Zwischen Hölle und Hölle von abgemeldet ================================================================================ | fünf | Panisch versuchte ich zu schreien, aber der Honigblonde presste seine Hand auf meinen Mund und lächelte lasziv. Er leckte sich über die Lippen, beugte sich über mich. »Stell dich nicht so an, Süßer.« Er kratzte mit einem pinken Nagel der anderen Hand über mein Kinn, den Hals hinab bis zu meiner nackten Brust. Ich wand mich hin und her, wollte, dass er mich losließ, doch der Andere kletterte nur auf mich, setzte sich breitbeinig auf meinen Schoß und fuhr sich aufreizend über die rosafarbenen Strapse, keuchte und warf graziös seine aufwändig frisierten Haare nach hinten. »Es wird dir gefallen.« Wieder erstickte er meine Laute, dann wanderten seine Hände langsam meinen Oberkörper hinab, gelangten zum Hosenbund und glitten ohne zu zögern hinein. Ich schrie. Und fiel aus dem Bett. Mit rasendem Herzen starrte ich an die Decke, versuchte mich zu beruhigen. Verdammt, was war denn das für ein Albtraum? Zitternd zog ich mich an der Bettkante hoch, schielte zum Wecker. Kurz vor sechs. Dann konnte ich auch gleich aufstehen. Misstrauisch sah ich mich um, erwartete schon fast, dass Uruha aus einer Ecke hervorgesprungen kam wie in meinem Traum, oder vielleicht aus dem Kleiderschrank, aber nichts geschah. Ich war allein, der Stuhl vor meinem Schreibtisch sah im dämmrigen Licht harmlos aus und nirgendwo waren Seile, die mich erneut an der hölzernen Sitzgelegenheit fesseln konnten. Durch die geschlossene Tür waren Geräusche aus der Küche zu hören, irgendjemand unterhielt sich mit einem anderen, eine Tür wurde geschlossen, Geschrei ertönte. Alles in bester Ordnung. Dann konnte ich ja beruhigt ins Bad gehen. Nur wenige Minuten später betrat ich die Küche, in der mich ein strahlender Kai mit Frühstück empfing. »Morgen, gut geschlafen? Heute ist dein erster Tag, oder?« Ich nickte nur, lächelte und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Mir gegenüber grinste Uruha über den Tisch. Ein Uruha in grauem T-Shirt, alter Jeans und mit herabhängenden Haaren. Ein ganz normaler Mann. Sogar die Fingernägel waren heute farblos. Verdammt, den Traum würde ich so schnell nicht wieder vergessen können. Erst die zweite Nacht und schon hatte ich Albträume von meinen Mitbewohnern. War das eine Warnung meines Unterbewusstseins? Und wenn ja, wieso meldete es sich erst jetzt und nicht schon, als das erste Mal die Tür vor mir aufgerissen wurde? Ich schreckte zusammen, als plötzlich eine Tasse mit der Aufschrift ›Adonis‹ neben mir auf den Tisch knallte und Reita sich grummelnd setzte. »Morgen, Reita. Hast du gut geschlafen?« Kai ließ sich nun ebenfalls am Tisch nieder, überhörte das grimmige Knurren und strahlte einfach weiter, sogar dann noch, als der Blonde angeekelt das von ihm gekochte Frühstück betrachtete, welches ich mir schmecken ließ. Plötzlich starrte der Honigblonde entsetzt seine Nägel an und kramte eine Feile hervor. Niemand würde mir glauben, dass der Kerl Bauarbeiter war, bis er es selbst gesehen hätte. Nun ja, vermutlich stand mein Mitbewohner sowieso den ganzen Tag daneben und feilte sich die Nägel. Ich konnte mir eine Frage nicht verkneifen: »Machst du eigentlich noch etwas anderes im Laufe des Tages, Ruha?« Kai prustete los, während Uruha überrascht den Kopf hob. »Was meinst du?« »Na ja, die ganze Zeit feilst du nur deine Nägel und regst dich darüber auf«, versuchte ich mich zu erklären. »Ach so, das. Ich kann auch anders.« Schon griff der Honigblonde hinter sich, öffnete den Kühlschrank und zog eine Bierflasche hervor, öffnete sie mit den Zähnen und ließ rülpsend seine Füße auf die Tischplatte donnern. Kai riss die Augen auf. »Takashima! Nimm sofort deine Füße vom Tisch!« Murrend verlagerte Angesprochener die dekorativ-löchrig besockten Körperteile auf den Stuhl neben sich. »Du wunderst dich, warum er so ist, wie er ist? So übertrieben?«, fragte Reita lauernd und grinste fies. »Der Sack übt für seine große Karriere, er will Schauspieler werden. Das ist zumindest seine Ausrede. Wenn du mich fragst, ist es was Genetisches.« Gerade wollte ›der Sack‹ sich verbal wehren, da schlich Ruki völlig verstrubbelt in die Küche, schob sich auf den Stuhl auf meiner anderen Seite und rückte so nah, dass er fast unter meiner Achsel klemmte. »Morgen, Aoi-chan und Kai-chan«, flüsterte er und musterte mit zusammengekniffenen Augen den Tisch. »Morgen, Ruki-chan«, lächelte ich und konnte es mir nicht verkneifen, ihm durch die Haare zu streichen. So verschlafen sah er unglaublich niedlich aus. Die restlichen drei sogen scharf die Luft ein, starrten mich geschockt an. Fragend sah ich zurück, stockte in meiner Bewegung. »Du … Du kannst doch nicht … einfach so …«, keuchte Kai, während Uruha vor Schreck seine Schüssel fallen ließ. »Du hast ihn angefasst.« Die Stimme Reitas klang entgeistert. Verwirrt schaute ich sie weiter an, bis mir auffiel, was sie meinten. Ich hatte den Kleinen angefasst. Und laut Kai war das mein Todesurteil. Es war so, als hätte ich einfach Rukis Zimmer betreten, welches noch nie jemand von innen gesehen hatte. Als hätte ich Uruha die Feile geklaut. Als hätte ich Reita seinen Tanga aus dem Gesicht gezogen. Ich hätte den Kaiser umbringen können und das wahrscheinlich eher überlebt! Oh Gott. Schluckend wollte ich meine Hand zurückziehen, doch im selben Moment spürte ich, wie Ruki sich meiner Hand entgegendrückte und schnurrte. »Aoi-chan darf das.« Dann griff der Kleine nach seinen Stäbchen und begann zu essen. Einfach so. Die fassungslosen Blicke wanderten nun zu mir. Dann knickte einer der Blicke ab, fiel auf den Tisch. »Du frisst verdammt viel«, hörte ich die erstaunte Stimme des Blonden. Ich wurde knallrot. Tatsächlich hatte ich schon meine zweite Schüssel geleert, während die anderen gerade mal die Hälfte der ersten geschafft hatten. »Meine Güte, lass ihn doch. Wenn er nun mal Hunger hat, soll er auch essen«, seufzte Kai. »Du musst mehr Haushaltsgeld zahlen, du isst mehr als wir!« »Wenn das so ist, musst du mehr Miete bezahlen.« »Wieso das denn?« »Du besetzt als Einziger jeden Abend das Wohnzimmer. Du hast also mehr Räume als wir.« »Und deine Küche?« »Die Wohnung gehörte ursprünglich mal mir.« Der Brünette grinste den Blonden überlegen an, welcher empört nach Luft schnappte. »Welcher Tag ist heute?«, wisperte es neben mir, doch bevor irgendeiner eine Chance hatte, ergriff der Blonde das Wort und ließ seiner schlechten Laune freien Lauf. »Kannst du den Kalender nicht lesen, Giftzwerg?« »Er hängt zu hoch, du blöder Penner!« »So ist das eben, wenn man so winzig ist wie du.« »Mein Kopf war nur nicht so leer und leicht, dass ich so in die Höhe schießen konnte wie du!« »Das ist fies!« »Heul doch!« »Mach ich auch!« »Dann geh endlich!« »Geh du doch!« »Das ist Kai-chans Küche!« »Na also!« Ruki verließ wütend nach Reitas letzten Worten die Küche. Irritiert blickte ich ihm nach, bis er zurückkam. »Moment mal …« »Ihr müsst los!«, unterbrach Kai den Streit und zeigte auf die Uhr. Kurz vor sieben. Ich musste wirklich langsam los, um die Bahn noch zu kriegen. Schnell trank ich meinen Kaffee aus. »Los, Uruha!«, wurde der Honigblonde gerade angetrieben, als ich die Küche verließ und mein Zimmer ansteuerte. Ich griff nach meiner Tasche, suchte meine Schuhe und ging Richtung Wohnungstür, als Kai noch einmal zu mir kam. »Hier, der Tag ist lang.« Er drückte mir ein Bento in die Hand. »Viel Glück heute!« Dankbar strahlte ich ihn an, drückte ihn kurz und öffnete die Tür, als Ruki neben mir auftauchte. »Ich muss mit Koron-chan raus. Er muss mal, hat er gesagt.« Er zeigte auf die Leine, die hinter ihm über den Boden schleifte. Na, an mir sollte es nicht liegen. »Reita! Was ist mit dir?«, hörte ich den Brünetten aus der Küche. »Ich fahr später mit dem Auto.« »Und du, Uruha? Wartest du auf deinen persönlichen Helikopter? In welcher Dimension steckst du schon wieder fest?! Komm endlich in die Gänge und beweg dich!« Schnell zog ich die Tür zu. ♦ Gemütlich und in aller Ruhe, da wir noch genug Zeit hatten, schlenderten Ruki und ich Richtung Bahnhof. Pardon, natürlich Ruki, Koron-chan und ich. Mehrmals hatten wir schon angehalten und gewartet, dass der unsichtbare Hund sein Geschäft verrichtete. Musste man wenigstens die Häufchen nicht aufsammeln. Ich wagte jedoch nicht, irgendwas zu sagen. War ja irgendwie ganz putzig, wie der Kleine auf seinen nicht vorhandenen Hund aufpasste. »Was ist das eigentlich für eine Rasse?«, fragte ich neugierig, als wir an einer Ampel standen. »Sieht man das nicht?« Traurig blinzelte Ruki mich an. »Ich … äh … kenne mich nicht so gut damit aus.« »Ein Chihuahua.« Waren das nicht diese winzigen Hunde, die regelmäßig plattgetreten und weggeatmet wurden, sobald sie die Handtaschen verließen? Vielleicht sah ich ihn deswegen nicht, weil er einfach zu klein war. »Er ist noch nicht sehr alt. Früher hatte ich einen Kontinentalen Zwergspaniel, er hieß Sabu-chan. Aber er war zu alt.« »Sind das nicht die mit den lustigen Ohren?« »Mhm. Es gibt Schmetterlings- und Nachtfalterhunde, Papillon und Phalène. Man unterscheidet sie an den Ohren.« »Und was war Sabu-chan?« »Ich weiß nicht genau.« Nun ja, er war ja auch unsichtbar, vermutete ich einfach mal. »Aber wenigstens lachst du mich nicht aus. Die anderen lachen immer, wenn ich Koron-chan erwähne.« »Die sind bestimmt nur neidisch.« Wir überquerten die Kreuzung, bogen nach links ab. »Warum bist du hierher gezogen?« Der Kleine sah mich an. Diese Frage war wie ein Messerstich. Ich wollte nicht darüber reden. Die Erinnerung an den Morgen und die Stunden, bevor ich in den Zug gestiegen bin, kam wieder hoch. »Ich … wollte schon immer mal nach Tokyo. So eine große Stadt …«, wich ich aus und sah zur Seite, beobachtete einen Verkäufer, der seine Ware im Schaufenster arrangierte. »Das ist nicht die ganze Wahrheit«, stellte Ruki leise fest. »Es tut dir weh, oder?« Ich atmete tief durch, nickte nur kurz. Eine Hand griff nach meiner und hielt sie fest. Die Berührung tat gut. ♦ Aufatmend erreichte ich um kurz vor acht den Kindergarten. Ruki war am Bahnhof wieder umgedreht, die stickige Fahrt hatte meinen Kopf abgelenkt, die Gedanken auf meinen heutigen Tag gerichtet. Schluckend stand ich nun hier, malte mir die schlimmsten Szenarien aus, die heute geschehen könnten. Je schlechter man von etwas ausging, desto besser konnte es doch nur werden, oder? Wenn ich also davon ausging, dass die Kinder mich hassen und erwürgen würden, dann wäre ein kleiner Unfall oder ein vollgekotztes T-Shirt doch viel besser. Oh Gott. Hatte ich ein frisches T-Shirt dabei? An so etwas hatte ich gar nicht gedacht heute Morgen. Nicht, dass ich nachher einen neongelben Overall oder gar ein Kleid tragen müsste von einer der Erzieherinnen. Vollgekotzt konnte ich ja schlecht bleiben. Verdammt. Im Kleid mit kurzem Rock durch die Stadt rennen und mit der Straßenbahn fahren?! Vielleicht wäre Mord doch die angenehmere Variante. Und was wäre, wenn mich die Kleinen wirklich hassen? Ein Kindergärtner, der gehasst wird. Das geht doch nicht. Was sollte ich nur tun? Mich einschleimen? Ich hatte nicht mal ein Begrüßungsgeschenk oder so. Machte man das überhaupt? Verflucht, warum hatte mich die Direktorin so gar nicht darauf vorbereitet? Sie würde mich ebenfalls hassen. Alle würden mich hassen! Und dann stünde in der Zeitung, ich würde Kinder misshandeln, weil alle heulen und schreien. Meinen Traum als Musiker konnte ich in den Wind schießen. Wer würde einen Gitarristen nehmen, der Kinder vergewaltigte?! Stopp! Jetzt reichte es aber. Ich war nur Aushilfe und sollte einen Erzieher unterstützen. Mehr nicht. Ein bisschen die Kinder beschäftigen und mit ihnen spielen. Verdammt, sogar das hörte sich nach meinen vorigen Gedanken schon pädophil an! Wovor hatte ich eigentlich Angst? Sie würden mich hassen und umbringen. Mehr konnte nicht passieren. Kein Grund, jetzt hier so durchzudrehen. Das waren nur Kinder. Kleine, süße, unschuldige … »Aoiii!« Irgendwas warf sich gegen mein Bein. Erschrocken zuckte ich zusammen, starrte nach unten und begegnete leuchtenden Kulleraugen. Nanami. »Hallo«, begrüßte ich das Mädchen und entdeckte nun auch die Mutter, die mich anlächelte. »Sei schön brav, Nanami. Ich gehe dann jetzt.« Die Frau verabschiedete sich von der Kleinen, winkte und verschwand. Nun standen wir zwei hier vor der Tür, sahen uns an. »Kommst du heute mit in den Kindergarten?«, fragte sie mich neugierig. »Ja, ist mein erster Tag.« »In welcher Gruppe bist denn du?« »Märchen… zwerge oder so.« Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Märchenwald! Du bist aber doof. Das ist meine Gruppe!« Sie fasste nach meiner Hand, zog an ihr. Doch ich zögerte leicht, versuchte meine Befürchtungen zu verdrängen. Dabei konnte mit Nanami doch eigentlich nichts mehr schiefgehen. »Hast du Angst?« Ertappt wurde ich rot und sah zu Boden. »Ich bin bei dir!« Und so betraten wir zusammen den Kindergarten, steuerten auf eine bunte Tür mit Pappbäumen und bunten Pilzen zu und öffneten sie. Dann erstarrte ich, als mir eine bekannte Stimme entgegenschlug. »Verdammte Hacke, was hast du jetzt schon wieder angestellt?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)