Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ Prolog: Prolog – Niederkunft ---------------------------- 21. August 1882 – Kalifornien   "Was denkst du, Mary?", Richards warme braune Augen ruhten fragend auf den angespannten Gesichtszügen seiner Frau. Mary hatte den Blick in die Ferne gerichtet. Ihr langes blondes Haar wiegte sanft in der Sommerbrise, doch all die Schönheit dieses Tages vermochte ihre Stimmung nicht zu heben. Weder die singenden Vögel, die die Körner auf den Feldern um das alte Landhaus zusammenpickten, noch die Bienen und Hummeln, die von Blume zu Blume flogen und die Wiese mit ihrem leisen Summen erfüllten. Marys Hände lagen gefaltet auf ihrem gewölbten Bauch. Sie war schwanger. "Ich sorge mich", erklärte Mary, nachdem sie ihren Gemahl weitere endlos anmutende Minuten hatte warten lassen, "ich sorge mich um unser Kind." Ein mitfühlendes Lächeln breitete sich über Richards Lippen aus. "Unser Kind wird es gut haben." Er griff ihre Hand und strich mit dem Daumen sanft über ihre Wange. "Das Haus meiner Eltern ist gut, wir können darin wohnen und irgendwann wird unser Sohn die Farm übernehmen. Bis dahin, wird er mit uns die Felder bestellen und die Tiere versorgen. Es wird wunderbar." "Woher weißt du, dass es ein Junge ist, der unter meinem Herzen liegt?" Mary hatte ihre sorgenvollen Blicke auf ihren Gatten gerichtet. Richard lächelte. "Ich weiß es eben. Alles wird gut." Er drückte ihre Hand und erhob sich von der alten, hölzernen Bank, die im Schatten einer großen Eiche am Rand des Hofes stand. Marys blaue Augen hatten ihren Mann eindringend fixiert, als dieser so unbekümmert vor ihr stand. Noch immer zeichneten sich unerschütterliche Sorgen in ihrem jungen Gesicht ab, die keines seiner Worte hätte zerschlagen können. "Ich bete, dass du Recht behältst", flüsterte sie und streckte ihre Hand nach ihm aus, dass er ihr aufhelfen möge. Richard brachte sie zurück ins Haus und begleitete sie in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Sie war müde und wollte sich ausruhen – wie jeden Tag. Die Schwangerschaft war anstrengend geworden. Mit jedem Tag sehnte Mary sich die Geburt herbei und konnte es kaum mehr erwarten, dass sie endlich wieder all das tun konnte, was sie vorher so geliebt hatte. Sie wollte wieder ausreiten und den Wind in ihrem Haar spüren, wenn ihr Pferd im vollen Galopp durch die Wiesen pflügte und die Vögel aufgescheucht davonflogen. Nur noch ein paar wenige Wochen, dann wäre es soweit. Dann würde sie Mutter sein und alles würde sich verändern.   —   "Richard!" Marys Stimme drang heiser an sein Ohr. Ihre Finger hatten den Arm ihres Gatten fest umklammert. "Richard, wach doch auf!" Er öffnete die Augen. Im Zimmer war es stockdunkel. "Was ist?" Er hatte sich seiner Frau zugewandt und wollte seine Hand beruhigend auf ihre Wange legen, als ein schmerzerfüllter Schrei den Raum durchdrang. "Hol den Arzt!", flehte Mary, als ihr Körper sich unter Schmerzen zusammenkrümmte. Augenblicklich sprang er aus dem Bett und stürzte davon, so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Er eilte die Stufen hinunter und hämmerte an das Schlafzimmer seiner Eltern. "Vater! Mutter! Schnell! Mary braucht Hilfe!" Das Herz in der Brust des jungen Mannes schlug schnell und schmerzvoll gegen seine Rippen. Es würde fünfzehn Minuten dauern, bis er das Haus des Arztes erreicht hatte. Er musste sich beeilen. Sorge und Angst trieben ihn mit Peitschen eilig vor sich her. Es war zu früh für die Geburt.   Die Hufe seines Pferdes hallten laut durch die Nacht. Die Lichter der Häuser waren beinahe erloschen und friedliche Ruhe lag über der Stadt, als Richard atemlos auf weichen Knien an die Türe des Arztes hämmerte. "Doktor! Wachen Sie auf, meine Frau braucht auf der Stelle Ihre Hilfe!" Richard bemühte sich, dass seine Stimme fest und sicher klang, doch das Zittern seines Körpers hatte auch vor seinen Stimmbändern nicht haltgemacht. Immer wieder schlug er gegen die Türe. Schier endlos verstrichen die Sekunden, bis das Holz unter seinen Fäusten endlich zurückwich und ein bärtiger, alter Mann in Richards erstarrtes Gesicht blickte. "Mr. Paine, was bringt Sie zu solch später Stunde noch an mein Haus?" Der Arzt schien Richards Hilferufe im Schlaf nicht verstanden zu haben. "Mary braucht Ihre Hilfe. Jetzt gleich!", wiederholte er sein Anliegen. Er stützte sich an die Hauswand. Sein Kreislauf wollte ihm den Dienst versagen. Nicht! Nicht jetzt! "Bitte beruhigen Sie sich." Dem Arzt war Richards Verfassung nicht entgangen. "Ich bin sofort zurück." Richard sah ihm nach. Seine Nerven lagen blank und sein Herz drohte ihm aus der Brust zu springen, wenn ihm nicht sofort jemand sagte, dass alles gut werden würde. Doch niemand tat es. Niemand legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schultern, wie Mary es getan hätte, wenn sie mit ihm hier gewesen wäre. "Mr. Paine, ich mache mich auf den Weg", sagte der Arzt nur wenige Augenblicke später und Richard öffnete seine Augen. Er nickte. "Nehmen Sie mein Pferd, dann sind Sie schneller. Ich werde laufen." Der ältere Mann lächelte sanft, dann eilte er die steinernen Stufen vor seiner Haustüre hinunter und schwang sich auf den Rappen. Richard blieb zurück und lauschte den Schritten seines Pferdes, die den Doktor geschwind aus der Stadt und hinaus zum Hof seiner Eltern trugen. In diesem Moment fühlte er sich unsagbar machtlos. Gott ... lass es gut enden ...   —   Es knackste und knirschte unter Richards Füßen, während er keuchend die langen Feldwege entlang rannte. Seine Lungen brannten und seine Augen tränten vom Wind, als endlich sein hell erleuchtetes Elternhaus hinter diesem letzten, kräftezehrenden Hügel in Sicht kam. Es ging bergab und die Erde unter ihm schien ihn zu Fall bringen zu wollen, je schneller er wurde. Sie schaffte es nicht. Richard hetzte unaufhaltsam seinem Ziel entgegen. Die Haustüre stand offen und er wurde langsamer, als er den Doktor auf den Hof treten sah. Er wagte nicht zu fragen. Der alte Mann hatte den Blick gesenkt. Er hob ihn, als er Richards Schritte näher kommen hörte. Ein gequältes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. "Nein ..." Richard musterte fassungslos das schwermütige Gesicht des Arztes. "Es tut mir leid, Mr. Paine. Ich konnte Mary nicht-" "NEIN!" Ein wütender Schrei unterbrach den alten Mann und ließ ihn zusammenfahren. Richard eilte ins Haus. Er wollte das nicht hören und noch weniger wollte er es glauben. Mary war zu gut und zu liebevoll, um einfach so vom Angesicht der Erde getilgt zu werden. Die Welt brauchte Menschen wie Mary, sie machte sie zu einem besseren Ort. Fröhlicher und lebendiger, als alles was Richard je zuvor gesehen hatte. Er hatte seine Hand ruhig auf die Klinke der Schlafzimmertür gelegt. Drinnen war es still, er konnte keinen Laut vernehmen, nur sein eigenes Herz, das erbarmungslos in seiner Brust dröhnte. Es setzte aus. Für die Dauer eines Atemzuges hatte es aufgehört zu schlagen. Richard blickte in sein Schlafzimmer. Ein blutbeflecktes Laken bedeckte den leblosen Körper seiner Frau. Sie muss schlafen! Eine Geburt ist anstrengend ... Sie schläft. Lügen wanden sich durch seine Gedanken, er wusste das, doch zu gerne wollte er ihnen Glauben schenken. Wie in Trance ging er näher an sein Bett heran. Er würde sie aufwecken und alles wäre wieder in Ordnung. "Mary?" Er kniete neben dem Bett und zog das Laken ein Stück zur Seite. Ihr Gesicht sah friedlich aus, ruhiger und leerer als er es in Erinnerung hatte. "Mary, wach auf." Vorsichtig legte er seine Fingerspitzen an ihre kühle Wange. "Du musst aufwachen." Eine starke Hand packte seine Schulter. "Du kannst nichts mehr tun, Richard" Sein Vater sprach mit tiefer, ruhiger Stimme zu ihm. Richard schüttelte den Kopf. "Ich warte einfach, bis sie wieder aufwacht." "Das wird sie nicht... sie hat es nicht geschafft." Ein dumpfer Stich durchbohrte seinen Kopf wie ein Speer und blieb in seinem Herzen stecken. Tränen versperrten ihm die Sicht und sein Körper drohte in sich zusammenzufallen. Was war sein Verbrechen, dass Gott ihm seine Mary nahm? Das schöne Mädchen, in das er sich vor vier Jahren so unsterblich verliebt hatte, als es ihr Kleingeld vor seinen Füßen hatte fallen lassen, weil es zu nervös gewesen war, den einen Liter frische Milch zu bezahlen. Jetzt war sie tot? Das konnte nicht sein. "Das ist sie nicht", sagte er leise und legte seinen Kopf neben ihren auf das Kissen. "Richard!" Sein Vater wurde lauter. Er packte ihn mit beiden Händen an den Schultern und zog ihn vom Bett. "Sieh es ein, Richard! Gott hat sie geholt! Sie ist jetzt bei ihm." Richard wollte sich losreißen. Er versuchte sich aus dem festen Griff seines Vaters zu lösen, doch seine Muskeln waren weich wie Butter. "Lass mich los! Gott hat mich verraten!", fluchte der junge Mann laut, "Er soll sie zurückgeben!" Ein lautes Klatschen hallte durch das Zimmer. "Sag das nie wieder!" Sein Vater sah ihn finster an. "Der Herr hat mich verraten!", wiederholte Richard seine Worte lautstark und wurde dafür von seinem Vater mit einer zweiten Ohrfeige bestraft. "Joseph ... lass den Jungen." Richards Mutter stand in der Türe. "Lass ihn doch trauern." Joseph nahm die Hände von seinem Sohn. Richard sah zu, wie sein Vater wütend den Raum verließ und richtete die Blicke auf seine Mutter, die ein kleines Bündel in den Armen hielt. "Mutter ..." Seine Augen waren hilfesuchend auf die gutmütige Frau gerichtet, die langsam zu ihm herüberkam. Sie lächelte sanft: "Richard ... Du bist Vater." Sie übergab ihm das kleine Päckchen aus Decken. "Es ist ein Mädchen." Er zögerte nach unten zu sehen. Er wollte, doch er wagte es nicht, aus Angst was ihn erwarten würde. "Sieh sie dir an, sie sieht aus wie Mary", sagte seine Mutter ruhig und ließ ihn alleine mit seiner Tochter zurück. Richard fühlte sich taub. Sein ganzer Körper war gelähmt. Ein leises Wimmern klang aus seinen Armen. Er blickte hinunter in die leuchtend blauen Augen seiner Frau. Nein, seiner Tochter, und wieder flossen Tränen über seine Wangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)