Echte Menschenjagd?
Lost Angel
Kapitel 28 – Echte Menschenjagd?
Jemil’s PoV
Dass es so viele waren hätte ich mir nicht denken können. Auf 10 oder 20 hätte
ich getippt. Aber es waren mehr. Viel mehr. Wenn ich es richtig schätzte,
mindestens um die 50. Davon gut die Hälfte Hybride.
Ich drückte mich immer enger an Jesko. Wenn aber auch so viele böse Blicke auf
einen nieder hagelten. Jeden einzelnen konnte ich fast schon spüren. Und
eigentlich müsste ich mich doch gar nicht wundern. Jeder warf mir nur solche
Blicke zu. ‚Dreckiges Menschenhalbblut’ hatten sie mir einige aus meinem Clan
einmal hinterher gebrüllt. Da wusste ich zumindest, wieso ich so angesehen wurde.
Hier konnte ich es mir nur denken.
Als Vampir unter lauter Werwölfen und Hybriden war ich wohl nicht gerade gern
gesehen. Wie aber auch? Ich war doch für die das reine Böse.
Leicht schüttelte mich Jesko von sich ab. „Du kannst doch selber laufen“, meinte
er auch nur knapp dazu. Ich hätte es schon gekonnt, wenn wir nicht schon die
ganze Nacht über gelaufen wären. Mir begannen die Beine zu schmerzen. Jeder
Schritt jagte nur einen weiteren zuckenden Schmerz durch jeden meiner Beinmuskeln
und meinen Bauch.
„Ich kann nicht mehr.“ Nur Jesko warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Von jedem
anderen, der es gehört hatte, kam wieder nur so etwas Herablassendes.
„Bald kannst du dich ausruhen“, hauchte mir der junge Werwolf ins Ohr. Legte mir
den Arm locker um die Schultern. Gerade aufmuntern tat mich das nicht. Lieber
würde ich gleich Pause machen. Aber da hatte ich nicht mitzureden. Und einmischen
wollte ich mich erst recht nicht.
Ich spürte, wie mich Jesko an sich drückte. So würden wir doch nur noch langsamer
vorankommen. Durch die ganzen jüngeren Werwölfe und Hybride – einige waren wohl
noch nicht einmal 6 Jahre alt – ging es ohnehin nicht gerade schnell voran.
Leicht fühlte ich die Zunge des Werwolfes an meinem Ohr. „Hör auf, Jesko“,
zischte ich. Langsam bekam er wohl mit, was mich scharf machte. „Das magst du
doch“, flüsterte er nur und machte genüsslich weiter. Das er so etwas unterm
Laufen überhaupt hin bekam.
„Komm schon, hör auf“, versuchte ich es erneut. Aber wieder bekam ich ihn nicht
dazu, dass er machte, was ich sagte. Schon längst glitt er mit seinen Fingern
über meine Taille. Deswegen nahm mein blasser Teint sogar eine leichte rosa
Färbung an.
„Deswegen musst du doch nicht gleich rot werden“, hauchte mir da Jesko schon ins
Ohr. „Werde ich doch gar nicht“, knurrte ich nur als Erwiderung. Doch darauf
kicherte der junge Werwolf nur. „Und wie.“ Er grinste übers ganze Gesicht. So
stieg mir nur noch mehr die Röte ins Gesicht.
„Turtelt hier nicht so rum!“ Venanzia schenkte uns - trotz dieser schroffen
Unterbrechung - ein nettes Lächeln. Doch gerade dieses ließ mir einen Schauer
über den Rücken laufen. Ihre gut besetzten Zahnreihen waren für einen Moment
aufgeblitzt und die konnten wohl ganz leicht mit denen von Jesko mithalten. Dabei
war sie doch nur zur Hälfte Werwolf. Der Vampir in ihr ließ wohl diese Zähne
wachsen.
„Na, Angst?“, drang da schon wieder Jeskos Stimme an mein Ohr. Ich schluckte
kurz. „Nein. Wieso?“, log ich gekonnt. Noch roter konnte ich ohnehin nicht mehr
werden. „Weil ich dir das nicht glaube.“ Er drückte meinen Kopf gegen seine
Schulter. Blickte mich dabei schon etwas zu verliebt an. Aber gerade das ließ
mich dahin schmelzen. Wie gebannt sah ich ihn an. Es kam mir fast schon so vor,
als ob ich ihn seine Augen versinken könnten.
„Starr mich nicht so an!“ Damit riss er mich wieder aus meiner Trance. Doch
bildete ich mir das nur ein oder war er jetzt auch rot geworden.
Ich leckte mir leicht über die Oberlippe, bevor ich ihn zärtlich auf die Wange
küsste. Sie war ganz war. Kein Wunder. So viel Blut, wie da gerade durchflossen.
Doch gerade dieses Blut trieb mich gerade dazu mich kaum noch von ihm lösen zu
können. Er kam wohl wieder. Dieser ungezügelte Blutdurst. Es stimmte wohl, dass
wenn man einmal damit anfing, nie wieder aufhören konnen.
„Meister! … Meister!“ Ein Junge mit langem blondem Haar lief an uns vorbei. Ich
tippte mal darauf, dass er nach diesem Sotuganai suchte. Ich konnte mir aber auch
nicht vorstellen, wenn diese Werwölfe – bzw. Hybriden – hier ‚Meister’ nennen
würden.
„Das war ein Hybride“, meinte da schon Jesko. Spitze fast sehbar die Ohren. „Na
und?“, fragte ich desinteressiert. War dann eben ein Hybride. Was war denn daran
so interessant?
„Der wird wohl fragen wollen, ob er sich wieder einen Menschen holen darf.“ Ich
zuckte bei dieser Antwort nur zusammen. „Ob er sich einen holen darf?“ Die
Verwirrung konnte man mir wohl von der Nasenspitze ablesen.
„Stimmt. Davon weißt du noch gar nichts. Wenn du fragst, darfst du vielleicht
mit.“ In meine Augen bildete sich ein zustimmender Glanz. Aber das war wohl nur
der Hunger.
„Na wie es aussieht, könntest du das brauchen.“ Jesko zog mich einfach hinter
sich her.
Schon kurz darauf stieß er mich einfach in Richtung Sotuganai, der mich nur etwas
unbeholfen auffing. „Jesko“, zischte ich, als ich mich kurz und knapp
entschuldigt hatte, doch der angesprochene Werwolf grinste nur wieder einmal
übers ganze Gesicht. „Frag doch“, meinte er schließlich.
Etwas verlegen drehte ich mich dann auch zu dem älteren Werwolf um und wollte
auch wirklich zum Reden ansetzen, da kam wir aber eine junge – scheinbar –
Hybridin zuvor. „Könnte ich auch mit?“, fragte sie. Der Blutdurst war ihr
wortwörtlich ins Gesicht geschrieben. „Geh mit“, meinte der Werwolf nur und
winkte ab. Wendete sich dann auch wieder mir zu. „Und was willst du, Vampir?“
„Das Gleiche, wie sie“, erwiderte ich nur. Hob dabei nicht einmal den Kopf.
Und dennoch spürte ich das Grinsen. „Hat der kleine Vampir etwa Hunger?“ Er legte
die Finger unter mein Kinn und drückte so meine Kopf hoch. Zwang mich damit auch
ihn anzusehen. „Ja“, erwiderte ich kaum hörbar. Das fiese Grinsen wurde dadurch
nur noch breiter. „Na dann lauf mal hinterher und nimm deine Schosshünchen gleich
mit, der ist ohne dich hier etwas sinnlos.“
Da knurrte Jesko jedoch schon überdeutlich. „Wenn es doch stimmt“, zischte
Sotuganai. Ich packte den jüngeren Werwolf nur am Arm. Doch er stemmte sich mit
Leichtigkeit gegen mich. „Das lass ich mir nicht sagen“, knurrte er.
Ich verdrehte die Augen. „Wenn ich mich an deinen Blut satt trinken soll, dann
komm!“, hauchte ich ihm ins Ohr und endlich gab er auch nach.
Ich stapfte zu einer kleinen Gruppe Hybriden – mit Jesko als Anhang. Anfänglich
warfen sie mir nur ängstliche Blicke zu. Wagten es kaum mich anzusehen.
„Auf was wartete ihr denn noch?“, fragte ich einfach. Auf Warten hatte ich keine
große Lust. Da wendete sich aber einer der Jüngeren an mich. Sprang freudig vor
mir auf und ab. „Wir dürfen nicht weg ohne einen der Älteren“, meinte er.
Der Kleine war wohl einer der fröhlichen Sorte. „Bist du wirklich ein ganz echter
Vampir?“, fragte er mich lächelnd. „Nicht ganz“, erwiderte ich nur knapp. „Er ist
zur Hälfte Mensch“, meinte Jesko neben mir, der immer noch vor sich hin
schmollte. „Dann bist du ja fast wie wir, nur das deine zweite Hälfte kein
Werwolf ist.“ Die Augen des Kleinen leuchteten vor Freude. „Ja“, antwortete da
Jesko aber schon für mich. Er war immer noch eingeschnappt.
Ich zog ihn ein Stück von der Gruppe weg. „Könntest du einmal wieder etwas netter
sein?“, fragte ich. Ließ meine Lippen sich über seinen Hals hermachen. „Wenn du
damit etwas weiter unten weiter machst“, erwiderte er aber auch gleich. Rieb sich
mit seinen Zähnen über die Zunge. „Wie weit unten denn?“, fragte ich und stellte
mich spielerisch dumm. Ich konnte mir irgendwie vorstellen auf was er hinaus
wollte. Doch da schüttelte er schon den Kopf. „Das dürfen wir gar nicht“,
flüsterte er. Schmiegte seinen Kopf an meinen Hals.
„Hast du dich jetzt wieder beruhigt?“, fragte ich, als er sich immer noch an mich
drückte und ich schon die Blicke der Hybride in meinem Nacken spürte. „Hm“, gab
er knapp von sich. Löste sich langsam von mir. Aber auch nur um meinen Kopf
zwischen seine Hände zu nehmen und mich auch schon wieder zu sich zu ziehen. Nur
das er mich dieses Mal nicht in den Arm nahm. Sonder mir seine Lippen aufdrängte.
Ich erwiderte einfach den Kuss. Musste mich auch schon gleich über seine überaus
stürmische Zunge kümmern. Wie sie sich über meine hermachte. Sie ganz zärtlich
verwöhnte.
Nur ein Speichelfaden verband uns, als wir unsere Lippen wieder voneinander
lösten. Der riss aber auch ab, als ich den Kopf zu der kleinen Hybride-Gruppe
wendete. Die hatte sich in den paar Minuten wieder vergrößert.
„Da haben wohl ganz schön viele Hunger“, meinte Jesko. Legte seinen Kopf auf
meine Schulter. „Sie sind zur Hälfte Vampire. Die haben immer Hunger.“ Ich
schüttelte den Werwolf von mir ab. „Das merkt man aber bei dir nicht.“ Leicht
legte er den Kopf schief. Sah mich interessiert an. „Ich bin von klein auf an die
Blutkonserven gewöhnt worden. Vielleicht liegt es daran.“, erwiderte ich nur.
Marschierte dann langsam wieder zu der stetig wachsenden Gruppe zurück. Jesko
folgte mir sofort.
Wie ich es eigentlich erwartete hatte kam gleich der kleine Hybride wieder zu
uns. „Hast du denn Werwolf lieb?“, fragte er auch gleich. Mir stieg sofort die
Röte ins Gesicht. „Äh … ja“, stotterte ich. Warf einen knappen Blick zu Jesko,
der hatte aber schon wieder die Arme um mich gelegt. „Du hast mich also lieb“,
flüsterte er mir ins Ohr. Hatte er das etwa noch nicht bemerkt. Konnte ich ihm so
schlecht ohne Worte verständlich machen, dass ich etwas für ihn empfand? War ich
wirklich so schlecht darin?
„Ist es auch ein bisschen mehr, als nur ‚lieb haben’?“ Ich wusste nicht, was ich
auf seine Frage erwidern sollte. Ein Ja wollte mir nicht über die Lippen kommen
und Nein wäre nur eine Lüge.
Leicht kuschelte ich mich einfach an ihn. Reichte das für ein Ja? Für mich würde
es sich so anfühlen. Auch wenn ich eben nicht sehr gut darin war, jemand etwas
ohne Worte verständlich zu machen.
„Ihr habt euch wirklich lieb.“ Der Kleine strahlte übers ganze Gesicht, als ich
mich langsam von Jesko löste. „Wie heißt du, Kleiner?“, fragte ich. Versuchte
auch zu lächeln. Aber so etwas schaffte ich wohl noch nicht richtig. „Felix“,
antwortete der kleine Hybride sofort. „Na das passt wohl zu dir!“ Felix legte nur
den Kopf schief. „Versteh ich nicht“, meinte er da auch schon. „Felix bedeutet
der Glückliche“, erklärte ich ihm. Und schon grinste er wieder. „Das passt
wirklich“, freute er sich und lief zu einigen anderen jüngeren Hybriden. Dass
waren wohl seine Freude.
„Zu dumm, dass wir keine Kinder bekommen können.“ Jesko legte wieder die Arme von
hinten um mich. Ich seufzte. „Ich kann mit Kindern gar nicht umgehen“, murmelte
ich. Doch Jesko drückte mich nur noch enger an sich. „Das sah jetzt eben aber
anders aus“, hauchte er mir ins Ohr. Berührte ganz zärtlich mein Ohrläppchen mit
den Lippen.
„Hör auf. Das kitzelt“, keuchte ich. „Kitzeln? Das kitzelt doch nicht. … Soll ich
dir mal zeigen, was kitzelt?“ Ich wollte den Kopf schüttelt. Doch da hatte er mir
schon einen Stoß gegeben und so landete ich auf dem Boden und Jesko auf mir.
„Geh von mir runter!“, krächzte ich, als der Werwolf anfing mich zu kitzeln. Es
war mir wohl noch nie so leicht gefallen zu lachen. Obwohl es mir schon komisch
vorkam, dass ich es überhaupt noch konnte.
„Wollt ihr noch mit?“, fragte uns auf einmal ein älterer Werwolf – älter auf alle
Fälle, als der kleine Felix –, als Jesko und ich zusammen auf dem Boden kugelten.
„Eigentlich schon.“ Mühsam konnte ich Jesko von mir wegschieben. Doch da war der
ohnehin schon wieder aufgesprungen und zog mich mit hoch.
Er lachte trocken auf. „’Tschuldigung“, meinte er auch schon grinsend. Der andere
Werwolf wendete sich nur zu der Gruppe aus Hybriden. „Dann können wir wohl los!“
Als wir ein Stück von der eigentlichen Gemeinschaft weg waren, fragte ich den
Wolf, der uns begleitete: „Wir gehen hier jetzt aber nicht wirklich auf
Menschenjagt?“ Dafür erntete ich nur ein Auflachen. „Was willst du denn sonst für
Blut haben? Das von ein paar Ratten?“
Abrupt blieb ich stehen und schon rempelten mich einige Hybride an. Knurrten dazu
noch einige unverständliche Beleidigungen. „Das war jetzt nur ein Witz?“, meinte
ich, als ich den Werwolf wieder eingeholt hatte.
„Nein, Jemil. … Du bist doch Jemil? Oder?“ Ich nickte langsam. Sah mich aber
sofort nach Jesko um. Er war auf einmal weg.
„Dein Wolf ist da drüben. Ach und ich bin Satôbi.“ Er deutete erst in die
Richtung einiger jüngerer Hybride, wo ich auch wirklich Jesko erkannte – er
tollte mit den Kleineren herum – und hielt mir dann die Hand hin, die ich knapp
nickend annahm.
„Er ist wohl ganz schön verspielt.“ Leicht legte Satôbi den Kopf schief. „Er ist
einfach noch ein Kindskopf“, erwiderte ich. Das Lächeln, das sich auf meinen
Lippen bildete, bemerkte ich gar nicht. Ich war wohl zu sehr damit beschäftigt
Jesko dabei zuzusehen, wie er sich von den Kleinen austricksen ließ.
„Wir sind bald an unserem Ziel. Also mach dich bereit.“ Damit riss mich Satôbi
wieder aus meinen Gedanken. Dann würde ich wohl wieder töten müssen um an mein –
so wichtiges – Blut zu kommen.