Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 023 – Zerstreuung ----------------- Sieben verdammte Tage. So lange hatte es gedauert, bis ich Ezra endlich zu fassen bekam. Jedes Mal, wenn ich mich zu Sonnenuntergang vor seinem Zimmer eingefunden hatte, kam er nicht heraus, ging zügig an mir vorbei, oder hatte irgendeinen Grund, jetzt nicht mit mir reden zu können. Es nervte. Nach einer Woche wurde es mir zu dumm. Es würde ewig so weitergehen, wenn ich nichts tat, also ergriff ich meine Chance und packte ihn am Arm, als er einmal mehr an mir vorbeigehen wollte. "Warte!", bat ich ihn um seine Aufmerksamkeit. "Ich will nur kurz mit dir reden. Bitte." Er seufzte genervt und wand seinen Arm aus meinem Griff. "Gut. Kurz. Was willst du?" "... Können wir uns irgendwohin setzen?" "Sag einfach, was dein Problem ist." "Na du!" "Ich?", fragte er skeptisch. "Im Moment schon. Du gehst mir aus dem Weg und ich will wissen wieso." "Ich gehe dir nicht aus dem Weg." "Ach nein? Das ist das erste Mal in vier Wochen, dass wir mehr als zwei Worte wechseln." "Und?" "Nichts Und?", imitierte ich seinen Tonfall. "Ich habe mich entschieden, hier zu bleiben und ich werde das Gefühl nicht los, dass dir das nicht passt." "Stimmt." Seine eiskalte Ehrlichkeit war erschreckend. "Das gibst du einfach zu?" Ich war entsetzt. "Ja, es passt mir nicht. Aber das ist nicht dein Problem." "Na und ob!", protestierte ich. "Hast du mich deshalb so übel zugerichtet?" "Nein." Alles musste man ihm aus der Nase ziehen. "Warum dann?" "Um dir etwas klar zu machen." Auch diese Theorie hatte ich bereits mehrfach durchdacht und stark gehofft, dass es eine Lektion gewesen war, kein purer Hass. "Und was? Dass ich als Mensch schwach bin und lieber ein Vampir werden sollte? Dir gefällt es nicht, dass ich als Mensch deine Zeit verschwende, das meintest du doch, oder?" "Zweiteres ist korrekt. Ersteres nicht." Ezra hatte sich inzwischen gesetzt. Entgegen seines anfänglichen Widerstandes, auf die oberste Treppenstufe. Ich lehnte am Handlauf. "Was wolltest du dann damit erreichen?" "Dass du aufwachst." "Wie?" "Sofia hat mir erzählt, was du mit den Kerlen in der Stadt angestellt hast und obwohl du sie problemlos ins Jenseits hättest befördern können, warst du nicht fähig, deine geistige Schutzmauer abzubauen. Du warst noch immer in deiner verfluchten Opferrolle gefangen und ich war nicht willens zuzulassen, dass du dich wieder einigelst. Rückzug ist keine Option. Wenn du weiterkommen willst, musst du dich wehren.“ Dass das seine Absichten gewesen sein konnten, war mir bisher nicht in den Sinn gekommen. Ich war beinahe sprachlos. "Ein riskanter Plan." "Es hat funktioniert, oder?" "Schon ... irgendwie. Trotzdem gefällt es dir nicht, dass ich bleibe? Ich verstehe nicht, warum du mir dennoch helfen willst." "Das musst du nicht verstehen." Ich sah ihn vorwurfsvoll an. Vielleicht konnte er es spüren, jedenfalls sprach er weiter: "Ich bin nicht begeistert davon, dass du nach wie vor nicht weißt, wohin du willst. Und ich helfe dir, damit du es erkennst." "Du wärst zufriedener, wenn ich kein Mensch mehr wäre?", deutete ich seine Erklärung. "Richtig." "Verstehe. Ich dachte mir schon, dass du mich nicht leiden kannst." Er schwieg einen Moment und widersprach schließlich: "Das habe ich nicht gesagt." "Aber ich nerve dich, oder?" "Das schon." "Wo ist da der Unterschied?" "Es ist ein gravierender Unterschied." Er legte eine kurze Gedenkpause ein. „Könnte ich dich nicht leiden, hätte ich dich längst beseitigt. Du hast mir bisher jedoch keinen Grund dafür gegeben. Dass du nervst, genügt nicht.“ Eine überaus überraschende Antwort von beunruhigender Natur. „Und … was müsste ich tun, damit es genügt?“ „Nicht wichtig. Ich kenne dich gut genug, um beurteilen zu können, dass es nie so weit kommen wird. Dazu wärst du nicht fähig.“ Es war befreiend, dass er das sagte. Die Anspannung fiel so schnell von mir ab wie sie gekommen war. Vielleicht hatte Fay recht und hinter dieser abweisenden Fassade steckte mehr, als man vermutete. "Wow", stieß ich schließlich voller Erleichterung aus. "Was?" "So viel hast du noch nie gesprochen. Und ... ich bin froh, dass du das gesagt hast." "Gewöhn dich nicht daran." "Werde ich nicht, keine Sorge." Er stand auf. "Gut, wir sind fertig." "Danke." Er winkte ab und ging die Treppe hinunter. Besser hätte unser Gespräch nicht laufen können. Ich war froh, denn hiermit konnte ich leben und meine Beklemmung über diese Situation löste sich auf. Nun war ich bereit. Ich musste mich der Vergangenheit annehmen und dort für Ordnung sorgen. Von mir aus konnte es losgehen. Ich war bereit, mich an die Schreibmaschine zu setzen und nahm mir die Zeit, die ich benötigte – wie Sofia es mir geraten hatte.   ꟷ Bis ich mit dem ersten Kapitel fertig war, hatte es – die mehrfache Überarbeitung mit eingerechnet – gute zwei Monate gedauert. Trotz all meiner Motivation war es schwierig gewesen. Immer wieder war ich abgedriftet. War wütend geworden, traurig, zu impulsiv, zu melancholisch und dann gefiel mir das, was ich zuvor geschrieben hatte, überhaupt nicht mehr. Mehrere lange Pausen waren die Folge gewesen. Ich stand vor Sofias Zimmer, klopfte und wartete. "Komm herein!", kam die Antwort. Ich hatte diesen Raum zuvor noch nie von innen gesehen. Er war groß, üppig und auch hier reihten sich unzählige Bücher in Regalen aneinander. Sofia saß an einem gigantischen Schreibtisch und blätterte sich, mit einem Glas Wein in der Hand, durch einen Stapel Manuskripte. "Ich wollte dir das hier geben", erklärte ich meinen Besuch und hielt das erste Kapitel meiner Geschichte hoch. "Wahrscheinlich muss ich es noch einmal überarbeiten. Ich bin nicht sicher." Sofia streckte ihren Arm in meine Richtung. "Lass mich sehen." Ich reichte ihr die paar Seiten und war kurz davor zu gehen, doch Sofia schob mir stattdessen einen Hocker vor die Füße. Ich nahm Platz und ließ meine Blicke durch ihr Zimmer streifen. In meiner Vorstellung hatte es anders ausgesehen. Unheimlicher, eher wie eine Gruft, doch das tat es überhaupt nicht. Ein paar Lampen erhellten den Raum. Ein großes Bett, ein Kleiderschrank, Regale, Schreibtisch, Kommode, ein paar Bilder. Ähnlich meinem Zimmer, nur größer und mit viel mehr Büchern. Über ihrem Schreibtisch hing das Gemälde einer elegant gekleideten Frau. Ich vermutete, dass es Katerina war, wie Sofia sie in ihrem Buch beschrieben hatte. "Das ist gut", ließ sie nach der zweiten Seite verlauten. "Ich war nicht sicher, weil ..." "Nein, das ist sehr gut. Wehe, du überarbeitest es." "Danke. Das freut mich." Sofia schob mir ihr Glas zu, las weiter und ich wartete, bis sie fertig war. Mein Kapitel endete mit der letzten Umarmung, die ich von meinem Vater erhalten hatte, bevor ich ins Kloster gegangen war. Es war ein langes Kapitel. "Du liebst ihn sehr, nicht wahr?" Ich zuckte mit den Schultern. "Er ist mein Vater und er war immer gut zu mir. Dass er mich fortgeschickt hat, kann ich ihm nicht verübeln. Er wusste es nicht besser und wollte, dass es mir gut geht. Er konnte nicht ahnen, dass meine Reise mich so weit hinab führen würde. Ihn trifft keine Schuld." Sofia nickte. "Das ist sehr weise." "Ja ... nein, ist es nicht. Es ist einfach nur ein Gefühl. Ich konnte nicht länger wütend auf ihn sein. Das hätte er nicht verdient." Sie lächelte und füllte das Weinglas auf, das ich in Händen hielt. Der Wein war besser geworden. Dann reichte sie mir das Kapitel zurück. "Bewahre es gut auf." "Möchtest du es nicht?" "Du schreibst das nicht für mich, Megan. Also muss ich es nicht besitzen. Bring mir das zweite Kapitel, sobald es fertig ist." "Das werde ich." Ich nahm noch einen Schluck Wein, gab ihr das Glas zurück und verschwand mit dem Kapitel zurück in mein Zimmer. Ein wenig war ich froh, dass Sofia diese Seiten nicht behalten hatte. Obwohl ich entschlossen war, meiner Vergangenheit keine Furcht mehr zuzugestehen, und offen damit umzugehen, war es beruhigend, zu wissen, dass Sofia nicht darauf bestand, sie zu behalten. Ich platzierte den Stapel sorgfältig in meiner Schreibtischschublade und spannte neues Papier in die Maschine. Kapitel 2: Gebet. Ich tippte drei Zeilen und verharrte. Die ersten Monate im Kloster, die langen Nächte, in denen ich meinen Vater verteufelt und vermisst hatte. Ich erinnerte mich an die Verzweiflung über meine unabänderliche Lage. Wie oft ich dafür gebetet hatte, dass Vater mich zu sich zurückholte. Meine Finger weigerten sich, weiterzuschreiben. Ich war wieder dort. Ich roch den Weihrauch, hörte die Gebete der Nonnen, ein monotones, fremdartiges Aneinanderreihen von Worten, ihre Gesänge, die Glocke. Wie schwere Sandsäcke hängte sich die Erinnerung an mich. Sie lähmte mich, weil ich wusste, wohin es führen würde und ich war noch nicht bereit dafür. Bevor ich Christina erneut in mein Leben lassen würde, musste darüber nachdenken, musste mich wappnen, um es niederschreiben zu können, und zuerst musste ich mir eine Auszeit von all der Negativität gönnen. Der Sommer war bald vorbei und ich war nicht bereit die letzten schönen Tage im Oktober damit zu verbringen, auf ein leeres Blatt Papier zu starren. Dafür war im Winter noch genügend Zeit, und allzu eilig hatte ich es ohnehin nicht. Dieses Projekt sollte nicht jeden Tag meines Lebens in ein Trauerspiel verwandeln. Ich musste auf andere Gedanken kommen und da kam mir nichts gelegener, als die Wiederbelebung meiner Trainingsstunden mit Ezra. Nachdem meine Verletzungen verheilt waren, konnte es fortgesetzt werden. Wir fingen an und er war – allen Ereignissen zum Trotz – kein bisschen nachsichtig. Genauso, wie ich es haben wollte. Es war nicht seine Art, sich von Mitleid aus dem Konzept bringen zu lassen. Vermutlich empfand er nicht einmal etwas Derartiges und mir blieb nichts anders übrig, als meine vollkommene Konzentration in unser Training zu investieren. Die Ablenkung tat gut und dennoch fand ich noch Wochen später keinen Weg zurück an die Schreibmaschine. Sie wirkte plötzlich viel beängstigender, als während des ersten Kapitels. Ich betrachtete die wenigen Zeilen, die verloren auf dem Papier standen, und stieß seufzend die Luft aus. Lange durfte ich es nicht mehr vor mir herschieben. Für heute hatte ich jedoch andere Pläne. Ich nahm meine Tasche vom Bett, richtete meinen Mantel und verließ das Zimmer. Es war spät am Nachmittag, Fay würde gleich vorfahren. "Hast du etwas vor?", fragte Magdalena, als ich die Küche betrat. Ich hatte mich herausgeputzt und trug das wunderschöne Kleid, das Sofia für mich geschneidert hatte. Ein tiefes Weinrot mit schwarzer Verzierung. Ich hatte es mir gewünscht. Es saß perfekt. "Ja, ich werde einen Ausflug machen." "In die Stadt? Soll ich dich begleiten?" "Nicht nötig. Ich will nur eine Weile unter Leute. Mir fällt die Decke auf den Kopf." Sie lachte. "Verstehe. Ich wünsche viel Spaß." "Danke. Bis später." Ich wartete, bis die Kutsche nah genug war, und begab ich mich nach draußen unter den grauen Novemberhimmel. Ein schrecklich ungemütliches Wetter. Nicht schrecklich genug, um mich von meinem Vorhaben abbringen zu können. "Megan! Hallo! Schön dich zu sehen!", begrüßte mich Fay gewohnt überschwänglich. "Freut mich auch, aber ich muss los. Der Kutscher hat es eilig." Ich verlor kein weiteres Wort und stieg in die Kutsche. Fays Gesicht musste ich nicht sehen. Ich hatte es die letzten Wochen vermieden, lange mit ihr zu sprechen, oder etwas mit ihr zu unternehmen und ich kannte den enttäuschten Ausdruck, der ihr hübsches Gesicht befleckte, sobald ich sie abwies. Es ging nicht anders. Während der Fahrt in die Stadt besann ich mich auf etwas anderes. Jemand anderen. Ich war nicht nur deshalb unterwegs, um unter Leute zu kommen, ich hatte einen Plan, ein Ziel. Seit Mitte August dachte ich darüber nach, wägte ab, durchdachte alle Möglichkeiten und hatte mich entschieden. Ich musste zurück in das Wirtshaus am Bahnhof.   Die Kutsche holperte über das Kopfsteinpflaster des großen Platzes und hielt schließlich vor dem Postgebäude. Ich bezahlte den Kutscher, wünschte einen schönen Abend und ging ein Stück. Ich war da. Ich wusste, was ich wollte und doch ... war ich kurz davor, den Rückzug anzutreten. So einfach, wie ich gedacht hatte, war es nicht. Die hölzerne Bank neben dem Bahnhofsgebäude sah einladend aus. Ob ich Platz nehmen sollte? Für einen Augenblick ließ ich diese Möglichkeit zu, dann entschied ich anders. Ich hatte nichts zu verlieren, warum zögern? Schnellen Schrittes überquerte ich den Bahnhofsplatz und trat ein, bevor mich der Mut verließ. Das Wirtshaus war voll, wie letztes Mal. Eine rundliche Dame wies mir einen Tisch weiter hinten zu und ich kämpfte mich durch die Menge an Menschen. Viele Reisende mit großem Gepäck, ein paar überaus hungrige Städter und zwei Männerrunden, die den Feierabend begossen. Nicht weiter spektakulär, dennoch unterhaltsam, sie zu beobachten. Ein paar stritten, andere waren einander sehr zugetan. Ich spekulierte über den Ausgang dieser Begegnungen, bis die Kellnerin vor mir stand, auf die ich gewartet hatte. "Guten Abend, Miss. Was darf es sein?" Ich hatte mich nicht getäuscht. Sie war ebenso schön, wie das erste Mal, dass ich sie gesehen hatte. Dunkles Haar, helle Augen, ein ebenmäßiges Gesicht, aus welchem ein herzliches Lächeln strahlte. "Ein Glas Rotwein, bitte." "Danke, kommt sofort." Sie wandte sich ab und ich konnte nicht umhin, zu bemerken, wie wohlgeformt ihre Rückansicht war. Sie gefiel mir. Ich nahm das Buch aus meiner Tasche, das mir die Zeit vertreiben sollte, in der ich warten musste. Rausch aus Sofias Feder. Eine Geschichte, die einem des Öfteren die Schamesröte ins Gesicht trieb. Sofia las nicht nur unheimlich gerne Geschichten, sie schrieb sie auch. Ich hatte ein Regal in ihrer Bibliothek gefunden, in dem ausschließlich ihre Werke standen. Zwei Fuß breit, vier Fuß hoch. Und dieses Exemplar war bemerkenswert freizügig. Ich schreckte hoch, als das Glas Wein an meinem Tisch ankam. "Bitteschön." "Danke", entgegnete ich ein wenig schrill und schlug das Buch zu. Wahnsinnig abgeklärt ... Meine aufgesetzte Gelassenheit war dahin. Trotzdem musste ich etwas tun, bevor sie verschwand. "Hey, eh ... ist hier immer so viel los?", fragte ich recht hilflos. "Um diese Uhrzeit ist das normal. Mittags ist es ruhiger." "Verstehe. Arbeitest du immer hier?" "Nein, eigentlich nur abends. Das Haus gehört meinem Cousin, da muss ich öfter einspringen, als mir lieb ist. Familie eben." "So ist es wohl." Sie nickte. "Ich muss weiter, das Essen serviert sich nicht von alleine." Damit verschwand sie und mir blieb nur die Ernüchterung über meinen einfallsreichen Kommentar und ein Glas Rotwein. Immerhin. Ich ließ mir Zeit mit meinem Wein, bestellte erst spät ein zweites Glas. Das Wirtshaus leerte sich nach und nach und ich hoffte auf deutlich mehr Ruhe, um ein vernünftiges Gespräch zu beginnen. "Noch ein Glas?" Sie stand mit ihrem unzerstörbar fröhlichen Wesen vor meinem Tisch. "Gerne. Ich bin übrigens Megan." "Amanda." "Freut mich." Sie schenkte mir ein Lächeln und eilte davon, um die Flasche Wein zu holen, die ich bereits angebrochen hatte. "Bitteschön." Ich bedankte mich und ließ sie gehen, um die letzten Tische abzukassieren. Sie würde zurückkommen, da war ich sicher, nachdem alle Gäste gegangen waren. Solange konnte ich mich gedulden. Ich beobachtete Amanda, wie sie durch die Gänge und von Tisch zu Tisch eilte. Sie bewegte sich fließend, wie ein junger Bach, der eilig um die Felsen sprang. Es war herrlich anzusehen. Ich verfolgte sie mit meinen Blicken, bis keiner mehr übrig war, außer mir. Ich war der letzte Gast. "Willst du nicht nach Hause gehen?", fragte sie. "Nein, jetzt noch nicht." "Es ist gleich elf." "Ich weiß." "Wir schließen um elf." "Das weiß ich auch." Ich schob ihr mein Glas zu. "Trinkst du noch ein Glas mit mir?" Ein kurzer Moment der Verwunderung, dann nahm sie Platz. "Ausnahmsweise. Und nur, weil du seit Stunden alleine hier sitzt." Das Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. "Aus Mitleid also. Nun gut, damit kann ich leben. Besser als nichts." "Gut, Cheers." Sie nahm mein Glas und prostete mir zu, bevor sie sich einen Schluck genehmigte. "Auf den Feierabend." Ich stimmte ihr wortlos zu und verwickelte sie in ein völlig belangloses Gespräch über den Beruf der Kellnerin – da kannte ich mich aus. Über aufdringliche Gäste und Männer. Sie hatte keinen.   Die zweite Flasche Wein war leer, ebenso wie das Wirtshaus, und wir unterhielten uns noch immer angeregt über Gott und die Welt. Amanda war nicht nur schön, sie war auch unterhaltsam. Sie hing mit seligem Grinsen in ihrem Stuhl. Ich schrieb es dem Wein zu, und packte die Gelegenheit beim Schopfe. Ein kurzes Zeichen mit meinem Zeigefinger, und sie lehnte sich mir entgegen. Warum nicht? Von mir schien keine Gefahr auszugehen. Nur war ich nicht hier, um eine nette Unterhaltung mit der Kellnerin zu führen. Ich beugte mich über den Tisch, streckte meine Hände nach ihrem Nacken aus und zog sie ungefragt heran. Mitten in ihrer Erzählung über geräucherten Lachs und was man dazu servieren sollte, nahm ich ihre Lippen in Beschlag. Ich war unendlich angespannt. Sie erstarrte unter meinen Fingern. Ich hatte einen Atemzug lang Zeit, dann wich sie aufgebracht zurück und schlug mir schallend ihre Hand ins Gesicht. Ich hatte diese Ohrfeige zweifelsfrei verdient. "Was in Gottes Namen ist bloß in dich gefahren?", wetterte sie hysterisch. Ich rieb meine glühende Wange. "Du bist mir nicht aus dem Kopf gegangen." "Ah ja? Na, schön für dich." Amanda erhob sich zügig und ließ den Stuhl geräuschvoll über den Boden quietschen. "Du bist doch nicht mehr voll bei Trost", fügte sie hinzu und sputete sich, davonzukommen. "Ich muss noch zahlen!“, rief ich ihr nach und blieb unbeirrt auf meinem Stuhl sitzen. Keine Antwort. Sie hatte das Zimmer verlassen. Und plötzlich – ohne Vorwarnung – wurde es stockdunkel im Wirtshaus. Amanda hatte die Lichter gelöscht. "Du hättest ruhig warten können, bis ich draußen bin!", tat ich meinen Unmut kund. Klasse gelaufen … Ein tiefes Seufzen bahnte sich seinen Weg ins Freie. Ich hatte es überstürzt. Frustriert ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Wie hatte ich bloß derart unvorsichtig sein können? Mit der Tür ins Haus. Es war die schlechteste Idee, die ich hätte haben können und jetzt brauchte ich hier gewiss nie wieder aufzuschlagen. Ich stemmte mich hoch und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Durch die Fenster fiel kaum Licht. Ein Hindernisparcours. Ich tastete mich vorsichtig hinter meinem Tisch hervor und schlich langsam dorthin zurück, wo ich den Ausgang vermutete. Die Hälfte der Strecke war geschafft, als eine ruhige Hand meine Schulter fand. Mein Herz stürzte im Freiflug steil hinab. "Du hast keine Ahnung, was du tust, oder?" "Nicht die geringste." Sie schnaubte amüsiert und ich kehrte der Tür den Rücken. Amanda war nicht zu sehen, doch ich wusste sehr wohl, dass sie direkt vor mir stand. "Du kannst mich nicht im hell erleuchteten Wirtshaus küssen. Jemand könnte es sehen." "Das war ein wenig unüberlegt." "Sehr unüberlegt. Es ist verboten." "Ich weiß." "Und trotzdem bist du hier." "Trotzdem hast du mich nicht gehen lassen." Ich hatte mich nicht geirrt, Amanda hatte mich angesehen. Schon letztes Mal hatte sie mich mit diesem Blick angesehen, der alles verhieß. Ihre Hände fanden den Weg zu meinem Gesicht und ihre Lippen die meinen. Mein Körper war entflammt und ich war augenblicklich süchtig. Ich brauchte mehr davon. Mehr von ihr, mehr von diesem aufregenden Knistern. Sie nahm ihre Hände von meinem Gesicht und löste den Kuss. „Komm hier lang“, flüsterte sie und griff meinen Arm. Ich folgte ihr durch den Raum. Sie führte mich sicher zwischen Stühlen und Tischen hindurch. Noch ein kleines Stück und wir verschwanden aus dem Hauptraum. Amanda bremste abrupt, nachdem sie hinter einer Trennwand verschwunden war, ich stürzte in sie hinein und sie hielt mich fest. Sie bebte und der Wein ließ uns taumeln. Nur ein paar holprige Schritte und ihre Hand lag fest an meiner Taille. Ich lehnte mich gegen sie und stützte mich an die Wand, die uns vor fremden Blicken verbarg. Unsere Lippen fanden sich immer wieder aufs Neue. Ihre Finger lösten Schauer aus, die mit rasender Geschwindigkeit meine Wirbelsäule hinabfegten. „Ich hatte gehofft, dass du zurückkommen würdest“, gestand sie und küsste meinen Hals. Es kribbelte. Dort, wo sie mich berührte und in meinem Schoß. Ein wunderbares Gefühl, das stärker wurde, je weiter ich ihre Bluse öffnete. „Man trifft nur selten jemanden mit ähnlichen Neigungen …“, seufzte sie in meine Halsbeuge, „der bereit ist, es zuzugeben.“ Sie mochte recht haben, im Moment interessierte es mich nicht. Ich packte ihren Kopf mit beiden Händen und hob ihn an, um sie küssen zu können. „Das ist mir ganz gleich“, beendete ich die Unterhaltung und verschloss ihren Mund. Ein leichtes Vortasten mit der Zungenspitze, sie ließ mich hinein und erneut stoben Funken durch all meine Glieder. Es gab so viel zu entdecken, zu erleben, zu spüren. Neu und aufregend. Ich fühlte mich lebendiger, als je zuvor. Und obwohl ich bis heute nicht wusste, was mir entgangen war, so war ich sicher, dass es mir gefehlt hatte. Ein kurzer Ruck – ich dankte dem Wein, dass er mir Mut gemacht hatte – und Amanda war aus ihrer Bluse befreit. Für einen Moment vergas ich zu atmen, als meine Hand sich ihren Weg unter das dünne Hemdchen bahnte, das locker über ihrer weichen Brust lag. Ihr Herz schlug schnell unter der zarten Haut. Ich griff den leichten Stoff und zog ihr das Hemd über den Kopf. Amanda hatte mein Kleid geöffnet, sie musste es nur noch absteifen. Ich half ihr dabei. Es musste schnell gehen. Jede Verzögerung ließ mich darüber nachdenken, was wir taten und wie riskant es war. Ich durfte diese Verunsicherung nicht zulassen, sie würde alles verderben und ich wollte diese Frau. In dieser Nacht wollte ich sie ganz und gar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)