Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 015 – Vampire ------------- War ich das? Ein guter Mensch? Ich saß auf dem Bett in meinem Zimmer und starrte Löcher in die Luft. Ich war ein naiver Mensch. Leichtgläubig. Und obwohl ich gedacht hatte, ich hätte diese Leichtgläubigkeit hinter mir gelassen, war ich ihr verfallen. Nach den Erfahrungen in Sacramento hatte ich meine Erwartungen zurückgeschraubt. Meine Erwartungen an die Menschen und an die Zukunft, nur hatte ich vergessen, dass diese Einstellung vergänglich sein konnte. Ich hatte mich von diesem neuen Leben blenden lassen und nun musste ich den Preis dafür zahlen. Seufzend schlug ich die Augen nieder, als es an meiner Tür klopfte. "Was?", fragte ich gereizt. Magdalena steckte ihren Kopf herein. "Bist du fertig mit dem Essen?" Ich sagte nichts und starrte nur auf das Tablett, das sie mir vor einer Stunde gebracht hatte. Die Teller waren leer und Magdalena kam herein, um alles mitzunehmen. Sie blieb in der Tür stehen und sah mich traurig an, als täte es ihr leid. "Megan ... sei bitte nicht böse. Ich durfte dir nichts sagen." "Lass mich in Ruhe." Ich warf ihr einen finsteren Blick zu und sie verschwand aus meinem Zimmer. Nachdem Sofia mich heute Mittag wieder zurück ins Haus getragen hatte, war Magdalena zu mir gekommen, um mich zu beruhigen. Sie hatte sich immer wieder entschuldigt, doch ich konnte ihr nicht verzeihen, dass sie mich die ganze Zeit belogen hatte. Bis zum Abendessen hatte sie mich nicht mehr angesprochen und ich war froh, dass sie sich jetzt nur noch auf das Nötigste beschränkte. Sofia war verschwunden, nachdem sie mich hier abgesetzt hatte. Ich vermutete jedoch, dass sie mir noch einen Besuch abstatten würde, nachdem die Sonne hinter den Baumwipfeln versunken war, schließlich konnte sie die Geschehnisse nicht einfach auf sich beruhen lassen. Erschöpft von all der Aufregung, legte ich mich hin, um auf sie zu warten. Ich sortierte meine Gedanken und legte mir die Worte zurecht, die ich ihr sagen wollte. Es war nicht das erste Mal, dass ich das tat. Seit einigen Stunden dachte ich darüber nach und jedes Mal fiel mir etwas anderes ein. Ich wollte ihr so viel sagen, so viel loswerden und ich war bereit dafür, bis sie plötzlich vor meiner Tür stand und um Einlass bat. Mein Selbstbewusstsein war verflogen wie der Duft eines billigen Parfums, als sie den Raum betrat und meine sorgfältig vorsortierten Worte fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. "Ich bin wütend!", knurrte ich sie an. Damit hatte ich nicht beginnen wollen. Ich beobachtete, wie Sofia sich den Stuhl von meinem Schreibtisch heranzog und neben meinem Bett Platz nahm. "Das kann ich verstehen." Meine Finger waren fest um meine Oberarme gespannt, während ich versuchte mein Kartenhaus wieder aufzubauen. Vergeblich. "Du verstehst es überhaupt nicht! Du hast keine Ahnung!", keifte ich weiter. "Du bist wütend, weil ich dir nicht die volle Wahrheit gesagt habe." Sofia blieb unfassbar ruhig. "Ich bin wütend, weil du mich unter einem falschen Vorwand in dein Haus gelockt hast! Du hast mir die ganze Zeit etwas vorgemacht! Ihr alle!" Sie sah mich mit ihren schönen Augen an, als wollte sie meine Wut mit deren Sanftmut vertreiben. Es würde nicht funktionieren. "Es war kein falscher Vorwand. Ich meinte es ernst, als ich dich bat, Geschichten für mich zu schreiben." Ich glaubte ihr nicht mehr. Jedes Wort, das sie sagte, bezweifelte ich. "Du misst dem Ganzen zu viel Gewicht zu. Wir haben dir nur verschwiegen, wofür du noch nicht bereit warst", fuhr sie fort. "Es steckte keine böse Absicht dahinter." "Keine böse Absicht? Seit mehr als drei Jahren bin ich hier und du hast es in all der Zeit nicht geschafft, mir die Wahrheit zu sagen! Woher soll ich wissen, dass du jetzt ehrlich bist? Woher weiß ich, dass du mich nicht irgendwann auffrisst?" Das Kochen und Brodeln in mir befeuchtete ungebeten meine Augen. Ich musste mich beherrschen und wischte mir eilig die Tränen aus den Augen. Keine Schwäche. Ich war stärker als die lästige Trauer über diese bittere Enttäuschung. "Auffressen?" Sofia sah mich überrascht an. Sie ging nicht auf meine Tränen ein und ich würde es auch nicht tun. "Ich esse keine Menschen." "Was auch immer du mit ihnen tust ..." Ein eisiger Schauer rollte über meine Haut, als ich darüber nachdachte, was es bedeuten mochte, dass sie ein Vampir war. Ein Teil meines Hirns bestand eisern darauf, dass das nicht sein konnte. "Möchtest du es wissen?" Fragend blickte sie mich an, wie eine Lehrerin, die darauf wartete, dass ihr Schüler etwas sagte. Ich schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Für diese Information war ich nicht bereit. Ich fürchtete mich vor dem, was sie sagen könnte, dafür brannte mir jedoch eine andere Frage unter den Nägeln. "Warum hast du mich ausgewählt?" "Das sagte ich doch bereits." "Erkläre es mir!" Mein Ton war schärfer geworden. Sofia nickte ruhig und lehnte sich zurück. "Ich habe jemanden gesucht, der sich von der grauen Masse abhebt. Lass es mich dir so erklären: Jeder trägt sowohl Gutes wie auch Böses in sich. Die meisten Menschen sind nicht dazu in der Lage objektiv zu beurteilen, was gerecht ist und was nicht. Sie sind zu stolz, um sich ihre Fehler einzugestehen. Zu geizig, um Unrecht zu sühnen. Sie sind neidisch auf den Erfolg anderer. Sie wollen alles für den Preis von nichts. Sie sind faul, jähzornig und sie kennen keine Grenzen." Sie ließ das Gesagte einige Sekunden im Raum stehen. "Du bist anders, das weiß ich." "Woher?" "Ich habe dich beobachtet und ich habe deine Geschichten gelesen. Das genügt." "Was heißt, du hast mich beobachtet?" "Seit ich dich in Sacramento das erste Mal getroffen habe, habe ich dich im Auge behalten. Du bist mir aufgefallen, weil du wie eine kleine Kerze in all der Dunkelheit standest und ich wollte wissen, ob mein erster Eindruck sich bestätigen würde." Scheinbar hatte er das. "Dann sind wir uns nicht zufällig immer wieder über den Weg gelaufen?" "Nein." Diese Erkenntnis rückte alles in ein neues Licht. Kein gutes Licht, es war beängstigend. Offenbar wusste sie deutlich mehr über mich, als es mir lieb war. "Dazu hattest du kein Recht. Mein Leben geht dich nichts an!" "Dein Leben wäre zu Ende gewesen, hätte ich dich nicht mitgenommen." "Das kannst du nicht wissen!" Ich hätte sie am liebsten aus meinem Zimmer geschmissen, doch ich wagte es nicht, mich ihr zu nähern. "Nein, das kann ich nicht, aber sag mir, war es falsch? Hätte ich dich dort in deinem Elend zurücklassen sollen?" Ich stellte das nervöse Kauen ab, mit dem ich meine Unterlippe malträtiert hatte. "Nein, aber du hättest mir die Wahrheit sagen können." "Wärst du dennoch mit mir gekommen?" "Wahrscheinlich nicht ... Ich weiß es nicht. Nein, woher soll ich das wissen? Du hast mir nicht die Möglichkeit gegeben!" "Verzeih, aber ich wollte kein Wagnis eingehen." "Wagnis? Dass ich mich weigern könnte, einer Tochter des Teufels zu folgen?" Sofia hob ihre Brauen an, als ich das sagte. "War es schlimmer, als einer Tochter Gottes hinterherzurennen?" Mein Blick war fest in ihre Augen gerichtet. Es war nicht fair, dass sie diese Karte gegen mich ausspielte. Ich biss die Zähne zusammen und schnaufte schwer, bevor ich weitersprechen konnte. "Verschwinde aus meinem Zimmer!" "Megan ..." "Raus!", schrie ich sie an. Sie blieb unbeirrt sitzen. Entspannt, als führten wir eine belanglose Unterhaltung, während der Zorn erneut in mir hochkochte. "Ich werde nicht gehen. Du brauchst mich." "Das tue ich nicht!" "Wer steht dir sonst bei? Dein Gott?" Wollte sie mich nun in den Wahnsinn treiben? Ich stand auf und stapfte durch mein Zimmer. Vielleicht würde sie es begreifen, wenn ich ihr den Weg zeigte. Mit Schwung riss ich die Tür auf und fixierte meinen ungebetenen Gast. "Geh jetzt." Ich bemühte mich, so bedrohlich wie möglich zu klingen. Wenngleich es gegenüber Sofia nicht viel bewirkte, so wollte ich zumindest meine Verzweiflung dahinter verbergen. Sie war aufgestanden, hatte die Arme verschränkt und stand noch immer neben meinem Bett. Erst nach endlosen Sekunden setzte sie sich in Bewegung und kam zu mir. "Darf ich dir noch eine Frage stellen?" Sie war dicht vor mir stehen geblieben. "Was?", knurrte ich sie an. "Wie viele deiner Gebete wurden bisher erhört?" Genervt blies ich die Luft aus meinen Lungen. "Eines." Sofia wirkte überrascht, also fuhr ich fort: "Ich habe gebetet, dass jemand kommen und mich retten würde. Nur hatte ich niemanden wie dich erwartet." Sie lächelte und ich sah ihr weiter erbittert in die Augen, dass sie endlich gehen sollte. "Danke", sagte sie und strich mit den Fingerspitzen über meine Wange. "Wofür?" "Dass du mir eine zweite Chance gibst." Ich nahm ihre Hand aus meinem Gesicht und warf ihr den dunkelsten Blick zu, den ich zustande bringen konnte. "Das habe ich nicht gesagt." "Das brauchtest du nicht." Die blühende Fantasie dieser Frau war unbeschreiblich und ihr Selbstbewusstsein stand dem in nichts nach. Im Gegensatz zu mir schien sie sich sicher zu sein, dass ich bleiben würde, als sie endlich mein Zimmer verließ und ich die Tür hinter ihr schloss. Ich musste über so viele Dinge nachdenken. Ich wusste nicht, ob ich bleiben sollte. Ob es sicher war oder der pure Wahnsinn. Ich wusste nicht einmal was es bedeutete, wenn ich ihre Schülerin würde, oder wenn ich mich dagegen entschied. Wenn ich blieb und wenn Sofia die Wahrheit sagte, würde mein Leben eine völlig neue Richtung bekommen. Ich wusste nicht, ob mir diese Richtung gefallen würde und ob Sofia nicht wieder nur einen Vorwand zusammengesponnen hatte, damit ich blieb. Vielleicht war ich aus einem anderen Grund hier. Vielleicht brauchte sie mich für irgendeinen niederträchtigen Plan. Als Bezahlung, als Pfand, vielleicht als Opfergabe? Schließlich war ich in einem Kloster aufgewachsen und der Kontakt zu Männern war gering gewesen. Möglicherweise hatte ich zu viele Bücher gelesen, schließlich hatte sie mir in all den Jahren nicht ein Haar gekrümmt. Ich musste dringend meine Gedanken ordnen.   Nachdem ich lange genug abgewägt hatte, ob ich mich in Gefahr befand, oder nicht, begab ich mich in das kleine Badezimmer, um heißes Wasser aufzusetzen. Ein warmes Bad konnte mir hoffentlich helfen, das Durcheinander in meinem Kopf zu beseitigen. Ich löste meinen schiefen Zopf und wandte mich dem Spiegel zu. Zwei dünne rote Linien zierten meine Wange. Noch ein Relikt der vergangenen Nacht. Es fröstelte mich bei dem Gedanken daran. Ich konnte mich noch immer nicht daran erinnern, wie Sofia es geschafft hatte, mich außer Gefecht zu setzen. Sorgfältig inspizierte ich meinen Hals. Es war verrückt, aber ich konnte nicht anders. Keine Bissspuren. Sei nicht albern ... Ich band meine Haare nach oben, legte meinen Kopf in den Nacken und rollte ihn nach links und rechts. Auch nichts. Keine Schmerzen, die auf einen Schlag hindeuten würden. Mühsam versuchte ich mir die letzten Minuten ins Gedächtnis zu rufen, bevor Sofia mich eingeholt hatte. Ich erinnerte mich, dass sie mich aufgefangen hatte, als ich gestürzt war und dass ich den Wald kurz darauf verlassen hatte. Danach hatte ich sie nicht mehr gesehen. Das Wasser im Kessel fing an zu brodeln. Ich goss es in die bereits halb befüllte Wanne, legte meine Kleidung ab und versank für eine Weile in meinen Gedanken und dem warmen Wasser.   Einige ergebnislose Gedankengänge später und mit aufgequollenen Fingern verließ ich das Badezimmer. Es gab ein paar Details, derer ich mir alleine nicht klar werden konnte. Und auch wenn ich nach wie vor wütend war, so musste ich mir eingestehen, dass all die Verwirrung nicht ohne Sofias Hilfe entzerrt werden konnte. Nachdem ich mich in frische Kleidung gehüllt hatte, fand ich Sofia in der Bibliothek. Sie saß auf ihrem Sessel und hatte sich wieder dem Buch zugewandt, das ich ihr gegeben hatte. "Ich hatte dich schon erwartet", begrüßte sie mich und lächelte sanft. "Nimm Platz." Ich folgte ihrer Aufforderung, entledigte mich jedoch nicht des prüfenden Blickes, mit dem ich sie bedachte. "Du hast sicher Fragen." "Ja, die habe ich." "Ich werde dir alle beantworten." "Ich möchte die Wahrheit hören, keine Geschichten und keine Märchen." Sie nickte. Es gab viele Fragen, jedoch eine, auf die ich mir am dringendsten eine Antwort erhoffte. "Was passiert mit mir, wenn ich bleibe?" "Du wirst so weiterleben wie bisher. Du kannst schreiben und tun und lassen was du willst." Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. "Muss ich nicht deine Schülerin werden?" "Nur wenn du das möchtest." "Soll das heißen, ich kann hier bleiben, ohne deinem Wunsch zu entsprechen? Wozu dann das Ganze?" "Wie bereits gesagt: Ich mag deine Geschichten. Wenn du dich dagegen entscheidest, dann soll es so sein. Ich werde dich zu nichts zwingen." Sie musterte mein fragendes Gesicht und fuhr fort: "Die Zeit ist für mich nicht so kostbar, wie sie es für dich ist. Du kannst hier alt werden und sterben und ich werde mich nach jemand anderem umsehen, den ich für würdig erachte." "Das heißt du ..." Mir fehlten die Worte, um auszudrücken, was in meinem Kopf vor sich ging. "Das heißt, ich werde dich überleben, wenn du ein Mensch bleiben möchtest. Ich sterbe nicht, wenn ich auf mich achte. Das wolltest du doch wissen, oder?" Ich schluckte. "Ja." Ein beklemmendes Schweigen erfüllte die Luft zwischen uns, bis Sofia wieder das Wort ergriff und zu erzählen begann: "Weißt du Megan, du bist nicht die Erste, die ich frage. Es gab bereits ein paar, die mir gefolgt sind. Die meisten sind längst gestorben, ein paar stellten sich als ungeeignet heraus und und zu einer stehe ich noch immer in engem Kontakt. Als Vampir wäre sie nicht glücklich geworden." "Wie kommst du darauf, dass ich es würde?" "Das weiß ich nicht. Deswegen musst du diese Entscheidung treffen." Ich sah sie ratlos an. "Und woher weiß ich das?" "Du wirst es wissen. Irgendwann." Es war keine sehr aufschlussreiche Antwort. Ich betrachtete Sofias Gesicht, in der Hoffnung, ihm ein Geheimnis entlocken zu können. Sie war zweifellos eine schöne Frau, nichts ließ darauf hindeuten, dass sich hinter dieser Fassade ein altes, dämonisches Monster verbarg. Ihrer Erscheinung nach hatte ich ihr Alter auf Anfang dreißig geschätzt, vielleicht fünfunddreißig, nur konnte das kaum sein. "Dreihundertdreiundzwanzig im November. Etwas älter als dieser Sessel." Ich zuckte zusammen, als sie mir meine ungestellte Frage beantwortete. "Kannst du etwa?" Gedankenlesen? Sie lachte vergnügt. "Nein, deine Gedanken sind sicher, aber ich kann Blicke deuten, wenn man sie mir so unverhohlen entgegenwirft." Sofia schmunzelte und tätschelte die Armlehne ihres Sessels. "Ich habe ihn damals in Russland von Katerina geschenkt bekommen." "Katerina?" Ich musste aussehen wie vom Donner gerührt. "Ich habe dir ihre Geschichte erzählt, erinnerst du dich?" Ich nickte knapp. "Es gibt noch ein Detail, das ich dir damals verschwiegen habe." Sofia schien einen Moment auf eine Reaktion zu warten, doch die musste ich ihr verwehren. Ich war zu verblüfft, also fuhr sie fort: "Sie war meine Meisterin und hat mich zu einem anständigen Vampir herangezogen." Ich mahnte mich, meinen Mund wieder zu schließen. Etwas derart Absonderliches hatte ich noch nie gehört. "Sie war auch ..." "Ein Vampir. Ja. Deswegen haben sie sie verbrannt. Eine der effektivsten Methoden, wenn man sichergehen möchte, dass das Opfer nicht zurückkehrt." "Ich dachte, man müsste sie pfählen ..." Sie schmunzelte bei dieser Bemerkung. "Das könnte man ebenso tun, nur kann kein Mensch sicherstellen, dass der Pfahl dort bleibt, wo er ist. Die meisten Vampire sind für gewöhnlich keine Einzelgänger und wird der Pfahl entfernt, kann die Wunde heilen und man kehrt zurück." Allmählich konnte ich eins und eins zusammenzählen. Sofia war nicht der einzige Vampir in diesem Haus. "Deswegen sind Ezras Wunden so schnell verheilt." Es war eine Feststellung, keine Frage. "Und deswegen findet er sich ohne Augenlicht zurecht." "Du bist wirklich clever. Er kompensiert seine fehlende Sehfähigkeit mit dem Gehör." Sie lachte herzlich, bevor sie weitersprach. "Das ist wirklich wunderbar ironisch. Du hörst es nicht, aber er verhält sich wie eine Fledermaus, um sich in ungewohnter Umgebung zu orientieren." Ich zögerte und überdachte meine nächste Frage. "Verwandelt ihr euch in Fledermäuse?" Wieder lachte Sofia. "Nein, natürlich nicht. Das sind nur Märchen. Ich sehe immer so aus, wie du mich vor dir siehst und ich habe keine Angst vor Knoblauch und Kruzifixen." "Kannst du dann auch in Kirchen gehen?" "Könnte ich, wenn ich es wollte. Du meinst, weil es heiliger Boden ist?" Ich nickte. "Nun ... so heilig ist der Boden nicht. Es sind alles nur menschliche Werke und selbst wenn der Boden tatsächlich heilig wäre, wer sagt, dass ich nicht würdig bin, ihn zu betreten? Die Kirche?" Ich wusste keine Antwort darauf, also wartete ich ab, bis Sofia sie mir gab. "Es sind nur die Menschen, die in ihren Geschichten davon schreiben, dass wir unheilig wären. Sie verstehen nicht, wie es etwas geben kann, was ihnen schaden möchte, deswegen verteufeln sie die Vampire." Mir war nicht ganz wohl bei dieser Antwort. Schaden möchte? Wie viel Wahres steckte in den Geschichten, die ich gelesen hatte, wenn so vieles nicht zutraf? "Was heißt das?", fragte ich vorsichtig. Ich hoffte auf eine beruhigende Antwort, etwas, das ich akzeptieren konnte, doch das wurde mir verwehrt. "Ich trinke ihr Blut und ich töte sie, wenn mir danach ist." Sofort spannten sich alle Muskeln in meinem Körper und ich machte mich bereit zur Flucht, sollte es nötig sein. Auf eine derart direkte und unverblümte Antwort war ich nicht gefasst gewesen. Wie ein Faustschlag hatte sie mich erschüttert und in Unruhe versetzt. Das war es, was sie unheilig machte. Sie töteten Menschen. Sofia betrachtete mich mit ihrem trügerischen Lächeln. "Hab keine Angst. Ich will weder dein Blut, noch will ich dich töten." Sie konnte so schön reden. "Wer garantiert mir das?" "Niemand, nur ich." Mein Herz schlug eilig in meiner Brust. Mein Körper war bereit zu fliehen, doch ich blieb. "Warum tötest du sie?" Es musste einen Grund geben und ich hoffte sehr, dass er gut genug war, um mich wieder zu beruhigen. "Manche Menschen verdienen das Leben nicht. Ich sorge dafür, dass jeder seine gerechte Strafe erhält." "Wie ein Richter?" "Wie Richter und Henker." "Und Ezra? Tötet er auch Menschen?" "Gelegentlich." "Nach demselben Prinzip?" Jedes Wort war ein Kampf, obwohl Sofia so normal wirkte. Entspanne dich! Dir passiert nichts. "Nein, er hat seine ganz eigenen Beweggründe." "Ist er dein Schüler?" "Auch das nicht. Ezra und ich sind auf andere Weise verbunden, aber das würde jetzt zu weit führen. Ich denke das waren genug Informationen für einen Tag." Wahrscheinlich hatte sie recht. Ich wusste nicht einmal, wie und ob ich all das verarbeiten konnte. "Eine Frage habe ich noch." "Nur zu." "Wie hast du mich letzte Nacht wieder zurückgebracht? Ich erinnere mich nicht, dich außerhalb des Waldes noch einmal gesehen zu haben." "Du wurdest bewusstlos, nachdem ich dich gebissen habe." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)