das?“ „Mach dich nicht lächerlich bitte, ja? Dann habe ich dir auch eingeredet, dass du schwul bist.“ „Du hast mir nur gezeigt, dass es auch eine andere Art von Liebe gibt.“ „Wie poetisch, Gary, aber ich muss dich enttäuschen, auch andere Jungs haben Schwänze, ich bin nicht der einzige.“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Ich will aber dich.“ „Nicht schon wieder.“ Marcus atmete aus. „Meine Antwort bleibt die gleiche: Du kommst ein paar Monate zu spät.“ „Chris hat übrigens sein Gedächtnis wiedererlangt.“ Marcus glotzte Gary für einen Moment total blöd an. Der Themenwechsel war so abrupt und vor allem so unerwartet. „Wirklich?“ „Ja, es kam ganz plötzlich. Er ist wieder der alte Chris von früher.“ “Dem Himmel sei Dank, ich muss ihn unbedingt besuchen. Ich habe ihn so vermisst.“ „Er hat uns damals helfen wollen, zusammen zu kommen.“ So weit vom Thema ab waren sie also doch nicht. Marcus lächelte triumphierend. „Uns wollte er helfen, aber Colin und mich hat er aktiv zusammengebracht. Er hat gekuppelt wie ein Irrer. Komm gar nicht erst auf die Idee, ihn um Hilfe zu bitten, er würde es nicht tun.“ Gary presste die Lippen aufeinander. „Ich wollte dir nur sagen, woran du bist.“, fügte der Blonde hinzu. „Warum bist du so giftig, wir haben uns doch so gut verstanden...“ „Du hast dich verändert, Gary.“ „Das habe ich nicht.“ Jasons Bruder schaute ihm tief in die Augen. „Hast du nicht eher Angst, dass du merken könntest, wen du wirklich willst?“ Marcus’ Augen wichen seinem Blick aus, wanderten über die Schulter des Jungen zu Colins Mutter, die unten an der Treppe stand. „Gary würde gerne gehen, kannst du ihn zur Tür bringen?“ „Natürlich, Schätzchen.“, lächelte Mrs. Shephard. „Ich habe euch gar nicht heimkommen hören.“ „Colin wollte sich nach der Beerdigung etwas ausruhen, ich gehe gleich zu ihm.“ „Gut, ich störe euch nicht.“ „So war das nicht gemeint!“, lachte Marcus etwas verschämt. „Ich verstehe dich schon, mein Schatz!“ Die resolute Frau nickte nur. „Bye, Gary, danke.“ Der blonde Junge drehte sich einfach um und ging. Er wartete nicht auf eine Erwiderung von Gary, sondern betrat Colins Zimmer und schloss die Tür. Entsetzt blieb er stehen. „Warum bist du auf?!“ Colin hatte sich bis zum Schrank geschleppt und lehnte daran. „Ich wollte mal sehen, wo du bleibst...“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Ich habe noch mit deiner Mum geredet.“ „Nicht eher mit ihm.“ „Was soll denn dieser Unterton?“ Marcus schnaubte. „Geh wieder ins Bett, bitte.“ „Es geht schon...“ Dabei zuckte er zusammen. „Das sehe ich.“ Marcus ließ sich einfach nichts mehr erzählen, er ging zu seinem Freund, stützte ihn und führte ihn zurück zum Bett, Colin erlaubte es ihm, er hatte auch kaum eine andere Wahl. „Hat er was gesagt?“ „Was soll er gesagt haben?“, fragte Marcus verwundert. Colin drehte sich im Bett vorsichtig etwas auf die Seite. „Warum musstest du ihn anrufen?“ „Wir brauchten Hilfe.“ „Dann ruft man die Polizei! Oder Jason!“ Colin setzte sich auf. „Was meinst du, wie ich mich gefühlt habe?! Denkst du, es ist toll, vom Ex-Lover seines Freundes ins Auto getragen zu werden?!“ „Er ist nicht mein Ex-Lover!“ „Ihr hattet Sex!“ „Was wird das denn jetzt?!“ Marcus konnte nicht fassen, dass sie sich plötzlich anmotzten. „Er hat uns doch nur geholfen! Und wir hatten keinen Sex!“ „Ach, ich vergaß! Monica Lewinskis Blowjob bei Clinton war ja auch kein Sex!“ „Was soll das, Colin?!“ “Warum musstest du ihn anrufen?!“, wiederholte Colin. „Du magst ihn doch, dachte ich.“ „Da wusste ich noch nicht, dass du seinen Schw...“ „Sprich weiter und ich scheuer dir eine!“, knurrte Marcus. „Seit wann bist du so ein elender Macho?!“ Sie starrten sich kampflustig an, Colin hatte bereits den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern, aber er schloss ihn wieder und sank nach hinten. „Tut mir leid....“ „Danke, das sollte es auch.“ Doch Marcus lächelte dabei und setzte sich an die Bettkante. „Hab ich dich damit wirklich so verletzt?“ „Meinen Stolz... ein wenig. Ich finde es schon so schlimm, dass du wegen mir in diese Situation gekommen bist und dann musste er mich auch noch tragen.“ „Er hat dazu nichts gesagt.“, log Marcus. „Er war nur froh, dass er helfen konnte.“ Seine Finger strichen sanft über eine nicht verletzte Stelle am Körper seines Freundes. „Wir sollten bald zur Polizei gehen.“ „Was sollen wir da?“ „Was ist denn das für eine Frage? Du sollst Anzeige erstatten.“ Colin schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht tun, das bringt auch nichts.“ „Die haben dich zusammengeschlagen!“ „Aber jetzt ist es vorbei. Die haben sich ausgetobt und damit ist Schluss. Die wollten mir eine Lektion erteilen und damit hat es sich.“ „Wie kannst du das nur sagen? Diese Typen sind gefährlich!“ „Ich kenne sie, die werden Ruhe geben.“ Colin blieb hart, offenbar wollte er sich von seinem Standpunkt nicht abbringen lassen. „Ich habe doch nur Angst um dich.“ Nun wurde der Blick des Schwarzhaarigen doch deutlich weicher. „Ich weiß das, Kätzchen, aber glaube mir, es ist vorbei, ganz sicher.“ Marcus sagte nichts mehr, er dachte sich seinen Teil dazu. Colin schien fest davon überzeugt zu sein, diese Sache durch gestanden zu haben, aber Marcus war nicht so sicher, absolut nicht. Und die Wut auf Gary war auch noch nicht verraucht. Was dachte sich dieser Blödmann eigentlich? „Platz da! Platz da! Das ist ein Notfall! Platz da!“ Eigentlich musste China das nicht einmal rufen, aber ihre schrille Stimme unterstütze ihren beeindruckenden Auftritt noch. Es war beachtlich, dass ein Mann in einem Minirock und Highheels so schnell laufen konnte, aber China legte ein geradezu unglaubliches Tempo vor. Wenn das noch nicht dafür sorgte, dass alle zur Seite wichen und hinterher starrten, so war es sicher der Anblick des attraktiven jungen Mannes, den er hinter sich herzerrte. Jeremy hatte sich ja nicht umgezogen, nur sein Hemd leidlich geschlossen... einen Knopf. Seine knappen Jeans und die klirrenden Silberketten taten das Übrige. Die wilde Jagd endete am Schalter der Station. „Schätzchen, hör zu!“, China bestürmte sofort die Krankenschwester. „Das hier ist ein Notfall! Der Schnuckel hier muss sofort zu seinem Freund!“ Die ziemlich beleibte Schwester starrte ihn entsetzt an. „Schätzchen, hören Sie schwer?“ „Worum geht es denn hier überhaupt?!“ Jeremy schob sich an China vorbei nach vorn, er hatte seinen Schock langsam überwunden, auch wenn sein Herz immer noch wie wild schlug. „Mein Freund wurde hier eingeliefert. David Vanderveer. Ich würde gern zu ihm.“ „Sind Sie...?“ „Nein, ich bin kein Familienmitglied. Ich habe Ihnen doch eben gesagt, dass ich sein Freund bin. David ist mein Lebensgefährte. Seine Familie lebt in Denver und ist vielleicht noch nicht einmal benachrichtigt worden.“ „Jetzt geben Sie sich doch mal einen Ruck, Schätzchen! Schauen Sie sich diesen armen Jungen doch mal an! Er leidet!“ „China...“ „Ist doch wahr, Schatz! Nur weil diese Planschkuh dich nicht vorbei lassen will!“ „Also hören Sie mal, Sie... Sie....“ Die Schwester lief rot an. „Sie was? Schätzchen, nur weil ich hübscher bin als Sie, müssen Sie noch lange nicht ausfallend werden!“ „Sie haben mich doch als Planschkuh bezeichnet!“, ereiferte sich die Schwester, „Und Sie sind ja nicht einmal eine Frau!“ „Also das ist doch! Ich bin mehr Frau als Sie, Sie Nilpferd!“ Jeremy ging einfach. Hinter ihm wurden die Streitigkeiten immer lauter, er hoffte nur, dass China der Schwester nicht noch die Augen auskratzte, ihre künstlichen Nägel waren gefährlich. Er fuhr sich durch die Haare, verzog schmerzhaft das Gesicht, sie waren so vom Gel verklebt, dass diese Bewegung ziemlich wehtat. Etwas konfus eilte er durch die Gänge, bis er beinahe mit Alex zusammenstieß. „Da bist du ja!“ „Wo ist David?!“ „Er wird eben in den OP gebracht.“ Jeremy antwortete nicht mehr, er rannte einfach los, obwohl er nicht einmal wusste, wo genau der Operationssaal war. Sein Herz schlug wie wild, er musste David sehen. Auf jeden Fall. Es war so ein beklemmendes Gefühl, seinen Freund in den OP zu schicken, ohne noch einmal mit ihm zu reden. Wenn er nun... er konnte den Gedanken nicht beenden. Plötzlich blieb er abrupt stehen. Er sah nur blonde Haare, eine Liege neben der eine Schwester herging. „David!“ Der Rothaarige brüllte den Namen über den ganzen Gang. „David!“ Dann rannte er hinterher. Er hatte wirklich recht gehabt, die total verdutzte Schwester schaute ihn etwas perplex an, ebenso der Krankenpfleger, der die Liege schob. „Jeremy...“ „Hi, David...“ Der Blonde sah schlecht aus, er war blass, hatte einen Verband am Kopf. Seine Augen waren etwas glasig, doch er schien noch nicht unter Narkose. „Würden Sie uns... kurz allein lassen...?“, fragte er, an die Schwester gewandt. Sie schien kurz zu überlegen, nickte dann aber. „Ein paar Minuten.“ Sie sah den Pfleger an und beide gingen ein Stück weg. „Was machst du denn für Sachen?“ Jeremy wusste nicht so genau, was er sagen sollte. Davids Anblick erschreckte ihn. „Ich bin eine Dramaqueen...“ „Das kannst du laut sagen.“ „Du stehst aber auch auf... große Auftritte, was? Nettes... Outfit...“ Sein Freund lächelte. „Ich komme direkt von einem Shooting.“ „Extra für mich...?“ „David... du wirst operiert, was denkst du denn? Das ich nicht hier sein will?“ „Ich danke dir.“ Jeremy strich ihm über den Arm. „Das mache ich doch gern.“ Er hielt inne, weil ihm etwas auffiel, etwas, was er noch nie bei David gesehen hatte. „Weinst du...?“ Der Blonde tat es tatsächlich. Tränen liefen über seine Wangen und er fasste nach Jeremys Hand, hielt sie so fest er konnte. „Ich habe Angst...“ „Ich bin hier, die ganze Zeit!“ Jeremy legte auch die andere Hand auf die von David. „Ich bin hier.“ „Und du bleibst bei mir, oder? Egal was passiert?“ „Egal was passiert.“ Jeremy lächelte warm. „Egal was passiert, ich bin bei dir.“ „Ich liebe dich.“ In diesem Moment blieb die Zeit stehen. Zumindest kam es Jeremy so vor. Alle Geräusche verstummten, es gab keine Gespräche mehr, keine Schwestern, keine Lautsprecherdurchsagen, keine Patienten oder Besucher. Nichts. Nur David und ihn. „Was?“ Er hatte es sich so lange ausgemalt, wie er wohl reagieren würde, aber er konnte in diesem Augenblick nichts anderes sagen als ein ungläubiges ‚Was?’ „Ich liebe dich.“, wiederholte David, immer noch mit Tränen in den Augen. „Ich liebe dich.“ „Du... du hast so ein mieses Timing, du Mistkerl!“ Jeremy fing auch an zu weinen. Er beugte sich hinab und küsste David, nicht überschwänglich sondern einfach nur zärtlich und voller Liebe. Und er hoffte so sehr, dass es kein Abschiedskuss war. „Ich liebe dich auch...“ „Mr. Vanderveer?“ Die Schwester trat näher. „Wir müssen...“ Jeremy entfernte sich unwillig ein Stück, doch er nahm keine Sekunde die Augen aus denen von David, ließ seine Hand nicht los. „Wir sehen uns... ich warte auf dich.“ „Danke...“ David wandte den Blick zur Schwester. „Wir können.“ Der Pfleger schob die Liege weiter und Jeremy ging noch ein Stück mit, bis er nicht mehr durfte. Langsam glitt seine Hand aus der von David, dann musste er stehen bleiben. „Komm zu mir zurück...“ Gary schloss die Wohnungstür auf und wurde überschwänglich von Batman begrüßt, darauf folgte eine gesittetere und weniger feuchte Begrüßung durch Nicolai. Der junge Russe trug ein T-Shirt von Jason, was durchaus witzig aussah, er schien darin regelrecht zu versinken. Da aber seine sowieso spärlich ausfallende Auswahl an Wäsche im Moment das Innere der Waschmaschine begutachtete, hatte er, natürlich mit Erlaubnis, auf Jasons Kleiderschrank zurückgegriffen, bei Chris traute er sich nicht zu fragen. Jasons Bruder ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch in der Küche fallen und seufzte. „Wo ist denn die ganze Bande?“ „Jason und Chris sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Es ist etwas mit seinem besten Freund.“ „Was schlimmes?“ Gary setzte sich etwas auf. „Ich weiß es nicht. Willst du hin?“ „Nein... eigentlich nicht. David und ich sind nicht so dicke.“ „Das klingt aber herzlos!“, lächelte Nicolai. „Sollte es nicht... ich bin nur sicher keine Hilfe im Moment. Ich hab eben Marcus’ Freund nach Hause gebracht, er ist zusammengeschlagen worden, ein paar Homo-Hasser.“ „Vor so etwas hatte ich immer Angst...“ „Es waren wohl ehemalige Schulfreunde von ihm.“ „Toll...“ Nicolai lehnte sich an die Spüle. „Geht es ihm gut?“ „Er sieht aus, wie durch die Mangel gedreht, aber sonst... ja, es geht ihm gut. Aber ich zweifle an meinem Geisteszustand.“ „Das musst du mir erklären.“ Gary drehte sich zur Seite und schaute Nicolai direkt an. „Bin ich ein Arschloch, Nico?“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Weil ich mich so aufführe!“ Er gestikulierte etwas hilflos. „Ich habe Marcus eben erzählt, was für ein toller Kerl ich doch bin, dass mich diese Typen nicht hätten zusammenschlagen können, dass ich mich hätte wehren können. Ich hätte ihn nur noch bitten müssen, mal kurz Colins Hose runter zuziehen, damit ich ihm zeigen kann, dass mein Schwanz länger ist als der von seinem Freund.“ „Ist er das denn?“ „Ich meine, ich... was?“ Gary schaute ihn verdutzt an, Nicolai quittierte das mit hüpfenden Augenbrauen und einem anzüglichen Grinsen, er wollte den jungen Mann ablenken. „Du Blödmann!“, lachte Gary, „Was soll denn dieses Grinsen?“ „Soll ich messen, ich opfere mich gern!“ „Das denke ich mir!“ Gary sprang auf, was zur Folge hatte, dass Nicolai sich aus dem Staub machte. Jasons Bruder jagte den jungen Mann bis ins Wohnzimmer, einen freudig kläffenden Beagle Rüden ständig auf den Fersen. Endlich bekam er Nicolai zu fassen, dieser wehrte sich jedoch und sie fielen lachend auf die Couch. Ehe er es sich versah, lag Gary auf dem Russen, er lachte immer noch. Doch dann wurde ihm bewusst, wie nah er Nicolai plötzlich war, er spürte den schlanken Körper unter sich, ihre Nasenspitzen berührten sich fast. „Entschuldige!“ Er stand ruckartig auf, rückte seine Klamotten zurecht. „Schon okay...“ Nicolai strich sich Haare aus der Stirn und hoffte, dass Gary sein Herz nicht schlagen hören konnte, es klopfte im Takt eines Schnellzugs. „Du wolltest mich nur ablenken, habe ich Recht?“ „Du merkst auch alles.“ Der junge Mann erhob sich ebenfalls. „Hat es gewirkt?“ „Ich denke schon!“ Gary kicherte leise. „Wenn das einer gesehen hätte.“ „Hat ja niemand.“ Nicolai lächelte und schaute den anderen direkt an. „Du bist kein Arschloch, Gary, du bist nur verliebt und musst damit klar kommen, dass der Junge deiner Träume einen anderen hat. Das ist nicht leicht.“ „Aber ich will gar nicht so sein, das bin nicht ich!“ „Ich weiß und Marcus weiß das sicher auch. Mach dir keine Sorgen, ich wette, er hat dir schon längst verziehen.“ „Du schaffst es echt immer, mich aufzubauen.“ Nun lächelte auch Gary. „Ich bin froh, dass wir uns getroffen haben, du bist echt cool. Der beste Kumpel den ich je hatte. Was hältst du davon, wenn ich uns eine Pizza bestelle, danach rufe ich mal bei Jason an und frage nach, was los ist.“ „Mach das.“, nickte Nicolai. Gary verzog sich in den Flur, während Batman bei dem jungen Russen blieb. Nicolai setzte sich auf die Couch und hob den Rüden auf seinen Schoß. „Ja... ich bin cool und dein bester Kumpel...“, meinte er mit trauriger Stimme und kraulte den Hund langsam hinter den Ohren. „Ist das nicht toll? Ich bin sein Kumpel...“ Batman jaulte leise. Jason tigerte im Warteraum des Krankenhauses hin und her. Wie oft hatte er das nun schon getan. Dieses verfluchte Hospital. Er wünschte sich im Moment nichts sehnlicher, als niemals wieder hierher kommen zu müssen. So oft. So viele Male. Und immer musste er um das Leben eines geliebten Menschen bangen. Chris hielt Jeremy im Arm, der junge Mann starrte vor sich hin. „Er muss... er muss überleben...“ „Das wird er, Jem, das wird er.“ Jason schlug mit der Faust an die Wand, ein Ehepaar in der Ecke des Raumes zuckte zusammen. „Entschuldigen Sie...“ Er ließ die Schultern sinken. „Er liebt mich...“ Jeremy schaute zu Boden. „Er liebt mich... und das sagt er mir jetzt... ausgerechnet jetzt...“ „Er wollte, dass du es weißt. Für alle Fälle.“ „Chris!“, fuhr Jason dazwischen, „Sag so etwas nicht! Das darfst du nicht einmal denken!“ „Entschuldige, ich meine ja nur...“ „Nein! Ich will das nicht hören! Ich will nicht, dass du so etwas denkst!“, schrie ihn Jason an. Das Ehepaar erhob sich und verließ eilig den Raum. „Jason, beruhige dich.“ „Wenn ihr streiten wollt, geht gefälligst raus und lasst mich in Ruhe...“ Jeremy stand auf und ging ans Fenster. „Entschuldige.“, sagten beide gleichzeitig und sahen sich verblüfft an. Chris musste lächeln, Jason ging es nicht anders, aber dem Drang ihn in den Arm zu nehmen, unterdrückte er. Das wäre jetzt nicht fair gewesen. Dennoch machten ihm solche Momente wirklich klar, dass dieser Mann hier sein Chris war. Sein Chris, der endlich zu ihm zurückgekehrt war. Jeremy blickte aus dem Fenster auf die Stadt hinaus, er musste sich am Rahmen festhalten. Alex hatte weg gemusst und es war ihm auch recht gewesen. Er würde ihn noch fragen müssen, was er bei David gewollt hatte. Aber eigentlich musste er ihm dankbar sein. Nur wegen ihm war David gerettet worden. Oder zumindest hatte er durch ihn die Chance bekommen zu überleben. China war ebenfalls wieder weg. Sie hatte sich mit einem Pfleger angelegt, der in ihren Streit mit der Schwester hineingeplatzt war. Sie war wohl knapp an einem Hausverbot vorbei geschrammt. Hausverbot. Gab es so etwas in einem Krankenhaus überhaupt? Und warum dachte er über so etwas nach. Das war doch vollkommen irrsinnig. Er musste mit seinen Gedanken bei David sein. Bei seinem geliebten David. David liebte ihn. Er liebte ihn wirklich. „Verdammte Scheiße... David, komm zu mir zurück... bitte...“ „Hast du was gesagt?“ Chris trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nein, ich rede nur mit mir selbst...“ „Du musst nicht den Starken markieren. Es ist okay...“ „Nein, ist es nicht... ich muss stark für ihn sein.“ „Jeremy...“ Jason kam ebenfalls näher, „David würde nicht wollen, dass du...“ „Woher willst du wissen, was er will?!“ Jeremy fuhr herum, „Keiner von euch weiß, was er will! Das weiß ja nicht einmal ich! Und jetzt sind wir endlich zusammen und er sagt mir, dass er mich liebt und dann verliere ich ihn! Und das nur wegen dir!“ Er zeigte auf Jason. „Nur wegen dir! Er wurde wegen dir angeschossen!“ Jeremy verlor die Kontrolle. „Nur wegen dir! Du hättest diese Kugel abkriegen sollen, nicht er! Du! Du hast ihn mir weggenommen!“ Chris’ Hand klatschte in sein Gesicht. Einen Moment herrschte Stille. Jeremy starrte Chris an, er sah aus, als wolle er jeden Moment zurückschlagen, doch dann sank er regelrecht zusammen. Er sackte gegen die Wand. „Verzeiht mir...“ „Schon okay...“ Jason klang ein wenig hohl. Er würde es nicht zugeben, aber ein wenig hatte er das Gefühl, dass Jeremy vollkommen Recht hatte. Die Kugel war für ihn bestimmt gewesen, nicht für David. Ohne ihn wäre... „Entschuldigt mich!“ Er verließ einfach den Raum. Chris bedachte Jeremy mit einem wütenden Blick. „Es tut mir leid.“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Manchmal glaube ich, ich bin hier der Einzige, der jemals denkt, bevor er sein Maul aufmacht!“ Chris ging ebenfalls aus dem Zimmer. Er holte Jason auf dem Flur ein. „Wo rennst du hin?“ „Ich brauche frische Luft.“ „Komm schon, du solltest jetzt nicht abhauen! David braucht dich!“ „Er hat Jeremy! Und ich brauche jetzt frische Luft!“ Er ließ Chris stehen und stürmte weiter. „Du blöder Sturkopf!“ So leicht gab Chris nicht auf, er ging seinem Freund einfach hinterher, zunächst wortlos, bis sie vor dem Krankenhaus standen. „Wie lange willst du noch rennen.“ „Ich renne nicht...“ „Du läufst weg.“ „Und selbst wenn! Das geht dich nichts an!“ Chris stemmte die Hände in die Hüften. „Ich bin dein Freund, Jason! Glaubst du wirklich, dass mich das nichts angeht?!“ „Chris...“ „Nein. Ich habe genug davon, dass du bei jeder Gelegenheit den einsamen Helden spielst.“ „Ich bin kein Held.“ „Doch, das bist du, du hast mir das Leben gerettet.“ „Das ist was anderes!“ Jason winkte ab. „Das ist es eben nicht. Du bist ein Held! Du hast mir schon zweimal das Leben gerettet und du hast auch David gerettet, als er angeschossen worden ist!“ „Wegen mir!“, schrie ihn der Brünette an. Er holte kurz Luft, doch als Chris ihn nur entgeistert anstarrte, machte er gleich weiter, „Er ist wegen mir angeschossen worden! Jeremy hat schon recht mit dem, was er sagt! Es ist alles meine Schuld! Alles! Alles meine Schuld!“ „Dieses Selbstmitleid steht dir nicht.“, meinte Chris kühl. „Meinst du, das interessiert mich?“ „Darin warst du immer gut...“ Jason schenkte ihm einen fragenden Blick. „Du liebst es, dir die Last der ganzen Welt auf die Schultern zu laden. Du willst auf jeden aufpassen, hältst dich für verantwortlich, wenn es jemandem nicht gut geht. Das ist keine schlechte Eigenschaft, aber im Moment übertreibst du es.“ „Aber es ist doch wegen mir passiert.“ „Nein, Jason“, Chris schüttelte den Kopf, „wenn jemand verantwortlich ist, dann bin ich das, oder nicht? Dave wollte mich. Du solltest deswegen sterben und auch jeder andere, der mir lieb und teuer war, das hat er mir angedroht, sollte ich mich ihm nicht fügen. Alles was hier geschehen ist, der Tod deines Kollegen, Davids Leiden, Jeremys Kummer, die Mordanschläge auf dich. Alles geschah wegen mir. Und jetzt hör endlich auf, in Selbstmitleid zu baden!“ Den letzten Satz hatte er geschrieen, mit jedem Wort waren mehr Tränen aus seinen Augen getreten, zum ersten Mal stellte sich der Blonde all dem, was wegen ihm über seine Freunde und seinen Liebsten hereingebrochen war. Er stand mit geballten zitternden Fäusten da und weinte. Jason kam zu ihm und schloss ihn einfach in die Arme. „Es tut mir leid...“ Chris antwortete nicht, er weinte in Jasons Armen, presste sich an ihn und ließ endlich alles raus, was er bisher in sich vergraben hatte. All die Schuldgefühle, die ihn seit der Rückkehr seines Gedächtnisses quälten und mit jedem Detail, das er erfahren hatte, schlimmer geworden waren. Eine halbe Stunde später kniete Jeremy in der Kapelle des Krankenhauses nieder. Der kleine Raum hatte ein paar recht hübsche Bundglasfenster und einen einfachen Altar. Mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen betete er. „Ich weiß, ich bin nicht das Paradebeispiel eines Gläubigen... ich habe außerehelichen Sex... und dann noch mit einem Mann...“ Er lächelte. „Aber man hört doch immer, dass du ein gütiger Gott bist... deswegen... auch wenn ich entgegen aller kirchlichen Gesetze lebe... bitte, nimm mir David nicht weg... er ist mein Leben... ich liebe ihn so sehr...“ Eine Träne rann über seine Wange. „Nimm ihn mir bitte nicht weg... bitte...“ Die Tür der Kapelle wurde leise geöffnet und Schritte näherten sich. Zwei Personen. Jason und Chris knieten sich neben den jungen Mann, jeder auf einer Seite. „Verzeiht mir... meine Nerven liegen blank...“, flüsterte der Rothaarige. Jason legte ihm nur die Hand auf Schulter, Chris seine auf den Arm. „Lass uns einfach für David beten, ja?“, fragte Jasons Freund. Jeremy nickte und schloss wieder die Augen. Das Paar tat es ihm nach. Der Abend dämmerte über San Francisco. Durch die Fenster schien die Abendsonne und tauchte alles in blutrotes Licht. Sie zeugte vom Ende eines langen Tages. Eines Tages, der scheinbar eine Ewigkeit gedauert hatte. Für Jeremy war es der längste Tag seines jungen Lebens gewesen. Nur Jason und Chris hatten ihn aufrecht gehalten. Sie hatten lange geredet, über alles. Entschuldigungen waren getauscht worden und viel Offenes geklärt. Am Ende hatten die drei nur noch Anekdoten über David erzählt. Jason hatte ihnen davon berichtet, wie sie sich kennen gelernt hatten und Chris davon, wie er zuerst schrecklich eifersüchtig auf David gewesen war, weil er wusste, dass David früher mit seinem Freund geschlafen hatte. Jeremy erzählte Einzelheiten von der endlosen Odyssee, die er mit dem Blonden erlebt hatte, bis sie endlich kurz nach Weihnachten zusammen gekommen waren. Und dann kam der Moment da sie sich dem Schicksal stellen mussten, der Augenblick als das Licht über dem OP verlosch und ein sichtlich erschöpfter Doktor Pierce heraus kam. Chris hielt Jeremys Hand, als die drei auf den Arzt zugingen. „Was treibst du da? Komm ins Bett.“ Ben setzte sich auf. Ihm war langweilig so allein zwischen den Laken. Er musterte den schwarzhaarigen Mann, den er vor ein paar Stunden in einem Café aufgerissen hatte. Oder hatte er ihn abgeschleppt? Eigentlich war das ja egal, sie hatten sich regelrecht das Hirn rausgevögelt, nur das zählte. Jetzt hockte der Kerl am Laptop und starrte dauernd auf sein Handy, ganz als wäre er unsichtbar. „Hey?! Hallo?!“ „Ich höre dich...“ “Dann wäre es ganz furchtbar nett von dir, wenn du mir mal antworten würdest.“ „Was soll ich denn sagen?“ „Dein Name wäre ein Anfang.“ „Alexander.“ Jeremys Exfreund drehte sich um. „Mein Name ist Alexander.“ „Benjamin.“ „Smalltalk beendet?“ Er lächelte süffisant. „Die meisten sind nach dem Sex nicht so gesprächig.“ „Und die meisten lassen ihre Partner nicht sofort sitzen und werfen sich vor ihre Flimmerkiste und spielen lieber mit ihrem Handy, statt mit dem Schwanz ihres...“ „Ich habe verstanden.“ Alex stand auf und klappte den Laptop zu. Auch das Handy schloss er, doch er trug es mit sich zum Bett. Er kroch hinein. „Du nimmst dein Handy mit zu mir?“ „Du bist offenbar sehr von dir eingenommen.“ Ben lachte auf und fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare. Er lehnte sich an die Wand. „Du bist schlagfertig...“ Der junge Mann verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Wartest du auf einen Anruf von deinem Lover? Ist das nicht riskant, wenn ich bei dir im Bett liege?“ „Ich warte nicht auf den Anruf meines Lovers.“ „Ich frage nicht noch einmal. Sag mir, worum es geht oder lass es und leg mich noch mal flach. Entscheide du.“ Alex lächelte und schaute zur Decke. „Ich warte darauf, dass ich eine Nachricht darüber kriege, wie die OP des Mannes ausgefallen ist, den ich am meisten auf der ganzen Welt hasse.“ „Das klingt ja dramatisch.“ „Es kommt noch besser.“ Der Schwarzhaarige kraulte über den nackten Oberschenkel, der unter der Decke hervor ragte. „Ich habe ihn heute schon davor bewahrt zu sterben...“ „Was hat er dir getan?“ „Er hat mir den einzigen Menschen weggenommen, den ich je wirklich geliebt habe. Er ist jetzt mit ihm zusammen statt mit mir... und ich habe ihn quasi auch noch aktiv in seine Arme getrieben.“ „Das ist der Stoff für eine Seifenoper, Süßer.“ Ben lachte leise. „Was du nicht sagst... aber das Ende ist noch offen. Vielleicht ist der große Antagonist schon tot... oder wird es bald sein.“ Alexanders Finger tanzten hinab zum Knie und blieben dort liegen. „Oder er wird für den Rest seines Lebens ein erbärmlicher Krüppel sein... oder eben der Gewinner. Er kriegt sein Leben und den Mann. Und ich nichts.“ „Du solltest wirklich fürs Fernsehen arbeiten. Oder Autor werden. Du verstehst etwas von Dramatik, mein Freund.“ Alex antwortete nicht und klappte erneut sein Handy auf, obwohl es laut war. Er würde sowieso mitbekommen, wenn eine SMS oder ein Anruf käme. „Auf was hoffst du?“ „Hm?“ „Auf was du hoffst.“ Ben lächelte ihn an und beugte sich vor, um Küsse auf der nackten Brust seines Partners zu verteilen. „Was wünscht du dem großen Antagonisten? Den Tod?“ Eine Zeit lang herrschte Schweigen. „Nein... ich glaube ich wünsche ihm noch nicht einmal, dass er ein Krüppel wird...“ „Ich dachte du hasst ihn?“ Ben knabberte an einer Brustwarze. “Ja... das tue ich auch...“ Alex keuchte leise auf und schob seine Hand in den Haarschopf seines Liebhabers. „Aber ich werde derjenige sein, der ihn richtet... der sein Leben aus den Angeln hebt und ihm zeigt, wie es ist, am Boden zu liegen.“ „Du bist ja diabolisch...“ Bens Zunge glitt den straffen Bauch hinab. „Nein... ich bin nur für ausgleichende Gerechtigkeit.“ Jeremys Exfreund drückte den Kopf des jungen Mannes in seinen Schritt. „Ja... Gerechtigkeit.“ David öffnete langsam die Augen, es war so anstrengend, wie noch nie in seinem Leben. Fast als wären die Lider zugeklebt. Wie lange hatte er geschlafen? In seinem Kopf tanzte Nebel einen wilden Reigen. Er musste erst versuchen, ihn zu lichten. Ganz behutsam. Immer ein Stück weiter vortasten. Das Licht im Raum blendete den blonden Mann, er kniff die Lider wieder zu, kurz streckten sich die warmen und verlockenden Finger der Bewusstlosigkeit nach ihm aus, doch er schüttelte sie ab. Wieder die Augen öffnen. Ganz langsam. Der Anblick der sich ihm bot war wundervoll. Jeremy. Er saß neben seinem Bett und sah ihn an. „Hi...“ Wessen Stimme war das? Die klang so kratzig. So merkwürdig und unecht. „Hallo, mein Schatz.“ Dann war es seine Stimme gewesen. Jeremy reagierte darauf. Also musste es seine Stimme sein. David streckte seinem Freund die Hand entgegen. Unendlich langsam, aber mit absoluter Beharrlichkeit. „Hi...“, lächelte er wieder. „Hi.“ Jeremy nahm die Hand, drückte sie. Dicke Tränen rannen über seine Wangen. „Warum... warum weinst.... du...“ David musterte seinen Freund verwirrt, „Ist wer.... jemand... ist jemand gestorben...“ „Nein!“, lachte der Rotschopf, „Nein! Du hältst meine Hand!“ „Ja... und?“ „Du kannst dich bewegen, David. Du kannst dich bewegen. Du kannst meine Hand halten.“ „Ja... das konnte ich doch schon immer...“ David lachte albern. „Du bist lustig!“ „Ja, Schatz, das bin ich wohl.“ Jeremy beugte sich vor und küsste die Nase seines Liebsten. „Ich bin lustig.“ „Lustig...“, wiederholte der Blonde, „Du bist so lustig...“ Er lachte immer noch. Jeremy weinte immer noch vor Glück. Die OP war bestens verlaufen. David hatte eine leichte Gehirnerschütterung aber keinerlei Anzeichen auf ein Blutgerinnsel durch den Sturz. Sein Handgelenk war gebrochen, aber das würde heilen. Die Behandlung an seinem Rücken war lang und beschwerlich gewesen und er würde noch eine ganze Zeit mit den Nachwirkungen zu kämpfen haben. Aber er würde wieder laufen können, seine Arme benutzen. Alles. Wie früher. Ohne Ausfallerscheinungen. Ohne Angst um sein Leben. „Du bist so lustig!“, kicherte David schon wieder, „Du bist so lustig... und ich liebe dich...“ Jeremy lächelte ihn an. „Ich liebe dich auch... ich liebe dich so sehr.“ Die Tür wurde geöffnet und Chris und Jason kamen herein. „Hallo, David.“ „Sunshine!“, grinste der Blonde, „Sunshine! Jeremy ist lustig!“ „Die Narkose scheint gutes Zeug gewesen zu sein.“ Chris trat näher. „Na, du?“ „Chris... Jeremy ist lustig... und ich liebe ihn...“ „Ich weiß, David.“ Jasons Freund strich dem Anwalt sanft über die Stirn. „Du bist einmalig.“ „Ihr seid alle lustig!“ Jason nahm seinen Freund in den Arm und legte Jeremy die Hand auf die Schulter. „Was, wenn er so bleibt?“ Der Rothaarige grinste, zum ersten mal seit langem wieder richtig glücklich und von einem Ohr bis zum anderen. „Dann... wird es lustig.“ ~~~ Dieses Kapitel ist so kurz, wie schon lange nicht mehr, nur knapp 13 Seiten und ich habe trotzdem länger als für alle zuvor gebraucht. Sorry, dass ihr so lange warten musstet. Die letzte Zeit war ziemlich turbulent. Ich habe mich von meiner langjährigen Freundin, nein, Verlobten, getrennt, zum Glück in Freundschaft. Aber dieser Schritt zog eine Menge Konsequenzen nach sich. Das Ende von 5 ½ Jahren Beziehung, Aufteilen von drei Jahren gemeinsamer Wohnung, ein Umzug von Rheinland-Pfalz zurück ins Ruhrgebiet, die Exmatrikulation an meiner Uni. All dies hat meine Kreativität doch etwas angegriffen, zum ersten Mal habe ich über vier Wochen nicht ein Wort an RtPym geschrieben. Auch jetzt fielen mir die Szenen noch schwer, es ging mir nicht so leicht von der Hand wie sonst, obwohl ich mich schon so lange auf die Auflösung des Plots um Davids Verletzung gefreut habe. Eigentlich sollten in diesem Kapitel noch andere Aspekte angesprochen werden, besonders die Nachwirkungen von Chris’ Martyrium, aber letztendlich habe ich mich anders entschieden. Auch wenn dieses Kapitel dadurch sehr kurz ist, so soll es doch voll und ganz David gehören, mal abgesehen von ein paar kleinen Szenen um Marc, Colin und Konsorte. Zusätzlich ist im Moment meine Betaleserin Alaska mit Veränderungen in ihrem Leben eingespannt und für fünf Tage unterwegs, Zuckerfee hat auch eine Menge um die Ohren, deswegen übernahm Schnuffimaus kurzfristig die Aufgabe der Korrektur. RtPym ist seit fast zwei Jahren ein Teil meines Lebens und deswegen will ich dieses Nachwort nutzen, um noch einmal zu sagen, wie leid mir das alles tut. Schnuffimaus, ich danke dir für all die schönen Jahre, für all das, was du für mich getan hast, was ich durch dich erreichen und erleben durfte. Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen behalten und ich hoffe, dass ich dir helfen kann, über meine Entscheidung hinweg zu kommen. Ich bin sehr froh, dass du trotz allem Teil meines neuen Lebens bleiben wirst. Ich habe dich lieb. Und euch anderen, danke für eure Treue, ich bin im Moment in einer sehr emotionalen Stimmung, deswegen musste ich das noch loswerden. Euer Uly Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)