Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 005 – Talfahrt -------------- Ich verkroch mich sieben volle Tage in meinem Zimmer. Verließ es nur, wenn es nicht anders ging und vermied jeglichen Kontakt. Meine verdiente Einsamkeit betäubte mich von Tag zu Tag mehr. Die Tränen, die mein Kopfkissen durchtränkten, wurden weniger und ich glaubte, dass es möglich sein konnte, mein Leben auf diese Weise zu führen. Abgeschirmt von der Außenwelt, unsichtbar, taub und stumm. Es war Heiligabend und ich fühlte mich wie damals, an meinem ersten Weihnachtsfest im Kloster, verraten und alleingelassen. Es schmerzte darüber nachzudenken wie mein Vater die kommenden Tage verbringen würde. Mit seinen Kindern und Elizabeth vor dem Kamin. Morgen würde ein Festmahl aufgetischt und sie würden glücklich zusammensitzen, Geschichten erzählen, singen und keinen einzigen Gedanken an mich verschwenden. Noch schmerzhafter waren die Gedanken, die ich an Christina verlor. Trotz ihres Verrats, vermisste ich ihre Nähe. Es mochte Dummheit sein oder Verzweiflung, doch noch immer klammerte ich mich an den Gedanken, ihr eines Tages noch einmal nahe sein zu können. Ich stellte mir vor wie es wäre, wenn sie vor mir stünde, sich entschuldigte und dem Kloster den Rücken zukehrte, um bei mir zu sein. Ein schöner Traum, der mich in all der Dunkelheit begleitete, egal wie grausam jedes Erwachen war. Ein leises Knurren holte mich aus meinen Gedanken. Ich hatte seit gestern morgen nichts mehr gegessen und aufs Neue kam der Hunger zurück, den ich seit Stunden zu bekämpfen versuchte. Auf meinem Nachttisch lagen noch ein paar Brotkrumen, die von meiner letzten Mahlzeit übrig waren. Davon satt zu werden war unmöglich. Ich musste mich aufraffen. Noch konnte ich Glück haben und ein gutes Brot bei einem der Bäcker in der Nähe bekommen. Ich musste mich beeilen, löste mich schweren Herzens von der Fensterbank, die in den letzten Tagen meine größte Stütze gewesen war, und zog mein Sonntagskleid über. Es war zerknittert und etwas schmutzig von meinem letzten Einkauf, doch ich hatte keine Möglichkeit es ordentlich zu säubern. Der Waschraum in dieser Herberge war dreckig und stank und ich bezweifelte stark, dass man darin sauber werden konnte. Es musste so gehen. Ich nahm das kleine Täschchen unter meinem Kopfkissen hervor und schüttete den Inhalt klimpernd auf mein Bett. Keine fünf Dollar? Mir wurde unangenehm warm, als ich noch einmal hastig in die Tasche griff, um zu prüfen, ob ich etwas übersehen hatte. Sie war leer. Es lagen noch drei Dollar und elf Pennys vor mir, nicht genug, um noch eine weitere Nacht bezahlen zu können. Ich zog eilig den Koffer unter meinem Bett hervor und entleerte ihn neben dem kleinen Häufchen Geld auf meinem Bett, kontrollierte alle Taschen und untersuchte jeden Winkel, in dem sich hoffentlich ein paar Scheine versteckten. Meine Suche war nicht von Erfolg gekrönt. Ich zwang mich ruhig zu bleiben, atmete tief und gleichmäßig und betrachtete meine laienhaft gebundenen Kurzgeschichtensammlungen, die sich zwischen meiner Kleidung versteckt gehalten hatten. Ich fühlte, wie sie nach mir riefen und mir war klar, was sie wollten. Ich hatte kaum noch Geld, doch ich wusste, wie ich mir etwas verdienen konnte. Wenn ich es schlau anstellte, lagen hier noch zwanzig Dollar. Ich sammelte die Heftungen zusammen und verstaute sie ordentlich in meiner Tasche. Es sollte ein Leichtes sein, an einem Tag wie heute ein paar Groschen aufzutreiben. In spätestens zwei Stunden würde ich mich wieder in mein Versteck zurückziehen können. Ein Hauch von Zuversicht straffte meine Schultern, als ich mein Zimmer verließ. Zum ersten Mal seit einer Woche passierte ich erhobenen Hauptes die eigenwillige Empfangsdame, bevor ich hinaus auf die Straße trat. In dieser Gegend waren nie viele Menschen unterwegs, doch das würde mich nicht davon abhalten meinen Plan zu verfolgen. Ich schlug den Weg zum Bäckerei ein, um meinen Hunger zu besiegen und gestärkt ans Werk zu gehen. Es war noch Vormittag und der süßliche Duft des Gebäcks hüllte mich in eine wohlige Wolke, als ich die kleine Stube betrat, in der die Bäckersfrau die Waren verkaufte, die ihr Mann zu frühster Morgenstunde gebacken hatte. Die Auswahl war drastisch reduziert, doch für mich genügte ein einfaches frisches Brot, um satt zu werden. Die Bäckersfrau lächelte, als sie mir den Laib überreichte. Ich dankte ihr. Es tat gut, nach all der Zeit in ein freundliches Gesicht zu blicken, das mich einfach als Kundin betrachtete. Ich hätte noch ewig diese Wärme in mir aufsaugen können, doch ich hatte zu tun. Ich ging zurück in die Kälte, brach ein Stück Brot ab und steckte den Rest in die Tasche zu meinen Geschichten. Ich aß, während ich nach möglichen Käufern Ausschau hielt und mich weiter Richtung Norden bewegte. Die Hauptstraßen wagte ich nicht zu verlassen. Obwohl es noch hell war, verströmten die schmalen Seitengassen eine dunkle, schauerliche Bedrohung. Als würden Geister hinter allen Ecken lauern, die nur darauf warteten, ihre Fänge nach einem jungen Mädchen auszustrecken, das sich zu nah herangewagt hatte. Ich vermied es überhaupt hineinzusehen und ging weiter auf der breiten Hauptstraße, bis mir die ersten Menschen begegneten und ich ein paar meiner Werke hervorkramte. Ich hatte keine Angst, auf die Leute zuzugehen. Das hatte ich bereits tausendfach getan und ich wusste, wie es funktionierte. "Sir!", rief ich einem Mann zu, der in den Kragen seines Mantels versunken war. "Bitte entschuldigen Sie. Haben Sie einen Moment?" Er blieb stehen, als ich näher kam und musterte mich über den dunklen Saum seines Mantels hinweg. "Sir?" "Bettle bei jemand anderem", brummte er und ging weiter. ... "Nein, ich habe etwas zu verkaufen", erklärte ich, nachdem meine Verwunderung sich gelegt hatte. "Ich möchte nichts." "Es sind Geschichten. Sie können sie zu Weihnachten verschenken." So schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich folgte ihm ein paar Meter, bis er wieder stehen blieb. Er hob den Kopf und offenbarte mir sein unrasiertes Gesicht. "Geschichten zum Verschenken?", fragte er grimmig. Ich nickte zögerlich. "Davon wird keiner satt, also sieh zu, dass du Land gewinnst!" Wieder versank er in seinem Mantel und stapfte davon. Ich ließ ihn ziehen und wandte mich seufzend meinem eigenen Weg zu. Offenbar war ich nicht die einzige, die bald hungrig zu Bett gehen würde. Dieses Schicksal wollte ich noch eine Weile von mir abwenden, also konzentrierte ich mich auf die nächsten Personen, die mir entgegen kamen. Eine ältere Frau, die mit Stock über die Pflastersteine hinkte war mein zweites Ziel. "Ma'am, guten Tag", begrüßte ich sie und schenkte ihr ein zartes Lächeln, an das ich meine Gesichtsmuskulatur mühsam gewöhnen musste. "Darf ich Ihnen ein paar meiner Geschichten zum Kauf anbieten?" Sie sah mich aus ihrem faltigen Gesicht heraus an, als hätte sie kein Wort verstanden. "Ich habe ein paar schöne Märchen. Die können Sie Ihren Enkeln vorlesen", verkündete ich, doch wieder blinzelte sie nur ahnungslos. Verstand sie mich nicht? Ich zeigte ihr meine Heftungen und wie vom Donner gerührt entglitten ihr die Gesichtszüge und sie fluchte laut in einer mir unverständlichen Sprache. Vielmehr waren es Geräusche. Zischen und Schnauben, nichts was man als Worte identifizieren könnte. Ich presste meine Waren fest an meine Brust, trat zurück und entschuldigte mich mehrfach, bis sie sich beruhigt hatte und von Dannen zog. Hatte ich etwas Falsches gesagt? War ich zu aufdringlich gewesen? Ich wusste nicht, was die alte Frau so erzürnt hatte, doch ich wollte mich von diesem erneuten Rückschlag nicht entmutigen lassen. Es waren erst zwei. Zwei, die kein Interesse hatten, das war nichts Ungewöhnliches, doch auch die Dritte, der Vierte, Fünfte und Sechste wollten nichts von meinen Geschichten wissen. Wie war das möglich? Auf dem Marktplatz im Südosten der Stadt verkauften sie sich fast von allein, doch hier konnte ich nicht ein einziges Heft loswerden. Selbst die Senkung meines Preises, die ich nach der zehnten Absage in Kauf nahm, half meinem Glück nicht auf die Sprünge. Keiner wollte mir die paar Cent im Tausch gegen eine meiner Geschichten überlassen, die ich brauchte, um noch eine Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Es war niederschmetternd, wie kaltherzig die Menschen hier auf mich reagierten. "Verzieh dich! Lass mich in Ruhe!" Jedes Mal die gleiche Ablehnung. Nicht einer, der sich meine Werke überhaupt ansah. Gegen Abend versuchte ich es nicht mehr mit seriösen Verkaufsgesprächen. Ich bettelte um Geld, appellierte an das Mitleid der Menschen und bekam nach langen ermüdenden Stunden keinen ganzen Dollar zusammen. Es war erniedrigend und die widerwilligen Blicke der Menschen ließen die wenigen Münzen in meinen Händen wie heiße Kohlen brennen. Meine Zuversicht hatte sich in Rauch aufgelöst, der dunkle Wolken über mir entstehen ließ. Zu gerne wollte ich zurück in mein Zimmer und mich verkriechen. Es ging nicht. Ich brauchte das Geld noch heute, doch hier war es nicht zu bekommen. Erschöpft nahm ich auf einer niedrigen Backsteinmauer Platz, die einen kleinen tristen Garten von der Straße abgrenzte. Ich wusste, dass ich keine andere Wahl mehr hatte,  wenn ich nicht aus der Herberge geworfen werden wollte. Ich musste zum Marktplatz zurückkehren. Der Ort, der mir gefährlicher und beklemmender erschien, als die dunkelste Gasse im Nordbezirk. Zu viele Erinnerungen erwarteten mich dort, die noch viel gieriger an mir zerren würden, als jede Geisterhand. Ich wollte nicht dorthin zurück, wollte niemandem begegnen, den ich kannte und der mich womöglich fragte, warum ich so schmutzig aussah. Doch vor allen anderen Gründen, die gegen einen Verkauf auf dem Marktplatz sprachen, war Christina der entscheidenste. Ich wollte nicht noch einmal ihre Ablehnung spüren, wenn sie sich wieder von mir abwandte. Auch wenn ich etwas anderes hoffte, so befürchtete ich, dass mein Wunsch nichts als ein unerfüllbarer Traum war, mit dem ich mich tröstete. "Verkaufst du sie?" Neben mir erklang eine weiche klare Stimme. Ich löste meinen Blick vom dunklen Pflaster, das zum Marktplatz führte und drehte mich um. Eine großgewachsene Frau im schwarzen Mantel hielt eine meiner Geschichten in den Händen und sah mich fragend an. "Ja, oder nein?", fragte sie erneut. Ich nickte eilig. "Ja! Ja sicher." Ich war vollkommen überrumpelt. "Was verlangst du?" Denk nach! Sie möchte eines kaufen! Sag ihr einen Preis! "Einen halben Dollar." Ich schluckte schwer, nachdem ich die Worte ausgesprochen hatte, die mir um ein Haar nicht eingefallen wären. Sie nahm ihre Geldbörse aus der Manteltasche und spähte eine Weile nachdenklich hinein, dann zog sie einen Schein hervor und reichte ihn mir. "Ich ... ich kann nicht wechseln." Die Unsicherheit hatte mich fest im Griff. "Dann behalte den Rest", sagte sie und drückte mir die Fünfdollarnote in die Hand, "Mein Weihnachtsgeschenk an dich." Meine Finger schlossen sich fest um das Papier und ich spürte, wie etwas in mir einen Freudensprung vollführte. Ich konnte dieser Fremden nicht genug danken. Ich war sprachlos. Ein knappes Nicken war alles, was ich zustande brachte. Ich hoffte, sie konnte meine innige Dankbarkeit trotz des Schweigens spüren. "Ich danke dir", sagte sie lächelnd. Ich wusste nicht, wofür sie mir dankte, doch ich nahm es an und fragte nicht weiter. Ich hätte es ohnehin nicht formulieren können und ich wollte sie nicht aufhalten, da sie weiter gen Süden schritt. Meine Blicke klebten an ihr, während sie ging, sie hatte mich gerettet, mir eine weitere Nacht in der Herberge geschenkt. Ich war froh, dass ich es nicht begreifen musste und mich darüber freuen durfte. Dann blieb sie stehen und drehte sich zu mir um. Hatte sie ihre Meinung geändert? Ich verharrte regungslos. "Du solltest es auf dem Marktplatz versuchen und etwas mehr dafür verlangen." Sie zeigte mir das offene Heft. "Dafür bekommst du sicher mehr als einen halben Dollar." Dann schritt sie unbeirrt weiter und ließ mich verwundert auf meiner Backsteinmauer zurück. Erst als sie in der Dunkelheit verschwunden war, blickte ich hinunter auf den zerknüllten Schein und lockerte vorsichtig meine Hand. Fünf Dollar. Noch immer glaubte ich zu träumen, doch er war echt. Ich verstecket ihn sicher in der Innentasche meines Mantels, bevor ich mich auf den Rückweg begab.   —   Am Tag darauf zwang ich mich in die eisige Kälte des Waschraums, um das Bestmögliche aus mir herauszuholen. Ich wollte niemandem unangenehm auffallen. Meine Bedenken gegenüber dem Marktplatz waren noch immer die gleichen, doch hatte ich keine andere Wahl, als meine Heftungen dort unters Volk zu bringen, wo man sie auch wollte. Ich packte meine Tasche und machte mich auf den Weg. Je näher ich dem Marktplatz kam, desto ansehnlicher wurden die Häuser und desto nervöser pochte mein Herz. Ich tastete mich vorsichtig heran und näherte mich dem Zentrum so weit wie nötig. Die Menschenmengen waren überschaubar. Natürlich, es war Weihnachten und die Geschäfte hatten geschlossen. Ich durfte nicht wählerisch mit meiner Kundschaft sein, und da ich keine einzige Nonne auf dem Platz entdecken konnte, wagte ich mich an ein junges Paar heran, das gemütlich, Arm in Arm über das Kopfsteinpflaster spazierte. Ich sprach sie an und sie kauften zwei Hefte. Ich fühlte mich so viel leichter, nachdem der erste Dollar eingenommen war und setzte meine Geschäfte fort. Kein einziges schlechtes Wort bekam ich zu hören, die Leute waren freundlich, sie hatten Mitleid, dass ich an einem Tag wie diesem arbeiten musste und nahmen mir meine Werke dankend ab. Es war eine völlig andere Welt in diesem Teil der Stadt. Innerhalb von drei Stunden hatte ich sieben Dollar verdient. Es wäre wohl mehr gewesen, wenn nicht die meisten Leute den Tag zu Hause verbringen würden, doch für den Anfang genügte das und bis zum Abend konnte ich noch ein paar Dollar einnehmen. "Megan?" Ich hielt die Luft an. Für einen Moment war ich versteinert, dann drehte ich mich um. "Michael ... guten Tag." Ich rang mir ein Lächeln ab. "Was tust du hier?", fragte er verwundert. Ich räusperte mich und versuchte so unaufgeregt wie möglich zu klingen. "Was ich immer tue, wenn ich hier bin. Ich verdiene etwas Geld." Er betrachtete mich und die Hefte in meinen Händen. "Das sehe ich. Aber warum heute und ohne Begleitung?" Konnte dieser Kerl nicht etwas weniger neugierig sein? Ich wollte ihm nichts vorlügen, doch die Wahrheit auszusprechen war mir unmöglich. "Ich musste etwas an die frische Luft", erklärte ich und hielt meine Hefte hoch, "Und warum nicht das Nötige mit dem Nützlichen verbinden?" Er nickte. "Verstehe." "Gut, dann werde ich jetzt versuchen noch ein paar Quarter zu verdienen. War schön, dich zu sehen", verabschiedete ich mich und wollte gehen. "Du bist rausgeflogen, oder?" Mein Atem stockte, doch ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. "Wie kommst du denn darauf?", fragte ich, als wäre diese Annahme völlig aus der Luft gegriffen. "Die Schwestern waren jeden der letzten Tage in der Stadt, um Spenden zu sammeln, doch du warst nie dabei", begründete er mir seinen Verdacht, "Sie haben mir gesagt, dass du das Kloster verlassen hast." Er wusste es. Ich atmete tief durch und sah ihm fest in die Augen. "Richtig. Ich wohne jetzt im Nordviertel." Michael sah mich entgeistert an. "In dem Loch?" "So schlimm ist es  gar nicht", antwortete ich mit fester Überzeugung. "Ist es wegen dem Mann, den du mir vorziehst?" Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich wohne allein. Aber selbst wenn, so wäre es meine Entscheidung ... du bist unhöflich." Er hob abwehrend die Hände. "Verzeihung. Ich dachte nur, dass es logisch wäre, wenn du jetzt bei ihm wärst, nachdem du dich für ihn entschieden hast." "Ich bin bei niemandem. Und jetzt lass mich in Frieden." Ich hatte genug von seinen Sticheleien. Es war auch ohne seine Worte schlimm genug, dass ich nicht bei Christina sein konnte. "Einen schönen Tag noch." Ich warf ihm einen strengen Blick zu und ging an ihm vorbei, um weiter in Ruhe meinen Geschäften nachzugehen. Unverfrorener Bursche. "Du könntest bei mir wohnen", rief er mir hinterher. Ich zögerte, doch blickte ich noch einmal zu ihm zurück. "Unter welchen Voraussetzungen?" Ein breites Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Seine Augen funkelten. "Wenn du meine Frau wirst." Mir entglitt ein leises Schnauben. Seine Antwort überraschte mich nicht. Ich hatte sie erwartet, wenngleich ich auf etwas anderes gehofft hatte. "Danke ... Ich werde es mir überlegen", antwortete ich so sachlich, dass ich mich selbst darüber wundern musste. Ich ging und er ließ mich ziehen. Nach wie vor war Michael ein ansehnlicher junger Mann und alles andere als eine schlechte Partie. Die Geschäfte seines Vaters liefen prächtig und ich würde mir keine Sorgen mehr um meine Zukunft machen müssen, doch wenn ich ihn zum Mann nehmen würde, so müsste ich hier bleiben und das wollte ich nicht. Ich wollte fort von hier, fort vom Kloster und hinaus aus der Stadt. Ich wusste noch nicht wie ich es anstellen sollte, doch für den Anfang musste ich Geld verdienen. Mein heutiges Ziel – fünfzehn Dollar – hatte ich nicht erreicht, als ich am Abend zurück zur Herberge ging. Dennoch war ich zufrieden mit meinem Verdienst und verstaute alles sicher unter meinem Kissen. Es tat gut, wieder etwas in den Händen zu haben und ich war froh, dass ich es gewagt hatte, zum Marktplatz zu gehen. Gerne hätte ich auf die Begegnung mit Michael verzichtet, doch ich war nicht daran zu Grunde gegangen, wie ich befürchtet hatte. Auch die nächsten fünf Tage überlebte ich, ohne zurück in meine Melancholie zu stürzen. Meine Gedanken kreisten um die Verkäufe, die ich erfolgreich getätigt hatte, um die, die ich noch tätigen würde und um die kleine Schankstube, in der sie nach einer Kellnerin suchten. Es war eine Möglichkeit, die ich abwägen musste, besonders jetzt, da ich nicht mehr viel zu verkaufen hatte. Nur noch drei Werke lagen in meiner Tasche und egal wie lange ich das leere Papier in meiner Schreibmaschine anstarrte, ich konnte nicht schreiben. Ich wollte, doch mein Kopf weigerte sich. Jedes Mal, wenn meine Finger die Tasten berührten, fuhr eine Schranke herunter und ließ mich endlos warten, dass etwas passierte. Vor ein paar Wochen waren die Wörter nur so aus mir herausgesprudelt. Jetzt saß ich hier in meinem kleinen Zimmer und brachte nicht eine einzige Zeile zustande. Es war frustrierend und ich konnte nichts dagegen tun, als weiterhin verbissen auf das weiße Blatt zu starren und mit aller Gewalt zu versuchen, eine Geschichte zu entwickeln, die sich verkaufen ließ. Mein Schädel schmerzte, als ich nach Stunden ergebnisloser Gedankengänge resigniert in mein Bett fiel. Wieso funktionierte es nicht? Waren mir in den letzten Tagen sämtliche Ideen entfallen? Ich hatte die abgeschlossenen Erzählungen bereits einige Male neu abgeschrieben und gut verkaufen können, doch seit heute Nachmittag hörte ich Fragen nach neuen Geschichten. Meine Kundschaft kannte die meisten meiner Werke, also brauchte ich etwas Neues. Nur wollte mir partout nichts einfallen, als hätte man mir über Nacht die Fantasie geraubt. Ich blickte seufzend an die graue Decke. Für eine Arbeit in der Schankstube brauchte ich keine Fantasie. Vielleicht würde mich die Arbeit dort ablenken, meinen Kopf frei machen und wieder etwas Raum für Ideen schaffen. Morgen würde ich mich dort vorstellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)