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Another Precious Rainbow

Nothing's like it seems to be
von

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Ankomst

Another Precious Rainbow
 

~Prolog~
 

Ankomst

Die Ankunft
 

Es war Nacht, als Juudai mit seiner Mutter aus dem Flughafengebäude hinaus traten, trotzdem leuchtete ein feuriges orange - rotes Licht am Horizont und leuchtete dem braunhaarigen Jungen ins Gesicht. Es war hier so ganz anders als in Japan. Wäre er um diese Zeit zu Hause gewesen, dann schiene kein bisschen Sonne mehr, alles wäre duster und nur von der Straßenbeleuchtung und blinkenden Reklameschildern erhellt.

Juudai seufzte. In Norwegen fand die Sonne wohl auch eine Stunde vor Mitternacht keine Ruhe und ebenso wie die Sonne würde er wohl kaum ein Auge zubekommen, wenn sie endlich in ihrer neuen Wohnung ankamen. Er wusste genau, dass ihn nur noch wenige Minuten von seinem neuen zu Hause trennten.
 

"Komm Juudai-kun, wir nehmen ein Taxi!", seine Mutter nahm ihn nun wie ein kleines Kind an die Hand, wobei er nun nicht mehr die Chance hatte davon zulaufen.

Er seufzte schwer, wohin sollte er wohl auch laufen?

Im Gegensatz zu seiner Mutter konnte er nicht einmal Englisch und in den letzten Monaten hatte er auch, anders als sie, nicht die Landessprache gelernt, denn die japanische Schule hielt ihn zu sehr auf.

Das ganze Auswandern erschien ihm als unkluger Schritt. Warum sollte er Japan verlassen? Seine Heimat die ihm noch so viele Möglichkeiten offen hielt. Er hatte seine Freunde geliebt, er fühlte sich auch an seiner Schule wohl und wusste wie man sich in seinem Vaterland verhält. Nun lag ihm aber eine ganz andere Welt zu Füßen, eine fremde Kultur wartete auf ihn, eine völlig fremde Sprache und wie oft konnte er wohl seine Freunde in Japan besuchen?

"Ich kann allein gehen, Mutter", nörgelte der Fünfzehnjährige und ließ ihre Hand wieder los, "Lass uns lieber schnell nach Hause, ich sterbe vor Müdigkeit!"
 

Es war nur eine Möglichkeit um seine andauernde schlechte Laune zu erklären, Müdigkeit. Dabei war Juudai in Wirklichkeit wütend. Wütend darüber, dass sie Japan so sang- und klanglos verlassen hatten. Wütend, weil er sich nicht richtig von seinen Freunden verabschieden konnte...

Am liebsten wäre er davon gerannt. Wieder in den Flughafen hinein, zurück nach Amsterdam um dort eine Maschine nach Hause zu nehmen, wenn er genug Geld gehabt hätte. Stattdessen stieg er in den silbergrauen Mercedes mit der Aufschrift "Oslo Taxi til og fra Oslo Lufthavn 500,-".

Er hörte seine Mutter leicht gebrochen die norwegische Sprache sprechen, aber der ausländisch aussehende Taxifahrer schien sie ohne Probleme zu verstehen und setzte den Wagen in Bewegung.
 

Juudai sah aus dem Fenster. Die sommerlich grüne Landschaft wurde schummrig, nun endlich hatte die Sonne sich für die nächsten drei oder vier Stunden hinter dem Horizont versteckt und ließ das Gefühl wach werden, dass es nun endlich spät wurde.

Lange war der junge Japaner nicht in der Lage seine Augen offen zu halten. Die zwölf stündige Reise hatte ihn doch sehr mitgenommen und so fiel er die Autofahrt über in einen tiefen Schlaf, an seinen Traum konnte er sich nach dem Erwachen nicht mehr erinnern.
 

Nach ungefähr sechzig Minuten Autofahrt stand Juudai vor seinem neuen Wohnsitz. Der bleierne Schlaf steckte ihm noch in den Beinen und seine Augen betrachteten müde das rote Holzhaus, das am Fuße eines Berges stand.

Er musste zwangsläufig seufzen. Er konnte nicht leugnen, dass dieses Haus wirklich gemütlich und einladend aussah, aber es war so anders als in Japan. Er war es nicht gewohnt in einem Einfamilienhaus zu wohnen. Für Juudai war es normal in einem Block zu wohnen mit viel Lärm von den Straßen her und vielen Nachbarn mit denen er sich unterhalten konnte. Egal wie schön diese Häusersiedlung auch aussah, sie konnte ihm nicht das Gefühl von zu Hause vermitteln.
 

"Na geh schon rein, Juudai-kun", bat seine Mutter mit einem Lächeln während sie dem Taxifahrer das Geld zahlte, "Ich glaube die Angestellten der Umzugsfirma haben schon die Möbel nach Anweisung aufgestellt. Du wirst gleich schlafen können."

Juudai nickte müde, seine Mutter musste vergessen haben, dass er keinen Schlüssel für die neue Wohnung besaß, also wartete er bis sie die letzten Habseeligkeiten zur Tür brachte und endlich aufschloss.
 

Er sah sich stumm um. Noch immer konnten seine trüben Augen nicht alles richtig wahrnehmen. Noch nie hatte er sich so schwach gefühlt wie jetzt in diesem Moment. Zumindest glaubte er, sich niemals so schlecht gefühlt zu haben. Selbst Juudais Neugier wurde nicht durch das für ihn noch fremde Gebäude geweckt und so begab er sich desinteressiert in das Badezimmer und sogleich in sein Zimmer.
 

Wieder entfuhr ihm ein leises Seufzen. Er hatte sich wenigstens sein Zimmer ein bisschen größer und vor allem einladender vorgestellt. Keine Gardienen zierten das Fenster und seine Wände waren noch kahl. Sicher würde dieses kleine Zimmer nicht sehr hell werden, selbst wenn die Sonne hinein schien.

Geschwind krabbelte Juudai ins Bett hinein und zog sich die Decke über seinen Kopf. Er grummelte leicht. Im Moment fand er die Welt ungerecht und böse. Wenn es wenigstens einen guten Grund für diesen fluchtartigen Umzug gegeben hätte. Nur ein einziger kleiner Grund hätte ihm gereicht, aber seine Mutter schien es nicht für nötig zu halten ihm diesen zu nennen.

Nun ereilten ihn die Gedanken an den bevorstehenden Alltag. Juudai wusste ganz genau, dass er nach diesem Wochenende in die Schule gehen musste. In eine norwegische "Ungdom Skole", die man mit der Mittelschule in Japan vergleichen konnte. Juudai hatte noch keine Ahnung wie er seine bevorstehende Schulzeit überleben sollte. Ihm war klar, dass er in eine Klasse kam, die ausschließlich aus Ausländern bestand, die der Landessprache noch nicht mächtig waren und es lernen sollten, aber er verstand kein einziges Wort Norwegisch und auch mit Englisch konnte er kaum etwas anfangen.

Mit üblen Gedanken schloss Juudai erneut seine Augen, nur um in einen langen Schlaf zu fallen in dem er an all die schönen Dinge in seiner Heimat dachte.
 

Was für schicksalhafte Begegnungen er noch machen würde, war ihm noch unklar. Das sich vielleicht die Freunde seines Lebens in diesem Land befanden blieb ihm ebenfalls verborgen und auch die Tatsache, dass ein viel tieferer Grund hinter der Ausreise aus Japan verbarg, war Juudai noch nicht klar...
 

~Fortsetzung folgt in Kapitel 1: Da sommerferiene var over - Als die Sommerferien zu Ende waren~
 

Nachwort:

Ja, schon wieder eine neue FF, ich sollte erst mal was beenden bevor ich mich in eine neue Arbeit stürze, richtig?

Na ja, erst mal willkommen zu meiner neuen Spiritshipping. Eine etwas andere Idee ich weiß, aber ich konnte es nicht lassen Juudai in diese Situation zu stecken und damit wird es auch zu einem Teil meines Lebens denn ich habe es nicht anders erlebt *g*.

Aber ich verspreche euch nicht nur Romantik in dieser Geschichte, sondern auch ein spannendes Abenteuer, denn das ganze wird noch zu einem dramatischen Krimi heranwachsen, aber zuviel verrate ich euch noch nicht.

Ich würde mich freuen wenn ihr diese Story weiter verfolgen würdet. Wie viele Kapitel es werden weiß ich leider noch nicht. Ich habe hierfür noch keinen festen Storyrahmen entworfen, dafür stehen mit noch alle Möglichkeiten offen.

Also dann, auf ein neues Jahr mit viel Spiritshipping!

Eure Ruky

Da sommerferiene var over

~Another Precious Rainbow~
 

Kapitel 1

Da sommerferiene var over

- Als die Sommerferien vorbei waren -
 

Für Juudai war es die Hölle. Seine Mutter räumte und putzte schon den ganzen Tag in der neuen Zweizimmer Wohnung und trieb ihn mit den Geräuschen, die das Auspacken der Habseeligkeiten und dem Lärm, der Haushaltsgeräte mit sich brachten, an den Rand seiner Kräfte.

Juudai hatte versucht sich so entspannt wie möglich zu geben und sich mit der völlig neuen Situation zurecht zu finden. Einen klaren Gedanken über den Wochenanfang konnte er aber noch nicht fassen. Die Decke fiel ihm förmlich auf den Kopf. Es war fast Mittag und alle zwei Minuten starrte er auf die Uhr. In Japan war es nun Nachmittag, allerdings konnte er keinen seiner Freunde anrufen und eine Internetverbindung besaßen sie auch noch nicht. Ihm fehlte der Kontakt zu seinen Freunden schon jetzt, obwohl er sie doch erst zwei Tage nicht gesehen hatte. Juudai wurde sich langsam bewusst, dass dies hier die Realität war, er würde seine Freunde kaum mehr als einmal im Jahr wiedersehen, wenn er Glück hatte.
 

Es wurde still für einen Moment. Gemütlich lehnte Juudai sich in die Kissen seines schwarzen Holzbettes zurück und starrte zur Decke. Neben ihm flatterte leicht der blaue Vorhang und der Gesang eines Vogels drang zum Fenster herein. Juudai wälzte sich kurz und legte sich dann auf den Bauch, den Kopf auf beide Hände gestüzt. Er dachte angestrengt nach. Norwegen konnte doch auch ganz nett aussehen. Er wohnte am Fuße eines kleinen Berges, dessen Gipfel er von seinem Bett aus gut sehen konnte. Vielleicht würde er irgendwann einmal dort hinauf gehen und wenn es nur als Flucht vor der Geräuschkullisse seiner Mutter diente.

Plötzlich zuckte Juudai zusammen als seine Zimmertür mit einem Ruck geöffnet wurde und seine süßlich lächelnde Mutter ihren Kopf durch den Spalt steckte. Nachdem er sich von seinem leichten Schrecken erholt hatte, sah Juudai die schwarzhaarige Frau mit einer entgeisterten Miene an: "Was soll ich dir für einen Gefallen tun?"

"Aber Juudai-kun", seine Mutter klang ebenso zuckersüß wie ihr Lächeln wirkte und winkte schnell ab, "Du tust ja so als würde ich oft zu dir kommen. Ich würde mich freuen wenn du zum nächsten Laden gehen würdest um mir einen Packen Zucker zu kaufen."

"Zucker!?", wiederholte Juudai ungläubig.

"Ja natürlich, oder soll ich den Kuchen mit Salz backen?", hinterfragte sie mit Scherz in der Stimme.

Juudai seufzte verloren aus: "Na gut. Sagst du mir auch wo ich einen Laden finden kann und woher du weißt, wo es einen Laden gibt?"

Die junge Frau hatte schon fast ein Grinsen auf den Lippen als Juudai sie das fragte, er ahnte schon, dass sie nun die ersten Kontakte mit den Nachbarn geknüpft hatte und er hatte sich seiner blinden Hoffnung wieder nach Japan zurückzukehren einen Schritt weiter entfernt.

Tatsächlich antwortete sie ihm wie vorrausgesehen: "Die Nachbarn waren so freundlich mir den Weg zu erklähren. Du musst nur den Levretoppen nach unten gehen, über die Straße gehen und dann immer gerade aus. Dort findest du einen Supermarkt der Rimi heißt."
 

Er setzte sich auf und kam sogleich auf die Beine. Er hatte zwar keine Ahnung ob er den Supermarkt finden würde oder ob er sich überhaupt zurecht fand. Nachdem er in seine Schuhe geschlüpft war, bekam er einen Rucksack und etwas Geld. Juudai sah den grünen Papierschein entgeistert an: "Und das soll reichen?"

"Ja, natürlich. Fünfzig Kronen sind mehr als fünfzig Yen, hast du das vergessen?", entgegnete sie mit einer Gegenfrage und gab Juudai einen kleinen Klaps zur Tür hinaus.

Der braunhaarige Japaner murrte leise. Er hasste es wenn seine Mutter ihn so fröhlich wie einen kleinen Jungen behandelte. Auf der anderen Seite musste er sich eingestehen, dass sie ohne diese kleine unangenehme Eigenheit nicht die Selbe wäre und ihm irgendwie der Grund zur Beschwerde fehlte.

Nachdem Juudai den kleinen Hang hinabging, der gut gepflastert war, begann ihn die Sonne langsam zu plagen. Die Sommerhitze schien auf einmal unerträglich zu werden, dabei war es in Japan auch sehr warm, allerdings unterschied sich die Luftfeuchtigkeit gewaltig.
 

Juudai hatte tatsächlich keine Probleme den pechschwarzen Laden mit dem gelb-roten Logo das die Aufschrift Rimi trug zu finden. Der Weg war auf der anderen Straßenseite sogar noch schattiger gewesen. Es war nach Mittag, aber keiner kreuzte seinen Weg, als ob die ganze Umgebung ausgestorben war. Juudai war dies ganz recht, denn so bestand keine Gefahr in Verlegenheit zu geraten falls jemand versucht hätte ihn anzusprechen. Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und murmelte einen schwer eingeübten englischen Satz vor sich hin, dabei fiel ihm allerdings ein, dass er gar nicht wusste, was Norwegisch auf englisch hieß.

Somit wiederholte er die Worte "Excuse me I do not talk Noruweigo", in seinem Kopf und hatte keine Ahnung, dass sein Wortgebrauch etwas falsch war.

Langsam betrat Juudai das Geschäft und sah sich um. Die Kassierer würdigten ihn keines Blickes und begrüßten ihn auch nicht als er zur Tür herein kam.

"Unhöfliches Volk", dachte er sich und begann seine Suche nach dem Zucker.

Er ging an den Bergen von Bierdosen bei den Getränken vorbei und betrachtete ein Schild mit Uhrzeiten, das er nicht ganz verstand. Gab es etwa Zeiten am Tag wo man kein Bierkaufen durfte?

Ein bisschen dessinteressiert zuckte er die Schultern und ging die Gänge entlang. Nur ein Paar Leute waren am Samstag Mittag einkaufen. Juudai versuchte sich so unauffällig wie möglich zu geben, er versuchte jeden im Laden zu meiden auch wenn es eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Niemand hätte ihn angesprochen, denn es lag nicht in der Natur eines Norwegers jemand anderen, den er nicht kannte zu grüßen.
 

Nachdem Juudai ungefähr den halben Laden nach Zucker durchkämmt hatte, wurde er unruhig. Die Realität holte ihn langsam ein. Natürlich stand auf den meisten Produkten auf Norwegisch drauf was es war oder man erkannte den Inhalt in Gläsern.

Wie sollte er auch ein Päckchen Zucker erkennen?

Wie war das Norwegische Wort dafür?

Er dachte leise Flüche vor sich hin. Seine Mutter hätte ruhig ein bisschen mitdenken können. Nun stand er vor einigen Backwahren. Hvetemel, potetmel, risengrynsgrøt und andere unaussprechliche Aufschriften waren zu sehen. Er war gezwungen zu fragen, aber wie sollte er sich verständlich machen?

Aus Nervosität holte er seine Geldbörse hervor. Vielleicht konnte er wieder zurück gehen und seiner Mutter sagen, dass er nicht genug Geld dabei hatte und nebenbei fragen wie es auf Norwegisch hieß. Juudai öffnete erneut das kleine Portemonai und betrachtete den Geldschein, doch seine Augen erfassten noch etwas: einen kleinen weißen Zettel.

Juudais Herz schlug auf einmal schneller. Seine Mutter hatte doch mitgedacht!

Schnell griff er nach dem kleinen Stück Papier und las ein ziemlich merkwürdiges Wort: sukker.

So hieß es mit Sicherheit!

Mit neuem Enthusiasmus ging Juudai erneut die Regale durch und fand schlussendlich das, wonach er gesucht hatte. Mit einem Päckchen Zucker unterm Arm geklemmt, ging er mit einem heiteren Lächeln zur Kasse und mit seinem neuentdeckten Mut ließ er die Wahre auf das Band zum Kassierer fahren.

"Hei", er sprach Juudai mit der üblichen Begrüßung an.

Juudai lächelte: "Yaa."

Er wusste nicht, dass es für Norweger wie eine Bestätigung klang, was in dieser Situation ziemlich unlogisch herüber kommen musste. Die Kasse zeigte eine leuchtende Summe an:

39,45 Kronen.

"Skal du ha en pose?", wollte der Mann hinter der Kasse wissen nachdem Juudai ihm den Schein gegeben hatte und dann das Wechselgeld rausgegeben wurde. Juudai wurde leicht blass. Was wollte dieser Mann denn jetzt von ihm? Er tat so, als wenn nichts wäre. Ein Nicken folgte darauf und Juudai antwortete ihm: "Hai."

Der junge Kassierer warf Juudai verduzte Blicke zu, das Nicken hatte er dennoch registriert und gab dem Jungen eine Tüte in die Hand. Juudai betrachtete diese ebenso entgeistert, legte den Zucker zuerst in die Plastiktüte und diese dann in seinen Rucksack. Nun hatte er immerhin verstanden, was der Kassierer von ihm wollte. In Japan hätte man ihn erst gar nicht danach gefragt, dort bekam man einfach eine Tüte und dann ging man mit einer leichten Verbeugung wieder aus dem Laden heraus.

Juudai ärgerte sich ein wenig, dass man ihn eher verwirrt anstarrte, als er eine kleine Verbeugung machte, anstatt ihn zu verabschieden.

"Komisches Land", dachte er sich und machte sich wieder auf den Rückweg.
 

Wieder zu Hause angekommen wurde er fröhlich von seiner Mutter begrüßt, allmählich kam ihm ihre ständige Heiterkeit unpassend vor. So ging es schon seit dem Abend als sein Vater nicht von der Arbeit nach Hause gekommen war.

Juudai übergab ihr den fehlenden Zucker und begab sich wieder in sein Zimmer. Etwas anderes als sich auf sein Bett zu legen fiel ihm nicht ein. Er hätte gern etwas anderes getan, er wusste nur nicht was. Er hätte Fußball spielen können, aber allein hatte er keine Lust und mit wem hätte er auch spielen können? Niemand würde ihn verstehen, egal wie sehr er sich bemühte.

Er hätte vielleicht auch im Wohnzimmer fernsehen können. Wie sich aber herausstellte brachte ihm diese Art von Ablenkung auch nichts, denn alles was er an Filmen und Serien vorgesetzt bekam war auf Englisch mit norwegischen Untertiteln. Bis auf die wenigen Animeserien, die es hier her geschafft hatten, diese waren auf Norwegisch synchronisiert.

Juudai stieß einen gelangweilten Seufzer aus und schaltete den Fernseher wieder aus und verkroch sich nun wirklich wieder in seinem Zimmer und dämmerte in den Tag hinein. Dabei war es heiß draußen. Das Wetter war so schön, vielleicht könnte er am morgigen Tag seine Sachen zusammen suchen und an den Strand gehen. Schließlich hatte er auf der Taxifahrt durch die nicht weit entfernte Stadt Sandvika, einen Badestrand gesehen.
 


 

Die Idee an den Strand zu gehen berichtete Juudai seiner Mutter am folgenden Morgen. Er hatte die Entfernung zur Stadt mit ungefähr dreißig Minuten berechnet, also durfte es kein Problem für ihn sein zu Fuß dorthin zu gehen, dass seine Mutter eher dagegen sein könnte, dass er sich nach draußen wagte, war Juudai nicht in den Sinn gekommen.

"Meinst du das ernst?", fragte sie und nippte kurz an ihrem Kaffee.

Juudai nickte: "Ja. Was spricht dagegen?"

Den kritischen Unterton hatte er nicht überhört, er kannte ihn sogar recht gut und er war immer dann zu hören, wenn Juudai sich wirklich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Bevor seine Mutter auch nur zur Antwort ansetzen konnte, fügte Juudai hinzu:

"Du hast mich Gestern auch zum Einkaufen geschickt, also verdirb es mir bitte nicht und lass mich ohne Widerrede gehen!"

Seine Mutter nickte: "Na schön, wie du meinst."

Juudai nickte zufrieden und stand von seinem Platz auf. Er hatte nicht einmal seinen grünen Tee ausgetrunken als er geschwind in sein Zimmer zurück rannte um seine Sachen in eine Tasche zu packen. Seine Badesachen bestanden aus Badeshorts, Sonnencreme, ein flauschiges Badehandtuch aus rotem Frotté und einer dunklen Sonnenbrille falls er auf die Idee kam sich in der Sonne zu trocknen. So schnell er aus der Küche gesprungen war, kam er auch wieder in den Flur gerannt, von dem man auch in die Küche gehen konnte und schlüpfte in seine Schuhe.

"Aber sei spätestens zum Abendessen wieder zurück, Juudai-kun", mahnte die schwarzhaarige Frau und bekam ein bestätigendes Nicken von ihrem Sohn.

"Ich gehe dann, Mutter", sagte er heiter und winkte ihr noch einmal zu, "Bis spätestens heute Abend."

Die Tür fiel leise ins Schloss und nun wirkte der Flur noch finsterer da das goldene Sonnenlicht nicht mehr durch die geschlossene Tür ins Haus scheinen konnte. Sie begab sich ins Wohnzimmer wobei ihr Blick sofort auf alte Fotos die in hübschen Rahmen auf den Regalen standen, wanderte. Ein leises Seufzen entfuhr ihr und das Lächeln, das sie tapfer den ganzen Tag lang halten konnte, erstarb.

"Ich hoffe hier wird Juudai-kun seine Ruhe haben", murmelte die junge Frau auf Japanisch vor sich her und berührte das Glas, das sich vor dem Bild befand um es schützen.
 

Er brauchte tatsächlich nicht lange um wieder in die Stadt zu gelangen, allerdings stand er nun in der Mittagshitze und blickte sich nach einem Schattenplatz um. Juudai hatte Probleme ein freies schattiges Plätzchen am Strand zu finden. Eigentlich hatte er nicht die Absicht gehabt sich in die Nähe vieler Menschen niederzulassen, aber er hatte keine andere Wahl als in den sauren Apfel zu beißen.

Ohne die Mädchen, die ihr Lager neben ihm aufgeschlagen hatten und sich mit Sonnencreme einrieben, zu beachten schlüpfte er aus seinen Sachen und rannte zum Wasser.

Das Getuschel hinter seinem Rücken entging ihm nicht. Juudai gab sich Mühe, aber er konnte die Laute nicht erfassen und so begann er auch nicht nach ihrem Sinn zu suchen. Er war sich aber bewusst, dass er gemeint war, denn sie hatten in genau dem Augenblick angefangenen wild miteinander zu flüstern, als er sich neben sie platziert hatte. Wahrscheinlich waren norwegische Mädchen im jugendlichen Alter genauso wie alle anderen auf der Welt: sie tratschten gern über gutaussehende Jungen, die offensichtlich allein einen Strand besuchten und womöglich auch keine Freundin hatten.
 

Das kühle Wasser benetzte seinen schlanken, leicht gebräunten Oberkörper und spendete ihm ein behagliches Gefühl. Etwas, wonach er sich schon seit ein paar Tagen gesehnt hatte. Elegant tauchte er komplett in das kalte Nass hinein um seinen gesamten Körper an das Wasser zu gewöhnen. Nach nur wenigen Sekunden tauchte Juudai wieder auf und sah in das Gesicht eines blonden Mädchens mit grünen Augen. Beide sahen sich verdutzt an ohne einen Laut von sich zu geben, es war Juudai der zuerst zurück wich und einen bedeutend größeren Abstand zwischen sich und die Fremde brachte. Noch immer blickte das Mädchen überrascht drein, nun aber eher verwirrt über Juudais plötzliches Zurückweichen und sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.

"Was ist denn mit der plötzlich los?", ging es Juudai durch den Kopf, der eigentlich damit gerechnet hatte großen Ärger zu bekommen, da er der Blonden zu nahe gekommen war.

"Da hadde vi vel flaks at vi ikke crasha i hverandre, hva?", fragte sie kurz darauf und verwirrte Juudai, denn sie klang überhaupt nicht verärgert, allerdings verstand er auch nicht, was sie ihm sagen wollte. Er wusste nicht ob ein Nicken oder ein Kopfschütteln angebracht war und somit schwieg er, aber sah das Mädchen fragend an um abzuwarten ob sie vielleicht noch etwas sagte.

"Du er ganske sjenert, du...", stellte sie fest und wieder kam keine vernünftige Antwort von ihm. Juudai lief ein bisschen rot an und brachte sich schließlich dazu zu antworten:

"Tut mir leid, ich verstehe leider kein Wort."

Juudai war ehrlich und wandte dem fremden Mädchen den Rücken zu. Die Blonde war überrascht, hielt Juudai aber auf indem sie seine Hand kurz in ihre eigene nahm und wieder los ließ. Verwundert über ihr Handeln wandte er sich wieder um und erkannte, dass sie offenbar auf anderem Wege versuchte mit ihm zu kommunizieren.

"Kari", sagte sie nur und ließ ihre Hand auf der Brust ruhen.

Dies war immerhin eine Art auf die man sich ein bisschen verständigen konnte und da er sowieso keine andere Möglichkeit zur Konversation hatte antwortete er sofort: "Juudai."

"Where are you from?", fragte sie weiter.

Wieder trat eine Stille ein, die der Fremden zuflüsterten, dass ihr auch Englisch nicht sehr viel weiter helfen würde. Sie seufzte leicht, aber lächelte. Es schien Juudai, als ob sie diese Art von Herausforderung genoss und es dennoch anstrengend war die Zeichensprache durchzuhalten.

"China? Vietnam? Tailand?", die Blonde zählte alle möglichen Länder Asiens auf und entlockte Juudai somit ein kleines Lächeln.

"Japan", entgegnete er schnell und hoffte, dass dies nicht das Ende dieses Zusammentreffens darstellte.
 

Juudai irrte sich nicht, als er vermutete dass dieses fremde Mädchen, das sich als Kari vorgestellt hatte, sich seiner annahm. Sie hatte ihr Lager ganz in seiner Nähe aufgeschlagen und mit viel Mühe und Geduld konnte er ihr erklären, dass er mit seiner Mutter am Ende der Woche nach Gjettum gezogen war und sogar am morgigen Tage eingeschult werden sollte. Viel von Karis Leben konnte er nicht erkennen, aber es war erfrischend mit einem anderen Menschen als seiner Mutter reden zu können.

Aber immer wieder musste Juudai an die bevorstehende Schulzeit denken. Ein beängstigendes Gefühl kam in ihm auf als er sich dieser Tatsache von neuem bewusst wurde. Wie schwer würde er es wohl haben Norwegisch zu lernen? Diese völlig andere Sprache die sich anhörte wie ein lustiges Lied.
 

Juudai seufzte leise und sah sich nun gezwungen seine Sachen wieder zu packen um nach Hause zurück zu kehren, denn die Sommerferien waren hier vorüber. Am folgenden Tag musste er einem unheimlichen Alltag entgegen sehen. Juudai fühlte sich allein, ohne Schild und ohne Schwert musste er sich in die Höhle des Löwen wagen und versuchen sein aller Bestes zu geben um seine Mutter nicht zu enttäuschen.

Langsam lenkte er seine Schritte wieder durch die Stadt und die gewundenen Straßen entlang bis zum Levretoppen, wo sich das rote Eigenheim indem er nun lebte, befand...
 

~Fortsetzung folgt in Kapitel 2: Ikke prøv deg, jeg trenger ikke hjelp! - Versuch's erst gar nicht, ich brauche keine Hilfe!~
 

Nachwort:

So, das erste Kapitel wäre nun endlich geschafft. Ich brauche wirklich immer ein wenig um die ersten zwei bis drei Kapitel zu schreiben, denn Anfänge liegen mir nicht besonders.

Wer sich jetzt fragt warum das Kapitel so kurz ist dem kann ich eine schnelle Antwort geben: die Kapitel werden aufgrund der Leser sehr kurz und knapp gehalten, sie kurze Kapitel lieber mögen, obwohl sich das eigentlich überhaupt nicht mit meinem Schreibstil vereinbaren lässt. Ich merke es an diesem Kapitel, ich hasse es gerade zu! Es klingt abgehackt und falsch, gefühllos gerade zu *grummelt vor sich hin*.

Wahrscheinlich werde ich die folgenden Kapitel dann eher unterteilen, sozusagen die Kapitel staffeln z.B. ein Kapitel in zwei Kapitel hochladen und sie mit Teil 1 und Teil 2 kennzeichnen. Das gilt wahrscheinlich noch nicht für das nächste Kapitel aber wenn die Geschichte dann langsam ins Rollen kommt.

Teilweise beruht die Geschichte auf wahren Begebenheiten. Ich durfte damals frisch in Norwegen Zucker kaufen gehen, allerdings habe ich vorher gefragt wie das Zeug heißt, aber ich habe jegliche Gespräche vermieden. Am Strand war ich auch nicht allein, meine Schwester hatte mich begleitet und ich habe mich mit niemanden unterhalten.

Wenn ihr euch jetzt ärgert, dass ihr einige norwegische Sätze nicht versteht: macht nichts, so fühlt ihr euch wie Juudai. Und wenn es wirklich wichtig für die Handlung ist, dann übersetze ich es euch schon, keine Sorge ^.-

Ich würde mich freuen, wenn wir uns im zweiten Kapitel wiedersehen würden.

Eure Ruky

Ikke prøv deg, jeg trenger ikke hjelp! 1

Ikke prøv deg, jeg trenger ikke hjelp!

~Versuch’s erst gar nicht, ich brauche keine Hilfe!~
 

I. Der erste Schultag
 

Juudai erwachte erst als sein Wecker laut Alarm schlug und ihn unsanft aus dem Schlaf riss. Seine Augen waren noch schwer und gerötet was von seiner Übermüdung her zeugte. Die letzte Nacht hatte er kaum Ruhe gefunden und anstatt zu schlafen hatte ihn der Gedanke an die Einschulung in Norwegen so beschäftigt, dass er nun mit Panik im Brauch erwachte. Die ganze Zeit traten Bilder in seinem Kopf auf, die ihm sagten wie es sich zukünftig zutragen würde, sollte jemand mit ihm reden wollen. Er kannte nicht ein Wort Norwegisch, es würde sicher so sein wie am Strand, er musste sich mit Händen und Füßen verständigen und kam immer noch nicht dazu das zu sagen, was er gern sagen würde.

Langsam erhob sich Juudai aus seinem Bett wobei er schon ein benommenes und leeres Gefühl im Kopf, der Fünfzehnjährige wankte ein wenig da der Schlafmangel dafür gesorgt hatte, dass sein Kreislauf völlig am Boden war.

Juudai hielt sich die Hand an den Kopf und versuchte einen klaren Gedanken zu bekommen, anschließend ging er mit kleinen leisen Schritten in den Flur um dann in die Küche zu gelangen. Der Brünette war sehr überrascht zu sehen, das dort schon Licht war und er öffnete ohne Zögern die Tür.

„Guten Morgen, Mutter“, begrüßte Juudai seine Mutter mit noch verschlafener Stimme. Die junge schwarzhaarige Frau wandte sich zu ihrem Sohn um, sie war gerade dabei ihm sein Bento zuzubereiten, ihr fröhliches Lächeln verblasste ein wenig, als sie den matten Gesichtsausdruck ihres Sohnes erkannte: „Juudai-kun? Stimmt irgendetwas nicht? Du siehst sehr blass aus... du wirst doch nicht krank sein?“

Einen Augenblick lang spielte Juudai mit dem Gedanken zu lügen. Ja, er könnte ihre Besorgnis ausnutzen und sich vor seiner Einschulung drücken.

Doch wie lange würde er sie hinauszögern können?

Schließlich wusste er, dass es sich lediglich um Übermüdung handelte, länger als maximal zwei Tage würde er nicht zu Hause verbringen können und was nutzten ihm schon zwei weitere Tage an denen er sich davor fürchtete vor die Tür und in die Schule zu gehen?

„Nein, nein. Ich habe die letzte Nacht kaum geschlafen“, entgegnete er wahrheitsgemäß und setzte sich an den Tisch, „Warum bist du eigentlich schon wach?“

„Na hör mal Juudai-kun glaubst du wirklich ich lasse dich an deinem aller ersten Tag hier allein zur Schule gehen? Ich werde dich natürlich begleiten und dafür sorgen dass du einen guten Start bekommst. Leider muss ich aber früher gehen als du, ich muss zur Arbeit“, erklärte sie und setzte ihrem Jungen eine Tasse Kaffee vor.

„Danke“, sagte er kleinlaut und nippte sofort an seinem Kaffee während er merkte, dass sich ein Rotschimmer auf seine Wangen legte. Insgeheim hatte er darauf gehofft, dass seine Mutter ihn zumindest zum Schulgebäude und in seine Klasse begleiten würde, denn er hatte große Sorgen ob er sich auch wirklich schon allein zurecht fand.
 

Juudais Frühstück hatte nur aus einer Tasse Kaffee und einem halb angeknabberten Brötchen bestanden. Sein Appetit hatte ihn schon am Tag zuvor verlassen, sein Bauchgefühl hatte ihm vermittelt lieber schnell alles Essbare auf dem Tisch zu lassen. In den folgenden zwei Stunden starrte Juudai unaufhörlich alle zwei bis drei Minuten auf die Uhr. Seine Mutter hatte ihm schon gesagt, dass er ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten brauchte um zu seiner Schule zu kommen. Da dies der erste Tag nach den norwegischen Sommerferien war, begann die Schule erst um neun Uhr und nicht wie sonst um acht oder kurz nach acht Uhr.

Juudai drängelte sogar ein bisschen als seine Mutter noch im Badezimmer war um die noch fehlende Schminke aufzutragen. Sie lächelte ein wenig stolz und blickte ihren Sohn an.

„Wenn du immer so eifrig in die Schule gehen möchtest, mein Sohn, dann bin ich mir sicher, dass du schnell die Sprache lernen wirst!“, meinte sie und klopfte Juudai auf die Schulter. Er ließ ein mürrisches Geräusch verlauten, das erklären sollte dass er nur so aufgeregt war, weil er mit der ganzen Situation noch nicht klar kam. Außerdem war er auch gespannt, wie wohl die anderen Schüler auf so einer norwegischen Schule auf ihn reagierten. Juudai war immerhin der Einzige auf der Schule, der eine Schuluniform trug und einige seiner Traditionen bewahren wollte.
 

Der Schulweg war schneller hinter sich gebracht, als Juudai erwartet hatte. Er musste zwar an einer Straße entlang gehen, doch zur anderen Seite ragten hohe Felsen, auf denen Bäume wuchsen, empor und schmale Grasstreifen verliefen dort ebenfalls. Mit wachsamen Augen beobachtete er das Geschehen auf der Straße wobei Juudai seine Gedanken noch immer nicht von der Schule lassen konnte. Seine Mutter folgte ihm doch schwieg sie ebenso wie Juudai es tat, wobei der Junge nicht wusste ob sie nur ihren Erinnerungen nachhing oder nur schwieg weil er es tat. Manchmal, so glaubte jedenfalls Juudai, sah es so aus, als ob sie für einen Moment lang traurig aussah wenn sie meinte unbeobachtet zu sein. Allerdings wollte er sich im Augenblick nicht mit dieser Tatsache belasten.

Die beiden kamen um eine Kurve herum und hinter dieser, erhob sich das weiß – rote Gebäude, das Juudai von nun an seine Lehranstalt nennen sollte. Zunächst erblickte er nur die Rückseite des Schulgebäudes, es schien über nur zwei Etagen zu gehen, was ihm sagte, dass es sich um eine sehr kleine Schule handeln musste. Viele große Fenster waren in das Gebäude eingearbeitet, dabei war das gesamte Gebäude sowohl aus Holz als auch aus Stein gebaut.

Einige Schüler überholten Juudai wobei sie ihm neugierige Blicke zuwarfen. Er hatte schon bemerkt das Asiatisch aussehende Menschen hier nicht so oft zu sehen waren, wie Menschen aus dem Nahen Osten. Wenn er es sich recht überlegte, gab es in Japan auch sehr selten europäische Einwanderer vielleicht waren diejenigen, die er in seinem Leben gesehen hatte auch nur Touristen gewesen?

Er schüttelte unmerklich den Kopf, es hatte keinen Sinn sich solch unwichtige Fragen zu stellen. Immer hin würde er in nur wenigen Minuten die Schule von innen begutachten können. Vielleicht war sie auch gar nicht so übel und er hatte sich umsonst Sorgen darüber gemacht. Juudai blieb jäh stehen, als seine Augen den Eingang der Schule erfassten. Wie er es von diesen bekannten Gebäuden gewohnt war, hatte sie große Türen, doch das, was ihn so sehr überraschte, war das Gebäude an sich, dass nicht unfreundlich grau oder bräunlich war, sondern so freundlich und hell erschien. Vor dem Eingang war ein großer Treppenabsatz, der noch überdacht war. Sicher war er zum Schutz vor Regen gedacht. Juudai erkannte schwarze Lettern auf der Vorderseite der Überdachung, doch vernünftig aussprechen konnte er das Wort Gjettum nicht.
 

„Komm, gehen wir hinein“, die Stimme seiner Mutter riss Juudai wieder aus den Gedanken heraus. Sie legte leicht ihren Arm um Juudais Schultern und sorgte somit dafür, dass er ihr in den Eingang folgte. Juudai fragte sich wie viele Jugendliche wohl neu an diese Schule kamen und wie viele wohl sein Schicksal teilen würden, von ihren Eltern in ein fremdes Land entführt worden zu sein und die jetzt dazu gezwungen waren eine ganz andere Sprache zu sprechen. Die Eingangspassage war recht Dunkel, denn die Überdachung ließ nicht zu, dass viel Sonnenlicht in den Eingang hineindringen konnte. Im Sommer war dies sicher nicht schlecht und sorgte für eine angenehme Raumtemperatur. Die Eingangshalle war recht klein, eigentlich viel zu klein, wenn Juudai ehrlich war und es überraschte ihn, dass sich die Halle in nur zwei Korridore teilte und nicht mehr.

Juudai trat mit seiner Mutter in den rechten Gang hinein. Der Junge bekam nun wieder ein mulmiges Gefühl als er an diesen schummrigen Gang dachte. In Juudais Körper ging es hoch her, so als ob er gerade in einer Achterbahn säße und diese tobenden Gefühle, die ihn ein wenig Übelkeit bereiteten, ließen ihn abrupt stehen bleiben als er auch noch ein schwarzhaariges Mädchen vor einem Klassenzimmer stehen sah. Sie hatte kurzgeschnittenes Haar, das sie wild nach allen Seiten hin abstehen ließ und sie stand vor einer älteren blonden Frau und gab ihr die Hand.

Juudais Mutter gab ihm einen kleinen Klaps auf den Rücken und lächelte ihn aufmunternd an: „Nur Mut, Juudai-kun. Das ist deine Klasse.“

Der Brünette nickte vorsichtig und betrat doch noch mit seiner Mutter den Klassenraum. Sofort sah er sich um, es war kein sehr großer Raum und es waren auch nur zwei Tische und ein Lehrerpult im Zimmer zu sehen. Juudai fühlte sich etwas deplaziert, denn im Augenblick wusste er nicht wie er sich verhalten sollte. Sein Blick fiel auf das schwarzhaarige Mädchen, dass schon an einem der Tische platzgenommen hatte und schließlich trat die blonde Lehrerin an seine Seite um ihren neuen Schüler und die Erziehungsberechtigte zu begrüßen. Juudai war es nicht anders gewöhnt als sich höflich zu verbeugen, die Lehrerin gab ihm jedoch ihre Hand.

„Guten Morgen!“, die Frau klang freundlich und hieß sowohl ihn als auch seine Begleitung willkommen. In genau diesem Augenblick, begann der Alptraum des jungen Japaners. Er hörte seine Mutter Norwegisch mit der anderen Frau sprechen wobei er bemerkte, dass er nicht einmal ein Wort vom anderen trennen konnte. Für ihn hörte sich die gesamte Sprache wie ein merkwürdiges Kinderlied an. Trotzdem versuchte er ein paar Worte zu verstehen, was ihm natürlich nicht gelang also versuchte er etwas anderes um sich von den Erwachsenen abzulenken. Er warf hin und wieder ein paar versteckte Blicke zu dem Mädchen, das ihre Nase in ein Buch steckte und die anderen kaum wahrzunehmen schien. Ob sie die einzige war, die mit ihm die Klasse teilen würde?
 

Juudais Mutter wandte sich schließlich an ihn und erklärte ihm, dass seine neue Lehrerin Sonia hieß und ihm Norwegisch beibringen würde. In ein paar anderen Fächern würde noch andere Lehrer bekommen.

„Mutter sag mal, weißt du ob noch andere in meine Klassen gehen werden?“, wollte Juudai schließlich wissen. Er bemerkte, dass sich das Mädchen, das bisher noch desinteressiert in ihrem Buch gelesen hatte, ruckartig nach ihnen umgedreht hatte und nun auf einmal aufmerksam beobachtete.

Die junge Frau schüttelte ihren Kopf: „Nein Juudai-kun, sie ist die einzige. Letztes Schuljahr waren aber neunzehn Schüler in dieser Klasse gewesen, also hast du Glück gehabt, dass deine Lehrerin sich gut auf dich konzentrieren kann. Sie hat mir erzählt, dass dieses Mädchen schon einiges an Norwegisch kann und sich gut verständigt. Weißt du, Sonia hat mir auch gesagt, dass sie sehr an Japan interessiert ist, ihr freundet euch sicher schnell an.“

„Hm“, Juudai nickte kurz und setzte sich an den Tisch neben dem Mädchen und sah zu seiner Mutter auf, die sich sachte zu ihm runterbeugte und einen Kuss auf die Stirn gab.

„Wir sehen uns heute Abend, Großer“, verabschiedete sie sich und musste sich auch schon auf den Weg zur Arbeit machen. Juudai fühlte sich nun wie bestellt und nicht abgeholt. Er konnte die Blicke seiner Lehrerin in seinem Nacken spüren und auch das Mädchen neben ihm sah ihn interessiert an. Er wusste, dass er in nur wenigen Momenten versuchen musste sich verständlich zu machen. Tatsächlich war es die Schwarzhaarige, die sich an Juudai wandte:

„Hallo, mein Name ist Ruki. Na ja, zugegeben so nennen mich nur meine Freunde weil ich ihnen nicht erlaube meinen richtigen Namen zu nennen.“

So stellte sie sich schnell vor, doch Juudai konnte nicht verstehen worauf sie hinaus wollte und seine Mutter war nun auch nicht mehr bei ihm um zu helfen.

„Yuuki Juudai“, stellte Juudai sich ebenfalls vor, denn er hatte gerade noch mitbekommen, dass sie wohl ihren Namen genannt hat. Er brachte sie immerhin dazu gebrochenes Japanisch mit ihm zu sprechen, worauf sie sich noch einmal mit Namen vorstellen konnte, ihm aber nicht zu erklären vermochte, warum sie sich einen japanischen Spitznamen zugelegt hatte.

Juudai konnte an ihrem Sprachgebrauch deuten, dass sie wohl an seiner Sprache Interesse hatte und gern lernen wollte, aber nun wusste er nicht wie und was er noch antworten sollte, denn sein Japanisch konnte sie sicher nicht verstehen und er selbst konnte noch keine norwegischen Worte gebrauchen. Er sah ein wenig betrübt auf die Tischplatte und schwieg. Es fiel ihm im Moment unglaublich schwer bei diesen Fremden zu sitzen, Juudai fühlte sich im Augenblick hilflos dabei hätte er gern en bisschen mehr mit seiner Sitznachbarin gesprochen. Er hätte sie gern gefragt warum sie Japanisch lernen wollte oder es sogar tat. Ob sie hier in der Nähe wohnte oder mit dem Bus fahren musste, nach Geschwistern und Familie fragen oder woher sie kam, doch es blieb für eine kleine Weile still im Klassenzimmer bis die blonde Lehrerin von ihrem Platz wieder aufstand, nachdem sie in ihrem Pult etwas gesucht hatte.

Die Frau kam auf Juudai zu und setzte sich ihm gegenüber auf ihren Stuhl, den sie sich von ihrem Platz mitgenommen hatte und legte ihm zwei kleine Hefte und ein bedrucktes Blatt Papier in die Hand.

„Sieh mal hier, das ist dein Stundenplan, verstehst du das?“, wollte sie wissen und ließ Juudai erst ein Mal ein wenig Zeit um die Lage zu registrieren. Eine Weile sah Juudai auf das Blatt worauf Uhrzeiten und merkwürdige Worte standen, natürlich konnte er erkennen, dass es sich um einen Stundenplan handelte. Er nickte bestätigend, doch seine Augen fielen eher auf die kleinen Hefte auf denen er Worte wie „Glosebok“ und „Leksebok“ sehen konnte. Sonia bat Ruki ein bisschen zu ihnen zu kommen und gab ihr anscheinend ein paar Anweisungen, denn sie nickte und gab fleißig „ja“ zur Antwort. Wieder ergriff seine Lehrerin das Wort: „Das hier ist ein Heft in dem du Wörter schreiben sollst, die du nicht verstehst. Du musst sie dann übersetzen, die Bedeutung auf Japanisch schreiben...

Ruki würdest du es ihm bitte mit deinem zeigen?“

Selvfølgelig“, sie nickte, öffnete ihr Heft und gab es an Juudai weiter um ihm zu präsentieren wie er es machen sollte, „Siehst du? Deutsch, Norwegisch. Doitsugo, Noruweigo!“

Erneut nickte er stumm. Er hatte es offensichtlich verstanden, aber ganz so dumm wie es einige in Japan von ihm dachten, war er nun auch wieder nicht. Allerdings brauchte die Erklärung für das weitere Heft länger als anfänglich gedacht. Ruki wusste nicht genau wie sie dem Brünetten klar machen sollte, dass er seine Hausaufgaben dort hinein schreiben sollte, damit er sie bis zum nächsten Tag nicht vergaß. Letztendlich gab sie es auf und seufzte hörbar genervt. Natürlich nahm Juudai diesen Seufzer persönlich und es verärgerte ihn ungemein. Was glaubte dieses Mädchen eigentlich wer sie war?

Sicher konnte sie besser Norwegisch, weil sie schon länger hier verbracht und gelernt hatte. Während er seinen trüben Gedanken nachhing, gab Sonia ihm die Hefte direkt in die Hand und erklärte ihm, dass der erste Schultag nun für alle beendet war und erst am folgenden Tag der Ernst des Lebens beginnen würde.
 

Juudai erhob sich schweigend von seinem Platz, er war nun etwas missgelaunt und spürte, dass er so schnell wie möglich nach Hause wollte. Seine Schultasche nahm er auf den Rücken und verließ den Klassenraum mit einer Verbeugung.

Massen strömten aus den Klassenzimmern und aus dem Schulgebäude hinaus. Er betrachtete zwar die vielen Schüler, doch die unzähligen Gesichter beachtete er kaum. Juudai fühlte sich im Augenblick wie ein verirrter Welpe im Regen unter all den vielen norwegischen Jugendlichen. Er konnte sich die plötzliche Traurigkeit die in ihm aufstieg nicht erklären. Vielleicht brauchte er einfach nur ein bisschen Kontakt zu seinen Freunden in Japan, doch auf irgendwelchen Gründen sollte er ihnen noch nicht schreiben. Mit gesenktem Haupt ging Juudai aus dem Schulgebäude, wobei er allerdings fast mit einem anderen Jungen zusammenstieß, der auf den Weg nach drinnen war. Der Japaner konnte nicht anders, als dem Fremden in die Augen zu sehen und für einen Augenblick glaubte er sich ein wenig zu erschrecken. Der Junge, der Juudais Blick erwiderte hatte smaragdfarbene Augen die so intensiv strahlten wie es Juudai noch nie zuvor bei einem Menschen erlebt hatte. Der fremde Schüler lächelte Juudai einfach nur entgegen, allerdings sagte er nichts weiter zu ihm und so machte sich der junge Japaner endgültig auf den Weg nach Hause.
 

~Fortsetzung folgt in Teil 2~

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Fußnoten:
 

1 Ein (O)Bento ist eine japanische Lunchbox, man kann sie auch an Kiosks und in Supermärkten kaufen und schmecken verdammt lecker – natürlich der Inhalt, nicht die Box an sich *g*

2 Norwegisch für: Selbstverständlich

3 Japanisch für: Deutsch, Norwegisch

Ikke prøv deg, jeg trenger ikke hjelp! 2

II. Eine unverhoffte Hilfe
 

Der nächste Tag verlief ähnlich schlecht wie der Erste und auch der dritte und der vierte Tag verliefen für Juudai wie der reinste Alptraum. Er versuchte sich Worte einzuprägen und die Uhrzeiten auswendig zu lernen, doch die Laute der norwegischen Sprache waren teilweise zu schwer für ihn. So konnte er Beispielsweise die ü- und ö- Laute nicht richtig aussprechen und von der Grammatik, die Sonia ihm versuchte beizubringen, verstand er ebenfalls nichts egal wie einfach sie es ihm machen wollte. So saß er auch am Ende der Woche frustriert an seinem Tisch und versuchte die Aufgaben in seinem Buch zu lösen. Ruki saß wie immer bei ihm, wobei sie versuchte mit Juudai zu sprechen und ihm zu helfen doch jedes Mal, wenn sie ihm sagen wollte wie genau er die Aufgaben zu lösen hatte, stieß sie auf einen bissigen kleinen Welpen. Diesen Eindruck machte er immer auf das Mädchen und er erinnerte sie auch ein bisschen an ihren eigenen Start in Norwegen. Sicher hatte er kaum Kontakt zu anderen und keine Freunde hier in der Gegend. Allerdings machte es sie wütend, dass er diesen Palmenzweig ausschlug und sich nicht einmal bemühte mit ihr zu kommunizieren.

Beleidigt erhob sie sich in der Pause von ihrem Stuhl und alles was sie für Juudai übrig hatte waren ein paar stechende Blicke, die sie ihm auch offen zuwarf. Ihre Sympathien für ihn waren in dieser Woche gänzlich verschwunden. Der junge Japaner war schon aus dem Klassenzimmer verschwunden um wie immer allein über das Schulgelände zu wandern und dann wieder hinein zu gehen um sich vergeblichen Studien zu widmen. Heute standen außerdem noch zwei Stunde Mathematik und zwei Stunden Gesellschaftskunde an. Das Fach Gesellschaftskunde lief noch ähnlich ab wie Norwegisch, er verstand kaum etwas oder auch gar nichts nur in Mathematik konnte er einiger Maßen folgen auch wenn er nicht gerade der Spitzenschüler in diesem Bereich war.
 

Sonia hatte Ruki noch einmal zurückgehalten in die Pause zu gehen. Zu ihrem Leidwesen, denn eigentlich wäre sie lieber etwas in die Sonne gegangen und hätte mit ein paar Bekannten gesprochen. Mit ungeduldigem Gesichtsausdruck trat sie ihrer Lehrerin entgegen worauf diese leise fragte: „Warum bist du so unfreundlich zu Juudai?“

„Ich unfreundlich zu Juudai? Der gibt sich doch keine Mühe, was kann ich denn dafür!?“, wollte sie trotzig wissen, doch innerlich gab sie ihrer Lehrerin ein wenig Recht, sie war ziemlich unfreundlich zu ihm, „Außerdem ist er doch von sich aus immer allein. Ich bin doch nicht seine Amme!“

„Das sollst du ja auch gar nicht. Du solltest versuchen ein bisschen verständnisvoller an ihn ran zu gehen, das ist auch schon alles“, erklärte Sonia, „Denn mit der Miene die du aufsetzt, würde ich mich auch nicht trauen mit dir zu reden. Das war aber nicht das Einzigste über das ich reden wollte. Kannst du mir einen Gefallen tun?“

Hellhörig lockerte sich ihre Miene wieder auf und sie sah der blonden Frau in die blauen Augen: „Was für einen Gefallen denn?“

„Lauf doch bitte mal zu den zehnten Klassen rüber...“, begann Sonia zu erklären, doch Ruki brauchte nicht weiter auf das zu hören, was ihre Lehrerin versuchte zu sagen. Sie hatte ihren Wunsch schon verstanden und lief mit einem ‚Klar mach ich’ aus dem Klassenzimmer. Sonia schüttelte den Kopf auf dieses Benehmen, wobei sie allerdings lächelte.
 

Juudai hatte sich indessen schon auf eine Bank in die Sonne gesetzt. Aufmerksam beobachtete er das Treiben der anderen Schüler, dabei hatte er das Gefühl auch dazu gehören zu wollen. Einige spielten Fußball auf dem Rasen, andere Basketball auf dem extra für diese Sportart angelegten Platz und wieder andere spielten Fangen oder sprachen ruhig miteinander. Es schien als hätte jeder der anderen mindestens einen Freund, nur Juudai musste seine freien Minuten allein verbringen. Der junge Japaner verschränkte die Arme hinter seinem Nacken und starrte in die weißen Wolken, die langsam über den azurblauen Himmel zogen. Er seufzte leicht aus und fühlte dabei als ob sein Herz sich in der Brust verkrampfte und sich nicht mehr lockern wollte. Am liebsten hätte Juudai angefangen zu weinen. Bitterlich zu weinen wie er es noch nie zuvor getan hatte.

Womit hatte er diesen Umzug bloß verdient?

Schließlich war er doch nicht daran Schuld, dass sein Vater nicht mehr von seiner Arbeitsstelle zurückkehrte und er war ebenso wenig verantwortlich dafür, dass in den letzten Wochen die sie in Japan verbracht bei ihnen Telefonterror gemacht wurde und anscheinend auch irgendjemand kontrollierte ob jemand bei ihnen zu Hause war. Immerhin hätten sie doch im Lande bleiben können. Warum nicht in den Norden Japans ziehen, wenn es unbedingt nördlich sein musste. Für Juudai ergaben all diese Ereignisse keinen Sinn.

Die Tatsache, dass seine Mutter ihm ausdrücklich verboten hatte Kontakt mit seinen besten Freunden Shou und Jun in Japan aufzunehmen, fand Juudai unerhört. Was war denn daran so schlimm, wenn er seinen Freunden Briefe schreiben wollte?

Die Schulglocke klingelte schrill und laut gleichzeitig sorgte sie dafür, dass die Schüler sich wieder in das Schulgebäude begaben und sich in ihren Klassen einfanden. Betrübt setzte sich der Japaner auf seinen Platz und nahm sich wieder einen Stift zur Hand um seine Aufgaben weiter zu lösen. Dabei wurde er gut von Sonia beobachtet und sie setzte sich erneut zu ihm um ihm zu helfen. Sie hatte einige Gegenstände dabei die sie nutzen wollte um ihm Sätze zu erklären. Sie warf den Ball an die Wand der darauf mit einem dumpfen Knall von ihr abprallte und zu Boden ging.

Sie wandte sich dem Buch zu und zeigte Juudai eine Illustration auf dem ein Junge zu sehen war, der gerade einen Ball warf: „Han kaster ballen.

Juudai sah seine Lehrerin fragend an. Waren das die Worte, die er nun schreiben sollte?

Er wirft den Ball?

Nachdem Sonia sich den runden Gegenstand wieder geholt hatte, sagte sie ihm langsam das Wort und gab ihm ein Handzeichen, dass er es auch sagen sollte. Juudai wich ihrem freundlichen Blick aus und wurde etwas rot um die Nase, er nuschelte seine Antwort: „Ba... Baru

„Nein Juudai, sieh mal wie ich es ausspreche. Sie genau auf die Bewegungen meiner Zunge! Ball“, erklärte sie und macht ihm deutlich, dass er seine Zunge hinter die Zähne schieben musste um den L-Laut zu erzeugen. Gerade als Juudai sich daran versuchen wollte, öffnete sich die Klassentür und Ruki kam hereingesprungen, begrüßte die Lehrerin fröhlich und setzte sich auf ihren Platz. Juudai wandte sich schnell wieder seinem Lehrbuch zu, er ärgerte sich dass sie anscheinend zu spät kam und nicht sofort von Sonia zurecht gewiesen wurde.
 

Den Grund dafür wurde Juudai allerdings klar, als ein weiterer Schüler das Klassenzimmer betrat. Erneut schaute der Japaner zur Tür und sah plötzlich wie erstarrt zu dem Jungen, der heiter hereinspazierte. Es war der selbe Junge, mit dem er am Montag zuvor beinahe kollidiert war. Juudai hatte ihn sofort aufgrund seiner Augenfarbe erkannt, die sich seit gestern in seinen Kopf eingebrannt hatte, aber was wollte dieser Junge denn plötzlich hier.

Auch der Blick des Norwegers fiel auf Juudai, er lächelte ihn vergnügt an so als ob er sich auch noch gut an ihn erinnern konnte, allerdings sprach der Junge den Japaner nicht an sondern wandte sich an die Lehrerin: „Sonia? Du hast Ruki zu mir geschickt?“

„Ja. Wir haben ein kleines Problem mit unserem Juudai hier“, antwortete sie sofort, „Du bist mir gleich eingefallen, Johan. Hast du deine Lehrerin gefragt ob du deine Aufgaben hier erledigen kannst?“

„Ja, hab ich gemacht. Obwohl Ruki auch Überredungskünste anwenden musste, ich habe ihn gestern schon gesehen aber noch nicht mit ihm gesprochen!“, erklärte der Türkishaarige setzte seine Schultasche ab, nahm sich einen Stuhl und setzte sich dem Japaner gegenüber. Juudai blickte ihm mit fragenden Augen an, er wusste nicht wie naiv er in diesem Augenblick wirkte und wie schockiert er aussah, als der Junge auch noch anfing Japanisch mit ihm zu sprechen: „Mein Name ist Johan. Johan Andersen, darf ich dich nach deinem Namen fragen?“

„Yuuki Juudai...“, antwortete der Brünette atemlos und starrte Johans Smaragde unentwegt an. Der Norweger lächelte und er musste sich sogar ein Auflachen verkneifen, denn Juudai schien aus allen Wolken zu fallen.

„Du bist überrascht? Ich spreche nicht perfekt, also bitte verzeih wenn ich etwas falsches sage!“, erklärte Johan sofort, „Ich bin hier um dir den Tag leichter zu machen. Ruki hat mir erklärt, dass du ein bisschen einsam bist.“

Empört über die Aussage sah Juudai auf den Boden. Eine Sekunde lang hatte er mit dem Gedanken gespielt Johan und vor allem Ruki über den Mund zu fahren, doch in der nächsten Sekunde war der Ärger allerdings wieder verflogen und Juudai musste sich darüber wundern, wie Ruki erahnen konnte dass es ihm nicht so gut ging.

Johan nahm seine Augen nicht von ihm und fragte weiter: „Habe ich irgendwas falsches gesagt?“

„Nein überhaupt nicht, Andersen-kun“, entgegnete Juudai mit trotziger Stimme auf Ruki, „Ich frage mich nur was sie das angeht ob ich mich nun schlecht fühle oder nicht und ich weiß auch nicht, wie du mir helfen könntest! Schließlich muss ich deine Sprache lernen und nicht du!“

Juudai klang aufgebrachter als er eigentlich gewollt hatte, doch fing er sich mit dieser lauten Aussprache fragende Blicke von seiner Klassenkameradin ein und auch Johan war etwas überrascht. Schlagartig veränderte sich Juudais Miene, diese Situation verwirrte ihn zutiefst. Erst hatte er sich an den Gedanken gewöhnt mit niemandem reden zu müssen und jetzt wurde er auch noch von diesem sympathischen Jungen in seiner eigenen Muttersprache angesprochen. Juudai war mehr als nur verwirrt.

„Entschuldige bitte, Andersen-kun. Aber wie sollst du mir schon helfen können? Ich brauche keine Hilfe!“, meinte Juudai widerspenstig.

„Nenn mich einfach Johan, Juudai-kun! Ich kann dir sagen wie ich dir helfen werde, ich kann dir mit Übersetzungen helfen bis du alleine klar kommst und lernen kannst!“, Johan ließ sich durch das starrköpfige Verhalten nicht beirren denn er konnte den Japaner sehr gut nachvollziehen, wer hätte denn keine Probleme damit in ein anderes Land zu ziehen ohne die Sprache zu beherrschen, „Oder brauchst du keine neuen Freunde mehr, die dir helfen?“

Beschämt sah Juudai zu Boden. Natürlich brauchte er Hilfe. Es ärgerte ihn nur, dass er diese Hilfe ausgerechnet Ruki zu verdanken hatte. Immerhin hatte er nun eine Antwort darauf warum die Schwarzhaarige ein bisschen Japanisch sprechen konnte. Alles andere musste er Johan wohl oder übel später fragen.
 

Dank des Norwegers erging es Juudai wesentlich besser in der Schule. Er konnte sich besser auf seine Aufgaben konzentrieren und füllte sein Buch mit Übersetzungen die er sich einprägen sollte und zwischendurch konnte Juudai auch ein paar privatere Fragen an Johan stellen, wie zum Beispiel ob er Geschwister oder Haustiere hatte. Ruki beobachtete die Szene mit Freude. Egal wie wütend sie auch auf Juudai war, jetzt war der Japaner wie ausgewechselt und lachte sogar heiter. Alles was ihm gefehlt hatte war ein bisschen Gesellschaft.

Am Ende des Schultages traten die drei nach draußen und Juudai streckte sich genüsslich und seufzte wohlig aus. Ruki sah Johan fragend an, der ebenfalls zufrieden zu dem kleineren Japaner blickte.

„Was ist denn los, Juudai-kun? Bist du so froh endlich Wochenende zu haben?“, wollte Johan wissen und holte ihn mit kleinen Schritten ein, auch Ruki folgte. Der Brünette warf Johan einen verwirrten Blick zu: „Ich bin nicht nur froh, dass ich den Tag gut überstanden habe. Ich bin froh dass du mir behilflich bist Johan-kun!“

Johan lachte auf, er hätte sich gleich denken können, dass so eine Woche ziemlich langweilig und deprimierend sein musste, allerdings schien Juudai doch ein ganz vitaler Junge zu sein und so fragte er ihn: „Sag mal Juudai-kun, hast du Morgen schon was vor?“

„Hm? Nein, warum fragst du?“, wollte Juudai wissen.

„Na ja, wir könnten doch was unternehmen. Zusammen mit Ruki wenn es dir Recht ist, dann kann sie sogar noch ein bisschen was lernen“, antwortete Johan sofort, „Ich kann dir auch bei deinen Hausaufgaben helfen, wenn du möchtest!“

Der Japaner nickte sofort und vergewisserte sich, dass es auch dem Mädchen recht war und er Johan auch nicht von seinen eigenen Hausaufgaben ablenken würde. In jedem Fall war Juudai glücklich, diese unverhoffte Hilfe bekommen zu haben. Er lächelte Ruki nun heiter an und verbeugte sich höflich: „Vielen Dank!“

Seine Worte waren Japanisch, doch sie konnte diesen Satz durchaus verstehen und zuckte mit den Schultern, es war ihr egal ob er sich nun bedankte oder nicht. Ihretwegen konnte er auch gern weiter unausstehlich bleiben. Johan schmunzelte und gab dem Mädchen einen leichten Klaps auf den Rücken: „Jetzt schmoll doch nicht!“

„Ich? Ich schmolle doch nicht, sondern Juudai!“, bestritt sie und ging weiter. Ihre Miene verriet, dass sie nicht wirklich sauer war sondern nur darauf beharrte dass sie wirklich nachtragend sein konnte, wenn sie wollte.

Juudai stutzte nun ein wenig und warf ihnen beiden fragende Blicke zu, er versuchte sich einfach Mal in Norwegisch und brachte gebrochene Worte heraus: „Dere hvor hjemme er?

Ruki blickte Juudai verwirrt an. Sie hatte einige der Worte erst einmal entschlüsseln müssen, bevor sie denn Sinn erfasste. Auch Johan warf Juudai einen fragenden Blick zu worauf der Japaner errötete und wieder auf Japanisch umstieg: „Entschuldige wenn es falsch war aber... ich wollte wissen warum ihr mir eigentlich nach rennt. Wo wohnt ihr denn?“

„Also Juudai-kun um es dir zuerst richtig beizubringen. Es heißt ‚Hvor bor dere’ aber du lagst gar nicht so falsch“, erklärte Johan freundlich und lächelte dabei, „Ruki und ich wohnen beide Levretoppen.“

„Was!?“, Juudai klang verwirrt.

„Hat er irgendwas dagegen oder was?“, wollte Ruki patzig wissen, obwohl sie sich von nun an eigentlich zusammenreißen wollte um ein festeres Band mit Juudai zu knüpfen, immer nur streiten wollte sie sich auf keinen Fall mit ihrem einzigen Klassenkameraden. Juudai fuhr aufgrund der verwirrten Mienen fort: „Ich wohne auch dort!“

„Na das ist doch toll!“, meinte Johan und gab die Information gleich an Ruki weiter, die ebenfalls freudig nickte und sogar ziemlich vergnügt wirkte: „Nie wieder allein zur Schule gehen! Das wird toll!“

„Juudai-kun, wir könnten morgens gemeinsam in die Schule gehen. Ich würde dich auf jeden Fall gern besser kennen lernen, hast du irgendwas dagegen einzuwenden?“, fragte Johan direkt wobei seine smaragdgrünen Augen ihn ernst ansahen und den Kleineren nicht mehr aus den Augen ließen. Juudai erwiderte diesen Blick ebenso ernst und schüttelte den Kopf: „Nein, Johan-kun... ich freue mich wirklich! Montag da haben wir uns ja schon gesehen, weißt du das noch? Ich wollte dich so gern ansprechen, aber ich habe mich doch nicht getraut... weißt du ich dachte weil ich dich sowieso nicht verstehen würde und du mich auch nicht.“

Johan nickte, schlenderte aber vergnügt weiter als ob dies der schönste Tag in seinem Leben wäre. Der Norweger konnte sich seine gute Laune kaum erklären. Ihm war es ähnlich wie Juudai ergangen, als dieser ihm fast in die Arme gelaufen wäre. Sofort hatte ihm eine innere Stimme gesagt, dass er den Brünetten nicht entkommen lassen sollte, allerdings hatte er noch einen Termin bei der Bibliothekarin gehabt. Johans Augen strahlten bevor er Juudai antwortete: „Natürlich weiß ich das noch!“
 

Den Rest des Weges brachten die drei schnell hinter sich. Ruki, die noch ziemlich weit unten am Levretoppen wohnte, verabschiedete sich zuerst bei Johan und Juudai. Die beiden Jungen setzten ihren Weg fort bis Juudai vor seinem Haus stand und sich noch einmal vor Johan verbeugte um sich zu verabschieden.

„Wir sehen uns also ganz sicher Morgen, ja Juudai-kun?“, hakte Johan noch einmal nach.

„Ja, so wie abgemacht. Holst du mich Morgen?“, fragte Juudai wobei er wieder einen naiven Blick aufsetzte, was er allerdings nicht beabsichtigt hatte, „Dann können wir auch gleich Ruki abholen.“

Johan lachte leise: „Gern. Bis dann, Juudai-kun!“

Auch Johan verbeugte sich kurz und winkte dem Japaner noch einmal zum Abschied. Der Norweger machte sich schnell auf den Weg nach Hause während er spürte, dass sein Herz aufgeregt gegen seine Brust hämmerte und sich den Grund eigentlich kaum erklären konnte...

~Fortsetzung folgt in Kapitel 3: Eventyr i helgen - Wochenendabenteuer~
 

Zeit für das obligatorische Nachwort:

Das Kapitel ist irgendwie so hektisch. Ich weiß auch nicht woher das plötzlich kommt. Ich habe beim drüberlesen das Gefühl gehabt, dass es klingt als wollte ich schnell damit fertig werden, dabei ist mir der Fortschritt irgendwie sehr schwer gefallen. Vielleicht kommt es auch daher, dass ich Johan und Juudai schnell miteinander bekannt machen wollte.

Sicher habt ihr es schon gemerkt, Ruki ist eine Deutsche. Sozusagen mische ich die beiden Jungs ein wenig auf, auch wenn ich nicht so schnell zickig werde wie die da *auf OC-Ruki zeig*. Wobei Juudai und sie noch ein paar Mal aneinander geraten werden, ich verspreche euch ein paar Lacher zwischendurch XD

Hm, jetzt fragen sich sicher einige warum Johan so gut Japanisch spricht, also das bleibt noch mein Geheimnis. Ich werde es euch aber in den nächsten Kapiteln erklären ^-^ Übrigens weiß ich noch nicht auf wie viele Kapitel ihr euch einstellen könnt, ich habe das Gefühl das es wieder etwas länger braucht. Vielleicht etwas länger als Searching for the Rainbow’s End.

Ach und Leute... bitte, bitte, ich flehe euch an, schreibt mir doch eure Meinungen zu den Kapiteln, es würde mich wirklich so freuen! Ich meine nicht nur Kommentare wie „Uii toll“ oder so was, nein ihr dürft mich ruhig kritisieren damit ich mich verbessern kann! *smile*
 

Edit: 1. Vielen Dank an Ngoc-chan & -Judai-, dass sie sich dazu aufraffen die Story zu kommentieren >.< Vielen, vielen Dank!!

2. Es wird vermutlich schon sehr bald einen Douji zu dieser Story geben _-Phoenizia-_ hatte angefragt ob sie das zeichnen darf und ich habe zugestimmt ^^
 

Na ja, ich hoffe ihr bleibt erst mal dran ^.^

Eure Ruky

Eventyr i helgen Teil 1

Kapitel 3:

Eventyr i helgen

~Wochenendabenteuer~
 

I Freitag
 

Aufgeregt sprang Juudai ins Wohnzimmer, in dem seine Mutter schon auf ihn wartete um ihm Trost zu spenden nach einem harten Schultag bei dem er kaum ein Wort verstanden hatte. Sie war fest entschlossen ihrem Sohn den Stoff, den er die Woche über nicht verstanden hatte noch einmal zu erklären. Wenn sie ihm half und noch einmal alles mit ihm übte, hatte er am folgendem Montag sicher einen besseren Start.

Überrascht war sie jedoch, als Juudai ihr vergnügt und schon beinahe laut lachend entgegen kam und sie überschwänglich umarmte. Sie saß in einem kleinen Sessel und lehnte sich leicht zurück um Juudai näher zu sein.

„Juudai-kun!?", sagte sie überrascht und holte ihren Sohn herum um ihn fest an sich zu drücken, wobei sie ihm auf den Rücken klopfte, „Willkommen zu Hause!"

„Mutter, wie war dein Arbeitstag?", erkundigte sich Juudai mit einem breiten Grinsen.

„Der war in Ordnung. Wie geht's dir, Großer?", wollte sie sofort wissen um Juudais gute Laune besser verstehen zu können. Der Junge begegnete ihr vorerst nur mit einem fröhlichen Lächeln bevor er dann antwortete:

„Ich habe wahrscheinlich einen Freund gefunden!“

„Einen Freund? Hast du dich endlich mit ein paar Leuten auf dem Schulhof unterhalten oder hast du dich mit deiner Klassenkameradin angefreundet?“, forschte sie sofort weiter.

„Mit Ruki habe ich mich auch etwas besser verstanden. Ich glaube sie ist ganz nett und will es nur nicht zugeben. Sie hat mir auf jeden Fall sehr geholfen indem sie mich mit einem Jungen Namens Johan Andersen bekannt gemacht hat“, erklärte er ihr, „Er spricht fließend Japanisch!“

„Japanisch? Er hilft dir jetzt?“, wollte sie wissen.

Juudai nickte aufgeregt und sprang einen Schritt zurück um sich auf einen Stuhl zu setzen, der vor dem Kamin platziert war. Seine braunen Augen strahlten glücklich, als er ihr weiter erklärte, dass er vorhatte zusammen mit Johan und Ruki das Wochenende zu verbringen und holte sich sogleich die Erlaubnis seiner Mutter ein.

„Sag mal Juudai-kun, wie kommt es denn, dass Andersen-kun japanisch spricht?“, erkundigte sich seine Mutter und strich ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Der Junge sah seine Mutter nachdenklich an und presste Luft aus seinen Wangen und antwortete: „Tja, ich weiß es nicht, wenn ich ehrlich bin habe ich mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht. Ich habe auch nicht danach gefragt aber ich werde ihn gleich morgen fragen!“

„Hast du Hausaufgaben auf, Juudai-kun?“, fragte sie weiter.

„Ach Mutter! Erst fragst du mich über Johan aus und plötzlich fängst du mir mit Hausaufgaben an, das ist nicht fair!“, meinte Juudai mit protestierendem Unterton, „Ich komme gerade aus der Schule und ich bin hungrig...“

Während Juudais Klagen und seiner Empörung Ausdruck verlieh, ließ seine Mutter ein erfreutes Lachen hören, mit solch einer Reaktion hatte sie schon gerechnet und erhob sich aus ihrem Sessel um in die Küche zu gehen. Juudai folgte seiner Mutter und gemeinsam nahmen sie das Mittag ein. Zum ersten Mal in der Zeit, die er in Norwegen bisher verbracht hatte, fühlte er sich wirklich wohl.
 

Die Tür schlug hinter Johans Rücken zu und wie immer rief er ins Haus, dass er wieder zu Hause sei um seinen Eltern höflich anzukündigen, dass ein weiterer Schultag für ihn vorbei war. Johan seufzte leise, setzte seine Schultasche auf dem Boden ab und ging in die Hocke. Wie gewöhnlich wurde er nur von seiner Katze begrüßt und nicht von seinen Eltern, die Freitags meistens extra Schichten auf der Arbeit schoben. Sanft nahm er seine Katze auf den Arm und trug sie mit in die Küche.

„Sie kommen sicher erst heute Abend, hm?“, murmelte er leise vor sich hin um wenigstens die lästige Stille zu durchbrechen, „Er ist sehr nett und weißt du, ich glaube er braucht jemanden mit dem er viel reden kann. So lernt er es sicher auch schneller.“

Johans Katze schnurrte wohlig auf seinem Arm und ließ sich durch Kraulen verwöhnen. Er hatte immer das Gefühl, dass er mit ihr einen Freund hatte, der ihm zuhörte. Der Norweger sah zur Uhr auf. Es war gerade Mal halb drei und so blieb ihm noch genug Zeit um Mittag zu machen und seine Hausaufgaben zu erledigen.

„Ich hoffe sie werden nicht sofort wütend, wenn ich ihnen erzähle dass ich am Wochenende etwas vor habe“, sagte er laut vor sich hin, suchte sich eine Pfanne aus dem Küchenschrank und begann ein paar Eier zu braten, „Ich frage mich wirklich ob meine Eltern bei Juudai-kun vielleicht eine Ausnahme machen. Wenn sie hören dass er aus Japan kommt, werden sie mich sicher bestärken und ich werde die Schule schließlich auch nicht vernachlässigen. Oder glaubst du das?“

Die Kartäuserkatze sah mit fragendem Blick zu Johan hinauf. Die hörte ihm immer zu wenn er was sagte, doch im Augenblick schien das Essen für sie am Interessantesten zu sein. Der Junge grinste und wandte sich ihr zu: „Na, ich brate ja keine Fischstäbchen, Ruby! Du bekommst auch gleich was zu futtern, Süße!“

Ein Mauzen kam dieses Mal zur Antwort. Die geschmeidige Katze schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben und verschwand aus der Küche ins Wohnzimmer. Johan schüttelte Lächeln den Kopf. Es war typisch für sie.

„Ja, genau lass mich doch alleine“, scherzte er und wandte sich wieder seinem Mittagessen zu, „Hm. Ich muss mir noch was überlegen, schließlich werden sie nicht erlauben, mit Juudai im Levre Wald zu übernachten. Da muss ich ihn immerhin bei mir behalten und was zum Essen kochen. Ich denke nicht, dass Mutter das Wochenende über zu Hause bleibt und Vater erstrecht nicht.“

Johan war es gewohnt die Dinge laut auszusprechen um die immer währende Stille erträglicher zu gestalten. Schließlich als er sein Mittagessen fertig zubereitet hatte, holte er eine Dose Katzenfutter aus dem Schrank um seiner Ruby ebenfalls etwas zu geben. Sie war die einzige, die wirklich immer mit ihm aß. Langsam verzehrte er seine Spiegeleier auf Toastbrot und begab sich danach in sein Zimmer um die Mathehausaufgaben zu erledigen.
 

Den ganzen Nachmittag verbrachte Johan mit seinen neuen Schulbüchern. Er wusste ganz genau was seine Eltern von ihm verlangten wenn er sich das Wochenende über vergnügen wollte. Auf das Argument, er würde schließlich die meiste Zeit über Japanisch sprechen müssen, würden sie auch nicht hören. Mitten in seinen Studien für seine nächste Englischstunde, rief Ruki an die noch einmal wissen wollte, wann Johan und Juudai eigentlich am nächsten Morgen kommen wollten.

„Tja ich weiß noch nicht mal wirklich ob ich mitgehen darf, Ruki. Du kennst doch meine Eltern, es wird sicher wieder Arbeit sie davon zu überzeugen dass Juudai geholfen werden muss“, meinte Johan mit einem Seufzen.

„Ist ja klar, dass die wieder alles verderben. Johan wie alt bist du eigentlich? Kommst du nicht langsam in die Rebellenphase deines überfälligen Teenagerlebens?“, fragte sie am anderen Ende worauf sie Johan ein heiteres Lächeln entlockte, „Ja sicher, nimm mich nur nicht ernst. Ist doch wahr, Johan. Du lässt dein ganzes Leben von ihnen bestimmen, das ist ja nicht zum aushalten.“

„Und was soll ich tun? Ich kann ihnen ja schlecht sagen, dass sie aufhören sollen sich um mich zu kümmern, oder? Später können sie mir sowieso keine Vorschriften mehr machen und bis dahin halte ich das auch noch aus“, meinte Johan mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Na klar aber du genießt dein Leben doch gar nicht. Richtig schade ist das, Johan! Wie ich dich kenne sitzt du auch schon wieder vor irgendwelchen Hausaufgaben und verschiebst sie erst gar nicht auf Sonntag!“, am anderen Ende hörte er Ruki lachen, inzwischen kannte sie ihn auch schon ganz gut, auch wenn es keine Hausaufgaben waren, die er erledigte, er lernte für die bevorstehenden Prüfungen die irgendwann in diesem Schuljahr kommen würden. Johan legte seinen Stift bei Seite immerhin hatte er nun schon ein wenig getan um seine Eltern zufrieden zu stellen und erklärte dann: „Ich werde dich zurück rufen, wenn ich endlich eine Antwort von meinen Eltern habe. Sie müssten eigentlich demnächst wieder zu Hause sein!“

„Alles klar“, entgegnete Ruki, verabschiedete sich und legte auf.

Johan behielt den Hörer noch einige Sekunden länger am Ohr und lauschte dem Tuten der Leitung. Ihn erreichte ein merkwürdiges Gefühl, als ob dieses immer gleichbleibende Geräusch noch etwas Unheilvolles mit sich brachte. Schweigend schüttelte Johan seinen Kopf und drückte auf den kleinen Knopf und legte somit ebenfalls auf. So ein kleines Gespräch mit dem immerfröhlichen Mädchen heiterte ihn oftmals auf. Heute aber war es nicht nur die Tatsache, dass ihn jemand vom Ernst des Lebens abhielt, sondern auch der Gedanke an den kleinen Juudai. Johan dachte kurz nach. Sicher war Juudai früher einer der größten Schüler in seiner Klasse gewesen, denn Johan fand ihn dafür dass er Japaner war recht groß.
 

Gegen zwanzig Uhr hörte Johan einen Schlüssel in der Tür. Einen Moment lang sah er aus dem Fenster und betete emphatisch darum, dass es sein Vater war der als erstes nach Hause kam. Mit seiner Mutter war leichter reden, wenn sein Vater dabei war. Johan sprang regelrecht von seinem Platz auf und ging mit schnellen Schritten in den Flur hinaus. Er hoffte seinen Vater zu erblicken, er war sich fast sicher, dass sein alter Herr als erstes nach Hause kam. Johans Lächeln erstarb beim Eintreten in den Flur.

Seine Mutter kam nach Hause und legte den Schlüssel geräuschvoll auf die Kommode.

Alle Hoffnungen darauf, dass er die folgenden beiden Tage mit Juudai verbringen konnte, wurde mit einem Mal im Keim erstickt. Dabei wollte er seinen neuen Freund gern wiedersehen.

„Willkommen zurück Mama“, begrüßte er sie mit einem gespielt heiteren Lächeln, „hattest du einen schönen Tag?“

„Hallo Johan. Sicher, war er das. Ich weiß doch meine Pflichten zu erfüllen, mein Liebling“, entgegnete sie und nahm ihren Sohn zur Begrüßung in den Arm. Johan nickte, sie schien wirklich einen sehr guten Tag zu haben. Vielleicht sollte er wirklich seinen Mut zusammen nehmen und zuerst mit ihr sprechen. Wenn er es recht bedachte, war es sogar recht schlau, denn wenn seine Mutter nichts dagegen hatte, konnte er sicher sein dass sein Vater ebenso zustimmte.

„Ach ehm... kann ich dich was fragen?“, wollte Johan wissen.

„Sicher“, entgegnete seine Mutter zunächst noch einsilbig wobei sie ihren Sohn ansah und ihm in die smaragdfarbenen Augen sah, Johan hasste diesen Blick der ihm sagen sollte, dass er sich besser nicht zuviel rausnahm, „Worum geht es denn, Johan? Hast du deine Hausaufgaben schon erledigt?“

„Ja Mama. Es war auch nicht sehr viel-...“, begann er, doch schon wurde er von seiner Mutter unterbrochen: „Es ist egal ob es nun viel oder wenig ist, das du erledigen musst. Sinn der Sache ist, dass du den Stoff mitbekommst.“

„Das weiß ich doch. Hör zu, ich habe dir etwas zu erzählen!“, verlangte er. Johan musste sich stark beherrschen um sich nicht im Ton zu vergreifen, sonst könnte diese Diskussion noch böse enden und in den nächsten Wochen würde er nur noch vor die Tür gehen dürfen, wenn er zur Schule ging. Die junge Frau sah Johan forschend an, er lächelte und schien nicht verärgert zu sein, also wollte sie ihm zuhören.

Schließlich fuhr er fort: „In der Schule kam Ruki heut zu mir. Sie hat mich gebeten in ihre Klasse zu kommen und deshalb bekam ich die Erlaubnis allein bei ihr in der Klasse Aufgaben zu machen und zu lernen. Wie auch immer, in ihrer Klasse ist nun ein japanischer Schüler der Norwegisch lernen muss, er wohnt hier am Ende der Straße also wollte ich fragen... nun ja ob er das Wochenende mit mir verbringen könnte. Morgen wollen wir in den Levre Wald gehen, vielleicht könnte er bei uns übernachten?“

Während Johan erzählte schien die junge Frau etwas verärgert zu sein, doch lockerte sich ihre ernste Miene wieder auf und nickte stumm: „Na schön. Wenn du glaubst du kommst noch mit dem Stoff mit und das du gut gelernt hast, dann kannst du gehen.“

„Wirklich?“, fragte Johan zur Sicherheit und blickte in das Gesicht seiner Mutter. Er sah wirklich zufrieden und begeistert aus. Ein Nicken bestätigte noch einmal seine Frage wobei sein Herz vor Freude einen Schlag aussetzte und gleich darauf doppelt so schnell schlug. Er kannte dieses überschwängliche Gefühl nur zu gut, auch wenn er es so selten verspürte.

Der Junge tänzelte regelrecht in sein Zimmer zurück wo auch das Telefon lag. Er ergriff es freudig und wählte die Telefonnummer seiner Freundin Ruki um ihr zu erklären dass er gegen zehn Uhr mit Juudai kommen wollte um sie abzuholen. Für sie war es okay so und nun blieb nur noch eines für Johan zutun. Er musste auch Juudai Bescheid sagen, wann er ihn morgen abholte. Seine Telefonnummer hatte er leider nicht, also beschloss Johan direkt zu ihm zu gehen und mit ihm zu reden. Voller Freude verabschiedete er sich kurz von seiner Mutter und machte sich auf den Weg.
 

Juudai saß indessen mit seiner Mutter im Wohnzimmer und hatte mit ihrer Hilfe seine Hausaufgaben erledigt. Es war nicht sehr schwer, doch die Aussprache der Worte brachte ihn fast um den Verstand. Er fragte sich wieso Ruki es so einfach hatte diese Wörter auszusprechen die für ihn das reinste Chaos waren. Seine Aufgabe war es gewesen schriftlich Rechenaufgaben zu lösen, die sehr einfach waren da er schließlich das Schreiben lernen sollte und Uhrzeiten lernte er zunächst.

Der Brünette fuhr hoch, als es an der Tür klingelte wobei er regelrecht aufsprang um zur Tür zu gelangen.

„Ich schau mal nach wer dort ist“, sagte Juudai und sprang vergnügt wie er an diesem Tag war in den Flur. Durch die matten Glasscheiben an beiden Seiten der Tür konnte er gut erkennen, dass ein Junge mit türkisfarbenen Haar davor stand. Vorfreudig öffnete Juudai schwungvoll die Tür. Er hatte Recht behalten, es war sein neuer Freund Johan, der vor ihm stand und lächelte. Ohne über seine Handlung nachzudenken fiel er dem Norweger um den Hals und umarmte ihn ebenso übermütig wie er schon die Tür ausgerissen hatte. Johan trat zwei kleine Schritte nach hinten und versuchte sich noch einmal vor einem Fall zu schützen, was ihm auch gelang. Er klopfte Juudai sachte auf den Rücken.

„Das ist ja Mal eine Begrüßung...“, stellte der Größere fest und löste Juudai sanft von sich, einen solchen Empfang hätte er gern mal zu Hause erlebt. Juudai sah seinen Freund mit leuchtenden Augen und einem heiteren Lächeln an: „Was machst du denn hier, Johan-kun?“ „Tja ich wollte dir Bescheid sagen, dass ich dich morgen um halb zehn abholen komme, ist das okay für dich? Um zehn werden wir dann zu Ruki-chan runter gehen und sie abholen ja?“, entgegnete Johan sofort.

„Halb zehn? Sicher ist das okay, ich hoffe nur ich verschlafe nicht“, antwortete Juudai grinsend und hörte seine Mutter die ihn ermahnte mit Johan ein bisschen Norwegisch zu reden. Sie erhob sich und kam ebenfalls in den Flur hinaus. Juudai nickte seiner Mutter zu und rang sich dazu durch mit Johan zu sprechen: „Klokka halv ti er fint. Vi sees i morgen?”

„Det kan du vedde på!”, antwortete Johan und wandte sich Juudais Mutter zu um sie zu begrüßen, „Er du Juudais mamma? Jeg heter Johan Andersen, gleder meg.”

Die Frau nickte und reichte Johan die Hand. Sie begrüßte ihn ebenfalls und versicherte, dass es auch ihr eine Freude war ihn kennen zu lernen. Sie bot ihm an, noch einen Augenblick hinein zu kommen und einen Tee zu trinken, doch diese Freundlichkeit lehnte Johan höflich ab und erklärte dass er noch ein bisschen zu lernen habe. Mit einer galanten Verbeugung verabschiedete er sich von Juudai und seiner Mutter und freute sich auf den morgigen Tage.
 

~Forsetzung folgt in Teil 2~
 

Wie immer würde ich mich sehr über Kommentare, Lob und nicht zu letzt Kritik freuen ^.^ Vielen, vielen Dank an alle, die mir so liebe Kommies geschrieben haben. Scheut auch nicht mir Kritik zu geben, damit kann ich leben XD~

Eventyr i helgen Teil 2

II Samstag
 

Selten hatte er ein vorfreudiges Gefühl oder Tatenfreude erlebt wenn er an einem Samstagmorgen aufgewacht war. Seine Wochenenden verliefen meist nach dem selben Muster ab, er stand auf und bereitete das Frühstück für die Familie vor. Meistens setzte er sich an seinen Schreibtisch und lernte für die Schule bis seine Eltern wieder zu ihren Arbeitsstellen fuhren, wenn sie es für nötig hielten. Besonders sein Vater war oft auf Reisen, da seine Arbeit als Diplomat oft verlangte dass er sich im Ausland aufhielt sah er seine Familie kaum. Den Rest des Tages brachte Johan mit verschiedenen Dingen zu, die er gern tat und einige Dinge, die er weniger gern tat.

An gewöhnliche Wochenenden wollte Johan nun aber gar nicht denken. Wie auch in der Woche stand er sehr früh auf und deckte den Tisch. Zu seinem erstaunen sah er schon seinen Vater aus dem Badezimmer stürzen, kurz blickte er auf seine Armbanduhr und wirkte in Eile.

„Papa, was ist denn los?“, wollte Johan verwirrt wissen, er hatte eigentlich angenommen, dass er erst in zwei oder drei Stunden das Haus verlassen würde. Der hellbraunhaarige Mann macht sich nicht die Mühe wieder eine beherrschte förmliche Art an den Tag zu legen, wie er sonst zutun pflegte um seinem Sohn die nötigen Umgangsformen beizubringen, er sah ihn nur kurz an und entgegnete: „Ah, guten Morgen Johan! Tut mir leid, ich verschwinde sofort. Ich kann nicht länger bleiben. Viel Spaß mit deinem Freund heute, ja? Wir sehen uns in ungefähr drei Wochen wieder!“

Damit verabschiedete sich Herr Andersen von seinem Sohn, gab ihm nur noch einen väterlichen Klaps auf den Rücken und ließ die Tür hinter sich zufallen. Johan blieb allein im dunklen Hausflur zurück wobei er allerdings noch eine Weile die verschlossene Tür anstarrte. Einen Augenblick lang überlegte Johan was plötzlich in seinen Vater gefahren war. Vielleicht hatte er sich mit seiner Mutter gestritten und musste deshalb das Haus früher verlassen, als es eigentlich nötig war. Er seufzte und begab sich wieder in die Küche wobei er hörte, dass Ruby ihm folgte. Nachdem er den Kaffee aufgegossen hatte, ging er in die Hocke um seine Katze zu begrüßen.

„Na, Ruby?“, sagte er und tippte ihr neckisch auf die Nase, wobei sie ein empörtes Schnaufen verlauten ließ, „Ist doch schade, oder Ruby? Wenn man mit jemanden verheiratet ist und ihn eigentlich gar nicht mehr liebt?“

Er erhob sich wieder um seine Mutter aufzuwecken. Er musste sich beeilen, sonst kam er heute nicht mehr rechtzeitig zu Juudai. Während des gesamten Frühstücks, das mehr oder weniger schweigend eingenommen wurde, überlegte Johan wann er seine Eltern zum letzten Mal richtig liebevoll beieinander gesehen hatte. Es muss auf jeden Fall schon sehr lange her sein, wenn er sich seid der dritten Klasse nicht mehr an ein solches Erlebnis erinnern konnte.

„Soll ich das Geschirr noch abspülen?“, fragte er leise um die erdrückende Stille nicht sofort drastisch zu durchbrechen. Die Frau schüttelte den Kopf und erhob sich:

„Nein du hast eine Verabredung. Überlasse alles weitere mir.“

„Gut. Dann gehe ich jetzt, ist das in Ordnung?“, wollte Johan sicherheitshalber wissen.

„Ja. Oder hast du gestern nicht verstanden, dass ich mich freue deinen neuen Freund Mal kennen zu lernen!?“, entgegnete sie ihm etwas rauer als gewollt, „Geh schon Johan und mach dir einen schönen Tag.“

Johan nickte und machte sich letztendlich auf den Weg zu Juudai. Er konnte sich kaum erklären was nun wieder vorgefallen war, doch er spürte dass es seine Mutter nicht kalt ließ. Vielleicht verstand er auch einfach nicht was in seinen Eltern vorging, aber all diese lästigen Fragen sollten ihn nun nicht mehr belasten. Er wollte unbedingt seine Freunde wiedersehen und vor allem Juudais heiteres Gemüt erleben.
 

Der Sommer war in diesem Jahr sehr heiß und unglaublich schön. Schon am frühen Morgen waren die wärmenden Strahlen der Sonne zu spüren, etwas das ihm sagte, dass auch dieser Tag brennend heiß werden würde. Johan ging die Straße entlang, an nur wenigen Eigenheimen vorbei die noch ruhig von allem alltäglichen Lärm zu beiden Seiten lagen und schließlich erreichte er das rote Holzhaus in dem Juudai und seine Mutter wohnten. Wie schon am Tag zuvor klingelte Johan, doch dieses Mal wurde er von Juudais Mutter begrüßt.

„Guten Morgen!“, begrüßte der Junge sie mit einer höflichen Verbeugung.

„Guten Morgen Johan-kun“, antwortete sie ihm und ließ ihn eintreten, langsam sah er sich um und stellte fest dass diese kleine Wohnung ziemlich nett eingerichtet war und Juudais Mutter wohl einen sehr guten Geschmack hatte was Interieur anging, „Tja, nach Juudai musst du noch keine Ausschau halten. Er schläft noch und das obwohl ich ihn schon sicher zwei Mal aufgeweckt habe. Du musst ihn entschuldigen er hat ein sehr verschlafenes Wesen.“

„Das macht doch nichts. Nun, Yuuki-san, ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich dich ansprechen soll denn...“, erklärte Johan verlegen, denn er wusste dass Japaner Höflichkeit hochschätzten und die norwegische Sprache das komplette Gegenteil war.

„Johan-kun, wir reden schließlich in deiner Sprache, da kannst du mich ruhig Reiko nennen“, entgegnete sie mit einem Lächeln und schob ihn seicht einer Tür entgegen, „Versuch mal ihn aufzuwecken. Vielleicht kommt er ja auf die Beine, wenn du ihm die Decke wegziehst!“

„Ich werde es versuchen“, stimmte er zu und öffnete leise die Zimmertür.

Das Zimmer seines Freundes war von der Sonne die morgens durchs Fenster schien erhellt, ein leiser Luftzug spielte mit den schneeweißen Vorhängen die vor den Fenstern angebracht waren und die Wände waren nun mit Postern verhangen. Einige zeigten Animefilmplakate und andere zeigten Eiskunstläufer bei Küren. Johan konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen denn er hatte Juudai nicht für so verträumt gehalten oder ihn so eingeschätzt, dass er von Eiskunstlauf begeistert war.

Einen Augenblick lang betrachtete er Juudais schlafendes Gesicht. Er sah friedlich aus während er so da lag und vielleicht sogar träumte. Johan seufzte leise, am liebsten hätte er auch so eine nachsichtige Mutter gehabt, die ihn weckte wenn er nicht aus dem Bett kam. Langsam setzte Johan sich auf die Bettkante und versuchte es zunächst einmal sanft: „Juudai-kun, aufwachen. Wir müssen uns beeilen, Ruki-chan wird stinksauer wenn wir uns verspäten, ich kenne sie doch!“

Die einzige Reaktion die Johan allerdings von seinem neuen Freund bekam war ein leises Murren worauf er sich gleich wieder auf die andere Seite drehte und nun mit dem Rücken zu Johan lag. Der Norweger betrachtete dies mit verwirrter Miene: „Na so was, Juudai-kun...“

Er wollte es anscheinend nicht anders. Als nächstes versuchte er Juudai mit einem leichten Kitzeln im Nacken aufzuwecken und wieder bekam er keine zufriedenstellende Antwort.

„Juudai-kun, wach auf! Wir müssen doch los!“, sagte Johan und rüttelte sanft an seinem Freund.

„Hm... Johan-kun...!?“, murmelte Juudai leise vor sich hin, „Ich bin doch schon wach. Lass mich noch fünf Minuten liegen, ja?“

„Nichts da, dass hat deine Mutter doch auch schon versucht“, meinte Johan mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, „Hör zu, wenn du nicht gleich aufstehst, dann muss ich leider andere Seiten aufziehen!“

Er gab ein heiteres Lachen von sich das tief aus seinem Herzen zu kommen schien. Schon lange hatte Johan nicht mehr so offen mit einem anderen Menschen umgehen können, seine Freunde in der Klasse waren immerhin mehr wie Bekannte für ihn als gute Freunde. Bei Juudai hatte er vom ersten Blick an ein ganz anderes Gefühl gehabt, als ob er Juudai schon lange kannte.

„Du scheinst es wirklich drauf anzulegen, hm?“, fragte Johan mit unschuldiger Miene, erhob sich von Juudais Bett und zog ihm mit einem kräftigen Ruck die Decke vom Körper. Ein Fehler, wie Johan nach wenigen Sekunden feststellen musste, denn ihm offenbarte sich der nackte Körper Juudais. Geschwind wandte Johan seinem Freund den Rücken zu und ließ die Decke auf dem Boden fiel. Dem Brünetten schien es noch gar nicht recht zu stören, er setzte sich auf und rieb sich müde die Augen: „Mann, Johan-kun... ich bin ja schon wach... ich komm ja schon...“

„Juu-.. Juudai... tut mir leid uhm... ich meine... ich hab nichts gesehen, ehrlich“, plapperte Johan wirr, die Schamesröte war ihm in die Wangen geschossen und die Nervosität war ihm deutlich anzusehen, wie hatte er auch erahnen können dass Juudai nackt schläft?

Mittlerweile hatte Juudai sich aufgesetzt und blickte den noch immer peinlich berührten Johan an, dessen rotes Gesicht er allerdings nicht sehen konnte.

„Was ist denn mit dir los?“, wollte Juudai wissen und griff nach seiner Kleidung, „Du hast wohl nicht erwartet, dass ich in solchen heißen Sommernächten ohne Klamotten schlafe? Ist doch nicht schlimm Johan, du bist doch auch ein Junge!“

Johan erkannte genau wie vergnügt Juudai schon wieder war, was ihn auch sehr beruhigte, da er schon mit einer Anfuhr gerechnet hatte.

„Juudai, ich warte dann mal... draußen...“, meinte Johan und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer seines Freundes. Juudai schmunzelte leicht, er hatte den Zwischenfall gelassen genommen auch wenn er selbst etwas zittrig geworden war nachdem er sich die Szene noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Er kleidete sich weiter an um die letzten Peinlichen Gedanken zu vertreiben und folgte seinem Freund darauf.
 

Die beiden Jungen lagen noch relativ gut in der Zeit, auch wenn Juudai sich so schwer tat um aufzustehen. Der junge Japaner hatte noch ein paar Sachen zusammengesucht, da er die Nacht ja schließlich bei Johan verbringen wollte und so verabschiedeten sie sich von Reiko und machten sich auf den Weg um Ruki abzuholen.

Sie gingen schweigend nebeneinander her, wobei Johan noch etwas bedrückt wirkte. Juudai lächelte, er war froh darüber dass der Norweger sich solche Gedanken machte und es nicht so einfach hinnahm dass ihm so etwas passiert war: „Du Johan-kun...“

„Tut mir wirklich leid, was da grad passiert ist. Das war wirklich dumm von mir, ich hätte auf deine Privatsphäre achten müssen, entschuldige bitte“, erklärte Johan und verbeugte sich kurz vor Juudai.

„Ich hab ja gesagt, ich finde es nicht so dramatisch... na ja. Kann doch mal passieren“, ein seichter Rotschimmer hatte sich nun auf Juudais Wangen gelegt, ein Zeichen für Johan, dass er es im Nachhinein nicht so gelassen aufgenommen hatte wie er sich gab, „Zugegeben... ich war ein bisschen peinlich berührt aber... wir sind doch immerhin beide Jungs, ne?“

„Ja da hast du wohl Recht. Lass es uns dann einfach vergessen, ja?“, schlug Johan vor und erhielt ein zustimmendes Nicken. Sie hielten beide vor dem Haus in dem Ruki mit ihrer älteren Schwester und ihrer Mutter lebte und warteten nur wenige Minuten, bis sie aus dem Haus kam.

„Morgen Jungs“, begrüßte sie die beiden freudestrahlend und fing sich zunächst einen fragenden Blick von Juudai ein, der aufgrund ihres Aussehens etwas verwirrt zu sein schien und eben diesen Blick fand das Mädchen wiederum nicht gebührlich, „Was ist denn mit dir los, Juudai-kun? Hat dich ne Maus gebissen oder was starrst du so?“

Johan betrachtete die Szene lächelnd, allerdings wusste er nicht genau, ob er Juudai wirklich so genau übersetzen sollte, was sie gerade gesagt hatte. Im ersten Moment konnte er Juudais Überraschung nachvollziehen, immerhin konnte man diesen Kleidungsstil nicht bei jedem Menschen in Norwegen erwarten. Sie trug einen großen rüschenbesetzten Sonnenhut auf dem Kopf um sich vor der prallen Sonne zu schützen, aus dem selben Grund wurden ihre Arme von feinen Netzarmstulpen bedeckt und ihr schwarzes Kleid war von so vielen Rüschen aufgebauscht, dass es weit abstand.

Ruki seufzte genervt aus: „Und ich dachte Japaner sind die verrückten die so ziemlich jeden Kleidungsstil akzeptieren...“

„Gothic Lolita?“, fragte Juudai grinsend, „Aber wird das nicht ein bisschen zu warm?“

Ruki schüttelte den Kopf, anscheinend hatte sie die Worte gut verstanden: „Nein, nein ich halte das aus. Wer bleich bleiben will muss leiden, Juudai-kun. Also gehen wir?“

Beide nickten zustimmend sie wollten keine Zeit mehr verlieren, vor allem Johan hatte einen seltsamen Drang Juudai die Umgebung zu zeigen in der sie lebten. Um in den Wald zu gelangen mussten sie noch einmal an Johans Haus vorbei gehen, was sehr praktisch war, denn so konnten sie die kleine Tasche welche Juudai gepackt hatte ins Haus bringen. Johan hatte noch gehofft Juudai seiner Mutter vorstellen zu können, doch sie war bereits zur Arbeit gefahren. Nur Ruby konnte kurz die Bekanntschaft von Johans neuem Freund machen, doch dann machten sie sich umgehend auf den Weg.
 

Ein kleiner Trampelpfad führte in den Wald hinein, dessen Weg noch ziemlich uneben war. Ein paar Mal wäre Juudai durch das dichte Gestrüpp hängen geblieben und über eine hervorstehenden Wurzel gestolpert. Johan, der an der Spitze der kleinen Gruppe ging um zu führen, musste aufgrund des kleinen Ungeschickten schmunzeln, er wandte sich zu ihm um: „Du musst aufpassen sonst fällst du noch und brichst dir was.“

„Ist doch schon gut“, antwortete Juudai wobei er allerdings etwas genervt klang.

„Entschuldige“, kam es von dem Norweger.

Als der Waldweg sich verbreiterte begaben sich Johans Freunde an seine Seite. Während Ruki noch gelassen neben Johan herging sah Juudai sich um. Er mochte diesen Wald, das Dichte Baldachin aus grünen Blättern ließ nur ein paar Sonnenstrahlen zu einem frechen Spiel mit den Schatten herein. Der Gesang der Vögel drang durch die Stille des Waldes, doch nicht nur helles Vogelgezwitscher war zu vernehmen. Juudai lauschte, es hörte sich fast so an als ob starker Wind ging, doch das war völlig unmöglich.

„Johan, der Kleine hat’s bemerkt“, meinte Ruki, „Vielleicht solltest du ihn vorwarnen bevor ihm die Augen ausfallen!“

Der Scherz in ihrer Stimme war sehr gut zu hören. Als Johan ihr diesen Ort zum ersten Mal gezeigt hatte, warnte er sie vor sie solle nicht sofort aus allen Wolken fallen. Juudai sah das Mädchen fragend an und wandte sich danach an Johan: „Was hat sie gesagt?“

„Na ja, du solltest dich jetzt besser drauf vorbereiten, dass du etwas besonderes siehst“, entgegnete er und warf seiner Freundin einen kleinen versteckten Blick zu, „Sicher, er ist nicht sehr groß, aber wenn wir den Hang hinabgestiegen sind, dann wirst du ihn sehen. Du hörst ihn immerhin schon.“

„Was ist das? Es hört sich an wie starker Wind. Ist es ein Fluss?“, wollte Juudai aufgeregt wissen. Er klang schon in diesem Augenblick sehr begeistert und wirkte auf seine beiden Begleiter wie ein junger Hund der im Schnee herum tollen wollte.

„Richtig“, antwortete Ruki auf Japanisch, „Es ist ein Fluss.“

Johan nickte: „Ja. Dazu muss man aber sagen, dass er an dieser Stelle reißender ist als sonst wo. Hier ist nämlich sein Wasserfall!“

„Ein Wasserfall!?“, wiederholte Juudai und machte sich schnellstmöglich auf den Weg nach unten. Johan schaffte es nicht mehr ihn davor zu bewahren die kleine aber steile Steigung zu schnell hinab zu klettern. Juudai rannte regelrecht das kleine Gefälle hinab wobei er einige Male stolperte und damit an Geschwindigkeit zunahm und weiter laufen musste um nicht zu stürzen.

„Oh Himmel, er kann einfach nicht hören!“, seufzte Ruki und machte sich ebenfalls schneller af den Weg nach unten. Johan betrachtete die Szene nicht ganz so gelassen wie seine Freundin, sondern überholte sie und sprang Juudai hinterher der sich mittlerweile unten befinden musste. Seine Augen konnten den Japaner allerdings nicht erspähen, da die Büsche und Bäume zu dicht bei einander standen und das Laub ihm verbot weit zu sehen. Mit schnellen Schritten kam er gefolgt von Ruki auf einen weiteren Waldweg, dessen Erde feucht und schwarz war, doch Juudai war nirgends zu sehen. Verwundert sah Johan sich um. Juudai konnte doch nicht einfach verschwunden sein, oder aber er versteckte sich um den beiden einen Schrecken einzujagen.

„Hey! Juudai!“, rief Ruki schließlich, „Juudai, antworte! Wo hast du dich versteckt? Wir mögen solche Spiele nicht!“

„Juudai-kun! Komm raus wo bist du?“, rief auch Johan, doch in einem wesentlich angenehmeren Ton.

Von nahem ertönte ein schnaufendes Geräusch und Juudais Stimme die keuchte: „Ich würde ja gern... aber ich hab hier noch zutun!“

„Juudai!“, kam es von Johan und Ruki wie aus einem Munde, sie beide liefen zum Wegrand und sahen über den Abhang der direkt in den Fluss hinab führte.

Es war Ruki die ihre Hand zuerst nach ihm ausstreckte: „Na komm wir ziehen dich wieder hoch. Dann wirst du nicht aussehen wie ne getaufte Maus!“

„Ruki das ist nicht lustig!“, mahnte Johan wobei er sich weit nach vorn beugte und Juudais Hand ergriff die eine hervorstehende Wurzel umklammert hielt, „Da hast du ja noch mal Glück gehabt, dass du nicht sofort nach unten gestürzt bist!“

Juudai zeigte ein unverwüstliches Grinsen, mehr um seinen Schrecken zu verbergen als wirklich so zu tun als sei dies gar nicht so wild. Ruki ergriff Juudais linke Hand und gemeinsam mit ihrem norwegischen Freund konnte sie den Japaner herauf ziehen.

Juudai vermochte es nicht seinen Körper vom Schauer zu befreien, der ihn erfasst hatte. Der Schrecken steckte ihm noch tief in den Gliedern, gerade weil der Abgrund tief war und die vielen Steine und Wurzeln, die aus der feuchten Erde aufragten, sehr viel Schaden hätten anrichten können. Ihm gelang es allerdings sich in einem lauten Auflachen der Erleichterung und des Dankes zu verlieren, das selbst Johan und Ruki noch mitriss. Sie waren alle drei ziemlich erleichtert, dass nicht noch mehr passiert war.

„Danke ihr beiden“, sagte er dann und stand auf wobei er zunächst dem Mädchen und dann auch Johan aufhalf.
 

Den weiteren Weg, den sie noch zurück lagen sprach keiner mehr von dem was kürzlich passiert war. Juudai war noch immer vergnügt und heiter wobei er sogar einige Lieder vor sich hin pfiff. Ruki begegnete diesem aufgelegten Verhalten ebenso heiter und schaffte es auch einmal sich freundlich mit ihm zu unterhalten ohne das von ihrer oder seiner Seite aus Sticheleien zu erwarten waren. Johan war mit der Situation zufrieden, er hätte es nicht gutgeheißen wenn sich die beiden ewig nur stritten.

Schließlich rasteten sie am Ufer des kleinen Flusses der immer schmaler wurde und langsam zu seiner Quelle führte. Juudai sah den großen Berg hinauf, den er auch von seinem Fenster aus sehen konnte und Ruki folgte seinem Blick.

„Hm... das ist der Kolsås toppen, vielleicht können wir Mal alle zusammen dort hinauf gehen. Oder hast du die Nase voll von Höhen?“, wollte sie scherzend wissen.

„Also... ist das denn möglich dort hinauf zu klettern?“, wollte Juudai wissen.

„Ja natürlich!“, entgegnete Johan, „Es führt sogar ein Wanderweg nach oben und es ist gar nicht schwer auch wenn es jetzt schon zu spät ist noch aufzubrechen. Wenn du also möchtest können wir irgendwann dorthin gehen.“

Juudai grinste heiter. Der Gedanke daran den Berg mit Freunden zu erklimmen statt sich vor dem Lärm seiner Mutter zu entgehen war ein schöner Gedanke. Vor allem weil er nun das Gefühl hatte Anschluss finden zu können.

„Ach, ich wollte ja noch erwähnen“, begann Johan mit frechem Lächeln an Ruki gewandt, „Ihr beiden habt wohl ein gemeinsames Hobby!“

„Wirklich?“, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch, sie wirkte aufgrund von Johans Lächeln.

Johan nickte: „Mal abgesehen von Animes, mag unser Juudai auch noch Eiskunstlauf.“

„Was im Ernst? Er?“, Ruki musterte den Jungen skeptisch von oben bis unten, „Hätte ich ihm jetzt wirklich nicht zugetraut...“

Johan grinste und erklärte seinem japanischen Freund was los war: „Ruki-chan war Mal in einem Verein weißt du? Jetzt macht sie es nur noch als Hobby. Vielleicht fängt sie ja bald wieder an, sie ist ziemlich gut so wie ich das erkennen kann. Kannst du eigentlich Eislaufen oder schaust du es dir nur an?“

Juudai wandte seinen Blick ab, es schien ihm im Nachhinein peinlich zu sein, dass Johan diese Tatsache so gelassen ausplauderte als sei es der normalste Zeitvertreib den ein Junge haben konnte.

„Na ja“, begann er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, „Ich laufe auch Schlittschuh, nun... Sprünge, Drehungen all das aber ich bin nicht besonders gut und ich ... na ja... warum fragst du?“

„Du bist sicherlich zu bescheiden sonst wärst du nicht so beschämt, Juudai-kun!“, meinte Johan lächelnd und erklärte ihm dass es in der Innenstadt Oslos neben der Haupteinkaufsstraße immer eine recht große Eisbahn gab, die jedes Jahr wieder errichtet wurde um die Bewohner der Stadt zu erfreuen. Da es schon Nachmittag wurde sah Johan auf seine Uhr, er wusste dass sie bald zum Mittagessen wieder nach Hause mussten. Somit machten sich die drei wieder auf den Weg, doch nahmen sie nicht den selben, sondern suchten sich die Wege und Pfade mit den geringsten Steigungen zum Levre Toppen, in der Straße die sie gemeinsam bewohnten.
 

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Weiter geht's in Teil 3

Ich möchte mich auch wieder herzlichst bei -Judai-, meinem Töchterchen Asu-chan und nicht zu letzt bei meiner Lain für die lieben Kommentare und das Betalesen bedanken ^-^

Eventyr i helgen Teil 3

III Zum Sonntag
 

Juudai war überrascht, dass Johan allein kochen musste. Seine Mutter hatte ihn noch nie allein in die Küche gelassen aber dies hing wahrscheinlich damit zusammen, dass Juudai jedes Mal ein Heidenchaos hinterließ. Während er Johan beim Kartoffelschälen half und ihm dann beim Braten und Zubereiten zusah, wurde er von der Kartäuserkatze Ruby begutachtet. Sie schien Juudai immerhin schon interessant zu finden, denn es dauerte gar nicht lange bis sie sich auf seinen Schoß gesetzt hatte um sich kraulen zu lassen. Johan betrachtete die Szene mit einem Lächeln: „Bisher hat sie sich von kaum jemanden berühren lassen. Sie merkt dass du ein guter Mensch bist.“

„Von kaum jemanden?“, wiederholte Juudai mit fragender Miene, „Von dir und von wem noch?“

„Na ja, von Ruki als sie hier war und von meinen Großeltern aber die kommen so selten zu Besuch. Sonst niemanden nicht mal von meinen Eltern“, entgegnete Johan sofort, er hätte sich für die letztere Aussage gern geohrfeigt. Nun hörte es sich so an als fände er, dass seine Eltern keine guten Menschen waren auf die man sich verlassen konnte also fügte er hinzu: „Also es ist nicht so, dass Mama und Papa sie nicht anfassen...“

„Schon gut, Johan-kun“, warf Juudai ein, „Ist schon in Ordnung ich weiß wie es ist wenn man wütend auf seine Eltern ist.“

Der Norweger wandte sich nun völlig perplex um und sah Juudai einen Moment schweigend dabei zu wie er Ruby mit Streicheleinheiten verwöhnte. Juudai war sicher wütend darüber gewesen nach Norwegen ziehen zu müssen. Er konnte es dem Japaner noch nicht Mal verübeln schließlich kannte er das Gefühl zu etwas gezwungen zu werden, allerdings hoffte er dass Juudai seine Meinung über dieses Land bald ändern würde. Sicherlich würde es seine Zeit brauchen um richtig sprechen zu lernen, aber bestimmt gelang es mit etwas Nachhilfe besser. Schließlich erreichten ihn Juudais Worte wieder: „Sag mal Johan-kun... warum sprichst du eigentlich beinahe fließend Japanisch?“

Johan zuckte unmerklich zusammen, er hatte mit dieser Art von Frage nicht gerechnet und es schoss ihm sogleich das Blut in die Wangen: „Tja also... ich kann es weil mein Vater es mich gelehrt hat.“

„Dein Vater hat es dir beigebracht?“, wollte Juudai verwirrt wissen.

„Ja. Er ist Diplomat und seit dem Tag meiner Geburt versucht er mich auch dorthin zu bringen. Deshalb bin ich fast zweisprachig aufgewachsen obwohl ich den Grund als kleiner Junge kaum verstanden habe“, erklärte Johan ohne Umschweife und setzte wieder ein Lächeln auf, „Heute kann ich ihm dafür dankbar sein, denn nur so habe ich dich kennen lernen können, Juudai-kun!“

„So ist das... Was ist mir dir Johan-kun? Ich meine, magst du deinen Eltern ihren Wunsch erfüllen und willst Diplomat werden wie dein Vater?“, fragte Juudai weiter.

Johan hielt kurz inne. Für einen kurzen Moment hatte der Japaner das Gefühl als wolle Johan lauschen ob vielleicht jemand zur Tür herein kam. Sein Gesicht war nun ernst, kein Lächeln zierte mehr sein Gesicht: „Um ehrlich zu sein, nein. Ich werde ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen, nur lasse ich sie noch in dem Glauben ich würde das selbe Ziel verfolgen.“

„Warum sagst du ihnen nicht, dass du es nicht willst?“, fragte Juudai weiter.

Johan zeigte nun ein bitteres Lächeln: „Ich glaube dann müsste ich mir schnellstmöglich eine neue Bleibe suchen. Sie sind etwas strenger als deine Mutter, Juudai-kun.“

Johan konnte erkennen wie überrascht sein neuer Freund war. Er konnte diese Überraschung sehr gut verstehen, immerhin kam es nicht oft vor, dass man den Willen seiner Eltern befolgen musste um ein friedfertiges Leben zu führen. Johan wandte sich wieder seinen Bratkartoffeln zu um seine eigene Bitterkeit vor Juudai zu verbergen. Er fragte sich was der Kleine nun von ihm dachte.

Auf den Gedanken, dass Juudai sich von Johans Schicksal beeindrucken ließ kam Johan allerdings nicht in den Sinn. In Wahrheit gingen die verschiedensten Dinge durch Juudais Kopf. Er fragte sich zum Beispiel wie es sein konnte, dass Eltern ihren Sohn so wenig mochten. Immerhin war es doch sein Leben und er musste entscheiden wie er seine Zukunft gestalten wollte. In diesem Augenblick hatte Juudai das Gefühl die Welt nicht mehr zu verstehen und auch das verstörte Gesicht, das Johan nun an den Tag legte konnte er sehr gut verstehen.

„Was möchtest du denn machen, wenn du erwachsen bist, Johan-kun?“, fragte Juudai weiter. „Ich? Nun ja, ich möchte gern Arzt werden“, entgegnete er, „Chirurg, das wäre mein Traum. Meine Mutter ist auch Kinderärztin deshalb verstehe ich nicht warum den beiden dieser Beruf nicht schneidig genug ist.“

„Das kann ich auch nicht verstehen, ganz ehrlich Johan“, stimmte Juudai zu und trat an seine Seite, „Aber wer weiß was du tust wenn du volljährig bist. Immerhin kann dir dann keiner mehr Vorschriften machen.“

Endlich lachte Johan wieder auf und machte den Herd aus. Aus den Schränken holte er Teller und Besteck wobei er Juudai darauf hinwies sich wieder zu setzen. Juudai lächelte, ihm gefiel es viel besser wenn sein Freund lachte als so trübselig und ernst drein zu schauen. Es passte einfach viel besser zu Johan.

„Du hast aber die selbe Auffassung wie sie!“, stellte Johan dann fest.

„Wie wer?“, hakte der Japaner nach.

„Na wie Ruki. Sie kann es auch nicht verstehen, dass ich nicht gegen meine Eltern rebelliere, wenn ich doch ein anderes Ziel habe. Aber wie du schon gesagt hast, ich muss nur warten bis ich achtzehn Jahre alt bin, dann gehe ich meinen eigenen Weg“, antwortete Johan und begann zu essen. Auch Juudai machte sich über Johans Kochkünste her und musste zugeben, dass er sein Handwerk doch wirklich gut beherrschte, wahrscheinlich musste er oft für sich selbst kochen.

„Meine Mutter kocht besser“, meinte Johan um das Schweigen der Mittagsruhe zu brechen. Juudai blickte auf in die schillernden Smaragde seines Freundes. Er wartete gespannt, ob Johan noch etwas hinzufügen wollte, denn er wirkte nicht als hätte er schon alles gesagt was ihm auf der Seele lag.

„Als ich jünger war hat sie öfter zu Hause gekocht, aber jetzt bin ich praktisch selbst für das Essen verantwortlich. Manchmal habe ich das Gefühl sie hätten mich früher mehr beachtet als heute“, erklärte Johan und Juudai erkannte in seinen Augen, dass es ihm schwer fiel darüber zu sprechen und trotzdem tat er es. Die Miene des Japaners veränderte sich zu einer nachdenklichen, wobei er zur Decke starrte. Johan vertraute sich ihm an, obwohl sie sich noch gar nicht lange kannten. Juudai bemerkte nicht, dass sein Freund diese rätselnde Miene bereits registriert hatte und schreckte auf, als Johan das Wort an ihn richtete: „Juudai-kun was ist denn los?“

„Was!?“, hektisch antwortete er, „Was soll denn los sein?“

„Ich weiß nicht, du hast so fragend ausgesehen, beschäftigt dich etwas?“, fragte Johan weiter. „Hm“, das war das einzige was Johan noch aus Juudai herausbekam bevor er sich von seinem Platz erhob. Nur ein paar kleine Schritte genügten um zu Johan zu gelangen. Juudai grinste nun wieder frech und beugte sich vor: „Natürlich beschäftigt mich etwas! Nämlich du!“

Er schnipste Johans Nase an worauf der Norweger verwirrt in die braunen Augen seines Freundes sah: „Tja, ich höre meinen Freunden gern zu, Johan-kun. Wenn du also was auf den Herzen hast dann sag mir Bescheid, ja?“
 

Nach dem Mittagessen saßen die beiden Jungen zusammen in Johans Zimmer. Beide hatten es sich mit Heften auf dem Boden bequem gemacht, Juudai lag auf dem Bauch an Johan gewandt, der vor ihm im Schneidersitz saß. Johan war auf die Idee gekommen mit ihm zu lernen, ein paar Norwegischregeln beibringen, damit er es wenn es zu grammatischen Themen in seinem Sprachunterricht kam, nicht ganz unvorbereitet war. Während Juudai die verschiedenen Personalpronomen vor sich hin murmelte, schlich Ruby angezogen von heiterem Reden und Gelächter in das Zimmer ihres Besitzers und schmiegte sich an den Brünetten. Schnurrend und Zuneigung suchend, machte sie es sich schließlich auf Juudais Rücken bequem.

„Du hast noch einen Freund gefunden Juudai, ich glaube du wickelst alle um den Finger!“, lachte Johan auf als er seine Katze beobachtete.

„Jetzt hat sie mich aber aus dem Konzept gebracht“, jammerte Juudai der von neuem begann das neu Gelernte aufzusagen, „Sag mal Johan-kun wann kommt eigentlich deine Mutter?“

„Kannst du das auch auf Norwegisch?“, hakte Johan zwinkernd nach.

Når kommer moren din hjem?“, wiederholte Juudai die Frage gebrochen.

Johan lächelte zufrieden über diesen Erfolg: „Es dauert sicher nicht mehr lange. Spätestens um acht dürfte sie wieder zu Hause sein und dann macht sie bestimmt das Abendessen. Sie möchte dich bestimmt gern kennen lernen sonst hätte sie mir nicht so einfach erlaubt.“

Juudai nickte. Noch einmal sah er auf das Blatt Papier hinunter auf dem er sich die neuen Vokabeln aufgeschrieben hatte:

Jeg, das bedeutet ich. Du bedeutet du und hun bedeutet sie, während han er bedeutet. Den und det benutzt man im Zusammenhang mit Tieren oder Gegenständen und heißt übersetzt es. Vi, dere, de heißt wir, ihr und sie. Ruby ist eine Katze, dass heißt ich benutze entweder den oder hun, nicht wahr Johan?“

„Richtig. Du lernst wirklich schnell, Juudai-kun!“, antwortete der Norweger stolz, er hätte nicht gedacht, dass er ihm das überhaupt verständlich beibringen könnte aber wahrscheinlich lag es daran, dass er Juudais Interesse geweckt hatte.

„Und warum sage ich nicht det? Das bedeutet doch das Selbe!“, forschte Juudai ein wenig hilfloser.

„Na ja das ist so, im Norwegischen gibt es drei Artikel für feminine, maskuline Wörter und dann noch einen Artikel für den Neutrum. Und ei katt oder en katt, das kannst du dir aussuchen, ist ein eigentlich feminines Wort und deshalb brauchst du den. Du darfst aber alle Wörter mit weiblichen Artikel in ein maskulines Wort umwandeln. Wenn du aber et hus nimmst, also ein Haus, dann musst du det gebrauchen“, erklärte Johan, doch musste er feststellen, dass Juudai darauf sehr verwirrt zu sein schien, „Ich bin mir ganz sicher, dass du das noch lernen wirst. Sonja bringt es dir sicherlich besser bei.“

Juudai nickte nachdenklich, bemühte sich allerdings wieder zu einem heiteren Lächeln: „Ich bin so froh, dass du mir hilfst, Johan!“

„Das ist doch selbstverständlich“, beschwichtigte er mit einer kleinen Handbewegung. In diesem Augenblick ertönte das Klacken der Haustür, sofort wurde Johan hellhörig und sprang regelrecht auf. Mit einem vielsagenden Blick wandte er sich an Juudai mit einem gemurmelten, „da ist sie“, und ging in den Flur hinaus. Juudai, der den sonst eher beherrschten Jungen nachsah bemerkte nun, dass Johan sehr nervös wurde. Also beschloss der Japaner nun sein bestes zu geben, um Johans Mutter nicht zu enttäuschen. Mit gedämpfter Stimme begrüßte Johan die junge Frau die eingetreten war: „Willkommen zu Hause, Mama!“ Sie nickte auf die japanischen Worte, die Johan ihr entgegen gebracht hatte, er tat es aus Höflichkeit zu Juudai. Der Junge verbeugte sich höflichst vor der Herrin des Hauses, begrüßte sie ebenfalls und stellte sich mit vollem Namen vor. Johans Mutter nahm erst einmal ihre Sonnenbrille schweigend ab und legte sie auf die Kommode. Danach hing sie den Chanelblazer auf einen Bügel um ein Figurbetontes schwarzes Shirt zum Vorschein zu bringen. Ihr hochgestecktes Haar wurde ebenfalls von ihr befreit und hingen nun glatt über ihre Schultern herunter.

„Guten Abend Juudai-kun“, kam es trocken und einsilbig von der jungen Frau und reichte Juudai die Hand. Der Junge, der noch immer erstaunt über das sehr formelle Benehmen dieser Frau war ergriff wieder das Wort, wobei seine Stimme etwas nervös zitterte: „Sehr erfreut, Anderusen-san!“

„Nenn mich ruhig Helene“, entgegnete sie trocken, „Wir sind schließlich in Norwegen, da brauchst du mich nicht so höflich ansprechen.“

Juudai nickte leicht betreten, doch war er mehr durch Johans merkwürdiges Verhalten verunsichert, denn er hatte noch kein weiteres Wort gesagt. Fragend sah er seinen Freund an und erhielt ein seichtes Kopfschütteln.

„Ich bin mir sicher, dass Johan noch sehr viel von dir lernen kann, nicht wahr Juudai-kun?“, fragte sie ebenso unberührt wie zuvor und zog sich ein paar Hausschuhe an. Der Japaner errötete leicht, er hätte nicht gedacht, dass Johans Mutter sofort das größte Klischeedenken an den Tag legte, das er sich denken konnte. Stotternd antwortete er ihr: „He...Helene-san also ich denke... nun ja, ich vermute Ihr Sohn kann mir viel mehr beibringen. Nicht zu letzt Ihre Sprache!“

„Nun denn...“, begann sie, doch bevor sie zu ende sprechen konnte, rang Johan sich dazu durch ihr ins Wort zu fallen und ein wenig vom Thema abzulenken. Wenn er ehrlich war, wollte er diese Situation unter keinen Umständen entgleiten lassen:

„Mutter sag mal, wie war dein Arbeitstag?“

„Es war...“, sie überlegte kurz, „Es war in Ordnung, wenn man bedenkt dass sich in einem Krankenhaus nur Menschen befinden, denen es nicht gut geht.“

„Also... Juudai-kun und ich haben ein wenig zusammen gelernt und ich habe ihm den Levre Wald gezeigt und...“, Johan klang nervös. Viel zu nervös für Juudais Geschmack. So hätte er seinen Freund gar nicht eingeschätzt. Wie aus Reflex, als ob er es als eine Selbstverständlichkeit sah, umfasste Juudai die Hand seines Freundes um sie fest zu umschließen. Unmerklich erwiderte Johan diesen freundschaftlichen Händedruck und kam wieder etwas zur Ruhe.

„Sehr schön“, entgegnete seine Mutter in gewohnt strengem aber ruhigen Ton, „Dann lasst euch nicht stören, ich rufe euch wenn es Essen gibt.“

„Danke Mama“, erwiderte Johan, zog seinen Freund wieder mit in sein Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Ein seufzen entkam Johans Kehle, ein erleichtertes Seufzen, das niemand außer Juudai zu hören bekam.
 

Die Nacht zog über das Land ein, wenn man es denn so nennen konnte. Juudai würde sicherlich noch eine Weile brauchen um sich an die Lichtverhältnisse im Hochsommer zu gewöhnen, denn erst gegen dreiundzwanzig Uhr schien es endlich dunkel zu werden. Selbst die Nacht wollte nicht völlig düster bleiben, wie er erneut feststellen musste, denn in der Ferne erblickte er noch einen leichten bläulichen Schimmer. Der Japaner wusste auch, dass es nicht einmal mehr zwei ein halb Stunden dauerte bis die Sonne wieder über die Felsen ragte und die Welt in ein frisches Gold tauchte.

Noch lange sah Juudai aus dem Fenster, das Johan ihm zu Liebe nicht abgedunkelt hatte und seufzte leise aus.

„Juudai-kun? Kannst du nicht schlafen?“, Johan hauchte die Frage nur aus.

„Doch, doch, keine Sorge, ich hab mich nur noch gar nicht darum bemüht“, antwortete Juudai, „Ich war nur etwas in Gedanken.“

„So? Was geht dir denn durch den Kopf?“, wollte Johan wissen.

Juudai vergrub sein Gesicht kurz in seinem Kissen, er lag auf einer Luftmatratze neben Johans Bett und versuchte nun verzweifelt einen leichten Rotschimmer aus seinen Wangen zu vertreiben: „Na ja. Ich ... es ist mir ein bisschen peinlich weil ich noch bis vor einigen Momenten gedacht habe, dass ich der einzige mit unendlich großen Problemen bin!“

Nuschelnd sprach der Braunschopf in das Kissen hinein und konnte noch vernehmen, wie Johan ein leises Lachen verlauten ließ.

„Warum lachst du?“, fragte Juudai und wandte sich nun leicht lächelnd an Johan.

„Weil meine Mutter dich ja furchtbar beeindruckt haben muss, wenn du sie als Problem bezeichnest“, erwiderte Johan flüsternd.

„Was!?“, Juudai fühlte sich ertappt, denn genau das war ihm schon den ganzen Nachmittag durch den Kopf gegangen, „Also... Johan-kun wirklich ich wollte nicht...“

„Ist schon gut, du bist doch nicht der einzige, der das denkt. Ruki-chan hat nur den Fehler gemacht und es auf norwegisch laut ausgesprochen. Seitdem ist zumindest meine Mutter nicht mehr sehr gut auf sie zu sprechen!“, erklärte Johan noch immer leise lachend.

Juudai druckste noch leicht, rang sich dann jedoch schnell durch etwas zu sagen: „Weißt du, ich dachte meine Mutter zerstört mein Leben wenn wir hier her kommen, dabei ist das gar nicht wahr. Du hast es schließlich auch nicht gerade einfach und du beklagst dich nicht Mal. Eigentlich war ich ein bisschen ängstlich, weil du plötzlich so nervös geworden bist, ich meine... als deine Mutter aufgetaucht ist. Ich habe es gespürt, dabei dachte ich, dass dich so leicht nichts erschüttern kann.“

„Was du hast das gemerkt?“, fragte Johan überrascht.

Juudai nickte stumm als Antwort.

„Das... das wusste ich ja gar nicht. Oh je, ich bin ganz schön feige oder?“, wollte er wissen und legte seinen Kopf auf die Hände, „Weil ich mich nicht mal traue meiner Mutter zu sagen, dass ich nicht Diplomat werden möchte.“

„Nein, ich glaube nicht das du feige bist, Johan-kun. Für mich hast du nur unverwüstlich gewirkt als ich dich kennen gelernt habe... irgendwie“, Juudai suchte nach Worten, ihm schien es wirklich schwer zu fallen die richtigen zu finden, „Ich weiß nicht. Du bist eben der einzige, mit dem ich wirklich richtig reden kann und ich habe dich für robust gehalten...unerschütterlich...oder so etwas...“

„Juu-...Juudai-kun!?“, entfleuchte es Johan überrascht, mit solch einer Antwort hatte er einfach nicht gerechnet, doch es bereitete ihm ein ermutigendes warmes Gefühl. Ein seichtes Lächeln schlich sich nun auf Johans Lippen worauf er sich wieder entspannt in seine Kissen zurück legte und murmelte: „Ich werde dir meine Sprache schon noch beibringen, Juudai-kun, keine Sorge! Ich werde dir helfen wo ich nur kann, schließlich sind wir Freunde, ne?“

Juudai nickte und beobachtete Johans Hand, die sich langsam seinem Gesicht näherte. Den kleinen Finger hatte er ausgestreckt und hielt ihm Juudai nun entgegen. Ein Zeichen für den Japaner, dass er es Johan versprechen sollte. Kaum merklich nickte Juudai und hakte seinen kleinen Finger in den des Norwegers ein: „Versprochen, Freunde für immer Johan!“
 

~Fortsetzung folgt in Kapitel 4 „Vennskap“ – Freundschaft~
 

Sou wieder ein kleines Nachwort ^^

Insgesamt ist Kapitel drei nun das längste, was natürlich auch kein Wunder ist. Es ist das erste das ich in drei Teile aufteilen musste damit es euch nicht zu lang wird...

Wenn ich ehrlich bin dann gefällt mir der zweite Teil am besten, die Szene in der Johan Juudai aufweckt *g* Juudai wollte es nicht zugeben, aber in Wahrheit war er sehr peinlich berührt, aber er hat es gut versteckt, nicht wahr? XD

Eigentlich sollte das Kapitel schon etwas dramatischer mit einer unheimlichen Nacht im Wald sein. Aber ich fand das Camping Thema jetzt auch schon ein bisschen abgegriffen, deshalb blieb es bei einem relativ harmlosen Abenteuer. Schade eigentlich *ggg* Im nächsten Kapitel wird es dann noch mal etwas ruhiger vorgehen, im fünften Kapitel beginnt es aber schon ein wenig mit den geheimnisvolleren Sachen, die ich mir ausgedacht habe... Oh Mann, Leute wirklich ich bin irgendwie nervös, ich hoffe, dass ich alles so hinbekomme, wie ich es mir gedacht habe >.<

Und ja genau, einige haben mich gefragt was es mit meinen Nick und meinen OC auf sich hat. Der japanische Name Ruki kann nur mit i geschrieben werden weil es normalerweise y nur im Zusammenhang mit ganzen Silben wie ya, yo, yu, jyuu, jyou, kya, kyu, kyo, gya, gyu, gyo usw. gibt. Der Grund warum ich meinen User Nick auf Animexx von i auf y abgeändert habe ist ganz einfach der, dass ich mich von meinem OC gern distanzieren möchte. Ruki ist nicht gleich Ruky. Ruki hat Dinge an sich, die ich nicht habe, außerdem ist Ruki kein Self-insert, sondern ich gebe ihr einfach nur Kleinigkeiten von mir mit. So viel dazu ^.^

Außerdem finde ich es wirklich toll, dass einige Leute auf die Sache mit dem Eislaufen reagiert haben. Juudai soll noch aus einem bestimmten Grund Schlittschuhlaufen. Außerdem bin ich auf die Idee gekommen als ich mit den Jungs im Designunterricht saß und wir dummes Zeug gelabert haben weil uns langweilig war. Da kam ich auf die Idee es sei irgendwie lustig, mit Juudai Schlittschuh zu laufen und so kam es zu Stande *g* Aber weil das auch ein Sport ist den meistens Frauen ausüben... ja ich weiß auch nicht, aber ich fand es total niedlich XD~

Auf jeden Fall hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat und dass ihr auch weiterhin mit dabei seid ^-^

Eure Ruky

Vennskap Teil 1

Kapitel 4:

Vennskap

~Freundschaft~
 

I Der Brief
 

Ende August setzte der Regen ein, der von einer undurchdringlichen Wand aus grauen Schleiern freigegeben wurde, die den azurblauen Himmel über Gjettum und Sandvika verbarg. Das Rauschen des Regens drang durch das leicht geöffnete Fenster des Jungen, der nur noch wenige Minuten in Frieden schlafen konnte und das ständige Plätschern der dicken Tropfen vom Dach brachte den Brünetten dazu sich mürrisch von einer Seite auf die andere zu wälzen. Seine Augen wollten noch lange nicht richtig erwachen, doch seine Ohren fingen dumpfe Stimmen auf, die Norwegisch sprachen.

Widerwillig öffnete Juudai seine Augen und schaltete seinen Wecker frühzeitig aus. Er war neugierig geworden wer sich mit seiner Mutter unterhielt. Es musste jemand sein, mit dem sie sich gut verstand, denn sie klang sehr fröhlich bei dem Gespräch. Der junge Japaner setzte sich auf, rieb sich schnell den Schlaf aus seinen Augen und ging zu seiner Tür rüber. Er öffnete sie nur einen schmalen Spalt weit um seinen Kopf hindurch zu stecken.

„Johan!“, überrascht sprach er den Namen seines Freundes, lauter als es nötig war, aus. Der Norweger hob den Kopf und lächelte ihm entgegen: „Guten Morgen, Juudai! Ich wollte verhindern dass du wieder zu spät kommst. Na mach schon, dann bekommst du auch noch was zum Frühstück!“

„Ja, warte ich muss mich nur noch umziehen“, erklärte Juudai und warf seinen Pyjama, den er mittlerweile wieder des Nachts tragen musste, unachtsam auf sein Bett und zog sich wieder für die Schule seine alte Uniform an. Der Junge konnte sich kaum erklären warum er mit jedem Mal, wenn er Johan erblickte gute Laune bekam. Wahrscheinlich war es der unterbewusste Drang ihn aufzuheitern, denn nachdem was er vor einigen Wochen bei Johan zu Hause erlebt hatte, machte ihm klar dass er sich eigentlich glücklich schätzen konnte eine relativ intakte Familie zu haben.

Fröhlich sprang Juudai, befreit von aller Müdigkeit, in das Wohnzimmer hinein und kam seinem Freund mit einem fröhlichen Grinsen entgegen. Es war in der Tat ein Grinsen, dass seine heitere Natur perfekt zur Geltung brachte und auch dem Norweger ein seichtes Lächeln entlockte.

„Du hast aber wirklich gute Laune!“, stellte Johan fest.

Juudai nickte sofort: „Natürlich es ist ja auch ein schöner Tag, so wie es aussieht!“

Ein erstaunter und gleichermaßen verwirrter Blick war nun deutlich im Gesicht des Norwegers zu erkennen, worauf auch der Braunhaarige etwas nervöser zu werden schien und schüchterner das Wort ergriff: „Hab ich da was falsch gesagt, Johan-kun?“

„Was!?“, entfuhr es ihm wie ein Reflex, schüttelte dann aber hastig mit dem Kopf, „Nein, nein Juudai, es ist alles in Ordnung, so wie du es sagst. Du bist wirklich gut geworden in den wenigen Wochen!“

„Dank dir!“, stimmte er ohne Umschweife zu und gab Johan zu verstehen er sollte ihm genauer erklären warum er so verwirrt auf ihn herabsah, also fuhr der Norweger fort:

„Na ja ich dachte nur, es regnet doch draußen oder hast du deinen Traum noch zu sehr vor Augen?“

Juudai konnte sich ein kleines Auflachen nicht verkneifen, er hätte sich gleich denken sollen, dass Johan seine wörtliche Geste nicht verstand: „Jeder Tag an dem du mich besuchst und schon am frühen Morgen bei mir bist, kann nur ein schöner Tag sein! Gewöhne dich besser daran, Johan! Aber sag mal, warum bist du eigentlich hier? Doch wohl nicht einfach nur weil ich nicht wieder verschlafen soll?“

Juudai bemerkte plötzliche Nervosität seitens des sonst so beherrschten Johan. Es war ähnlich wie vor einigen Wochen, als seine Mutter wieder nach Hause gekommen war. Wahrscheinlich hatte es wieder etwas mit ihnen zutun, denn Juudai konnte sich denken, dass es sicher nicht leicht für Johan war darüber zu sprechen. Nachdem Johan sich anscheinend seine Worte drei mal überlegt und zurecht gelegt hatte und sein Herz offensichtlich auch wieder in einem gewöhnlichen Rhythmus schlug, setzte er zu einer Antwort an: „Nein, ganz so ist es wirklich nicht. Deine Mutter hat mir erlaubt die nächsten drei Tage bei euch zu bleiben, da meine Mutter auf einer Fortbildung ist. Ich wollte nicht die ganze Zeit allein bleiben und habe sie deshalb um die Erlaubnis gebeten.“

Einen kurzen Moment wurde es still im Wohnzimmer. Nur das Radio gab leise die Verkehrsnachrichten in Oslo und Umgebung um, die wie immer verkündeten, dass ein langer Stau auf der Hauptstraße zur Innenstadt Oslo herrschte. Juudai machte indessen große Augen, er war wirklich überrascht, dass Johan sich zu ihm flüchten wollte, obwohl er die Einsamkeit doch mittlerweile gewöhnt sein musste. Juudai hatte eigentlich etwas sagen wollen, doch seine Mutter kam ihm zuvor, denn ihre Stimme übertönte den monotonen Radiosprecher.

„Richtig, deshalb habe ich Helene angerufen und ihr den Vorschlag gemacht, Johan könne doch so lange bei uns untergebracht werden“, erklärte Juudais Mutter, „Aber jetzt solltet ihr in die Küche gehen, das Frühstück wartet schon.“

„Ja klar!“, vergnügt sprang Juudai in die blau-weiß eingerichtete Küche und hielt seinem Freund die Tür geöffnet. Auch Juudais Mutter folgte den beiden Jungen und füllte ihnen die Schüsseln mit Reis. Sie war glücklich ihren Sohn in der Gesellschaft Johans so ausgelassen zu sehen, zumal sie das Gefühl hatte, dass Juudai nur durch ihn so fleißig Norwegisch lernte.

„Johan, hast du schon mal japanisch Gefrühstückt?“, wollte Juudai aufgeregt wissen als er sich gegenüber seines Freundes setzte und auf seine Mutter wartete. Der Küchentisch war recht klein und eigentlich nur für zwei Personen gedacht. Sie hatten nur das Nötigste aus Japan mitgenommen, da sie das Land fast schon überstürzt verlassen hatten.

Johan schüttelte den Kopf: „Nein, leider nicht, ich war noch nie in Japan, deshalb gab es für mich noch keine Gelegenheit. Aber ich bin mir sicher, dass es gut ist.“

Dankbar nahm Johan die Reisschüssel an sich und begann gekonnt mit den Stäbchen als Werkzeug zu essen. Juudai beobachtete ihn lächelnd, behielt seine sorglosen Gedanken allerdings weitgehend für sich. Er wollte Johan nun nicht mit Fragen über seine Eltern drängen, die ihm durch den Kopf gingen. Es würde doch diese freie Stimmung ziemlich verderben.

„Du kannst das gut mit den Stäbchen“, warf er nach einer kleinen Stille ein, „Sag mal Johan, was ist eigentlich mit Ruby?“

„Ab und zu werde ich dann nach Hause gehen und ihr etwas zu fressen geben, das ist also kein Problem mit ihr“, entgegnete Johan und aß sein Frühstück auf, „Du kannst wirklich gut kochen, Reiko.“

„Vielen Dank, Johan-kun. Wenn du möchtest kannst du Ruby nach der Schule abholen, es ist okay, wenn sie hier bei uns bleibt“, meinte Juudais Mutter schließlich und räumte wieder den Tisch ab.
 

Es war somit beschlossen, dass Johan und Ruby eine halbe Woche bei den Yuukis wohnen sollten. Juudai wurde sich dessen erst richtig bewusst, als sie sich gemeinsam auf den Weg zur Schule machten. Sie beide verabschiedeten sich von Juudais Mutter und gingen mit großen Regenschirmen aus der Tür hinaus. Die dicken Wassertropfen der Wolkenberge am Himmel trommelten gleichmäßig auf den wasserdichten Stoff und gaben den beiden Jungen zu verstehen, dass sie sich in nächster Zeit nicht auf Sonne gefasst machen sollten. Juudai blickte durch seinen transparenten Schirm und beobachtete die grauen Wolken über seinen Kopf hinwegschweben, nur ab und zu warf er einen kurzen Blick zu Johan hinüber, dessen dunkelblauer Schirm sein Gesicht etwas verdeckte. Der Regen war Juudai nun eigentlich völlig egal, er überlegte angestrengt was er wohl in den nächsten Tagen mit Johan unternehmen konnte um ihn über die drei Tage hinaus zu helfen. Während sie also die Anhöhe hinunter gingen um Ruki wie jeden Morgen abzuholen, durchbrach er das Rauschen und das leise Prasseln des Regens: „Johan-kun?“

Verwirrt über das plötzliche Umschalten auf die japanische Sprache ließ Johan überrascht in die Richtung seines Freundes blicken: „Was ist denn?“

„Tja also... du bist doch die nächsten Tage bei uns also...wollen wir irgendetwas machen in der Zeit? Ich meine, irgendwas spezielles das du schon immer mal machen wolltest aber weil... nun deine Eltern... sie scheinen mir nicht die Art von Menschen zu sein die dir viel erlauben und ich weiß wie das ist wenn man etwas gern tun würde aber ...“, Juudai brach ab, während er sprach hatte er Johans Blicke nicht aus den Augen gelassen, „Tut mir leid...“

„Was willst du denn machen Juudai-kun? Es scheint mir eher dass du dringend etwas tun möchtest“, entgegnete Johan beinahe monoton, Juudai hatte einen wunden Punkt getroffen und dennoch spürte der Norweger, dass er es ihm nicht übel nehmen konnte dass Juudai ihm solch einen Vorschlag machte, „Leider muss ich alle meine Pflichten erfüllen. Du weißt dass ich das tue, damit ich auch weiterhin Zeit mit dir verbringen kann, oder?“

Juudai nickte seicht. Natürlich konnte er es verstehen, schließlich wollte er auch so viel Zeit mit Johan verbringen wie es nur ging. Eine ziemlich ernste, und für sein fröhliches Naturell sehr ungewöhnliche, Miene zierte nun das junge Gesicht des Japaners bevor er wieder das Wort ergriff: „Ich möchte mich meinen Freunden mitteilen. Irgendwie... ich will sie gern sprechen aber das geht nicht weil wir noch kein Telefon haben und ich ... ich möchte ihnen schreiben aber ich darf es nicht. Sie hat es mir verboten... auch jetzt noch wo ich doch lerne...“

„Du sollst deinen Freunden in Japan nicht schreiben, Juudai-kun?“, fragte Johan nun mit überraschter Stimmlage. Etwas verlegen nickte der Japaner, schon seid einer Weile hatte er das Bedürfnis verspürt wieder mit seinen Freunden in Japan zu kommunizieren. Er wollte wissen wie es seinen besten Freunden Shou und Jun ging. So vieles wollte er aus Tokio erfahren, doch diese Informationen wurden ihm einfach vorenthalten.

„Das können wir schon irgendwie hinbiegen aber das erkläre ich dir, wenn wir in der Schule sind“, Johan war der kurze etwas traurig wirkende Blick seines Freundes nicht entgangen und erwiderte diesen nun mit einem Lächeln. Zu Juudai, dass musste Johan zugeben, passte ein Lächeln einfach viel besser als ein betrübtes Gesicht. Der Brünette nickte und folgte Johan den weiteren Weg nach unten.

„Ach ja, Johan! Ich finde es super, dass du bei uns bleiben willst solange deine Eltern außer Haus sind!“, fügte Juudai noch hinzu, wobei er ihm ein erneutes Lächeln schenkte, das allerdings nicht so heiter wie gewöhnlich wirkte. Johan nickte wobei er Juudai folgte und nach nicht sehr vielen Schritten schon die gemeinsame Freundin sehen konnte.

Ruki war schon aus der Tür getreten als Juudai und Johan die Anhöhe endlich nach unten gekommen waren. Trotz des nassen und etwas frischeren Wetters, war sie in der Lage ihre rüschenbesetzten Kleider und Röcke zu tragen, wie auch heute doch er war unter dem langen Regenmantel nicht zu sehen. Ihre Augen waren missgelaunt auf die beiden Jungen gerichtet. Juudai befürchtete schon ein Gewitter und tatsächlich hatte er Recht. Ruki wetterte los:

„Jetzt müssen wir wieder hetzen, Jungs! Das ihr nicht ein Mal pünktlich kommen könnt!“ Johan, so verständnisvoll wie er war, hatte sie eigentlich besänftigen wollen, doch der fidele Juudai kam ihm zuvor.

„Sag mal Ruki-chan, warum bist du denn schon wieder so aufgebracht?“, wollte er grinsend wissen und schnipste leicht an ihre Stirn, „Oder bist du einfach mit Ruby verwandt?“

„Mit Ruby verwandt?“, wiederholte sei verwirrt.

Ein Nicken kam seitens des Japaners: „Na weil du immer schlecht drauf bist, wenn’s regnet. Das nächste Mal probier doch einen Regenschirm aus!“

„Ach du wieder. Ich bin doch keine Katze!“, murrte sie leise, allerdings lächelte sie wieder mehr oder weniger freundlich. Johan konnte sich ein Grinsen nicht weiter verkneifen, damit setzten sie ihren Weg zur Schule fort, die sie in etwa fünfzehn Minuten erreichen konnten. Der Norweger war eigentlich überrascht, dass Juudai mittlerweile in der Lage war das Mädchen so erfolgreich zu besänftigen.
 

Die Wege trennten sich kurzzeitig, als Johan in das kleine Nebengebäude für die zehnten Klassen gehen musste um registrieren zu lassen, dass er anwesend war und einige Stunden des Tages, teilweise bei Juudai und Ruki verbringen würde.

Die beiden ausländischen Schüler hatten sich nun schon darauf geeinigt, dass Dienstag und Donnerstag die langweiligsten Tage, mit ausnahmslos nur Norwegischunterricht, waren. Montage waren angenehmer, denn sie hatten nicht nur Sonia sondern auch Camilla mit zwei Stunden Gesellschaftskunde und zwei Stunden Drama mit Synne.

Ruki und der Japaner betraten den Klassenraum und erhellten das Zimmer in dem sie die Lichtschalter betätigten. Das Mädchen legte erst einmal ihren Regenmantel ab und schrieb sofort das Datum und den Tag an die Tafel.

„Damit Sonia wenigstens nicht damit nervt“, nörgelte sie.

Juudai nickte und nahm sich ebenfalls ein Stück Kreide: „Lass es uns zusammen schreiben, damit sie wirklich beruhigt ist!“

„Du bist gar nicht so doof, wie ich dich am Anfang eingeschätzt hatte Juudai-kun. Tut mir leid, dass ich so gemein war“, erklärte Ruki und bekam eine heitere Antwort zurück: „Du bist auch nicht so übel wie ich Anfangs dachte. Ich danke dir auch, dass du mich mit Johan bekannt gemacht hast, ohne dich wäre ich ihm nie begegnet. Ach ja, weißt du schon dass er die nächsten drei Tage bei uns wohnen wird?“

Sie nickte als Antwort und sparte sich den Kommentar, dass Juudai andererseits wahrscheinlich bis zu diesem Tag noch kein Wort Norwegisch sprechen könnte. Letztendlich setzten sich die beiden Schüler wieder auf ihre Plätze und betrachteten ihre Kreideschrift um zu kontrollieren ob sie Fehler gemacht hatten. Juudais Handschrift war kaum leserlich, man musste sich erst Mal an diese Klaue gewöhnen bevor man sämtliche Buchstaben entziffern konnte, auch Ruki hatte nicht die schönste Handschrift, ihre Linien waren zwar leserlich, doch verliefen sie schief und krumm auf der Tafel. Jeder der Norwegisch beherrschte, konnte nun folgende Worte lesen: ‚Idag er det mandag den første september totusen og tre

Es war Montag der erste September im Jahre 2003.

Lange mussten die Beiden nie warten, bis die Frau mit ihrem Kassenrekorder in die Klasse kam. Sowohl Juudai als auch Ruki erhoben sich höflich um Sonia mit einem ‚God morgen’ zu begrüßen. Die morgendliche Prozedur lief immer nach dem selben Schema ab, wenn nicht Ruki oder Juudai Musik von zu Hause mitbringen durften, dann gab es ein Stück von Mozart jeden Morgen. Diese Woche gab es wieder Klassik, zu Juudais und Rukis Leidwesen immer wieder diese auf italienisch gesungene Oper, Figaros Hochzeit.

Während die ältere Frau ihre Augen immer fest verschlossen hatte um die wundervolle Musik zu genießen, rollten die Schüler genervt mit ihren und schrieben sich kleine Zettelchen auf Norwegisch mit Katakanaumschrift damit es niemand außer ihnen lesen konnte. Diese kleine Rebellion hatte nichts damit zutun, dass die beiden den Musikgeschmack ihrer Lehrerin nicht tolerierten, aber immer wieder die selben Lieder zu hören war auf die Dauer langweilig.

Die morgendliche Routine bestand aber nicht nur aus gemütlichem Musikhören, sondern auch aus einer kleinen Erzählrunde. Nach genau einem Lied setzten sich die drei in einen Kreis und erzählten davon, was sie am vergangenen Tag erlebt hatten. Juudai war der erste, der ihnen berichtete und plapperte dabei aufgeregt wie ein Wasserfall, zur Überraschung für Sonia und Ruki. Zwar hatte er noch immer große Probleme damit einen richtigen Satz zu bilden und die Unterschiede zwischen den L- und R-Lauten richtig auszusprechen, aber er ließ sich heute dennoch nicht beirren. Zum Schluss ließ er noch einmal seine größte Nachricht verlauten, die seine Mutter ihm schon erzählt hatte: „Johan skal bo hos oss i hele tre dager!

Es war Juudai sichtlich anzusehen wie Stolz er über den Umstand war, dass er drei Tage mit Johan verbringen konnte und sich bemühen wollte ihn neben dem Lernen auch noch auf andere Gedanken zu bringen.

Als nächstes berichtete Ruki von ihren Erlebnissen. Im Grunde gab es da nie viel zu sagen. Sie zeichnete die meiste Zeit oder sah Fern, außerdem wollte sie es nie richtig einsehen, warum sie Sonia erzählen sollte was sie den ganzen Tag neben ihren Hausaufgaben gemacht hatte, also dachte sie sich oftmals irgendetwas langweiliges aus. Wie auch heute als sie erklärte, sie habe den ganzen Tag gezeichnet.

„Was hast du denn gezeichnet?“, wollte Sonia wissen und trieb Ruki damit beinahe die Weißglut in die Wangen, wie konnte man nur am frühen Morgen schon so neugierig sein? Also erzählte sie zusammen mit Juudai über verschiedene Animeserien die es gab und somit stellten sie ihre Lehrerin zufrieden.

„Bevor wir mit dem Unterricht beginnen, habe ich noch etwas anzukündigen. Dienstags und Donnerstags habt ihr nur Norwegisch, wie ihr wisst. Wir sind nun zu dem Schluss gekommen, dass sich das ab Morgen ändern wird!“, erklärte Sonia als Juudai schon im Begriff war sich wieder auf seinen Platz zu setzen. Nun aber tauschte er mit Ruki verwirrte und gleichermaßen fragende Blicke aus was sich die Lehrerin wohl jetzt ausgedacht haben könnte. Er setzte sich ebenso wie seine Klassenkameradin wieder auf seinen Stuhl.

„Was meinst du denn damit?“, forschte Ruki als erste.

„Ich habe mit der Direktorin gesprochen und wir haben uns gedacht, dass es vielleicht ganz gut wäre wenn ihr mehr Kontakt zu anderen Schülern hier hättet. Deshalb werdet ihr ab morgen die letzten beiden Stunden am Sportunterricht der zehnten Klassen teilnehmen“, erklärte sie und fing sich so gleich einen protestierenden Blick von Ruki ein, sie musste zugeben dass sie nicht gerade begeistert von Sport war, doch bevor sie das Wort ergreifen konnte fuhr Sonia fort, „Außerdem glaube ich, dass ihr beide euch freuen könnt. Juudai und du werdet nämlich mit Johans Klasse zusammen am Unterricht teilnehmen.“

Juudais Miene veränderte sich drastisch. Im ersten Moment hatte er einen kleinen Schock erlitten, er in einer norwegischen Schulklasse mit seinem gebrochenem Norwegisch, das konnte unmöglich gut gehen, doch jetzt da er wusste, dass er sich in Johans Nähe befinden würde, beruhigte er sich schlagartig wieder. Er atmete hörbar auf, für seine Klassenkameradin schien das allerdings zu viel zu sein: „Sonia, muss das wirklich sein?“

Ein Nicken bestätigte Rukis Befürchtung, es musste unbedingt sein. Ruki erhob sich wieder und nahm ihren Stuhl wieder zurück zu ihrem Platz. Juudai tat es ihr gleich und zusammen bekamen sie die Aufgabe für den Rest der Zeit, sie sollten eine kleine Geschichte schreiben.

„Was meinst du? Sollen wir schreiben was wir damals bei unserem ersten außer schulischen Ausflug erlebt haben?“, fragte Ruki.

„Na von mir aus“, stimmte Judai zu und sah aus dem Fenster das ihm die Sicht auf den wolkenverhangenen Himmel freigab, „Aber mit Regenwetter, das macht die Sache dramatischer.“

„Stimmt. Der kleine Bauernjunge Juudai wird von seinem Prinzen in schimmernder Rüstung Johan gerettet!“, fügte Ruki grinsend hinzu um Juudai aus seinem Starren in den Regen zu befreien. Ihr Plan ging auch tatsächlich auf obgleich sie nicht mit einer so energiegeladenen Reaktion gerechnet hatte. Juudai wandte hektisch seinen Blick zu Ruki, sah sie mit großen Augen an, da er ihr nicht ganz folgen konnte.

„Was!?“, fragte er ungläubig.

„Na Johan hatte dich doch gerettet!“, erklärte Ruki.

Juudais Gesichtsfarbe veränderte sich schlagartig von schneeweiß in scharlachrot. Johan als strahlenden Prinzen zu bezeichnet war ihm zwar kein neuer Gedanke, aber es schockierte ihn, dass er anscheinend wirklich so leicht zu durchschauen war. Seine Röte hätte nicht noch mehr zunehmen können als Ruki zu lachen begann, schnell nahm sie einen Stift zur Hand und begann mit dem Schreiben der kleinen Geschichte. Der Vorwurfsvolle Blick, den der Japaner ihr zuwarf, hätte töten können und er entging ihr keines falls.

„Tut mir wirklich leid dass ich lachen musste, aber es ist doch wirklich so. Außerdem hat Johan doch schon Prinzenstatus bei uns beiden“, sie zwinkerte ihm zu und begann die ersten Sätze der Geschichte zu schreiben, fuhr danach aber fort, „Er hat mir auch schon so oft geholfen. Da bekommt man glatt ein schlechtes Gewissen weil man ganz genau weiß, dass man ihm bei seinen Eltern nicht helfen kann, stimmt’s? Auf jeden Fall schaffe ich es nicht, schon allein mit meinem Benehmen nicht. Aber du, Juudai. Du könntest ihm so sehr helfen, wie er dir geholfen hat.“

Juudai gab einen leicht murrenden Ton von sich und beobachtete sie weiterhin beim Schreiben. Ihm war nicht ganz klar war Ruki damit meinte, dass er Johan eher behilflich sein konnte als sie. Er fühlte sich im Moment wirklich erwischt und konnte sich eigentlich selbst nicht erklären warum es ihm so viel ausmachte. Nach einer kleinen Weile bekam er dann auch schon das Heft und den Stift von Ruki zugeschoben, damit er die Geschichte vollenden konnte.
 

Am Ende der Stunde mussten beide den Text einmal laut vorlesen. Juudai las es mehr oder weniger gebrochener vor als Ruki: „Det var en gang en liten bondegutt med navn Juudai. Han var brunett og øynene hans var brune. En dag gikk han inn i skogen for å fiske. Juudai var så opptatt av alle mulige ting slik at han falt ved et uhell inn i elven, men gudskjellov skjedde ingenting fælt med ham, fordi Johan kom ridene på en hest. Prins Johan reddet Juudai og de ble de aller beste venner som fandtes.

Während des Lesens hatten Juudais Wangen wieder eine dunkelrote Farbe angenommen, was auch Sonia nicht entging. Zu seinem Glück aber kam sie nicht mehr dazu zu fragen ob etwas nicht in Ordnung war, denn die rettende Schulglocke ertönte gerade im richtigen Augenblick und erlöste die beiden Schüler. Während Juudai sich die Hausaufgaben notierte, ging ihm noch einmal die gemeinsam erstellte Geschichte durch den Kopf.

Es war einmal ein kleiner Bauernjunge namens Juudai. Er war brünett und hatte braune Augen. Eines Tages ging er in den Wald um zu angeln. Juudai war so sehr mit allen möglichen Dingen beschäftigt, dass er bei einem Unglück in den Fluss viel, aber Gott sei Dank geschah ihm nichts schreckliches, weil Johan auf einem Pferd angeritten kam. Prinz Johan rettete Juudai und sie wurden die aller besten Freunde die es gab.

Juudai ließ ein angestrengtes Seufzen hören. Ob er wirklich Johans allerbester Freund werden konnte?

Erleichtert verließ er das Klassenzimmer, Ruki folgte ihm schmunzelnd in den Korridor. Viele andere Schüler standen ebenfalls in den Gängen und unterhielten sich lautstark über die aktuellen Begebenheiten in der Nachbarschaft, über die neuesten Modetrends und welche Filme im Kino liefen. Es regnete stark draußen, noch tosender prasselte der Regen auf den Asphalt des Schulgeländes hinunter, so als ob jemand in den Wolken saß und immer wieder Eimer um Eimer mit Wasser entleerte. An Tagen wie diesen war es den Schülern gestattet, die Pausen im Schulgebäude zu verbringen, sonst war es strickte Regel nach draußen zu gehen.

„Ruki! Juudai!“, Johan war durch die Tür gekommen, seine Haare klebten durch das Nass an seiner Stirn und seine vom Wasser getränkte Kleidung klebte an seinem kräftigen Jungenkörper, was ihm allerdings nicht viel auszumachen schien.

„Johan, jetzt bist du ja klitsch nass!“, warf Ruki ein und zupfte ein wenig an seinem Ärmel.

„Ach was, das trocknet doch wieder. Wir müssen in die Bibliothek, beeil dich Juudai!“, erklärte Johan und ergriff jeweils eine Hand seiner Freunde und steuerte auf die Tür am Ende der Eingangshalle zu.

In den Pausen war es eigentlich nicht erlaubt in der Bibliothek zu sein, das Regenwetter kam den dreien also in diesem Moment wirklich zu Gute. Gemeinsam betraten sie den schummrigen Raum der voll mit Büchern gestellt war. Mit einem kurzen Kopfnicken begrüßte Johan die Bibliothekarin und setzte sich.

„Warum sind wir hier?“, wollte Ruki wissen, ihre Miene gab Johan zu verstehen, dass sie es nicht nachvollziehen konnte, was sie hier tun sollten. Außerdem mochte sie die Atmosphäre in dieser Bibliothek ganz und gar nicht.

„Juudai soll einen Brief an seine Freunde in Japan schreiben“, antwortete Johan und schob Juudai ein Blatt Papier zu. Dieser warf dem Norweger einen verwirrten Blick zu und schüttelte den Kopf: „Ich kann doch nicht ... Meine Mutter...“

„Du kannst ihnen sagen, dass sie an meine Adresse schreiben sollen. Dann wissen sie nicht wo du wohnst und kannst trotzdem Kontakt mit ihnen haben!“, erklärte Johan mit einem verschmitzten Lächeln. Ruki nickte zustimmend und fügte hinzu: „Das ist doch eine super Idee! Dann bist du auch nicht mehr so einsam.“

„Ja ihr habt schon Recht. Vielleicht ist das wirklich nicht so schlecht. Immerhin kann ich ihnen erklären, dass ich sie nicht vergessen habe und Mutter das einfach nur nicht will“, antwortete Juudai mit einem heiteren Grinsen und begann zu schreiben. Er hatte eigentlich nicht ungehorsam sein wollen, doch auf der anderen Seite wollte er unbedingt wieder Kontakt zu seinen Freunden in Japan haben. Er schrieb an seine beiden besten Freunde Manjoume Jun und Marufuji Shou. Von hinten bis vorne erzählte er ihnen was er zusammen mit Johan und seiner Klassenkameradin erlebt hatte, wie gut er sich vor allem mit Johan verstand und wie tief er sich nun schon mit ihm verbunden fühlte obwohl sie sich noch nicht sehr lange kannten.
 

Fortsetzung folgt in Teil 2

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Hiermit möchte ich wieder meinen herzlichsten Dank an Haou_Lain für's Betalesen und kommentieren aussprechen und ganz besonders für die lieben Kommentare von -Judai-, Yamis-Lady, RainbowDark-Dragon, Aki-Izayoi und cloudy_wolf bedanken ;___; Ihr seid echt super Leute! >.< Vielen, vielen Dank!

Vennskap Teil 2

II Bei den Yuukis
 

Am Nachmittag beruhigte sich der Regen nur bedingt, es schüttete nicht mehr, die Wolken wollten dem Boden allerdings dennoch keine Chance geben trocken zu werden.

„Dieses Wetter ist ja deprimierend!“, stellte Ruki fest als sie zusammen mit Juudai und Johan aus der Tür in den Schulhof hinaus trat. Der Japaner nickte, allerdings lächelte er so heiter als ob gerade die ersten zarten Knospen eines Kirschbaumes sprossen. Das Mädchen rollte mit den Augen und gespielt genervt meinte sie darauf: „Das du in Gegenwart deines Prinzen immer Glücklich bist ist doch klar, da könnte es auch hageln und du würdest strahlen wie der Sonnengott.“

Schlagartig errötete Juudai wieder. Sein Gesicht hatte nun von einer Sekunde auf die andere, die Farbe einer schönen roten Paprika angenommen. Johan hatte die Norwegischstunde seiner Freunde nicht mitbekommen und von daher, konnte er diese Situation nicht ganz verstehen.

„Was meinst du mit Prinz?“, wollte Johan nun wissen.

„Na dich!“, entgegnete Ruki kurz und bündig wobei sie den Weg über den feuchten Steinweg etwas schneller fortsetzte. Die Wangen des Norwegers waren nun nicht minder rot geworden, diese Assoziation hatte er noch nicht gehört.

Er ein Prinz?

Johans Kopf arbeitete wie ein altes Uhrwerk.

Juudais Prinz, hatte Ruki das eben behauptet?

„Hör auf mit dem Unsinn, Ruki!“, mahnte Juudai nun endlich, dem nun nicht nur die Schamesröte im Gesicht stand, in seinen Augen war ein bedrohliches Funkeln zu sehen, „Du bist echt die böse Fee in diesem Märchen! Ach ehm... was bedeutet eigentlich ‚hageln’?“

„Das ist zu Eisstückchen gefrorener Regen“, erklärte Johan etwas kleinlaut, da er noch immer nicht ganz verstand was die beiden damit meinten.

Ruki winkte grinsend ab: „Wir sollten eine kleine Geschichte schreiben, Johan. Da kam der Bauernjunge Juudai und sein Prinz Johan vor, keine Panik. Ich werde mir jetzt auch die Bemerkung ‚ihr benehmt euch wie heimlich verliebte Teenager’ verkneifen, obwohl ihr beiden im Moment wirklich den Eindruck macht.“

Sie lachte, doch kassierte damit bedrohliche und beinahe bohrende Blicke ihres norwegischen Freundes. Er schien ein solches Thema für tabu und völlig unangebracht zu halten. Juudai versuchte sich ebenfalls ruhig zu halten und sein Gesicht langsam wieder abzukühlen. Ruki verstand diese Aufforderung natürlich und schlug ein anderes Thema an, in das die beiden Jungen sofort mit einstimmten.

Die drei trennten sich wieder bei der kleinen Anhöhe als Ruki sich verabschiedete und zu ihrer Familie ins Haus ging. Johan und Juudai machten sich hingegen daran, den Berg hinauf zu gehen.

„Meine Mutter hat um halb vier Feierabend“, erklärte Juudai nach einer kleinen Weile der Stille. Johan nickte, als sei er tief in Gedanken, doch seine Antwort klang klar und deutlich: „Eine gesunde Arbeitszeit.“

Ein Lächeln zierte das Gesicht des Norwegers. Unmerklich griff er nach Juudais Hand. Es war ein sanfter Griff, wie ein Bett aus geschmeidigen Rosenblättern, der Juudai nun umschloss. Der Japaner warf einen kurzen fragenden Blick zu seinem Freund hinüber und er konnte in dessen Augen ebenfalls die Frische eines Frühlingsmorgens erkennen. Der Tau im Gras kam Juudai in den Sinn, als er die Smaragde in diesem Augenblick glitzern sah.

„Johan-kun? Ist irgendetwas?“, er schlug wieder auf Japanisch um. Johan klang so wundervoll, wie ein neugeschlüpfter Sommervogel wenn er Juudais Muttersprache gebrauchte.

„Nein, alles in Ordnung, warum fragst du?“, antwortete Johan mit einer Gegenfrage.

„Ach...“, Juudai druckste etwas, „Ich weiß auch nicht, du bist so still gewesen deshalb...“

„Bei mir ist alles in bester Ordnung, Juudai-kun. Ich freue mich übrigens auf den morgigen Sportunterricht“, erklärte Johan sofort.

Juudai war überrascht, bis jetzt hatte er ihm noch nicht erzählt, was sie von Sonia erfahren hatten und da Ruki ebenfalls ständig in seiner Nähe war, hatte auch sie keine Gelegenheit gehabt es Johan zu sagen. Johan erkannte diese verduzte Miene sofort und musste Juudai unweigerlich anlächeln: „Weißt du Juudai-kun, unser Lehrer wollte uns nun mal nicht im Dunkeln tappen lassen. Wir haben die Nachricht gleich in der ersten Stunde bekommen damit sich morgen niemand wundert wenn ihr dabei seid.“

„Ach so ist das...“, Juudais Stimme zeugte von seiner plötzlichen Verwirrung, einen Augenblick hatte er wirklich vermutet, es sei Johans Idee gewesen und die Lehrer hätten diese dann bekräftigt. Johan lachte leise vor sich hin und warf einen Blick in den grauen Himmel hinauf, der noch immer feinen Sprühregen freisetzte. Am liebsten wäre er den letzten Rest des Weges gelaufen, denn die plötzliche gute Laune die von seiner Bauchgegend aufstieg und sein Herz erfüllte, hätte er am liebsten hinausgejubelt. Johan hielt sich aber im Zaum und wandte sich stattdessen an Juudai: „Ich werde Ruby abholen dann komme ich nach.“

„Ich begleite dich, Johan-kun!“, meinte Juudai mit einem heiteren Lächeln und folgte seinem Freund wieder zu seinem Haus, das nun im Regen so trist und verlassen wirkte dass selbst Juudai keine Lust hätte allein in diesem prächtigen Gebäude zu wohnen. Die weiße Farbe des Hauses wirkte wie Asche, der unbarmherzige Septemberregen hatte dafür gesorgt, dass die Rosen ihre satte blutrote Farbe verloren und nun welk aussahen. Vor der Tür blieb Juudai stehen und wartete darauf, dass Johan wieder aus der Tür herauskam, mit Ruby auf dem Arm die Juudai leise anmiaute.

„Sie mag wohl keinen Regen?“, stellte Juudai fest und kraulte das Tier hinter dem Ohr.

Johan nickte: „Sie hasst es wenn ihr Fell nass wird.“
 

Auch Juudais Wohnsitz wirkte kälter als sonst was das dunkle Wetter verursachte. Bevor der Japaner die Haustür aufschloss, holte er noch die Reklame aus dem Briefkasten und konnte seinen enttäuschten Blick über die fehlende Post von Freunden und Bekannten kaum verstecken. Johan klopfte ihm leicht auf die Schulter wobei er seinem Freund ins Haus hinein folgte.

„Nachher können wir den Brief abschicken, Juudai-kun!“, meinte Johan in seichtem Ton als hätte er Angst den Japaner zu zerbrechen. Der Kleinere nickte nachdenklich, anscheinend war er sich noch immer nicht im Klaren darüber ob er wirklich ungehorsam sein sollte. Auf der anderen Seite, gab er seine wirkliche Adresse nicht preis und konnte also ganz beruhigt sein. Schweigend ging Juudai wieder in sein Zimmer, nachdem er seine Schuhe ausgezogen und seinen Regenschirm zum trocknen in die Badewanne gestellt hatte. Ruby schmiegte sich um die Beine des Japaners und schnurrte, die neue Umgebung musste sie noch ein wenig erkunden.

Immer wieder wenn Johan in das jugendliche Zimmer hinein kam, trat er in eine fruchtige Oase von Farben und frischem Lebensmut. In den vergangenen Wochen war ihm klar geworden, dass er im Gegensatz zu seinem besten Freund, der fidel wie ein junges Kitz war wie ein alter zahnloser Wolf erschien. Johan hätte neidisch werden können wenn er Juudai nicht so lieb gewonnen hätte und auch seine Probleme kennen gelernt hätte.

Juudai bot seinem Freund einen Platz zum Sitzen auf dem Bett an, den Johan auch dankend annahm und seine Blicke noch immer nicht von den großen Postern abwenden konnte. Der asiatische Junge setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und legte nachdenklich sein Kinn auf die übereinander gekreuzten Handrücken.

„Wenn du Hunger hast kann ich uns etwas Kleines vorbereiten, Johan-kun. Es dauert immerhin noch ein bisschen bis meine Mutter wieder hier ist und richtig kocht“, erklärte Juudai mit einem gedämpften Ton. Johan wirkte nachdenklich als wöge er verschiedene Möglichkeiten ab bevor er antwortete: „Ich muss noch meine Joggingtour machen. Hast du Lust mitzukommen?“

„Joggingtour?“, wiederholte Juudai überrascht und erhielt ein bestätigendes Nicken, dass er richtig gehört hatte, „So ganz ohne etwas im Magen zu haben?“

„Ich gehe meistens gleich nach der Schule. Du musst nich-...“, begann er doch wurde durch das plötzliche Aufstehen seines Freundes unterbrochen. Juudai sah herausfordernd aus, ein Funkeln war in seine Augen getreten, das Johan warnen sollte ihn zu unterschätzen: „Natürlich komme ich mit! Schließlich muss ich mich auf Morgen vorbereiten, nicht wahr?“

Johan stimmte mit einem leisen Lachen zu. Er hatte schließlich keine Ahnung wie es sich mit Juudais Kondition verhielt.

Schnell hatten sich die beiden Jungen nacheinander im Badezimmer umgezogen und schlüpften in leichtere Turnschuhe die sich gut zum Laufen eigneten. Juudai hinterließ seiner Mutter eine Nachricht, falls sie noch nicht zurück sein sollten wenn sie von der Arbeit kam, auf einem kleinen Stück Papier, als Johan ihn noch daran erinnerte den Brief an seine Freunde nicht zu vergessen und schon waren die beiden aus der Tür verschwunden.

„Wo ist denn hier ein Briefkasten in der Nähe?“, wollte Juudai neugierig wissen.

„Ist dir der noch nie aufgefallen? Kurz bevor man über die Straße läuft auf unserem gewöhnlichen Schulweg. Wir ändern nur unsere Route ein bisschen ab, dann liegt es praktisch schon auf dem Weg“, antwortete der Norweger und begann schon zu joggen. Juudai folgte ihm ohne Widerworte, obwohl er sich nicht erklären konnte warum Johan unbedingt bei diesem Wetter draußen sein wollte. Warum nicht an einem schönen Spätsommermorgen trainieren? Noch immer lag ein feiner Regen in der Luft und die trächtigen weißgrauen Wolken, die in den dichten Baumwipfel hingen und den Kolsåstoppen in eine flauschige nasskalte Decke hüllte sorgte eigentlich dafür, dass die meisten Menschen sich in ihre Häuser einschlossen und sich mit einer Tasse Kaffee oder Tee vor den Fernseher setzten, statt nach draußen zu gehen.

Der Asphalt unter ihren Füßen gab bei jedem neuen Schritt schmutzige Laute von sich, denn die kleinen losen Steinchen unter ihren Schuhsohlen hatten sich durch das gefallene Wasser mit Sand von den Straßenrändern vermischt. Langsam und unaufhörlich flogen die kleinen Wassertropfen in die Augen der Jungen. Johan schien sich nicht daran zu stören, er lief einfach weiter, so eisern wie er war. Er kümmerte sich auch nicht dass sein Haar langsam an seiner Stirn zu kleben begann. Juudai hingegen war in einem mürrischen Zustand, allerdings behielt er diesen für sich und folgte Johan schweigend die Anhöhe bis zum besagten Briefkasten hinunter. Während ihres Laufes hatten sie die am Rand stehenden Häuser und die langsam sterbenden Gärten nicht weiter beachtet, nun steckte Johan den Brief seines Freundes in den Kasten und wandte sich dann an seinen Freund: „Ist das Tempo okay für dich?“

„Ja“, antwortete Juudai leicht aus der Puste wobei er damit nicht sehr überzeugend klang und fügte hinzu, „Ich mag nur dieses nasskalte Wetter nicht so gern.“

„Wir laufen auch keine sehr lange Runde, einverstanden?“, fragte Johan mit einem vielsagenden Grinsen.

„Einverstanden. Aber das Tempo ist wirklich in Ordnung, Johan! Ich bin einfach lange nicht mehr außerhalb eines Sportunterrichts gelaufen das ist alles“, antwortete Juudai und gemeinsam schlugen sie wieder eine relativ angenehme Geschwindigkeit an.

Nach wenigen Straßen die sie entlang liefen bogen sie dann in eine kleine Seitengasse ein, die sie nach nur ein paar Minuten schon an den Waldrand von Levre führte. Juudai wurde sich nun bewusst wie groß dieser Wald eigentlich war. Er sollte lieber nicht versuchen mit seinen Freunden dort verstecken zu spielen, sicher war es auch einfach sich darin zu verlaufen.
 

Auch der Waldboden war nicht verschont geblieben und gab nun glucksende Töne von sich wenn sich Füße schnell auf ihm bewegten. Selten war der Waldweg nach so kurzer Zeit dermaßen vom Regenwasser aufgequollen worden. Zu Juudais Freude erreichte sie hier der feine Sprühregen nicht mehr doch mit jedem Schritt den er dazu tat um mit seinem norwegischen Freund Schritt zu halten, bohrte sich eine weitere Nadel in seinen Beckenbereich hinein und verursachte ein unangenehmes Gefühl in seinem Körper. Mittlerweile hatten sie schon eine halbe Stunde hinter sich gebracht und ihre angeschlagene Geschwindigkeit konstant gehalten. Johan, der regelmäßig trainierte schien dies nicht viel auszumachen, ganz im Gegenteil sogar, Juudai vermutete, dass sein Freund noch viel schneller und länger laufen konnte wenn es nötig gewesen wäre. Ihm selbst stand die Erschöpfung allerdings schon ins Gesicht geschrieben. Juudai tat jeder weitere Atemzug im Hals weh und so gab er im nachhinein auf und drosselte sein Tempo ab bis er nur noch ging. Er wollte Johan nicht aufhalten oder unterbrechen und hoffte, dass er einfach weiter gerade aus gehen musste um wieder nach Hause zu kommen. Vielleicht würde er den Wasserfall wieder finden, doch da er, wenn er es sich richtig überlegte, im Moment nichts bis auf die Tropfen hörte, die sich von den Blättern an den Bäumen lösten und plätschernd in schlammigen Pfützen hineinfielen.

„Juudai-kun, was ist denn los? Kannst du nicht mehr?“, wollte Johan behutsam wissen.

„Nein, keine Chance“, pustete Juudai beinahe atemlos und hielt sich seine Schmerzende Seite, „Ich glaube, ich habe eine zu schlechte Ausdauer für dich, Johan-kun.“

„Ach wo. Das geht schon in Ordnung, du bist es einfach nicht gewöhnt. Wir gehen einfach wieder nach Hause, ruhig und gelassen, du musst nicht weiter laufen“, beruhigte Johan seinen Freund, der ihn etwas reumütig anblickte und eigentlich vor hatte den Norweger zu beeindrucken. Mit einer Unschuldsmiene fragte Juudai in mehr oder weniger schüchternem Tonfall: „Und du bist ganz bestimmt nicht sauer auf mich, dass ich nicht mithalte?“

„Warum sollte ich denn sauer sein? Dafür gibt es nun wirklich keinen Grund“, Johan lächelte und zusammen machten sie sich wieder auf den Weg zurück zum Levretoppen, die Straße in der sie beide wohnten.
 

Die Uhr war noch nicht ganz fünfzehn Uhr als Juudai und Johan wieder nach Hause kamen und von einer ziemlich verzweifelten Ruby begrüßt wurden. Anscheinend wollte sie noch nicht allein in dieser fremden Wohnung bleiben und so versuchte Johan das Tier etwas zu beruhigen und mit kleinen Leckerlis zu bestechen, die er ebenfalls von zu Hause mitgebracht hatte. Beide wechselten wieder ihre Kleidung und trockneten ihr Haar mit Handtüchern ab. Johan folgte Juudai wieder in sein Zimmer, der sich geschafft auf den Boden niederließ und seufzte aus: „Wenn ich nicht gleich meine Gesellschaftskundehausaufgaben mache, dann werd ich sie wohl gar nicht mehr machen.“

„Soll ich dir dabei helfen?“, fragte Johan und erhielt ein erleichtertes Nicken. Das was Juudai und Ruki in Gesellschaftskunde durcharbeiteten war speziell für Einwanderer zurecht gelegt. Geschichtliche Ereignisse, die norwegische Kinder normalerweise in der sechsten Klasse lernten und auch Politik war in einfachem Norwegisch erklärt, wobei Geographie ein wenig außer Acht gelassen wurde, aber dennoch behandelt wurde. Juudai verstand noch nicht sehr viel von dem was er lesen musste, doch mit Hilfe seiner Mutter am Nachmittag oder die seiner Freunde in der Schulzeit war er dennoch in der Lage zu lernen. Im Moment hatten Ruki und Juudai mit dem Urvolk in Norwegen zutun, die früher assimiliert wurden.

„Weißt du schon was über die Samen?“, fragte Johan und las sich den Text durch.

„Na ja, nicht richtig. Nur dass sie im Norden Norwegens leben, mehr weiß ich nicht!“, antwortete Juudai wahrheitsgemäß.

„Na schön, da haben wir noch einiges zutun, ich hab’ne Idee. Erst Mal werde ich dir den ganzen Text auf Norwegisch vorlesen und du sagst mir dann was du verstanden hast, ja? Ich erkläre dir dann den Inhalt und du machst die Aufgaben, ist das in Ordnung?“, schlug Johan vor und bekam ein begeistertes Nicken von Juudai zur Antwort. Es kam dem Japaner langsam so vor, als ob alles, was er zusammen mit Johan tat als positiv ansehen konnte. Selbst lernen konnte so angenehm sein, wenn Johan in seiner Gesellschaft war. Johan begann also den fünf Seiten langen Text, der über die ursprüngliche Bevölkerung Norwegens berichtete vorzulesen. Woran sie glaubten, von was die Samen lebten und dass sie früher als minderwertig in Norwegen galten und ihre Sprache nicht mehr sprechen durften. Schon viele Male hatte Johan sich gefragt was sich die Menschen dabei gedacht hatten, ein anderes Volk einfach zu verdrängen und es als weniger wert ansahen. Ob das Denken damals sehr viel anders gewesen war als in diesen modernen Zeiten, in denen er lebte? Oft hatte er darüber nachgedacht und auch jetzt während er von den Begebenheiten las sausten ihm diese Fragen durch den Kopf. Plötzlich wurde Johan aber in seinem Lesefluss gestört. Juudai hatte ihn angestoßen, so in etwa hatte Johan es sich jedenfalls gedacht, als er seinen Blick vom Buch abwandte. Doch so ein einfaches Anstoßen konnte es nicht gewesen sein, denn eine kleine Last hatte sich nun auf seinem Körper verlagerte. Ein weiterer Blick klärte Johan dann entgültig auf. Ein Anblick, den Johan noch eine Weile in Erinnerung behalten würde, so vermutete er jedenfalls als er in Juudais schlafendes Gesicht sah.

Ein leichtes Lächeln umspielte Johans Lippen, als er Juudai an seiner Schulter gelehnt sah. Sein Freund schien wirklich fest zu schlafen, denn sein Atem ging gleichmäßig und in langen Zügen. Vorsichtig befreite sich der Norweger von dem Kleineren und platzierte ihn etwas anders. Den Kopf nun in seinem Schoß gebettet betrachtete Johan ihn eine ganze Weile bevor er einen Schlüssel in der Tür vernehmen konnte. Juudais Mutter kam nun endlich nach Hause. Aufgescheucht und beinahe panisch über das, was Reiko wohl denken könnte, wenn sie zufällig in diesem Augenblick ins Zimmer kam, ließ Johan mehr oder weniger hektisch hochfahren, wecken wollte er seinen Freund allerdings auch nicht. Er entschied sich Juudai so lange auf sein Bett zu legen und verließ somit das Zimmer des Brünetten.

Mit schnellen Schritten ging Johan in den Flur zurück um Juudais Mutter zu begrüßen. Die junge Frau sah den Jungen freundlich an und schenkte ihm ein solches Lächeln. Sie hatte gerade ihren Regenmantel abgelegt, als sie das Wort an ihn richtete: „Hallo Johan. Wie war euer Tag?“

„Sehr gut, danke“, entgegnete Johan, „Juudai ist nur gerade eingeschlafen.“

„Eingeschlafen, sagst du?“, hakte Reiko nach.

„Ja, ganz genau. Wir waren eine Runde joggen und danach ist Juudai bei den Hausaufgaben eingeschlafen“, erklärte Johan weiter und sorgte damit für ein leises Lachen seitens Reiko. Sie begab sich sofort in die Küche und suchte scheinbar nach etwas in den vielen Schränken und meinte: „Dann lass ihn ruhig noch schlafen solange ich das Essen vorbereite, dann ist er vielleicht später wieder fit um seine Hausaufgaben zu erledigen.“

Johan nickte zustimmend und tat wie ihm geheißen wurde. Langsam schlich er sich wieder in das Zimmer seines Freundes, von allen Seiten wurde er von den Postern an den Wänden angestarrt, doch durch diese leeren Blicke ließ er sich nicht entmutigen. Vorsichtig schlich er sich wieder in Juudais Bett und nahm ihn sachte an sich. Den braunen Schopf wieder auf seinen Schoß gebettet, streichelte er sanft durch das flauschige Haar seines Freundes. Juudai sah um Längen nicht mehr so friedlich aus wie bisher, das musste Johan zugeben. Allerdings hatte er keine Ahnung, woran es lag. Hätte er in den Kopf seines kleinen Freundes sehen können, wäre es ihm klar geworden, denn Juudai plagte eine Erinnerung oder ein Traum, so wie Juudai es vor Augen hatte.

Pochender Schmerz, tief in seinem Herzen kam auf. Es war kein physischer Schmerz, den Juudai in diesem Augenblick empfand, das wusste er. Es fühlte sich mehr wie eine scharfe Klinge aus Eis an, als ob ihm gerade jemand gesagt hätte, er wäre zu nichts zu gebrauchen. Eine unerträgliche Person oder etwas ähnliches. Juudai ging am Meer entlang. Ein im Sonnenlicht badendes Meer, das jedem Liebespaar als eine Wonne vorkommen musste. Ein friedliches Meer über das viele Brücken gebaut wurden. Juudai dachte kurz nach. Also konnte dies nicht das Meer sein, sondern ein breiter Fluss. Nun gut, dann ging er eben einen Fluss entlang, das machte ihm ebenso wenig aus, wie an einem Meer spazieren zu gehen. Was ihn nun störte, war die sanfte Männerstimme, die ihn nun erreichte: ‚Nimm den Stein, Juudai-kun! Mein Kleiner, mein geliebter Sohn, nimm den Stein.

„Vater?“, murmelnd sprach Juudai die Worte in seinem unruhigen Schlaf. Johan streichelte ihm beruhigend durchs Haar, doch sagte er nichts um ihn weiterschlafen zu lassen.

Juudai-kun, hast du gehört? Lass den Stein bei dir. Dicht bei dir, aber du musst ihn verstecken! Zeig ihn keinem anderen! Hast du mich verstanden?

„Ja Vater. Wo bist du jetzt Vater? Warum bist du einfach fort gegangen?“, Fragen über Fragen meinte Juudai in den Traum hinein zu schreien. In Wahrheit, waren diese Worte ebenso leise gemurmelt, wie seine anderen zuvor. Nun flüsterte Johan ihm jedoch ins Ohr, dass er träumte. Sein Vater würde ihm keine wahrheitsgemäße Antwort geben können, denn es war schließlich nur ein Traum.

Endlich vernahm Johan auch die Stimme von Frau Yuuki. Juudais Mutter hatte das Essen vorbereitet. Sanft versuchte Johan den Kleineren zu wecken, indem er Juudai leicht rüttelte um die Nachtschäume zu vertreiben.

Juudai war zunächst noch recht mürrisch als er wieder aus seinem Traum geweckt wurde, seine Laune schlug allerdings gleich wieder ins Gegenteil um, als er hörte dass es Essen gab. Belustigt über Juudais Verhalten folgte Johan ihm und nahm weiterhin am Leben der Yuukis Teil.
 

Fortsetzung folgt in Teil 3
 

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Nochmals ein herzliches Dankeschön an alle, die mir so liebe Kommentare hinterlassen haben, vor allem an die neuen Kommentar-schreiber Rainbow-Raychel

und BlackSoul-Ruby. Aber wie immer dürfen sich hier alle Leser total geknufft fühlen und durchgeknuddelt. Größten Dank auch an Haou_Lain (fürs Beta lesen), RainbowDark_Dragon (für alle ehrlichen Reviews), cloudy_wolf, Ncog-chan, -Judai- & mein Yami-chan dass sie sich diese Story so lieb durchlesen

Vennskap Teil 3

III Der Blaue Stein
 

Nach einem anstrengenden Nachmittag und einer erholsamen Nacht folgte ein neuer Schultag an dem Juudai und Ruki die Norwegischlehrerin Sonia ertragen mussten. Eisern erledigten sie ihre Aufgaben und freuten sich schon regelrecht auf den Sportunterricht in Johans Klasse. Nach der Mittagspause war es dann soweit. Johan holte seine beiden Freunde ab und brachte sie in die Kelleretage.

„Die Mädchenumkleiden sind rechts“, erklärte er und zog Juudai mit zu den Jungs. Er fühlte sich ein wenig deplaziert bei all den fremden Gesichtern die sich ausgelassen unterhielten. Sie klopften sich gegenseitig auf die Rücken als ob sie sich mit ihren Kommentaren gegenseitig etwas beweisen wollten. Der Japaner kam zu dem Schluss, dass diese Jugendlichen sich auch nicht anders verhielten, als die in seinem Heimatland. Im Moment schien ihn noch keiner richtig bemerkt zu haben und so suchte er sich einen freien Platz und begann sich umzuziehen. Johan hatte sich einen Platz gegenüber von seinem Freund ergattern können und schlüpfte selbst in sein Sportdress.

„Na Johan, du hast es ja gut heute“, einer seiner Klassenkameraden, der neben ihm stand wandte sich an ihn.

„Meinst du? Warum denn?“, wollte er wissen.

Der größere blonde Junge mit glattem Haar das wie das eines Boybandmitglieds zugeschnitten war ließ sich nicht lange um eine Antwort bitten: „Weil du doch in der Volleyballmannschaft bist, Johan, denk doch mal nach. Sag mal, sollten heute nicht die beiden aus der Ausländerklasse kommen? Waren das nicht zwei Jungs?“

„Einer“, antwortete Johan zunächst einsilbig, „Juudai, er ist dort. Das andere ist ein Mädchen, Ruki und die erwartest du wohl kaum hier bei uns, oder?“

„Nein sicher nicht“, entgegnete der Große grinsend und folgte Johans Blick hinüber zu Juudai, der sich gerade das Oberteil über den Kopf abgestreift hatte. Der schlanke blasse Körper des Brünetten sah makellos aus, zwar nicht sehr muskulös, dennoch hatte er etwas strammes und jungenhaftes an sich was ihm einen athletischen Eindruck verlieh. Johan ließ ihn nicht aus den Augen, so lange es nur ging haftete sein eindringlicher Blick auf Juudais bloßen Oberkörper, den er vor wenigen Wochen schon ein Mal für einige Sekunden erblicken durfte. Plötzliche Flammen züngelten sich über die Wangen des jungen Norwegers. Die Erinnerung an den Vorfall mussten auch gerade jetzt wieder kommen. Johan setzte sich seufzend wieder auf die Bank und versuchte sich auf andere Gedanken zu bringen. Es war doch nichts dabei Juudai anzusehen, da war er sich sicher. Immerhin war er ein Junge genau wie sein japanischer Freund.

Wie in Trance beobachtete Johan seinen Klassenkameraden auf Juudai zugehen, als dieser endlich in sein T-Shirt geschlüpft war, und klopfte ihm auf den Rücken.

„Hey, kleiner“, begrüßte ihn der Große.

„Hallo“, antwortete Juudai einsilbig, er war nervös mit diesem Fremden zu sprechen.

„Ich bin Brage, ein Klassenkamerad von Johan“, erklärte er und klopfte Juudai erneut auf die Schulter.

„Hallo. Mein Name ist Juudai“, antwortete er und weckte Johan aus seiner Starre, „Tja. Von jetzt an haben wir mit euch Sport.“

Zu mehr ließ Juudai sich nicht bringen und mehr hätte Johan auch nicht zugelassen, wenn er ehrlich war. Plötzlich hatte er das mulmige Gefühl im Bauch, dass er unter allen Umständen verhindern wollte, dass seinem Freund irgendjemand zu nahe kam. Somit ergriff Johan wieder das Wort: „Bist du fertig, Juudai-kun?“

Juudai war überrascht, dass Johan in der Schule Japanisch mit ihm sprach und nickte stumm, doch hielt er trotzdem noch einmal an worauf Johan ihm einen fragenden Blick zuwarf: „Ich habe noch was vergessen, ich muss die Kette jawohl abnehmen.“

„Kette?“, wiederholte Johan und erst jetzt fiel ihm auf, dass Juudai ein dünnes schwarzes Lederband um seinen Hals trug, an dem ein recht großer blauer Stein befestigt war. Wie er den jemals übersehen konnte war Johan im Moment ziemlich schleierhaft.

„Normalerweise trage ich ihn nicht in der Schule, ich dachte aber... na ja heute ist doch so gesehen ein besonderer Tag, nicht wahr?“, erklärte Juudai mit leicht geröteten Wangen.

Johan nickte und umschloss den Stein mit seinen Händen: „Was ist das für einer? Er sieht sehr wertvoll aus!“

„Ich weiß nicht“, antwortete Juudai schnell und öffnete den Verschluss der ihm im Nacken hing, „Vater hat ihn mir geschenkt bevor... na ja...lange Geschichte.“

Und zu schmerzhaft, hm?’, ging es dem Norweger sofort durch den Kopf als Juudais Stimme abbrach, er wollte anscheinend nicht weiter erzählen was es mit diesem Stein auf sich hatte, denn Juudai wandte sich der Tür zur Sporthalle um. Johan folgte ihm ohne ein weiteres Wort zu sagen, doch er war fest entschlossen dieser Sache auf den Grund zu gehen.
 

Nach und nach versammelten sich die Mädchen und Jungen in der Sporthalle zur Aufzählung und einer nach dem anderen wurde auf der Liste der Lehrerin abgehakt, als fehlend angestrichen oder musste Rede und Antwort stehen wenn er an diesem Tag nicht teilnahm. Die Lehrerin, die Johans Klasse im Unterricht hatte, sprach einen anderen Dialekt als die bisherigen Leute, die Juudai und Ruki bis jetzt kennen gelernt haben. Sie hatte kurzgeschnittenes, blondes Haar und trug kein Bisschen Schminke auf ihrem Gesicht. Ruki schätzte sie auf Mitte vierzig, denn einige leichte Falten hatten sich bereits in ihre Haut eingeschlichen. Ihr Blick war scharf, ebenso wie ihr Ton, was die beiden ausländischen und noch fremden Schüler dazu veranlasste Vorsicht walten zu lassen bevor sie sich irgendeine Frechheit heraus nahmen. Juudai und das Mädchen tauschten einige vielsagende Blicke aus, in letzter Zeit waren sie immer häufiger zu Einigkeit gekommen was Lehrer und Unterricht betraf. Schließlich stellte die Lehrerin mit dem bergener Dialekt die beiden Neuen vor:

Dokker sjå nu her de to nye elevan vi har fått fra mottaksklassen. Dette e Juudai fra Japan og Ka-*”, die Lehrerin wurde barsch von Ruki unterbrochen und freundlich darauf hingewiesen ihren Spitznamen zu gebrauchen, „Og Ruki fra Tyskland ville eg si.

Ruki rollte leicht mit ihren Augen, immer wieder diese Vorstellungsrunden in denen sie allen möglichen Personen erzählen musste warum sie nach Norwegen gekommen war und auch Juudai wurde mit eben diesen Fragen belästigt. Zum Glück für die beiden, unterbrach die Frau diese Fragerei recht schnell wieder und verlangte Aufmerksamkeit.

„Heute werdet ihr die Schläge und die Regeln des Spiels Volleyball lernen. Gegen Ende der Stunde werden wir dann ein Match spielen, so weit es eben geht“, meinte sie, „Johan, wenn du so freundlich bist und den beiden alles erklären würdest, wäre das wirklich sehr nett.“

Johan nickte und somit teilten sich die Schüler in zweier und dreier Gruppen auf um den weiteren Anweisungen der Lehrerin zu folgen, die ihnen geduldig erklärte wie das Pritschen, das Schmettern und das Baggern in diesem Sport funktionierte und wie man die Schläge vernünftig ausführte.

Johan suchte sich mit Ruki und Juudai einen freien Platz in der Halle und sorgte dafür dass die beiden versuchten die vorgeführten Übungen auch zu machen. Langsam sollten sie beginnen sich die Bälle mit Pritschen oder Baggern zu zuspielen, nachdem sie sich alles genau eingeprägt hatten spielte auch er in der kleinen Runde mit.

„Ist doch ganz angenehm, oder? Als ob die anderen gar nicht da wären“, meinte Ruki schließlich um die Stille, die zwischen den dreien herrschte zu durchbrechen. Juudai nickte und baggerte Johan einen Ball zu, dieser nahm ihm an und schickte ihn zu dem Mädchen rüber. So waren in der gesamten Halle die Schüler zu hören, die lachten wenn etwas daneben ging und jubelten, wenn jemand einen besonders guten Schlag erzielt hatte.
 

Schlussendlich ertönte eine schrille Trillerpfeife. Was dies nun wieder sollte, konnte Juudai sich nicht erklären, immerhin waren sie doch nur im Sportunterricht und nicht im Militär. Gehorsam versammelten sich Johans Klassenkameraden um die blonde Frau die hier den Ton angab und warteten auf neue Anweisungen.

„So, ihr habt euch jetzt ein wenig an die Schlagtechniken gewöhnt. Ich werde euch jetzt in vier Gruppen aufteilen und dann wird ein kleines Turnier gespielt!“, erklärte sie und löste damit ein gespanntes Raunen zwischen den Schülern aus. Der großgewachsene Junge aus der Umkleide, der Brage hieß meldete sich zu Wort: „Ich will mit Johan in einem Team sein.“

„Reiß dich ein wenig zusammen, Brage, hier geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren, hast du verstanden?“, mahnte die blonde Frau und wandte sich an die Menge, „Wir sind hier um das Spiel zu lernen, nicht um zu beweisen dass wir absolut die Besten sind, habt ihr verstanden?“

Ein lautes und sehr langgezogenes „Ja“ kam zur Antwort, auch Ruki die sich teilweise angesprochen fühlte, stimmte mit ein. Dann begann die Lehrerin die Schüler wahllos in vier gleichgroße Gruppen mit je sechs Spielern einzuteilen und veranlasste zwei große Volleyballnetze aufbauen zu lassen. Alles ging sehr schnell von der Hand, so dass sich die Mannschaften nacheinander auf den Feldern aufstellen konnten.

Ruki hatte durchaus Glück gehabt in Johans Mannschaft platziert worden zu sein, Juudai hatte weniger Glück, denn er wurde mit vier anderen Mädchen und einem weiteren Jungen, der ziemlich schmächtig sowie blass war und eine Brille trug, eingeteilt. Allerdings hatte er in den wenigen Minuten, in denen er zusammen mit seinen beiden Freunden üben konnte ziemlich viel Spaß am Spiel gehabt und somit war ihm klar, dass es ihm nur wenig ausmachen würde zu verlieren. Seine Teammitglieder kannte er allerdings nicht und dies machte ihm eher Sorgen. Schlechte Verlierer konnte er nicht leiden.

Auch Johans Mannschaftsmitglieder sahen einander an, sie waren drei Mädchen und drei Jungen im Team, doch waren die Jungs alle ziemlich groß und schienen die richtigen Ambitionen zu haben.

„Also, stellt euch auf!“, forderte Juudai strickt wie ein Mannschaftskapitän, wenigstens konnte er sich dank Johan doch etwas verständlich machen. Natürlich folgten seine Kameraden diesen Wunsch und stellten sich auf. Juudai übernahm die erste Angabe, obwohl er sich eigentlich dagegen sträubte. Das Spiel begann nachdem sich auch das gegnerische Team platziert hatte.

Der Ball flog hoch über Juudais Kopf bevor der Junge ihn kräftig mit der Hand über das Netz beförderte. Ruki, die vorne am Netz stand war mehr oder weniger beruhigt, dass Juudais Ball genug Schwung hatte um von den weiter hinten positionierten Spielern angenommen zu werden. Vom Blockieren gegnerischer Angriffe hatten sie bisher noch nichts gelernt. Es war Johan, der instinktiv die Initiative ergriff und den geschmetterten Ball annahm und Ruki eine Vorlage bot um den Ball weiter über das Netz zu tragen. Etwas notdürftig kam sie seiner Aufforderung nach, allerdings war ihr Ball so offensichtlich gespielt, dass Brage ihn ohne Probleme annehmen und wieder kraftvoll auf Johan zuspielte.

Ungefähr so ging es eine ganze Weile. Juudai beruhigte dieses kleine Match, dass jedoch immer schneller und mit schärferen Bällen gespielt wurde, was sicherlich durch Johans Vorliebe zum Punktesammeln hervorgerufen wurde. Wieder schmetterte Brage den Ball schwungvoll über das Netz und sorgte dafür, dass eine weitere Klassenkameradin während des Annehmens unsanft auf dem Boden landete.

„Sehr gut, Jannike!“, lobte Johan das braunhaarige Mädchen, nahm kräftigen Anlauf und wehrte den Ball ebenso kraftvoll ab. Er hatte nicht darauf geachtet, ob jemand in seiner Schusslinie stand oder ob er den blanken Hallenboden für einen weiteren Punkt treffen würde, Johan war in diesem Moment einfach darauf fixiert gewesen den Ball aus der Gefahrenzone hinauszubringen. Seine Augen verfolgten den kleinen weißen Ball, der nun direkt auf Juudai zuflog. Der Japaner stand nahezu kampfbereit da um Johans surrenden Ball anzunehmen, seine Knie waren gebeugt und er befand sich in der richtigen Position um zu baggern. Johan lief es kalt den Rücken hinunter. Diesen Angriff konnte Juudai nicht mit dieser Technik abwenden, denn dazu kam er viel zu weit oben, mit etwas Glück würde er sich noch um entscheiden und dem festen Ball ausweichen um ihn ins Aus fliegen zu lassen.

Ein klagender Laut erfüllte die Halle.

Dann ergriff eine kalte Klaue Johans Herz, dass aufgeregt in seiner Brust schlug.

Er hatte sich geirrt. Juudai war nicht ausgewichen, niemals wäre ihm in den Sinn gekommen vor ihm zurück zu weichen. Johans kräftiger Schmetterball hatte Juudai am Kopf getroffen und der Druck ihn niedergestreckt.

„Juudai!“

Johan konnte Rukis aufgebrachte Stimme hören, die laut den Namen des jungen Japaners rief, worauf man einen weiteren dumpfen Aufprall seines Hinterkopfes auf dem Hallenboden vernehmen konnte. Schnelle Schritte eilten zu dem Brünetten, der nun nahezu bewegungslos am Boden lag, erst dann erwachte auch Johan aus seiner Starre und rannte zu seinem Freund hinüber.

Besorgt ließ Johan alle anderen außer acht und nahm Juudai an sich, schnell versuchte er festzustellen ob noch alles in Ordnung war, vergewisserte sich ob Juudai noch atmete und sein Puls noch stabil war. Mittlerweile war auch die Lehrerin mit dem bergener Dialekt auf die Situation aufmerksam geworden und wartete ab ob Johan seinen Freund mit leichten Klapsen auf die Wangen wieder wachzurütteln sei.
 

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Juudai nichts mehr gespürt. Weder den Boden unter seinen Füßen, noch sonst einen Teil seines Körpers. Leicht wie eine Feder schien er in seinem Körper zu schweben, oder nicht mal mehr in seinem Körper. Vielleicht war es aber auch das Gefühl des Todes, das ihn für wenige Sekunden ereilt hatte. Weit in der Ferne hörte er das Rauschen von Wasser. Ein Fluss in dessen Nähe er gewohnt hatte, kam ihm plötzlich in den Sinn, aber den Grund kannte er nicht. Es kam ihm wie eine weit entfernte Erinnerung vor, die sich in seinem Kopf ausbreiten wollte, allerdings warnte ihn eine innere Stimme davor. Er sollte sich besser nicht an diesen Tag erinnern und damit ließ er die anderen Stimmen, die noch viel weiter von ihm entfernt waren zu sich vordringen.

Juudai erkannte die Stimmen ganz genau, die seinen Namen riefen und besorgt miteinander tuschelten.

Er ist doch nicht tot, oder Johan?

Die Stimme eines aufgeregten und gleichermaßen besorgten Mädchens.

Natürlich nicht!! Nimm dich zusammen, er ist nur k.o. gegangen!

Der frisch geschlüpfte Sommervogel sprach in diesem fremdartigen Singsang, den auch er lernen sollte zu gebrauchten.

Warum wacht er dann nicht auf, Johan, bist du sicher das mit ihm alles in Ordnung ist?

Und wieder drang die Stimme des Mädchens eindringlicher in sein Ohr und brachte den jungen Vogel langsam an den Rand seiner Nerven.

Ich bin mir natürlich nicht sicher, ich bin kein Arzt!

Er durfte den Sommervogel nicht so erschrecken. Er musste sich regen um ihn zu beruhigen. Ein Lebenszeichen von sich geben. Juudai murrte leise zur Antwort. Die murmelnden sowie die besorgten und beinahe hysterischen Stimmen um ihn herum nahmen an Lautstärke zu und hallten schwer in seinem dröhnenden Kopf wider. Nicht nur seine Augen ließen sich nur schwer öffnen, sein ganzes Haupt schmerzte und in ihm drin herrschte ein wildes Pochen als liege er noch immer zwischen Hammer und Amboss.

„Juudai...-kun“, die sanfte Stimme seines Sommervogels erreichte ihn, in seiner Muttersprache so, wie Johan es aussprach, „bist du in Ordnung?“

„Johan-kun...“, noch immer murrte Juudai mehr als das er sprach.

„Versuch aufzustehen, ja? Ich bringe dich zur Schulkrankenschwester“, flüsterte Johan in den vertrauten Lauten. Der Norweger wandte sich an die Lehrerin, die schon drauf und dran war einen Krankenwagen zur Schule zu beordern: „Er ist wach. Ich bringe ihn zur Schulkrankenschwester, sie wird feststellen ob es etwas Ernstes ist!“

Etwas widerwillig stimmte sie zu, dass Johan den Verletzten mitnahm. Ihr wäre es lieber gewesen, sie wären auf Nummer sicher gegangen, doch da Juudai sich selbst dazu bringen konnte wieder aufzustehen, wollte sie die beiden gehen lassen. Der Rest der Klasse sollte mit dem Spiel fortfahren so lange die Stunde noch dauerte.

Johan legte einen seiner Arme um Juudai Taille um ihn ein wenig zu unterstützen. Es war deutlich zu sehen, dass ihm Schwindelig und wohl noch etwas übel war.

„Es tut mir leid Juudai-kun, wirklich ich habe einfach nicht aufgepasst und jetzt...“, Johan biss sich stark auf die Unterlippe. Einen Augenblick hatte er gedacht seine ganze Welt würde in sich zusammenstürzen. Er selbst zitterte nun wie Espenlaub und konnte seinen Körper kaum beruhigen, eigentlich fehlten nur noch seine Tränen die sich langsam in den Augen ansammelten.

„Ich habe auch nicht richtig gehandelt Johan-kun“, beschwichtigte der Japaner leise, „Unfälle können nun Mal passieren. Es gibt für dich keinen Grund dir Vorwürfe zu machen.“

Juudai versuchte zu lächeln. Es war ein klägliches und sehr müdes Lächeln, aber immerhin brachte er eines zu Stande um seinen Freund ein wenig aufzuheitern. Erleichtert atmete Johan auf, beruhigt darüber, dass es Juudai nicht allzu schlecht ging und auch darüber, dass sein Freund ihm nicht die Schuld an diesem Desaster gab. Ein ausgehauchtes und sehr verbundenes „Danke“ erreichte Juudais Ohren. Der Japaner warf einen forschenden Blick zu Johan, er hatte wahrscheinlich sonst etwas gedacht. Juudai war sich nun aber ziemlich sicher, dass er das Thema ruhen lassen musste, denn so wie Johan aussah befürchtete der Kleinere, dass er sonst anfangen könnte zu weinen so wie vorhin in der Sporthalle. Vor versammelter Menge.

Während sie den langen gang zu der Schulkrankenschwester zurück legten dachte Juudai noch einmal scharf nach. Johan hätte fast Tränen um ihn vergossen. War er ihm so viel wert? Würde er um Johan weinen wenn ihm etwas zustoßen würde? Der Japaner nickte unmerklich. Er hatte seinen norwegischen Retter sogar sehr gern. Ganz sicher würde er sich auch große Vorwürfe machen, wenn Johan etwas zustoßen würde.

„Wir sind da“, erklärte Johan kurz und klopfte an die weißgestrichene Spanplattentür. Lange warten mussten sie nicht bevor ihnen eine weibliche Stimme die Erlaubnis erteilte hinein zu kommen. Johan öffnete die Tür und brachte Juudai hinein. Die Schulkrankenschwester der Gjettum Ungdomsskole war ebenfalls eine Frau in mittlerem Alter, deren Haar allerdings langsam zu ergrauen begann. Juudai setzte sich auf die hohe Liege, die in dem Ärztezimmer stand und sah Johan nun aus ängstlichen Augen an, er durfte bloß nicht von hier verschwinden, sonst war er wieder auf sich allein gestellt.

„Guten Tag Hilde“, begrüßte Johan sie höflich wie es sich gehörte, „Wir hatten gerade einen Unfall im Sportunterricht ehm.... Juudai hat meinen Ball an den Kopf bekommen und war kurz bewusstlos.“

Die Frau schien noch etwas an ihrem Computer abzuschließen und wandte sich dann um. Ihr ebenfalls leicht gealtertes Gesicht sah gütig auf die beiden Jungen herab: „So, dann wollen wir mal sehen, Juudai. Tut dir irgendwas weh?“

„Er spricht noch nicht das beste Norwegisch. Er kommt aus Japan“, erklärte Johan mehr oder weniger hektisch. Noch immer nagte das schlechte Gewissen an ihm.

„Das kriegen wir schon hin. Ich muss dich jetzt aber trotzdem bitten wieder nach draußen zu gehen, Johan. Zieh dich doch schon mal um und bring die Sachen von dem Kleinen mit, ja?“, befahl sie ihm um ihn loszuwerden. Johan nickte nur widerwillig, gab Juudai eine kleine Antwort auf Japanisch und verschwand dann aus dem Raum. Er ließ die Schulkrankenschwester mit Namen Hilde ihren Job machen, er konnte sowieso nichts tun und wenn er ehrlich war, wäre es sicherlich auch für Juudai nicht angenehm gewesen, wenn er ihn sehen würde.

Ohne T-Shirt...

Johan erschauderte leicht.

Wieso musste er die ganze Zeit an diesen zierlichen Jungenkörper denken?

Dieser wunderschöne, grazile Oberkörper den er vor nicht allzu langer Zeit erblickt hatte.

Schnell schüttelte Johan den Kopf und atmete tief durch um seinen Herzschlag zu beruhigen, damit nicht noch ganz andere Dinge mit seinem eigenen Körper geschahen. Allerdings war er nicht in der Lage den Rotschimmer auf seinen Wangen zu vertreiben als er sich darüber im Klaren wurde was er eigentlich dachte und was er eigentlich befürchtete. So was durfte ihm nicht noch einmal passieren, also schlug er sich alle Gedanken so schwer es ihm auch fiel aus dem Kopf, zog sich um während er das laute Kreischen seiner Klassenkameraden im Saal hörte.
 

Die Nachricht, dass Juudai höchstens eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen hatte machte Johan sehr froh. Erleichtert wartete er darauf, dass Juudai sich wieder umgezogen hatte, danach kehrten die beiden wieder ins Haus des Japaners zurück. Juudais Kopf schmerzte noch immer und es war ihm wärmstens empfohlen worden sich zu Hause gleich wieder ins Bett zu legen. Wieder hielt Johan die Hand seines Freundes fest in seiner umschlossen und nahm ihn mit nach Hause. Beide sagten während des Weges kein Wort. Juudai weil er zu müde war und jedes Wort das er gesagt hätte, schmerzhaft in seinem Kopf wiederhallte und Johan weil er die Stille zwischen ihnen beiden genoss.

Für gewöhnlich dauerte der nach Hause Weg nicht mehr als fünfzehn Minuten, wie auch heute. Sofort ließ Johan die Tür aufschließen und brachte Juudai in sein Farbenfrohes Zimmer, damit er nicht auf die Idee kam irgendetwas anderes zutun, was Johan eigentlich nicht erwartet hätte.

„Soll ich dir einen Tee machen, Juudai-kun?“, fragte Johan vorsichtig.

„Nein, schon gut. Ich brauche nichts“, antwortete der Kleinere.

„Aber...“, Johan dachte kurz nach, „Willst du schlafen? Ich mache so lange neben an Hausaufgaben...“

Juudai musterte Johan mit einem ungewöhnlich scharfen Blick. Er konnte sich nicht erklären warum der Norweger plötzlich so nervös wurde. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, das hatte er ihm doch schon in der Schule gesagt. Oder glaubte Johan seinen Worten nicht? Noch einmal setzte Juudai sich auf und streckte seine Hand aus. Leise erfüllte seine Stimme das helle Zimmer: „Kannst du vielleicht... bleibst du bei mir, Johan-kun? Nur ein bisschen. Bis meine Mutter wieder zu Hause ist, oder so.“

Überrascht fielen die Smaragde des Norwegers auf seinen Freund, nach einigen Sekunden des Zögerns, nickte Johan jedoch und ergriff Juudais warme Hand. Sie war ebenso geschmeidig, wie der Rest von ihm, kam es Johan in den Sinn.

Welcher Rest?’, dachte Johan schnell und ermahnte sich in Gedanken selbst, ‚Du kennst doch höchstens noch diesen süßen Oberkörper und selbst den hast du noch nicht berührt...!

Juudai schmiegte sich dicht an Johan und legte seinen Kopf in den Schoß des Größeren. Wie schon am vorherigen Tag fühlte Juudai sich sehr wohl, so bei Johan liegen zu können und dieses Mal würden ihn auch keine Alpträume, keine lächerlichen Erinnerungen, die er tief in seinem Herzen versteckt halten wollte, in seinem Kopf auftauchen. Nein, er hatte ein neues Leben begonnen. Ein Leben in Norwegen und den Rest wollte er für immer hinter sich lassen.
 

* Dokker sjå nu her de to nye elevan vi har fått fra mottaksklassen. Dette e Juudai fra Japan og Ka-... = Nynorsk für = Ihr sehr hier die beiden neuen Schüler aus der ”Entgegennahmsklasse”. Das sind Juudai aus Japan und Ka-...

* Og Ruki fra Tyskland ville eg si = und Ruki aus Deutschland, wollte ich sagen
 

~Fortsetzung folgt in Kapitel 5: De Svartkledde – Die Schwarzgekleideten~
 

Das obligatorische Nachwort:

So, ich habe jetzt zwei Tage hardcore an diesem Kapitel geschrieben und ich glaube es hat sich gelohnt XD Ich bin stolz drauf, dass ich die Geschichte aufblühen lassen kann. Das habe ich nicht umsonst meinen treuen Kommi-Schreibern zu verdanken! Ò.ôV Wirklich, das spornt mich einfach an weiter zu schreiben, wo ich eigentlich in den letzten Wochen das Gefühl hatte, ich könnte die Story abbrechen weil sie eh nix taugt v.v

Na ja, auch egal, was ich eigentlich schreiben wollte: mir hat es großen Spaß gemacht den Schulalltag zu beschreiben. Er war damals wirklich so langweilig und teilweise ätzend wie hier beschrieben. Außerdem macht es auch noch großen Spaß euch Hints zu geben. Jo ich mag das eben gerne, am Ende soll aber noch alles einen Sinn ergeben und ich merk grad, dass ich immer noch Angst habe, dass ich es vielleicht vermassle. Ich hab doch noch nie einen Krimi geschrieben ;A;

In diesem Kapitel habe ich auch eine Lehrerin im bergener Dialekt sprechen lassen. Ihr müsst wissen, dass Norwegisch nicht gleich Norwegisch ist. Hier gibt es zwei offizielle Schriftsprachen, das Bokmål, dass ich spreche und gelernt habe und das Nynorsk dass eine eingesammelte form von verschiedenen Dialekten ist. In vielen Büchern wird sogar mündliches direkt übernommen, sagt zum beispiel jemand Æ anstatt Jeg für ich schreiben die Norweger es auch gern wie Æ. So kann man sich als Ausländer manchmal ziemlich dumm vorkommen, wenn man nicht weiß, welches Wort man eigentlich gerade liest *g*

Übrigens finde ich es wirklich süß, dass schon darauf gewartet wird, dass etwas mit den bösen, bösen Briefen nicht stimmt *g* Es zeigt mir irgendwie sehr gut, dass sich meine Leser auch wirklich Gedanken darüber machen was geschieht. Ich weiß es ja immerhin... und es freut mich wirklich zu sehen, dass ihr mitfiebert ^-^ Vielen Dank euch allen!!

Nebenbei gesagt hat mir auch die Volleyballszene Spaß gemacht und die abschweifenden Gedanken unseres lieben Johan auch *g* Dabei habe ich dieses Schuljahr auch einen Ball an den Kopf gekriegt *lol* Aber nicht so hart wie Juudai, trotzdem glaube ich, dass die Reaktion nicht übertrieben war, wenn man ordentlich eins übergedroschen bekommt.

Wie immer danke ich allen, die mir ihre Meinungen geschrieben haben ^.^ Vielen Dank euch allen! Und ganz großen Dank an meine Betaleserin Lain *chu*

Ich hoffe wir sehen uns dann im 5. Kapitel wieder ^-^

Eure Ruky

De Svartkledde Teil 1

Kapitel 5:

De svartkledde

~ Die Schwarzgekleideten~
 

I Geheimnisse
 

Steine hatten sich in sein Inneres verlagert.

Steine... wenn Johan alles noch einmal überdachte, dann waren es Felsen, noch schwerer als der Grand Canyon, die in diesem Augenblick auf seinem Herzen lasteten. Juudai hatte zwar keine schweren Verletzungen von seinem Volleyballangriff davon getragen, aber trotzdem konnte er die Unruhe im Schlaf seines Freundes sehr gut spüren. Johan hatte sich keinen Zentimeter von Juudai weg bewegt und noch immer kraulte er sanft den braunen Haarschopf seines Freundes, der sich aufgewühlt im Schlaf wiegte und leise japanische Worte vor sich hin murmelte.

Johans Blick glitt langsam zur Uhr. Es war Zeit, dass Juudais Mutter nach Hause kam. Jeden Moment konnte dies der Fall sein und dann musste der Norweger ihr Rede und Antwort stehen. Aber Reiko war eine gutmütige Frau, Juudai war nichts passiert, also ging Johan davon aus, dass es nicht zu viel Ärger geben würde. Hoffte er auf jeden Fall.

Vorsichtig legte er Juudai in die Kissen zurück und erhob sich von dem Bett auf dem er schon letzten Nachmittag gesessen hatte. Er war sich sicher, dass sein Freund wieder bei bester Laune und Gesundheit war, wenn er sich ausgeschlafen hatte.

Johan verließ die bunte Oase seines Lebens um in die Küche seiner Gastfamilie zu gelangen. Er hielt es für richtig ein wenig Kaffee aufzusetzen, damit die Frau des Hauses sofort nach ihrer verrichteten Arbeit ein wenig entspannen konnte. So etwas hätte er gern auch für seine Eltern gemacht, allerdings kamen sie immer erst sehr spät nach Hause oder hatten keine Zeit sich mit dem Rest der Familie hinzusetzen und ein Kaffeekränzchen zu halten. Johan seufzte leise aus, er hatte schon eine merkwürdige Familie wenn er es recht bedachte. Sein Vater war ständig außer Haus und war er mal zu Hause, dann sprach er nicht viel mit seiner Frau. Es kam ohnehin sehr selten vor, dass die Familie länger als zwei oder drei Stunden versammelt im Haus war. Johan kam es eher so vor als würde er mit zwei wildfremden Erwachsenen in einer Wohngemeinschaft leben, nicht mit seinen Eltern. Um dieses Leben konnte er Juudai beneiden. Richtig, sein Vater schien ebenfalls auf und davon zu sein, doch seine Mutter liebte ihren Sohn sehr.
 

Während Johan darauf wartete, dass der Kaffee durch die Maschine lief und seinen Gedanken nachhing, hatte er nicht bemerkt, dass Reiko die Haustür geöffnet hatte und wieder nach Hause kam. Erst als sich die junge Japanerin in die Küche bewegte und ihre Handtasche über die Rückenlehne eines Stuhles legte erwachte Johan aus seinen tiefen Gedankengängen. Sofort regte er sich und begrüßte sie: „Willkommen zurück.“

„Danke“, antwortete sie und lächelte Johan freundlich an, „Du warst aber tief in Gedanken.“

„Oh, ja das kommt vor. Ich hoffe du hattest einen angenehmen Arbeitstag“, antwortete Johan höflich und schaltete schließlich die Kaffeemaschine aus.

„Es war angenehmer als sonst, das muss ich zugeben. Wo ist eigentlich Juudai?“, wollte sie nun wissen und erhielt somit einen teils überraschten, teils schuldbewussten Blick des Norwegers.

„Er... er schläft“, erklärte er wahrheitsgemäß.

Reiko hatte Johans Miene schon erkannt, sie wusste sofort wenn Menschen nur die halbe Wahrheit sagten und sie sprach weiter: „Aber?“

„Na ja in der Schule ist ein kleines Unglück passiert... wenn ich ehrlich bin“, antwortete Johan sofort und erzählte in jeder Einzelheit was sich beim Volleyballspielen zugetragen hatte, „Ich glaube er erholt sich schnell, Juudai hatte nur Kopfschmerzen als wir hier angekommen sind.“

Wieder stand ihm die Reue und die Besorgnis ins Gesicht geschrieben. Reiko sah zwar einen kurzen Moment sehr bekümmert aus aber ihre Stimme klang weiterhin ruhig und beherrscht als sie dem Jungen von neuem antwortete: „Johan, das Wichtigste ist nicht dass, was hätte passieren können, sondern dass was du in dir trägst, Junge. Juudai geht es gut und das ist die Hauptsache, du darfst dich nicht selbst belasten sonst gehst du daran kaputt. War Juudai denn wütend auf dich?“

Johan schüttelte schweigend den Kopf zur Antwort. War es so offensichtlich was er dachte, oder warum hatte Frau Yuuki sofort gewusst was sie sagen musste, um seine Gefühle zu beruhigen. Auch sein jetziger Blick sprach Bände darüber, was er nun dachte.

„Also Johan, dann ist doch alles in Ordnung, oder nicht?“, hakte Reiko nach und trat an seine Seite um den Kaffee einzuschenken, „Komm, setzen wir uns einen Augenblick bevor ich mit dem Mittag beginne. Juudai sollten wir noch ein bisschen Schlafen lassen.“

Johan stimmte abermals mit einem Nicken zu und setzte sich gegenüber der jungen Japanerin. Einen Moment lang blieb es still. Der Norweger wusste nicht was er sagen sollte, oder ob er überhaupt etwas sagen sollte. Um allerdings wenigstens den Anschein zu erwecken nicht verunsichert zu sein, ließ Johan seinen Blick aus dem Fenster gleiten. Von der Küche aus hatte man eine wunderbare Aussicht über etliche Baumkronen, die ihre Blätter nun an den Regen verloren.

Plötzlich aber schoss Johan ein Gedanke durch den Kopf, dem er sofort Platz machen wollte: „Reiko, darf ich dich etwas fragen?“

„Natürlich, Johan. Was möchtest du wissen?“, antwortete sie ihm und lächelte freundlich.

„Nun ja, also“, Johan fing sich gerade und rätselte einen Moment ob es vielleicht doch zu gewagt war um so eine private Frage zu stellen, er gab sich dennoch einen Ruck und brachte die Worte hervor, „Darf ich fragen, warum sie nach Norwegen gezogen sind?“

Sofort legte sich eine etwas bizarre Atmosphäre über die beiden. Juudais Mutter setzte ihre Tasse ab und hielt kurz inne. Sie suchte nach den richtigen Worten so als hätte sie sich die passenden Sätze schon vor langer Zeit zu Recht gelegt. Schließlich heftete sie ihren Blick sofort wieder auf Johans smaragdgrüne Augen und antwortete ihm: „Wir mussten erst einmal aus dem Land. Es ist viel geschehen, dass ich gern vergessen würde. Ich dachte es ginge nur auf diese Weise.“

„Was ist mit Juudais Vater? Hast du ihm wenigstens Bescheid gegeben, dass ihr beiden ins Ausland abgestiegen seid?“, forschte Johan weiter, der immerhin hatte er aufgrund von Juudais Reaktion in der Umkleide der Jungen darauf schließen können, dass etwas in der Familie nicht ganz in Ordnung war, „Bist du von ihm geschieden und möchtest nichts mehr mit ihm zutun haben?“

Reikos Gesicht wurde von einem seichten Lächeln geschmückt, was Johan etwas verlegen machte, denn er erkannte erst jetzt, dass er jetzt wirklich zuviel auf einmal gesagt hatte: „Du bist wirklich ein neugieriger Junge, Johan.“

Sie lachte kurz auf, als Zeichen, dass es in Ordnung war, wenn er fragte denn er hatte bereits so viel für Juudai getan, dass sie ihn gern in die Familie einweihte: „Er weiß nichts davon. Juudais Vater hat uns von einem Tag auf den anderen einfach so verlassen. Als er vierundzwanzig Stunden abwesend war, habe ich ihn bei der Polizei als vermisst gemeldet, Juudai war ebenfalls sehr besorgt um seinen Vater, sie haben sich immer sehr gut verstanden aber... man hat ihn nicht gefunden.“

„Es gab keinerlei Anhaltspunkte für seinen Verbleib?“, wollte Johan weiter wissen.

„Richtig. Niemand wusste etwas, niemand auch ich nicht, konnte erklären warum er wohl gegangen war“, entgegnete sie, „Dann rückte uns die Presse auf den Leib, mein Mann ist Archäologe und so spekulierte man, dass er wegen seines Berufes verschwunden sei. Nach diesen Ereignissen zogen wir dann fort.“

Wieder machte sich eine kurze Stimmung breit, die den Herbst vor der Tür unterstütze. Johan musterte die Junge Frau eindringlich, ihr Blick war trübe und so ganz verstehen konnte er die Situation ebenfalls nicht. Nur weil man die Nase voll von der Presse hatte, musste man doch kein Land verlassen, man konnte sie auf andere Weise loswerden. Er ließ das Thema mit Juudais Vater allerdings besser ruhen, sonst befürchtete er noch, wirklich unhöflich zu erscheinen. Allerdings gab es da noch etwas anderes, das ihm zu denken gab und das waren Juudais Freunde: „Was ist mit seinen Freunden? Juudai hat solche Sehnsucht nach ihnen. Er sollte sich bei ihnen melden.“

Ein Schatten legte sich über Reikos Gesicht. Nun fühlte Johan, dass er eine kleine aber dennoch sichtbare Linie überschritten hatte. Sie sah den Jungen an, dieses Mal hatte Johan allerdings das Gefühl von eisigen Dornen durchbohrt zu werden. Sie hatte Juudai schon oft gesagt er dürfe unter keinen Umständen Kontakt zu seinen Freunden in Japan aufnehmen.

„Johan. Setze ihm bitte keine Flausen in den Kopf!“, ermahnte sie ihn in einem strengen Tonfall, den er zum ersten Mal bei ihr hörte.

„Flausen aber... ich meine, das habe ich gar nicht vor“, antwortete er und spürte wie sich sein Magen vor Schuldgefühl schon verkrampfte, „Wenn es so wichtig ist dann-...“

„Es ist wichtig! Durchaus wichtig, Johan, hast du verstanden!?“, unterbrach sie ihn und stand von ihrem Stuhl auf. Mit Nachdruck, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen ging sie zu ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern: „Versprich mir, dass du ihn egal wann er auf die Idee kommen sollte mit seinen Freunden Kontakt aufzunehmen, es ihm ausreden wirst! Sollte er ihnen diese Adresse geben, wäre der ganze Umzug umsonst gewesen, du musst verstehen, dass wir hier ein neues Leben beginnen wollen und das geht nicht, wenn Juudai immer mit einem Bein in Japan steht.“

Johan hatte es sichtlich die Sprache verschlagen. Er wusste nicht was er antworten sollte, deshalb nickte er zu ihrer Beruhigung und konnte ganz genau beobachten, wie sie sich wieder entspannte und erleichtert durchatmete. Johan hingegen stimmte diese Reaktion eher misstrauisch, Reiko hatte bisher noch nie so energisch auf etwas reagiert. Johan konnte nicht weiter seinen Gedanken nachhängen, eine ihm wohlbekannte Stimme drang plötzlich in die Küche: „Ach hier bist du Johan-kun!“
 

Juudai war in die Küche gekommen. Sein Haar war noch zerzauster als zuvor und sein Blick wirkte noch verschlafen. Somit hatte Johan nun keine Zeit mehr sich über das merkwürdige Verhalten der Mutter Gedanken zu machen, seine volle Aufmerksamkeit galt nun dem Brünetten, der sich vor nicht allzu langer Zeit unruhig im Bett herumgewälzt hatte. Der Norweger erhob sich sofort und fühlte Juudais Stirn nachdem er die wenigen Schritten zu seinem Freund zurückgelegt hatte. Der Japaner lächelte matt, aber er wirkte nicht mehr so zerstört wie am Mittag: „Mir geht es gut, Johan-kun, keine Sorge!“

„Es ist trotzdem besser, wenn du heute im Bett bleibst!“, meinte Johan nahm Juudais Hand und ließ ihn in der Küche platznehmen, „Hast du noch Kopfschmerzen?“

„Nein, mir geht es wirklich wieder gut, Johan-kun. Ich glaube ich muss nicht mehr ins Bett, dass war doch nur ein blöder Ball“, meinte Juudai nun und entsendete seinem Freund ein heiteres Grinsen, das wieder ganz nach ihm selbst aussah. Der Norweger schüttelte allerdings den Kopf, so ernst wie zuvor: „Nein. Es war nicht nur irgendein Ball, es war einer der dich für ein paar Sekunden wegtreten ließ, das ist ein Unterschied.“

„Hm“, er nickte sachte als Antwort, dennoch meinte er sich unverwüstlich zu fühlen, egal was Johan nun für Argumente brachte. Reiko mischte sich nun allerdings wieder ein und schlug einen schroffen norwegischen Ton an: „Kein Japanisch so lange Johan hier ist, Juudai.“

„Ja Mutter“, sprach Juudai sein Einverständnis aus und musste leicht schmunzeln, sie sprachen doch auch sonst nur norwegisch, wenn Ruki dabei war, die meiste Zeit wenn sie Zeit allein verbrachten wollte Juudai die wunderschönen Worte von Johan hören.

„Setzt euch ihr beiden, ich mache das Mittag“, warf Reiko nun ein und nun klang sie nicht mehr streng, sondern wie Juudais freundliche Mutter, „Und Juudai! Ich bin übrigens auch der Meinung, dass du heute noch im Bett bleiben solltest.“

Juudai sah seine Mutter an als hätte er ihr drei Stunden versucht zu erklären, wie man Standartformen in Mathematik errechnete und legte sich die Hand an die Stirn: „Oh Mann, Mutter! Mir geht’s doch gut, jetzt mach nicht so einen Wirbel!“

„Der Herr lernt langsam Umgangssprache?“, entgegnete sie lächelnd und machte sich daran das Mittagessen zu zubereiten.

Während die Küche von würzigem Duft eingenommen wurde, redeten die beiden Jungen über die Schule und den Unterricht. Juudai hatte ebenfalls eine feste Meinung von Sonia und konnte viele ihrer merkwürdigen Unterrichtsmethoden kaum nachvollziehen, wobei er zugab, dass er dies auch gar nicht vorhatte. Mitten in Johans und Juudais heiteren Gelächter über die Imitationen die Juudai zu Tage brachte, ertönte die Klingel der Haustür. Beide sahen sich kurz schweigend an.

„Wer kann das sein?“, wollte Juudai wissen und ließ seinen Blick auf seiner Mutter ruhen.

„Wie wäre es, wenn du mal nach schaust?“, entgegnete sie und erhielt damit ein Nicken. Der Brünette stand also auf und sprang in den Flur hinaus um dem Jemanden, der vor der Tür stand zu öffnen. Wenn es irgendein Verkäufer war, konnte er immerhin so tun als ob er nicht ein Wort verstehen würde.

Darauf vorbereitet einen Fremden zu sehen öffnete er langsam die Tür, was er allerdings erblickte war kein Mann im schwarzen Anzug und Aktenkoffer, sondern ein in schwarz gekleidetes Mädchen, dass man gut ins Harajuku Viertel nach Tokio platzieren konnte. Juudai fiel das Kinn nach unten, wie bei einem alten Nussknacker, der schon lange abgenutzt war: „Ruki-chan!?“

„Juudai!“, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln und gab ihm einen winzigen Strauß Blumen in die Hand, „Ich ... tja ich war gerade in der Gegend und dachte ich sehe mal nach wie es dir geht.“

„Eigentlich wieder ganz gut...“, antwortete er und sah mit verblüfftem Blick auf die regennassen Gänseblümchen hinab, „Eh... komm doch rein...“

„Was? Danke aber... ich wollte eigentlich nur...“, entgegnete Ruki und versuchte einen Blick nach drinnen zu werfen.

Juudai grinste leicht und öffnete die Tür weit: „Na komm schon, wir beißen nicht!“

„Na gut, wenn du meinst dass das in Ordnung geht, gern“, stimmte das Mädchen nun zu und putzte sich vor dem eintreten noch die Schuhe ab. Juudai kam aus dem Lächeln nicht mehr heraus, wahrscheinlich hatte sie nicht gewusst wie sie die Blumen erklären sollte. Wenn er aber ganz ehrlich war, fand er diese Geste sogar niedlich, es sah einem Mädchen ähnlich, wo er doch dachte sie sei eher wie ein Junge gestrickt.

Nachdem sie sich die Schuhe ausgezogen hatte, ging sie mit langsamen Schritten ihrem Klassenkameraden hinterher und begrüßte Juudais Mutter, als sie in die Küche kam.

„Du bist Ruki? Guten Tag!“, kam es höflich von Juudais Mutter und sie reichten sich die Hände. Ruki nickte darauf und antwortete: „Entschuldige die Störung, eigentlich wollte ich nur kurz nach Juudai sehen. Ich bleibe auch nicht lange!“

Johan schüttelte lächelnd den Kopf, er wusste ganz genau warum Ruki am liebsten sofort wieder gegangen wäre. Sie wollte sich nicht wieder mit irgendetwas verplappern oder sich ungebührend benehmen. Juudai stand noch immer etwas nachdenklich im Raum und betrachtete die kleinen weiß - rosafarbenen Blumen, deren Pollenmitte gelb war.

„Bleib ruhig noch, Ruki! Du kannst gern mit uns essen, wenn du möchtest“, fügte Reiko hinzu und bemerkte den Versuch dieses Angebot auszuschlagen und so fuhr die junge Japanerin schnell fort, „Es ist eine Einladung. Juudai, was stehst du eigentlich so tatenlos in der Gegend rum, setz dich doch.“

Johan lachte auf: „Ruki hat ihn verwirrt, ich befürchte wir benötigen eine Vase, Reiko!“

Ruki konnte sich ein leises Kichern ebenfalls nicht verkneifen, was Juudai die Schamesröte langsam in den Kopf steigen ließ. Das Angebot Frau Yuukis konnte sie nun gar nicht mehr ablehnen, das fand sie noch unhöflicher als alles was sie im unbewussten Beisein von Johans Mutter von sich gegeben hatte. So sendete sie eine kurze Textmeldung mit dem Handy zu ihrer eigenen Mutter und erklärte alles. Das Essen verlief sehr ruhig und Ruki verbrachte noch eine ganze Weile zusammen mit ihren Freunden.
 

Später am Nachmittag, saßen die drei Freunde zusammen in Juudais Zimmer und erfüllten den kleinen Raum mit fröhlichem Gelächter. Der Japaner hatte zugestimmt sich zumindest eine Weile wieder ins Bett zu legen, damit er sich nicht überanstrengte, der Stimmung die zwischen den drei Jugendlichen herrschte nach zu urteilen, war allerdings alles wieder in Ordnung. Ruki hatte sich zusammen mit Johan auf das Fußende des Bettes gesetzt. Die Kartäuserkatze Ruby hatte sich wieder zum Schlafen zwischen die beiden gelegt und schnurrte leise während Ruki die bergener Lehrerin imitierte und ganz besonders Juudai damit zum lachen brachte.

„Sie hat wirklich so einen Aufstand danach gemacht?“, fragte er.

„Ja natürlich, sie hat auch die Verantwortung oder nicht? Wenn jemand über die Klinge springt, dann kriegt sie den Ärger“, antwortete sie, „Und für ein paar Sekunden hast du wirklich tot ausgesehen Juudai!“

„Wahrscheinlich war ich so kreidebleich wie du erst im Winter sein wirst Ruki-chan! Wie deine eigene Leiche... mit roten Ringen unter den Augen wie eine vom Kabuki Theater!“, scherzte Juudai und streckte ihr frech die Zunge raus. Sofort war das Mädchen ihm den Blick einer verschneiten Novembernacht zu und sprang ihm aufgrund seiner Unverfrorenheit entgegen. Ohne zu zögern nahm Juudai die Hände seiner Freundin entgegen und hielt gegen ihr Gewicht. Sie würde sich zwar nicht leicht besiegen lassen, aber ganz schwer war es sicherlich auch nicht sie zu besiegen. Ein gespielt wütender Blick zierte Ruki’s Gesicht und ermahnte ihn erneut: „Das ist wirklich nicht sehr nett!“

„Ich weiß!“, antwortete Juudai und brachte sie mit einem letzten kurzen Kraftaufwand wieder auf ihren eigentlichen Platz zurück, kurz verlor Ruki das Gleichgewicht und verfehlte um ein Haar die kleine Ruby, die empört aufsprang und die drei Jugendlichen protestierend anfauchte.

„Es tut mir leid, Rubylein“, versicherte Ruki und versuchte die Katze mit ein wenig Streicheleinheiten zu bestechen, „Dein süßes Kätzchen ist ziemlich leicht rumzukriegen, Joha-... Johan? Was ist los?“

Beide hatten ihre Blicke nun auf ihren gemeinsamen Freund gerichtet und fanden den Norweger tief in Gedanken vor. Johan nahm die beiden Streithähne schon lange nicht mehr richtig wahr. Seine Aufmerksamkeit hatte er wieder auf das letzte Gespräch mit Reiko gerichtet. Das alles ergab für ihn noch ziemlich wenig Sinn. Warum wollte Juudais Mutter so verkrampft verhindern, dass Juudai sich mit seinen Freunden in Kontakt setzt?

Und was passiert, wenn jetzt wirklich etwas Schlimmes geschieht? Bei einer Sache bin ich mir ganz sicher, Reiko sagt in dieser Hinsicht nicht die Wahrheit. Irgendwas hält sie geheim, vor Juudai und auch vor mir... selbstverständlich vor mir, wenn sie es schon vor ihrem Sohn geheim hält’, nach diesen Gedanken entwich ein leises Seufzen seiner Kehle, ‚Ich verstehe es einfach nicht. Wovor hat sie Angst? Ob sie vielleicht Drohbriefe bekommen hat und nicht will, dass die Briefe abgefangen werden, oder so etwas? Juudais Vater ist verschwunden? Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht... Aber ich werde es herausfinden, wenn es nicht anders geht um der Wahrheit näher zu kommen!

„Johan!?“, versuchte es nun auch Juudai, aber die beiden schienen wenig Erfolg bei dem Versuch zu haben ihn aus seinen ernsten Überlegungen aufzuwecken. Stattdessen beobachteten sie, wie Johan sich leicht auf den Daumen biss und auch weiterhin spekulierte ohne seine Befürchtungen laut auszusprechen: ‚Vielleicht habe ich Juudai wirklich zu einer falschen Handlung ermutigt. Ich hoffe es hat ... keine...

Vor seinen Augen taten sich nun zwei intensiv funkelnde Augen auf, die ihn eingehend studierten. Juudai blickte ernst in Johans Gesicht und hatte somit endlich geschafft ihn aus seinen Tagträumen zu reichen: „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ich weiß es nicht Juudai“, antwortete Johan mit nachdenklichem Unterton und fing sich somit fragende Blicke von Ruki und seinem besten Freund ein, „Macht euch nichts draus, ich bin mir sicher, dass es gar nicht so schlimm ist und ich wieder ein bisschen überreagiere.“

„Na schön, wenn du meinst...“, Ruki zuckte die Schultern und ließ die Sache damit auf sich beruhen. Juudai allerdings gab sich nicht so leicht damit zufrieden und wollte später noch mal auf ihn eingehen.

Ruki saß noch zusammen mit Juudai und Johan um Hausaufgaben zu machen. Juudai erledigte seine Norwegischhausaufgaben mit Rukis Hilfe obwohl er sich darauf berufen wollte noch ziemlich angeschlagen wegen des Unfalls gewesen zu sein. Johan lernte fleißig für die bevorstehenden Unterrichtsstunden während Ruby es sich auf seiner Schulter bequem gemacht hatte und gemütlich schnurrte, dabei war ihm nicht nach lernen zumute, wenn er seine beiden besten Freunde um sich hatte.
 

Erst gegen Abend ging Ruki wieder nach Hause, nachdem sie sich bei Reiko für das Mittagessen dankte und sich anschließend verabschiedet hatte. Für die drei zurückgebliebenen war es dann an der Zeit zu Abend zu essen. Juudai und Johan nahmen es zusammen im Wohnzimmer ein während Reiko kurz zu den Nachbarn gegangen war. Eine Stille herrschte zwischen den beiden, doch sie war angenehm so dass Juudai sie beinahe schweren Herzens durchbrach: „Musst du noch viel lernen Johan?“

„Für heute nicht mehr, eigentlich habe ich auch keine Lust mehr dazu“, entgegnete Johan lächelnd und nahm sich noch eine kleine Sushirolle. Der Japaner nickte zufrieden, da er ohnehin schon der Meinung war, dass Johan zu viel für die Schule tat als gut für ihn war also stimmte Juudai ihm zu: „Genau du solltest wenigstens jetzt ein bisschen kürzer treten wo es dir möglich ist! Außerdem ist Morgen doch schon Mittwoch und dann hast du wieder kaum Zeit.“

„Das stimmt schon... Tut mir wirklich leid, dass ich es nicht ändern kann“, antwortete Johan und dachte kurz einen Moment lang nach, „Juudai, ich muss nachher etwas mit dir besprechen, ja?“

„Kein Problem“, stimmte der Kleinere zu und verzehrte auch den Rest seines Abendbrotes. Zusammen erledigten die beiden auch den Abwasch den Juudai für gewöhnlich allein machen musste. Mit viel amüsiertem Gekicher und Wasserspritzen erledigten sie die Hausarbeit wie im Fluge. Juudai war sonst nicht so begeistert, wenn er seiner Mutter im Haushalt helfen musste. Im Moment fühlte Juudai sein Herz deutlich schlagen und wie glücklich er eigentlich war wieder einen Freund wie Johan gefunden zu haben, mit dem selbst die unangenehmsten Dinge wie Abwaschen und Hausaufgaben interessant wurden. Sogar einfach nur neben dem Norweger zu sitzen und ihn anzusehen bereitete dem Japaner Freude.

Im Zimmer zurück blickte Juudai wie ein einziges Kreuzworträtsel in das Gesicht des Norwegers hinauf und fragte dann: „Was möchtest du denn mit mir besprechen?“

„Sag, ist dein Vater wirklich von einem auf den anderen Tag spurlos verschwunden?“, begann Johan ohne mehr richtig darüber nachzudenken. Ein stummes Nicken gab Johan zu verstehen, dass er richtig lag.

„Hast du eine Ahnung warum?“, forschte er weiter.

Juudai zuckte mit seinen Schultern, er wirkte so als sei ihm dieses Thema ziemlich egal, allerdings schien es Johan eine Trotzreaktion zu sein: „Ich denke er hat etwas zutun, aber ich ehm... es sah ihm schon nicht wirklich ähnlich einfach so zu verschwinden. Er hatte uns immer vorher Bescheid gesagt, wenn er auf Reisen gehen musste und beruflich unterwegs war.“

„Hat er dir vielleicht vor seiner Abreise einen Hinweis gegeben? Oder vielleicht auch ein Zeichen?“, fragte Johan weiter, dieses Mal in einem drängendem Ton. Juudai schüttelte stumm seinen Kopf. Er wusste nichts weiter darüber, nur dass was ihm seine Mutter erzählt hatte und das Wenige, dass ihm von den letzten Wochen in Japan im Kopf geblieben ist. Nirgendwo in diesen Erinnerungen konnte er einen Hinweis darauf finden, dass sein Vater in nächster Zeit weg wollte.

„Hm“, gab Johan von sich und schwieg in dieser Hinsicht still. Den weiteren Abend verbrachten die beiden scherzend und miteinander albernd.
 

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Fortsetzung folgt wie immer im 2. Teil! Ihr müsst wissen, dass dieses Kapitel aus 4 Teilen besteht und so wird es auch mit Kapitel 6 sein ^.^ Ich hoffe ihr habt Spaß beim Lesen von diesem, denn irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass es ätzend geworden ist ^^''

Ich möchte mich hier noch mal ganz lieb bei Haou_Lain, Yamis-Lady, meine Asu-chan, -Judai-, cloudy_wolf, Rainbow-Raychel und RainbowDark_Dragon für die lieben Kommentare bedanken *alle knuff*

De Svartkledde Teil 2

II Eigentum
 

Der Mittwoch kam schneller als die Jungs dachten, sowie der Vormittag der wie im Fluge verging. Wieder hatten die drei einen Schultag überstanden und machten sich wie immer gemeinsam auf den Weg nach Hause. Zum Glück hatte sich das Wetter in sofern gebessert, dass nun kein Dauerregen die Erde mehr tränkte und die Kälte etwas nachgelassen hatte. Es schien auch so, als würde sich die Sonne alle Mühe geben endlich durch den dichten Schleier aus Nebelschwaden zu dringen, um die Welt noch ein wenig zu wärmen, bevor der Winter Einzug fand. Dennoch schien die Welt trübe zu sein und lockte nur die härtesten Sportler nach draußen und diejenigen, die es nicht vermeiden konnten sich vor der Tür aufzuhalten, beeilten sich eminent darum wieder nach Hause zu kommen.

So auch die drei Schüler der Gjettum Ungdomsskole. Während Juudai und Johan zunächst schweigend nebeneinander her gingen, hielt Ruki sich etwas weiter hinten, aber sie schien besonders guter Dinge zu sein.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte Juudai.

„Ich freue mich auf die Herbstferien und dass sich das Wetter wieder bessern soll“, antwortete sie mit einem breiten Lächeln. Juudai nickte leicht. Froh über Ferien war er auch, allerdings empfand er die zwei Wochen, die bis dahin noch vergehen sollten als sehr lange Wartezeit. Die Freude die er im Klassenraum empfunden hatte, als die Gesellschaftskundelehrerin berichtet hatte, dass die Ferien bald begannen war unbeschreiblich gewesen und tief in seinem Inneren wollte er schon planen was er alles machen wollte. Zusammen mit Ruki und Johan, der Japaner wurde aber sehr hellhörig, da er die kommende Wetterlage zu hören bekam: „Wirklich besser?“

Das Mädchen nickte: „Na klar, es kann doch noch nicht Winter werden! Ich bin mir sicher dass wir noch ein paar Wochen absolute Sommertemperaturen abkriegen werden!“

„Hast du das gehört, Johan!?“, brach es erfreut aus Juudai heraus.

Der Norweger heftete seinen verwirrten Blick auf den Japaner und nickte dann stumm, er hatte gehört woran sich sein Freund so erfreute. Ruki bedacht den Größeren ebenfalls mit einem bekümmerten Blick: „Du willst nicht zu diesem Drachen ins Haus, richtig? Dein Vater ist wohl noch immer in Japan?“

„Ja, das ist er. So lange ist er noch nie dort geblieben, aber ich glaube er kommt bald wieder. Wie auch immer, ich will nicht wirklich wieder nach Hause. Es tat gut mal ein bisschen Abstand zu gewinnen und nicht gepresst zu werden“, antwortete er ehrlich.

„Meine Mutter hat mir erst letztens als du nicht in der Nähe warst, folgendes gesagt: ‚An Johan Andersen solltest du dir ein Beispiel nehmen, Yuuki Juudai!’ Damit hat sie auch vollkommen Recht, aber ich verstehe was du mit Druck meinst!“, berichtete Juudai mit einem breiten Grinsen, sowohl Ruki als auch dem anderen Jungen entlockte es immerhin ein belustigtes Lächeln, „Johan, du hast mir heute Morgen versprochen nicht so ein Gesicht zu machen!“

Johan nickte und schenkte dem Brünetten das Lächeln, das er durch ihn zu Stande gebracht hatte. Wie immer trennten sie sich zum ersten Mal auf der kleinen Anhöhe und sahen wie Ruki in ihrem Haus verschwand.
 

Johan begleitete Juudai noch mit ins Haus um Ruby und den Rest seiner Sachen mitzunehmen. Die drei schönen Tage waren nun vorbei und eben dies spiegelte sich nun auch in Juudais Miene wieder. Mit etwas enttäuschter Miene sah er Johan an, der seine Tasche schon in der Hand hielt.

„Was hast du denn, Juudai-kun?“, fragte der Größere nun wieder in klangvollem Japanisch.

„Meinst du nicht, dass du noch warten kannst? Wenigstens bis heute Abend?“, wollte er wissen und versuchte so flehend wie möglich auszusehen. Durch dieses niedliche Verhalten war es Juudai möglich, seinem Freund ein leichtes Lächeln zu entlocken, die Antwort musste Johan allerdings negativ halten: „Du weißt doch, dass das nicht geht. Ich möchte meiner Mutter keinen Anlass geben mich von dir fern zu halten. Wirklich Juudai-kun. Ich möchte das hier unter keinen Umständen gefährden!“

„Hm“, kam es von dem Kleineren, „Bis morgen in der Schule?“

„Natürlich“, stimmte Johan zu und verabschiedete sich von seinem besten Freund, „Bitte grüße deine Mutter von mir, wenn sie wieder zu Hause ist, ja?“

Juudai nickte und blieb in der Tür stehen um ihm noch zu zusehen wie er die Straße hinauf ging um in seinen aschgrauen Alltag zurückzukehren. Enttäuscht schloss Juudai die Tür wieder hinter sich, lehnte sich an diese und seufzte kurz aus.

Ich habe mir wirklich einbilden können, er gehört zu mir. Als ob er ein Teil unserer Familie wäre... aber das ist er natürlich nicht. Schade, dass Johan nicht mein Bruder ist...

Juudai hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass ihm jemand aus seinen Händen gerissen wurde. Zwar wusste der Japaner, dass er Johan spätestens in der Schule wieder sehen würde, dennoch war ihm im Augenblick das Herz schwer. Wie aus einem Reflex heraus holte Juudai den blauen Stein wieder hervor und betrachtete diesen genau.

‚[i9Warum hat Vater mir eigentlich so einen komischen Stein hinterlassen? Ich bin doch kein Mädchen, dass ich so etwas trage...’

Schon jetzt war Juudai so gelangweilt, dass er sich darüber Gedanken machte, was er den Tag über tun sollte. Vielleicht sollte er Johans Beispiel folgen und an seiner Kondition arbeiten. Juudai hielt kurz inne, dieser Gedanke schien ihm nicht ganz der richtige zu sein. Joggen war eben einfach nicht sein Leben. Er dachte eine Weile angestrengt nach und setzte sich an den Tisch in der Küche und stützte das Kinn in seine Hände: „Ich könnte Ruki-chan fragen ob sie Zeit hat... ich bezweifle das Johan-kun sich sofort wieder nach draußen bewegen darf ohne vorher stundenlang gelernt zu haben.“

Juudai seufzte. Nach dem Mittagessen würde er zu Ruki gehen um zu sehen ob sie ein wenig Zeit für ihn hatte.
 

Johan erkannte schon das silbergraue Auto seiner Mutter. Seine Familie besaß zwei Autos wobei das eine ausschließlich von seinem Vater gefahren werden durfte, da er der Diplomat in der Familie war und ihm das CD-Nummernschild die diplomatische Immunität in der Gesellschaft einbrachte und von keinem anderen ausgenutzt werden durfte.

Johan seufzte schwer aus. Seine Mutter war tatsächlich schon zu Hause. Insgeheim hatte er gehofft ins Haus zu gehen und eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu finden, dass sie sich verspätete oder ihr etwas anderes dazwischen gekommen war. All seine Hoffnungen wurden mit diesem silbern schimmernden Pfeil vernichtet.

Nur mit langsamen Schritten ging er die wenigen Treppenstufen hinauf und öffnete die Tür. Ruby ließ sich im Gegensatz zu ihm keine Zeit und rannte sofort in das Zimmer ihres Herrchens, dann tat auch Johan einen Schritt in den Hausflur hinein.

„Ich... ich bin wieder zu Hause!“, seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren dumpf und fremd, so als ob er gar keine andere Wahl hatte, als einen vorfreudigen Ton anzuschlagen. Dieser Ruf löste in Johan allerdings auch ein Gefühl der Verbindlichkeit aus. Noch nie zuvor oder nur selten hatte es eine Möglichkeit gegeben, eine Antwort zu bekommen. Er lauschte ein paar Sekunden, auf Antwort wartend wusste Johan im Augenblick nicht, ob er sich die Schuhe ausziehen und in sein Zimmer gehen sollte oder noch warten sollte.

Was denke ich mir eigentlich? Es hat sich nichts geändert!’, schoss es ihm durch den Kopf.

Er lauschte kurz an der Wohnzimmertür. Die dumpfe Stimme seiner Mutter war zu hören, die anscheinend mit jemandem am Telefon sprach: „Ja, Johan kommt bald wieder zurück.

Dann trat eine kleine Pause ein, bevor Helene wieder zu sprechen begann: „Ja, zu Besuch bei einem Schulkameraden. Nein, er scheint mir nicht sehr intelligent zu sein, aber er ist ein netter Junge. Der kleine Japaner von dem er erzäh-...

Eine weitere Pause trat ein, die Johan ausnutzte um seine Ohren noch mehr zu spitzen. Er ist neugierig und hellhörig geworden was dieses Gespräch nun betraf, wenn er Pech hatte, dann würde er Juudai nicht so bald wieder sehen können, wenn schon seine Mutter ihn nicht für intelligent hielt.

Yuuki Juudai. Ja, das ist sein Name. Er-...“, antwortete seine Mutter, Johan war sich nun ziemlich sicher, dass sie mit seinem Vater in Japan sprach, „Warum willst du wissen wie seine Mutter heißt? Sie wohnen hier gleich um die Ecke, Schatz, du wirst also Gelegenheit bekommen dir selbst ein Bild... Warum bist du denn so aufgeregt, ich kann nichts dafür wenn die Situation dort drüben nicht so aussieht wie du es gern hättest. Ich habe dir schon immer gesagt, dass du nicht... Tut mir leid, aber dann solltest du lieber deinen Job da drüben erledigen und zu uns kommen. Ja. Ich dich auch. Bis bald.

Das Piepen beim Betätigen des Knopfes am Telefon drang zu Johan, der unwillkürlich zusammenzuckte. Schnell zog er sich etwas zurück, nicht dass seine Mutter auch noch auf die Idee kam, er würde ihr nachspionieren. Er war sich zwar bewusst, dass er eben dies getan hatte, aber eine härtere Strafe als sein wild klopfendes Herz und die Befürchtung er dürfe Juudai nicht so bald wieder sehen, wollte er nicht riskieren. Johan atmete tief durch und lauschte erneut, er war darauf vorbereitet, so warmherzig wie immer begrüßt zu werden.

Dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Die blonde Frau steckte ihren Kopf durch die Wohnzimmertür um in den Flur zu sehen. Zur Abwechslung hatte sie keine Sonnenbrille auf, wie es für sie nach einem langen harten Arbeitstag üblich war und so konnte er ihre grünen Augen erblicken, die ihn freundlich anstrahlten. Einen Augenblick konnte er sich in ihnen wieder erkennen, schon so oft hatte er von Außenstehenden gehört, er habe die Augen seiner Mutter.

Johan war sich sicher, dass ihm die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand als er leise den Titel dieser Frau aussprach: „Mutter...“

„Johan! Da bist du ja!“, begrüßte sie ihn und kam in den Flur hinaus. Unerwartet nahm sie ihn in den Arm und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Einen Moment lang wollte Johan sie fragen, ob irgendwas passiert sei, denn mit einer solchen Begrüßung hatte er nicht gerechnet und es sah ihr auch schon lange nicht mehr ähnlich, ihn so überschwänglich zu begrüßen.

„Hattest du eine schöne Zeit?“, fragte sie mit süßlicher Stimme.

Noch immer verwirrt über ihr Außergewöhnliches Verhalten nickte der Junge zunächst noch stumm: „Es war sehr schön, Mama. Was ist denn los?“

„Wie kommst du denn darauf, dass etwas los ist?“, stellte sie eine Gegenfrage und sah ihren Sohn verwirrt an, „Ich werde mich doch darüber freuen dürfen, dass ich meinen Sohn wieder sehe?“

„Mit wem hast du telefoniert?“, neugierig blickte Johan in die Augen seiner Mutter hinauf und lächelte so freundlich, wie er es im Augenblick zu Stande brachte.

„Dein Vater hat angerufen. Er wird bald wieder nach Hause kommen, ist das nicht schön?!“, sagte sie ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

„Was stimmt dich denn so glücklich, Mama?“, forschte Johan weiter, der sich mit ihrer einfachen Begründung nicht zufrieden geben wollte. Die Frau mittleren Alters entließ ihren Jungen nun aus ihrer Umarmung und ging in die Küche: „Hast du Hunger? Ich werde uns etwas zum Mittag machen.“

„Mama?!“, mahnte Johan und folgte ihr in die Küche, in der sie schon das Essen vorbereitete. Lächelnd winkte sie ab: „Schon gut, schon gut. Ich werde befördert werden, Johan. Also müssen wir uns um deine weitere Zukunft auf Privatschulen keine Sorgen mehr machen. Na? Was hältst du davon?“

Einen Augenblick starrte Johan sie überrascht an. Er wusste nicht genau, ob er ihr gratulieren sollte oder nicht. Sie hatte sich wirklich schon seit langem um eine Beförderung gekümmert damit sie sich irgendwann die Privatschulen in Oslo leisten konnten, die nicht gerade wenig kosteten. Schließlich nickte er seicht und rang sich zu einer Antwort durch: „Ja das ist wirklich toll! Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich gehe nun meine Hausaufgaben machen.“

„Natürlich, mein Schatz, ich rufe dich, wenn das Essen fertig ist“, entgegnete sie so freundlich wie schon lange nicht mehr und wandte ihm den Rücken zu. Johan ging mit langsamen Schritten in sein Zimmer zurück, in dem Ruby auch schon schnurrend auf ihn wartete. Leise schloss er die Tür und ließ seinen Fuß best gegen sein Bettgestell rasen, wodurch ein ziehender Schmerz durch sein gesamtes Bein fuhr und ihn halblaut fluchen ließ. Die schlanke Katze auf Johans Bett hatte sich erhoben und sah ihr Herrchen mit einer fragenden Miene an wobei sie ihm ein bitteres Lächeln entlockte. Liebevoll kraulte er Ruby hinter ihrem Ohr und ließ sie sofort sein plötzlich aufgetretenes Seelenchaos wissen: „Nicht mal auf eine normale Schule will sie mich gehen lasse, Ruby, ist das zu fassen? Andere Jungen wären sicher glücklich auf eine Privatschule gehen zu können aber... Wir sind doch nicht in Japan. Hier sind die Privatschulen doch nicht elitär... Warum können sie mir nicht meinen eigenen Willen lassen?“

Anstatt seine Hausaufgaben zu machen legte er sich zu seiner Katze aufs Bett und kuschelte das Tier dicht an sich. Sie war wirklich seine beste Freundin der er alles anvertrauen konnte, doch in seinem Herzen spürte Johan, dass ihm Juudai im Moment ganz besonders fehlte. Wenn er es recht bedachte, dann spürte er sogar eine merkwürdige Woge von...

„Sehnsucht...“, murmelte Johan aus.

Er schwieg kurz um sich das Wort noch einmal auf der Zunge zergehen zu lassen. Es fühlte sich im Augenblick alles so bitter an. Dann nickte er wie zu sich selbst: „Ja, ich vermisse Juudai...“
 

Fröhlich wie ein junges Kitz verließ Juudai das Haus und machte sich auf den Weg. Die Sonne war gerade erst durch die dichte Nebelwand gebrochen aber schien schon jetzt durch das abenteuerlustige Herz des Jungen. Seine Schritte waren mal lang und mal kurz, manchmal war Juudai sogar danach in die Luft zu springen und tat eben dies den Weg hinab zu seiner deutschen Freundin. Als er ans Ende der Straße kam, bevor diese sich in zwei Richtungen gabelte, bemerkte er dass sich etwas im Garten bewegte. Rukis Mutter richtete das Beet für den bevorstehenden Herbst her und befreite den Rasen vor herabgefallenen Blättern.

„Ehm...“, begann Juudai etwas schüchtern, da er nun nicht einmal Johan bei sich hatte, der im Zweifelsfalle eingreifen konnte um ihm zu helfen, „Bist du Rukis Mutter?“

Die blonde Frau sah auf und wischte sich kurz mit der Handfläche über die Stirn: „Ja und wer bist du?“

Sie wirkte freundlich und klang ebenfalls so, außerdem wirkte sie auch ziemlich neugierig. Juudai antwortete daher schnell: „Ich bin Yuuki Juudai. Rukis Klassenkamerad!“

„Ach du bist Juudai. Ruki hat schon viel von dir erzählt, es freut mich dich kennen zu lernen“, begrüßte sie ihn, nahm den Arbeitshandschuh ab und reichte ihm ihre Hand. Juudai ergriff diese sofort und lächelte, die Frau war genauso groß wie er was bedeutete, dass Ruki wohl etwas größer als ihre Mutter sein musste.

„Ist Ruki zu Hause?“, fragte er vorsichtig um nicht taktlos zu erscheinen.

„ Ja sie ist im Haus. Wenn du möchtest geh rein und schau nach wo sie ist“, antwortete Rukis Mutter und gab ihm ein Zeichen mit dem Kopf das ihm sagen sollte, er solle nicht zu scheu sein. Juudai bedankte sich mit einer kleinen Verbeugung und lief dann auf die Tür zu, die in jenem Moment geöffnet wurde und er scharf abbremsen musste um nicht mit dem massiven Holz zusammen zu stoßen. Erschrocken blickte Juudai nun in ein paar blauer Augen.

„Ruki-chan!?“, kam es von ihm und trat einen Schritt zurück.

„Nanu Juudai!? Was machst du denn hier?“, wollte sie ebenso überrascht wissen und trat aus der Tür. Verlegen kratzte sich der Japaner am Kopf und zeigte ein Grinsen: „Tja ich wollte dich fragen ob du etwas Zeit hast. Aber du bist wohl auf dem Weg? Irgendwohin?“

„Ja schon, aber ich habe trotzdem Zeit für dich. Ich wollte aufs Dach!“, antwortete sie.

„Auf das Dach?“, unschlüssig sah Juudai nach oben. Warum wollte sie denn aufs Dach klettern?

„Es ist schönes Wetter. Na komm schon du Feigling!“, triezte das Mädchen und machte sich auf den Weg hinter das Haus. Der Japaner folgte ihr und erblickte die ideale Gelegenheit nach oben zu kommen. Hinter dem Haus ging es eine steile Felswand hinauf, vor der allerdings einzelne kleinere Anhöhen befanden die es einem leicht machten das breite Dach zu erreichen.

„Es ist nicht gefährlich“, erklärte Ruki und ging schon vor, „Also komm, oder willst du, dass ich Johan erzähle dass du Angst davor hast?“

Ein störrischer Blick zierte Juudais Antlitz und ebenso kletterte er dem Mädchen hinterher. Er war ein Junge und als solcher sollte er einem Mädchen wohl in so manchen Dingen in nichts nachstehen. Obwohl er nicht der geborene Sportler war, konnte er Ruki schnell einholen. Hin und wieder hatte Juudai befürchtet, dass er abrutschte, doch dann war seine Freundin zur Stelle um seine Hand festzuhalten.

„Du bist ja ein ganz schöner Draufgänger“, scherzte sie und setzte sich auf die Spitze des Daches, das einige Zentimeter zum Sitzen bot.

„Ach jetzt hör doch mal auf mich zu ärgern!“, nörgelte Juudai, hatte aber eine heitere Miene aufgesetzt, „Sonst muss ich dich kitzeln!“

Ruki lachte kurz auf und sah gen Himmel. Die Wolken hatten sich noch immer nicht ganz verzogen, ließen aber der Sonne eine kleine Chance sich zu behaupten. Auch Juudai ließ seinen Blick nach oben zu den Wolken schweifen und seufzte zufrieden aus als ob es auf der Welt nichts Schöneres als diesen Tag und diesen wolkenverhangenen Himmel gäbe. Ruki bedachte ihren Freund mit fragender Miene.

„Was ist denn?“, fragte Juudai plötzlich.

„Eigentlich wollte ich dir die Frage gerade stellen“, antwortete das Mädchen, „Ich habe mich gerade gefragt warum du so glücklich aussiehst wenn du in die Ferne starrst.“

„Nichts weiter. Ich habe an Johan gedacht, ich finde es schade, dass er wieder gehen musste. Aber er ist ja nicht mein Bruder!“, erklärte Juudai.

„Du vermisst ihn also!“, stellte sie grinsend fest und zwinkerte ihm zu. Juudai begegnete ihr mit einem verwirrten Blick, der zusätzlich noch durch einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen verstärkt wurde: „Was ist denn mit dir los, ich sehe ihn doch morgen wieder!“

„Ja, ja, natürlich!“, sie winkte ab, „Sag mal Juudai, warum lässt deine Mutter dich nicht mit deinen Freunden kommunizieren?“

„Sie blockt immer ab wenn ich sie danach frage“, antwortete er sofort.

Ein kleiner Tropfen fiel auf seine Nasenspitze und ließ den Jungen leicht zusammenzucken. Ruki sah gen Himmel hinauf: „Oh ich glaube es fängt gleich wieder an zu regnen!“

Juudai nickte stumm. Durch Ruki musste er wieder an Jun und Shou in Japan denken, seine beiden besten Freunde die ihm so viel bedeuteten. Auf seine Haut tropften weitere kalte Regentropfen, allerdings hielten es die beiden Jugendlichen noch lange nicht für nötig wieder herunter zu klettern.

„Auf jeden Fall braucht ihr beide jemanden, der euch klar macht, dass es euer eigenes Leben ist und ihr selbst entscheiden solltet was ihr damit anfangt!“, meinte Ruki, „Du bist zwar nicht so extrem wie Johan, der seine Zukunft wirklich bis ins Detail planen lässt, aber trotzdem lässt du ein Teil deines Lebens von deiner Mutter bestimmen.“

„Ja aber... Ruki ich muss doch eigentlich auf meine Mutter hören!“, warf Juudai etwas ungläubig ein.

„Schon. Aber in Sachen Zukunft und Umgang mit Freunden ist nicht die Sache deiner Eltern“, meinte sie lächelnd. Erneut nickte er nachdenklich und schwieg, während die Regentropfen immer schneller und unaufhaltsam gen Boden fielen. Auf eine Weise musste Juudai seiner Freundin Recht geben. Er musste allein bestimmen, ob es gut war Kontakt mit seinen Freunden zu halten oder nicht, allerdings war es immer noch seine Mutter auf die er hören musste. Ohnehin hatte es keinen Sinn mehr darüber nachzudenken, er hatte Jun geschrieben und innerlich war Juudai auch recht stolz darauf. Nach der kleinen Stille, während der die beiden Jugendlichen geschwiegen hatten, waren sie beide nur ganz kurz in ihren eigenen Gedankengängen gefangen gewesen und ließen sich vom herunterprasselnden Regen durchnässen. Ruki war es die, die Stille durchbrach: „Juudai wir sollten ins Haus gehen, es wird langsam unangenehm!“

„Hm!?“, der Brünette schreckte ein wenig hoch, „Das beste ist, wenn ich mich auf den Weg nach Hause mache.“

Gemeinsam kletterten Juudai und Ruki wieder vom Dach herunter und standen für einen Moment ein wenig geschützt am Hausrand während die Stärke des plötzlich aufgezogenen Niederschlages das Ausmaß eines Platzregens annahm. Skeptisch sah die Deutsche zum Himmel hinauf: „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, wenn du zu Hause ankommst wirst du pitschnass sein!“

„Das macht doch nichts, ich kann schließlich wieder trocknen und ich will nicht, dass sich meine Mutter unnötig Sorgen macht!“, erklärte er, wandte sich um, winkte seiner Freundin zum Abschied und rannte die Anhöhe wieder hinauf, von der er gekommen war. Das Mädchen stemmte die Hände in ihre Hüften und schüttelte den Kopf: „Dann werd doch nass, du Idiot... ich hätte auch ’n Kaffee gekocht!“
 

„Juudai-kun du bist ja völlig durchnässt!“, rief Reiko als ihr Sohn mit tropfend nassem Haar durch die Tür in den Hausflur kam und sie heiter wie immer begrüßt hatte. Sofort machte sich die junge Frau auf den Weg ins Badezimmer und holte ein frisches Handtuch aus dem Schrank um Juudai das Haar zu trocknen, das ausnahmsweise nicht in alle Himmelsrichtungen abstand sondern klatschnass nach unten hing. Juudai begegnete diesem Verhalten mit einem leisen Murren und wehrte sich leicht dagegen: „Ist doch schon gut, Mutter, jetzt lass das doch, das ist nur Wasser!“

„Trotzdem, Juudai-kun! Gerade jetzt ist das Wetter so unberechenbar, du kannst dich schnell verkühlen!“, wandte sie ein.

„Das ist doch nur ein kleiner Guss!“, stritt der Junge und sah aus dem Fenster. Nun, er musste zugeben, unter einem kleinen Guss verstand er eigentlich auch etwas anderes. Anstandslos zog er also seine leichte Jacke aus und legte langsam Stück für Stück seinen Körper frei um sich trockene Kleidung anzuziehen. Juudai musste gestehen, dass es wirklich sehr angenehmer war als die kalten Sachen die ihm an den Armen, Beinen und am Oberkörper fest klebten, sein anfängliches leichtes Frösteln ließ ebenfalls schlagartig nach.

„Zufrieden?“, fragte Juudai ungewollt hart.

Seine Mutter lächelte ein wenig bitter: „Ja.“

Sie gab ihm einen kleinen Klaps auf den Rücken und fügte hinzu: „Warum glauben Jungen eigentlich immer, dass man ihnen etwas böses will?“

„Das glaube ich doch gar nicht!“, protestierte er und ging ins Wohnzimmer, „Ich kann nur nicht verstehen warum du so ein großes Problem aus so ein bisschen Wasser machst!“

Reiko schüttelte lächelnd den Kopf während sie ihrem Jungen zusah, wie er sich auf die Couch setzte und den Fernseher einschaltete. Sie ließ es damit auf sich beruhen und ließ Juudai seinen Willen, einen kleinen Streit daraus zu machen lag nicht in ihrem Interesse und das war die Angelegenheit auch nicht wert. Die Japanerin hängte nun die triefend nasse Bekleidung ihres Sohnes ins Badezimmer zum Trocknen auf und setzte sich zu ihm. So verbrachten sie die meisten Abende miteinander, wenn Juudai seine Hausaufgaben erledigt hatte und nicht mehr mit seinen Freunden zusammen war. Er saß still mit seiner Mutter zusammen, hin und wieder sprachen sie über die alltäglichen Dinge miteinander und scherzten auch oft.

Dieser Abend entpuppte sich allerdings als ein besonders ruhiger. Schon nach wenigen Stunden war Juudai ein wenig schläfrig zu mute, so dass er sich schnell entschloss sich ins Bett zu legen und in einen traumlosen Schlaf zu fallen, der ebenfalls nicht ganz erholsam sein wollte.
 

Schrilles Piepen biss gemein in seinen Ohren, dabei fühlten sich Juudais Augen noch lahm und schwer wie Blei an. Das Alarmsignal seiner täglichen Weckmaschine drang in seinen Gehörgang und hämmerte wie Hammer und Meißel in seinem Kopf. Es war einfach unerträglich. Langsam öffnete Juudai seine Augen und hob sein schmerzendes Haupt nur um es nach der Vernichtung des Untieres, genannt Wecker, wieder in seine weichen Kissen sinken zu lassen. Er murrte angestrengt und fluchte leicht. Ein kleiner Guss, es war doch nur ein bisschen Wasser gewesen! Warum musste seine Mutter immer wieder Recht behalten und wieso musste sie ihn so furchtbar gut kennen? Im Augenblick schien Juudai die ganze Welt furchtbar ungerecht zu sein und blieb entkräftet, krank und mit schmerzenden Gliedern im Bett liegen. Jetzt fehlte eigentlich nur noch, dass seine Mutter ins Zimmer kam um ihn aufzuwecken, länger als zehn Minuten würde es sicher nicht mehr dauern, also entschloss sich Juudai, seine Augen noch ein wenig ruhen zu lassen.

Während er seine Augen geschlossen hielt, fühlte er sich als würde er schweben. Sein Körper war leicht und gleichzeitig fühlte sich sein Kopf an als würde er zerplatzen. Er merkte gar nicht, wie er die Grenze von leichtem Dösen und Tiefschlaf überschritt und von neuem einem unruhigen Schlaf erlangte, aber dieser sollte nicht lange anhalten.

Ein weiteres schrilles Klingeln riss den Jungen abermals aus dem Schlaf. Ob er nun durch diesen widerwärtigen Schreihals geweckt wurde oder aber von einem anderen Geräusch wurde ihm erst klar, als seine Mutter ihren Kopf durch den Spalt zwischen Rahmen und Tür steckte. Im ersten Moment sah sie ihren Sohn ein wenig verärgert an und wies ihn zurecht: „Yuuki Juudai! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du abends keine Mangas mehr lesen sollst!?“

„Mutter...“, nörgelte er und zog sich die Decke wieder über den Kopf. Es kam kein Protest mehr von seiner Seite. Nur ein aufgegebenes Murren und unverständliches. Schließlich ertönte auch Johans Stimme, die ihn drängte: „Juudai komm schon, sonst musst du wieder eine Stunde vor der Tür stehen! Das wird dir angemerkt, das weißt du doch!“

„Johan...“, wimmerte er leicht und zwang sich nun selbst mit schmerzenden Kopf aufzusetzen, „Mir geht’s gar nicht gut!“

„Juudai-kun!?“, kam es plötzlich besorgter von seiner Mutter.

„Oh je!“, entfuhr es auch dem Norweger und er bewegte sich zu erst zu seinem Freund, ohne darüber nachzudenken, ob Juudai vielleicht etwas dagegen hatte begab sich Johan zum Bett und setzte sich auf die Kante, um die Stirn seines Freundes zu fühlen, „Ja, du hast Fieber. Am besten du bleibst zu Hause und stehst heute nicht auf!“

„Ich habe dir doch gleich gesagt, dass du krank werden wirst, du dummer Junge!“, schimpfte Reiko auf Japanisch während Johan verloren grinsen musste. Er erhob sich sogleich wieder um zumindest Ruki abzuholen: „Wir werden dich bei Sonia entschuldigen. Gute Besserung, Juudai-kun!“

Juudai nickte und schenkte Johan zum Abschied wenigstens ein müdes Lächeln. Nun war es seine Mutter die sich zu ihm aufs Bett setzte und seine Stirn fühlte, sie lächelte ebenfalls leicht: „Zum Glück bin ich noch bis Mittag hier. Nun Juudai-kun, mach mal den Mund auf, hast du irgendwo Schmerzen?“

„Mein Kopf fühlt sich an als wäre ein Laster drüber gefahren!“, antwortete er und öffnete seinen Mund wie Reiko ihm geheißen hatte. Einen kurzen Moment besah sie sich den geröteten Hals und musste schon wieder den Kopf schütteln: „Ein Besuch beim Arzt ist wohl kaum zu vermeiden. Deine Mandeln sind geschwollen... vor den Ferien wirst du wohl nicht mehr zur Schule können.“

„Was!?“, das Entsetzen war Juudai ins Gesicht geschrieben. Eigentlich hatte er sich gerade jetzt in die Schule eingelebt und wollte nur ungern einen Tag ohne seine beiden Freunde bleiben. Enttäuscht lehnte er sich zurück und stellte fest, dass sein Hals ziemlich wehtat und auch das Essen bereitete ihm einige Schmerzen.

Warum konnte er auch nicht auf das hören, was seine Freundin ihm angeboten hatte? Jetzt war er sicherlich eine Woche, wahrscheinlich noch länger zu Hause gefangen.
 

Fortsetzung folgt in Teil 3
 

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Wie immer vielen lieben Dank an mein Sado-Seme Lain, Yamis-Lady, cloudy_wolf, Rainbow-Raychel und mein süßes Asu-Töchterchen für die lieben Kommentare >.<

*euch alle knuddel*

Btw o.o

Wenn es in den nächsten Wochen ein bisschen länger dauert, dann tut es mir leid, ich hab nur ein kleines Bisschen *manisch untertrieben* Schulstress und argh, das nimmt so viel Zeit weg XD

Außerdem möcht ich euch jetzt schon auf mehrere Wochen Funkstille von meiner Seite aus vorbereiten. Im Juli bin ich nämlich 1-3 Wochen weg... Aaaaber ich werd euch noch näheres erzählen, wenn ich selbst weiß, wann genau und so X3

Hoffe euch gefällt auch dieser Teil vom Kapitel X3

De Svartkledde Teil 3

III Zwielicht
 

Großer Verkehr war auf den Straßen zu verzeichnen und vor allem zu hören. Wie immer gab es während der Hauptverkehrszeiten Stau in dem es fast unmöglich war, voran zu kommen. Es war Nachmittag, die Wolkenkratzer der Hauptstadt Japans waren in den weißen Verkehrsdunst gehüllt und verboten den freien Blick auf den noch so blauen Himmel oberhalb der Stadt. Die vielen Gebäude der Geschäftsviertel in Tokio erhoben sich mit der Weisheit der Einwohner und waren ein Symbol der modernen Zivilisation und vermischten sich mit dem Verkehrlärm und dem Stress des neuen Jahrhunderts.

Aus einem altertümlich erscheinenden Gebäude, mitten im Zentrum Tokios, kam ein Mann mit europäischem Aussehen und schwarzem Anzug heraus, er hatte einen rechteckigen Aktenkoffer, der ebenfalls in schwarzer Farbe gehalten war. Der blonde Mann mit dem strähnigen Haar machte den Eindruck eines Versicherungsvertreters oder Bankangestellten. Es war derselbe Herr, welcher vor ein paar Wochen überstürzt das Haus der Andersens verlassen hatte. Nervös sah er auf seine silbernfarbene Armbanduhr und überlegte ob er es sich leisten konnte im Stau zu stehen oder ob er lieber mit dem Zug fahren sollte. Gerade als er sich dazu entschlossen hatte, lieber nichts zu riskieren kam ein weiterer Mann mit weißen Mantel aus dem Parlamentsgebäude und wandte sich an den Europäer: „Harald-kun!“

„Ah, Kaoru-sama!“, die Überraschung stand Johans Vater ins Gesicht geschrieben und wirkte nun noch nervöser als zuvor, „Was... was machen Sie denn hier!?“

Der junge Mann mit Sonnenbrille lachte leise auf: „Aber, aber, Harald-kun, ich glaube wir haben beide hier gearbeitet. Wollen Sie zurück zu ihrer Unterkunft?“

„Ja ganz Recht, ich fliege heute wieder nach Norwegen zurück und ich dachte mir, ich sollte lieber die Bahn nehmen um meine Sachen abzuholen. Ich darf mein Flugzeug nicht verpassen.“

„Macht Ihre Frau Ärger? Ich kann Ihnen eine gute Adresse geben, dort könnten Sie...“, begann der Mann namens Kaoru und erhielt einen mahnenden Blick seines Bekannten, also winkte er kurz ab und fuhr mit einem anderen Thema fort, „Scheuen Sie nicht mit mir zu fahren. Ich werde sie nach Narita bringen.“

Überrumpelt von diesem Angebot ging Harald Andersen auf dieses Angebot ein obwohl es ihm eigentlich widerstrebte die Hilfe des Japaners anzunehmen. Folgsam ging er hinter seinem Bekannten her und stieg dann in eine weiße Limousine. Kaoru nahm neben Herrn Andersen Platz und gab seinem Chauffeur den Befehl loszufahren.

„Und Ihre Geschäfte? Wie laufen die?“, erkundigte sich Johans Vater höflich.

„Nicht so gut, das müssten Sie eigentlich wissen. Seitdem eine der Farben verschwunden ist, haben wir keine Fortschritte mehr gemacht. Es fehlt uns immer noch ein Anhaltspunkt“, erklärte der Japaner und bekam einen betroffenen Blick des Norwegers, „Was haben Sie denn, Harald-kun? Wissen Sie etwa, wer damals das ganze Unternehmen hat platzen lassen?“

„Nein, zu jener Zeit war ich zu Hause“, versicherte Harald.

Kaoru ließ es damit auf sich beruhen, dennoch wirkte der Diplomat etwas mitgerissen von den schlechten Nachrichten seines Bekannten. Zu Recht, denn es war ein wirklich wichtiges Projekt für Kaoru gewesen und er hatte ihn eine Zeit lang nicht unterstützt.

Die Fahrt in der Limousine dauerte nicht sehr lange, denn der Chauffeur kannte die abgelegenen Seitengassen Tokios sehr gut, was ihm dazu verhalf auf Umwegen trotzdem zu dem Luxushotel zu gelangen, in dem Harald Andersen untergebracht war. Johans Vater stieg aus dem Wagen und verbeugte sich tief vor dem Japaner: „Ich danke Ihnen sehr für die Fahrt, Kaoru-sama! Ich hoffe wir sehen uns bei meinem nächsten Japanaufenthalt ebenfalls wieder.“

Der in weiß gekleidete Japaner sah den Norweger verwirrt an: „Aber, Harald-kun, ich bestehe darauf, dass wir Sie zum Flughafen fahren. Bitte holen Sie ihre Sachen und lassen Sie sich hinfahren. Mir liegt sehr viel daran, jetzt da wir uns endlich wieder getroffen haben.“

Noch einmal verbeugte sich der Europäer tief vor Kaoru und nahm sein Angebot nun wortlos an. Tief im Inneren seufzte er, dass er so viel Pech hatte und verschwand im Hotel um seinen Koffer zu holen.
 

Der viele Regen hatte deutliche Spuren hinterlassen. Obwohl es erst September war, wirkten die Bäume schon schlaff und kraftlos, ihre Blätter hingen trübe nach unten und verfärbten sich langsam, um die Welt in herbstliches Gold zu tauchen. Dennoch hatte sich das Wetter wieder gebessert und der Sonne spätsommerliche Kraft verliehen um der Erde noch ein wenig Wärme zu spenden.

Langsam aber sicher bereiteten sich auch die kleinen Tiere auf ihren Winterschlaf vor, oftmals sah man Eichhörnchen in den Bäumen sitzen, die ihre Nüsse von den langsam verarmenden Baumkronen stahlen um sie in der feuchten Erde zu verstecken. Viele von diesen, würden sie nie wieder finden.

Juudai saß vor dem Fenster auf dem Sofa und starrte hinaus. Schon seit Tagen hatte ihn ein melancholisches Gefühl erreicht. Zwar hatte Ruki richtig vorrausgesagt, dass das Wetter wieder freundlicher und wärmer werden würde, aber immer wieder erwischte er sich dabei, wie er sich zur Schule sehnte. Es war keines Falls der Unterricht, der ihm so fehlte, auch das Gebäude bedeutete ihm nichts. Was er am meisten vermisste, war Johans Stimme. Diese helle leichte Stimme eines frechen Sommervogels voller Energie die mit ihm japanische Worte sprach, aber Juudai wollte auch gern Ruki wieder sehen, allerdings musste er sich wohl oder übel erst einmal auskurieren und so brach die zweite Woche an, die Juudai noch zu Hause verbringen musste. Seine Laune besserte sich auch in dieser nicht, immer noch ärgerte er sich darüber krank geworden zu sein, die Bitterkeit in seinem Körper nahm ebenfalls zu, denn er erwartete verzweifelt Post von seinen Freunden. Er hatte ihnen bereits vor zwei Wochen geschrieben und langsam konnte er einen Besuch von Johan erwarten. Juudai musste zugeben, dass die Briefe seiner Freunde nicht das aller Wichtigste waren und selbst wenn, musste er wohl einsehen, dass seine Freunde ihn nicht für sonderlich wichtig hielten, wenn sie sich so viel Zeit ließen um ihm einen Brief zu schreiben. Im Augenblick konnte Juudai sich nur über Papier mit seinen Freunden verständigen und sie nicht sehen, deshalb war es ihm wichtiger, sich auf seine Freunde zu konzentrieren die er hier gefunden hatte.

Sein Lager hatte der Japaner im Wohnzimmer auf der Couch aufgeschlagen und sah sich zumeist Glamour Serien im Fernsehen an, doch des Öfteren war er sowieso nicht konzentriert dabei. Seine Gedanken schweiften ab. Sie glitten zu seinem norwegischen Freund. Den Jungen, den er wie niemand sonst in sein Herz geschlossen hatte. Wenn Juudai es sich recht überlegte, dann mochte er Johan fast ein bisschen zu sehr für seinen Geschmack.

Gegen Mittag, als seine Mutter wieder zur Spätschicht gegangen war, klingelte es an der Tür. Mit noch leichten Kreislaufproblemen erhob sich Juudai vom Sofa und schleppte sich in den Flur. Er konnte durch die Glasscheibe die schwarzen Schemen des Mädchens erkennen, es war dasselbe, das mit ihm in eine Klasse ging. Juudai spürte sofort, dass Freude wie der helle Klang eines kleinen Glöckchens Kontrolle über seinen Körper erlangte. Schnell öffnete Juudai die Tür und blickte in das lächelnde Gesicht seiner Freundin.

„Hallo Juudai-kun!“, begrüßte sie ihn, „Kann ich reinkommen?“

„N-natürlich“, antwortete er überrascht und machte ihr etwas Platz damit sie hinein konnte, seine Stimme noch immer rau und kratzig, denn die geschwollenen Mandeln verhinderten, dass er vernünftig reden konnte. Vergnügt, wie Ruki die meiste Zeit über war, wenn sie Juudai nicht gerade neckte, trat sie ein und schlüpfte aus ihren Schuhen. Noch immer war Juudai etwas perplex, sie so plötzlich vor seiner Tür vorzufinden. Dennoch freute er sich wie ein junges Kitz über das erste junge Grün des Jahres. Er beobachtete das Mädchen ein paar Sekunden lang. Sogleich warf Ruki einen Blick in das Wohnzimmer und konnte nicht verhindern leise loszulachen.

„Was ist denn so witzig?“, fragte Juudai ein wenig verwirrt.

Das Mädchen zeigte auf den blauen Teppichboden, auf dem zerknüllte Taschentücher herumlagen und ließ ihren Finger dann auf Juudais unordentliches Lager gleiten: „Das da sieht aus als hätte es ein Mädchen angerichtet, während es Liebesfilme guckt!“

Juudai ließ ein leises Murren hören: „Bin ich aber nicht...“

Er folgte ihr ins Wohnzimmer und legte sich ohne zu zögern wieder auf das Sofa, sein Kreislauf ärgerte ihn ungemein. Ruki hingegen nahm auf dem Sessel platz und sah ein wenig nachdenklich aus: „Sag mal Juudai, schleichen hier immer so merkwürdige Gestalten rum?“

Nun blickte Juudai noch verwirrter in das Gesicht des deutschen Mädchens und stellte eine Gegenfrage: „Was für Gestalten meinst du?“

„Na ja so Männer“, antwortete sie ohne Umschweife.

„Na toll, so genau wollt ich das gar nicht wissen“, bemerkte der Junge sarkastisch, worauf er seiner Freundin ein Grinsen entlocken konnte, dass aber recht schnell wieder erstarb, „Hier laufen doch manchmal Leute rum, weil sie auf den Kolsåstoppen wollen.”

Ruki widersprach sogleich: „Doch dann eher am Wochenende, Juudai! Außerdem waren die schon ziemlich auffallend, die sahen ja aus wie Totengräber. Ganz groß in langen schwarzen Mänteln! Sie kamen mir entgegen als ich herkam.“

„Als du herkamst?“, fragte Juudai etwas überrascht.

„Ja“, antwortete Ruki mit einem Nicken und beugte sich leicht zu Juudai hinüber, „Du dealst doch nicht etwa?“

Ein skeptischer Blick von Juudais Seite aus erklärte Ruki, dass sie wieder ernst werden sollte und nicht so einen Unsinn sagen sollte. Schließlich fuhr sie fort: „Leider hatten sie Sonnenbrillen auf, sonst hätte ich mehr erkennen können. Die sahen eben ein bisschen unheimlich aus, das ist alles.“

„Ernsthaft? So was kann dich erschrecken? Na ja, vielleicht gehörten die ja zum Vermieter, wer weiß das schon“, antwortete der Braunhaarige etwas gelangweilt. Ruki nickte wobei sie eigentlich nur so tat als gäbe sie sich mit Juudais Antwort zufrieden. Ihr war nach Protest zumute, denn normalerweise legte sie ihr Augenmerk nur schwer auf Menschen, die ihr über den Weg liefen und schon gar nicht auf solche zwielichtigen Männer, allerdings wollte sie den Kranken nicht unnötig aufregen.
 

Schließlich, als die beiden einen Moment lang dem Fernseher gelauscht hatten und wohl darüber nachdachten, was sie mit dem jeweils anderen anfangen sollten, ergriff der Japaner das Wort: „Sag mal, gibt es einen bestimmten Grund für dein Kommen?“

„Ich wollte nur Mal nach dir sehen und...“, antwortete Ruki sofort doch brach mitten in ihrem Satz ab, sie überlegte ob sie ihn zu Ende bringen sollte, oder nicht. Das Mädchen machte sogar ein etwas bedrücktes Gesicht, was auch Juudai nicht entging und so wollte er der Sache nachgehen: „Was hast du denn?“

„Also... na ja Johan hat im Moment ein bisschen Ärger mit seiner Arbeit in Gesellschaftskunde. Er hat dieses Mal nur eine vier geschafft“, antwortete Ruki.

Juudai runzelte entrüstet die Stirn und sah seine Freundin mit skeptischer Miene an. So wie er Johans Eltern erlebt hatte und auch durch die Erzählungen seines besten Freundes, konnte er sich zwar denken wie die beiden auf diese Zensur reagiert haben mussten. Juudai war sich sicher, dass sich seine Mutter für ihn gefreut hätte, wenn er in Japan über fünfzig Punkte erzielte.

„Hm...“, kam es eintönig von dem Brünetten.

„Schon ein wenig kompliziert, oder?“, hakte Ruki nach und erhielt ein Nicken als Antwort.

„Eigentlich ein bisschen zu kompliziert!“, antwortete Juudai, „Vielleicht sollte ich ihm einen Spontanbesuch abstatten. Immerhin...“

Ruki musterte Juudais Miene. Er hatte plötzlich ein ziemlich unverwüstliches Grinsen auf den Lippen, als hätte er eben einen Entschluss gefasst. Sie konnte sich schon denken worum es ging, aber Johan in einem solchen Moment zu besuchen war nie besonders klug. Also musste sie schnell vom Thema ablenken: „Ach ja, Juudai... da fällt mir noch was ein! In den Ferien haben Johan und ich schon Pläne geschmiedet. Ich hoffe du wirst dabei sein!“

Der Junge warf seiner Freundin einen überraschten Blick zu: „Das kommt wohl darauf an, was ihr so plant.“

„Wir wollen auf den Kolsåstoppen gehen und dort im See schwimmen. Es ist dort meistens ziemlich verlassen um den See herum, ich weiß eigentlich gar nicht wieso... auf jeden Fall wollen wir dort hinauf klettern. Kommst du mit?“, erklärte Ruki sofort.

„Na klar, was für eine Frage!?“, entgegnete Juudai aufgeregt und sprang beinahe von seinem Lager, keine gute Idee für seine schlechte Konstitution und so ließ er gleich ein gequältes Stöhnen verlauten. Ruki schüttelte leicht den Kopf und erhob sich vom Sessel. Juudai warf ihr einen verwirrten Blick zu und beobachtete das Mädchen während sie an seine Seite trat. Sie zwinkerte ihm keck zu: „Da Johan nicht hier ist, sollte ich wohl dafür sorgen, dass du dich ruhig im Bett hältst, hm?“

„N - nein danke!“, entgegnete Juudai geniert und zog sich die Decke an die Nasenspitze, „Ich komme ganz gut klar, wirklich!“

Ruki kicherte leise: „Juudai, Juudai, wie kommt es, dass du vor einem einfachen netten Mädchen Angst hast?“

„Du und nett?“, neckte der Japaner mit frecher, jedoch immer noch leicht protestierenden Stimme. Der Brünette spürte, dass er leicht errötete, allerdings nur weil Ruki eigentlich schon wieder den Nagel auf den Kopf traf. Johan kümmerte sich schließlich immer rührend um ihn. Das Mädchen stemmte ihre Hände in die Hüften und sah zur Tür: „Eigentlich bin ich jetzt alles losgeworden was ich wollte. Ich freue mich darauf dich endlich wieder neben mir im Klassenraum sitzen zu sehen. Sonia ist schrecklich und ich langweile mich im Unterricht! Ich mache mich mal wieder auf den Weg, ja? Gute Besserung, Juudai!“

„Wa- warte Mal Ruki, ich bringe dich zur-...“, begann der Junge und war schon von dem Sofa aufgestanden, doch das Mädchen gebot ihm sich sofort wieder hinzulegen.

„Lass das Juudai“, mahnte sie, „Ich weiß schon wo die Tür ist und du solltest dich wirklich schonen und bemühen so schnell wie möglich wieder ganz gesund zu werden!“

„Gut“, entgegnete er und setzte sich wieder.

Als Juudai die Haustür ins Schloss fallen hörte und um ihn herum wieder die Stille einbrach, die nur vom Fernseher durchdrungen wurde, überkam den Japaner wieder ein leeres Gefühl als habe ihn gerade ein wichtiger Teil seines Lebens für immer verlassen. Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr seinen Kopf, worauf er seine Hand schnell zu seiner Stirn gleiten ließ: „Oh verdammt... nicht schon wieder...“

Juudais Jammern erstarb allerdings gleich wieder. Aus heiterem Himmel musste er an seinen Vater denken. Wie so oft, wenn er seine plötzlich auftauchenden Kopfschmerzen loswurde.

Warum bist du eigentlich verschwunden? Suchst du vielleicht nach uns, Vater?

Wieder einmal holte Juudai den blauen Stein aus seinem T-Shirt hervor und betrachtete ihn lange.

Wieso hat er ihn mir eigentlich geschenkt... Vor allem... ach verdammt!

Juudai wurde sich langsam bewusst, dass er sich nicht mehr erinnern konnte was genau an jenem Tag geschehen war. Als er diesen blauen Stein bekommen hatte, war es gleichzeitig das letzte Mal, dass er ihn gesehen hatte. Erneut verfiel Juudai in langes anstrengendes Grübeln.
 

Schwer sinnierend war er über eine weitere Matheaufgabe bebeugt. Er zerbrach sich schon seit zehn Minuten den Kopf darüber warum er an einer bestimmten Stelle nicht weiter kam. Zwar gehörte dies zu keiner Hausaufgabe, aber Johan wollte sich beweisen, dass er auch schwierigere Probleme lösen konnte. Ruby lag wie üblich auf seinem Bett und schnurrte vor sich hin. Langsam wie in Zeitlupe hob Johan seinen Kopf und sah aus dem Fenster. Die Sonne noch immer hell obwohl es bereits Abend war, allerdings drang statt Vogelgesang, die Stimmen seiner Eltern in sein Zimmer. Sie diskutierten also immer noch.

Johan hatte ihren Gesprächen schon eine ganze Weile mitverfolgt, allerdings hatten ihn nur ein paar Fetzen erreicht, da er sich nicht so gern vor ihnen zeigen wollte. Was der Junge aber aus den wenigen Fetzen heraus bekommen hatte, handelte von der Arbeit seines Vaters. Teilweise hörte sich der Tonfall seiner Mutter so an als wäre sie sehr echauffiert. Er stand nun langsam von seinem Stuhl auf, der vor seinem Schreibtisch platziert war und beschloss in die Küche zu gehen um sich etwas zu Trinken zu holen. Dabei würde er sicher noch einiges vom Streitgespräch seiner Eltern mitbekommen.

Johan tat so, als würde er nicht schon lange mitbekommen haben was los war und machte sich schnurstracks auf in die Küche. Sein Vater hatte während dieser Auseinandersetzung eindeutig die schlechteren Karten. Johan schüttelte verloren den Kopf, er war sich sicher, dass er eines Tages wirklich jemanden heiraten würde, den er von ganzem Herzen liebte, wenn überhaupt.

Glaubst du ich habe das freiwillig getan?“, schimpfte die Stimme seines Vaters, „Ich glaube nicht, dass ich ihm hätte aus dem Weg gehen können, immerhin hat er ebenfalls seine Geschäfte zu erledigen!

Ich will trotzdem nicht, dass du mit diesen Leuten verkehrst! Du weißt was beim letzten Mal passiert ist und jetzt ist auch noch diese Familie...“, die Stimme seiner Mutter brach unmittelbar ab, Johan hatte das Gefühl gehabt, dass sie sich schnell davon abbringen wollte etwas falsches zu sagen. Für ein paar Sekunden war es wieder still im Wohnzimmer, allerdings ergriff sein Vater wieder das Wort: „Hör mal zu Helene. Ich weiß nur, dass Kaoru-sama immer noch mit seinem Projekt beschäftigt ist und ich wieder zurück bin. Das heißt, wir werden wohl kaum Gelegenheit dazu haben uns zu treffen.

Dieser Irre ist immer noch hinter diesem Zeug her? Wie besessen kann man denn sein?“, herrschte die junge Frau weiter, „Ich wette diese gesamte verdammte Gruppe darauf aus ist dich wieder in ihre Pläne einzuspannen. Ich will nicht, dass du ihnen noch einmal bei so was hilfst, hast du gehört!?

Es kam keine weitere Antwort. Wahrscheinlich hatte sein Vater einfach nur ein Signal mit dem Kopf gegeben. Allerdings war Johan nun hellhörig geworden und beschloss nun wieder in sein Zimmer zu gehen. Mit einem Glas Wasser in der Hand machte er sich auf dem Weg und hielt kurz an der geöffneten Wohnzimmertür an um einen kurzen Blick auf seine Eltern zu erhaschen. Beide saßen auf dem Sofa während sie diskutiert hatten. Es war seine Mutter, die zuerst auf ihn aufmerksam wurde und warf Johan, während er verloren mit seinem Glas Wasser in der Hand im Gang stand, einen scharfen, beinahe mahnenden Blick zu, der ihm sagen sollte, dass er sich lieber um seine Studien kümmern sollte. Gerade als der Junge ihr diesen Wunsch erfüllen wollte, klingelte es laut an der Tür. Das schrille Geräusch scheuchte nicht nur Johans Katze auf, sondern fuhr auch dem Jungen durch Mark und Knochen.

„Ich geh nachsehen wer das ist!“, rief Johan seinen Eltern entgegen, stellte sein Glas geschwind auf seinem Schreibtisch ab und lief ebenso schnell zur Tür.

Als er sie öffnete, konnte Johan nicht anders, als verwirrt auf den kleineren brünetten Jungen zu schauen und ihn schweigend aber höflich wie es sich gehörte, hinein zu bitten. Juudai, der noch ziemlich krank im Gesicht aussah, zögerte nicht um in Johans Haus zu kommen. Es war wirklich keine gute Idee gewesen, schwindlig wie ihm im Augenblick war, musste der Japaner sich erst einmal an der Kommode abstützen.

„Juudai-kun! Du bist doch krank, was machst du hier!?“, fragte Johan mit einigermaßen mahnender Stimme und fühlte die Stirn seines Freundes. Sie war heiß und fühlte sich schwitzig an, jedoch bekam Johan noch nichts weiter als ein freches Grinsen aus seinem Freund heraus.

„Mensch du hast doch Fieber!“, mahnte Johan und schüttelte den Kopf.

„Tut mir ja leid...“, gestand Juudai und ließ sich langsam von Johan in dessen Zimmer führen, nachdem er Herrn und Frau Andersen gegrüßt hatte. Dankbar legte sich Juudai auf Johans Bett nieder und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Aber jetzt sag mal Juudai-kun... Was machst du denn hier?“, wollte Johan wissen, „Warum bist du nicht zu Hause in deinem Bett!?“

„Glaub es oder nicht, Johan... Du hast mir unglaublich gefehlt. Ich hab dich vermisst und mich zu Tode gelangweilt!“, entgegnete Juudai und lächelte matt. Ruby hatte es sich indessen wieder neben dem Japaner gemütlich gemacht, „Bist du jetzt böse auf mich?“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Johan leise und strich seinem Freund ein paar Haarsträhnen zur Seite.

„Na ja, weil du so aufgebracht bist. Übrigens war Ruki-chan heute bei mir und sie hat mir gesagt, dass wir in den Ferien schwimmen gehen“, berichtete Juudai.

Johan nickte: „Das werden wir. Juudai-kun, wenn ich böse auf dich wirke dann...“

Johan biss sich leicht auf die Unterlippe. Er wusste nicht genau wie er es ausdrücken sollte, ohne dass es sich merkwürdig anhörte. Das letzte was er wollte war, Juudai auf falsche Gedanken zu bringen. Die Stimme des Japaners drang leise an sein Ohr: „Dann?“

„Dann nur, weil ich mich um dich sorge, Juudai-kun. Ich will nicht, dass dir etwas passiert und mit Fieber durch die Gegend zu laufen ist die Chance groß, dass du einfach zusammenbrichst!“, erklärte er und gab Juudai einen leichten Knuff in die Wange. Juudai errötete unmerklich mit einem leichten Rosaschimmer. Er mochte diese traute Zweisamkeit zwischen ihnen beiden, so als ob sie nie etwas anderes getan hätten. Juudai lächelte sanft in Johans Gesicht, am liebsten hätte er sich in diesem Moment in seine Arme gelegt. Vielleicht kam der Wunsch nach Nähe durch sein Fieber und das Gefühl im Augenblick eher schwach zu sein, aber Juudai wünschte es sich im Augenblick sehr.

„Sag mal Johan-kun, macht’s dir was aus, wenn ich noch ein bisschen hier bleibe? Ich störe dich auch nicht beim Lernen!“, meinte Juudai leise und kraulte Ruby leicht hinter den Ohren. Johan schüttelte lächelnd den Kopf und erhielt gleich einen enttäuschten Blick seines Freundes: „Es wäre wirklich besser, wenn du dich zu Hause ausruhst. Aber ich mache dir einen Vorschlag, ich bringe dich nach Hause und dann bleibe ich noch ein bisschen, einverstanden?“

„Na schön...“, antwortete der Japaner und raffte sich noch einmal auf. Johan hatte wirklich Recht. Es war eigentlich viel besser, wenn er sich zu Hause ausruhte, doch tief in seinem Inneren hatte Juudai den Drang gehabt Johan endlich wieder zu sehen. Sein Herz hatte in einem merkwürdigen Rhythmus geschlagen, als er endlich wieder die leuchtenden Smaragde seines Freundes erblicken konnte.
 

Auch Johan stand wieder auf und nahm seinen Freund behutsam mit in den Flur. Ein kurzes Gespräch mit seinen Eltern genügte um sie davon zu überzeugen, dass Juudai wirklich eine Begleitung brauchte um nach Hause zu gehen, also schlüpfte der Norweger in seine Schuhe und begleitete Juudai nach draußen.

Die Sonne war mittlerweile schon hinter dem Horizont verschwunden und nur noch blasse Farbschemen des Tages waren noch weit entfernt am Himmel zu sehen. Der erste Abendstern leuchtete schon seit einer Weile am Firmament. Während Johan seine Hand beschützend um die des Japaners gelegt hatte, sah Juudai müde zum Himmel hinauf. Er hatte nicht gedacht, dass ihm gehen allein soviel Kraft kosten könnte. Es war still zwischen den beiden, doch ein inneres Gefühl sagte ihnen, dass sie sich zusammen ganz wohl fühlten, ganz egal wo sie sich gerade befanden. Gerade, als Juudai sich dazu durchringen wollte etwas zu sagen um die behagliche Stille zu durchbrechen, bemerkte er am Ende der Straße drei dunkle Gestalten. Es schienen Männer in langen dunklen Mänteln zu sein, die miteinander tuschelten. Der Junge bemerkte sofort, dass auch Johan ein wenig inne hielt.

„Was ist denn los, Johan-kun?“, fragte Juudai leise.

Die Männer hörten schlagartig auf miteinander zu sprechen. Der Japaner bekam auf einmal das Gefühl, dass es aufgrund seines Japanisch war, allerdings konnte das wohl kaum der Wahrheit entsprechen. Johan verstärkte den Händedruck ein kleines Bisschen, um seinem Freund ein Signal zu geben still zu sein. Es war vielleicht nur ein belangloses Gefühl, dass Johan erreichte, doch er fühlte auf eine Weise, dass sie diesen zwielichtigen Männern besser aus dem Weg gingen und so setzten sie ihren Weg schweigend bis zu Juudais Haustür fort. Hinter der Haustür taute die Stimmung allerdings wieder auf: „Was war denn los, Johan-kun?“

„Keine Ahnung, ich kannte diese Leute nicht. Man sollte in einer Großstadt immer behutsam sein, Juudai-kun. Aber das erzähle ich wohl dem Falschen!“, scherzte Johan und kümmerte sich darum, dass Juudai wieder ins Bett kam und einen warmen Tee zu sich nehmen konnte.
 

~Fortsetzung folgt in Teil 4~
 

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Und wie immer Leute ^^

Vielen Dank für eure Kommentare ^.^

De Svartkledde Teil 4

IV Herbstferien
 

Draußen flimmerte die Luft als sei es Hochsommer im Lande. Der Asphalt auf den Straßen brannte und der hellblaue Himmel, der durch die grelle Sonne beinahe weiß in der Ferne tauchte wirkte, die Welt in ein fröhliches Licht. Es war ein schöner Spätsommernachmittag Ende September. Bald, das wusste Johan, würden die warmen Tage nachlassen und der Herbst endgültig einziehen. Heute wollte der Norweger allerdings nicht an kalten Winter oder ungemütliche Herbststürme denken, sondern einfach nur Spaß mit seinen Freunden haben. Der Norweger war gerade bei Juudai im Hause, denn wie sie es abgemacht hatten, wollten sie an den warmen Tagen der Ferien schwimmen gehen. Zunächst hatte es Juudai noch Überredungskünste abverlangt, damit seine Mutter ihn auch wirklich gehen ließ. Nach seiner Mandelentzündung hielt sie es eigentlich nicht für gut, wenn er sich schon so anstrengte und auf einen Berg kletterte, außerdem war das Wasser sicher kälter geworden. Schließlich gab Reiko den Betteleien ihres Sohnes nach und bereitete ein kleines Bento für ihn vor, ein Lunchpaket, das er mit seinen Freunden teilen konnte. Juudai saß zusammen mit Johan in der Küche und trank eine Tasse grünen Tee während sie gemeinsam auf Ruki warteten. Der Japaner konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, während sie sich schweigend gegenüber saßen.

„Was ist denn los?“, fragte Johan ebenfalls verschmitzt lächelnd.

„Jetzt werden wir ja sehen, ob sie zu spät kommt oder pünktlich ist. Du weißt ja, sie hasst es wie die Pest wenn man sie warten lässt, aber ob sie es selbst kann zur rechten Zeit zu kommen...“, antwortete Juudai und setzte seinen Tee ab.

Johan zuckte mit den Schultern: „Auf einer Seite ist sie ein Mädchen wie jedes andere auch. Sie wird wahrscheinlich darüber nachdenken was für ein Outfit am besten für diese Bergtour geeignet ist.“

„Gerade deshalb sollte sie pünktlich sein. Bei ihren Kleidern würde es mich nicht wundern, wenn sie drei Stunden braucht! Wenn sie normal aussieht, was muss sie denn da schon großartig beachten?“, fragte sich Juudai und sah zur Decke.

„Tja, Juudai-kun über Mädchen hast du noch einiges zu lernen, glaube ich“, warf Reiko nun ein, die ihre Reisbällchen fertig machte, „Eine Frau sorgt sich schließlich sehr um ihr Aussehen. Jungs haben es wesentlich einfacher.“

Juudai runzelte die Stirn und warf Johan einen fragenden Blick zu. Dieser allerdings zuckte abermals mit den Schultern, er konnte sich nicht in diese Situation hinein versetzen, doch er musste gestehen, dass seine Mutter auch immer Ewigkeiten im Badezimmer verbrachte bevor sie beispielsweise zur Arbeit ging.
 

Die Taschen hatten die beiden Jungen bereits in den Flur gestellt, damit sie nur noch ihre Schuhe anziehen mussten und aufbrechen konnten, wenn ihre Freundin kam. Tatsächlich war das deutsche Mädchen sogar überpünktlich bei ihren Freunden angekommen und wunderte sich darüber, dass die beiden Jungs noch nicht startbereit waren. Mit gespielt böser Miene stemmte sie ihre Hände in die Hüften: „Johan, Juudai ihr beiden seid immer die Letzten! Dabei habt ihr mich doch schon gebeten pünktlich zu sein!“

„Wir kommen ja“, entgegnete Juudai, ließ sich die Lunchbox von seiner Mutter geben und ergriff seine Tasche, „Du bist aber ungeduldig.“

Er stupste frech ihre Nase an und war als erster aus der Tür verschwunden. Eher durch Juudais Reaktion leicht verstimmt, als durch die Tatsache, dass sich ihre Kameraden so viel Zeit gelassen hatten, folgte sie dem Brünetten mit schnellen Schritten.

„Yuuki Juudai! Hör bloß auf mich immer zu ärgern, das ist nicht nett!“, mahnte sie und versuchte ihren Freund wieder einzufangen. Dieser streckte ihr frech die Zunge raus und entgegnete unter heiterem Gelächter: „Warum denn, du gehst immer so schön darauf ein, Ruki-chan!“

„Ach“, entfuhr es ihr leicht beleidigt, sie hatte die Jagd durch mangelnde Kondition aufgegeben, „Du bist unmöglich und frech!“

Beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust und fing sich einen fragenden Blick seitens des Japaners ein: „Hey Ruki-chan, jetzt sei nicht gleich beleidigt, oder liegt’ s daran, dass du keine Kleider tragen kannst?“

Johan, der den beiden gefolgt war, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die beiden waren wirklich eine Sache für sich, so verschieden wie Feuer und Eis aber dennoch gute Freunde. Auch Rukis Miene wurde wieder heiterer, als Juudai nachforschte und so machten sie sich langsam auf den Weg.

Ruki war dieses Mal nicht wie sonst in einem mit rüschen besetzten Kleid aufgetaucht, sondern in einer schwarzen kurzen Hose aus Samt, die ziemlich warm aussah, aber laut ihren Aussagen sehr angenehm zu tragen war. Darüber trug sie ein einfaches schwarzes T-Shirt und passende Turnschuhe um vernünftig die Waldwege entlang zu kommen, auch sie hatte eine Badetasche über der Schulter und nun ging sie neben den beiden Jungs her. Es erinnerte sie spontan an ihren ersten Ausflug in den Wald, der eigentlich noch gar nicht so lange her war, allerdings kam es ihr schon wie eine Ewigkeit vor, seit Juudai in ihre Klasse kam.
 

Die drei betraten den schattigen Levrewald, dessen Bewohner unaufhörlich sangen und ihren täglichen Beschäftigungen nachgingen. Es wirkte genauso friedlich, wie es vor wenigen Wochen schon war, lediglich die Farbe der Blätter an den Bäumen unterschied sich durch rote und goldene Herbstfarben gewaltig vom sommerlichen, satten Grün der Tage im August. Dieses Mal war Juudai auch gewillt auf die Anweisungen seiner Freunde zu hören um sich nicht wieder in Gefahr zu begeben. In letzter Zeit gab es genug Vorfälle in die er verwickelt war, auf einen weiteren konnte er gut verzichten. Nachdem die drei Jugendlichen die Brücke, die über den Fluss führte hinter sich gelassen hatten, gelangten sie zu einer offenen Lichtung an der sie wilde Beeren sammeln konnten. Juudai staunte als er die großen rosafarbenen Himbeeren neben den dunkelblauen Brombeeren entdeckte. Die braunen Augen auf die großen Früchte geheftet, konnte er kaum noch an sich halten. Johan beobachtete seinen Freund mit einem warmen lächeln, sah ihm zu wie er zu den Büschen lief um sich dort zu bedienen.

„Wie ein kleines Kind“, meinte Ruki und warf Johan einen vielsagenden Blick zu, „Na was ist? Willst du nicht zu ihm gehen?“

„Was ist mit dir? Du tust ja gerade so als wärst du gar nicht begeistert!“, bemerkte Johan und sah seine Freundin verwirrt an. Ruki schüttelte mahnend den Kopf und tat ein paar Schritte in Juudais Richtung: „Hör endlich auf damit, Johan!“

„Womit denn?“

„Es nicht einzusehen!“, antwortete sie leicht gereizt und ließ den verwirrten Norweger allein auf dem Weg zurück. Im Augenblick wusste Johan nicht genau, was sie meinte, er wurde sich lediglich darüber bewusst, dass ihm der Mund offen geblieben war. Johan fing sich wieder und folgte dem Mädchen zu Juudai, der eifrig Himbeeren und Brombeeren von den Büschen sammelte. Leuchtende Smaragde suchten Kontakt mit den rehbraunen Augen des anderen Jungen. Schlagartig begann sein Herz wieder schneller zu schlagen, es erfreute Johan, Juudai so vergnügt zu sehen obwohl es doch eine so einfache Sache war, Beeren zu pflücken. Mit Juudai schienen diese kleinen Dinge allerdings ganz andere Dimensionen anzunehmen. Es schien etwas besonderes, nicht nur für Johan, doch das konnte der Norweger nicht wissen.

„Wir können ja welche mitnehmen“, Johan erschrak etwas, als er seine eigene Stimme hörte. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass es plötzlich so still geworden war.

Juudai nickte sofort: „Ja, dann haben wir noch mehr, wenn wir aus dem Wasser kommen. Das wird bestimmt toll!“

Auch Ruki half dabei, so viele Beeren wir möglich zu sammeln. Da sie eine ziemlich große Lunchbox von Juudais Mutter bekommen hatten und jeder der beiden anderen noch eine Brotdose mit ein wenig Proviant dabei hatte, konnten sie einiges mit sich nehmen und sich weiter auf den Weg nach oben machen.
 

Der Kolsåstoppen war, wenn man ihn mit den großen Bergketten an der Westküste oder im Norden Norwegens verglich, nicht sehr hoch, seine Steigungen sollte man dennoch nicht unterschätzen. Nachdem Ruki und Juudai sich eine Weile langsam hinter Johan herschleppten und die Wege immer steiler wurden, begann das Mädchen ein wenig zu murren. Der Aufstieg war Stellenweise durch Schiefer und Geröll etwas schwierig aber die eigentliche Anstrengung wurde von den drei Wanderern verlangt, als sie beinahe auf dem Gipfel waren und zum Endspurt ansetzen konnten. Juudai sah das letzte Stück des Berges hinauf, was ihm beinahe die Sprache verschlug: „Da hinauf?“

„Richtig“, antwortete Ruki und klopfte ihm auf die Schulter, „Oder hast du Angst?“

„Hört auf euch zu streiten“, bat Johan bevor Juudai antworten konnte, denn er hatte schon seinen Mund geöffnet um Ruki den richtigen Gegenspruch zu erwidern. Gehorsam ersparte er ihnen dreien jedoch das Theater und machte sich als erster auf den Weg.

Die drei mussten einen ziemlich steilen Hang hinauf klettern, an dem es kaum Gelegenheit gab sich vernünftig festzuhalten und auch das Geröll, das locker auf der Erde lag, machte ihnen den Aufstieg keines Falls leichter.

„Haltet euch gut fest, ich will keine Knochenbrüche“, erklärte Johan und hielt sich hinter Ruki. Er fand es sicherer als Letzter zu gehen, im Falle, dass Juudai oder Ruki nicht weiter wussten. Er hatte diese Strecke schon viele Male in seinem Leben zurückgelegt und kannte ziemlich jeden festen Stein.

„Du bist ja ganz lustig, Johan!“, stellte Ruki fest und warf einen Blick über ihre Schulter. Von ihrem momentanen Standpunkt aus konnte man den Waldweg sehr gut erkennen und selbst wenn sich dort ein Vogel befunden hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, ihrer Blicke zu entgehen. Das Mädchen hielt ein paar Sekunden inne. Sie glaubte dort unten etwas zu sehen, oder jemanden, wenn sie es recht bedachte. Ruki war sich nicht ganz sicher, doch eben meinte sie, einen schwarzen Stofffetzen erspäht zu haben.

„Was ist denn, Ruki?“, fragte Johan schließlich und drängte sie weiter zu gehen.

„Hm... ich dachte, ich habe da unten eben jemanden gesehen!“, antwortete sie und deutete mit einem Finger in die Richtung, die sie meinte.

Juudai wandte sich ebenfalls um und zuckte leicht mit den Schultern: „Wir sind bestimmt nicht die einzigen, die heute auf den Berg wollen oder schwimmen.“

„Schon aber...“, Ruki holte kurz Luft, „Ich dachte das wäre wieder so einer wie letztens, weist du?“

„Wie letztens?“, wiederholte Johan plötzlich interessierter.

„Ja. Als ich nachsehen wollte wie es Juudai ging, da kamen mir drei oder vier solcher Männer entgegen. Sie trugen schwarze Mäntel und Sonnenbrillen, so richtig unheimlich! Na ja... genau wie der eben...“, antwortete Ruki sofort und war innerlich erleichtert darüber, dass Johan es zum Glück nicht ganz als Hirngespinst abtat. Der Norweger nickte, natürlich wusste er was Ruki gemeint hatte. Es war zwar dunkel gewesen, als Johan seinen Freund vor ungefähr acht Tagen nach Hause gebracht hatte, allerdings konnte er erahnen dass sie nicht gerade wenig Geld für ihre Kleidung im Geschäft gelassen haben mussten um diese zu erwerben. Mehr sagen wollte Johan allerdings nicht dazu und gab seiner Freundin ein kleines Zeichen weiter nach oben zu klettern.

'Das wird wohl kaum einer von neulich gewesen sein. Vielleicht ist das ja ein neuer Modetrend oder so was...’, dachte Johan bei sich um sich zu beruhigen. Er hatte zwar von Anfang an ein merkwürdiges Gefühl im Magen gehabt, aber Johan war sich sicher, dass ihm irgendetwas einen Streich spielte. Die Frage warum er eigentlich so misstrauisch war kam nun in seinem Kopf auf. Er hatte doch eigentlich gar keinen Grund fremde Leute für irgendetwas anzuklagen. Wer weiß ob diese Männer überhaupt aus der Gegend waren, eventuell war es auch möglich, dass es sich bei ihnen um Touristen handelte.

Den Rest des steilen Hangs legten sie schweigend zurück. Juudai war der erste der oben ankam und war Ruki behilflich ebenfalls wieder völlig festen Boden unter den Füßen zu fassen. Johan folgte den beiden und nahm Juudais Hand dankend an. Vor ihnen erstreckte sich ein enger, sich windender Weg an dessen Rand noch immer Bäume wurzelten. Für Juudai war es ein imponierender Anblick, wie es die Pflanzen schafften ihre Wurzeln so tief zu schlagen, dass sie selbst bei Sturm nicht abbrachen und herunter stürzten. Eines irritierten ihn nun allerdings doch: „Sag mal Johan, müssen wir noch weiter nach oben? Ich dachte wir wären jetzt endlich oben!“

„Noch nicht ganz. Die Steigung zum See ist auch nicht mehr so schlimm“, meinte Johan und ergriff Juudais Hand um ihm ein wenig Mut zu machen.

In der Tat dauerte es nicht mehr so lange, wie Juudai es eigentlich befürchtet hatte. Schon nach wenigen großen Felsen, die sie erklimmen mussten und einigen Pfaden, die beinahe für einen zierlichen Mädchenfuß zu schmal waren, tat sich vor ihnen eine ganz neue Sicht auf. Zwischen herbstlich geschmückten Büschen und Bäumen, und trächtigen Blaubeerbüschen lag ein großer See, dessen Grund man gut erkennen konnte.

„Das ist ja fast wie zu Hause!“, staunte Juudai mit glitzernden Augen, „Wie in den heißen Quellen bei uns!“

Ruki nickte: „Bis auf, dass der See nicht heiß ist sondern kalt.“

Sie legte ihre Badetasche ab und breitete eine Decke aus. Dann machte sie sich daran, ihre Sachen auszuziehen, worauf Juudai sie etwas verblüfft ansah.

„Was ist denn mit dir los, Yuuki Juudai?“, fragte sie ein wenig bissig.

„Ziehst du dich immer vor aller Augen aus?“, entgegnete der naiv dreinschauende Junge mit einer Gegenfrage. Das Mädchen ließ ein entrüstetes Geräusch verlauten und erklärte mit ruppiger Stimme: „Ich habe meinen Badeanzug drunter, kapiert!?“

Ihre Wangen waren errötet ohne dass sie selbst es realisierte. Mit nur wenigen Handbewegungen hatte sie sich von ihren Alltagsfesseln befreit und sprang mit einem großen Satz ins kühle Nass. Juudai, der noch immer etwas verwirrt, aber beruhigter auf das nun tauchende Mädchen starrte konnte sich nicht beherrschen und leise vor sich hin lachen. Dann wandte er sich an Johan, der noch keine Anzeichen machte, dass er sobald ins Wasser wollte. Ein schmutziges Grinsen zierte nun das Gesicht des kleinen Japaners und warf seinem Freund einen schelmischen Blick zu, den Johan erst nach einem kurzen Moment richtig wahrnahm.

„Was ist denn?“, kam es verwirrt aus seinem Munde.

„Ich frage mich grad warum du so lange brauchst!“, antwortete Juudai, „Immerhin ist Ruki-chan schon lange im Wasser Johan-kun!“

Juudai war auf Japanisch umgestiegen um Johan ein wenig zu necken. Dieser sah den Brünetten mit einer fragenden Miene an, er konnte im Moment noch nicht nachvollziehen, was Juudai meinte. Als Johan immer noch keine Regung zeigte oder Anzeichen gab zu Antworten, ergriff der Japaner die Gelegenheit sich seinen Freund unterwürfig zu machen. Mit einem kleinen Sprung rang er Johan zu Boden und begann ihn zu kitzeln.

„Juudai-kun!!! Juudai! Lass das!“, brach es aus dem Jungen heraus, der nun im Gras lag und lauthals loslachen musste. Auch Juudai konnte nicht an sich halten, als er seinen Freund so herzhaft lachen und sich winden sah, es steckte den Asiaten ebenfalls an und machte es ihm nur noch schwerer mit seiner Folter weiter zu machen.

„Was hast du davon, wenn du dich nicht zum schwimmen bewegen lässt!“, scherzte Juudai und machte sich am Oberteil seines Freundes zu schaffen, „Na komm schon, du wirst doch nicht wasserscheu sein?“

„Juudai-kun, lass das!“, forderte Johan strenger, doch davon ließ sich sein Freund gar nicht beeindrucken. Statt seiner unter Lachen herausgebrachten Bitte nachzukommen, begann Juudai das T-Shirt seines norwegischen Freundes aufzuknöpfen. Mit einem Ruck fing Johan, Juudais Hände ab, bäumte sich auf und sorgte dafür, dass der Kleine sich nun an seiner Stelle im Gras befand.

„Rache ist süß, Juudai-kun!“, meinte Johan und befreite seinen Freund mit nur wenigen, schnellen Handgriffen von dem eng anliegenden T-Shirt wobei er noch verschmitzt grinste, dann aber in die tiefbraunen Augen seines Freundes blickte und langsam realisierte was er eigentlich gerade gemacht hatte, „So leicht... bekommst du mich nicht...!“

Das Kleidungsstück achtlos bei Seite geworfen, entließ Johan den Kleineren wieder aus der kurzen Gefangenschaft und stand auf. Juudai, der in diesem Moment gar nicht richtig nachvollzog was eigentlich abgelaufen war, starrte zu dem Norweger hinauf und blieb an den leuchtenden Smaragden hängen. Der leichte Rotschimmer auf Johans Wangen entging Juudai dabei, allerdings konnte der peinlich berührte Junge die züngelnden Flammen auf seinem Gesicht spüren und auch, dass er seinen Blick wieder nicht ohne Zwang von dem feingliedrigen Oberkörper wenden konnte.

Eine Ohrfeige würde mir gut tun...!’, dachte Johan und unterbrach den kurz aufgekommenen Gedankengang.

Warum fand er den kleinen Juudai nur so wunderschön?

Warum so anziehend?

Johan schüttelte leicht den Kopf und sorgte für etwas Verwirrung bei Juudai. Der Brünette sagte allerdings nichts weiter, sondern stand ebenfalls auf und kramte seine Badehose aus der Badetasche, während Johan sich langsam umzog. Juudai konnte nicht wissen, dass Johan ab und zu kleine versteckte Blicke zu ihm herüber warf. Vom See her ertönte Rukis Stimme leicht ungeduldig: „Hey ihr beiden Turteltauben, was treibt ihr dort so lange?“

„Ach sei doch ruhig!“, murmelte Johan ein wenig gereizt, so dass nur Juudai es hören konnte und war als zweiter im Wasser. Etwas verwirrt über Johans Reaktion folgte auch der Brünette langsam in den See.
 

Das kristallklare Wasser war eine Wohltat nach dem anstrengenden Aufstieg und der erneut aufgekommenen Hitze. Ruki hatte einigen Spaß dabei Juudai ein wenig zu necken und ihn mit Wasser nass zu spritzen, was in einer kleinen Wasserschlacht endete. Das Lachen der beiden war wohl noch einige Meter weit über das Plateau des Berges zu hören, nur Johan war ziemlich still geworden und schien in Gedanken versunken. Er hatte sich ans Ufer gesetzt und beobachtete Juudai und seine Freundin beim herumtollen, obwohl, Johan musste zugeben, dass er sein Augenmerk kaum von Juudai nehmen konnte. Ihm wurde langsam klar, dass er seit Juudais Auftauchen kaum mehr an etwas anderes gedacht hatte als an seinen hilflosen Freund. Eigentlich hatte er ihm doch nur helfen wollen Norwegisch zu lernen, doch jetzt waren aus ihnen sehr gute Freunde geworden. Er war sogar manchmal ein wenig beleidigt, wenn er daran dachte dass Juudai vielleicht irgendwann mal wieder mit jemand anderem im Sportunterricht zusammenarbeiten musste. Das alles kam ihm ziemlich merkwürdig vor.

Schließlich bekam er einen Schwung kaltes Wasser in sein erhitztes Gesicht gespritzt und konnte einen Aufschrei kaum mehr verhindern. Überrascht sah Johan zwischen dem Mädchen und Juudai hin und her.

„Aufgewacht, Johan-kun!“, forderte Juudai schließlich mit einem frechen Grinsen und spritzte ihm ein weiteres Mal Wasser ins Gesicht. Johan wischte sich kurz über die Augen, er war so perplex, dass er ihn gern angefahren hätte, doch er versuchte sich zusammen zu reißen. Nach einer Stille von ungefähr zehn Sekunden hatte sich Johans plötzlich aufgekommener Zorn wieder verflüchtigt, als er sich erneut in den braunen Augen seines Freundes verlor.

„Entschuldige, Juudai-kun“, entgegnete Johan und schwamm wieder zum anderen Ende des Sees um ans Ufer zu gelangen, „Ich glaube... ich habe einfach nur einen schlechten Tag oder so was. Mach dir nichts draus, ich bereite das Picknick vor!“

„Was? Aber Johan-kun!“, Juudai wollte protestieren und ihm nachgehen, allerdings wurde er von Ruki abgehalten.

„Ich glaube du lässt ihn mal ein paar Minuten allein, er wirkte gerade etwas... angespannt“, erklärte sie leise und zog Juudai etwas weiter ins Wasser. Sie konnte genau erkennen, dass Juudai ihr nicht ganz folgen konnte.

„Glaubst du, dass liegt an mir?“, wollte er betrübt wissen.

„Ach Quatsch! Schließlich hat er im Moment sehr viel Stress mit seiner Mutter, nimm es dir nicht so zu Herzen!“, entgegnete Ruki und klopfte ihm tröstend auf den Rücken, in ihrem Kopf ging allerdings etwas ganz anderes vor.

Ich kann dir ja wohl schlecht sagen, dass dies hier genau Johans Problem ist. Ich sollte mich wirklich da raus halten...’, sie seufzte leise aus, wenn diese Angelegenheit aus dem Ruder lief, könnte es ziemlich dramatisch werden. Zu dramatisch, für Rukis Geschmack.

Nachdem sie sich ganz sicher war, dass Johan genug Zeit hatte um sich zu beruhigen, gesellte sie sich mit Juudai wieder zu ihm. Nass und tropfend setzten sich die beiden zu ihm und machten sich über den mitgebrachten Proviant her. Juudai sah etwas betrübt auf sein Reisbällchen hinab. Nachdem er von Johans schlechter Laune erfahren hatte, wusste er kaum noch etwas mit sich anzufangen. Dabei hatte sein Freund noch so heiter gewirkt als sie miteinander rangelten. Oder hatte es ihn vielleicht wütend gemacht, dass er so kindisch war?

Um die Lage zu testen beschloss Juudai sich doch noch an seinen Freund zu wenden: „Jo-... du Johan?“

„Hm?“, kam es von seiner Seite aus. Seine Miene wirkte wie immer, unbeschwert und freundlich, auch die hellgrün leuchtenden Smaragde wirkten kein bisschen nachdenklich oder anderweitig verstimmt. Johan schien so wie immer zu sein.

„N - nichts ich wollte nur...“, Juudai hielt ihm seine Lunchbox hin, „Na ja, bedien dich wenn du willst!“

Überraschung spiegelte sich nun im Gesicht des Norwegers wider. So wie Juudai vor ihm saß, schüchtern und verunsichert, hatte er ihn lange nicht mehr gesehen. Johan fühlte sich etwas schuldig, es war kein Wunder, dass Juudai so verwirrt war. Sie hatten sich noch nie gestritten und auch sonst war die Welt für Johan in Ordnung, wenn Juudai bei ihm war und dafür sollte er ihm eigentlich dankbar sein. Der Türkishaarige setzte nun wieder ein klares Lächeln auf: „Gern, danke!“

Wie Juudai ihm angeboten hatte, nahm Johan sich eines von den Reisbällchen heraus und nahm einen kleinen Bissen. Jetzt schien Juudai immerhin ein wenig beruhigter zu sein. Ruki musste allerdings zugeben, dass sie trotzdem noch ein bisschen verstimmt war: „Johan ich finde du solltest nicht so unhöflich sein, wo bleiben denn deine Manieren!?“

„Du hast Recht“, gab er ohne Widerworte zu, „Es tut mir wirklich leid Juudai-kun. Ich hätte es dich nicht spüren lassen dürfen!“

„Macht ja nichts. Ich bin nur froh, dass du nicht wütend auf mich bist. Ich werde versuchen nicht mehr so kindisch zu sein!“, versprach er und handelte sich damit verwirrte Blicke seiner Freunde ein. Johan hatte eigentlich noch etwas dazu sagen wollen, ließ es aber auf sich beruhen. Vielleicht würde ein ruhigerer Juudai ihn nicht mehr so unverschämt schnell aus der Fassung bringen.
 

Die Sonne stand schon recht tief am Himmel, als die Drei sich wieder auf den Weg nach Hause machen wollten. Johan hatte eigentlich noch gar keine Lust sich wieder in sein Heim zu begeben. Immerhin Er hatte er seinen Eltern versprochen die Ferien über viel und intensiv zu lernen, so dass ihm wohl kaum noch Zeit für Juudai bleiben würde.

Als sie ihre Taschen wieder geschultert hatten, machten sie sich also auf dem Weg. Zunächst nahmen sie noch einen kleinen Umweg über das Plateau um Juudai den Ausblick über die gesamte Gegend zu zeigen. Beeindruckt stand der Braunhaarige einen Moment am Rand der Hochebene und überblickte die vielen kleinen Orte, die um den Kolsåstoppen herum lagen.

„Wundervoll!“, gab er mit leiser Stimme zu.

„Ja, nicht wahr? Von hier aus überblickt man einen großen Teil unserer Kommune! Als ich zum ersten Mal hier war habe ich verstanden, dass es eigentlich gar nicht so schlecht ist, neue Orte kennen zu lernen!“, erklärte Ruki und klopfte Juudai auf den Rücken. Johan nickte, er konnte sich noch daran erinnern, dass er es war, der sie zum ersten Mal hier her brachte. Es war ebenfalls ein sonniger Tag gewesen und gemeinsam hatten sie die untergehende Sonne betrachtet. Johan atmete tief durch, sie mussten sich schnellstens auf den Rückweg machen, auch wenn es ihm schwer fiel.

„Na kommt schon, wir müssen los sonst wird es zu dunkel!“, erklärte er und wandte sich um. Schlagartig erstarrte er. Weit hinten bei den Büschen, die zum See führten erkannte er einen Mann mit schwarzer Sonnenbrille, der sich gerade eine Zigarette angezündet hatte. Johan konnte seine Augen durch die stark verdunkelten Gläser nicht erkennen, allerdings hatte er im Gespür, dass dieser Mann sie im Visier hatte. Wie lange er sie schon beobachtet hatte oder warum war ihm allerdings nicht bewusst, allerdings fragte sich der Norweger, warum sie ihn die ganze Zeit über nicht bemerkt hatten.

„Was ist denn Jo…ha-...“, sagte Ruki und erstarrte ebenfalls neben ihrem Freund als ihr Blick auf den Schwarzgekleideten hängen blieb. Juudai hielt sich hinter seinen Freunden und betrachtete den Fremden aus sicherem Abstand.

„Seht ihn nicht zu lange an“, murmelte Johan, „Ich weiß nicht, aber ich mag diese Situation nicht. Folgt mir langsam, bleibt ganz ruhig, wahrscheinlich sieht er uns auch gar nicht an.“

„Soll das ein Witz sein!?“, brach es aus Ruki heraus und wurde mit einem „Pssst!“ von Johan ermahnt, so dass sie leiser fortfahren konnte, „Wie offensichtlich muss es denn noch werden? Der Kerl ist ein Stalker!! Und wer weiß wie viele Freunde er überhaupt dabei hat! Beeilen wir uns lieber!“

Sowohl Juudai als auch Johan waren einverstanden den Berg umgehend zu verlassen. Sie bemühten sich, nicht hektisch zu wirken damit es nicht so aussah, als ergriffen sie panisch die Flucht. An diesem Abend sahen sie nichts mehr von den schwarzgekleideten Männern, allerdings waren sich alle einig, dass sie wohl nicht zum letzten Mal in ihrer Nähe waren. Johan brachte Juudai vorsichtshalber noch bis zu seiner Haustür, Ruki bestand darauf den Rest des Weges allein zu gehen, damit sie nachts keine Paranoia bekam, womit sich Johan aber nur schwer abfinden konnte.

„Juudai-kun, am besten du erwähnst nichts vor deiner Mutter, immerhin-...“, Johan konnte nicht weiter sprechen. Juudai hatte sich ihm in die Arme geworfen und umarmte ihn fest und drängte sich an seinen Körper. Der Norweger konnte nichts anderes tun als seine Umarmung zu erwidern. Für einen Moment glaubte Johan Furcht in Juudais Benehmen zu vernehmen.

„Ich will nicht wieder wegziehen, Johan-kun!“, flüsterte Juudai schließlich, „Ich werde sie mit keiner Silbe erwähnen!“

„Weißt du wer das war?“, wollte Johan wissen und löste Juudai sanft von sich um ihm in die schokoladenbraunen Augen zu sehen. Ein Kopfschütteln reichte ihm als Antwort, anscheinend hatte Juudai lediglich Angst davor, dass seine Mutter dies wieder als eine Möglichkeit sehen könnte wegzuziehen und das, nachdem er sich so gut eingelebt hatte. Juudai nahm Blickkontakt mit Johan auf. Er wirkte noch kleiner als zuvor auf dem Berg als er das Wort ergriff: „Wann kann ich dich wiedersehen?“

„Komm einfach Morgen vorbei. Ich muss aber lernen“, antwortete Johan nach kurzem Überlegen.

„Bekommst du dann nicht Ärger?“, wollte der Brünette kleinlaut wissen.

Ein Lächeln umspielte nun die Lippen des Größeren und versetzte Juudai einen leichten Knuff in die Wange: „Das ist es mir wert! Also geh jetzt!“

Er zwinkerte Juudai zu und gab ihm einen kleinen Schubs in Richtung Haustür. Ihm war zwar bewusst, dass es schwer werden würde seine Eltern morgen davon zu überzeugen, dass Juudai ihm ein wenig Nachhilfe in Gesellschaftskunde geben könnte, aber er wollte es auf jeden Fall versuchen, immerhin wollte er nicht, dass Juudai sich hier in seiner neuen Heimat irgendwie unwohl fühlte. Diese schwarzen Gestalten machten den jungen Norweger dennoch zu schaffen und bereiteten ihm eine unruhige Nacht.
 

~Fortsetzung folgt in Kapitel 6: Prosjektuke – Projektwoche~
 

Nachwort:

Ich habe wieder wie bei einem Marathon geschrieben und das 5. Kapitel innerhalb von ein bis zwei Wochen geschrieben und ich hatte so meinen Spaß dabei. Der Spaß kam aber nicht allein vom Schreiben, sondern vom Ausbessern der groben „holla, was’n das jetz?!“ -Fehler. So digitierte Juudai zu einem Norweger, Ruki bekam zwei Köpfe und Sätze wurden halb geschrieben XD

Ich nehme mir bei solchen Dingern dann immer vor, nicht zu schreiben, wenn ich nicht wach genug bin oder wenn ich total verpeilt bin. Sonst kommt nämlich akkurat so was bei raus *g*
 

Ich habe euch auch noch eine kleine Ankündigung zu machen, denn klein Ruky hat sich jetzt die Mühe gemacht und ihre Story in groben Zügen aufgeschrieben um zu sehen wie viele Kapitel sie ungefähr brauchen wird ^^

Fest steht das es höchstwahrscheinlich (also zu 85%) 16 Kapitel werden die, in zwischen 3-5 einzelne Kapitel aufgespaltet werden.(Jedenfalls auf Animexx) Auf das finale Kapitel wird ein Epilog folgen ^.^ Von daher ist der Verlauf der Geschichte jetzt ziemlich festgelegt und ich habe mich auch für eins der beiden Enden, die ich im Kopf hatte entschieden :P
 

So, das Kapitel ist jetzt das längste bisher. Teilweise befürchte ich dass ihr euch ganz schön gelangweilt habt, entschuldigt bitte >.< Das Kapitel diente eigentlich dafür, die Geschichte in die nächste Runde zu schupsen, deshalb habt ihr auch von Kaoru erfahren, der noch ziemlich viel zu sagen hat und ihr habt von den schwarzgekleideten Männern erfahren. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich Detective Conan zu oft gelesen habe *lol*

Ihr ahnt es sicher schon nicht wahr? Johan verliebt sich langsam in Juudai, bzw. er bemerkt es :P

Na ja, wie immer hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat und dass ihr auch beim nächsten wieder dabei seid, denn da verspreche ich euch den beginn eines kleinen Dramas ^.~
 

Ein kleines EDIT: Vielen Dank für eure Kommentare zu diesem Kapitel ^.^ Ich bin glücklich gewesen, dass ihr es alles andere als langweilig gefunden habt. Ich bin echt verdammt froh darüber! Ich selbst hatte so meine Zweifel ^^

Um Asu-chans Frage zu beantworten:

Asuka und Ryou werden nicht in der Geschichte erwähnt, weil sie für die Geschichte nicht wichtig sind. Daher werde ich sie weder erwähnen noch einbauen. Ich sehe irgendwie den Sinn nicht, warum ich sie erwähnen soll wenn sie am Ende überhaupt nicht auftauchen und überhaupt keine Rolle bekommen ^-^
 

Eure Ruky

Prosjektuke Teil 1

Kapitel 6

Prosjektuke

~Projektwoche~
 

I Ein dunkler Montag
 

Die Herbstferien gingen schnell zu Ende. Schneller als es Juudai lieb war und ohne, dass er Johan oft zu Gesicht bekommen hatte. Zu seinem Leidwesen waren Helene und Harald Andersen unerbittlich geblieben und hatten Johan zum strengen Lernen verurteilt. Von Tag zu Tag war Juudai allerdings unruhiger geworden, es kam ab und zu vor, dass er so einem schwarz gekleideten Mann begegnete und er genau wusste, dass niemand bei ihm war, der ihn beschützen konnte. Oftmals saß er in seinem Zimmer auf dem Bett und dachte nach. Es waren aber nicht nur die Schwarzgekleideten, die ihm zu denken gaben, es waren auch Ereignisse in der Vergangenheit, die er eigentlich hätte wissen müssen ohne lange nachzudenken.

Die einzige Gesellschafterin, die Juudai blieb, war Ruki gewesen, die ihm tatsächlich so manches Mal vom Grübeln abhalten konnte. Zusammen lernten sie Norwegisch und Japanisch, für Außenstehende sah es sicher lustig aus, wenn die beiden in einen Laden gingen und Juudai seiner Freundin auf Norwegisch antwortete, während sie sich in Japanisch übte.
 

Die endlosen Herbsttage schritten dahin und auch das kurzzeitige Aufleben der sommerlichen Temperaturen schwand mit den aufkommenden Herbststürmen. Statt eines azurblauen Himmels befanden sich dicke, unheilsträchtige Wolken dort oben am Firmament und drohten jedem, der sich nach draußen wagte, mit einem kräftigen Regenschauer. Juudai war an diesem Montagmorgen pünktlich wach geworden und hatte nun sehr viel Zeit um sich mental auf die Schule vorzubereiten. Er saß wie so oft auf seinem Bett und starrte zum verschleierten Himmel hinauf, dessen Wolken in einem schnellen Tempo vorbei zogen und doch kein Ende nehmen wollten. Jeden Moment würde Johan an der Tür klingeln. Sicherlich war er wieder darauf eingestellt Juudai erst einmal wecken zu müssen, bevor sie sich auf den Weg zu Ruki machen konnten, doch diese Gewohnheit mussten sie heute einmal auslassen.

Seine Mutter hatte das Haus zur Frühschicht schon verlassen und so ging der Junge allein in die Küche und machte sich eine Tasse Kaffee bevor Johan kam. Er setzte sich an das Fenster um hinaus sehen zu können. In letzter Zeit sah er viele Male über seine Schulter, wenn er allein auf der Straße ging und wenn er in seinem Zimmer saß, beobachtete er das Geschehen draußen um sicher zu gehen, dass ihn auch niemand beobachtete. Dabei wusste Juudai insgeheim, dass die wachsamen Augen der dunkel gekleideten Männer immer auf ihm ruhten. Was der Grund für dieses Interesse war, konnte er sich nicht erklären. Er hatte noch nie die Augen dieser Männer gesehen, vielleicht würde ihm eventuell einfallen, ob er sie schon einmal gesehen hatte.

Juudai verfolgte gerade einen Tagtraum und nahm nur die Hälfte von dem war, was um ihn herum geschah. Als ob er in Trance war, folgten seine Augen einem schwarzen Schatten, der zwischen den Büschen umher flüchtete um nach einem geeigneten Versteck zu suchen. Juudai war sich ganz sicher, dass es sich wieder um einen der Stalker handelte. Sie waren lästig, allerdings wollte er auch nicht riskieren, dass seine Mutter in Panik geriet.

Ein schrilles Klingeln ertönte und ließ Juudai erschrocken hochfahren, wobei er beim Aufrichten seiner Selbst den Stuhl umwarf. Donnernd und klappernd kam dieser auf dem Parkettboden der Küche auf. Juudai hatte die Hände auf den Tisch gestemmt und dabei aus versehen die Kaffeetasse umgeworfen. Das braune Getränk hatte sich den Weg über seine Finger gesucht und dampfte noch stark als es ein weiteres Mal an der Tür klingelte. Mit klopfendem Herzen wagte der Japaner einen Blick zur Haustür.

Er spürte es stärker werden.

Langsam.

Langsam kam es immer höher.

Kriechend und kribbelnd wie eine Feder über seinem Rücken.

„Nein...“, er wimmerte leise. Er hatte es noch nie so deutlich gespürt.

Angst.

Angst war in seinem Körper aufgestiegen, er konnte durch die matten Glasscheiben nur Schemen erkennen. Es war nichts zu sehen. Von seinem jetzigen Standpunkt aus, konnte sein Auge nicht erfassen wer vor der Tür stand. Konzentriert darauf, seine Atmung nicht noch schneller werden zu lassen, als sie ohnehin schon war, aber sein Herz hämmerte wie wild gegen seinen Brustkorb.

„Juudai!?“, eine helle, kristallklare Stimme drang durch das solide Holz der Tür. Eine wunderschöne Jungenstimme die der, eines Vogels glich.

Erleichtert atmete Juudai aus. Die Anspannung wich aus seinem Körper und er konnte sich wieder regen. Aus der Starre erwacht ging der Junge mit schnellen Schritten auf die Tür zu und öffnete Johan.
 

Ein paar helle smaragdgrüne Augen musterten den noch immer vor Aufregung schnell atmenden Juudai. Seine Erscheinung war ein wenig wüst nachdem er sich den Kaffee über gekippt hatte und ein wenig davon seine Hose benetzt hatte. Johan warf ihm einen verwirrten Blick zu. Natürlich hatte er den kurzen Krach und die lange Stille im Hause vernommen, doch warum Juudai so nervös wirkte konnte er sich nicht erklären.

„Johan!“, kam es aus dem Munde des Japaners. Er klang wie immer heiter, doch heute lag noch mehr in Juudais Stimme. Etwas Erleichtertes lag darin, dass Johan nicht genau einzuordnen wusste. Nur einige kurze Sekunden des Schweigens vergingen und schon spürte Johan wieder die sanfte Umarmung seines Freundes. Juudai wusste selbst nicht, was er gerade tat, er spürte einfach, dass er Johans Nähe brauchte. Er wollte beschützt werden. Er wollte...

Juudai dachte kurz nach und wurde sich innerhalb weniger Sekunden darüber bewusst, dass er gern wieder in Johans Schoß liegen wollte.

Johan lächelte seicht und fuhr seinem Freund mir einer Hand durch den Haarschopf: „Was ist denn los, Juudai-kun?“

Langsam drängte der Norweger seinen Gegenüber ins Haus um die verbliebene Zeit dort zu verbringen. Er hatte wirklich damit gerechnet, dass er Juudai erst wecken musste und so hatten sie noch über eine Stunde Zeit. Juudai verschloss sicherheitshalber die Tür und wirkte etwas betrübt, als er in die Küche sah.

„Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist“, antwortete Juudai geknickt. Johan folgte seinem Blick wobei er ein wenig stutzte. Der umgestoßene Stuhl und die umgekippte Tasse genügten ihm zum Schlussfolgern. Langsam trat Johan näher an Juudai heran und sah ihn ernst an: „Was ist denn passiert?“

„Ich weiß nicht genau. Ich glaube ich war einfach ein bisschen erschrocken“, antwortete er.

„Ein bisschen!?“, wiederholte Johan ungläubig, „Für mich sieht das nach einer regelrechten Panikattacke aus!“

„Tut mir leid!“, entgegnete Juudai noch einmal.

Johan schüttelte den Kopf und führte seinen Freund in die Küche. Juudai setzte sich und folgte jeder von Johans Bewegungen mit seinen Augen. Verwirrt darüber, dass er die Initiative ergriff um Juudais Verbrechen zu beseitigen, sah er ihn unentwegt an.

„Das brauchst du doch nicht machen!“, meinte der Brünette in protestierendem Ton.

„Ich tu’ s aber!“, entgegnete Johan lächelnd, „Das ist doch nur eine Kleinigkeit, Juudai-kun. Sag mal, was hat dir so Angst gemacht?“

Es war lediglich eine rhetorische Frage um ganz sicher zu gehen. Johan ahnte schon, dass die merkwürdigen Männer in Schwarz daran schuld waren. Juudai holte tief Luft. Jetzt da Johan bei ihm war, kam ihm seine Panik lächerlich vor und vor allem kindisch. Langsam schüttelte er den Kopf und antwortete:

„Es war dumm. Nichts wichtiges, ehrlich.“

„Lüg mich nicht an, Juudai-kun, das mag ich nicht. Es ist wegen dieser Kerle, richtig?“, hakte Johan nun nach und sein Blick verriet Juudai, dass er nun besser die Wahrheit sagte. Er rang sich zu einem Nicken durch.

„Ich weiß, dass sie noch immer in der Nähe sind“, erklärte Johan, „Ich sehe sie oft genug. Glaub mir, ich würde gern wissen was das für Leute sind, aber ich denke so lange sie nicht mit uns sprechen und nichts tun, ist es besser wenn wir auch nichts machen. Juudai-kun ich beschütze dich, okay?“

„Ja“, stimmte er zu. Es war ihm anzusehen, dass er glücklich über Johans Angebot war. Juudai wusste sich zwar durchaus selbst zu wehren, allerdings kam Johan ihm wie ein schützender Schild vor und diesen wollte er gebrauchen. Er wollte sich an Johan halten so lange er konnte und so oft er dazu Gelegenheit bekam.

„Danke, Johan-kun!“, fügte er schließlich hinzu, bevor er sich von seinem Stuhl erhob um seine Schultasche zu holen. Johan nickte ihm zu, er konnte verstehen, dass es Juudai aufregte. Es ging ihm selbst schließlich auch nahe, dass sein sonst viel mehr heiterer Freund wieder so niedergeschlagen war, und dass nur weil ein paar wildfremde Leute es nötig hatten ihm Angst einzujagen. Mit langsamen Schritten folgte er Juudai ins Wohnzimmer und sah ihm zu, wie er langsam die Tür zu seinem Zimmer öffnete und plötzlich wieder erstarrte.
 

„Juudai!!“

Mit schnellen Schritten stand Johan auch schon hinter seinem Freund und erkannte den Grund seines Schreckens. Juudai, der sich im Augenblick seines Schreckens schon wieder umgewandt hatte, ließ sich erneut von Johan in den Arm nehmen. Johan starrte aus dem Fenster, das ihm Ausblick in den Nachbarsgarten bot. Noch immer sah er die leichten Schemen eines schwarzen Mantels. Der Norweger festigte seinen Griff um Juudais Schultern. Er war sich nun sicher, dass sie etwas von ihm wollten, oder gar von der ganzen Familie, die sich zurzeit nur auf Juudai und Reiko beschränkte.

Johans Augen weiteten sich vor Überraschung. Etwas Heißes drang durch den Stoff hindurch auf seine Haut und bereitete ihm wohlige Gänsehaut. Einen Augenblick lang musste er sich sammeln um zu verstehen was eigentlich los war. Nach kurzem Zögern löste er Juudai sanft von sich und hob sein Kinn an: „Nicht weinen, Juudai-kun.“

„Ich...“

„Komm, sonst sind wir wieder spät dran“, meinte Johan und trocknete ihm sanft die Tränen, die Juudai noch auf den Wangen standen, „Du vertraust mir doch, nicht wahr?“

„Tut mir leid!“, entschuldigte er sich wieder, „Bitte verrat’ s nicht!“

Johan entließ den etwas verstörten Jungen entgültig aus seiner Umarmung und wartete bis Juudai mit seiner Schultasche aus dem Zimmer kam. Aus den Augen würde er Juudai nicht mehr so schnell lassen, erst recht nicht, im Laufe dieser Woche, die eine ziemlich spezielle für die Schüler an der Schule darstellte.
 

So machten Juudai und Johan sich wieder auf den Weg zur Schule, der nun grau und trist aussah. Die Blätter der Bäume und Sträucher hatten sich begonnen zu lösen und schmückten Straßen sowie Wege mit unansehnlichen gelblichen und braunen Farbtönen. Die feurigen roten und orangefarbenen Blätter zierten nun keine einzige Pflanze mehr. Auch Ruki war durch die kälteren Temperaturen nun gezwungen ihre Kleider im Schrank hängen zu lassen und sich in gewöhnliche schwarze Kleidung zu hüllen. Ihre Laune war an diesem Morgen heiter wie immer, obwohl es nach Regen aussah. Sie war allerdings ein wenig verwirrt, als sie Juudais Trauermiene erblickte.

„Juudai?“, fragte sie vorsichtig, als sie sich den beiden Jungen anschloss.

Johan schüttelte kurz den Kopf: „Es ist nichts.“

Er sah sich wachsam aber mit Bedacht um damit er nicht den Anschein erweckte, dass er nach etwas oder jemanden Ausschau hielt und fügte leiser auf Japanisch hinzu: „Nicht hier, Ruki-chan!“

Sie nickte wobei sie sich schon denken konnte um was es sich handelte. Wie jeden Morgen legten sie die kleine Strecke zu ihrer Schule innerhalb von fünfzehn Minuten zurück. Auf dem Schulhof nahmen die drei nicht wie üblich für kurze Zeit Abschied, sondern gingen gemeinsam ins Hauptgebäude. Johan war derjenige der, den Klassenraum mittels Lichtschalter erhellte. Mit schnellen Schritten ging er auf die Fenster zu und zog die langen Vorhänge zu, damit niemand hinein sehen konnte. Ruki betrachtete die Szene mit gerunzelter Stirn und hochgezogenen Augenbrauen. Sie hatte zwar richtig erkannt um was es ging, jedoch konnte sie diesen Schritt ihres Freundes weniger nachvollziehen. Das Mädchen setzte sich auf ihren Platz und auch Juudai machte es sich auf seinem Stuhl bequem. Nachdem Johan sich vergewissert hatte, dass alle Fenster verriegelt und mit Vorhängen versehen waren, ging er auf seine Freunde zu und setzte sich selbst auf einen Stuhl. Seine Augen waren ernst, die Smaragde die Juudai so mochte drückten hintergründigen Zorn und einen Hauch von Bitterkeit aus. Nach einer kleinen Weile ergriff er schließlich das Wort: „Du weißt warum ich nichts sagen wollte, oder?“

„Jedenfalls nicht, so lange wir da draußen waren?“, murmelte Ruki leise, „Na klar weiß ich das. Aber sagt schon, was ist passiert?“

„Definitiv haben wir es mit Stalkern zutun, Ruki-chan“, antwortete Johan ebenfalls mit gedämpfter Stimme. Er hielt kurz inne wobei er einen Blick zu Juudai hinüber sandte um seine Gesichtszüge zu studieren. Im Augenblick schien er ziemlich ruhig zu sein, was Johan ebenfalls beruhigte. Es sah so aus als fühlte Juudai sich zumindest in der Schule sicher. Mit wenigen Sätzen erklärte er seiner Freundin, was sich soeben in Juudais Wohnung abgespielt hatte und jagte selbst dem unverwüstlichen Mädchen einen kalten Schauer über den Rücken.

„Du meinst... er war so richtig nahe am Fenster?“, fragte sie noch einmal.

Juudai nickte: „Keinen Zweifel. Ich weiß auch nicht was diese Leute wollen. Oft sehe ich nur einen von denen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie mindestens vier oder fünf sind.“

„Juudai-kun, mach dir mal keine Sorgen! Wenn du Hilfe brauchst, ich helfe dir gern!“, meinte Ruki wobei sie allerdings das Gefühl hatte, dass sie nicht sehr überzeugend klang, selbst in ihren Ohren nicht. Juudai zeigte ein seichtes Lächeln. Er wusste ganz genau wie die Schwarzhaarige es gemeint hatte und er war ihr wirklich dankbar, genau wie er Johan für seinen Beistand und die Zuneigung dankte.

Der Norweger stand wieder auf während er einen raschen Blick zur Wanduhr warf, die ihm sagte, dass er sich besser in seinen eigenen Klassenraum begeben sollte. Beim Verlassen des Klassenzimmers wandte er sich noch einmal zu seinen Freunden um: „Wir sehen uns dann nachher!“

Die beiden nickten und warteten wieder auf ihre Klassenlehrerin.
 

Dieser Montag unterschied sich gewaltig von den vorhergegangenen Wochenanfängen und auch der Rest der Woche, würde wesentlich frischer und interessanter für sie werden, denn an der Gjettum Ungdomskole wurde wie jedes Jahr eine spezielle Projektwoche gehalten, die für alle Schüler das selbe Thema bereit hielt. Juudai war zunächst noch sehr überrascht von dieser Wendung, denn Ruki hatte ihm diese Neuigkeit wohl mit dem Verdacht darauf, dass Johan es ihm bereits verkündet hätte, verheimlicht. Sonia hatte sich wieder hinter ihr Pult gesetzt und sich an ihre beiden Schüler gewandt: „Ihr beiden werdet in Johans Klasse übertragen. Zu zweit bringt es nichts ein Projekt zu machen, das versteht ihr sicher, nicht wahr?“

„Natürlich“, entgegnete Ruki, „Es ist uns sowieso viel lieber, wenn wir mit den anderen zusammen sein können.“

„Schön. Ich werde euch zu den zehnten Klassen begleiten“, fügte die blonde Frau hinzu und bewegte ihre Schüler dazu ihr zu folgen. Juudai war noch immer ganz verblüfft über den Umstand, dass er nun eine ganze Woche in Johans Klasse verweilen konnte. Er fühlte allerdings eine hintergründige Welle des Glücks in sich aufkommen, als er sich dem kleineren Gebäude näherte, das vier Klassen der Schule beherbergte. Noch nie waren Ruki und Juudai in diesem kleinen Bau gewesen, wenn sie mit Johans Klasse zusammen gewesen waren, dann stets in der Sporthalle. Im Gegensatz zum Hauptgebäude sah es hier sehr spärlich und wenig einladend aus. Die hellen Wände aus Holz wirkten wie Plastik und das wenige Licht, dass in den Flur fiel ließ die beiden etwas stutzig werden. Sonia lenkte ihre Schritte in einen weiteren Raum, der durch das helle Licht der Lampen, die an der Decke montiert waren erhellt wurde. Die bekannten Gesichter der Schüler, die sie aus dem Sportunterricht kannten, schauten in ihre Richtung. Einige der Mädchen grüßten Ruki und einige Jungs tauschten Blicke aus, die dem jeweils anderen mitteilten, dass sie Juudai doch schon mal gesehen hatten. Durch seine lange Abwesenheit hatte er wirklich nur an einer Sportstunde teilnehmen können.

Schließlich sprach Sonia kurz mit Johans Klassenlehrer und verließ dann den Raum. Der dunkelhaarige junge Mann, mit dem Stoppelbart wandte sich an die beiden Neuankömmlinge: „Also ihr seid Ruki und Juudai!?“

Die beiden nickten, dabei bemerkte Juudai, dass der Lehrer einen eigenartigen Tonfall und eine andere Melodie in der Stimme hatte als die bisherigen Menschen, die er hier getroffen hatte. Ruki schenkte ihrem Klassenkameraden einen Seitenblick, sie hatte den Unterschied bereits registriert.

„Mein Name ist Magnus Jensson und hier Kontaktlehrer. Das heißt wenn es irgendetwas gibt, worüber ihr sprechen wollt, dann könnt ihr das mit mir tun“, erklärte er und erhielt sogleich die erste Frage von Rukis Seite aus: „Du bist Schwede oder?“

„Ja“, bestätigte er.

„Dann musst du Juudai verzeihen, er kommt gerade so mit Norwegisch klar, da wird er dich wohl manchmal nicht verstehen, wenn du schwedische Ausdrücke mit hinein mischst“, erklärte sie, denn sie hatte in dem Vokabular und in der Aussprache schon so einige schwedische Ausdrücke wiedergefunden. Juudai atmete erleichtert auf. Jetzt musste er sich nicht noch der Peinlichkeit hingeben und einfach nur stumm nicken, wenn er etwas nicht verstanden hatte.
 

In Johans Nähe befanden sich noch zwei freie Plätze und somit beschlossen die beiden Ausländer sich dort zu setzen. Juudai schwieg still während Ruki gleich mit Johan anfing zu tuscheln, der neben Brage saß. Sie erkundigte sich bei Johan nach dem Thema, das die Schule dieses Jahr abhandeln sollte.

„Ernährung und das Verdauungssystem!?“, fragte sie ungläubig und sprach das Thema aus als sei es eine unheilbare Krankheit. Es war ihr anzusehen, dass sie sich die Haare raufte und am liebsten wieder nach Hause gegangen wäre.

„Du scheinst nicht gerade Fan dieses Bereichs zu sein“, stellte Brage fest, der wie üblich in weiten Hosen herum lief, die bei Hip Hopern sehr beliebt waren. Lässig saß er auf seinem Stuhl und lehnte sich weit zurück, so dass er zu kippeln begann. Ein höhnisches Grinsen zierte sein Gesicht. Über seinen gut gestylten Haaren trug er eine weiße Schirmmütze die, das Symbol einer Band aufgestickt hatte. Plötzliche Bissigkeit stieg in Rukis Brust auf und drohte aus ihr herauszubrechen: „Ich habe mir wirklich etwas anderes darunter vorgestellt, aber dass du so ein großer Experte auf dem Gebiet bist, habe ich auch noch nicht gehört!“

„Ruhe da hinten!“, die Stimme des Lehrers dröhnte durch das Klassenzimmer und sorgte für sofortige Stille. Juudai und Ruki zuckten innerlich zusammen. Sie waren Lehrer gewöhnt, die nicht Gebrauch von ihrer gesamten Bandbreite der Stimme benutzten. Nachdem also völlige Ruhe herrschte, entschied sich Magnus erneut das Wort zu ergreifen:

„Ihr alle werdet in Gruppen von drei bis fünf Schülern aufgeteilt und zieht ein Thema. Danach könnt ist euch freigestellt, wie ihr eure Zeit zum Arbeiten nutzt!“

Ruki warf Johan einen misstrauischen Blick zu. Dieser hob zur Verteidigung die Hände und lächelte ein wenig um seine Freundin zu beruhigen: „Ich hab’s ihm versprochen, Ruki-chan.“

„Hm... na wenn es nicht anders geht... aber wehe ich muss mich mit dem abgeben!“, meckerte sie mit verschränkten Armen und entfernte sich etwas von ihm, „Ich kann ihn nicht leiden!“

Juudai verfolgte die Situation mit Verwirrung. Er wusste zwar Mittlerweile, dass seine Freundin manchmal sehr ungemütlich sein konnte, aber so hatte er sie noch nicht erlebt. Schüchtern zupfte er an ihrem Ärmel, worauf sie sich leicht zu ihm hinbeugte. Seinen Mut zusammen nehmend fragte er so leise, dass nur sie es hören konnte: „Was hast du denn gegen ihn?“

„Was ich gegen ihn habe? Er ist ein Flegel!“, antwortete sie nun so, dass auch Brage es hören konnte.

„Am besten wir beenden die Diskussion“, meinte Johan und erhob sich von seinem Stuhl um eine Aufgabe zu ziehen, „Sonst artet es noch in einem Massaker aus.“

Beide gaben sich damit einverstanden die Sache auf sich beruhen zu lassen. Nach wenigen Minuten kehrte der Norweger auch schon mit der Gruppenaufgabe zurück, die darin bestand sich die Nährwerte von McDonnald’s Produkten herauszusuchen um eine Liste zu erstellen und diese dann in einem Vortrag darzulegen. Ruki seufzte leicht aus. Ein Vortrag. Wenn sie etwas abgesehen von Flegeln und Mathematik hasste, dann waren es Vorträge vor großen Gruppen wie einer Schulklasse. Brage warf ihr einen weiteren hämischen Blick zu, es lief wirklich nicht gut für das Mädchen und dies würde er noch in vollen Zügen auskosten können. Johan überlegte kurz und legte den Zettel auf dem ihre gemeinsame Aufgabe geschrieben und erklärt stand bei Seite.

„Am besten wir versuchen uns erst Mal mit dem Thema auseinander zu setzen. Vielleicht sollten wir uns einen stillen Ort suchen?“, schlug Johan vor.

„Na von mir aus, gehen wir doch in die Bibliothek“, meinte Ruki und stand auf.

„Nein, da sind doch gleich so viele“, meinte Juudai, „Wie wäre es, wenn wir zu mir nach Hause gehen und...“

Juudai hielt kurz inne. Insgeheim verfolgte er die Absicht nicht so schnell wieder allein in der Wohnung zu sein. Johan bemerkte den dunklen Schatten, der über Juudais Gemüt zog und sein Antlitz mit Sorge tränkte. Dabei war Juudai so lebhaft wenn er keine Sorgen hatte, so fröhlich.

‚So liebenswert...’

Johan überkam der Drang seinen Freund wieder in den Arm zu nehmen. Ihn an seinen Körper zu drängen und Worte zu zuflüstern. Worte die ihm Trost spenden sollten, damit er nicht mehr so niedergeschlagen war. Am liebsten...

‚Reiß dich zusammen!’, ermahnte er sich selbst und vertrieb den plötzlich Gedanken wieder. Stattdessen wurde ihm klar, dass auch er sich erhoben hatte und nun an Juudais Seite stand, der noch immer auf seinem Stuhl saß und Johan nun einen fragenden Blick zuwarf.

„Lass uns zu dir gehen!“, meinte er mit einem seligen Lächeln auf den Lippen und hielt Juudai seine Hand hin. Dieser nickte kurz und ließ sich aufhelfen. Gemeinsam verließen Juudai, Johan und Brage den Klassenraum nachdem sie sich beim Lehrer abgemeldet hatten. Ruki schüttelte unmerklich den Kopf wobei sie sich den drei Jungen anschloss.
 

Das rote Holzhaus war noch immer von welkenden Pflanzen umgeben und durch den dunkelgrauen Wolkenhimmel im Hintergrund wirkte die Gegend wenig einladend, wie auch der Rest der Umgebung. Die Luft war feucht und ging den vier Jugendlichen durch Mark und Knochen. Besonders Juudai fror innerlich, doch dies kam nicht allein vom trüben Wetter, sondern auch durch den Umstand, dass er sich in seinem eigenen Zimmer nicht mehr wohl fühlen konnte.

Nachdem Juudai die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen hatte und seine Freunden sowie Brage herein bat, sah er sich wachsam um. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sich vielleicht auch jemand Einlass in sein zu Hause verschafft haben könnte. Johan ergriff kurz seine Hand und drückte diese fest, so als ob Johan ihm sagen wollte, dass er ganz genau wusste was Juudai fühlte. Schließlich zeigte Juudai ihnen kurz sein Zimmer, das viel zu klein war um es sich zu viert gemütlich zu machen, also setzten sie sich an den Esstisch im Wohnzimmer. Brage präsentierte sich, wie es zu seinem Charakter passte, in einer lässigen Pose. Er hatte einen Arm über die Stuhllehne gelegt und trieb Ruki allein durch dieses Gebaren zur Weißglut.

Johan hatte sich neben Juudai gesetzt und las sich noch einmal die Aufgabenstellung durch. Nach kurzem Überlegen ergriff der Türkishaarige das Wort: „Ich glaube es wäre gut, wenn wir morgen nach Oslo fahren und die Restaurants abklappern.“

„Das nennst du Restaurant?“, wollte Ruki mit überraschter Miene wissen, „Ich würde eher sagen es ist eine Junkfood – Billigladen – Kette!“

Juudai konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, sie konnte ihre Zickigkeit wieder nicht verbergen.

„Wie auch immer wir es nennen mögen, wir sollten dorthin und ein paar Angestellte interviewen und uns diese ... diese Nahrungslisten geben lassen“, meinte Johan mit nachdrücklicher Stimme und sah in die Runde. Brage grinste und mischte sich nun auch in das Gespräch ein: „Man merkt dass du nicht oft dort zu Gast bist Johan!“

‚Wohl eher nie’, murmelte er in Gedanken vor sich hin, wobei seine innere Stimme schon recht genervt klang.

„Sonst wüsstest du schließlich, dass diese Ernährungstafeln frei zugänglich sind“, erklärte er und ließ seine Finger unangenehm knacken, so dass es alle hören konnten.

„Johan? Was schlägst du vor sollen wir mit dem Vortrag machen?“, wollte sie wissen.

„Na ja, ich hab da so an ein kleines Rollenspiel gedacht“, antwortete er schnell.

Ruki sah ihn entsetzt an. Von Lampenfieber hatte Johan wohl noch nie etwas gehört. Juudai sprang dagegen vorfreudig auf: „Oh ja, das wird bestimmt lustig!“

Juudai hatte ebenfalls genug Selbstvertrauen um sich auf so etwas einzulassen und ihrer letzten und einzigen Hoffnung, Brage, wollte sie sich nicht bedienen. Also fasste sie sich ein Herz und nickte zustimmend: „Ja, das klingt super!“

„Hört, hört“, höhnte Brage und stand schließlich wieder auf, „Was machen wir heute, großer Meister Johan?“

„Es gibt sicher etwas, das jeder von uns tun kann. Ruki-chan kann sich zum Beispiel das kleine Stück überlegen. Auf jeden Fall in groben Zügen, weil wir immerhin noch nicht so richtig wissen was wir für Informationen bekommen. Wir anderen suchen diesen Stoff und Morgen treffen wir uns um neun beim Bus und fahren in die Stadt!“, erklärte Johan sofort. Es schien als hätte er in kürzester Zeit schon einen Schlachtplan für die gesamte Woche entwickelt. Wahrscheinlich musste er das sogar um seine Eltern zufrieden zu stellen. Das Mädchen stand auf und klopfte sich auf die Brust: „Dann werde ich mich nun zurück ziehen und mir was ausdenken.“

„Ich glaube auch, dass ich mich auf den Weg nach Hause begeben sollte. Das Internet bietet bestimmt auch eine breite Auswahl an Informationsquellen“, fügte Brage mit sarkastischem Tonfall hinzu. Seine drei Mitarbeiter wussten diesen Tonfall ganz genau einzuordnen, sie würden die ganze Arbeit allein tun und er sich auf die faule Haut legen. Brage und Ruki waren schon wieder in den Flur hinausgegangen und zogen sich ihre Schuhe an, während Juudai noch mit Johan im Wohnzimmer verweilte.

„Keine Sorge, ich bleibe bei dir bis deine Mutter wieder zu Hause ist“, beruhigte Johan seinen Freund mit leisen Japanischen Worten. Die beiden folgten ihren Mitschülern in den Flur und verabschiedeten die beiden. Johan und Juudai blieben im Haus zurück.
 

Eigentlich war es Ruki gar nicht so recht, dass sie ein kurzes Stück zusammen mit Brage gehen musste, doch als sie ins Freie hinaus traten, war sie doch ganz froh darüber ihn dabei zu haben. Als sie den kleinen Weg zur Straße hin zurückgelegt haben, erblickte Ruki wieder vier Männer, die rauchend am Straßenrand standen. Schnell beschleunigte sie ihre Schritte, was auch dem blonden Norweger nicht entging: „Was ist denn mit dir los?“

„Gar nichts!“, entgegnete sie einsilbig.

„Ach von wegen! Du hast Angst vor diesen Totengräbern oder? Dabei läufst du doch auch immer in schwarz rum“, meinte Brage und wandte sich noch einmal zu den vieren rum, die ihn hämisch grinsend ansahen, aus Protest wandte er sich noch einmal an sie, „Anstatt da rumzustehen, solltet ihr euch zu eurer Grotte auf’m Friedhof zurück scheren!“

Ruki musste sich stark beherrschen um ihrem Begleiter die Bekanntschaft mit ihrer Handfläche zu ersparen. Ihre Wut wollte sie trotzdem an dem Jungen auslassen, doch bevor sie das Wort ergreifen konnte, hatte er sich wieder um ein Gespräch bemüht: „Sag mal Ruki, was ist eigentlich mit Johan und diesem Kleinen los?“

„Was soll schon los sein?“, fragte sie etwas gleichgültig.

„Johan kümmert sich wirklich rührend um ihn“, stellte Brage fest wobei er einen versteckten Blick zu ihr sandte.

„Ja, kann schon sein“, antwortete sie ebenso einsilbig wie zuvor.

„Kann es sein, dass die...“, begann er und hatte Ruki somit aus der Reserve gelockt. Wütend sah sie ihn an und keifte: „Nein, sind sie nicht! Wenn sie’s wären, würde es dich nun weiß Gott nichts angehen! Von Freundschaft hast du wohl noch nie etwas gehört oder!? Wag es ja nicht die beiden zu hänseln sonst kriegst du’s mit mir zutun, ist das klar!?“

„Hey, jetzt beruhig dich doch mal!“, versuchte er sie wieder ruhig zu stimmen, noch nie hatte er sie so in Rage erlebt, „Wenn ich ehrlich bin und auch wenn du ehrlich bist, dann denken wir beide das Selbe! Außerdem ist es mir egal, ob Johan auf Ärsche steht oder nicht.“

Ein gewaltiger Rotschimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt, somit machte sie sich schweigend auf den Weg nach Hause und ließ Brage seiner Wege ziehen.
 

~Fortsetzung folgt im 2. Teil

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Leute, habt vielen vielen Dank für all eure aufbauenden Kommentare >.< Jetzt

sind es schon 100, für meine Verhältnisse sind das wirklich eine Menge! Mit so

vielen habe ich gar nicht gerechnet >.<

Vielen Dank an alle die mir so regelmäßig schreiben ^-^

Prosjektuke Teil 2

Bevor ihr Anfangt den Teil zu lesen:
 

Ab dem 12.7. bin ich für 3 Wochen in Deutschland (ca. bis 2. August) und habe keinen Internetanschluss. Deshalb ist dieser Teil für die nächsten Wochen der letzte ^^
 

2. Leider ist der PC meiner Betaleserin kaputt gegangen, deshalb wurde dieser Teil noch nicht kontrolliert. Ich werde ihn später austauschen, wenn sie ihn gelesen hat *g* Von daher, nehmt meine Fehler nicht allzu übel ^^'' Sie werden rauseditiert
 

Und jetzt viel Spaß ^^
 

II In Oslo
 

Der Morgen legte sich wieder über Gjettum, dem Ort in dem Juudai sich nun so wunderbar eingelebt hatte. Seite Augen waren schwer und müde, als er zu Bewusstsein kam ohne vorher den Wecker gehört zu haben. Es war dämmrig draußen, obwohl es kaum früher war als sonst, wenn er erwachte. Der Brünette riskierte einen Seitenblick und musste unweigerlich lächeln. Johan hatte sich dazu entschlossen, die Nacht bei ihm zu verbringen. Seine Eltern hatte er nach einer verbalen Schlacht und viel Überzeugungskraft klar gemacht, dass er zusammen mit Juudai für das Projekt arbeiten musste. In Wahrheit hatten sich die beiden einen richtig faulen Tag gemacht und sich mit Reiko amüsiert. Die beiden waren sogar erst ziemlich spät ins Bett gekommen und nun beobachtete Juudai, Johan, der noch immer tief schlummerte. Dieser Anblick hatte etwas Vertrautes an sich. So kam es Juudai auf jeden Fall vor als er seinen Freund neben sich auf einer Matratze schlafen sah. Am liebsten wäre er zu ihm gekrochen und hätte sich ganz dicht an ihn gekuschelt. Juudai war sich nicht ganz klar, warum er immer wieder nach der Nähe des Norwegers suchte. Warum er danach verlangte. Es war einfach, wie ein Instinkt und für ihn so selbstverständlich als ob sie Verwandte wären.

Juudai zuckte leicht zusammen, als ein leuchtendes Paar Smaragde in seine Augen blickten. Überrascht begrüßte Juudai ihn: „Guten Morgen, Johan-kun.“

Kein bisschen Müdigkeit war mehr in den Augen des Norwegers zu erkennen, dabei war sich Juudai so sicher gewesen, dass er noch geschlafen hatte.

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“, wollte Johan sofort wissen.

„Ja. Sehr sogar!“, antwortete er und streckte seine Hand aus. Johan nahm diese entgegen und hielt sie sanft. Einen Moment gab Johan dem warmen Gefühl nach, dass sich immer wieder in seinem Körper ausbreitete. Schnell entließ er die zarte Jungenhand wieder und setzte sich auf.

„Wir sollten aufstehen, nicht wahr? Sonst kommen wir noch zu spät nach Oslo!“, meinte Johan, „Du kennst ja Ruki mittlerweile.“

„Ja. Aber ich habe eher das Gefühl, dass Brage sie nicht gut genug kennt“, antwortete Juudai und stand ebenfalls auf.

„Da hast du wohl Recht“, entgegnete der Norweger und suchte sich seine Sachen zusammen. Juudai tat es ihm gleich und bereitete das Frühstück vor, während Johan sich im Badezimmer zurecht machte. Auch diesen Morgen war Reiko schon lange aus dem Haus verschwunden um zur Arbeit zu gehen. Das Frühstück hatten die beiden ebenso schnell hinter sich gebracht, mit frisch erweckten Lebensgeistern schulterte jeder von ihnen einen kleinen Rucksack und zusammen machten sie sich auf den Weg.

Zunächst mussten sie lediglich den normalen Schulweg einschlagen auf dem sich Ruki ihnen wieder anschloss. An der Bushaltestelle war tatsächlich noch keine Spur des vierten und letzten Mitglieds der Gruppe. Entgeistert stemmte Ruki die Hände in ihre Hüften und schnaubte empört aus: „Dieser dämliche Kerl! Ich wette er kommt nicht, aber in sein Haus gehe ich nicht, das könnt ihr wissen! Hat jemand seine Handynummer?“

„Ruki-chan, wenn er nichts zum Projekt beiträgt, lass ihn doch, dann bekommt er eben keine Note!“, meinte Johan um seine Freundin zu beruhigen. Sie zuckte mit den Schultern: „Es ist trotzdem nicht rechtens! Er hätte gleich in eine andere Gruppe gehen können, wenn er uns nicht leiden kann!“

„Er hat sich doch sowieso nur gemeldet, weil Johan so gut in der Schule ist und er Hilfe braucht!“, warf Juudai mit einem altklugen Nicken ein. Der Norweger warf ihm einen ziemlich getroffenen Blick zu, da er dies von Juudai nicht erwartet hatte. Dann glitt sein Blick zu der Deutschen herüber, die ihre Hände zur Verteidigung hoch hielt.

„Halt mich daraus!“, bat sie.

„Aber Juu-... Juudai-kun wie kommst du denn darauf?“, fragte Johan schließlich.

Der Japaner warf Johan einen entgeisterten Blick zu: „Leute wie der nutzen dich nur aus, Johan, ich verstehe nicht wieso du dich überhaupt für ihn entschieden hast!“

Ein kleine Stille legte sich zwischen die drei Freunde in der Johan unentwegt seinen Freund anstarren musste. Schließlich konnte er auch sein Grinsen nicht mehr verstecken und ein herzhaftes Lachen ebenso wenig: „Juudai-kun!“

Angesteckt von seinem Lachen stimmte nach einem kurzen Moment auch Ruki ein, was Juudai dazu veranlasste eine beleidigte Miene aufzusetzen, die er allerdings auch nicht lange genug aufrecht erhalten konnte um überzeugend zu wirken.
 

Zum Leidwesen Rukis und Juudais tauchte Brage doch noch im letzten Moment auf. Die beiden hatten sich schon ausgemalt, dass sie einen gemütlichen Tag in der Hauptstadt haben würden zumal Juudai sie noch nie zuvor gesehen hatte. Wenn der Japaner ehrlich war, hätte er Oslo zwar nicht als Großstadt bezeichnet, aber es war schon ein Ort an dem man es aushalten konnte. Juudais Problem im Moment war Brage, aber ihn würde er sicher noch zu ignorieren lernen, denn Juudai musste zugeben, dass er es nicht gern sah wenn sich der Angeber der Klasse so gut mit Johan unterhielt. Gerade als die vier den Bus am Dokkvei im Zentrum der Hauptstadt ausgestiegen waren, ging Juudai mit schnellen schritten voraus und überquerte eine schwarze Brücke, die über einen Ausläufer des Oslofjords führte. Er achtete gar nicht auf die Enten die dort unten im Fluss schwammen und auch die umstehenden Gebäude schienen ihn wenig zu interessieren. Damit achtete er auch nicht auf die Unterschiede zu seiner Heimatstadt die viel größer und geschlossener war als diese. Juudai war verstimmt und spürte dass er große Lust hatte dem größeren der beiden Norweger ein paar Takte zu erzählen, dabei wusste er eigentlich gar nicht warum er den Jungen gern mit Worten vernichtet hätte. Vielleicht kam es durch seine unhöfliche Art oder es hatte einen ganz anderen Grund, aber Juudai wusste eines mit Sicherheit: er konnte Brage nicht leiden.

„Warte doch mal, sonst verlieren wir dich noch“, warf Ruki ein worauf sie dem Japaner mit schnellen Schritten hinterher eilte und ihn beim Handgelenk packte, er sah wenig begeistert aus, „Im Ernst, wie willst du dann wieder nach Hause kommen?“

Er nickte seicht und wartete zusammen mit dem Mädchen darauf, dass die Norweger ihnen folgten. Brage hatte wieder ein breites Grinsen auf seinem Gesicht und die Hände tief in seinen Taschen versteckt.

„Was ist denn los, Juudai?“, fragte er ohne dabei überzeugend zu klingen. Der Japaner zuckte mit den Schultern und übte sich in der Ignoranz, die er sich vorgenommen hatte zu wahren. Ruki schmunzelte und tat es ihrem japanischen Freund gleich.

An einer Kreuzung hielten sie und musste auf die Ampel warten, die noch immer rot leuchtete. Juudai sah zum wolkenbedeckten Himmel hinauf und sah relativ ratlos aus: „Wo gehen wir eigentlich hin? Zum McDonald’s?“

„Ja, genau! Hier gibt es eigentlich an jeder Ecke so einen... Ich denke bestimmte Leute wollen pünktlich zum zweiten Frühstück dort sein?“, fragte Ruki an Brage gewandt der sich an ihr vorbeischob als das rote Signal endlich verschwand.

„Ich dachte eigentlich es sei Mittag, aber wahrscheinlich hast du zu lange geschlafen, hm?“, entgegnete Brage keck und kitzelte einen missbilligenden Laut aus ihr heraus. Als sie die Straße überquert hatten und eine scheinbar endlose Straße mit vielen kleinen Geschäften entlang liefen, fielen langsam die ersten Tropfen, des unheilvollen grauen Himmels auf die Erde hinab.

„Das hat uns gerade noch gefehlt!“, jammerte Ruki und sah hinauf.

„Ist es noch sehr weit, Johan?“, wollte Juudai in recht verstimmter Tonlage wissen.

Der Norweger lächelte leicht: „Nein, nein. Wir müssen am Ende der Straße gleich rechts rum und dann müssten wir den Laden schon sehen. Also keine Sorge, Juudai-kun!“

„Was ist dir denn plötzlich über die Leber gelaufen, Juudai?“, forschte Brage wobei er einen Arm kameradschaftlich um Juudais Schultern schlang. Dieser schüttelte den lästigen Norweger jedoch gleich wieder ab und warf ihm vernichtende Blicke zu. Ruki schüttelte leicht lächelnd den Kopf, er war manchmal also auch störrisch. So hatte sie Juudai eigentlich nicht eingeschätzt.
 

Da der Regen etwas zunahm, beschleunigten die vier Jugendlichen ihr Gehtempo bis sie schließlich am McDonnald’s Restaurant angekommen waren und eintreten konnten. Im Laden herrschte nur wenig Betrieb, aber das war hinsichtlich des Wochentags und der Uhrzeit auch kein Wunder. Johan und seinen Freunden kam dies natürlich sehr gelegen da sie noch viel für ihr Projekt zutun hatten. Nachdem Johan sich kurz im Lokal umgesehen hatte und sich leicht durch seine vor Feuchtigkeit tropfende Haarmähne fuhr wandte er sich wieder seinen Freunden zu.

„Habt ihr Lust was zu trinken? Ich geb’ einen aus!“, meinte er und erhielt damit ein einstimmiges Nicken von all seinen Begleitern. Während der Junge sich also in der kleinen Schlange einreihte suchte Ruki zusammen mit Juudai und Brage Sitzplätze am Fenster, damit sie Überblick über das Geschehen in der Stadt hatten. Juudai setzte sich zwischen das Mädchen und den Norweger um einen absehbaren Streit zu verhindern. Seine Aufmerksamkeit lag allerdings auf der Straße. Der Regen fiel in feinen Linien auf den Boden hinab und sammelte sich in kleinen Pfützen. Die Menschen die sich im Augenblick draußen befanden spannten einer nach dem anderen ihre Regenschirme auf, einige benutzten die Kapuzen ihrer Regenmäntel und wieder andere hatten nichts weiter als eine neu erworbene Zeitung, die sie nun als Schutz benutzen konnten. Juudais Gedanken schweiften langsam ab.

In Japan regnete es zumeist in ganz anderen Ausmaßen als in Norwegen, schon oft hatte Juudai seinen Regenschirm vergessen und musste im strömenden Regen nach Hause gehen was darin resultierte dass er nass bis auf die Knochen wurde.

Der Brünette merkte gar nicht, dass Johan bereits mit einem Tablett zurück kam auf dem die Getränke standen und auch nicht, dass er sich neben Ruki setzte. Wie in Trance stützte Juudai seinen Kopf auf die rechte Hand und hing seinen Gedanken nach.

Ihm fiel wieder ein, dass Manjoume Jun, einer seiner besten Freunde ihm manchmal aus der Patsche half und seinen Schirm mit Juudai teilte. In selteneren Fällen wurde Jun auch mal von einem seiner älteren Brüder abgeholt. Er hatte sich noch nie sehr gut mit Chousaku und Shouji verstanden, von daher war es nicht verwunderlich, dass er trotz seines Reichtums selten zur Schule gefahren wurde. Jun war sehr rebellisch und oft schlecht gelaunt aber Juudai war sich sicher, dass er dies alles nur vorgab zu sein. In Wahrheit, da war Juudai sich sicher, war Jun einer der gefühlvollsten Menschen die er kannte.

‚Ob Manjoume-kun meinen Brief nun schon bekommen hat oder nicht? Ob er mich einfach so ignoriert?’, ging es ihm durch den Kopf, als ihm langsam Worte in den Kopf drangen. Dumpfe Stimmen von weit her.

Sie erinnerten Juudai an irgend etwas...

Etwas Vertrautes...

Ein Mädchen, Ruki. Ein Junge... aber Johan...

Es erinnerte ihn nicht an Johan oder seine Freunde hier in Norwegen. Da gab es noch etwas anderes tief in ihm...
 

Eine Hand legte sich unsanft um sein Handgelenk und ein paar intensive blaue Augen holten Juudai aus seinem tiefen Wachschlaf hervor.

„Juudai-kun! Wir sprechen mit dir!“, mahnte das Mädchen noch einmal mit etwas lauterer Stimme. Der Japaner sah sie verwirrt an. Für einen Moment hatte er ganz vergessen wo er eigentlich war, wer sie war und auch was er eigentlich hier wollte. Trotzig versuchte Juudai sich von Rukis Hand zu befreien und warf ihr einen verärgerten Blick zu, den sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.

„Juudai!?“, sagte nun Johan leiser, der die Veränderung im Verhalten seines Freundes wohl bemerkt hatte, „Juudai-kun, ist alles in Ordnung!?“

Anspannung wich augenblicklich wieder aus seinem Körper. Juudai wusste weder warum er sich plötzlich durch Ruki bedroht gefühlt hatte, noch wodurch dieses Gefühl ausgelöst worden war.

„Was ist los mit dir, Juudai!?“, hakte Johan noch einmal nach.

„Gar nichts...“, antwortete er leise und nahm den ersten Schluck von seiner Cola, „Hast du... die Informationen, Johan? Die wir brauchen?“

„Mit der Diskussion sind wir schon lange fertig, Juudai-kun. Um deine Frage zu beantworten, ich habe alles bekommen was wir brauchen“, entgegnete Johan mit einem seichten Lächeln, „Da wir noch etwas Zeit haben wollte ich wissen ob du noch etwas bestimmtes hier machen willst. In Oslo gibt es mehr als nur Einkaufsstraßen.“

„Was, ach ... ach so“, Juudai schüttelte den Kopf.

„Was ist denn plötzlich mit dir los?“, mischte sich nun Brage wieder ein, doch erhielt nur einen missbilligenden Blick von Ruki. Sie wandte sich an den Norweger und ließ ihren aufgestauten Ärger, der eigentlich durch Juudai ausgelöst wurde lieber an ihm als ihrem Freund aus: „Lass Juudai in Frieden, klar!? Du hast doch mitbekommen dass etwas nicht stimmt und außerdem wäre es doch im Bereich des Möglichen, dass du die letzte Person bist, an die er sich richtet!“

„Schon gut, schon gut, Biest, ich hab’ dich schon verstanden!“, meckerte Brage, wobei er eigentlich noch etwas hinzufügen wollte, doch Juudai kam ihm zuvor: „Hört bitte auf zu streiten. Mir geht’s gut, keine Sorge. Ich habe nur keine Idee was wir machen sollten, ich kenne mich hier doch nicht aus. Ich wüsste auch gar nicht, was mich an Plätzen interessieren würde...“

„Vielleicht sollten wir einfach in die National Galerie gehen! Ich bin gern dort!“, meinte Ruki bestimmt.

„Blödsinn, ich glaube nicht dass Juudai sich für Kunst interessiert. So leid es mir tut!“, warf Brage ein, „Außerdem regnet es noch draußen!“

„Hm...“, Juudai ließ einen nachdenklichen Laut aus seinem Munde entkommen und ließ seinen Blick wieder auf die Straße gleiten. Ihm tat es leid, dass er Ruki mit solchen Blicken begegnet war und auch Johan erst nicht richtig wahrgenommen hatte. Er konnte sich das alles nicht richtig erklären, doch bei einem war Juudai sich ganz sicher. Es hatte etwas mit Japan zutun, es hatte etwas mit seiner eigenen Vergangenheit zutun. Warum konnte er sich an ein oder zwei Wochen seines Lebens fast nicht mehr erinnern?

Auf der anderen Straßenseite bemerkte er nun den Springbrunnen, in dem sich aufgrund des Regenwetters kein Vogel aufhielt. Die Fontaine jedoch sprudelte weiter mit dem Wasser und wirkte durch die fehlenden Menschen auf der Straße noch einsamer. Juudai beobachtete still wie sich ein Mann aus der Bahnstation, die sich in der Nähe des Brunnens befand, heraus kam. Er war in einem langen schwarzen Mantel gehüllt und machte sich anscheinend nichts aus dem Regen, denn er setzte sich auf den Rand des steinernen Springbrunnens und sah zum grauen Himmel hinauf.

Die braunen Augen des Jungen blieben lange auf dem Mann geheftet. Es kam ihm so vor als habe er diesen Mann schon einmal gesehen, vor langer Zeit. Sein braunes Haar war glatt, wahrscheinlich vor Feuchtigkeit und hing ihm bis auf die Schultern herab. Bei trockenem Wetter, da war Juudai sich sicher, würden ihm die Haare in alle Himmelsrichtungen hin abstehen, beinahe so wie seine eigenen. Das Gesicht des Mannes war eben und von asiatischer Abstammung, so weit Juudai es erkennen konnte. Dieser Mann hatte sogar gewisse Ähnlichkeit mit...

Juudai nickte wie zu sich selbst. Er würde ihn auf keinen Fall verwechseln, er würde ihn sicher unter Hunderten wieder erkennen...

Ruckartig stand Juudai von seinem Stuhl auf, seine Augen waren noch immer auf die andere Straßenseite gerichtet und betrachteten den Mann, der in den Himmel starrte. Johan folgte dem Blick seines Freundes. Das erste was ihm sofort in den Sinn kam, waren die Männer in Schwarz. Ohne darüber nachzudenken ergriff er Juudais Hand um ihm zu zeigen, dass er bei ihm war und ihn mit Sicherheit nicht allein lassen würde, allerdings befreite sich dieser sofort wieder von ihm.
 

„Mein Vater!!“

Das war alles was Juudai von sich gab bevor er überstürzt aus dem Restaurant rannte. Der junge Japaner hatte nicht wie Johan auf die verdächtige schwarze Kleidung geachtet. Das Einzige, woran er denken konnte war das, wonach er eben gerufen hatte: sein Vater.

Einige Sekunden blieb es still zwischen den Zurückgebliebenen. Ruki warf Johan einen erschrockenen aber gleichermaßen fragenden Blick zu, aber auch der Norweger hatte keine Ahnung was vor sich ging. Brage war derjenige, der sich als erster wieder gefangen hatte: „Er läuft zu diesem Kerl hin!“

„Was!?“, Ruki und Johan antworteten beinahe synchron auf diese Feststellung wobei sie nicht länger warteten und Juudai hinterher liefen.

Der Regen prasselte schnell auf ihre Köpfe hinunter. Es war kein feiner Nieselregen mehr sondern ein kräftiger Schauer mit dicken Regentropfen der sich über ihren Häuptern ergoss, was den beiden Verfolgern von Juudai ein ungutes Gefühl gab. Die kalten Tränen des Himmels bahnten sich ihren Weg durch die Haare der beiden und sorgten dafür dass dicke Schauer der Ablehnung über ihre Rücken huschten.

„Juudai!!!“, rief Ruki ihm als erste hinterher.

„Juudai, warte!!“, mahnte auch Johan, doch der Brünette vor ihnen hatte schon die Straße überquert und war mit schnellen Schritten auf dem Weg zu diesem fremden Mann.

Juudai ignorierte die Rufe seiner Freunde. Er war sich so sicher über die Tatsache, dass es für ihn keinen Grund mehr gab zu halten. Diese Gestalt gab es kein zweites Mal, er musste es also sein, ganz gleich wie sein Vater ihn gefunden hatte, nun war er hier.

„Otousan!! Otousan!! Ich bin es! Juudai!! Otousan!!“, immer wieder wiederholte Juudai seine Rufe. Der Mann antwortete nicht. Er starrte weiter in den Himmel hinauf und wartete bis sein Gesicht vor Nässe tropfte. Juudai kam ein paar Schritte, bevor er den Springbrunnen erreichte, wieder zum stehen und erwartete seine Freunde, dessen Schritte er sehr gut hören konnte.

Juudai wurde es kalt zumute. Er hörte sein Herz in der Brust schlagen, ein gleichmäßiges aber wildes Klopfen vor Aufregung und Glück.

„Otousan!“, keuchte er schließlich wobei er die Stimmen seiner Freunde aus seiner Umwelt ausschloss, einfach nicht hören wollte was für Warnungen sie ihm mitteilen wollten. Es war sein Vater, ganz sicher.

Der Mann, dessen Augen geschlossen waren, schwieg noch ein paar Sekunden, allerdings wartete er nicht so lange, dass Ruki und Johan ihn ebenfalls genau ansehen konnten. Er stand auf aber noch immer mit dem Rücken zu dem japanischen Jungen gewandt. Seine Worte klangen dunkel, selbst für japanische Stimmen und schließlich antwortete er: „Hast du dich jemals gefragt welche Farbe das Meer hat?“

„Wie bitte?“, fragte Juudai, „Otousan...“

„Weißt du welche Farbe der Himmel hat?“

Juudai war leicht irritiert und spürte durch seine Verwirrung Wut aufkommen.

„Blau, wieso fragst du mich so komische Dinge?!“, antwortete er gereizt über den Umstand, dass ihm diese Fragen gestellt wurden. Da traf er nach so langer Zeit seinen Vater wieder und nun belästigte er ihn mit solch dummen Fragen.

„Juudai-kun wer ist das?“, fragte Johan aufgebracht. Der Norweger und das Mädchen waren endlich zu Juudai gestoßen und auch Brage näherte sich der Situation langsam.

„Was soll das, Otousan?! Warum stellst du mir diese Fragen!?“, wollte Juudai nun in barscher Stimmlage wissen.

„Du stellst die falschen Fragen, Kleiner. Wie schnell ist die Zeit?“

Juudai wich ein paar Schritte zurück. Die wirren Worte sorgten für unbehagliche Kälte in seinem Inneren. Die Stimme klang noch dunkler als am Anfang, dieser Mann...

Er sah so vertraut aus. Er sah ihm zum verwechseln ähnlich, aber jetzt wo er seine Stimme hörte, jetzt, da der Fremde sich zu ihm umdrehte...

Es war nicht sein Vater.

Dieser Mann war nicht einmal Japaner. Er hatte lediglich durch Make Up von Weitem den Eindruck erweckt, dass er ein Asiate sein könnte. Nicht nur Juudai ergriff gewaltige Angst. Er kannte diesen Mann nicht. Ihn hatte der schwarze Mantel kalt gelassen, er hatte seine Freunde ignoriert und...

Wie hatte er seinen Vater verwechseln können?

„Was wollen Sie von mir!?“, Juudais Stimme klang hysterisch, aufgewühlt und vermittelte seinen Freunden, dass er sich sicher sein musste dass dieser Mann mehr mit Juudai zutun hatte als er selbst vielleicht wusste, „Wo ist mein Vater!?“

Der Mann in schwarz grinste: „Du gibst zu, dass du es hast?“

„Was ... was ich habe? Was habe ich denn? Verdammt noch mal, wer sind Sie? Wo ist mein Vater?“, schrie Juudai den Mann auf Japanisch an.

„Was wollen Sie von Juudai-kun?“, mischte sich nun auch Johan ein, wenn er ehrlich war dann fühlte er im Moment zu wenig Angst um sich vor dem Mann zurück zuhalten, Johan musste zugeben, dass die Gestalt des Mannes auch für ihn etwas Vertrautes an sich hatte, „Spionieren Sie Juudai-kun und seiner Mutter hinterher? Jagen Sie ihm dermaßen Angst ein? Wozu das Ganze!?“

Ruki die noch immer reglos neben Johan stand, begann leicht an seiner Jacke zu zupfen, damit sie seine Aufmerksamkeit bekam. Leise flüsterte sie ihm zu: „Du solltest diesen Kerl nicht provozieren, der wirkt mir nicht ganz richtig im Oberstübchen, wenn du verstehst!“

„Ruki du kannst ruhig gehen, ich lasse Juudai-kun auf keinen Fall allein, hast du gehört? Geh mit Brage nach Hause, wir kommen nach!“, meinte Johan ebenso leise.

„Bist du verrückt!?“, schimpfte Ruki wie aus einem Reflex heraus, „Du erwartest doch wohl nicht, dass ich gehe, wenn du und Juudai noch hier bleibt!? Wie sieht denn das aus, wenn ich weglaufe?“

„Antworten Sie mir! Wo ist mein Vater!?“, forderte Juudai noch einmal aufgebracht, „Antworten Sie gefälligst... Wo zur Hölle ist mein Vater!?“

Wieder verzog der Fremde sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und antwortete: „Sag mir wo es ist, dann werde ich dein Gedächtnis weiter auffrischen! Erbärmlicher kleiner Junge, erzähl mir nur nicht, dass du nicht weißt wo es ist! Gib es mir!! Sofort Junge, sonst garantiere ich nicht für deine Sicherheit!“

„Was wollen Sie von mir!?“, gab Juudai wütend zur Antwort, er hatte keine Ahnung was dieser Fremde von ihm wollte.

„Wenn Sie sich klar ausdrücken könnten, dann wären wir vielleicht in der Lage Ihnen weiter zu helfen!“, meinte Johan und versuchte Juudai aus dem harten Griff des Mannes zu befreien, „Kommen Sie Juudai-kun lieber nicht zu nahe, sonst müssen wir zu anderen Maßnahmen greifen!“

„Andere Maßnahmen? Andersen-kun ich glaube Sie haben noch nicht begriffen wie tief Sie sich schon geritten haben“, entgegnete der grinsende Mann und tat noch einen Schritt auf die beiden Jungen zu.

„Geritten?“, wiederholte Ruki und gebot Brage der seine Freunde nun eingeholt hatte, zu schweigen und sich besser nicht einzumischen.

„Gib sie mir jetzt, Junge!“, mahnte der Mann in dem schwarzen Mantel, packte nun Juudai grob an den Handgelenken und zog ihn dicht zu sich, „Wo ist die Farbe? Gib es mir, es ist wichtig! Wenn du es mir ohne weiter Mätzchen zu machen die Farbe gibst, dann hast du keine Probleme mehr Junge!“
 

Die Verwirrung stand Juudai ins Gesicht geschrieben. Ruki konnte es ebenso gut in seinen Augen lesen wie Johan und Brage. Juudai schwieg. Er hatte nicht die geringste Idee was dieser Mann sich bei der Farbe oder bei „es“ dachte. Was sollte er schon besitzen, was dieser Unbekannte begehren könnte.

„Schluss jetzt!“, flüsterte Ruki auf Deutsch vor sich hin, wobei sie einen Schritt nach vorn tat. Ihr Plan war es eigentlich gewesen diesen Kerl nun zu zeigen, wie tief ihre Abneigung schon jetzt gegen ihn ging. Dieser Mann sollte Juudai und Johan nicht verletzen...

Brage ergriff ihre Hand und riss sie mit Schwung herum, so dass sie einige Meter zurückweichen musste und sich gerade noch davor bewaren konnte hinzufallen.

„Du überlässt es gefälligst mir, hast du verstanden!?“, mahnte Brage und zog sein blankes Taschenmesser aus seiner Gesäßtasche hervor.

„B – Brage!? Was hast du vor?“, flüsterte Ruki, die seine Bewegungen mitverfolgt hatte, „Bist du nicht mehr ganz weitrohst!?“

Brage ersparte sich die Antwort, er hatte sein Messer in Position gebracht und rannte nun auf seinen Kameraden und den fremden Mann zu. Er rief Johan etwas entgegen, der ihn aufgrund des schnellen Ablaufs der Ereignisse nicht richtig verstand. Der kleinere der beiden Norweger spürte nur noch eine grobe Hand, die ihn von Juudai trennte. Johan wurde nach hinten gedrängt, ein paar Schritte taumelte er, dann spürte er harten Asphalt unter seinem Kopf. Dumpf drang ein dröhnender Schmerz in seinen Kopf, durch den er sich allerdings nicht unterkriegen ließ, sondern die Situation weiter verfolgen wollte.

Als nächstes hörte Johan einen weiteren schmerzverzerrten Schrei, doch bevor er begriff was passierte hatte Ruki seine Hand ergriffen und zog ihn hinter sich her. Mit schnellen Schritten liefen sie, so schnell sie konnten wobei Johan sich allerdings wieder grob von ihr losreißen wollte.

„Juudai-kun!? Wir müssen Juu-...“, weiter kam Johan nicht, denn es waren mehrere Schritte hinter ihm.

„Sie sind hinter uns!“, erklärte Ruki schon relativ aus der Puste geraten.

Johan nickte als er über seine Schulter sah: „Ja schon. Er aber auch!“

„Johan, hast du eine Idee?“, wollte Ruki wissen, die sich ebenfalls schon den Kopf darüber zerbrach was sie nun tun sollen.

„Brage!! Nimm Juudai und sorg dafür, dass er schneller läuft! Schnell!!“, entgegnete Johan und erhöhte sein Lauftempo. Nun war er es, der Ruki am Handgelenk packen musste, um sie weiter zu ziehen. Von weiter vorn konnte man Johans Stimme vernehmen: „Wenn wir durch den Schlosspark rennen, dann kommen wir nach einer Weile zu den Ambassaden! Ich glaube nicht, dass der Herr Lust hat, sich mit hohen Staatsapparaten anzulegen und mein Vater arbeitet dort... man kennt mich in der japanischen Botschaft recht gut!“

„Nicht schlecht!“, stimmte Brage zu und sorgte dafür, dass Juudai schneller rannte.

Der Japaner war sichtlich außer Atem. Sein Hals schmerzte durch die kalte Regenluft, Stechen trat in sein Beckenbereich und er spürte sein Herz so deutlich, dass Juudai befürchtete, dass es immer weiter seinen Hals hinaufgepresst wurde.

„Brage... ich ... sag Johan bescheit er soll nicht so schnell“, keuchte Juudai außer Atem wobei er schon fast über einen Stein stolperte.

„Benimm dich gefälligst wie ein Mann, Juudai!!“, ermahnte ihn Brage, „Du willst doch wohl nicht, dass dieser Typ dich kriegt?“

Er zerrte den kleineren Japaner weiter hinter sich her während er seine Begleiter vor sich beobachtete und einfach nur weiter rannte. Brage merkte ganz genau wie erschöpft Juudai mittlerweile war, also riskierte er noch einen kurzen Blick über die Schulter um zu sehen, wo sich der Fremde aufhielt.
 

Brage machte abrupt Halt. Erleichtert blieb auch Juudai stehen und verschnaufte kurz. Im Moment war es ihm egal ob Johan und Ruki sich weiter die Lungen aus den Körpern liefen, er wollte im Moment keinen Schritt mehr gehen, so ausgepowert war er durch das Geschehen.

„Johan!! Hey, Andersen bleib schon stehen!“, brüllte Brage ihm hinterher.

Johan stoppte tatsächlich kurz, allerdings sah er nicht gerade begeistert aus: „Bist du von allen guten Geistern verlassen!? Wir können nicht einfach stehen bleiben und uns hier ausruhen!“

„Ach nein!?“, fragte der grobe Junge, „Und warum nicht? Siehst du ihn hier noch irgendwo?“

Mit einer Handbewegung gebot er Johan, sich einmal genau umzusehen. Niemand war ihnen mehr auf den Fersen, der Mann in dem schwarzen Mantel war verschwunden.

„Sieht so aus... als hätte ihm deine Drohung Angst gemacht, Johan“, meinte Juudai leise und holte noch einige Male tief Luft um sich wieder von seiner Angst zu erholen. Auch Ruki gesellte sich wieder zu ihren Freunden die ein paar Meter von ihr weg standen. Ihre Hände hatte sie sich in die Hüften gestemmt und sah sich skeptisch um: „Sicher dass er weg ist? Er könnte uns auch an einer anderen Ecke auflauern!“

„Meinst du? Ich weiß nicht, ich denke eher, dass Johan seine Drohung klar ausgespro-...“, begann Brage, doch wurde im Weitersprechen gehindert, Johan hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, „Au verdammt noch mal! Was soll denn das!?“

Ruki und Juudai sahen Johan überrascht an. Sie hatten noch nie erlebt, dass er so außer sich geriet, auch jetzt war noch zu sehen, wie wütend er eigentlich war. Juudai fuhr leicht zusammen, als Johan begann Brage anzufahren: „Wie konntest du ihn mit deinem Messer angreifen!? Was ist, wenn du seinen Arm schwer verwundet hast!?“

„Wie bitte, bist du noch ganz dicht!? Was hätte ich machen sollen? Ich musste ihn von Juudai lösen, wer weiß was er sonst getan hätte!?“, entgegnete Brage entrüstet, nun war er es, der fürchterlich wütend war.

„Am Arm... ich hab’s gesehen. Er dürfte ihm eine Wunde über der Uhr geschlagen haben“, erklärte Juudai mit leiser Stimme. Er wusste nicht wieso er sich so genau an die blanke Spitze des Messers erinnern konnte, die sich tief in das Fleisch des Fremden gebohrt hatte.

„Sorry“, meinte Johan schließlich, „Aber wenn du ihn tödlich verwundet hättest... die Pulsadern erwischt hättest dann...“

„Schon gut Alter, ich hab’s schon verstanden. Was tun wir denn jetzt?“, wollte Brage wissen, „Wir können unmöglich...“

„Ja, ich weiß, aber ich habe einen Plan. Zunächst werden wir die Seitenstraßen entlang gehen und dann einen Bus nach Strand nehmen!“, begann Johan zu erklären.

„Warte mal, Strand? Was willst du denn in Strand, Johan?“, wollte Ruki wissen ohne ihn ausreden zu lassen.

„Dort sollten wir bis zum Abend bleiben. Meine Familie hat dort eine Hütte“, erklärte er und sorgte dafür, dass die anderen ihm schnellstens folgten.

Dass ihr Verfolger nur vorrübergehend die Verfolgung aufgegeben hatte und eigentlich noch ganz in der Nähe war, ahnten die vier Schüler nicht einmal.
 

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Fortsetzung folgt in Kapitel 3
 

Leute!!! Vielen Dank für eure vielen, lieben Kommentare und vor allem, dass

mich einige sogar per ENS angesprochen haben und sagten, dass ihnen die FF gefällt X3

Ich freue mich immer über sowas, wirklich ;__; Ich bin ein glückliches Kind! Vielen Dank <3

Prosjektuke Teil 3

Ich entschuldige mich hiermit für die vielen Rechtschreibfehler und sonstigen Fehlern die in diesem Kapitel gemacht wurfen! Leider hat mein Betaleser gekündingt. Wie auch immer viel Spaß beim (vorraussichtlich) letzten Kapitels.
 

III Sich selbst eingestehen, dass...
 

Der Regen peitschte über die Hauptstadt Norwegens herab. Es war ungemütlich trotz der Windstille und auf den Straßen waren kaum noch Menschen zu sehen. Hinter einer Wand lehnte ein junger Mann, sein Haar war braun und vom Regen durchnässt worden. Blut war ihm den Arm entlang gelaufen und tropfte auf den feuchten Steinboden zu seinen Füßen. Der Schmerz spiegelte sich in seinem Gesicht wieder während er sich die Wunde zuhielt.

„Damit hast du wohl nicht gerechnet, hm?“, eine weitere Stimme tauchte auf, so dass sich der Mann gezwungen sah sich umzudrehen, der Andere lachte ein wenig, „Deine Schminke verläuft.“

„Na schönen Dank auch. Diese Gören... und das auch noch dieser Ambassadeurenlümmel mit der Zielperson zusammen hängt ist äußerst ärgerlich!“, entgegnete der Verfolger und wischte sich weiterhin das Blut ab.

„Spiel mir doch nichts vor. Ich weiß genau, dass du hier eigentlich gar nicht mitmachen wolltest. Wenigstens haben wir jetzt die Informationen bekommen, oder? Der Kleine hat es oder?“, wollte der andere wissen, dessen Grinsen nun ähnlich herablassend wirkte, wie das seines Kollegen zuvor. Sein Blick trug allerdings noch einiges an Schadenfreude in sich und Belustigung blitzte in seinen Augen auf.

„Ja. Ich denke der Junge hat es, Yoshitaka-sama. Kann ich jetzt nach Hause gehen?“, erkundigte sich der Verfolger mit schmerzunterdrückender Stimme.

Der ebenfalls in schwarz gekleidete Mann namens Yoshitaka grinste: „Kannst du das denn noch? Nach Hause gehen? Bei dem was du getan hast? Glaub mir, der Zug ist schon längst abgefahren, du kannst dich nicht mehr retten, du bist verloren... Mit deiner Wunde erkennt man dich leicht wieder.“

„Sie sind ein verdammtes Arschloch, Yoshitaka, wissen Sie das?!“, hielt der Andere ihm entgegen, wobei er ihm einen verachtenden Blick schenkte. Yoshitaka aber ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen, er schob sich an seinem Kollegen vorbei und zog ihm das falsche Lange Haar vom Kopf: „Zum Glück bist du genauso schmächtig gebaut wie sein Vater, sonst hätten wir nicht diese wertvolle Information bekommen. Vielleicht weiß Kaoru-sama ja doch was er tut. Geh also nach Hause und versuch dein Gewissen zu erleichtern.“

„Verdammt noch mal, wissen Sie eigentlich was wir tun?“, fragte der Verletzte und packte den Anderen am Kragen, „Können Sie das hier eigentlich noch verantworten?“

Ein Grinsen zierte Yoshitakas Gesicht bevor er die Hand seines Arbeitskollegen grob packte und einigen Druck darauf ausübte: „Wer stellt nun die falschen Fragen? Du schuldest Kaoru-sama noch immer einen großen Gefallen. Mir ist egal ob es gegen deine moralischen Prinzipien geht oder nicht!“

Damit entließ er den Verletzten wieder und machte sich auf den Weg. Alles was der Zurrückgelassene noch bekam war ein kleines Winken während Yoshitaka die Straßenseite wechselte und schließlich in der Stadt verschwand. Auch der Mann, der Juudai verfolgt hatte verließ seinen Platz an der Hauswand und hinterließ das Bild einer einsamen Stadt die grau und kalt im herbstlichen Regenwetter lag.
 

Aus dem Vormittag war bereits Nachmittag geworden als die vier Klassenkameraden die Hütte der Andersens erreichten. Sie sprachen kein Wort mehr von dem Zwischenfall. Sie wollten sich gegenseitig nicht beunruhigen oder unnötig in Hysterie verfallen, deshalb hielten sie es für besser, sich völlig auf ihr Projekt zu konzentrieren. Mit der bekommenen Information über die Nährwerte der verschiedenen Produkte der Fastfood Kette konnten sie endlich mit ihren Aufgaben beginnen. Erst gegen Abend verließen die vier die Hütte wieder und nahmen den Bus nach Gjettum.

Brage verließ seine Gruppe als erster. Er verabschiedete sich sogar recht höflich und beinahe schon förmlich von den anderen. Sicherlich hatte es ihn nicht kalt gelassen, was er getan hatte. Kurz darauf verabschiedete sich auch Ruki wieder an der Anhöhe von Johan und Juudai. Auch das Mädchen fühlte sich noch benommen von all dem, was sich in der Stadt zugetragen hatte.

„Gute Nacht Johan, Juudai-kun!“, sagte sie und versucht noch ein ausgelassenes Lächeln zu zeigen, was ihr allerdings nicht so gut gelang, „Wir sehen uns dann Morgen. Ihr kommt doch wieder und holt mich ab, oder?“

„Natürlich tun wir das“, entgegnete Johan aufmunternd während Juudai noch immer bedrückt wirkte und nur stumm nickte.

„Ich freue mich drauf. Bye, bye ihr beiden!“, somit verabschiedete sie sich noch einmal und winkte den beiden Jungen zu bevor sie in ihrem Haus verschwand.

Nun waren Johan und Juudai allein. Stille war zwischen ihnen eingekehrt und nur durch die wenigen Tropfen die von den Pflanzen um sie herum in kleinere oder größere Pfützen tropften. Der Norweger konnte nicht genau erraten, was Juudai dachte, allerdings konnte er aufgrund seiner eiligen Schritte erahnen was los war.

„Juudai-kun, was... dir geht es nicht gut oder?“, fragte er mit sanftmütiger Stimme bevor er die Hand seines Freundes ergriff.

Der Brünette schüttelte schweigend den Kopf. Ihm ging es in der Tat nicht gut. Die ganze Zeit über hatte er sich im Stillen Gedanken darüber gemacht, was dieser Fremde von ihm wollte. Eine Farbe.

Und was für Fragen er ihm gestellt hatte blieb Juudai ebenfalls ein einziges Rätsel.

Wie schnell ist die Zeit?

Woher sollte er sich mit solchen Fragen auskennen?

„Johan ich... ich will nicht nach Hause. Bitte lass mich nicht allein zu Hause... du hast doch gesehen dass sie...“

Johan betrachtete Juudai mit ungläubiger Mine. Tränen liefen dem Japaner über die Wangen, sein ganzer Körper bebte wie Espenlaub und vermittelte Johan das Gefühl, ein kleiner Hund der an einem Winterabend vor seiner Haustür saß und fror, stünde vor ihm. Der Norweger zeigte ein kleines, hauchzartes Lächeln als bräche der Frühling an allen welken Ästen der umstehenden Bäume wieder aus. Er streichelte Juudai ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und hob seinen gesenkten Kopf leicht an: „Juudai-kun, du musst wieder nach Hause. Sonst macht sich deine Mutter Sorgen um dich. Außerdem werde ich meine Eltern auch nicht davon überzeugen können...“

Johan Stimme brach kurz ab. Die traurigen braunen Augen bohrten sich tief in sein Herz, jede Träne die sich ihren Weg über die geröteten Wangen bahnte schnitt tiefe Wunden in seine Seele, er verkrampfte innerlich auf irgendeine Weise, die Johan noch nicht ganz verstand. Am liebsten hätte er Juudai ganz dicht an sich gezogen. Am liebsten hätte er...

„Hör mal Juudai-kun. Ich weiß dass du das schaffst. Du wirst sehen, so lange du zu Hause bleibst, wirst dir nichts geschehen. Niemandem von euch, da bin ich mir sicher. Sie werden es nicht wagen in euer Haus einzudringen“, meinte Johan und versuchte ihm die heißen Tränen vom Gesicht zu wischen. Juudai nickte, allerdings sah er nicht besonders überzeugend aus. Wenn er ehrlich war, dann wollte er seine Tränen auch nicht mehr zurück halten. Er hatte sie seit Japan nicht gezeigt und nun da er Johan und Ruki als seine Freunde bezeichnen konnte, wollte er sie nicht wieder verlassen. Geknickt folgte Juudai der Straße, ohne ein weiteres Wort mit Johan zu sprechen. Erst oben als sie vor dem roten Holzhaus standen, ergriff Johan wieder das Wort: „Juudai-kun. Ich bitte dich, du musst aufhören zu weinen sonst...“

Völlig aufgelöst und verwirrt stand Juudai nun vor seiner Haustür. Immer noch war es Johan der nicht von seiner Seite gewichen war und wieder die Hand seines Freundes in Besitz nahm. Der Norweger konnte die Angst in dem schmächtigen Körper neben sich spüren. Johan war sicher, dass Juudais Mutter Fragen stellen würde, käme er in seinem jetzigen Zustand zu ins Haus.

Die rehbraunen Augen blickten nun wieder in sein ernstes Gesicht und seine Stimme drang zitternd an Johans Ohr: „Ich kann das nicht tun, Johan.“

„Juudai-kun, hör mir jetzt Mal genau zu!“, mit Schwung zog Johan den Kleineren wieder dichter zu sich, eine vertraute Nähe die seiner Meinung nach nicht so wohltuend hätte sein dürfen, „Du hast mir gesagt, du willst nicht wieder von hier weg, richtig?“

Ein stummes Nicken kam zur Antwort.

„Dann wisch dir die Tränen aus dem Gesicht, sei stark und geh da rein!“, befahl der Größere und gab Juudai einen kräftigen Schubs bevor Johan selbst eine andere Dummheit einfallen konnte, „Morgen früh bin ich wieder bei dir, Juudai-kun! Ich verspreche es dir, hast du gehört!?“

Wieder antwortete Juudai mit einem einfachen Nicken.

„Juudai-kun... ich hab dich gestern Morgen etwas gefragt, weißt du noch?“, fragte Johan wieder in sanfterer Stimmlage.

„Was?“, Juudai sah fragend in die smaragdfarbenen Augen seines Freundes, die er durch das finstere Dämmerlicht vielmehr erahnen musste.

Johan lächelte seicht: „Ich habe dich gefragt ob du mir vertraust. Denkst du immer noch so?“

Erneut antwortete Juudai mit einem Nicken.

„Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand wehtut, Juudai-kun!“, versprach Johan noch einmal und wandte sich dann wieder der Straße zu um nach Hause zu gehen.

„Johan!!“, rief Juudai ihm noch hinterher, „Du kommst Morgen auch wirklich, nicht wahr?“ Der Norweger drehte sich noch einmal zu Juudai um und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln: „Ich glaube ich müsste im Sterben liegen um aufgehalten zu werden, dich zu sehen.“

Ein paar Sekunden lang trafen sich ihre Blicke. Johan hatte keine Ahnung warum er es auf diese Weise ausgesprochen hatte. Sogar er selbst hatte bemerkt wie viel Sanftmut eigentlich in seiner Stimme lag, ihm entging auch nicht wie ergriffen Juudai davon war.

Zum entgültigen Abschied hob Johan seine Hand: „Bis Morgen, Juudai-kun.“

„Gute Nacht, Johan!“, rief Juudai ihm hinterher und machte sich mit gestärktem Mut daran zu seiner Mutter ins Haus zu gehen.
 

Als Johan seine Wohnung betrat konnte er bereits die Stimmen seiner Eltern vernehmen. Helene argumentierte lautstark in der Küche während sein alter Herr sicher wieder einiges über sich ergehen lassen musste. Johan schüttelte entnervt den Kopf.

‚Warum mussten sie heiraten? Sie können sich doch nicht einmal ausstehen... Warum brauchen sie eigentlich mich um ihren Mist aufzuräumen?’, ging es ihm durch den Kopf während er versuchte Wortfetzen aufzuschnappen.

„Ich kann nichts tun, Helene, der Auftrag kommt von oben also ist er mein Partner. Ich kann mich nicht weigern, es wird genauso wie vor zehn Monaten sein“, versuchte Harald zu erklären. Die Stimme seiner Mutter setzte wieder ein und sie klang wenig zufrieden gestellt: „Beim letzten Mal ist jemand verschwunden. Außerdem sind irgendwelche wertvollen... was waren das noch, Edelsteine oder irgendwelche anderen seltenen Artefakte, gestohlen worden. Das scheint dich ja wenig zu interessieren... Oder willst du mir erzählen, er habe gewiss nichts damit zutun?“

„Für wie blauäugig hältst du mich denn? Die Frage ist wohl eher ob du willst, dass am Ende Johan etwas passiert, oder uns! Ich will es auf jeden Fall nicht! Deshalb ist es besser die Tatsache hinzunehmen, dass ich wieder ein Team mit Kaoru-sama bilde. Hast du verstanden!?“, Harald hielt gegen seine Frau, doch seine Argumente schienen ihr ganz und gar nicht zu gefallen: „Natürlich, natürlich. Mach was du willst, aber ich sag’ dir gleich, dass du einen gewaltigen Fehler machst. Außerdem solltest du dein Stimmenvolum etwas dämpfen. Johan ist wieder zu Hause!“

Harald nickte stumm worauf Helene die Küche wieder verließ und Johan mit einem Lächeln begrüßte: „Wie war denn dein Tag, Johan?“

„Hm. Gut denke ich“, antwortete er, wobei er wieder ein unbehagliches Gefühl der Nervosität, allerdings bemerkte er, dass es nicht so extrem war wie üblich, „Das Projekt läuft jedenfalls sehr gut.“

„Das freut mich. Musst du morgen wieder früh zur Schule?“, erkundigte sich seine Mutter. Johan nickte zur Antwort und steuerte die Küche an: „Ich werde nur noch etwas essen und dann ins Bett gehen, wenn du erlaubst. Ich bin sehr müde heute.“

„Kein Problem. Gute Nacht, Johan“, antwortete Helene und ließ ihn vorbei.

Harald war aufgestanden, als Johan herein kam und ging gleich zum Herd rüber um ihn anzustellen. Der Junge sah seinen Vater überrascht an, er meinte sich daran erinnern zu können, dass es mittlerweile sieben Jahre her sein musste seit sein Vater das letzte Mal am Herd stand.

„Vater?“, fragte Johan verwirrt.

„Du hast doch Hunger?“, entgegnete Harald mit einer Gegenfrage.

„Ja schon, aber deshalb musst du doch jetzt nicht anfangen zu kochen“, meinte er und stellte sich neben ihn, „Das kann ich auch machen.“

Einen Augenblick hätte Johan sich ohrfeigen können. Es war schon so lange her, dass seine Eltern für ihn gekocht hatten. So lange sogar, dass er sich schon gewünscht hatte sein Vater oder auch seine Mutter würden es wieder für ihn tun und jetzt lehnte er seinen Vater wieder ab.

Harald aber lächelte leicht: „Dann lass uns zusammen kochen. Du kannst es sicher sowieso viel besser als ich.“

„Dann kannst du wohl noch etwas von mir lernen, hm?“, entgegnete Johan mit einem kleinen verschmitzten Grinsen und holte einige Zutaten aus dem Kühlschrank.

Eigentlich wollte Johan seinem Vater ein paar Fragen stellen. Er hatte immerhin im Flur einiges mitgehört und auch das Telefonat seiner Mutter, dass sein Vater und sie vor nicht allzu langer Zeit geführt hatten, ein wenig belauschen können, allerdings kam er zu dem Schluss dass es nicht so gut war die angenehme Stimmung nun zu zerstören.

Es dauerte nicht lange bis alle Familienmitglieder versammelt waren und gemeinsam zu Abend aßen. Für Johan ein seltenes Ereignis, das ebenso schnell zu ende ging wie das Kochen mit seinem Vater.

„Ich werde mich jetzt zurück ziehen. Mutter, Vater, ich wünsche euch eine gute Nacht“, erklärte Johan und stand vom Tisch auf, jedoch wechselte er noch ein paar Blicke mit seiner Mutter, „Oder soll ich noch den Abwasch erledigen?“

„Aber nein“, antwortete sie mit einem Lächeln und ließ Wasser in das Abwaschbecken, „Überlass das einfach mir.“

„Na gut“, stimmte Johan zu und verschwand wieder in seinem Zimmer.
 

Ein ungutes Gefühl kam in Johan auf. Er begrüßte zunächst Ruby, die ihm wie immer entgegen sprang, wenn er sein Zimmer betrat und legte sich zunächst noch mit seinen Sachen auf sein Bett. Eine Weile starrte Johan die Decke über sich an während er Ruby mit Streicheleinheiten verwöhnte. Ihm kamen die verschiedensten Gedanken in den Sinn. Er fragte sich warum seine Eltern plötzlich so viel mit ihm zutun hatten. Wahrscheinlich kam es daher, dass er nächstes Jahr auf eine Privatschule in Oslo gehen konnte und ohne Zweifel große Erfolge erzielen würde.

Johan seufzte leicht aus. In Oslo zur Schule zu gehen war sicher stressig, schon vom langen Schulweg her. Wenn er Pech hatte war die Busverbindung so schlecht, dass er zwei Stunden früher zur Schule fahren musste. Der Norweger stand wieder von seinem Bett auf und trat an das Fenster. Die Dunkelheit hatte sich mittlerweile über das Land gelegt und verhinderte beinahe den Blick nach draußen, wenn man das Licht im Zimmer brennen hatte. Johan entschloss sich die Licht zu löschen damit er freien Blick auf die Sterne hatte, falls sie überhaupt sichtbar waren. Er hätte sich eigentlich denken können, dass er enttäuscht werden würde, noch immer verhinderten dicke, schwere Wolken, die Aussicht zu den funkelnden Lichtern am Firmament.

Er zuckte leicht mit den Schultern und wandte dem Fenster, nachdem er es leicht geöffnet hatte, wieder den Rücken zu und zog sich um damit er endlich ins Bett gehen konnte. Johan fand es merkwürdig, dass er sich plötzlich nicht mehr so müde fühlte wie zuvor. Nun da er im Bett lag, konnte er nichts anderes tun als die Decke anzustarren und Ruby zu streicheln, die sich schnurrend an seinen Körper drängte.

„Komisch, hm? Es gibt so viele Dinge, die ich gern wissen würde. Über Juudai und diese Sache heute in der Stadt. Es lässt mir keine Ruhe, Ruby, meinst du es wäre besser gewesen meinen Vater danach zu fragen?“, wollte er von seiner Katze wissen, die allerdings nur leicht ihre Ohren spitzte und ihn fragend ansah, Johan musste lächeln und kraulte sie am Hinterkopf, „Du weißt auch nichts davon. Na komm, es wäre besser, wenn wir beide jetzt versuchen zu schlafen.“

Damit drehte sich Johan wieder eine Weile von einer Seite auf die andere, allerdings hatte er nicht das Gefühl, dass es besonders viel brachte und er immer munterer wurde anstatt endlich einzuschlafen. Am Ende lag er wieder im Bett und starrte zur Decke hinauf.

‚Schlafen... ich sollte schlafen...’, ging es ihm durch den Kopf als er die graue Decke über seinem Kopf betrachtete.

„Ach ja? Warum denn schlafen, Johan-kun?“, fragte eine ihm wohlbekannte Stimme neben ihm.

‚Habe ich das eben laut gesagt?’, fragte er sich, warum wusste Juudai so genau was er gerade gedacht hatte und..., „Juudai-kun!? Warum bist du hier?“

Johan lenkte den Blick zu seiner Rechten um erkennen zu können ob Juudai sich wirklich neben ihm befand, oder ob er sich eben einfach nur vertan hatte. Tatsächlich lag neben ihm der braunhaarige Japaner und lächelte herzlich, wie es seine Art war wenn er nicht gerade von fremden Männern in schwarzer Kleidung verfolgt wurde. Allerdings...

Johan schreckte beim Anblick seines Freundes hoch. Er war von entblößt von jeglichen Kleidungsstücken. Sein nackter Oberkörper, so zierlich, feingliedrig wie Johan ihn schon zuvor gesehen hatte lag er vor ihm und Juudai lächelte verdächtig. Es war nicht das Einzige, was Johan zutiefst verunsicherte. Seine Handgelenke waren gebunden. Mit einfachen, rauen Stricken hatte ihn jemand an das Bettgestell gefesselt und Johan hatte eigentlich keine Ahnung wann oder wie es geschehen war.

„Juudai-kun!? Sag mal... was geht hier vor?“, wollte Johan verwirrt wissen.

Juudai lächelte nur und strich dem Norweger ein paar Haarsträhnen aus der Stirn: „Erinnerst du dich denn nicht? Ich bin vorhin zu dir gekommen, du willst mich doch beschützen und das kannst du immerhin am besten, wenn ich bei dir bin.“

„Wie... wie bitte!?“, Johan zerrte ein wenig an seinen Fesseln, sie saßen so stramm auf seiner Haut, dass sie Wunden reiben würden, passte er nicht richtig auf, „Wie sollte ich dich denn beschützen können, wenn du mich fesselst Juudai-kun!? Außerdem... was fällt dir eigentlich ein mich... Sag mal, warum hast du nichts an!?“

Ein leises Kichern drang an sein Ohr, sonst nichts.

„Was läuft hier eigentlich, zum Teufel noch mal!?“, brach es aus Johan heraus wobei er noch einmal versuchte seine Hände irgendwie aus seinen Fesseln zu befreien. Er beruhigte sich allerdings, als er den zarten dünnen Zeigefinger seines Freundes auf den Lippen spürte und ein sanftes Flüstern vernehmen konnte, das direkt in sein Ohr gewispert wurde:

„Versuch nicht zu leugnen, dass du es magst, Johan-kun.“

Sein Atem war so warm. Angenehm berührte Juudais Atem seinen Hals, was Entspannung in seinem Körper auslöste. Johan konnte sich endlich fallen lassen und musste nicht mehr über wichtige Dinge nachdenken.

„Juudai-kun... Juudai was ... tust du denn da?“, flüsterte er leise, als er bemerkte, dass Juudais Lippen nicht mehr an seinem Ohr lagen.

„Spürst du es nicht?“, entgegnete Juudai mit einer Gegenfrage.

Johan schnappte erschrocken nach Luft. Natürlich spürte er was Juudai gerade mit ihm anstellte, es war immerhin nicht zu ignorieren dass Juudais warmen, wirklich unglaublich weichen Lippen seine Haut berührten, ihn leicht neckten... an seinem Hals saugten.

„Warte!! Warte Juudai-kun, bitte lass das Mal einen Augenblick... lass uns erst Mal...“, Johans aufgebrachte Stimme erstarb unter Juudais Lippen die er einfach auf Johans presste. Durch die Fesseln konnte der Norweger nicht anders als Juudai einfach gewähren zu lassen, doch mit diesem einen innigen Kuss bei dem sich ihre Zungen in einem leidenschaftlichen Kampf trafen, blieb es nicht. Juudai ließ keinen Einwand gelten. Egal wie sehr Johan darum bat, er möge ihn erst Mal Luft holen lassen um diese Sache in Ruhe mit ihm zu besprechen, war Juudai der festen Überzeugung, dass Johan es ebenso wollte wie er.

Kein einzige Knopf war mehr an seinem Oberteil geknüpft und so befand sich der hilflos ausgelieferte Norweger schon in einer Ekstase, die er gern widerstanden hätte. Er hätte sich gern gewehrt, doch je mehr er seinen Körper gegen Juudais schlanken wehrte, bekam er mehr Körperkontakt mit ihm, was alles noch viel schlimmer machte. Keuchen befreite sich aus seiner Kehle. Es durfte nicht sein. Er konnte Juudai nicht gestatten ihn so zu berühren, es war einfach nicht richtig.

Allerdings...

Juudai hatte doch Recht.

Er wollte es.

Den ganzen Tag schon hatte er der Versuchung widerstehen müssen diese roten Lippen zu küssen. Vor nur ein paar Stunden hatte er sich beherrschen müssen Juudai nicht einfach an die nächstbeste Hauswand zu drücken und seine unverschämt süßen Lippen zu erobern.

Warum...

Diese Frage schoss Johan nun in den Kopf.

Warum war es Juudai, der ihn dermaßen um den Verstand brachte?

Warum tat er es ihm hier und jetzt an und ließ ihn nicht einmal zu Wort kommen? Er konnte unmöglich...

Warme Hände umschlangen Johans Becken und brachten den Norweger dazu schwer zum Schlucken. Juudai entledigte sich mit nur wenigen Handbewegungen von Johans Hose entledigt. Wieder wollte er gegen Juudais direkten Handlung protestieren, am liebsten hätte er sich mit aller Macht dagegen gewehrt, doch er ließ sich durch die Zärtlichkeiten wieder übermannen. Statt Protest quälte sich leises Stöhnen aus seiner Kehle wobei Juudai mit seinen heißen Küssen immer tiefer wanderte bis...

Johan spürte wie hitzig sein Körper war. Wie erwartungsvoll er darauf lauerte, dass Juudai noch mehr mit ihm tat. Noch viel mehr. Johans Herz raste mittlerweile als ob er Kilometer weit gelaufen wäre.

„Juudai-kun nicht...“, flehte Johan trotz allem noch unterwürfig.

Er bemerkte genau wie nahe Juudais Atem seiner Männlichkeit war. Ein starker, aber wohliger Schauer fuhr durch den Körper des Norwegers und immer noch versuchte er verzweifelt Juudai davon abzuhalten weiter zu gehen. Nur noch wenige Millimeter waren Juudais Lippen von Johans Erregung entfernt.

Jeden Moment würde auch er jede Gewalt über seinen Widerstand verlieren. Juudai hatte ihn entgültig dort wo er ihn haben wollte. Langsam umschlossen Juudais Lippen...
 

„Juudai-kun, hör auf!“

Johan schreckte auf. Sein Atem ging schnell und die Wärme in seinem Körper ließ nur sachte nach.

Langsam sah Johan sich um.

Er war allein.

Seine Hände konnte Johan frei bewegen, und es war auch kein Juudai neben ihm zu sehen. Johan ließ sich den Traum noch einmal durch den Kopf gehen. Warum musste er solche Dinge von Juudai träumen?

‚Und das auch noch in so einer Zeit. Juudai hat ganz andere Probleme, außerdem...’

Langsam schüttelte Johan den Kopf. Es war zum verrückt werden. Er konnte sich nicht einfach in Juudai verlieben, das war unmöglich, doch wenn er alles was in den letzten Tagen geschehen war zusammenzählte, den Traum mit einrechnete und das was er in seiner Hose ausgelöst hatte, dann musste er es sich doch eingestehen.

Johan erhob sich von seinem Bett. Wäre es heller in seinem Zimmer gewesen, dann hätte man das dunkle Rot auf seinen Wangen erkennen können. Ein dunkles Rot, das er vor niemandem verstecken konnte. Er hatte Angst dass seine Eltern irgendetwas gehört haben könnten. Vielleicht hatte er im Schlaf geredet und etwas ausgeplaudert, das er besser für sich behalten hätte. Nach einem kleinen Zögern öffnete Johan die Schranktür und zog einen frischen Schlafanzug heraus. Auf leisen Sohlen schlich er sich ins Badezimmer und schaltete dort das Licht ein und ebenso leise schloss er die Badtür hinter sich.

Verloren sah Johan an die Zimmerdecke hinauf wobei er spürte, dass er eigentlich am liebsten geweint hätte. Er wollte einfach anfangen zu weinen und erst dann wieder aufhören, wenn seine Gefühle für Juudai gestorben waren. Eines war ihm klar, er musste schnellstens dafür sorgen, dass er ihn vergaß und natürlich musste er sich eine passende Ausrede für sein kleines Malheur ausdenken.

‚Ich habe keine Idee wie ich Abstand gewinnen kann...’, stellte er innerlich fest und zog sich zunächst den schmutzigen Schlafanzug aus, ‚Ich verschiebe es einfach auf Morgen. Wer weiß, ob ich nicht einfach nur verwirrt bin. Wahrscheinlich bin ich nur ein bisschen durcheinander, weil ich ihm versprochen habe für ihn da zu sein. Juudai... Juudai...’

Für ein paar Sekunden hatte er sich wieder einreden können, dass es vielleicht doch nur Einbildung war, allerdings überkam ihn die Sehnsucht nach seinem Freund augenblicklich wieder.

Auf Johans Gesicht zeichnete sich nun ein bitteres Lächeln ab: ‚Nun gut, Juudai. Ich liebe dich... Aber ganz ehrlich, wenn meine Eltern das rauskriegen, dann bin ich verloren. Sie werden mich dann sicher nicht mehr als ihren Sohn ansehen, sie werden mich als Monster sehen, ich weiß doch wie es war... Warum muss ich mich ausgerechnet in Juudai verlieben? Warum er? Kann ich mich nicht in irgendein Mädchen verlieben? In der Klasse springen doch genug davon rum und Ruki ist auch ständig um mich herum, ich kann mich nicht einfach... Juudai... Juudai würde es auch nicht verstehen, er würde mich hassen wenn ich es ihm sagte!’

Johan stampfte leicht mit einem Fuß auf. In diesem Augenblick verfluchte er die ganze Welt, die zuvor noch recht warm gewirkt hatte, als er bei Juudai war. Für ihn stand nun fest, dass er sich erst einmal seiner Gefühle wirklich sicher sein musste und sie danach ausrotten.

Noch immer spürte Johan die sanften Nachwirkungen seines Traumes. Es war ein so schönes, warmes Gefühl, das sich in seinem Inneren ausgebreitet hatte, nur der Gedanke an Juudai hatte es ausgelöst. Er seufzte leicht aus und kehrte wieder in sein Zimmer zurück um besseren Träumen nachzuhängen.
 

- Fortsetzung folgt in Teil 4 -
 

Wie ich euch schon am Anfang des Kapitels gesagt habe, ist das vorraussichtlich das letzte Kapitel dass ihr zu lesen kriegen werdet. Ich weiß, ich habe vielen von euch versprochen, dass ich weiter machen werde, ich hänge auch an der Story vielleicht sogar etwas zu sehr. Ich kann sie allerdings nicht weiter schreiben, weil sie mir gerade so viel bedeutet und etwas gerade in die Brüche geht von dem ich dachte niemals zu Bruch zu gehen.

Ich weiß nicht wie viele von euch überhaupt noch an einer Fortsetzung interessiert sind. Eventuell geht es auch weiter, nur im Augenblick denke ich eher nicht. Mein Wille an der Geschichte weiter zu schreiben schwankt von Tag zu Tag wenn ich ehrlich bin und in letzter Zeit ist der Standpunkt beim Aufhören geblieben.

Wenn ihr irgendwelche Stellungnahmen habt, dann wendet euch bitte an mein Gästebuch. Kommentare zu diesem Teil hier selbst, wie immer im Kommentar bereich ^^ Ich möchte nur nicht dass dann irgendwie nur Kommentare stehen wie "hör nicht auf" oder so, so was bitte in mein GB oder per ENS!

Prosjektuke Teil 4

Danke an alle die mir so nette ENS und Kommentare geschrieben haben! Ich freue mich zu hören dass es wirklich Leser gibt die verdammt traurig sein würden wenn ich nicht weiter schreibe.

Also, dann viel Spaß bei diesem Teil, ich habe ihn selbst Beta gelesen XD

Die folgenden Teile werden sich verspäten und länger auf sich warten lassen wegen Schule und anderen Zeitgründen. Ich bin auch wieder Abwesend vom 26.09-1.10.08
 

IV Distanz
 

„Beeil dich, beeil dich doch!!“

Johan war an diesem Morgen erst spät aufgewacht. Er hatte weder das Klingeln seines Weckers vernommen, noch bemerkt dass seine Eltern schon früh das Haus verlassen hatten. Somit hatte er sich beinahe überschlagen müssen um noch rechtzeitig zu Juudai zu gelangen, der wie üblich erst ein Mal aus dem Bett geklingelt werden musste. Es kam sogar schon so weit, dass Ruki die kleine Anhöhe herauf kam um zu sehen wo ihre Freunde blieben. Enttäuscht wurde sie nicht, Johan und Juudai kamen laufend aus dem roten Holzhaus heraus und liefen als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her.

„Warum hast du eigentlich auf uns gewartet, Ruki-chan?“, wollte Juudai während ihres Laufes wissen.

„Na ja wie sieht das denn aus, wenn ich allein in der Schule auftauche und niemand aus meiner Gruppe ist dort?!“, schlug Ruki als Grund vor und lief weiter, „Außerdem, mein Lieber, bin ich nicht so fies wie ich aussehe, kapiert!? Was mich schlägt ist eher, dass Johan verschlafen kann.“

„Wieso denn das?“, fragte er etwas gereizt.

Ruki keuchte ein wenig bevor sie antworten konnte: „Na weil du nie zu spät kommst. Es kommt einen vor als passiert dir das ein Mal im Leben und dann nie wieder.“

„Sei mal ganz beruhigt, ich verschlafe genauso oft wie alle anderen Menschen“, meinte Johan mit einem seichten Lächeln, „Jetzt sollten wir aber zusehen, dass wir in die Schule kommen sonst schreibt sich der Lehrer das noch auf!“

Juudai und Ruki konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Lehrer würde höchstens Juudai in seinem Buch verzeichnen, denn er hatte ein unglaubliches Talent fürs zu spät kommen. Glücklicherweise kamen sie durch ihren Entspurt nur fünf Minuten zu spät und wurden nur freundlich ermahnt das nächste mal etwas zügiger zu gehen. Johan entschuldigte sich regelrecht untertänig bei seinem Lehrer wobei Ruki schon fast ein schlechtes Gewissen bekam sich nicht ebenso höflich entschuldigt zu haben. Ohnehin schien dieser Tag sehr merkwürdig zu werden, wenn Johan schon verschlief. Brage war ebenfalls zu spät, doch handelte er sich aufgrund seiner zwanzig Minuten doch etwas mehr Krach ein. Verstimmt gesellte sich der Junge in zu weiten Jeanshosen zu seiner Gruppe, die schon weiter am Projekt arbeitete.

„Guten Morgen ihr drei“, begrüßte Brage seine Mitschüler.

„Morgen“, sagte Johan erneut in einem leicht gereiztem Ton, „Du bist spät dran.“

Verwirrt blickte Brage zwischen Ruki und Juudai hinterher, die nur ihren Kopf schüttelten um ihn zu sagen, dass er sich nicht darum kümmern sollte sondern sich besser setzte. Der blonde Junge kam diesem Wunsch nach und ließ sich regelrecht auf einen der Stühle hinunter plumpsen.

„Leute, darf ich euch mal was fragen?“, wollte er in Flüsterton wissen.

„Um was geht es?“, entgegnete Johan trocken.

„Na ja ob da wieder solche Leute bei euch waren. Gestern sind wir durch die Stadt gejagt worden, vergesst das nicht!“, erklärte Brage und wechselte ein paar Blicke mit Juudai. Johan zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Er hatte niemanden bemerkt, wie sollte er auch? Er hatte letzte Nacht mit anderen Dingen zu kämpfen.

Ruki schüttelte ebenfalls den Kopf: „Bei mir war niemand. Sie scheinen wirklich nur an Juudai interessiert gewesen zu sein.“

„Ich habe mich auch gewundert, dass niemand mehr bei uns gewesen ist“, erklärte Juudai, „Nicht mal im Garten.“

„Wahrscheinlich hat Johan den von gestern erschreckt, das ist alles“, meinte Brage und klopfte Johan leicht auf die Schulter, dieser schien sich dadurch allerdings nichts weiter als provoziert zu fühlen und schüttelte die Hand seines Klassenkameraden wieder ab.

„Was ist denn heute mit dir los, Johan?“, wollte Ruki nun auch wissen, sie sah ihren Freund verwirrt an, da sie ihn noch nie so unfreundlich erlebt hatte. Der kleinere der beiden Norweger zuckte nur mit den Schultern und stand von seinem Stuhl auf: „Nichts weiter, ich bin mal eben auf der Toilette.“

Während Johan den Klassenraum verließ sahen seine Gruppenmitglieder allerdings stumm hinter ihm her, ohne eigentlich zu wissen was mit ihm los war. Juudai war drauf und dran ihm hinterher zu gehen, doch Ruki hielt ihn am Handgelenk fest: „Lass ihn mal kurz, Juudai. Es kann sein, dass er wieder Ärger zu Hause hatte, oder so was. In der Pause rede ich mit ihm.“
 

Johan war wirklich übel gelaunt, doch nicht durch die Tatsache, dass er verschlafen hatte oder Brages zu spät kommen. Er war schlecht aufgelegt, weil er noch immer nicht von Juudai ablassen wollte. Die ganze Zeit schon hätte er ihn am liebsten an sich gerissen, ihn in den Arm genommen und ihm gesagt wie viel Juudai ihm eigentlich bedeutete.

Johan schlug mit der Faust hart gegen die Klotür und fluchte leise vor sich hin: „Das darf nicht sein, ich darf nicht so schwach werden! Es ist einfach unmöglich!“

Ich muss dem schnellst möglich ein Ende setzen’, sagte er zu sich selbst und kehrte kurze Zeit später zum Klassenzimmer zurück. Sehr viel glücklicher sah er allerdings nicht aus, als er zwischen Brage und Ruki Platz nahm. Juudai schien nicht zu bemerken, dass Johan absichtlich etwas mehr Abstand von ihm nahm. Das Mädchen allerdings bemerkte den leichten Versuch so wenig Blickkontakt wie möglich mit Juudai aufzunehmen und ihm ja nicht zu nahe zu kommen. Unmerklich schüttelte sie den Kopf, ahnend was vor sich ging zog sie wieder das Blatt Papier zu sich, das sie vorhin zusammen beschrieben hatten.

„Wir sollten die Textzeilen verteilen, meinst du nicht auch?“, fragte sie an Johan gewandt, der sie nicht direkt ansah sondern während seiner Antwort mit einem Bleistift: „Ja, wäre wohl das Beste.“

„Also gut“, meinte Brage, „Ich bin aber nicht der dämliche Junge, der zu viel Fast Food gegessen hat, klar!?“

„Na schön wenn du meinst“, entgegnete Johan gelangweilt, „Dann muss Juudai das eben übernehmen. Ich hoffe das ist okay.“

Juudai nickte überrascht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Johan ihm die Entscheidung so leicht abnahm. Ihm war es relativ egal was er bei ihrem kleinen erläuternden Schauspiel sagen sollte, er brauchte nur jemandem, der ihm erklärte wie man einige Wörter aussprach und wie er den Text aufsagen sollte. Ruki, die nicht gerade begeistert darüber war, dass sie einen Vortrag vor der Klasse halten mussten, bekam die Aufgabe ein wenig am Anfang zu erklären was verschiedene Stoffe für den Körper tun und dadurch war sie ziemlich erleichtert als sie hörte dass die Jungs sich bereits einig wurden.

„Sollen wir das Stück mal durchgehen?“, fragte Juudai mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen. Er hatte die Hoffnung, dass Johan es vielleicht erwidern würde oder vielleicht dadurch aufgeheitert wurde. Keines von beiden trat ein. Johan lächelte nicht, er würdigte Juudai genauer gesagt nicht eines Blickes. Wieder zuckte er einfach nur mit den Schultern und gab ein leises Murmeln von sich: „Wie wäre es, wenn du mit Ruki erst mal lernst wie du es aussprechen musst und dann könnt ihr zu uns kommen. Wir üben schon mal allein.“

„Johan...“, warf Ruki ein, „So kannst du uns doch nicht einfach abspeisen!“

„Wieso abspeisen? Wir arbeiten doch auch, Ruki!“, entgegnete Johan etwas erhitzt.

„Aber... wenn Juudai etwas nicht kapiert, wie soll ich ihm denn erklären, was es bedeutet?“, wollte sie wissen.

Er zögerte etwas, natürlich wusste er, dass er sich hiermit nun endgütig verraten hatte: „Tut mir leid, aber das Problem wirst du schon irgendwie lösen.“

„Na schönen Dank auch, Juudai und ich gehen in die Bibliothek rüber. Viel Spaß ihr beiden!“, verabschiedete sie sich von Johan und warf Juudai einen Blick zu damit er ihr folgte, „In der Pause muss ich trotzdem kurz mit dir reden!“

„Ist schon gut“, entgegnete er leicht verloren lächelnd und machte sich mit Brage an die Arbeit, während Ruki sich mit Juudai auf den Weg machte.
 

Juudai ging schweigend neben Ruki her, die ziemlich verstimmt aussah. Er wagte es nicht sie anzusprechen, im Falle dass er dadurch nur noch alles schlimmer machen würde. Es war allerdings Ruki die, die Stille unterbrach: „Ich werde dir helfen Juudai, keine Sorge. Es sollte sich nicht so anhören als wolle ich dich auf Johan abschieben. Es ist nur... Na ja, er kann dich am besten verstehen wenn etwas schief geht, weißt du?“

„Ja, ich weiß. Ich habe deinen Punkt gleich verstanden aber... Wenn ich ehrlich bin würde ich mich auch besser fühlen, wenn er in meiner Nähe ist. Johan... er hat mir versprochen, dass mir nichts passiert“, erklärte Juudai.

Hellhörig geworden sah Ruki ihren japanischen Freund an: „Juudai sag, ist doch noch etwas passiert, was du vorhin nicht gesagt hast?“

„Nein. Es war niemand bei uns, glaub mir, ich würde nicht so ruhig sein wenn ich wieder in eines dieser Gesichter gesehen hätte. Es ist nur merkwürdig, dass Johan mich plötzlich nicht einmal mehr ansehen will“, antwortete Juudai und folgte seiner Freundin in die schummrige Bibliothek der Schule. Zusammen mit Ruki nahm er an einem der Tische platz und sah sich den Zettel an, den Ruki mitgenommen hatte.

„Vielleicht habe ich ihm etwas getan und weiß es nicht einmal. Das wäre doch möglich, oder?“, wollte Juudai bekümmert wissen, „Was könnte ich getan haben? Du kennst ihn doch besser als ich. Ist es, weil ich mal wieder verschlafen habe?“

„Juudai, Juudai, jetzt komm mal wieder runter!“, meinte Ruki mit erhobenen Händen, die Juudai vermitteln sollten, dass es sicher nicht so schlimm war wie es aussah, „Ich glaube er hat einfach nur schlechte Laune, auch wenn er nicht gerade der Typ ist, der sie an anderen auslässt.“

„Du meinst... es könnte wirklich sein, dass seine Eltern daran schuld sind?“, wollte er verzweifelt wissen worauf Ruki ihn einen kleinen Klaps auf die Schulter gab und mit einem aufmunternden Lächeln antwortete: „Da bin ich mir sogar ganz sicher. Ich werd’s schon für dich herausfinden!“

Juudai hatte eigentlich noch fragen wollen, ob sie es ernst meinte und es ihm versprechen würde. Allerdings hielt er dies für keine sehr gute Idee, denn schließlich hatte Johan ihm auch etwas versprochen und er schien es nun auf irgendeine Weise zu bereuen, das hatte Juudai im Gefühl. Sicher wollte Johan sich nicht weiter auf seine Probleme einlassen.

Ich würde es ihm nicht mal verübeln... Ich weiß auch nicht ob ich so begeistert wäre, wenn einer meiner Freunde verfolgt wird...’, dachte er bei sich und seufzte leise aus. Ruki hatte ihn dabei nicht aus den Augen gelassen und somit auch bemerkt, dass Juudais hoffendes Lächeln entgültig verstorben war, er seufzte und das hatte er in ihrer Gegenwart noch nie getan. Ihre Miene verfinsterte sich leicht: ‚So eine Gemeinheit sich so mies uns gegenüber zu benehmen... So kenne ich Johan gar nicht. Irgendwas muss passiert sein...
 

Zur selben Zeit in einem weit entfernten Land hatte die Schule gerade aufgehört. Viele Schüler schulterten ihre Taschen und machten sich endlich auf den Weg nach Hause um sich in ihre Freizeit zu stürzen und später ihre Hausaufgaben zu erledigen. Zwei von diesen Schülern gingen zunächst noch schweigend nebeneinander her. Der eine war recht groß gewachsen für sein Alter, er war fünfzehn Jahre alt und hatte schwarzes Haar, das ihm nach allen Seiten hin abstand. Seine Haut war ungewöhnlich blass und seine Miene verriet, dass er nicht besonders glücklich zu sein schien. Neben ihm ging ein weitaus kleinerer Junge, der hellblaues Haar hatte und eine Brille auf der Nase trug. Er wirkte ein wenig schüchtern und verloren neben dem größeren Jungen, dennoch war er der erste von beiden der sprach:

„Manjoume-kun, hast du Mal wieder etwas von Aniki gehört?“

„Nein“, entgegnete der Schwarzhaarige einsilbig und beschleunigte sein Gehtempo.

„Was Aniki wohl macht und wo er hingezogen ist...“, fragte der kleinere laut, „Hast du eine Ahnung?“

„Er ist nach Norwegen, Shou, jetzt nerv doch nicht mit Juudai rum!“, mahnte Manjoume und sah auf seine Uhr. Der kleinere Junge namens Shou betrachtete seinen Freund mit fragender Miene: „Hast du heute noch etwas vor?“

„Ja“, antwortete der Schwarzhaarige ebenso grob wie zuvor.

„Und was wirst-...“, begann Shou, doch er konnte nicht zu Ende sprechen, denn eine große schwarze Limousine kam neben ihnen zum stehen. Die hinteren Fenster waren verdunkelt, so dass man nicht hinein konnte und anstatt eines normalen Nummernschildes konnte man die Buchstaben MAN erkennen, die vor der dreistelligen 002 Ziffer standen. Auf einmal wurde dem kleinen Shou klar warum Manjoume an diesem Tag besonders schlecht gelaunt und besonders gereizt wirkte. Sicherlich war einer seiner älteren Brüder dort in dem Wagen und wollten ihn mitnehmen.

Tatsächlich konnte Shou erkennen, dass Manjoume Jun mit seinen Augen rollte, als sein älterer Bruder Chousaku das Fenster herunter ließ und ihn mit nicht ernst gemeinten, freundlichen Worten begrüßte: „Hallo Brüderchen. Na? Wie war denn dein Schultag?“

„Spar dir deine scheinheiligen Worte für einen anderen Irren, der sie dir abkauft!“, murrte Jun und verschränkte seine Arme vor der Brust, „Was willst du hier, Chousaku?“

„Ah-, du willst also immer noch nicht nett mit mir plaudern? Wie schade. Ich hätte Shouji anbieten sollen dich zu holen, er hätte sicher noch ganz andere Sprüche für dich auf Lager“, triezte der älteste der Manjoume Brüder und öffnete die Tür hinten. Jun ließ ein abfälliges Geräusch verlauten: „Hast du keine eigenen Argumente, die du mir entgegenbringen kannst?“ Schließlich stieg Jun in das Auto ein und verabschiedete sich von dort aus von seinem Freund: „Wir sehen uns Morgen in der Schule, ne?“

„Natürlich. Bis Morgen, Manjoume-kun“, antwortete Shou und beobachtete wie sich der Wagen in Bewegung setzte und somit aus der Sichtweite geriet.
 

„Also Chousaku, was willst du?“, erkundigte sich Jun mit so wenig Taktgefühl er nur aufbringen konnte, „Vater wird dich wohl kaum geschickt haben, oder?“

Chousaku grinste leicht und warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Jun saß noch immer in einer Abwehrhaltung auf der Rückbank und signalisierte, dass er lieber aus dem Auto gesprungen wäre als sich hier auf ein Gespräch mit ihm einzulassen. Es war allerdings zu spät für ihn sich um zu entscheiden und wieder aus dem Auto zu steigen. Sie hatten sich bereits in einen langen Stau eingereiht, der die Fahrt für Jun unangenehm lang erscheinen lassen wird.

„Soll ich dir in der Kurzfassung erzählen was los ist, oder möchtest du die ausführliche Version hören?“, erkundigte sich der dunkelhaarige Fahrer und schenkte seinem kleinen Bruder ein weiteres höhnisches Grinsen.

Jun seufzte leicht aus: „Rede einfach so wenig wie möglich und wir verstehen uns.“

„Wie der Herr wünscht“, antwortete Chousaku, wobei sein Grinsen noch breiter wurde als es ohnehin schon war, „Du sollst deinem kleinen Liebling, Yuuki Juudai endlich sagen, was Sache ist!“

„Wie bitte!? Juudai!?“, fragte Jun und verlor seine Abwehrstellung ohne es überhaupt zu merken.

„Bist du also wach geworden, Kleiner? Hör mir Mal zu, Jun, ich sage dir das jetzt nur ein einziges Mal, weil wir ja nicht so viel miteinander sprechen wollen. Wir haben vor ein paar Wochen einen Brief von deinem kleinen Liebling bekommen und haben großes Interesse daran, dass du ihn ein bisschen zum kommunizieren bewegst. Er wirkt ein wenig überdrüssig der norwegischen Luft, wenn du mich fragst“, spottete der Ältere.

Chousaku war genau in der Lage zu beobachten wie sehr der Spott seinen Bruder erzürnte. Um sich aber keine Blöße zu geben entschied Jun sich dafür seine Haltung zu wahren und entgegnete in seiner arroganten Art: „Was denn, was denn, plötzlich soll ich nicht mehr mit meiner englischen Verlobten sprechen, was sind denn das für neue Töne, Bruderherz?“

„Keine Ahnung, Jun, aber Vater will es so“, antwortete Chousaku zur Abwechslung ehrlich und in keiner Weise überlegen, was Jun sagte, dass es wohl recht ernst werden würde.

„Also soll ich den lieben kleinen Sohn für Vater spielen, ja?“, wollte Jun wissen, er lächelte dennoch eines seiner frechen Grinsen und verschränkte seine Arme wieder vor der Brust.

„Du hast es erfasst. Versuch wenigstens überzeugend dabei zu klingen, ja? Immerhin versucht Vater deinen kleinen Liebling wieder nach Japan zu schaffen“, meinte Chousaku und betätigte die Hupe um ein wenig Leben in den Verkehr zu kriegen. Der kleinere der beiden rollte mit den Augen und dachte sich seinen Teil bei dieser Handlung.

Durch `nen fetten Wagen unter deinem Hintern und Machoverhalten geht’s auch nicht schneller, aber das verrate ich dir nicht, Niisan!’, dachte Manjoume bei sich und versuchte den Rest der Fahrt nur noch die notwenigsten Dinge mit Chousaku zu besprechen.
 

Nach der Schule gingen Ruki, Johan und Juudai wie immer zusammen nach Hause. Das Mädchen hatte in der Schulpause nicht sehr viel aus Johan herausbekommen, da Brage sich ständig in der Nähe befand und die gewünschte Privatsphäre nicht akzeptierte. Der letzte Ausweg für sie war nun Johan aufzuhalten erst zu sich nach Hause zu gehen wodurch ein weiteres ungewöhnliches Ereignis ausgelöst wurde. An der Anhöhe verabschiedete Juudai sich allein von Ruki und dieses Mal war es nicht nur von ihr sondern auch von Johan, der zugestimmt hatte erst später nach Hause zu gehen.

Mit leicht betrübter Miene machte Juudai wie üblich eine kleine Verbeugung bevor er sich von seinen Freunden verabschiedete und setzte seinen Weg nach Hause fort. Ruki zog Johan am Handgelenk hinter sich her und gebot ihm sich in die Küche zu setzen nachdem er sich die Schuhe ausgezogen hatte. Johan kam ihrem Wunsch nach, doch sah er nicht besonders begeistert aus. Er wirkte sogar etwas rebellisch mit seinem Lächeln und seiner lässigen Haltung auf dem Stuhl: „Und Ruki? Was ist los?“

„Ich will wissen was das soll. Warum behandelst du Juudai als sei er so ein Idiot wie Brage?“, entgegnete sie mit einer Gegenfrage, „Was ist in dich gefahren Johan?“

„Nichts... es ist nur...“, seine Stimme brach ab. Er wusste doch ganz genau, dass er Juudai heute sicherlich nicht nur ein Mal mit seinen Worten verletzt hatte.

„Was denn!?“, drängte sie weiter und setzte sich ihm gegenüber.

Johan schüttelte den Kopf: „Gar nichts.“

„Ja dein ‚gar nichts’ kenne ich! Wenn du sagst, es ist nichts, dann ist das Buschfeuer normalerweise schon in vollem Gange. Du warst noch nie ein besonders guter Lügner, also erzähl mir was los ist, hast du verstanden!?“, forderte sie und warf ihm einen strengen Blick zu, „Hast du heute Morgen gelogen? Wurdest du noch einmal von so einem Typen angegriffen oder so was?“

„Hmmhuhu...“, ein überlegenes Grinsen von Johan, „Ich dachte du merkst es, wenn ich lüge?“

„Ja und ich merke es, wenn du dich total zum Volltrottel machst. Du bist kein Möchtegernstarker, Johan. Selbst wenn du den ganzen Tag von Brage lernst bist du nicht überzeugend in der Rolle. Also komm, oder willst du dass ich das selbe mit dir tue? Soll ich dich auch so mies ignorieren und nur einsilbige Antworten geben, wie du sie Juudai entgegen gebracht hast? Ich dachte wirklich, du hättest ihn gern i-...“, Ruki wurde in ihrer hiesigen Rede unterbrochen und das nicht besonders leise:

„Genau hier liegt das verdammte Problem, Ruki!! Mir ist Juudai nicht egal, ich wünschte er wäre es! Ich wünschte er würde mich nicht kümmern, ich wünschte ich müsste mir keine Gedanken machen und mich zusammenreißen und zurückhalten! Ich... möchte mich nicht noch einmal dabei erwischen wie ich ihn küssen möchte, ich will mich nicht mehr gegen ihn wehren müssen. Hast du überhaupt eine Ahnung wie es sich anfühlt, wenn du tief in deinem Inneren genau weißt wonach du verlangst aber ebenso gut auch erkennst, dass es unmöglich für dich ist jemals das zu bekommen, was du willst!?“

Überrascht schwieg das Mädchen. Einen solchen Ausbruch hatte sie nicht erwartet, schon gar nicht von Johan. Seine Fassade war gefallen, nun saß kein frecher halbstarker Junge mehr vor ihr, sondern der Johan den sie kannte, nur etwas verzweifelter als üblich. Es hatte nichts mit den fremden Männern vom vorigen Tage zutun, aber gewiss waren seine Eltern daran Schuld, dass er sich so verloren fühlte.

Ruki stand wieder auf und ging zu Johan herüber. Sie konnte nicht anders, als ihn tröstend durch den Haarschopf zu streichen, noch nie hatte sie dies tun müssen. Es war für sie das erste Mal, dass sie ihn überhaupt trösten musste, immerhin wusste sie ganz genau worum es ging.

„Du liebst Juudai, nicht wahr?“

„Hmm“, antwortete er mit einem Nicken.

„Das hab ich auch schon bemerkt, ob du’s glauben willst oder nicht... Du bist dir aber nicht sicher, ob er deine Gefühle erwidert, oder? Ist das der Grund warum du ihn auf Abstand halten möchtest?“, fragte sie weiter wobei sie ihm leicht verzweifelt in die Smaragde sah.

Johan zuckte mit den Schultern: „Sicher ist das auch einer meiner Gründe.“

„Auch einer deiner Gründe? Was soll das heißen?“, forschte sie weiter, „Sag mir nicht dass...“

„In dieser Hinsicht kennst du nicht nur mich sehr gut, Ruki“, antwortete Johan ohne das Ruki überhaupt zu ende sprechen musste.

„Denen gehört doch wirklich die Lizenz weggenommen! Das sind keine Eltern, Johan, das sind Diktatoren, Monster! Du wirst dich doch wohl nicht...“, herrschte sie wieder los und wurde erneut von Johan unterbrochen: „Was soll ich machen, Ruki? Erstens weiß ich wirklich nicht, was Juudai von mir denken würde wenn ich ihm sagte, dass ich ihn liebe. Zum anderen kenne ich die Einstellung meiner Eltern, habe ich dir von dem jüngeren Bruder meines Vaters erzählt?“

„Du meinst Trond? Glaubst du sie würden dir das selbe antun?“, wollte Ruki wissen, „Dürfen sie dich überhaupt vor die Tür setzen?“

„Nein, nicht direkt. Es gibt aber eine einfache Möglichkeit mich vor die Tür zu setzen, auf wirklich legalen Wegen. Sie müssen schlicht und ergreifend einfach nur eine Privatschule für mich aussuchen die weit genug weg ist, damit ich in einer Studentenwohnung bleiben muss. Nicht schlecht was man in Norwegen alles machen kann, hm?“, erklärte Johan leicht verzweifelt.

„Jetzt mach’s mal halblang, Johan! Du bist sonst auch nicht so negativ! Gib doch nicht gleich auf, sich zu verlieben... ich meine... das ist doch kein Weltuntergang. Juudai ist doch ein süßer Junge und ich glaube er würde es auch nicht schrecklich finden, ganz im Gegenteil ich glaube er wäre stolz aber... ihn jetzt auf die Weise zu behandeln, wie du es bis jetzt getan hast ist auch keine Lösung. Außerdem müssen deine Eltern nicht von deinen Gefühlen erfahren, sag ihnen doch einfach nichts, woher sollen sie denn Wind davon bekommen? ... Die sind doch sowieso kaum zu Hause...“, meinte sie und klopfte Johan leicht auf den Rücken, „Mach wie du willst, Johan, aber ich empfehle dir gut zu überlegen wie du es machst. Juudai wird enttäuscht sein, wenn du plötzlich nicht mehr für ihn da bist. Es ist zu sehen, dass er dich sehr lieb hat!“

„Ich weiß...“
 

Die Dunkelheit lag schwer auf der Großstand in der Manjoume Jun lebte. Sein Bruder Chousaku hatte ihn bereits zum Hauptsitz ihrer Firma, der Manjoume Group, gefahren und begleitete ihn durch die vielen verworrenen Korridore in denen man sich leicht verlaufen konnte. Schweigend ging Jun seinem Bruder hinterher, der ein straffes Tempo angestrebt hatte, allerdings wusste Jun ganz genau, dass es nur zur Show war. Chousaku hätte sich gut noch dreißig Minuten länger Zeit lassen können und niemanden hätte es gestört. Dem jungen Mittelschüler graute es nur schon vor dem Zusammentreffen mit Shouji und seinem Vater. Die drei Personen in seinem Leben, mit denen er noch nie wirklich zurecht gekommen war, würden ihn sicher wieder wie Geier umkreisen und erst dann in Ruhe lassen, wenn er tat was sie von ihm verlangten.

Schließlich gelangten die beiden jungen Männer an eine Tür.

„Warte einen Moment“, bat Chousaku seinen kleinen Bruder, der wie nicht anders zu erwarten war wieder mit seinen Augen rollte und zusah wie der Größere an die Tür klopfte, „Ich bin es, Chousaku.“

Hast du ihn mitgebracht?“, die Stimme seines Vaters drang aus dem Zimmer.

„Wäre ich denn sonst hier, Vater?“, entgegnete Chousaku mit einem breiten Grinsen.

Komm rein!“, antwortete die Stimme erneut, worauf der ältere der beiden Manjoume Brüder die Tür öffnete und zusammen mit Jun eintrat.

Vor dem Mittelschüler lag ein langer, schummriger Raum der hauptsächlich mit Computern und anderen Hightechgerätschaften ausgestattet war. Jun war zwar verwirrt über diesen Teil des Unternehmens, das sein Vater leitete, doch wollte er sich keine Blöße geben und verbeugte sich tief zur Begrüßung seines alten Herrn: „Guten Abend Vater.“

„Gleichfalls, Jun“, entgegnete der großgewachsene Japaner in Krawatte und Anzug, erhob sich von seinem Stuhl und kam auf seine Söhne zu, „Lass mich raten, du bist nur gekommen weil es um deinen kleinen Liebling geht, hab ich Recht?“

„Mitten ins Schwarze“, antwortete Jun trocken und verschränkte seine Arme wieder vor der Brust.

Der Leiter der Manjoume Group grinste leicht vor sich hin: „Folge mir, Jun.“

Ein kleines Brummen drang aus seinem Munde worauf er nur widerwillig parierte und seinem Vater zu einigen Computern folgte. Einer der Monitore zeigte große Karten über Norwegen, ein anderer einige Daten und ein Passbild von Juudai, dessen Mutter und Vater. Jun konnte seine Verwirrung nun wirklich nicht mehr verstecken und sah seinen Vater zum ersten Mal richtig an.

„Du hast keine Ahnung was das soll, kann das sein?“, erkundigte sich Manjoume.

„Er wollte es nicht hören, Vater, sonst hätte ich ihm mehr erzählt“, berichtete Chousaku.

„Hm... na schön, dann werde ich dir jetzt erzählen, was sich so ergeben hat, Sohn“, berichtete Manjoume und deutete mit einer kleinen Kopfbewegung auf die beiden Monitore, „Yuuki Juudai, fünfzehn Jahre, dritte Klasse Mittelschule scheint zur Zeit bei einem gewissen Johan Andersen, ebenfalls fünfzehn Jahre, zehnte Klasse einer sogenannten Ungdomskole, was der dritten Klasse einer japanischen Mittelschule entspricht, zu sein. Sie wohnen vielleicht zusammen, dass wissen wir noch nicht. Was wir aber wissen ist, dass diese Adresse verwendet wurde, als er dir schrieb, Jun.“

„Wie bitte!? Ihr öffnet einfach so meine Post!?“, erbost blickte Jun zwischen seinen Vater und Chousaku hin und her.

„Wen es uns etwas nützt, warum nicht? Du wolltest ihn finden, hier ist er“, entgegnete Chousaku.

„Ach von wegen, ihr wolltet ihn doch gar nicht finden. Ihr wart doch ganz froh dass er weggezogen ist! Warum wolltet ihr, dass ich herkomme?“, fragte Jun empört, „Warum!? Antwortet mir!!!“

„Kein Grund laut zu werden. Alles was du tun sollst, Jun, ist das was du die ganze Zeit über machen wolltest: Kontakt zu ihm aufbauen, hier ist deine Chance. Schreib ihm und halte schön lange Kontakt!“, antwortete Manjoume und gab Jun den Briefumschlag in die Hand. Der jüngste Manjoume bedachte seinen Vater und Chousaku mit einem misstrauischem Blick: „Irgendwie finde ich schon heraus was das ganze soll... verlasst euch drauf!“

„Und bis dahin, liebes Brüderchen, wartest du zu Hause mit Mami und dem Abendessen auf uns, na los“, meinte Chousaku und schob seinen Bruder aus der Tür hinaus worauf er diese geräuschvoll wieder schloss.

Chousaku wandte sich zu seinem Vater um: „Was denkst du?“

Manjoume zuckte mit den Schultern und holte sein Mobiltelefon aus der Tasche, das gerade angefangen hatte, zu vibrieren: „Ja, Manjoume hier. Er ist misstrauisch, was erwarten Sie von ihm, er ist immerhin ein Manjoume! Richtig, ich will dass Sie weiter machen, aber nicht so offensichtlich, das ist ja schändlich gewesen... Tja, ich hoffe dass die Informationen von Nutzen sind, sonst wissen Sie ja was passiert nicht wahr? Ich will nicht noch einmal, dass dieses Geschäft platzt!“
 

~Fortsetzung folgt in Kapitel 7: Et Kjærlighetsbrev – Ein Liebesbrief~
 

Nachwort... ein Nachwort das ich viel zu spät tippe...ich weiß gar nicht mehr was alles in diesem Kapitel geschehen war, also musste ich nochmals alles lesen, bis mir der ganze Plan bzw. die Storyline wieder einfiel. Ich kann euch schon Mal versprechen dass die Fragen in diesem Kapitel irgendwann noch mal eine Antwort bekommen ^.^

Ich kann euch nur sagen, es hat Spaß gemacht – riesigen Spaß gemacht das Kapitel zu schreiben, denn es war ein wenig mehr Action drin und... ja Johans versauter Traum ^^’’ Tut mir leid, dass Juudai dieses Mal so Seme war, allerdings spielte sich das ganze nur in Johans Unterbewusstsein ab und so kann man ihm das noch durchgehen lassen oder?

Zweitens... ich liebe einen rebellischen Manjoume Jun und ich wollte natürlich auch zeigen, dass er sich nicht ganz so gut mit seinen Brüdern und seinem Vater versteht. Wieso ich das so eingebaut habe weiß ich nicht – zwar auch weil es ein Teil der Geschichte sein muss, aber ich habe bei GX immer das Gefühl gehabt dass die Manjoume Group die Kapitalistenbande überhaupt ist... eben so, dass Jun durch seine Freunde auf der Academy gelernt hat war wirklich zählt und hier hat er es eben in der Schule durch Juudai und Shou gelernt obwohl seine Freundschaft zu Shou lange nicht so gut ist wie zu Juudai.

Tja... was soll ich noch sagen... ich fand es irgendwie lustig in irgendeinem Kommentar zu lesen, dass jemand das Paar Ruki x Brage gut finden würde. Das ist wirklich toll, denn Ruki die kleine Zicke und Brage der Schwachkopf sind ja nun Mal die Leute die eigentlich überhaupt nicht zu GX gehören und da dachte ich eigentlich sie würden sehr, sehr unbeliebt werden – scheint ja wirklich nicht der Fall zu sein XD

Wenn ich ehrlich bin war es nicht Mal geplant, dass Brage mehr zu sagen bekommt. Er sollte einfach nur ein einziges Mal während des Volleyballunterrichts auftauchen und dann nie wieder, aber als dann die Idee mit der Projektwoche kam, konnte ich ihn doch noch Mal brauchen und jetzt hat er auch noch eine größere Aufgabe bekommen, die ich euch aber erst im Laufe des 9. Kapitels preis geben werde und jetzt natürlich zum Wichtigsten:

Es tut mir so verdammt leid, dass sich einige Sorgen um mich gemacht haben. Tut mir wirklich leid!! Durch euch habe ich mir den Abbruch noch einmal gut durch den Kopf gehen lassen und wie gesagt eigentlich habe ich diese Geschichte verdammt lieb... Ich werde sie beenden, egal wie lange es dauert. Und bitte denkt dran, es ging mir nicht um die Leute die Kommentare abliefern, es reicht mir zu wissen wie viele Leute die Geschichte favorisieren und verfolgen. Der Grund warum ich ans Aufgeben gedacht habe war ein ganz anderer und hing mit meiner Betaleserin zusammen, wie ich ein paar Leuten schon erklärt habe. Wie auch immer, ich freue mich von einigen ENS bekommen zu haben und bedanke mich auch bei denjenigen, die in den Kommentaren ein paar Zeilen für mich dagelassen haben.

Ich hoffe ihr hattet Spaß, wir sehen uns dann in einem neuen Kapitel wieder.

Et kjærlighetsbrev Teil 1

Kapitel 7:

Et kjærlighetsbrev

~Ein Liebesbrief~
 

I. Einsam
 

Juudai lag allein in seinem Zimmer. Seine Arme hatte er hinter seinem Kopf verschränkt und starrte die Decke über seinem Kopf an. Durch das leicht geöffnete Fenster drang ein feiner Luftzug der Kälte in sein kleines Zimmer brachte und den Geruch des Herbstes mit sich trug. Mittlerweile war es draußen Dunkel geworden und nur spärlich waren Sterne durch die aufgebrochene Wolkendecke zu erkennen. Es war in der Tat so wie am Anfang, als er noch neu in der Gegend war, doch jetzt fühlte sich alles viel kühler an als zuvor. Alles was geschehen war, das erste Treffen mit Johan in der Schule, der erste Ausflug mit Ruki und ihm in den Levre Wald und das erste Mal als sie alle drei von den Männern in schwarzen Mänteln verfolgt wurden, kam Juudai wieder in den Sinn. Jetzt fühlte sich alles so bedeutungslos an. Seit Johan ihn keines Blickes mehr würdigte, seit er ihm nichts mehr erklärte und nicht mehr weiterhalf wenn Juudai nicht mehr wusste wie er handeln sollte oder wie er weiter lernen konnte. Seine Uhr schien stehen geblieben zu sein, für immer, so glaube jedenfalls Juudai.

Natürlich hatte Ruki ihn nicht im Stich gelassen, sie war für ihn da wie auch Johan es immer gewesen war, aber es fühlte sich ganz anders an in ihrer Nähe zu sein. Juudai umgab der sanfte Schutz seines Freundes nicht mehr, er wurde nicht mehr beschützt oder in den Arm genommen, wenn er es brauchte. Jetzt wo Juudai, Johan vermissen konnte fragte er sich, ob es normal war dass man sich so umarmt hatte, wie sie sich schon umschlungen hatten. War er jemals so vertraut mit Shou oder Manjoume gewesen?

Juudai zuckte mit den Schultern, es war eigentlich egal, er wurde nun nicht ein Mal mehr von Johan angesehen, es spielte also keine Rolle mehr wie tief seine Freundschaft ging, oder nicht und auch Ruki vermochte es nicht die Lücke in Juudais Herzen zu füllen.
 

Die letzten Wochen waren die Hölle für den Japaner gewesen, auch mit dem Umstand dass er seit der Verfolgung in Oslo keinen einzigen in schwarzgekleideten Mann mehr sah heiterte ihn keines Falls auf. Juudai begann sich zu fragen ob alles was geschehen war, nicht einfach nur ein sehr langer Traum gewesen war und er bald wieder aufwachen konnte. Dann würde er feststellen, dass er in einem schönen warmen Bett schlafen würde, dass in der selben Wohnung stand, in der er zu letzt gewohnt hatte. Seine Mutter würde noch die letzten Arbeiten im Haushalt erledigen während sein Vater noch ein Mal durch das Fernsehprogramm schaltete und zu letzt beim Sport hängen blieb.

Es tröstete Juudai kein bisschen, dass er nichts mehr von diesen Männern gesehen hatte, denn wenn er ehrlich war wünschte er sich manchmal insgeheim doch wieder so einen Kerl auf der Straße zu sehen nur um einen Grund zu haben Johan anzusprechen. Immerhin hatte er Juudai damals versprochen auf ihn aufzupassen.

Ein leises Seufzen entfuhr Juudai und dann bildete sich wieder dieser harte Kloß in seinem Hals. Er hatte Johan wirklich vertraut. Dieses Vertrauen war dem Norweger anscheinend nichts Wert gewesen, er schien sich schon seit Wochen nicht mehr darum zu kümmern, was er Juudai an jenem Abend versprochen hatte. Der junge Japaner war eine Zeit lang so zornig gewesen, dass er nicht mehr im Stande war Tränen zu zeigen. So sehr er Johan auch davon überzeugen wollte wieder zu ihm zurück zu kommen, er würde es nicht schaffen, das wusste er. Das beste war Johan einfach in Ruhe zu lassen, auch wenn es ihm weh tat.
 

Die schlimmste aller Wochen in seinem gesamten Leben in Norwegen war allerdings das Ende der Projektwoche gewesen. Nachdem Johan ihm die schwierige Wahl abgenommen hatte irgendwie zu entscheiden welchen Text er sprechen wolle, hatte er intensiv mit Ruki geübt. Es war schwer genug die Bedeutung schwieriger Worte zu verstehen, doch die richtige Aussprache brachte Juudai um den Verstand und Ruki um ihre letzten Nerven. Juudai erinnerte sich, wie er nach der Schule vor ihrer Tür stehen blieb und wartete bis Johan außer Sichtweite war. Mit gesenkten Kopf starrte der Braunhaarige auf den nassen Asphalt, der wohl dazu verdammt schien den Rest des Jahres nicht mehr über längere Zeit trocknen zu können, er hatte nichts gesagt nur gezögert und vor seiner Freundin gestanden um zu sehen ob sie etwas sagte. Juudai wurde nicht enttäuscht, Ruki hatte zwar ihre Hände wieder in die Hüften gestemmt, aber dennoch ließ ihre Miene ahnen, dass sie nicht ernsthaft wütend war: „Yuuki Juudai-kun! Könntest du nicht wenigstens mir sagen was los ist?“

„J – jah!“, entgegnete Juudai perplex als hätte das Mädchen ihn aus einen Tagtraum gerissen, es war nicht ihre Art ihn mit vollem Namen anzusprechen, „Entschuldige, ich hab mich nur gefragt ob es vielleicht möglich wäre mit dir zu üben. Jetzt, wenn es geht.“

„Jetzt gleich?“, wiederholte die Schwarzhaarige mit einem nachdenklichen Blick in den wolkenverhangenen Himmel. Juudai nickte stumm, er hatte die Hoffnung den Tag mit ihr zu verbringen um irgendwie heraus zu finden was mit Johan los war. Vielleicht hatte sie eine Ahnung und konnte ihm weiter helfen.

„Na schön, ich glaube das geht. Meine Mutter ist ja nicht so streng“, antwortete Ruki und packte Juudai regelrecht am Kragen, „Dann mal los!“

Verwirrt über Rukis plötzlichen Entschluss ließ der Japaner sich mitziehen, normalerweise hasste er diese Art an ihr. Sie beschloss etwas und schon wurde die ganze Sache in die Tat umgesetzt, Juudai mochte es nicht wenn sie so über seinen Kopf hinweg entschied was zutun war.

So wurde Juudai zum ersten Mal ins Innere des Hauses in dem seine Freundin wohnte gezerrt und hatte kaum die Möglichkeit sich erst Mal die Schuhe auszuziehen. Juudai stolperte regelrecht in das Wohnzimmer und begrüßte dort Rukis Mutter mit einer kleinen Verbeugung.

„Könnte ich vielleicht meiner Mutter zu erst bescheit sagen?“, fragte Juudai an seine Freundin gewandt und erhielt dann ein Nicken. Vor kurzem hatte er von seiner Mutter ein Mobiltelefon bekommen und auch sie war nun in Besitz eines solchen. Etwas gereizt tippte Juudai nun eine kleine Meldung für seine Mutter, damit sie sich keine Sorgen um ihn machen brauchte. Sogleich er es erledigt hatte, folgte er Ruki in ihr kleines Zimmer, ein wenig größer als sein eigenes war. Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen, sie schien in dieser Hinsicht wie er zu sein, es hingen bunte Poster von Animes, Filmposter und Bilder von Stars die sie gern hatte an den Wänden doch ihr Mobiliar unterschied sich beträchtlich von seinem. Ihr Bett war aus schwarz gebeiztem Holz, das mit vielen Schnitzereien verziert war. Ein Steintisch stand in der Mitte des Raumes, dessen Fuß die Gestalt eines großen Drachens hatte und die Platte bestand aus Glas. In ihrem Zimmer befand sich auch ein dunkles Regal dessen Seiten Drachenbeine aussahen und zum Boden hin große Pranken ausgearbeitet hatten, dieses beherbergte eine beachtliche Sammlung an Mangas und Animes. Für den kleinen, jedoch einfach gehaltenen Schreibtisch und den kleinen Bürostuhl schien kaum noch Platz zu sein. Das Mädchen lächelte als sie ihm ihr Zimmer zeigte: „Tja, in Deutschland war mein Zimmer entschieden größer.“

„Ich glaube das muss es gewesen sein“, antwortete Juudai der etwas sprachlos klang. Wenn er ehrlich war, traute er sich kaum sich in diesem Zimmer zu bewegen, aus Angst er könnte irgendetwas zerbrechliches kaputt machen.

„Setz dich einfach“, bot sie ihm schließlich an und ließ den Jungen auf ihrem Bett platznehmen, anschließend wühlte sie in ihrer Schultasche nach den Unterlagen die sie in der Schule angefertigt hatten, „Ich weiß nicht wie gut ich dir das beibringen kann, aber wir werden Johan schon zeigen was `ne Hake ist, nicht wahr?“

Juudai nickte und zum ersten Mal an jenem Tag brachte er ein aufrichtiges Lächeln zu Stande: „Ja na klar! Ich schaffe das schon! Außerdem bist du doch gar nicht so zickig, wie du dich am Anfang gegeben hast, mit dir halt ich’s schon aus!“

Ein Lachen trat aus ihrem Munde in das Juudai mit einstimmte. Es war ein wirkliches Lachen das von Herzen kam und die beiden für einen Moment alle ihre Probleme, waren sie nun zwischenmenschlich oder anderer Natur, vergessen konnten. Ruki konnte es sich nicht nehmen und gab Juudai einen kleinen Knuff in die Seite: „Du bist ganz schön frech mein Lieber, pass besser auf was du sagst!“

„Hmm... muss ich mich vor der fürchten?“, wollte er wissen.

„Pass bloß auf oder ich kitzle dich bis du keine Luft mehr kriegst!“, drohte das Mädchen und zeigte Juudai ihre Finger als wäre sie eine Katze, bereit auf die hilflose Beute zu springen.

Ein kleines Klopfen ertönte an ihrer Tür und herein kam Rukis Mutter: „Ich hoffe ihr lernt nebenbei auch.“

„Na klar!“, versicherten beide mit einem Grinsen.

„Nun, das sieht man“, entgegnete die Frau mit dem angegrautem Haar mit sarkastischem Unterton, doch klang sie immer noch witzelnd wobei ihr leichtes Lächeln ebenfalls zeigte, dass sie es gut fand die beiden in Gesellschaft zu sehen, „Juudai, du bleibst doch zum Essen oder?“

Der Junge sah Ruki fragend an, als ob er sichergehen wollte, dass er auch nicht störte, sie nickte ihm sachte zu worauf er es ihr energischer gleichtat: „Aber klar, gern doch!“

Rukis Mutter nickte und schloss mit den Worten „Jetzt lernt aber auch“ die Tür, noch immer mit einem freundlichen Lächeln machte sie sich an die Arbeit das Mittagessen zu kochen.
 

Die beiden Jugendlichen hatten sich somit an die Unterlagen gesetzt. Ruki übergab Juudai seinen Text und bat ihn es laut vorzulesen und bescheit zu sagen, wenn er etwas nicht verstand. Schon nach den ersten paar Zeilen musste sie seine Aussprache korrigieren und versuchte es ihm richtig zu erklären, was sich allerdings als schwieriger herausgestellt als sie erwartet hatte.

„Wie mache ich es denn richtig?“, fragte Juudai schließlich ein wenig verzweifelter als zu Beginn des Übens.

„Es sind Umlaute Juudai-kun, ich weiß dass sie schwer für dich sind... Versuchs weiter, du schaffst es ja manchmal...“, meinte sie und ließ den Jungen noch ein paar Mal die Wörter wiederholen.

„Außerdem...“

„Außerdem was?“, wiederholte sie in etwas scharfem Tonfall.

„Ich würde gern wissen was „jern“ ist. Ich weiß dass es irgendein Stoff sein muss...“, antwortete Juudai etwas kleinlaut.

Ruki überlegte kurz. Sie konnte es ihm schlecht auf Deutsch sagen und auch Englisch beherrschte Juudai nicht im Geringsten. Sie selbst wusste eigentlich auch nicht viel über das, was an Stoffen in ihrem Körper arbeitete. Nachdem sie in Gedanken mit sich selbst gestritten hatte wie sie es Juudai am besten erklärte, holte sie Juudais Kette, die er unter seinem Shirt verbarg hervor: „Du hast schon Recht, es ist etwas im Körper. Es ist wie deine Kette aus Eisen... oder Metall. Na Silber oder Gold ist es nicht...“

„Eisen?“, wiederholte Juudai nun und gab ihr japanische Wörter, mit denen sie sogar ein bisschen was anfangen konnte.

„Eisen und Silber hören sich doch gleich an auf Japanisch, Juudai-kun“, jammerte sie und betrachtete noch eine Weile den blauen Stein an seiner Kette, „Juudai-kun... woher hast du den eigentlich?“

Seine Augen lagen ebenfalls auf dem Edelstein, der recht groß war und ein beachtliches Gewicht auf eine Wage bringen würde, die fein genug für solche Wertgegenstände war. Er zuckte leicht mit den Schultern: „Von meinem Vater, bevor er verschwand.“

„Dein Vater ist verschwunden!?“, sagte sie etwas überrascht, bisher war es nur Johan der davon erfahren hatte, „Du weißt nicht warum er ihn dir gegeben hat?“

Juudai dachte kurz nach. Er erinnerte sich noch, dass er ihn bekommen hatte, aus der Hand seines Vaters aber wo und warum er diesen Stein bekommen hatte wusste Juudai nicht mehr. Er schüttelte nur den Kopf und versuchte das aufkommende Gefühl der Unruhe zu verdrängen.

„Es war... Ich glaube er war in Eile...“, erklärte Juudai plötzlich, die aufgebrachte Stimme seines Vaters klang in seinen Ohren wider, wie ein Echo aus längst vergessener Zeit, „Er ist wichtig... niemand soll...“

Die Stimme einer Frau durchbrach die aufkommende Hysterie des Jungen. Es war Zeit zum Essen.
 

Ein wirklich schlimmer Tag war es für Juudai gewesen, wenn er so darüber nachdachte zählte er wohl zu den schlimmsten. Jetzt wo ihm wieder eingefallen war, dass Ruki ihn auf das Geschenk seines Vaters aufmerksam gemacht hatte, kam er ins Grübeln. Wenn er nur wüsste was geschehen war.

Warum hatte sein Vater ihm diesen wertvollen Stein gegeben?

Jedenfalls hatte seine Freundin Recht, dieser Stein war unheimlich wertvoll, allerdings könnte er sich auch irren, immerhin hätte sein Vater ihm nicht dieses prachtvolle Stück gegeben, wenn er nicht ganz sicher gegangen wäre, dass Juudai es auch gut verwahrte. Der junge Japaner schüttelte schweigend den Kopf. Es war sicher kein Hintergedanke dabei gewesen, sicherlich wollte sein Vater ihm nur etwas hinterlassen bevor er für immer aus seinem Leben verschwand.

Juudai nickte.

Ja, sein Vater den er immer bewundert hatte war einfach so verschwunden genau wie Johan langsam aus seinem Leben zurück zu weichen schien. So sehr Juudai sich auch bemüht hatte einen klaren Kopf zu behalten, seine unbeschwerte Heiterkeit aus früheren Tagen beizubehalten, es gelang ihm immer weniger. Angefangen hatte es am Tag vor der Aufführung des kleinen Stückes, an dem er mit Ruki noch einmal den genauen Text besprach und auch ohne Manuskript sprechen sollte. Es schien als hatte Ruki an diesem Tag ebenfalls einen kurzen Geduldsfaden zu haben, denn sonst, da war Juudai sich eigentlich sicher, wäre es niemals zu diesem Streitgespräch gekommen.

Um das Stück ein wenig authentischer wirken zu lassen, hatte Juudai ein paar Kissen unter seine Schuluniform, die er stets in Norwegen trug, gestopft so dass er dicker wirkte als er eigentlich war.

Jeg hadde spist for mange bagare på Mc’er’n og blir tokk...”, weiter kam Juudai nicht. Ruki, die schon eine Weile mit ihm an der richtigen Aussprache geübt hatte war nun am Ende ihrer Nerven: „Nein, Juudai!! Ich hab dir doch schon an die hundert Mal gesagt, dass es ‚Burger’ und ‚tjukk’ heißt. Außerdem beugst du das Verb völlig falsch. Ich dachte du hast den Text richtig gelernt!?“

„Wir haben zusammen geübt Ruki, das weißt du!!“, fauchte Juudai zurück, der den barschen Ton des Mädchens nicht gerade angenehm fand, „Ich habe mit dir zusammen geübt, du weißt, dass es manchmal nicht anders geht!“

„Wie wäre es, wenn du dich ein bisschen mehr anstrengst und konzentrierst, immerhin kannst du noch ganz gut streiten!“, stellte sie fest und stemmte wie so oft, wenn sie wirklich verärgert war die Hände in die Hüften. Juudai schüttelte sprachlos den Kopf, natürlich konnte er seine Worte eigens wählen, wenn er nicht gerade ein Treatment einstudieren musste: „Du benutzt zu viele komplizierte Wörter, sag ich doch!“

„Das kann nur gut für dein Vokabular sein!“, hielt sie dagegen und schenkte Juudai ein paar todbringende Blicke. Er allerdings ließ sich durch diese ganz und gar nicht einschüchtern, mit einem Rück holte er die Kissen unter seiner Kleidung hervor und schmiss sie kraftvoll auf den Boden.

„Manchmal da... Manchmal da bist du wirklich unausstehlich weißt du das?“, gab er ihr schlussendlich zur Antwort.

„Vielen Dank, du kannst manchmal auch nicht gerade einfach sein, vor allem wenn du niedergeschlagen bist, da kannst du manchmal wirklich nerven! Ich versuche dir schon zu helfen, aber du bemühst dich einfach nicht!“, schimpfte sie lautstark, doch wurde sie schnell wieder still, als alles in Juudai von Wut zerfressen zu sein schien:

Johan hätte mir nie so einen Text gegeben!! Johan hätte mir beigestanden wo er nur konnte!! Ich bin eben nicht so perfekt wie er, verstehst du das nicht!?

Stumm sah Ruki ihrem Gegenüber in die Augen. Unfähig dem etwas entgegen zu bringen trat eine unaufhaltsame Stille ein, die sich lange und schwer über die beiden Jugendlichen legte. Minuten hätten vergehen können ohne dass sich die Blicke der beiden voneinander lösten, oder dass einer von ihnen die über alles herrschende Stille unterbrach. Noch nie hatte Juudai einen solchen Wutausbruch gehabt, nicht Ruki oder irgendeinem anderen Freund gegenüber. Schlechte Laune kannte Juudai eigentlich gar nicht, genauso wenig wie übermäßige Traurigkeit, die er in den letzten Tagen gehabt hatte. Das Mädchen war es, die schließlich wieder das Wort ergriff und ein paar Schritte auf ihn zuging: „Es tut mir leid Juudai-kun. Ich weiß, dass Johan ein weitaus besserer Lehrer gewesen wäre. Aber ich bin nun mal nicht Johan.“

Juudai nickte stumm und ging zur Tür.

„Juudai, bitte warte! Es tut mir wirklich leid, du kennst mich doch, ich bin manchmal unausstehlich, das hast du eben selbst festgestellt!“, meinte sie und versuchte ihren Freund wieder zurück zu holen, doch er schüttelte abermals den Kopf.

„Nein, ist schon gut. Ich will jetzt nach Hause. Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast, aber die miese Stimmung wird heute sowieso nicht mehr besser. Morgen wird sicher alles gut gehen und wenn wir die Note vermasseln, dann ist es eben so. Damit muss auch Johan leben“, erklärte Juudai und verabschiedete sich höflich von Ruki. Sie schieden mit gespaltenen Gefühlen voneinander, was Juudai nicht wusste war, dass die Johan am selben Tag noch angerufen hatte um ihm von diesem Vorfall zu erzählen.
 

Der Tag des Projektwochenabschlusses war ebenfalls nicht einer von Juudais besten gewesen. Er hatte beinahe die ganze Nacht in seinem Manuskript gelesen und versucht alles noch ein Mal richtig zu wiederholen, damit auch wirklich nichts schief ging, dabei hatte er die Zeit völlig vergessen und hatte kaum Schlaf bekommen.

Eigentlich war es nicht so, dass Juudai große Präsentationsangst hatte, die Situation machte ihn allerdings nervös alles auf Norwegisch halten zu müssen. Es war eine andere Sache in seiner eigenen Klasse, die nur aus Ruki und ihm bestand etwas laut vorzutragen. Hier waren definitiv zu viele Leute, die er nicht oder nur wenig kannte. Sie waren die zweiten die ihren Vortrag halten mussten und somit bekamen sie noch zehn Minuten um sich noch ein Mal untereinander zu besprechen.

„Ich denke ich kann jetzt alles!“, meinte Juudai stolz lächelnd, auch um seine Nervosität zu überspielen.

„Das ist super, ich dachte schon du würdest es gar nicht mehr über dich bringen, wegen gestern“, entgegnete Ruki etwas schuldbewusst, doch der Japaner schüttelte gleich darauf den Kopf um sie wissen zu lassen dass er nicht mehr böse auf sie war.

Brage gab seinem Gruppenkollegen einen kräftigen Klaps auf die Schulter: „Juudai mein Freund, du packst das schon!“

Seit wann sind wir Freunde!?’, ging es Juudai durch den Kopf und nickte nur. Andererseits war Brage mittlerweile auch schon tief in seine Welt voller privater Probleme gerutscht, dass es fast ein Muss war ihn als eine Art Freund zu bezeichnen. Wahrscheinlich wusste er jetzt sogar mehr als Ruki was Johan anging, doch das konnte Juudai nicht genau wissen. Allerdings ahnte er, dass Johan sich Ruki aufgrund der guten Verbindung zu Juudai, nicht mehr richtig anvertrauen wollte.

„Seid ihr dann so weit?“, wollte Johan mit etwas gelangweiltem Tonfall wissen und bekam drei zustimmende Nicken als Antwort.

Johan hatte eine zusätzliche Power Point Präsentation angefertigt um den Stoff besser vermitteln zu können. Alle Lampen im Klassenraum waren somit gelöscht und nur das grelle Licht des Projektors war zu sehen. Ruki betrat als erste den Klassenraum und bekam ein paar Stichworte auf der ersten Seite der Präsentation:

„Seit kurzem hat die Fast Food Ladenkette McDonald’s eine Nährwert Tabelle bei jedem Produkt beigelegt, damit der Verbraucher auch weiß wie viel er wirklich zu sich nimmt. Wir haben uns also ein Menü für einen wirklich hungrigen Teenager zusammen gestellt. Unser Essen bestand aus einem McRib, einer großen Portion Pommes Frites, einem 0,5 Literbecher Coca-Cola und zum Dessert gab es einen McFlurry mit Smarties und ein Schokoladenmilchshake.“

Dann trat Johan aus dem Hintergrund hervor, er hatte sich extra sportliche Kleidung angezogen, damit er den Eindruck eines richtig aktiven Sportlers machte, dann ergriff er das Wort: „Angesichts der eigentlich ziemlich niedrigen Werte an Fett und Kalorien sind wir stutzig geworden worauf wir uns gleich noch ein Mal besannen und genau nachlasen wurde uns klar, dass die angegebenen Werte auf 100 Milligramm beziehungsweise 100 Milliliter verteilt sind und nicht auf das gesamte Produkt.“

Dann war Brage in seinem Typischen Kleidungsstil an der Reihe, seine weiten Hosen und Pullover kaschierten seine etwas fülligere Gestalt perfekt, doch Ruki hatte genau für den richtigen Text gesorgt um den Jungen ein wenig bloß zu stellen: „Jetzt wundert mich auch nicht mehr, dass ich etwas mehr zugenommen habe in den vergangenen Monaten. Wir haben ausgerechnet das unser Menü, das wir übrigens an diesem Tag untereinander geteilt haben insgesamt 2141.42 Kilokalorien, 78.95 Gramm Fett, 55.162 Gramm Eiweiß und 302.34 Gramm Kohlenhydrate beinhaltete. Dies entspricht ungefähr 3,5 Mal so viel Kilokalorien wie in einem durchschnittlichen Döner steckt. Nun seht euch an, was aus unserem vierten Gruppenmitglied geworden ist.“

Zögerlich machte Juudai ein paar Schritte nach vorn. Das Licht des Projektors blendete seine Augen stark, so dass er die anderen Schüler kaum sehen konnte, allerdings konnte er das leise Geflüster dennoch vernehmen. Sicherlich fragten sie sich, was der eigentlich schmächtige Junge zu sagen hatte, der Aufgrund der Auspolsterung unter seiner Kleidung zu schwitzen begann, denn das Licht des Vorführgeräts strahlte eine unglaubliche Hitze aus.

„Nun, ich habe jeden Tag in den letzten zwei Jahren bei McDonald’s so ein Menü gegessen wie die anderen schon vorgestellt haben. Früher war ich so schlank wie Johan und habe mit Sport getrieben und mein Körper war sehr fitt“, erklärte Juudai in ziemlich flüssigen Sätzen, obwohl er manchmal Betonungen falsch hervorbrachte und für die Norweger einen feinen Unterschied ergab, der den Sinn eines Satzes falsch machte. Die anderen Schüler in der Klasse konnten sich das Lachen nur schwer verkneifen und auch Ruki konnte ein hoffnungsloses Kopfschütteln nicht zurück halten, allerdings ließ sich Juudai noch nicht beirren:

„Vor anderthalb Jahren war ich so wie Brage aber ich hatte weniger Lust mich zu bewegen. Jetzt habe ich Schmerzen im Rücken und im ganzen Körper und bin dick. Es würde viel Zeit brauchen um wieder so auszusehen wie Johan.“

Als Juudai seinen Text beendet hatte ertönte wieder leises Geflüster aus den hinteren Reihen. Obwohl er nicht verstehen konnte ob er wirklich der Auslöser der Tuschelei im Hintergrund war, kam das mulmige Gefühl in ihm auf als machten die anderen sich lustig über ihn. Tief in seinem Herzen begann sich Unmut zu regen, ein schwarzer Verdruss der drohte seine Kehle hervor zu brechen.

Ich würde diese ganze Bande von...’, ihm fiel einfach kein passendes Schimpfwort ein, dass diese Jugendlichen am besten beschrieb und doch noch fein genug ausgedrückt war, ‚Auf jeden Fall würde ich sie gern erleben, wenn sie Japanisch lernen müssten. Dann könnte ich über euch lachen... und ich würde lachen...

Zum Abschluss wandte Ruki sich noch einmal an die versammelte Menge, dass sie sich besser drei Mal überlegen sollten ob sie Fast Food zu sich nehmen wollten oder nicht...
 

Juudai setzte sich auf und starrte für ein paar Sekunden die Tür an. Dann entfuhr ihm ein Seufzer und sein Blick wurde plötzlich wieder ernst: „Nein, Ruki hat Recht. Ich kann mich nicht einfach hier verkriechen und in Selbstmitleid zerfließen. Johan ist nun Mal ein Mensch und ich kann seine Freundschaft nicht erzwingen...“

Es wurde still in seinem Zimmer.

Er lauschte.

Juudai versuchte irgendein Geräusch auszumachen, doch alles was er hörte war sein schnell schlagendes Herz. Es schlug immer schnell, wenn er an Johan dachte. Wenn er seinen Namen in den Mund nahm und ganz besonders dann, wenn er sich klar machte, dass sie nicht mehr die guten Freunde waren, wie sie es sich vor nicht allzu langer Zeit geschworen hatten.

„Es ist schon in Ordnung. Ich werde es auch irgendwie allein schaffen. Ich gebe nicht auf Johan“, sagte er zu sich selbst um sich auch ein wenig mehr Mut zuzusprechen, „Eigentlich... ist es mir so viel lieber. Wer weiß wann ich oder ob ich noch weiter beobachtet werde. Ich brächte dich sicherlich in Schwierigkeiten und du hast schon genug mit deiner Familie zutun...“

Juudai nickte leicht: „Genau. Ich kann nicht mehr die Schule schwänzen, ab morgen... übermorgen, dann gehe ich wieder in die Schule.“

Es war tatsächlich so, dass Juudai seit zwei Tagen die Schule geschwänzt und sich einen Tag sogar krank gestellt hatte, nur um den kalten Kontakt mit Johan zu vermeiden und dies ging schlecht, denn Ruki war immerhin noch sehr gut mit ihm befreundet. Für sie war es sicher wie zwischen zwei Stühlen zu sitzen, doch Juudai war ihr wirklich dankbar, dass sie ihn nicht zu ignorieren begann und ihre Meinung auch Johan gegenüber gern verdeutlichte. Mit neuem Mut schaltete er sein Licht aus und versuchte ein wenig Schlaf zu finden, auch wenn er es kaum fertig bringen würde in vier Stunden pünktlich in der Schule zu sein.
 

Fortsetzung folgt in Teil 2 - Der Liebesbrief

Et kjærlighetsbrev Teil 2

II. Der Liebesbrief
 

Es wurde zunehmend kälter im Land und der Oktober hatte deutliche Spuren hinterlassen. Während die Bäume ihre prächtig gefärbten Baumkronen sachte verloren und die Stürme des Nachts zunahmen, flogen auch die letzten Zugvögel gen Süden. Die Sonne ließ sich nun nicht mehr vor acht Uhr morgens blicken und verursachte eine bereits winterliche Kälte, die Ruki unter die Haut kroch und erzittern ließ.

Auch heute ging sie allein mit Johan zur Schule, denn Juudai war, so wie es aussah, noch immer beharrlich dabei die Schule zu schwänzen. Über ihnen hingen an diesem Morgen keine grauen Wolken mehr wodurch auch die Luft erheblich abgekühlt wurde, allerdings sorgten die Sterne für eine warme Atmosphäre und das seichte bläuliche Grün am Horizont, verkündete die Ankunft eines sonnigen Tages. Im Augenblick war es der Deutschen allerdings egal wie schön es noch werden würde, denn sie fror bitterlich als sie neben ihrem norwegischen Freund herging.

„Wie wäre es, wenn du dir langsam wärmere Sachen anziehst, Ruki?“, schlug Johan etwas entgeistert vor.

„Wer kann denn wissen, dass es von Gestern auf Heute gleich so kalt werden muss?“, entgegnete sie ihm und ließ ein leichtes klappern mit den Zähnen hören, „Ich habe Mal `ne andere Frage, Johan. Kann ich sie dir stellen?“

Der Junge warf ihr einen fragenden Blick zu, er konnte sich schon denken worum es ging, allerdings wollte er ihr die Frage nicht aus dem Mund ziehen und antwortete schließlich: „Natürlich, frag doch einfach!“

„Es ist nicht so einfach abzuschätzen ob du gleich die Nerven verlierst! Sag mal, findest du es wirklich nötig, Juudai so böse zu ignorieren? Er war schon so fertig, dass er die Schule geschwänzt hat und... ach ich weiß einfach nicht warum du ihn so permanent abblockst!“, erklärte Ruki, „Warum versuchst du nicht einfach normal mit Juudai umzugehen?“

„Warum?“, wiederholte Johan ein klein wenig hitzig, „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Oh doch natürlich, ich meine, schön und gut dass du in ihn verliebt bist, aber das heißt doch für Juudai noch lange nichts. Außerdem finde ich die Methode anderen durch schubsen, kneifen und ignorieren zu zeigen wie wichtig sie einen sind, nach der vierten Klasse völlig unbrauchbar. Du bist schon fünfzehn Jahre alt Johan, du solltest dich bemühen Juudai normal entgegen zu treten. Rede wenigstens wieder vernünftig mit ihm, ja?“, schlug das Mädchen nun vor, die ganz und gar nicht mit Johans Umgangston zufrieden war. Der Norweger atmete tief durch, für ihn gab es eigentlich keinen Grund sich auch noch mit Ruki zu streiten, allerdings hatte er allen Grund Juudai auch weiterhin zu ignorieren, aber das wollte er ihr noch nicht so offen darlegen. Wenn überhaupt, dann nur um Juudai eine Nachricht zu überbringen, denn er schien auch heute nicht zur Schule zu kommen. Johans Blick war nach unten gerichtet, als ob er auf dem kalten Asphalt etwas Wärme finden würde, wenn er ihn lange genug anstarrte. Aber es gab keine wärme auf leblosen Steinen, egal wie lange Johan auf den Weg vor sich herunterstarrte, er fände sicherlich auch keinen Trost und noch weniger eine Lösung für seine Probleme.

Was sollte er also tun?

Ruki den Gefallen tun und wieder vernünftig mit Juudai umgehen?

Immerhin hatte er es dem Jungen doch versprochen, immer für ihn da zu sein, egal was los war. Allerdings hatten sich die Spione, die solch reges Interesse an dem Japaner gezeigt hatten, nicht mehr blicken lassen, also gab es eigentlich auch keinen Grund mehr ihn jeden Tag in seiner Nähe zu haben. Es war zu spät, er musste sich einfach von Juudai lösen.

Ruki gab sich mit der aufgekommenen Stille zunächst noch zufrieden, die nur durch das Fahren der Autos und gelegentliches Hupen durchtrennt wurde. Ab und zu hatte Ruki auch das Gefühl sie müsste sich jetzt unbedingt nach einem Raser umdrehen und ihm hinterher brüllen er möge sie doch nicht so erschrecken und seine Probleme zivilisiert lösen. Sicher, es war eine starke und ziemlich übertriebene Reaktion, allerdings war das Mädchen unausstehlich, wenn es kalt war und sie fror.

Die gewundene Straße vom Levretoppen bis zur Gjettum Schule hatten sie wie immer nach einer knappen Viertelstunde hinter sich gebracht. Auf dem Schulhof standen die beiden Schüler dann immer noch ein paar Minuten bevor sie sich in ihre Klassenräume aufmachten.

„Wir sehen uns in der großen Pause, ne?“, wollte sie vorsichtshalber wissen, man konnte in letzter Zeit nie wissen was Johan so vorhatte.

Johan nickte: „Natürlich.“

Gerade als sie sich umdrehen wollte um zu gehen, hörte sie die Schritte eines weiteren Jungen, der mit schweren Schritten auf sie zu kam. Schon angesichts dieser plumpen Schritte konnte sie sich sicher sein, dass es nicht Juudai war der sich doch noch dazu aufrappeln konnte rechtzeitig in die Schule zu kommen. Bevor der Junge, der in eine dicke Daunenjacke und viel zu weiten Hosen gekleidet war überhaupt etwas sagen konnte, drehte Ruki sich schnell auf dem Absatz um und winkte Johan zu: „Bis später, ich möchte nur ungern der Dummheit der ganzen Kommune begegnen.“

Johan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und schüttelte den Kopf. Um zu verhindern dass Ruki und Brage nicht aneinander gerieten wandte auch Johan sich um und gab Brage ein Zeichen direkt in den Klassenraum zu gehen.
 

Brage folgte Johan und zusammen betraten sie den noch dunklen Klassenraum. In letzter Zeit war Brage ebenfalls pünktlicher als sonst, vielleicht hatten seine drei neuen Bekanntschaften einen schlechten Einfluss auf den sonst eher schulisch desinteressierten Jungen. Während er seinen Stuhl vom Tisch holte warf er einen unschuldigen Blick zu Johan herüber.

„Sag mal, was war dann eben mit unserem kleinen Rukilein los?“, wollte er wissen.

„Ach gar nichts, sie wollte nur nicht mit dir sprechen, das ist alles“, antwortete Johan ehrlich worauf Brage mit den Schultern zuckte: „Mich würde es auch wundern, wenn sie jemals an einen Jungen kommen würde. Stimmt es eigentlich, dass sie jetzt ganz allein im Unterricht sitzt?“

„Ja“, antwortete Johan einsilbig, natürlich war Ruki nicht die einzige, die ihn auf Juudai aufmerksam machte. Der Norweger war sich ziemlich sicher, dass auch Brage in wenigen Momenten anfangen würde ihn nach dem Japaner auszufragen, was mit ihm los war und warum er gar nicht mehr so oft mit ihm in den Pausen zusammen war. Johan seufzte leicht aus, er konnte die Spannung zwischen sich und Brage praktisch fühlen, also entschloss er sich sofort reinen Tisch zu machen: „Vielleicht ist es besser ich spreche mit Juudai-kun über unsere Differenzen, meinst du nicht?“

„Ach Differenzen nennst du das?“, hakte Brage nach, „Johan wenn ich dir Mal was richtig ehrliches sagen dürfte...“

„Darfst du, keine Sorge! Aber wenn du mich ebenso rund machen willst, wie Ruki es immer tut, dann spar’s dir lieber. Mir ist eine Ruki schon mehr als genug!“, entgegnete Johan leicht genervt und setzte sich auf seinen Stuhl. Es war wirklich schrecklich immer wieder zu hören, dass er sich so ungerecht verhielt, außerdem war es ermüdend. Für Johan schien es kein guter Tag zu werden, oder er hatte einfach nur einen vollkommen schlechten Start in diesen.

„Wollte ich doch gar nicht! Ich meine nur, dass es eine gute Idee ist. Sonst kann es ja nicht besser werden, hab ich Recht?“, erklärte Brage.

Die rhetorische Frage brauchte Johan gar nicht zu beantworten, denn er wusste ganz genau, dass sowohl Brage als auch Ruki am Ende Recht behielten. Es ärgerte Johan ein bisschen, dass sogar sein Klassenkammerat dieser Meinung war und damit ein besseres Verhalten aufwies als er selbst. Johan nickte zu sich selbst, als er still auf seinem Platz saß und scheinbar nur auf die Ankunft des Lehrers wartete. Er musste das Spiel mit Juudai schnell zu ende spielen, damit er sie beide ihren inneren Frieden wiederfanden. Dass Johan so tiefe Gedanken hatte und sich wieder einmal nur um den kleinen Japaner wanden, ahnte Brage überhaupt nicht.
 

Für Ruki war die letzte Woche die langweiligste in ihrer gesamten Schulzeit gewesen, so hatte sie zumindest das Gefühl. In diesen Wochen durfte sie ganz allein jede Aufgabe bewältigen, sie brauchte Juudai immerhin nicht behilflich sein, wenn er gar nicht da war. Dadurch war sie auch ziemlich oft genervt durch ihre Lehrerin, die sie nun extra hart arbeiten ließ, weil die Weihnachtsprüfungen bevor standen. Wie auch schon in den letzten drei Tagen saß sie allein vor der blonden Frau die, bevor die Stunde so richtig beginnen sollte, etwas in ihrem Klassenbuch vermerkte.

„Hast du etwas von Juudai gehört?“, wollte Sonia wissen.

Jedes Mal wenn sie diesen Namen sagte, hätten Ruki Krallen wachsen können, denn sie tat es ganz falsch, nach einem kleinen Zögern brachte das Mädchen heraus: „Ihm geht es schon viel besser, ich glaube er kommt morgen wieder zur Schule.“

„Das ist gut. Bringst du ihm heute Nachmittag wieder die Hausaufgaben?!“, es hörte sich nicht an wie eine Frage, deshalb sparte Ruki sich die Antwort und ging nach vorn zum Lehrerpult um ein paar Arbeitsbogen entgegen zu nehmen.

„Ich hoffe Juudai lernt auch fleißig. Sonst besteht er seine Prüfung nachher nicht“, meinte die Lehrer mit Nachdruck in der Stimme, „Vielleicht solltest du ihm noch ein Mal gut zusprechen, an dir nimmt er sich sicher ein gutes Beispiel.“

Na klar, schon immer’, dachte das Mädchen bei sich und verdrehte ein wenig die Augen, ‚Auf Johan hat er immer gehört. Es ist Johan der zu Juudai vorgedrungen ist und auch unser Verhältnis zueinander gestärkt hat, nicht umgekehrt!

Sie hatte damit vollkommen Recht. Anfangs konnte Juudai sie überhaupt nicht leiden und auch Ruki war wenig angetan von ihm gewesen, trotz seiner japanischen Herkunft konnte sie keinen guten Kontakt mit ihm knüpfen. Am liebsten wäre sie auf der Stelle aufgestanden, in Johans Klasse hineingeplatzt um ihn am Kragen nach draußen zu schleifen. Irgendwie musste sie ihn dazu bewegen wieder normal mit Juudai umzugehen.

Die Sonne ging inzwischen langsam auf und sorgte dafür dass wenigstens der Tau auf dem Rasen und an den Bäumen wieder schmolz. Die Temperaturen blieben allerdings an diesem Tag ziemlich gering, so dass sie sich wirklich eingestehen musste, dass sich der Herbst langsam in Winter verwandelte. Sie seufzte leicht als sie ihre Aufgaben erledigte. Nun begann die wirklich dunkle Zeit des Jahres, die Weihnachtszeit würde auch bald eingeläutet werden und ihr den letzten Nerv rauben, da sie Weihnachtsmusik und vor allem den Stress des Geschenkkaufens nicht ausstehen konnte. Sowieso hatte sie keine besonders romantische Einstellung zum ewig kaltem Wetter und ihr graute es schon vor dem bevorstehenden Schneefall. Nein, sie war ganz und gar kein Wintermensch.
 

Sehnsüchtig hatte das Mädchen schon auf die große Pause gewartet während sie eine Aufgabe nach der anderen erledigte, einen kleinen Text verfasst und Grammatik wiederholt hatte. Sie mochte es nicht so gern zugeben, aber sie hatte große Angst davor das Tentamen schlecht zu bestehen, auch wenn sie bisher noch keine einzige schlechte Arbeit abgeliefert hatte. Der Gedanke an Halbjahresprüfungen verursachte einfach eine innere Unruhe in ihr und auch unglaublich große Panik.

Letztendlich konnte sie tief durchatmen als es zur großen Pause klingelte und sie ihr Pausenbrot rüber zu den zehnten Klassen nehmen konnte. Johan und Brage kamen allerdings schon aus ihrem Klassenzimmer heraus.

„Ah, Ruki ich dachte wir sollen zu dir kommen“, stellte Brage überrascht fest.

Sie begegnete dem Jungen mit einem erbosten Gesichtsausdruck: „Eigentlich nur Johan, aber da du schon Mal da bist, tu dir keinen Zwang an mit und zu essen!“

„He-...“, Brage schüttelte den Kopf, „Wirst du dich mir gegenüber nie ändern?“

„Du hast es erfasst!“, entgegnete Ruki mit einem Nicken, „Ich habe ja auch gar keinen Grund dazu! Ich mag dich nicht, verstanden? Du bist ein Rüpel und ich kann so unhöfliche Kerle wie dich einfach nicht leiden!“

„A - aber...“, dem Norweger fehlten offenbar die Worte, deshalb schwieg er und folgte den beiden leise. Johan hatte seine Kameraden in Ruhe streiten lassen. Er hatte keine Lust immer wieder dazwischen zu gehen, genauso wenig wie er Lust hatte sich ewig Vorträge anzuhören, er solle wieder mit Juudai sprechen. Genau, jetzt fiel es ihm wieder ein. Er musste sogar dringend mit ihm sprechen. In diesem Moment schlug sein herz von einer Sekunde zur anderen ein bisschen schneller. Eigentlich konnte er sich doch glücklich schätzen wieder in die rehbraunen Augen sehen zu können, die ihn schon so oft angelächelt haben. Manchmal waren sie auch durch Tränen gerötet und andere Male, wenn er mit Ruki zusammen geraten war, hatten sie auch Ärger ausgedrückt.

„Ruki, ich muss dich um einen Gefallen bitten“, meinte Johan plötzlich, als sie sich auf eine Treppe gesetzt hatten, die in den zweiten Stock führte. Normalerweise war es den Schülern nicht gestattet die Pausen im Schulgebäude zu verbringen, doch diese Treppe war nicht oft begangen und die Lehrer machten sich meistens auch nicht die Mühe zu kontrollieren ob sich noch Schüler hier verbargen.

„Was?“, sie war ein bisschen verwirrt über seinen Ausbruch, „Worum geht es denn?“

Nicht dass sie erwartete, dass Johan ihre eine unmögliche Bitte stellen würde. Der Junge wartete noch etwas, als wenn er mit sich selbst im Zwist läge ob er die Bitte wirklich hervor bringen sollte. Es war Ruki, der ihn wieder aus seiner Trance hervor holte: „Na jetzt sag schon!“

„Ich möchte dass du Juudai-kun etwas ausrichtest“, antwortete Johan, was nicht nur das Mädchen überraschte, auch Brage machte große Augen.

„Ehh!?“, brach es aus ihr heraus, „Du willst, dass ich Juudai etwas ausrichte? Kannst du es ihm nicht selbst sagen, Johan? Ich meine... ach du bist-...“

„Ruki! Ich möchte dass er heute Nachmittag zu mir kommt, ich kann leider nicht weg, heute sind meine Eltern mal wieder beide weg. Ich möchte Ruby nicht so lange allein lassen und außerdem muss ich auch lernen und Juudai-kun... Na Juudai-kun tut doch eh nichts für die Schule so wie es aussieht. Du kennst ihn doch!“, erklärte Johan ohne dass er die letzte Bemerkung böse gemein hatte. Er war sich nur bewusst geworden, dass Juudai Hausaufgaben noch für ziemlich unbedeutend hielt und auch nicht so wirklich interessiert daran war viel zu lernen, was er konnte das konnte er eben und was nicht, dass würde er entweder irgendwann lernen oder nie.

Ruki nickte schließlich, sie hatte sich kurz darauf vorbereitet ihren Freund auszuschimpfen, jetzt aber war sie ziemlich erleichtert, dass Johan wieder mit Juudai sprechen wollte.

Juudai sollte zu ihm kommen?

Das versprach doch immerhin schon Mal die Aussicht auf eine Versöhnung. Zumindest hoffte Ruki das.

„Juudai-kun hat Post bekommen. Denk dir nichts anderes dabei!“, mahnte Johan, „Ich will nur, dass er seine Post abholt, verstanden?“

„Post?“, hakte Ruki nach bevor Brage nachfragen konnte, was Johan damit meinte.

Der Junge nickte: „Ja, Post. Von seinem Freund, du weißt schon, Juudai hatte ihm vor Ewigkeiten mal geschrieben.“

„Richtig... Na auf den wäre ich sauer! Juudai hat doch bestimmt schon vor zwei Monaten geschrieben. Der scheint wirklich ...“

„Nein, ich kann verstehen, dass er nicht früher antworten konnte. Ich hätte ihm auch nicht so schnell schreiben können“, meinte Johan und stand dann auf, „Wir sollten uns auf den Weg in die Klasse machen Brage.“

Einen Augenblick wollte Ruki nicht ihren Ohren trauen. Warum sagte Johan so etwas unverschämtes? Sicher war Brage daran schuld, dass er sich so verändert hatte. Sie sagte allerdings nichts weiter zu Johans gemeinen Worten sondern behielt ihren Ärger für sich.

Für Ruki war es allerdings einfach gewesen so zu denken, sie wusste schließlich nicht, dass sich hinter Johan ein ganz anderer Grund für solch eine Reaktion verbarg. Er hatte auch Brage nicht davon erzählt, warum auch? Er musste allein mit seinen eigenen Gefühlen fertig werden. Johan würde immerhin selbst merken wie es war, Juudai gegenüber zu stehen. Wenn er es nicht schaffen sollte ihm zu widerstehen, dann sollte es eben so sein. Dann war Johan sich sicher, dass er Juudai nicht mehr verheimlichen durfte was er fühlte, wenn er Juudai aber wieder an der Haustür mit dem Brief wegschicken konnte, dann war es gut, dass er so viel Abstand von ihm genommen hatte.
 

Juudai hatte sich den ganzen Tag lang auf die Schule am nächsten Tag vorbereitet. Seit letzter Nacht war er sich sicher gewesen wieder regelmäßig zur Schule zu gehen. Der junge Japaner war sich darüber im Klaren geworden, dass er sein Leben nicht auf eine einzige Freundschaft basieren lassen konnte. Von nun an musste Juudai eben seinen eigenen Weg gehen. Deshalb hatte er sich den lieben langen Tag an seinen Schreibtisch gesetzt um fleißig zu lernen, ebenso rege wie Johan es tat. Vielleicht war es ja Schicksal, dass sie sich nun mehr von einander entfernten, vielleicht sollte die Bekanntschaft mit Johan nur für die Übergangszeit sein, damit er sich in Norwegen eingewöhnen konnte.

Juudai spürte zwar, dass sich dieser Fakt wie ein Schwert in sein Herz bohrte und einen deutlichen Schmerz in seiner Seele hinterließ, aber dies war nun Mal die einzige Erklärung, die der Junge für Johans Benehmen hatte. Früher oder später würde er schon darüber hinweg kommen.

Kurz nachdem Juudai sich etwas zum Mittag gemacht hatte klingelte es an seiner Tür, worauf er ein paar Sekunden nachdachte, wer wohl davor stehen könnte. Eines konnte er allerdings ausschließen, es war mit Sicherheit nicht Johan. Als er öffnete, stand Ruki vor ihm, dieses Mal in wärmerer Kleidung und sie sah ziemlich ernst aus, dabei lehnte sie ab hinein zu kommen. Mit wenigen Worten erklärte sie ihm, was Johan ihr gesagt hatte und mit großer Nachdrücklichkeit ließ sie den Jungen noch mehr wissen: „Ich weiß nicht genau ob Johan noch etwas anderes von dir will. Mach dir nicht allzu große Hoffnungen dass ihr eine große Konversation führen werdet. Ich meine, er ist sehr... Du weißt schon.“

„Ja ich weiß“, antwortete Juudai ebenso ernst und ziemlich knapp.

„Juudai! Bitte komm morgen auch wirklich wieder zur Schule, es ist so langweilig ohne dich!“, meinte sie und ergriff die Hand ihres Freundes, die langsam begann kalt zu werden, allerdings immer noch wärmer war als seine eigene, „Wenn du willst, dann helfe ich dir heute Abend noch, egal wie spät es ist! Dann übernachte ich auch bei dir oder so, aber ich halte diese Lehrerin langsam nicht mehr aus.“

Juudai musste sich wirklich zusammenreißen um nicht lauthals loszulachen, er konnte Ruki schon verstehen, dass sie nur ungern allein im Unterricht saß. Er schüttelte schließlich den Kopf: „Nein, nein mach dir keine Sorgen. Ich hab mir gesagt dass ich wieder gehen muss. Ich komme, aber es wäre nett, wenn du etwas früher kommen würdest, damit ich auch pünktlich komme.“

Ruki nickte hastig und sah um einiges erleichtert aus, damit verabschiedete sich das Mädchen auch schon wieder. Sie war natürlich überrascht gewesen, dass Juudai seine Hausaufgaben mit Freuden entgegen genommen hatte und anscheinend doch fleißig gelernt hatte. Anscheinend war nichts mehr so wie es im Sommer gewesen ist.
 

Juudai schloss die Tür hinter sich als er Rukis Rücken nicht mehr sehen konnte. Die von draußen in die Wohnung hereingedrungene Kälte verflog nur langsam wieder und wurde durch die Heizungsluft aufgewärmt.

Juudai stand nun mit dem Rücken an die Tür gelehnt.

Einen Augenblick lang hielt er inne.

Er wollte sich noch ein Mal Rukis Worte ins Gedächtnis rufen.

Johan wollte, dass er zu ihm kommt. Natürlich nur um den Brief abzuholen, aber trotzdem wollte Johan nicht erst darauf warten bis Juudai wieder zur Schule kam, sondern es gleich erledigen.

Juudai wusste nicht, was er davon halten sollte. Johan wollte tatsächlich dass er sich den Brief persönlich abholte, er hatte ihn nicht Ruki gegeben damit sie ihn brachte, nein in wenigen Augenblicken würde er den Norweger schon wieder sehen und mit ihm reden können. Sicherlich wäre das auch die passende Gelegenheit sich wieder etwas näher zu kommen, selbst wenn es nur ein kurzes Gespräch über das Wetter war sie würden wieder ein bisschen miteinander sprechen, davon war Juudai jeden falls überzeugt. Außerdem stieg Juudais Laune kolossal als er sich bewusst wurde, dass Manjoume Jun ihm endlich geantwortet hatte. Nach so langer Zeit bekam er endlich einen Brief von seinem besten Freund in Japan.

Juudai hatte seiner Ruki an der Nasenspitze angesehen, dass sie ihm gern gefolgt wäre, auch als eine Art moralische Stütze, allerdings musste sie auch lernen und ihre Mutter wollte sie dringend mit in die Stadt nehmen um ein paar Einkäufe zu erledigen. Damit war Juudai mit seinem neu entdeckten Enthusiasmus und seiner Hoffnung auf sich allein gestellt.

Er hatte neuen Mut gefasst und so wollte er keinen einzigen Moment mehr zögern, sondern schlüpfte schnell in seine Schuhe und ging hastig die Straße hinauf, geradewegs auf den Waldrand zu und an den wunderschönen Eigenheimen vorbei gekommen betrat Juudai etwa nicht den Levre Wald sondern ging direkt auf Johans Haus zu.

Nein, heute würde ihm sicher nicht in den Sinn kommen in den Wald zu gehen. Es hatte Tage gegeben an denen er die Schule schwänzte und Vormittags in den Wald ging, um seiner Mutter zu verheimlichen, dass er nicht in der Schule gewesen war. Insgeheim hatte er jedes Mal gehofft sich tief in ihm zu verlaufen, damit Johan kommen konnte um ihn zu retten.

Um ihn zu retten...

Darauf hätte er wirklich Jahre lang warten können.
 

Nun stand Juudai aber erst einmal vor dem Haus. Johans Haus in der Kälte, wirkte so unfreundlich als sei jedes Gefühl des Wohlwollens daraus gewichen. Schon lange waren die Blätter und die roten Blüten der Kletterrosen auf dem Boden gefallen, wo sie nun welk und traurig die Kraft ihres Lebens ausgehaucht hatten, der Rasen war nun gelb und unansehnlich im großen Garten der Andersens, übersäht von braunem Laub der umstehenden Bäume. Vielleicht lag es nur an dieser trüben Jahreszeit, obwohl die Sonne ausnahmsweise an diesem Tag schien. Auf Juudai wirkte das alles jedoch wie ein unsicheres Omen für das, was sich in wenigen Minuten zwischen ihm und seinem norwegischen Freund abspielen würde. Juudai schluckte hart, der Winter stand vor der Tür und er konnte nichts dagegen tun. Er brauchte einen Moment bis er in der Lage war zu klingeln, er hatte das Gefühl, dass sich sein Arm schwerer anfühlte, als er sonst war. Dennoch überwand sich der Japaner relativ schnell und ließ die Klingel im Haus ertönen. Juudais Herzschlag wurde wild, es schlug so hart gegen seine Brust als er darauf wartete, dass ihm jemand die Tür öffnete dass er befürchtete Johan könne es hören. Er musste natürlich zugeben, dass er nervös und etwas unsicher war, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gab. Er hoffte, dass Johan weder die Nervosität noch die Unsicherheit bemerkte, die sich in seinem Körper befanden.

Er wartete.

Eine Sekunde...

Zwei, drei Sekunden...

Dann plötzlich stand Johan schon vor ihm, wobei Juudai sich nur schwer beherrschen konnte nicht vor Überraschung zurückzuschrecken. Gott sei Dank beruhigte er sich ebenso schnell da er seinen Freund hier sah. Es wunderte Juudai ein wenig, dass Johan in der Lage war so schnell die Tür öffnen konnte, diese Frage wurde dem Japaner allerdings beantwortet als sein Gegenüber das Wort ergriff: „Ich habe nicht erwartet, dass du so schnell klingelst... Oder ohne das unsere Ruki auch hier auftauchst.“

Juudai sah in die smaragdgrünen Augen, die ihn seit einigen Wochen nicht mehr angestrahlt hatten. Es wirkte auf den Japaner so, als hätten sie jeden Hauch von sommerlicher Wärme verloren, ebenso wie das Haus in dem er sein Leben zubrachte. Es waren nun mehr kalte Edelsteine, die Juudai anblickten und dem Japaner nun einen Schauer über den Rücken huschen ließ. Juudai wusste, dass er entlarvt war. Johan kannte ihn mittlerweile zu gut. Nun wanderte der Blick des Brünetten nach unten, als ob er irgendetwas interessantes auf dem Treppenabsatz finden würde, doch er fragte sich eigentlich nur ob er etwas sagen sollte oder ob es besser war einfach still zu schweigen.

„Juudai du bist unheimlich beschissen im Bluffen. Du bist wegen dem Brief hier, ist doch so?“, wollte Johan wissen wobei nicht eine einzige japanische Silbe seinen Mund verließ. Juudai durchfuhr ein kalter Schauer, noch nie hatte Johan eine so vulgäre Sprache benutzt. Es brauchte eine Weile bis er die richtigen Worte fand, er konnte nur nicken um zumindest die Frage wortlos zu beantworten: „Du kannst es dafür ungemein gut. Ich bin wirklich nicht gekommen um dich länger zu belästigen, alles was ich von dir will, ist diesen Brief abholen!“

„Lügner!“, entgegnete Johan und verschwand wieder im Haus.

Juudai betrat es nicht, er hatte das Gefühl Johan nie wieder zu sehen, als dieser im Haus verschwunden war. Er war sich auch sicher, dass dies das letzte Gespräch war das sie jemals führen würden. Die Kälte des Hauses ergriff Juudai Herz und seine Seele wieder, es fühlte sich an wie ein eiserner Griff um den Muskel der sein Blut durch seinen Körper pumpte. Ihm war als gefröre sein Blut und in diesem Moment gab es ihm eine kleine Idee wie es wohl war, wenn das Herz aufhörte seinen Job zu tun.

Würde das Blut in seinen Adern dann wirklich gefrieren und er einfach nur aufhören zu fühlen?

Der Gedanke daran nie wieder etwas fühlen zu müssen war gar nicht so schlimm. Allerdings zu vergessen, dass Johan einst so liebevoll zu ihm gewesen war, tat ihm ebenso weh wie die Worte des Norwegers vor nur ein paar Sekunden.

Wie konnte er ihn so verraten?

Niemandem würde er mehr so sehr vertrauen können wie Johan. Auf jeden Fall glaubte Juudai dies in jenem Moment. Er spürte auch die heißen Tränen nicht, die über seine kalten Wangen liefen und hatte somit auch keine Ahnung, dass er nicht mehr glaubwürdig wirkte.
 

Johan war nur ein paar Sekunden weg gewesen. Es waren nur Sekunden in denen Juudai darüber nachdenken konnte ob ihn der Verrat seines Freundes schmerzte oder nicht.

Es tat weh...

Sehr sogar.

Den sichtbaren Schmerz des Japaners konnte Johan gut erkennen, als er wieder zur Tür heraus kam. Als Juudai sich ebenfalls über die Tränen auf seinem Gesicht klar wurde, schämte er sich für diese und noch mehr dafür, dass Johan sie nun auch sehen konnte. Natürlich wunderte es den Norweger nicht, dass Juudai weinte. Am liebsten hätte er ihn zu sich gezogen, in seine Arme um ihn zu trösten, um ihm zu erklären was los war.

Nein eigentlich wollte er Juudai ins Haus ziehen. Er wollte ihn an die Wand drücken und seine Lippen erobern. Ihn in sein Zimmer bringen und ihn aufs Bett werfen...

Nein, weiter wollte Johan nicht denken auch wenn sein Körper ihm andere Signale gab. Er konnte sich zusammen reißen und Juudai hier an der Tür wieder wegschicken.

„Da“, Johan übergab Juudai den Brief.

Die dünnen, geschmeidigen Finger legten sich um den schmalen, zartrosa Briefumschlag, der von einem tiefroten Herzaufkleber geschlossen gehalten wurde. Diese Details ließen Juudai kalt. Er sah sie nicht einmal. Er blickte wieder in die kalten Smaragde, doch alles was er hervor bringen konnte war ein Schluchzen und verweinte Worte: „Sag bitte, Johan-kun...“

Die japanische Phrase musste Johan unter den Tränen seines Freundes erst erahnen um sie zu verstehen, dann fuhr Juudai fort: „Sind es deine Eltern? Haben deine Eltern das alles verursacht? Warum sprichst du nicht mehr mit mir? Ich weiß, es muss anstrengend mit mir gewesen sein und nervig-...“

„Meine Eltern haben nichts damit zutun“, wieder gebrauchte Johan nur Norwegisch, „Es war meine eigene, freie Entscheidung!“

Nicken folgte auf Johans Antwort, dann ergriff Juudai nochmals das Wort: „Du sollst wissen, dass ich dir immer vertraut habe und ich dir immer vertrauen werde. Sicherlich total bescheuert in deinen Augen, aber Johan, ich verstehe es, wenn du nichts mehr von mir wissen willst. Ich sollte es wirklich hinnehmen!“

Weitere Worte blieben unausgesprochen an diesem Tag. Es fiel kein Wort über den Brief von Manjoume, es waren keine Erklärungen gefolgt warum Johan so grausam zu Juudai war. Der Japaner lief die Straße wieder hinunter bis er das rote Holzhaus erreichte, das er seit dem Sommer bewohnte.
 

Juudai war sehr froh, dass seine Mutter im Augenblick nicht zu Hause war, so hatte er die Möglichkeit sich richtig gehen zu lassen. Die Tür plumpste ins Schloss zurück, härter und lauter als Juudai eigentlich beabsichtigt hatte. Die Brust des Jungen hob und senkte sich unkontrolliert, dabei war er gar nicht lange gerannt, allerdings fühlte Juudai den Grund. Es kam von weit, tief unten aus seinem Körper. Ein quälendes Schluchzen drang aus seiner Kehle und die Tränen, die schon zuvor gekommen waren rannen nun unaufhaltsam über seine Wangen und suchten sich einen unangenehmen Weg über seinen Hals.

Juudai umklammerte den Briefumschlag, der einzige Trost, der ihm geblieben war. Der Junge machte sich nicht die Mühe in sein Zimmer zu gehen bevor er den Umschlag öffnete und noch immer nicht auf den Herzaufkleber achtete. Hastig faltete Juudai den Brief auseinander und begann ihn zu lesen.
 

Tokio am 23.10.200X
 

Mein lieber Juudai,

wie sehr habe ich mich über Deinen Brief gefreut! Anhand des Datums ahne ich, dass er irgendwo fehlgeleitet wurde, aber umso mehr freut es mich ihn jetzt endlich gelesen zu haben.
 

Du wohnst jetzt also mit Deiner Mutter in Norwegen und bei Leuten mit Namen Andersen?! Wie es aussieht geht es Dir recht gut obwohl viele Deiner Worte auch sehnsüchtig klingen. Nichts lieber würde ich tun als Dich zurück zu holen. Du schreibst, Du vermisst die Stadt, die Schule, die Klasse und was Dir sonst noch teuer und wichtig war-...

Ich wünsche mir nur eines, Dich wieder bei mir zu haben. Um Dir in solchen Situationen in die Augen sehen zu können, damit es nicht nur farbenscheinige Worte auf Papier sind, sondern die Wirklichkeit.

Schon am Tag Deiner Abreise habe ich gemerkt, wie tief meine Gefühle wirklich sind.

Ich will das Du zu mir zurück kommst, Juudai.

Ich liebe Dich, auf Ewig soll meine Liebe nur Dir gehören.

Für immer!
 

Jun
 

Verständnislos blickte Juudai auf den Brief herab, den er in seinen Händen hielt. Er brauchte eine Weile, bis er den Sinn dieser Schrift richtig verstand. Wieder und wieder las er sich diese zärtlichen Worte durch und immer wieder fragte sich Juudai, wie Manjoume Jun in der Lage gewesen sein konnte, solch einen Text überhaupt nieder zu schreiben. Eines war Juudai allerdings gewiss: es war Juns Handschrift, die er auch unter Tausenden wieder erkannt hätte. Aber wie konnte Manjoume Jun in ihn verliebt sein?

In ihn...

Yuuki Juudai, der doch eine Hand voll anderer Probleme hatte...
 

_________________________________
 

Fortsetzung folgt in Teil 3

An dieser Stelle muss ich mal was loswerden X3 Wie immer, danke für eure vielen, lieben Kommentare und ganz HERZLICHEN DANK das Mina jetzt den Beta in Sachen Rechtschreibung und Kommas übernimmt (also ab nächsten Teil)



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Von:  dani_meli
2013-08-03T15:41:56+00:00 03.08.2013 17:41
Also... diese ff ist echt der Hammer! Schade, dass du nicht weiterschreibst... Hoffe, dass es bald soweit sein wird! Ich freu mich schon drauf! :D
Von: ShioChan
2010-06-13T21:30:37+00:00 13.06.2010 23:30
Dafür das ich die ff erst heute endlich mal komplett gelesen hab, müsste ich eigentlich meine klappe halten, aber...
... Diese ff is der absolute hammer. Ehrlich jetzt. Und ich finde es schade, dass sie pausiert. Aber wiederum versteh ich auch den stress den du derzeit hast. Ich musste mich ziemlich zurückhalten nicht jeden moment loszuheulen als ich das derzeit letzte chap gelesen hab, weil mir juudai so leid tat. Es hätte blöd ausgesehen auf arbeit zu heulen. XD
Ich hoffe das du trotzdem irgendwann diese ff weiter schreiben wirst. Ich werde auf jeden fall auf den tag warten, bis das nächste chap kommt. X3

Gruß
Cyberelf_Zero_x
Von: abgemeldet
2010-06-09T13:33:44+00:00 09.06.2010 15:33
kannst du bitte weiter schreiben ???? Bitte ! ich möcht wissen wie's weiter geht!!! Hab mich extra hier angemeldet um das hier zu schreiben (naja eigentlich wollte ich mich schon immer hier anmelden ^^) Ich bin auch gaaaaaanz glücklich und dankbar wenn du weiter machst...
also: Bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte *usw* schreib weiter!!! Ich liebe diese geschichte, da muss sie doch weiter gehen ô.O

S'il te plaît, Please, Bitte .... unn sonst noch welche sprachen.
Von: abgemeldet
2009-08-19T22:41:41+00:00 20.08.2009 00:41
hab die ff vor ein paar tagen hier gefunden und sie ununterbrochen gelesen. du hast wirklich einen sehr schönen schreibstil und es hat echt spaß gemacht deine ff zu lesen.
du hast die gefühle der einzelnen personen echt sehr schön rübergebracht und auch wie den ganzen rest nebenbei beschrieben hast, war einfach nur toll.
vor allem bei dem momentanen letzten kapi hab ich echt voll losgeheult, da ich mich durch deine schreibart so gut in juudai hinein versetzen konnte. und ich heul nicht oft bei ff´s. ^^aber der brief von jun war süß.. hätte ich dem gar nicht zu getraut^^
aber bitte, schreib die ff weiter. es machte mir so viel spaß die einzelnen kapis zu lesen und jedes mal, wenn ich an einem tag nicht weiterlesen konnte wurde ich fast irre.. @_@
also es würde mich und auch bestimmt viele andere freuen, wenn du die nächsten kapis schreiben würdest.^^
also nicht aufhören, ja?? ><
*anfeuer weiterzuschreiben* xD
*fanflagge schwenk* *-*

lg
Nani_chan
Von: abgemeldet
2009-07-24T13:08:10+00:00 24.07.2009 15:08
Oh mann, ich find das so traurig! Johan ist echt fies!
hdl Ju-chan
Von:  Yamis-Lady
2009-04-21T19:54:18+00:00 21.04.2009 21:54
Baaah! Johan!! >____<
Wie kann man nur...
*grml*

Ey, das war eines der besten Chappies!! >///<
Ich hab fats geheult, so traruig war es. Juudias Gefühle hast du sehr realistisch herübergebracht!
Sehr, sehr schön~

Ich kann das gar niht oft genug sagen *hehee*

Ich hoffe auch, dass du schon das nächste Kapitel angefangen bzw. fertig hast (?). Ich kann es kaum erwarten weiter zu lesen XD

Bis dann!!~ ^o^
Von:  Yamis-Lady
2009-04-21T19:30:31+00:00 21.04.2009 21:30
Armer Juudai ;___;
Er tut mir voll leid...
*seufz*

Das mit den KLassenkameraden war auch voll gemein! >___<
Sollen sie doch froh sein, dass er sich überhaupt da vorne hinstellt udn etwas sagt! (Ich hätte mich das nicht getraut *hüstel*)

Ich bin weiterhin seehr gespannt, wie das enden wird! *___*

Bis zum nächsten Kapitel! XD
Von:  Yamis-Lady
2009-04-21T19:12:00+00:00 21.04.2009 21:12
Oh. Mein. Gott!! *___*

Das war wiedermal super spannend und großartig geschrieben! *lob*
Ich bin wirklich völlig hin und weg X//D
*hrrhrr*
Und ich bin wirklich gespannt, wie das noch enden wird! >///<

Nya~
Ich les dann mal ganz schnell weiter XD

Bis dann! ^o^

Von:  Yamis-Lady
2009-04-20T21:04:48+00:00 20.04.2009 23:04
WOAH *_____*
*anluv*

Das Chappied war wieder mal super klasse!! >///<
Ich mag deinen Stil so sehr!
Argh, ich hätte viel früher weiterlesen müssen XD`
*verbeug* Tut mir leid, dass ich so lange nichts hab von mir hören lassen...

Ich bin sehr, sehr, sehr gespannt wie es weiter geht! *///*
*hrrhrr*
*Johan und Juudai pat*

Bis zum nächsten Chappie XD~
Von:  Totentaenzer
2009-04-04T17:19:36+00:00 04.04.2009 19:19
>_>
boah ich schlag dich wenn du hier aufhörst
richtig, richtig doll D<
Ich les seit 2 Tagen an der Geschichte... pausenlos @@
wag es nicht, nicht bald upzudaten D<


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