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Feel for you

von

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Kapitel 1

„Holst du mich heute Mittag von der Schule ab?“ Roman sah seine Schwester an, die gerade am Küchentisch saß und in der Zeitung blätterte.

„Ach, Roman!“ Carolin sah auf. „Ich dachte, du hast eine Busfahrkarte! Im Moment bin ich so im Stress wegen der ganzen anstehenden Prüfungen, da habe ich echt keine Zeit, dich in der Weltgeschichte herumzukutschieren!“

„Bitte! Nur heute! Es ist doch schließlich der erste Tag an meiner neuen Schule!“ Mit einem flehenden Blick versuchte er, seine Schwester zu überzeugen. Sie war bereits 23 Jahre alt, also acht Jahre älter als er, und studierte Deutsch, Mathematik und Sport an einer Universität in der Stadt, in der sie noch vor wenigen Tagen gewohnt hatten. Später wollte sie Lehrerin werden und lernte daher so viel, wie sie nur konnte. Nach den Semesterferien, die noch eine Woche lang gingen, begannen die alljährlichen Prüfungen, die sie unbedingt bestehen wollte.

Genervt seufzte sie auf. „Okay, dann hole ich dich halt ab. Aber hinfahren werde ich dich nicht!“

„Alles klar!“ Roman packte eine Flasche Wasser in seinen orangefarbenen Rucksack, warf sich diesen dann über die Schulter und sagte: „Tschüss, bis heute Mittag!“

„Ja, bis dann! Viel Spaß auf der neuen Schule!“

„Danke, den werde ich haben!“, erwiderte er, obwohl er sich dabei nicht wirklich sicher war. Um ehrlich zu sein, war er nervös. Schließlich hatte er keine Ahnung, was ihn auf seiner neuen Schule alles erwarten würde. Wie seine Klasse wohl war? Hoffentlich nett.

Er verließ das Haus. Es war schon ziemlich alt, stellenweise bröckelte die blassgelbe Farbe von den Wänden. Ein großer Garten grenzte an das Haus, an manchen Stellen war es mit Efeu überwuchert. Romans Vater hatte das Haus für nicht allzu viel Geld erworben. Es lag am Rande der Stadt, aber nahe an der Firma, die der ausschlaggebende Grund für den Umzug gewesen war. In dieser Firma hatte sein Vater einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Seine Mutter hatte sich bereits für einen Job in der Stadt umgeschaut, allerdings noch nichts passendes entdeckt.

Roman hatte sich sehr über diesen Umzug geärgert. Schließlich hatte er alles aufgeben müssen: seine alten Freunde, die alte Schule, seine Hobbys. Okay, letzteres konnte er auch hier tun. Einen Fußball- und einen Basketballverein gab es auch in dieser Stadt. Bereits am Wochenende hatte er sich bei beidem angemeldet. Aber auch dort kannte er niemanden. Überall war er jetzt der „Neue“. Der Neue in der Stadt, der Neue auf der Schule, der Neue im Sportverein.

Er beneidete seine Schwester. Diese hatte sich nämlich eine kleine Wohnung in ihrer alten Stadt gesucht, um weiterhin auf derselben Universität studieren zu können. Am liebsten hätte er sich diese Wohnung mit ihr geteilt, aber das erlaubten ihm seine Eltern nicht.

Er machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Eine Weile lang kickte er einen kleinen Kieselstein vor sich her, bis dieser in einem Gully landete und mit einem leisen „Platsch“ ins Wasser flog.

Kurz darauf hatte er die Bushaltestelle erreicht. Es waren schon ein paar Schüler anwesend, die ihn allerdings nicht weiter beachteten. Er sah auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach sieben. Gerade, als er überlegte, wann wohl der Bus käme, hörte er ein Motorengeräusch und sah ihn herbeifahren. Er hielt direkt vor seiner Nase.

'Hoffentlich ist das der richtige Bus', dachte Roman, als er einstieg und sich auf einen freien Platz setzte. Sich im Bus zu irren und irgendwo am Arsch der Welt abgesetzt zu werden – das fehlte ihm gerade noch.

Der Bus fuhr los. Roman schaute die meiste Zeit aus dem Fenster. Überall waren Menschen zu sehen. Mit ihren Autos, auf Fahrrädern oder auch zu Fuß machten sie sich auf den Weg zur Arbeit, in die Schule oder sonstwohin. So hektisch war es in seinem alten Wohnort auch zugegangen. Er war an das alles schon gewohnt.

Nach etwa zehn Minuten hielt der Bus. Er war an der Schule angekommen. Roman stand auf, nahm seinen Rucksack und stieg zusammen mit den anderen Schülern aus dem Bus.

Jetzt war er also da.

Er lief über den Schulhof und sah sich um. Das Schulhaus war groß, grau und uneinladend. Stellenweise waren die Wände bunt bemalt, um an die ehemaligen Schüler zu erinnern, die schon längst ihr Abitur in der Tasche hatten. Aber der größte Teil war grau und farblos.

Die schrille Schulglocke läutete. Überall drängelten sich jetzt Schülerinnen und Schüler durch die große Eingangstür des Schulgebäudes. Roman wartete etwas abseits, bis der größte Teil der Menschenmenge drinnen war und betrat dann ebenfalls das Gebäude.

Seinen Stundenplan hatte er bereits erhalten, als er zur Anmeldung gekommen war. Er suchte kurz in seinem Rucksack herum, zog dann einen zerknitterten Zettel heraus, faltete ihn auf und schaute nach, wo er jetzt hinmusste. 'Montag, erste Stunde... Mathe in Raum 354...', sagte er in Gedanken und steckte den Zettel wieder ein. Ohne zu wissen, wo der Raum überhaupt war, begann er, durch das Schulhaus zu irren. Alle Wege führten nach Rom, irgendwann musste er ja an dem Zimmer ankommen.

Er ging eine Treppe nach oben, sah sich kurz um, lief durch ein paar Gänge, merkte, dass er falsch war, kehrte wieder um, lief eine andere Treppe nach oben, fand sich plötzlich in der Bücherei wieder, kehrte wieder um, …

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er das Zimmer endlich gefunden. Glücklicherweise hatte der Unterricht noch nicht angefangen. Alle seine neuen Mitschüler standen oder saßen vor dem Klassenzimmer und warteten auf den Lehrer. Als Roman sich zu ihnen stellte, schauten in ein paar an, andere begannen, zu tuscheln, aber niemand sprach ihn an.

Kurz darauf kam der Lehrer und schloss die Tür auf. Wieder begannen alle, zu drängeln. Roman ging als Letzter hinein, woraufhin der Lehrer ihn ansprach.

„Hallo, bist du Roman? Ich habe vorhin gehört, wir bekommen einen Neuen“, sagte er.

Roman nickte. „Ja, der bin ich.“

„Okay, dann herzlich Willkommen hier an der Schule! Ich bin Herr Bührer und sowohl dein Mathe- als auch dein Klassenlehrer. Würdest du noch hier vorne bleiben und dich den anderen kurz vorstellen?“

„Klar!“

Daraufhin wandte sich der Lehrer an die Klasse. „Guten Morgen, alle miteinander. Vielleicht habt ihr es ja schon bemerkt, wir haben einen neuen Schüler hier in der Klasse. Bitte stellt jetzt eure Gespräche ein, damit er sich kurz vorstellen kann.“

Roman räusperte sich kurz, ehe er zu sprechen begann. „Also, mein Name ist Roman, ich bin 15 Jahre alt und erst vor ein paar Tagen hier hergezogen. Ihr könnt mich ja selbst fragen, falls ihr noch irgendetwas wissen wollt, ich lerne gerne neue Leute kennen.“ Er lächelte leicht.

„Gut. Danke, Roman. Such dir einen freien Platz aus“, sagte Herr Bührer, nahm das Klassenbuch und trug etwas ein.

Roman nickte und ging zu einem freien Platz in der zweiten Reihe. Aber gerade, als er sich setzen wollte, flüsterte ihm der Junge, der neben dem Platz saß, zu: „An deiner Stelle würde ich mich da nicht hinsetzen!“

„Okay, dann eben nicht...“, antwortete Roman irritiert und setzte sich ein paar Meter weiter weg auf einen anderen Platz. Jetzt saß er direkt am Fenster.

Der Unterricht begann. Herr Bührer schrieb ein paar Aufgaben an die Tafel, die jeder eigenständig lösen sollte. Obwohl Roman genau solche Aufgaben schon an seiner alten Schule rechnen hatte müssen, fielen sie ihm schwer. Mathe war noch nie sein Lieblingsfach gewesen, eher das Gegenteil. Immer wieder sah er auf die Uhr und hoffte, dass die Stunde schnell vorübergehen würde.

Kapitel 2

„Scheiße!“

Pirmin rappelte sich auf und betrachtete seine brennende Hand. Bei dem Sturz hatte er sie sich aufgeschürft. Langsam begann sie, zu bluten.

'Warum müssen diese dummen Schnürsenkel auch immer aufgehen?!', ärgerte er sich, ging in die Hocke und band seinen rechten Schuh wieder zu. Dann stand er auf, lief ins Schulgebäude, auf die Toilette und hielt dort seine blutende Hand erst einmal unter den Wasserhahn.

Nicht, dass er heute nicht sowieso schon zu spät dran war, nein, jetzt konnte er auch noch ewig damit zubringen, sich zu verarzten.

Der Morgen hatte ja schon gut angefangen.

Pirmins Wecker hatte über Nacht den Geist aufgegeben. Mal wieder. Das passierte ständig. Der Wecker war allerdings auch schon mehrere Jahrzehnte alt. Schon Pirmins Mutter hatte ihn als Teenagerin benutzt.

Aufgrund des fehlenden Weckers hatte Pirmin natürlich verschlafen und den Bus verpasst. Und da seine Mutter schon außer Haus war, als er aufgewacht war, hatte er sein altes, klappriges Fahrrad aus dem Schuppen holen und damit zur Schule fahren müssen. Und schließlich war er über seine offenen Schnürsenkel gestolpert.

Nein, er wollte echt nicht wissen, wie dieser Tag weiterging!

Langsam hörte seine Hand auf, zu brennen. Er drehte den Wasserhahn zu, trocknete seine Hände ab und machte sich dann auf den Weg zum Klassenzimmer.

Als er am Sekretariat vorbeiging, schaute er auf die dort an der Wand hängende Uhr. Es war zehn nach acht. 20 Minuten des Unterrichts hatte er bereits verpasst. Das würde Ärger geben!

Schnell lief er weiter, musste noch einmal kurz anhalten, da sein Schuh schon wieder offen war und klopfte dann atemlos an die Tür seines Klassenzimmers.

Sein Mathelehrer, Herr Bührer, öffnete sie.

„Oh, welch seltener Gast in meinem Montagmorgenunterricht!“, sagte er zur Begrüßung. Ein paar aus der Klasse lachten. „Das wievielte Mal ist es jetzt, dass du dieses Schuljahr zu spät gekommen bist? Das zehnte Mal? Das zwanzigste?“

Noch mehr Gelächter.

Pirmin spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss und machte, dass er auf seinen Platz kam.
 

Roman sah zu dem Jungen. Er hatte sich auf genau den Stuhl gesetzt, vor dem er vorhin gewarnt worden war.

Egal. Er schenkte seine Aufmerksamkeit wieder den Aufgaben an der Tafel. Schließlich war er bereits letztes Schuljahr wegen Mathe versetzungsgefährdet gewesen. Das sollte sich in diesem Jahr ändern!
 

Pirmin war auch nicht gerade der Hellste, was Mathe anging. Bei ihm war es meistens ein Auf und Ab. Mal schrieb er eine Vier, dann eine Zwei, eine Fünf, dann eine Eins... Es gab keine Note, die er nicht schon in einer Mathearbeit geschrieben hatte. Seine Leistungen hingen immer davon ab, wie ihm ein Thema lag. Im Moment sah es eher gut aus für ihn.

Er beugte sich unter den Tisch und suchte in seiner Tasche nach seinen Mathesachen. Als er sie gefunden hatte und sich wieder aufrichtete, knackte sein Stuhl leise. Leise, aber dennoch hörbar. Jemand aus der letzten Reihe kicherte.

'Die lachen auch über alles', dachte er genervt und schlug sein Heft auf.

Die Aufgaben, die sie zu lösen hatten, waren ellenlang. Pirmin ärgerte sich darüber, dass er zu spät gekommen war. Das musste er alles zu Hause nacharbeiten. Sein Stuhl knackte. Diesmal lauter. Blödes, altes Schulmobiliar. Wieder lachte jemand. Haha. Wie witzig.

Pirmin konnte sich einfach nicht konzentrieren. Heute war echt alles, aber nicht sein Tag.

Das bestätigte sich, als er kurz auf seinem Stuhl herumrutschte und es erneut knackte. Und noch einmal. Dann krachte der Stuhl in sich zusammen. Ehe er es sich versah, lag er auf dem Boden, inmitten von Holzteilen, Metallstücken und den Schrauben, die vorhin jemand herausgedreht haben musste. Na toll.

Natürlich hatte das jeder im Raum mitbekommen. Alle lachten schallend. Ein paar Schüler zückten sofort ihre Handys und machten Fotos. Ein Mädchen hatte schon tränende Augen vom Lachen. „Oh mein Gott, dieses Bild muss ich sofort auf Facebook hochladen!“, kicherte sie. „Das ist zu genial!“

Langsam setzte sich Pirmin auf. Ihm war nicht zum Lachen zumute. Ganz im Gegenteil. Sein Rücken schmerzte leicht von dem harten Aufprall. Aber gegen das Gelächter der anderen war das gar nichts. Er hasste es, ausgelacht zu werden. Besonders von seinen Mitschülern. Schon seit er denken konnte, hatten sie ihn auf dem Kieker. Und ihnen gingen nie die Ideen aus, wie sie ihn ärgern konnten. Nie.

„Schluss jetzt!“, rief Herr Bührer in dem Moment sauer. „Sofort weg mit den Handys! Ihr wisst genau, dass es auf dieser Schule verboten ist, andere Leute zu fotografieren und zu filmen!“ Mit zusammengekniffenen Augen ließ er seinen Blick durch die Klasse wandern, bis jeder sein Handy weggepackt hatte.

Pirmin war inzwischen wieder auf den Beinen.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, wurde er vom Lehrer gefragt. Er nickte nur.

„In Ordnung?! Haben Sie sich den schon mal richtig angeschaut?! Mit so jemandem kann gar nicht alles in Ordnung sein!“, spottete Steffen, einer seiner Erzfeinde in der Klasse. Er gehörte zu der Sorte von Menschen, die mehr mit den Fäusten, als mit dem Gehirn dachten und alles und jeden fertigmachten, der sich ihnen in den Weg stellte.

„Steffen, ich habe nicht dich gefragt!“, herrschte Herr Bührer ihn an. „Und da du wohl immer noch nicht kapiert hast, wie man mit seinen Mitmenschen umgeht, kommst du nachher vor der Pause mal bitte zu mir, ja?“

„Wenn's sein muss... Aber Sie wissen ganz genau, dass ich Recht habe!“, erwiderte Steffen gelassen und verschränkte seine Arme vor der Brust. Und mit einem kurzen Blick auf Pirmin fügte er noch leise hinzu: „Scheiß Schwuchtel!“

Das reichte Pirmin. Er ließ ja viel über sich ergehen und war auch schon einiges gewohnt, doch dass man ihn, anstatt seinen richtigen Namen zu sagen, Schwuchtel oder ähnliches nannte, ging dann doch zu weit.

„Lass mich doch einfach in Ruhe, Steffen!“, fuhr er ihn an. „Ich habe dir doch gar nichts getan! Also hör endlich mit deinen dummen Kommentaren auf!“

„Uuuh, jetzt hast du es mir aber gezeigt! Da bekomme ich ja richtig Angst!“ Steffen streckte seine Hand aus und tat so, als würde sie zittern. „Bitte verschone mich!“

Damit brachte er wieder die ganze Klasse zum Lachen.

Das musste Pirmin sich nicht bieten lassen. „Ihr seid solche...!“, begann er, redete dann aber nicht weiter. Er wollte nicht noch mehr ausgelacht werden. Schnell machte er kehrt, lief zur Tür des Klassenzimmers, riss sie auf, verschwand nach draußen und ließ die Tür hinter sich zufallen.

Er hörte noch, wie Herr Bührer ihm nachrief: „Pirmin, warte doch!“ Aber er dachte nicht einmal daran. So schnell würde er das Klassenzimmer nicht mehr betreten, das stand fest. Er lief die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle, nach draußen auf den Schulhof, an dessen Rand eine große Buche stand. Hierher hatte er sich bisher immer zurückgezogen, wenn er Ruhe von seinen Mitschülern haben wollte. So auch jetzt. Mit ein paar flinken Bewegungen kletterte er auf den Baum hinauf und setzte sich auf einen dicken Ast. Von dort oben konnte er fast den ganzen Schulhof überblicken.

Er schloss kurz die Augen und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm. Ein kalter Wind zog auf und wehte ein paar der letzten Blätter von den Ästen herab. Es war Anfang November, das Wetter wurde von Tag zu Tag düsterer. Passend zu Pirmins momentaner Stimmung.

Eigentlich war es eine dumme Idee gewesen, auf den Baum zu klettern. Würden irgendwann ein paar seiner Mitschüler vorbeilaufen, würden sie ihn doch sofort durch die kahlen Äste entdecken und wieder über ihn lachen.

Wie Pirmin seine Klasse doch hasste. Er hatte nichts dagegen, alleine zu sein, nein, aber gegen die Streiche und die dummen Sprüche, die er täglich über sich ergehen lassen musste, gegen die war er allergisch. Schon seit der fünften Klasse ging das so. Inzwischen war er in der Neunten.

Früher hatte er immer die Tage gezählt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er endlich mit der Schule fertig sein würde. Allerdings hatte ihm das die Tage, Wochen und Monate nur noch länger vorkommen lassen.

Die Schulglocke läutete und verkündete das Ende der ersten Stunde. Jetzt schien Leben in das Gebäude zu kommen. Die Fenster wurden zur 5-Minuten-Pause geöffnet, einige Schüler verließen das Schulhaus, um zur Sporthalle zu laufen, andere kamen erst jetzt mit dem Bus an, da die erste Stunde bei ihnen ausgefallen war.

Vom Sekretariat aus wurden Durchsagen gemacht, die über Lautsprecher auf dem ganzen Schulhof zu hören waren.

Pirmin schenkte ihnen keine Beachtung. Es wurden sowieso immer die selben Leute aufgerufen. Der Sanitätsdienst, der Direktor, die Klassensprecherin der Klasse 6c... Nicht weiter wichtig.

Erst, als Pirmin seinen Namen hörte, wurde er aufmerksam.

„Pirmin Schäfer, bitte dringend auf das Sekretariat kommen. Pirmin Schäfer, dringend aufs Sekretariat!“ An der Stimme konnte er Herr Bührer erkennen.

'Starten die jetzt eine Suchaktion nach mir? Nein danke, ich bleibe hier draußen', dachte Pirmin stur. Erst nach der großen Pause würde er wieder zu den anderen gehen. Würde er zu den anderen gehen müssen. Für die dritte Stunde war eine Englischarbeit angesagt. Da durfte er natürlich nicht schwänzen. Obwohl er es am liebsten tun würde. Jetzt einfach nach Hause gehen und alles hinter sich lassen. Die Lehrer, seine Mitschüler, die Schule. Den ihm verhasstesten Ort der Welt.

Er zog sein Handy aus der Hosentasche, um nachzusehen, wie spät es war. 08:43 Uhr. Genug Zeit hatte er noch, diese mit Musik totzuschlagen. Er setzte sich seine Ohrstöpsel, die immer an sein Handy angeschlossen waren, auf und suchte dann nach irgendwelchen Liedern. Sein ganzes Handy war voller Musik, fast die ganze Speicherkarte war bereits voll davon. Aber das war von ihm so gewollt. Er liebte die Musik. Es verging kein Tag ohne sie, Pirmin brauchte die Musik wie die Luft zum Atmen. Daher nahm er auch seit etwa einem halben Jahr Gitarrenunterricht, was ihm von Woche zu Woche mehr Spaß machte.

Er drückte auf „zufällige Wiedergabe“ und sein Handy begann, ruhige, sanfte Klaviermusik zu spielen. Es war ein finnisches Stück, was hauptsächlich aus tiefen, melancholischen Tönen bestand. So passte es perfekt zu Pirmins momentaner Laune. Er lehnte sich zurück und hörte einfach nur zu. Das Lied wurde von Takt zu Takt schwermütiger und trauriger und trieb ihm die Tränen in die Augen.

'Nicht heulen!', dachte er und schniefte leise. 'Nicht jetzt!'

Aber das half nichts. Schon suchte sich eine Träne den Weg aus seinem Auge und rollte langsam die Außenseite seiner Wange hinunter. Eine zweite Träne folgte ihr. Eine dritte. Eine vierte. Langsam färbten sie sich schwarz. Sie vermischten sich mit der Farbe, mit der Pirmin immer seine Augen umrandete. Das hatte er vor etwa einem oder zwei Jahren angefangen und seitdem schminkte er sich jeden Tag. Das war zwar einer der maßgebenden Gründe dafür, dass die anderen ihn so fertigmachten, aber das war ihm egal. Selbst, wenn er ungeschminkt war, fielen ihnen noch tausende andere Gründe dafür ein, ihn zu mobben. Zum Beispiel sein Haar. Die waren etwa schulterlang, glatt, schwarz und hingen ihm ständig ins Gesicht. Und die schwarze Farbe war nicht einmal echt. Eigentlich hatte er strohblonde Haare. Die hasste er allerdings über alles. Schwarz stand ihm viel besser.

Auch bei seinen Klamotten legte er Wert darauf. Meistens trug er dunkle Sachen, Farbiges zog er immer nur in Begleitung mit irgendetwas Schwarzem an. Manchmal riefen ihm die Leute Sachen wie „Emo“ oder „Heulsuse“ hinterher. Er hörte allerdings nicht darauf. Er wollte sich von niemandem in eine Schublade stecken lassen. Nein, er war Pirmin und er lebte so, wie er wollte.

Auch, wenn das manchmal gar nicht so einfach war...

Kapitel 3

Roman gähnte und schaute auf die Uhr. Noch fünf Minuten bis zur Pause. Wurde aber auch langsam Zeit.

Herr Bührer hatte fast eine halbe Stunde lang damit verbracht, über ein paar neue Formeln zu reden, die in der nächsten Klassenarbeit drankamen. Und in diesen letzten paar Minuten sollten sie das neu Gelernte anhand von Übungen im Buch vertiefen.

Allerdings glaubte Roman nicht, dass irgendjemand das tat. Die Meisten waren immer noch damit beschäftigt, über den Jungen, dessen Stuhl zusammengekracht war, zu lachen. Anfangs hatte Roman es auch noch lustig gefunden, aber inzwischen war es einfach nur noch nervig. Zumal es ja kein einfacher Zufall gewesen sein konnte. Schließlich war er schon davor gewarnt worden, sich auf diesen Platz zu setzen.

„Okay, Schluss für heute!“, sagte Herr Bührer in dem Moment. „Der Rest der Aufgaben ist Hausaufgabe. Steffen, du kommst wie abgemacht noch kurz zu mir, ihr anderen könnt in die Pause gehen.“

Wie auf Kommando erhoben sich alle und verließen das Klassenzimmer.

Auch Roman stand auf und ging nach draußen. Da er sich nicht schon wieder im Schulhaus verirren wollte, lief er seinen neuen Klassenkameraden einfach hinterher.

Als sie die Treppe hinunterliefen, bemerkte ein Junge mit kurzen, dunkelbraunen Haaren ihn.

„Hey, bist du nicht der Neue in unserer Klasse?“, fragte er.

Roman nickte.

„Und dein Name war...?“

„...Roman. Ich heiße Roman“, antwortete er und lächelte ein wenig.

„Oh ja, stimmt. Sorry, ich bin so schlecht im Namen merken!“, erwiderte der Junge und lächelte ebenfalls. „Ich bin Nico, freut mich!“

Plötzlich spürte Roman einen Stoß im Rücken. Er verlor fast das Gleichgewicht und stolperte die letzten Stufen der Treppe mehr nach unten, als dass er lief.

Er drehte sich um und sah Steffen grinsend auf sich zukommen.

„Danke für deine Hilfe, aber ich kann selbst die Treppe hinunterlaufen“, meinte Roman mit einem genervten Unterton in der Stimme.

„Anscheinend nicht, sonst wärst du ja nicht so langsam gewesen“, erwiderte Steffen. „Ich will schließlich nicht meine ganze Pause auf der Treppe verbringen!“

„Du bist der Allerärmste hier auf der Schule, weißt du das?“, meinte Nico und stellte sich neben Roman. „Geh doch einfach weg und lass uns in Ruhe!“

„Was mischst du dich schon wieder ein?!“ Steffen warf Nico einen Blick, der töten könnte, zu und verschwand dann nach draußen auf den Schulhof.

Roman sah ihm hinterher. „Ist der eigentlich immer so?“

Nico nickte. „Anders kenne ich den gar nicht. Er ist letztes Jahr bereits zum dritten Mal sitzen geblieben und dann in unsere Klasse gekommen. Und er ist auch noch stolz darauf. Vor allem aber bildet er sich total etwas darauf ein, dass er ein paar Jahre älter ist als wir. Deshalb ärgert er uns andauernd oder macht irgendwelche dummen Sprüche. Selbst die Lehrer werden davon manchmal nicht verschont.“

„Das hört sich ja nett an!“, meinte Roman ironisch. „Gibt es hier noch andere Leute, die so sind?“

„Nein, glücklicherweise nicht. Eine Nervensäge ist genug“, antwortete Nico und sah sich dann kurz um. „Wo sind jetzt eigentlich die Anderen hin? … Ach, dort sind sie.“ Er entdeckte seine besten Freunde auf dem Schulhof in der Nähe der Eingangstür.

„Ich gehe mal zu denen. Möchtest du mitkommen?“

Roman nickte. „Gerne.“

Sie gingen nach draußen auf den Schulhof, zu Nicos Freunden, die zusammen auf einer Bank saßen.

„Hey ihr“, sagte Nico und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand.

„Hey du!“, antwortete ein Junge und sah dann zu Roman. „Und hey, Neuer!“

„Er heißt nicht Neuer, er heißt Roman!“, verbesserte ihn Nico.

„Dann eben: Hey Roman!“ Der Junge grinste leicht. „Ich bin Jan.“

Jetzt begannen auch die anderen, sich vorzustellen. Lukas, Jakob, Saskia, Marie und Katharina.

„Bist du eigentlich neu hergezogen oder hast du nur die Schule gewechselt?“, fragte Marie. „Ich habe dich noch nie hier in der Gegend gesehen.“

„Ich bin letzte Woche erst hier hergezogen“, antwortete Roman. „Mein Vater hat in dieser Stadt einen neuen Job gefunden, da blieb uns nichts anderes übrig als ein Umzug.“

„Ach so. Und, gefällt es dir hier?“ Marie lächelte leicht.

„Keine Ahnung. Ich habe bisher noch nicht viel von der Stadt gesehen.“

„Das wirst du schon noch.“ Katharina lächelte. Dann sah sie auf ihre Armbanduhr. „Leute, die Pause ist gleich vorbei. Wir sollten mal langsam zurück zum Klassenzimmer gehen, sonst verpassen wir noch die Arbeit.“

„Welche Arbeit?“, fragte Roman.

„Wir schreiben jetzt gleich eine Englischarbeit“, antwortete Jan. „Verdammt, ich habe total vergessen, nochmal dafür zu lernen!“

„Ich auch“, meinte Jakob. „Ich hoffe, sie wird nicht allzu schwer...“

Sie machten sich auf den Weg zum Klassenzimmer. Außer einigen Mitschülern, die sich vor der Tür auf den Boden gehockt hatten, war noch niemand anwesend. Roman sah sich um. Etwas abseits von ihnen, in einer Ecke, saß der Junge, welcher vorhin mitten in der Stunde den Unterricht verlassen hatte. Er sah nachdenklich aus und starrte teilnahmslos vor sich hin. Roman fiel auf, dass er rote Augen hatte.

„Sagt mal, was ist eigentlich mit ihm los?“, fragte er Nico und deutete mit dem Kopf in die Richtung des Jungen. „Ist der immer so allein?“

„Wer, Pirmin?“ Nico musste grinsen. „Klar ist der immer allein. Aber da ist er auch selbst schuld.“

„Warum das denn?“

„Schau ihn dir doch mal an! Der färbt sich die Haare, schminkt sich, sagt so gut wie nie etwas... Das ist nicht normal“, erwiderte Nico.

„Stimmt“, mischte sich Jan ein. „Wir nennen ihn ja gerne Schwuchtel.“ Er grinste. Dann rief er in Pirmins Richtung: „Ist doch so, oder?!“

Dieser sah kurz auf, hörte, wie die anderen über ihn lachten, wurde leicht rot und schaute schnell wieder auf den Boden.

„Ich verstehe gerade irgendwie nicht, was daran lustig sein soll.“ Roman verschränkte die Arme vor der Brust. „Erst regt ihr euch darüber auf, dass Steffen euch ständig ärgert und dann seid ihr selbst nicht besser? Was soll das?“

„Das ist doch etwas vollkommen anderes“, erwiderte Nico. „Steffen macht das einfach grundlos, weil er dumm ist und Langeweile hat. Und wir machen es, weil Pirmin es verdient hat. Guck ihn dir doch an!“

Roman hob skeptisch die Augenbraue. „Aha. Na, wenn das so ist, dann seid ihr ja die unschuldigsten Leute der Klasse.“

In dem Moment kam die Englischlehrerin und schloss die Tür zum Klassenzimmer auf.

Beim Hineingehen meinte Nico: „Du verstehst das alles noch nicht, weil du neu bist... Aber irgendwann wird Pirmin dir auch auf die Nerven gehen...“

Roman erwiderte nichts mehr und setzte sich auf seinen Platz.

In was für eine Klasse war er da nur hineingeraten?

Kapitel 4

'Ach, verdammt!'

Pirmin strich das soeben von ihm Geschriebene wieder durch und ließ seinen Stift auf den Tisch fallen. Diese Englischarbeit war die reinste Katastrophe.

Eigentlich hatte er nie Schwierigkeiten mit Englisch. Diese Sprache und das, was sie im Unterricht durchgenommen hatten, war ihm noch nie schwer gefallen.

Was ihm im Moment fehlte, war die Konzentration. Sein Kopf war wie leergefegt. Das einzige, woran er denken konnte, war der Vorfall in der Mathestunde. Noch immer hörte er das Lachen der anderen. Oder meinte, es zu hören. Das Klassenzimmer war mucksmäuschenstill. Aber innerlich lachten sie alle über ihn. Oh ja.

Er wandte seinen Blick ab und ließ ihn aus dem Fenster schweifen. Der Himmel hatte sich mittlerweile grau gefärbt. Wahrscheinlich fing es bald an zu regnen. Ein Vogelschwarm, der auf dem Weg in den Süden war, flog über den Schulhof. Pirmin seufzte. So frei müsste man sein. Einfach wegfliegen und der Welt den Rücken zukehren.

„So, die letzte Minute läuft. Schreibt euren letzten Satz zu Ende und gebt eure Blätter ab“, sagte die Englischlehrerin, Frau Mai.

Pirmin sah wieder auf sein Blatt. Ein paar unleserliche Zeilen, die Hälfte davon wieder durchgestrichen, einzelne Wörter, überall Lücken... das konnte nur schlecht ausgehen. Aber da die Zeit nun sowieso um war, stand er auf, ging nach vorne und gab seine Arbeit ab.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Frau Mai, als sie seine Blätter entgegennahm. „Du bist so blass.“

„In Ordnung?! Haben Sie sich den schon mal richtig angeschaut? Mit so jemandem kann gar nicht alles in Ordnung sein! … Scheiß Schwuchtel!“, schossen ihm sofort Steffens Worte durch den Kopf. Schnell sah er sich nach diesem um, aber er war noch viel zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt, um irgendeinen dummen Spruch zu machen.

„Ich... ja, es ist alles bestens“, antwortete er dann leise.

„Gut, dann kannst du jetzt in die Pause gehen.“ Frau Mai lächelte.

Er nickte nur und verließ dann das Klassenzimmer.
 

~
 

„Na, wie fandest du die Arbeit?“ Nico ließ sich schwungvoll auf die Bank fallen.

„So lala.“ Roman setzte sich neben ihn. „Ein paar Sachen davon haben wir in meiner alten Schule auch schon durchgenommen. War nicht so schwer.“

„Sag das Frau Mai nicht. Wenn du schlecht bist, kannst du es noch damit begründen, dass du neu bist.“ Jan grinste. „So habe ich das letztes Jahr auch eine Zeit lang gemacht.“

„Nimm dir bloß kein Beispiel an ihm“, meinte Katharina. „Er ist in fast jedem Fach Klassenschlechtester!“

„Keine Sorge, das werde ich schon nicht“, meinte Roman und lächelte.

Jan wollte darauf etwas erwidern, als ihn plötzlich ein dicker Regentropfen auf den Kopf traf.

„Na super, jetzt fängt es auch noch an, zu schiffen. Das hat mir gerade noch gefehlt.“ Er zog sich die Kapuze seiner Jacke auf.

„Ach, das bisschen Regen. Das wird dich schon nicht umbringen“, meinte Nico.

Roman sah in den Himmel hinauf. Aus den wenigen Regentropfen, die es gerade eben noch gewesen waren, wurden von Sekunde zu Sekunde mehr.

„Wollen wir nicht nach drinnen gehen? Ich hasse Regen.“ Roman schaute zu den anderen.

„Wenn es sein muss. Ihr seid doch alle aus Zucker!“ Nico stand auf. „Mir macht der Regen nichts aus.“

„Dann bleib doch draußen!“, schlug Jan vor und stand auf. „Ich jedenfalls bleibe keine Minute mehr hier.“

Nico verdrehte die Augen. Dann machten sie sich auf den Weg zum Schulgebäude, wo sie den Rest der Pause in der Mensa verbrachten. Nach etwa einer Viertelstunde läutete es. Die Pause war vorbei und die vier machten sich auf den Weg zurück zum Klassenzimmer.

„Was für ein Fach haben wir jetzt?“, wollte Roman wissen.

„Geschichte“, antwortete Nico. „Zwei Stunden lang. Yeah.“ Ihm war anzumerken, dass er alles andere tat, als sich darüber zu freuen.

„Naja, das Fach geht ja noch“, mischte sich Katharina ein. „Aber du musst erst einmal warten, bis du unseren Lehrer kennen gelernt hast. Herr Wagener. Der ist schlimm.“

„Oh ja. Der strengste Lehrer der ganzen Schule“, ergänzte Jan. „Ich glaube, wenn man heutzutage noch Schüler schlagen dürfte, der würde das sofort machen.“

Sie kamen in dem Gang an, in dem ihr Klassenzimmer lag. Schon aus ein paar Metern Entfernung konnten sie sehen, dass die Tür schon offen war.

„Mist, wir sind zu spät! Diesmal schlägt er uns echt, wetten?“ Nico beschleunigte sein Lauftempo. Aber als sie am Klassenzimmer angekommen waren, stellte sich heraus, dass der Lehrer noch gar nicht anwesend war. Frau Mai hatte wohl nach der Englischstunde vergessen, die Tür wieder abzuschließen.

„Nochmal Glück gehabt“, meinte Jan, setzte sich auf seinen Platz und kramte in seiner Tasche herum.

„Habt ihr die Hausaufgaben gemacht?“, wollte Nico wissen.

Jan nickte und nahm dann einen großen Schluck aus der Wasserflasche, die er gerade herausgeholt hatte. „Klar, du nicht?“

„Nö. Ich dachte, ich darf sie doch sicher bei dir abschreiben?“ Nico nahm das Heft, das auf Jans Tisch lag, in die Hand. „Das hier sind sie doch, oder?“

Jan sprang auf. „Hey, gib die wieder her! Ich sagte nicht, dass du sie bekommst!“

Nico rannte vor ihm weg. „Hol sie dir doch!“ - „Na warte!“ Die beiden begannen eine Verfolgungsjagd quer durch das Klassenzimmer.

Roman sah den beiden zu. „Sind die immer so?“

Katharina lächelte und nickte. „Ja, immer. Ich glaube, die beiden sind die kindischsten Personen der Welt! Daran wirst du dich gewöhnen müssen.“

„Ach, ich finde das nicht so schlimm. Solange sie Spaß haben...“ Roman grinste.

Nach und nach trudelte auch der Rest der Klasse ein, was die Verfolgungsjagd der beiden Jungen noch erschwerte. Aber flink, wie Nico war, ließ er sich nicht von Jan erwischen.

„Bleib endlich stehen, du Idiot!“ Immer wieder versuchte Jan, ihn zu packen, verfehlte sein Ziel jedoch.

Ein paar Leute aus der Klasse, die das Szenario ebenfalls beobachteten, begannen, die beiden anzufeuern. Obwohl der Unterricht in den benachbarten Klassenzimmern bereits wieder angefangen hatte, nahmen sie keine Rücksicht.

„Nico! Gib mir jetzt sofort mein...!“ Er sprach nicht weiter, da er in diesem Moment über eine Tasche stolperte und der Länge nach hinfiel. Seine Wasserflasche, die er unbewusst die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte, rutschte ihm aus der Hand und zerbrach unter lautem Geklirre in tausend Glasscherben.

„Haha, der war gut!“, lachte Nico. „Das geschieht dir Recht!“

„Danke!“ Jan rappelte sich wieder auf und trat genervt gegen die Tasche, über die er gestolpert war. „Pass gefälligst in Zukunft auf, wohin du deinen Kram wirfst!“, knurrte er Pirmin an, dessen Tasche es war. Dieser allerdings tat so, als hätte er ihn gar nicht gehört.

„Viel Spaß beim Putzen!“ Nico lachte immer noch.

„Pah, du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich das wegmache.“ Jan machte einen großen Schritt über die Wasser- Glasscherbenpfütze und wollte sich gerade wieder auf seinen Platz setzen, als ein fremder Lehrer das Klassenzimmer betrat.

„Sagt mal, was ist denn mit euch los?! Warum seid ihr denn so laut? Und wo ist euer Lehrer?“, fragte er streng.

„Keine Ahnung, wo der ist“, antwortete Nico. „Wir sind schon die ganze Zeit alleine.“

„So? Dann geh bitte zum Lehrerzimmer und erkundige dich da mal, wo er ist.“

Nico verdrehte die Augen und verließ das Klassenzimmer.

„Und ihr seid jetzt bitte wieder leiser. Die Klasse neben euch schreibt nämlich gerade eine Arbeit.“ Er wollte sich gerade zum Gehen abwenden, als ihm die Scherben auf dem Boden auffielen. „Und diese Sauerei hier wird auch noch weggemacht. Wer war das?“ Er sah in die Runde. Niemand meldete sich. „Wenn sich der Schuldige nicht meldet, putzt ihr alle zusammen, okay?“

In dem Moment hob Jan seine Hand und zeigte zu Pirmin. „Er wars!“

„Was...? Aber ich...“ - „Ja, jetzt wieder herausreden wollen. Du musst auch mal zu dem Mist stehen, den du gebaut hast!“

„Gut, dann mach du es weg“, sagte der Lehrer zu Pirmin. „Ich muss jetzt wieder nach drüben.“ Er drehte sich um und ging zurück in sein Klassenzimmer.

In dem Moment tauchte Nico auch wieder auf. „Auf dem Sekretariat haben sie gesagt, dass Herr Wagener unerwartet krank geworden ist. Wir dürfen zwei Stunden früher nach Hause gehen.“

„Yay, wie cool!“, freuten sich alle, packten schnell ihre Sachen zusammen und liefen nach draußen.

„Und du hast gehört, was der Lehrer gesagt hat. Putz diese Sauerei weg!“ Jan grinste Pirmin hämisch an und verließ dann als einer der ersten das Zimmer. Dieser stand seufzend auf, holte den kleinen Mülleimer, der neben der Tür stand, kniete sich dann vor der Pfütze auf den Boden und begann, die Scherben aufzusammeln.

„Schön alles wegmachen, Putzfrau!“, spottete jemand.

Pirmin war froh, als alle gegangen waren. Nein halt, jemand war noch da. Ein ihm unbekannter Junge, wahrscheinlich ein Neuer, saß noch auf seinem Platz.

Roman hatte das Klassenzimmer noch nicht verlassen. Er hatte sein Handy hervorgeholt und schrieb seiner Schwester eine SMS, ob sie ihn nicht doch früher abholen könne. Als er sie abgesendet hatte, packte er sein Handy wieder weg und stand auf.

Er lief durch die Tischreihen und blieb dann vor Pirmin stehen.

„Hey du“, sagte er, da er nicht wusste, wie er das Gespräch beginnen sollte. „...Warum lässt du dir das eigentlich gefallen? Du kannst doch nicht einfach den Dreck von anderen Leuten wegputzen.“

„Kann ich nicht?“, erwiderte Pirmin leise. Wie hätte er sich denn gegen Jan wehren sollen? Er hätte so oder so nicht auf ihn gehört.

„Ich weiß es nicht. Ich finde es halt etwas unfair.“

'Schön für dich', antwortete er in Gedanken. Warum mischte sich dieser Typ da ein?

Da es nicht so aussah, als würde der Schwarzhaarige Redebedarf haben, wandte sich Roman zum Gehen um. Kurz vor der Tür blieb er noch einmal stehen und drehte sich um.

„Kann... kann ich dir vielleicht helfen?“, fragte er. Jetzt einfach wegzugehen wäre ja auch unhöflich. Er erhielt keine Antwort. Pirmin schien ihn nicht gehört zu haben. Oder gehört haben zu wollen. „Naja, dann halt nicht.“ Jetzt verließ er das Klassenzimmer doch. Wenn er nicht mit ihm redete, dann war er eben selbst schuld.

Pirmin hob leicht den Kopf und sah dem Neuen kurz hinterher, als dieser hinausging. Er brauchte keine Hilfe. Wahrscheinlich hatte er das sowieso nicht ernst gemeint. Niemand meinte ihm gegenüber so etwas ernst.

Er betrachtete die Glasscherben in seiner Hand. Eigentlich hatte der Neue Recht gehabt. Es war nicht seine Aufgabe, das zu machen. Warum war er nur immer so unfähig, sich gegen die anderen zu wehren? Wütend auf sich selbst ballte er seine Hand zur Faust. Er spürte, wie sich die Scherben in seine Haut bohrten. Egal. Alles war egal.

Er sammelte die restlichen Scherben auf, wischte das Wasser weg und kühlte seine blutende Hand unter dem Wasserhahn. Dann verließ er das Schulhaus und fuhr durch den Regen und die Kälte nach Hause.

Kapitel 5

'Wo bleibt sie denn?', dachte Roman ungeduldig. Seit einer gefühlten Ewigkeit stand er jetzt schon im Regen herum und wartete auf seine Schwester. Er hasste Regen. Er war eher ein fröhlicher Mensch, der den ganzen Tag draußen in der Sonne verbringen könnte. Das graue Novemberwetter war ihm daher ein Graus. Seine Kleidung war schon völlig durchnässt.

Endlich sah er von weitem den kleinen schwarzen Wagen seiner Schwester Carolin auf sich zufahren. 'Wurde aber auch langsam Zeit!' Er lief ihr ein paar Meter entgegen, wartete dann, bis sie hielt und riss dann schwungvoll die Tür auf.

„Hey, lass mein Auto ganz!“, sagte Carolin.

„Sorry.“ Roman ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. „Von diesem Regen kriegt man schlechte Laune.“

„Und die lässt du dann ausgerechnet an meinen Sachen aus?“ Sie wartete, bis er sich angeschnallt hatte und fuhr dann los. „Na, wie war der erste Schultag?“

„Ganz okay.“

„Sind ein paar nette Leute in deiner Klasse?“

„Das kann man doch nach einem Tag noch gar nicht richtig beurteilen. Aber die, mit denen ich die Pausen verbracht habe, sind in Ordnung... mehr oder weniger.“

„Und die Lehrer?“ Carolin drückte den Blinker und bog in eine kleine Seitenstraße ein.

„So wie Lehrer halt sind!“ Roman lächelte. „Doof.“

„Selber doof!“

Da seine Schwester gerade selbst auf dem Weg war, Lehrerin zu werden, machte es Roman Spaß, ständig über Lehrer herzuziehen. Er wusste, dass er sie damit ärgern konnte.

„Ich bin nur so doof, weil die Lehrer... PASS AUF!!“

„W-was?!“ Carolin konnte ihren Blick gerade noch rechtzeitig auf die Straße wenden und bremsen. Fast hätte sie einen Jungen angefahren, der gerade seelenruhig über die Straße lief.

„Blöde Kuh, lern fahren!“, motzte er sie an und zeigte ihr den Vogel.

„Idiot!“, rief sie zurück und fuhr dann an ihm vorbei.

Roman schaute aus dem Autofenster. Jetzt erkannte er, dass es Steffen war.

„Das ist so ein komischer Typ, der in meine Klasse geht. Laut meinen Klassenkameraden benimmt der sich immer so blöd“, meinte er. „Anscheinend ist er schon dreimal sitzen geblieben.“

„Kein Wunder, bei dem Stroh, das der im Kopf zu haben scheint.“ Carolin war anzumerken, dass ihr der Schreck, ihn fast angefahren zu haben, und die Wut über ihn ihr immer noch in den Gliedern saß. Der erlaubte es sich, sie einfach blöde Kuh zu nennen. „Lass dir bloß nichts von dem gefallen, hörst du?“

„Werde ich schon nicht“, antwortete Roman. „Du kennst mich doch!“
 

~
 

Pirmin war inzwischen an dem großen Mehrfamilienhaus, in dem er sich mit seiner Mutter eine kleine Wohnung teilte, angekommen. Er stellte sein Fahrrad in die Garage direkt neben dem Haus, ging dann zur Haustür und schloss sie auf.

Endlich zu Hause.

Er trat ein und lief die vielen Treppen nach oben. Seine Wohnung war in einem der obersten Stockwerke und es dauerte immer eine Weile, bis man dort angekommen war.

Auf halbem Wege kam ihm die Putzfrau des Hauses entgegen, sie trug einen Eimer und einen Wischmop mit sich.

„Junge, kannst du dir nicht die Schuhe abputzen bei dem Sauwetter? Schau jetzt mal den Boden an, den kann ich gerade nochmal wischen!“, zeterte sie.

„Tut mir Leid, ich...“

„Dein gespieltes 'Tut mir Leid' kannst du dir sparen. Davon wird der Boden auch nicht wieder sauber.“ Sie stellte den Eimer auf den Boden und wischte Pirmins Fußspuren weg.

Dieser machte, dass er verschwand. Die Putzfrau hatte er noch nie leiden können. Sie war immer so unfreundlich. Und selbst, wenn er nichts schmutzig machte, fand sie irgendetwas, um ihn anzumeckern.

Als er endlich in dem Stockwerk seiner Wohnung angekommen war, suchte er in seiner Jackentasche nach seinem Schlüssel und öffnete die Tür. Sie war nicht abgeschlossen gewesen, wahrscheinlich war seine Mutter noch zu Hause. Er atmete kurz durch, bevor er eintrat.

„Oh, hallo Pirmin!“ Wie erwartet. Seine Mutter kam aus der Küche. „Na, schon Schule aus?“

„Ja, unser Geschichtslehrer war krank“, antwortete er, warf seine Schultasche in die Ecke und zog seine Jacke aus. „Deswegen durften wir früher heimgehen.“

„Schön!“ Sie ging wieder in die Küche. „Möchtest du etwas mitessen? Ich bin gerade fertig mit Kochen.“

Er folgte ihr. „Weiß nicht. Ein bisschen vielleicht.“ Eigentlich hatte er überhaupt keinen Hunger. Aber er wollte seiner Mutter nicht noch mehr Sorgen machen, als sie in letzter Zeit sowieso schon hatte. Sie hatte einen Job in einer großen Firma und da diese bald ihr 50-jähriges Bestehen feierte, hatte sie immer alle Hände voll zu tun. Wenn sie nach Hause kam, musste sie meistens noch ihren Bürokram erledigen und, und, und... Da wollte Pirmin sie echt nicht noch mehr belasten.

Er setzte sich an den Küchentisch, auf den seine Mutter gerade einen Kochtopf voller Suppe stellte. Er nahm sich etwas davon und begann langsam, zu essen. Seine Mutter setzte sich ebenfalls. Dann fragte sie: „Na, wie war es heute in der Schule?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ganz in Ordnung. Nichts besonderes.“

„Du hörst dich ja wahnsinnig begeistert an.“ Sie lächelte. „Es gibt eben spannenderes, nicht wahr?“

„Klar, alles ist besser als Schule.“ Dass er nicht gerne zur Schule ging, weil die anderen immer so fies zu ihm waren, verschwieg er. Noch nie hatte er mit jemandem darüber geredet. Das wollte er auch nicht. Manchmal schämte er sich richtig dafür, dass er so schüchtern war und alles mit sich machen ließ. Aber dagegen tun konnte er auch nichts.

„Und wie war die Englischarbeit?“

Pirmin sah auf seinen Teller. „Die war ziemlich... okay“, log er. „Englisch ist ja auch nicht wirklich schwer...“ Er hoffte, dass es ihm nicht anzumerken war, dass er log. Immerhin war die Arbeit eine einzige Katastrophe gewesen.

Aber seiner Mutter schien nichts aufzufallen.

Nach dem Essen stand sie auf. „Du, ich muss wieder gehen, meine Mittagspause ist gleich wieder vorbei. Machst du bitte den Abwasch?“

Er nickte. „Ja, mache ich.“

„Danke!“ Sie hob ihre Tasche auf, zog sich dann im Flur die Jacke an und öffnete dann die Wohnungstür. „Bis heute Abend!“

„Ja, bis dann“, antwortete Pirmin und wartete dann, bis sie gegangen war. Die Wohnungstür fiel zu. Endlich allein.

Er mochte seine Mutter. Er mochte sie sogar sehr. Und er hatte oft das Gefühl, sie sei die einzige Person der Welt, die ihn auch mochte. Aber trotzdem. Manchmal war er froh, einfach seine Ruhe zu haben. Noch dazu, wenn er schlechte Laune hatte und das alles überspielen musste, damit sie nichts merkte. So wie heute.

Er stand auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Danach ging er in sein Zimmer, hockte sich dort auf die Fensterbank und schaute hinaus auf die Straße. Direkt unter seinem Fenster befand sich eine Fußgängerzone, in der immer etwas los war. Manchmal konnte es ganz interessant sein, die Leute dort zu beobachten. Heute waren allerdings nicht so viele da wie sonst. Das lag wohl am Wetter. Pirmin hob seinen Blick und schaute in den Himmel. Immer noch grau. Das würde sich heute wahrscheinlich auch nicht mehr ändern. Aber wenigstens hatte es inzwischen wieder aufgehört zu regnen.

Er nahm seine Gitarre, die immer an der Wand neben dem Fenster lehnte. In etwa einer Stunde hatte er Gitarrenunterricht und ein bisschen üben konnte davor nicht schaden. Auch, wenn er jeden Tag mindestens eine Stunde spielte. Musik gehörte einfach zu seinem Leben dazu wie die Luft zum Atmen.

Er setzte sich bequemer hin und begann dann, eines der Lieder zu spielen, die er letzte Woche aufbekommen hatte. Mittlerweile konnte er es schon auswendig.

Erst spielte er leise, dann etwas lauter. Gedanklich sang er den Text mit. Nur gedanklich. Richtig singen konnte – und wollte – er nicht. Er wollte nicht, dass ihm jemand dabei zuhörte.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen, während seine Hand geradezu selbstständig über die Saiten tanzte. Jeden Ton nahm er in sich auf. Es war ein schönes Lied.

Und das war der bis jetzt einzige Moment an diesem Tag, in dem er sich wenigstens ein bisschen glücklich fühlte.

Kapitel 6

Es war kurz nach halb drei, als Pirmin vor Harrys Wohnungstür stand.

Harry war sein Gitarrenlehrer. Ein etwa 25-jähriger Student, der sich mit dem Gitarrenunterricht ein wenig Geld dazuverdiente. Daran mangelte es ihm nämlich an allen Ecken und Kanten. Dementsprechend klein war seine Wohnung. Aber Pirmin kam trotz allem gern hier her.

Er klingelte. Und wartete. Niemand öffnete. Von innen konnte er Schritte hören. Jemand schien hastig im Flur herumzulaufen.

Endlich öffnete Harry die Tür. Er trug sein T-Shirt falsch herum und hatte ein Handtuch um die Schultern hängen. Seine Haare waren tropfnass.

„Ah, du bist es! Tag auch! … Hatten wir nicht gesagt, du kommst heute um drei?“, fragte er. „Du hast mich aus der Dusche geklingelt!“

„...Nein, du sagtest, ich solle um halb drei kommen. Wie immer“, antwortete Pirmin.

Harry grinste verlegen. „Oh, da hat mich wohl mein Zeitgefühl mal wieder verlassen. Komm doch rein!“

Er ging ein paar Schritte zur Seite und Pirmin trat ein.

„Geh schon mal ins Wohnzimmer, ich trockne noch kurz meine Haare ab.“ Er schloss die Wohnungstür und verschwand im Bad.

Pirmin sah ihm kurz hinterher und ging dann ins Wohnzimmer. Es war spärlich eingerichtet, in einer Ecke standen ein ziemlich altes Sofa und ein Fernseher, gegenüber davon ein Bücherregal, in dem ein heilloses Chaos herrschte und daneben zwei Hocker. Er setzte sich auf einen davon, nahm seine Gitarre aus der Gitarrentasche und wartete, bis Harry kam. Da das immer etwas dauern konnte, Harry war meist in allem etwas langsamer als andere, vertrieb Pirmin sich die Zeit damit, die vielen Bilder und Fotos, die an der Wand hingen, zu betrachten. Fast jedes Mal, wenn er kam, hingen neue da. Fotos von Harrys Freunden und Familie, Poster von allen möglichen Bands, Urlaubskarten... Zwischendrin waren auch immer mal wieder ein paar Notizzettel angepinnt, auf denen Termine oder zu erledigende Einkäufe standen. Manche schon über zwei Jahre alt.

Ja, Harrys Lebensstil konnte ziemlich gewöhnungsbedürftig sein, aber nichtsdestotrotz mochte Pirmin ihn. Er war einer der wenigen Menschen, die ihn nicht ständig fertigmachten und zudem ein echt guter Gitarrenlehrer.

Nach etwa zehn Minuten ging die Tür zum Wohnzimmer auf und Harry kam endlich hinein.

„Sorry, dass ich so lange gebraucht habe, aber der Föhn wollte mal wieder nicht anspringen.“ Er grinste verlegen. „Naja, jetzt bin ich ja hier!“

Er setzte sich auf den freien Hocker.

„Und, hast du fleißig geübt?“

Pirmin nickte.

„Gut, dann spiel doch einfach mal den ersten Song vor.“ Er sah sich kurz um. „Wo ist denn der Notenständer schon wieder?“

„Ich brauche keinen. Ich kenne die Songs alle auswendig.“

„Oh, okay. Wenn das so ist!“ Harry lehnte sich zurück. „Lass hören.“

Und Pirmin begann, zu spielen. Es war das selbe Lied, was er noch vorhin zu Hause gespielt hatte.

Harry hörte zu und wippte mit seinen Füßen im Takt dazu. Als es vorbei war, sagte er: „Gute Arbeit! Dass du den Titel in nur einer Woche so gut hinbekommen hast und dann auch noch auswendig... Respekt!“ Er lächelte. „Hattest wohl viel Zeit.“

„Mhm...“, machte Pirmin nur. Natürlich hatte er viel Zeit. Er hatte ja niemanden, mit dem er irgendetwas unternehmen könnte und um nicht zu vereinsamen, machte er eben Musik.

„Nur eine Sache... Du hast die Originalversion doch schon bestimmt irgendwo einmal gehört, oder?“

Er nickte nur.

„Gut, denn...“ Harry bückte sich und hob seine eigene Gitarre auf. „...die ist ein bisschen... wie sagt man... fetziger als das, was du gespielt hast, verstehst du, was ich meine? Deine Version ist etwas zu ruhig.“

Er spielte die ersten paar Takte. „Du siehst doch schon aus wie so ein kleiner Rocker, dann spiel auch so!“ Er musste grinsen.

„Alles klar.“ Pirmin spielte das Lied erneut, diesmal so, wie Harry es ihm gesagt hatte. „...War das besser so?“

Harry nickte. „Perfekt! Wenn du so weitermachst, gehörst du schon bald zu meinen besten Gitarrenschülern!“ Er lächelte.

Diesmal musste Pirmin auch lächeln. So ein Lob tat gut.
 

~
 

„Roman! … Roman! … Roman!! Hörst du mich nicht?!“

„I-ich... Ah!“ Roman stolperte und ließ den Bücherstapel fallen, den er gerade aus einem der vielen Umzugskartons gehievt hatte. Jetzt sah sein Zimmer noch unordentlicher aus, als es ohnehin schon war.

Seine Zimmertür schwang auf und Carolin steckte den Kopf hinein. „Was machst du denn da? Warum antwortest du nicht, wenn ich dich rufe?“

„Sorry, ich war gerade beschäftigt...“ Er ging in die Hocke und sammelte die Bücher wieder auf.

„Ach so. Sag mal, könntest du mir einen Gefallen tun? Ma hat gesagt, einer von uns solle heute noch einkaufen gehen. Aber da habe ich gerade keine Zeit für. Kannst du das nicht machen?“, fragte Carolin.

„Warum macht sie das nicht selber?“ Roman sah zu ihr. „Ich habe auch keine Zeit, das siehst du doch.“

„Sie hat doch diesen einen Arzttermin und da das etwas länger dauern kann, will sie, dass wir das machen. Aber ich habe ihr schon versprochen, dass ich noch putze und aufräume, außerdem muss ich noch etwas für die Uni machen und..“

„Okay, ich mache es“, meinte er seufzend und stand auf. Kurz in die Stadt zu gehen, würde ihn schon nicht umbringen. Außerdem war es eine gute Möglichkeit, mal dem ganzen Chaos in seinem Zimmer zu entkommen.

„Danke!“ Sie lächelte. „Unten in der Küche liegt die Einkaufsliste und das Geld.“

„Gut, dann gehe ich gleich mal.“ Er verließ sein Zimmer und ging die Treppe nach unten, in die Küche. Auf dem Tisch lagen ein paar Geldscheine, daneben ein Zettel.

Er steckte alles in seine Hosentasche, da er gerade nicht wusste, in welchem der Umzugskartons sich sein Geldbeutel befand, zog sich Jacke und Schuhe an und ging nach draußen.

Da er sich immer noch nicht allzu gut auskannte, lief er einfach mal in eine Richtung, immer der Straße nach. Und schon bald darauf hatte er das Stadtzentrum erreicht, wo die ganzen Läden waren.

'Das war einfacher als gedacht!', freute er sich und ging in eines der Geschäfte.

Etwa eine Viertelstunde später hatte er alle Sachen beisammen, die seine Mutter ihm aufgeschrieben hatte. Bepackt mit zwei vollen, schweren Tüten machte er sich auf den Weg zurück.

„Hey, Roman!“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich. Er blieb kurz stehen und drehte sich um. Katharina aus seiner Klasse fuhr mit ihrem Fahrrad auf ihn zu. Als sie ihn erreicht hatte, bremste sie und verlangsamte ihr Tempo.

„Na, fleißig am Shoppen?“ Grinsend betrachtete sie seine Taschen.

„So in etwa.“ Er lächelte. „Bin gerade wieder auf dem Heimweg.“

„Ah, so ist das!“ Sie stieg von ihrem Fahrrad ab und lief neben ihm her.

„Ich hoffe, ich finde den Weg wieder. Mein Orientierungssinn ist in dieser Stadt gleich null!“, meinte er verlegen.

„Das ging mir auch so, als ich neu hier war“, antwortete sie. „Ich wurde auf dem Land geboren und war so eine Großstadt zuerst gar nicht gewohnt.“ Sie grinste. „Aber mittlerweile kenne ich mich hier bestens aus.“ Sie strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wenn... wenn du willst, können wir mal einen kleinen Rundgang durch die Stadt machen, damit du sie besser kennen lernst. Dann brauchst du dir auch keine Gedanken mehr darum machen, ob du dein Zuhause wieder findest!“

Er nickte. „Danke, das können wir gerne mal machen!“

„Von mir aus auch gleich heute noch!“ Sie lächelte ihn an.

„Nein, heute habe ich leider keine Zeit mehr“, antwortete er. „Aber in den nächsten Tagen bestimmt!“

„Okay! Was machst du denn heute noch so?“

„Ich muss noch meine Umzugskartons ausräumen, mein ganzes Zimmer ist noch voll davon. Langsam fühlt man sich da echt nicht mehr wohl.“

Sie lächelte. „Kann ich verstehen! Ich hasse Unordnung über alles.“

Roman wollte gerade etwas antworten, als sie plötzlich zu kichern anfing. „Was ist denn los?“, fragte er verwundert.

„Dort drüben!“ Sie zeigte auf die gegenüberliegende Straßenseite. Roman schaute sich kurz um, ehe er ein ihm bekanntes Gesicht entdeckte.

„Meinst du Pirmin?“ Dieser lief dort gerade des Weges, eine Gitarre tragend. Er bemerkte die beiden nicht.

„Klar meine ich den!“ Sie grinste. „Ich kann mir nicht helfen, ich muss einfach immer lachen, wenn ich den anschaue!“

„Hm. Ich nicht“, erwiderte er. „Warum sollte ich auch?“

„Ist das nicht offensichtlich? Du hast doch heute in der Schule mitbekommen, wie der sich manchmal verhält. Nicht einmal gegen jemanden wie Jan kann der sich wehren und das ist echt lächerlich!“

„Also wenn ich immer so ausgelacht würde, hätte ich auch nicht den Mut, mich zu wehren, ganz ehrlich. Ich will gar nicht wissen, was ihr schon so alles für Aktionen gemacht habt...“

„Das ist doch alles nicht böse gemeint. Wir wollen ihn einfach etwas necken, das ist alles. Wenn er keinen Spaß versteht, ist er selbst schuld.“

„Ach so, wenn das nur Spaß ist, ist das natürlich was anderes.“ Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Jetzt mal ehrlich: Ich weiß nicht, was daran Spaß macht, jemanden zu verletzen!“

„Das machen wir doch gar nicht! Noch niemand ist daran gestorben, dass er vom Stuhl gefallen ist!“ Sie musste schon wieder lachen. „Das war einfach genial heute!“ Sie blieb kurz stehen und suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. „Ich habe das sogar kurz mitgefilmt, willst du es sehen?“

„Nein, will ich nicht“, entgegnete Roman schnell. „Ich habe doch gesagt, ich habe noch zu tun heute.“ Er entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Ich gehe dann mal nach Hause. Bis morgen in der Schule.“

„Warte doch noch kurz!“ Sie lief hinter ihm her.

„Ein anderes Mal, okay? Tschüss!“

„Naja, dann eben nicht. Tschüss...“ Sie sah ihm noch kurz hinterher.

Roman lief an ein paar Häusern vorbei und bog dann in die Seitenstraße ab, die zu seinem Zuhause führte. Dann atmete er erst einmal tief durch. Diese Katharina war genauso merkwürdig wie die anderen aus seiner Klasse. Zu manchen Leuten nett, zu manchen einfach nur ekelhaft.

Er hatte Mitleid mit Pirmin. 'Vielleicht ergibt sich morgen ja mal eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen...', dachte er. 'Und vielleicht kann ich ihm helfen.'

Mit diesem Gedanken machte er sich auf den Weg nach Hause.

Kapitel 7

„Da bist du ja endlich. Hattest wohl gedacht, du könntest mir entkommen?!“ Steffen lachte lauf auf und ballte seine Fäuste.

Pirmin trat ein paar Schritte zurück. „W-was willst du von mir?“ Seine Stimme zitterte. Er wollte wegrennen, war aber plötzlich wie gelähmt.

„Ich will...“ Steffen grinste. „...nur deine hässliche Visage verschönern!“ Er holte mit der Faust aus und schlug ihm mitten ins Gesicht.
 

„...Nein!“ Schweißgebadet wachte Pirmin auf. Schon wieder so ein Albtraum. Einer von denen, die er ständig hatte.

Er setzte sich auf. „Verdammt...“ Schon seit Stunden hatte er sich im Bett herumgewälzt und konnte nicht schlafen. Und als es ihm endlich gelungen war, träumte er so einen Mist. Jetzt war er wieder hellwach. Er schaute auf die Uhr. Kurz nach zwei. Nur noch vier Stunden, bis er aufstehen und sich für die Schule fertig machen musste. Für die Schule. Den Ort, den er so abgrundtief hasste.

'Denk nicht an die Schule', versuchte er sich zu beruhigen. 'Sonst träumst du nur wieder davon.'

Er ließ sich zurück in sein Kissen fallen und schloss die Augen. Atmete ein, atmete aus. Ein, aus, ein, aus...

Eine halbe Ewigkeit später öffnete er seine Augen wieder und sah erneut auf die Uhr. Halb vier. Und er war immer noch nicht eingeschlafen. Dabei war er so müde.

Er dachte nach. Dachte über alles nach. Über sich, über seine Mitschüler, über das ewige Gelächter von ihnen. Das wollte ihn einfach nicht loslassen. Immer wieder sah er sie vor sich. Nico. Jan. Steffen. Die ganzen anderen.

Vier Uhr. Pirmin setzte sich wieder auf. Jetzt warf er den Versuch einzuschlafen endgültig hin.

Er stand auf und zog die Vorhänge vor seinem Fenster weg. Draußen war noch alles stockdunkel. Nur in der Bäckerei gegenüber brannte bereits Licht. Außer ihr wirkte alles dort draußen verlassen. Tot und verlassen.

Er setzte sich auf das Fensterbrett, tastete nach seinem Handy, das dort immer herumlag, und hörte Musik. Wie immer, wenn er nicht wusste, was er tun sollte.

Irgenwann um 5 Uhr hörte er Geräusche aus dem Nebenzimmer. Seine Mutter war aufgestanden. Gleich würde sie duschen gehen. Dann in die Küche. Mit der alten Kaffeemaschine Kaffee kochen. Frühstücken und dann zur Arbeit aufbrechen.

Pirmin kannte den Ablauf genau. Schon so oft hatte er seine Mutter belauscht, wenn er nicht schlafen konnte. Diese allerdings wusste nichts davon.

Eine Weile später hörte er ihre Schritte im Flur und dann, wie die Wohnungstür zufiel. Jetzt war er allein.

Er sah wieder aus dem Fenster, hörte Musik und merkte von Sekunde zu Sekunde mehr, wie gerädert er sich fühlte. Die Nacht durchzumachen hatte ihm noch nie gut getan. Er gähnte.

Um kurz nach sieben Uhr kam er wieder zu sich.

„Ach Mist!“, ärgerte er sich. „Warum penne ich gerade jetzt ein?“ Er sprang auf und suchte seine Klamotten zusammen. Würde er sich jetzt nicht beeilen, verpasste er wieder den Bus.

Hastig machte er sich fertig, suchte seine Schulsachen zusammen und rannte aus der Wohnung. Die Bushaltestelle war nur einige Meter entfernt, daher erreichte er seinen Bus gerade noch rechtzeitig. Atemlos stieg er ein und ließ sich auf einen freien Platz fallen. Gerade noch geschafft.

Er begann, in seiner Tasche nach seinem Handy zu suchen. Aber wie es aussah, hatte er es zu Hause liegen gelassen. Wunderbar. Dieser Tag würde genauso toll werden wie der gestrige.

Der Bus fuhr los. Pirmin spürte, wie ihn erneut eine Welle der Müdigkeit übermannte. Er schloss die Augen.

„Hey, ist der Platz neben dir noch frei?“

Er sah auf. Der Neue aus seiner Klasse (wie hieß der noch gleich? Roman? Pirmin hatte das schon wieder vergessen) stand da und sah ihn an. Wortlos nahm er seine Tasche weg und ließ ihn hinsitzen.

„Danke!“ Er lächelte. Pirmin wandte seinen Blick wieder ab und sah nach draußen auf die Straße.

„...Ähm, kann ich dich vielleicht mal was fragen?“

Er sah wieder zu Roman. Redete er mit ihm? Anscheinend.

„Mach halt.“

„Ich wollte nur wissen, wie das so ist in deiner – also in unserer Klasse. Du... du bist nicht wirklich der Beliebteste, oder?“

'Doch, du Idiot, ich bin beliebt, habe viele Freunde und liebe meine Klasse über alles!', dachte Pirmin und verdrehte leicht die Augen. Selbst jemand, der bisher nur einen Tag in seiner Klasse war, konnte erkennen, wie es ihm ging.

„Nö.“ Er wandte seinen Blick wieder ab.

„Mhm... ich habe ja gestern schon mitbekommen, wie es so ist, zwischen dir und den anderen. Um ehrlich zu sein, ich finde das echt heftig.“

Pirmin sah aus dem Fenster und hörte nur stumm zu.

„Also, wenn du mal Hilfe brauchst, sag es mir, okay? Vielleicht lässt sich da ja etwas machen.“ Roman lächelte und stand auf. Der Bus war an der Schule angekommen.

„Mal sehen...“ Pirmin sah ihm kurz nach, stand dann auf und verließ als einer der letzten den Bus. Er wusste nicht, ob er Roman trauen sollte. Wohl eher nicht. Warum sollte dieser ihm helfen wollen? Er kannte ihn doch gar nicht. Spätestens in einigen Tagen, wenn er sich richtig in der Klasse eingelebt hatte, würde er genauso sein wie die anderen. Etwas Ähnliches war Pirmin schon mal widerfahren. Nico war vor etwa zwei Jahren auch neu in die Klasse gekommen und anfangs immer nett gewesen. Doch irgendwann hatte er sich mit Jan und den anderen angefreundet und sich komplett verändert. Ins Negative. Pirmin konnte sich schon gar nicht mehr vorstellen, dass der einmal nett gewesen war.

Er lief über den Schulhof und betrat dann das Schulgebäude. Wie fast jeden Morgen, führte ihn sein erster Weg zum schwarzen Brett, wo immer verkündet wurde, welche Lehrer an dem jeweiligen Tag nicht anwesend waren. Vielleicht hatte er ja Glück und konnte heute wieder etwas früher nach Hause gehen.

Tatsächlich war heute einer seiner Lehrer nicht anwesend, der Erdkundelehrer, den sie eigentlich in der zweiten Stunde gehabt hätten. Das brachte Pirmin zwar nichts, da er trotz der Freistunde nicht früher nach Hause durfte, aber es war wenigstens besser als Unterricht.

Er drehte sich um und lief in Richtung seines Klassenzimmers. Dort angekommen, sah er, dass die Tür schon offen und außer ihm noch niemand anwesend war. Gut so. Er ging hinein und setzte sich auf seinen Platz. In der ersten Stunde hatten sie Mathe. So wie gestern.

Plötzlich hörte er Stimmen und sah ein paar seiner Mitschüler hineinkommen. Sie beachteten ihn allerdings nicht. Nach und nach füllte sich das Klassenzimmer und ein paar Minuten später traf auch Herr Bührer ein.

„Guten Morgen zusammen!“, sagte er, stellte seine Tasche auf dem Pult ab und sah sich erst einmal im Raum um. „Oh, heute scheinen wir vollzählig zu sein, wie schön!“

„Was, der Schwuchtel hat heute mal nicht verpennt? Ist heute irgendein besonderer Tag oder was?!“, warf Steffen in den Raum. Pirmin verdrehte die Augen. Die Klasse lachte. Herr Bührer meinte streng: „Steffen, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mit solchen Bemerkungen aufhören sollst?“ Er schrieb etwas ins Klassenbuch. Dann sagte er: „So, jetzt werden wir die Hausaufgaben kontrollieren. … Marie, rechne bitte die erste Aufgabe an der Tafel vor.“

Während alle anderen mit den Hausaufgaben beschäftigt waren, ließ Pirmin seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Warum sollte er zuhören, er hatte sowieso nicht gewusst, was sie machen mussten, nachdem er gestern das Klassenzimmer frühzeitig verlassen hatte.

Draußen hatte es gerade wieder begonnen zu regnen. Und das fast genauso stark wie gestern. Oder sogar noch stärker? Pirmin konnte es nicht erkennen. Stellenweise nahm er seine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Und die Stimmen des Lehrers und seiner Mitschüler drangen nur noch dumpf an sein Ohr. Er war ja so müde...

Plötzlich klopfte es an die Tür. Pirmin sah auf. Vielleicht war es ja jemand, der den Unterricht etwas aufhielt.

„Herein!“, sagte Herr Bührer laut. Aber niemand trat ein. Es klopfte erneut.

„Sagt mal, kriegt der da draußen nicht einmal die Tür auf?“ Genervt lief er an die Tür und riss sie schwungvoll auf. Ein paar Schüler reckten die Hälse, aber niemand sah, wer da draußen vor der Tür stand.

Plötzlich schoss ein riesiger, gigantischer Tentakel durch die Tür, packte Herrn Bührer und schleuderte ihn in der Luft herum. Die ganze Klasse begann, zu schreien. „Oh mein Gott, nichts wie weg hier!“, rief jemand panisch. „Hilfe, ein Monster!“, kreischte jemand anderes.

Pirmin saß regungslos vor Schreck da und wusste nicht, was er tun sollte. Das alles war ihm nicht geheuer. Was ging hier vor?

Noch ehe er weglaufen konnte, hörte er plötzlich, wie jemand seinen Namen rief. Immer und immer wieder.

„Pirmin! … Pirmin! Wach sofort auf!“

„... W-was?“ Er öffnete die Augen. Er war doch tatsächlich im Unterricht eingeschlafen. Das riesige Monster war weg. Und Herr Bührer stand vor ihm und sah ihn wütend an.

„Ist mein Unterricht jetzt etwa schon so langweilig, dass du darin einschläfst?! Was soll das?“

Immer noch ganz benommen, antwortete er: „Es... es tut mir Leid... wird nicht wieder vorkommen...“

„Das hoffe ich für dich.“ Der Lehrer warf ihm noch einmal einen strengen Blick zu und ging dann wieder nach vorne an die Tafel, um mit dem Unterricht fortzufahren. Aber da die meisten aus der Klasse nun wieder mit Lachen beschäftigt waren, erwies sich das als Ding der Unmöglichkeit.

Pirmin verbrachte den Rest der Stunde damit, aus dem Fenster zu schauen, sich darauf zu konzentrieren, wach zu bleiben und sie zu ignorieren. Er ignorierte alle. Seinen Lehrer und seine Mitschüler. Alle.

Als er nach Stundenende mit den anderen das Klassenzimmer verlassen wollte, rief ihn Herr Bührer zurück.

„Pirmin, kannst du mal bitte kurz hierbleiben?“

Er seufzte innerlich genervt auf, drehte sich dann um und lief langsam auf seinen Lehrer zu.

„Ich wollte dich eigentlich schon länger mal unter vier Augen sprechen. Was ist eigentlich zurzeit los mit dir?“

„Was soll denn los sein?“, murmelte Pirmin und sah auf den Boden.

„Na, das ständige Zuspätkommen und dein ewiges 'Ich habe verschlafen'!“ Herr Bührer nahm das Klassenbuch und blätterte kurz darin herum. „Siehst du hier? Allein schon letzte Woche bist du an drei von fünf Tagen zu spät gekommen. Und heute bist du sogar im Unterricht eingeschlafen. Was machst du denn nachts? Mir scheint, du leidest an Schlafmangel.“

„Nein, natürlich nicht... Ich überhöre halt meinen Wecker ziemlich oft... und gestern war ich wirklich etwas zu lange wach und bin deshalb eingenickt... kann ja mal passieren...“

„Bei dir passiert so etwas aber zu oft, wie ich finde.“ Er klappte das Klassenbuch zu. „Sollte das in Zukunft nicht aufhören, werde ich deine Eltern kontaktieren müssen, ist das klar?“

„Klar.“

„Gut, dann kannst du jetzt gehen.“

Pirmin nickte nur, drehte sich dann um und verließ das Klassenzimmer. Er hasste solche Gespräche. Was konnte er denn dafür, dass er nachts nicht schlafen konnte und tagsüber dann so fertig war?

Er war froh, jetzt erst einmal eine Freistunde zu haben. Er ging nach unten in die Mensa, setzte sich dort an einen Tisch, legte seine Unterarme darauf und vergrub seinen Kopf darin. Er war müde. So müde.

Kurz darauf war er schon wieder eingeschlafen.
 

~
 

„Ich hasse solche Freistunden, in denen man nur herumhocken und nicht heimgehen kann“, ärgerte sich Nico. „Total unnötig, sowas.“

„Ist doch besser als Unterricht“, erwiderte Roman und lehnte sich zurück.

„Schon, aber mindestens genauso langweilig...“ Er seufzte.

Roman schaute sich um. Er und Nico saßen in der Mensa, an einem der hintersten Tische. Hier war es am ruhigsten.

In dem Moment ging die Tür auf und Jan trat ein. Er ließ seinen Blick kurz suchend durch den Raum schweifen, ehe er Nico und Roman entdeckte, zu ihnen ging und sich dazusetzte.

„Ach, hier seid ihr. Habe mich schon gewundert. Was macht ihr?“

„Nichts, uns langweilen...“ Nico war anzumerken, dass seine Laune heute nicht die beste war.

„Also auch nichts mehr als ich...“ Jan verdrehte die Augen. Dann waren sie alle kurz still, ehe er sagte: „Hm... wie wärs, hättet ihr Lust, dem Schwuchtel mal wieder eins auszuwischen?“ Er grinste leicht. „Der sitzt dort vorne und pennt schon wieder oder so.“

„Klar, besser als nichts. Und was willst du machen?“

„Leute, habt ihr heute nicht schon genug über ihn gelacht?“ Genervt unterbrach Roman die beiden.

„Nö. Außerdem ist Lachen gesund!“, erwiderte Nico.

„Tolles Argument. Glaubt ihr, dass er es so toll findet, wenn ihr immer über ihn herzieht?“

„Er kann sich ja wehren, wenn er es nicht will. Aber da er das nicht tut...“ Jan zuckte mit den Schultern.

„Kommt, lasst uns seine Sachen draußen im Müllcontainer verstecken. Frohes Suchen!“ Nico grinste.

„Au ja!“

„Was soll das? Habt ihr denn nichts besseres zu tun? Ihr benehmt euch wie Kleinkinder!“

„Na und? Aber wir haben Spaß dran!“ Nico stand auf. „Komm, Jan.“

Die beiden wollten schon in Pirmins Richtung laufen, da sprang Roman auf und hielt sie fest.

„Lasst ihn doch einfach in Ruhe! Wenigstens für diese eine Stunde!“

Die beiden sahen ihn an.

„Bist du jetzt so ein Friedensmissionar oder was? Warum mischst du dich da überhaupt ein?“, fragte Jan leicht gereizt.

„Einfach so, weil ihr keinen Grund dazu habt, ihn so zu ärgern.“

„Deine ewige 'ihr habt keinen Grund'-Leier kotzt mich langsam an.“ Jan hob seine Tasche auf. „Ich bin weg.“

„Ich auch.“ Nico packte ebenfalls seine Sachen. „Viel Spaß noch.“

„Danke, den werde ich haben!“ Roman setzte sich wieder und sah den beiden hinterher, wie sie nach draußen gingen. Er war froh, dass er sie diesmal vor einem weiteren „Attentat“ auf Pirmin abhalten hatte können. Und er war froh, dass die beiden jetzt weg waren. Ihre Art ging ihm auf die Nerven.

Er beschloss, den Rest der Freistunde alleine zu verbringen. Und in der darauffolgenden Schulstunde würde er Pirmin noch einmal ansprechen. Jemanden wie Nico und Jan brauchte er nicht.

Kapitel 8

Hallu!

Erst einmal ein RIESENSORRY, dass ich euch fast 9 Monate auf das neue Kapitel warten gelassen habe! Tut mir sowas von Leid .___. Aber an dieser Stelle auch einmal ein fettes DANKE an diejenigen, die sich immer noch für die Geschichte interessieren und für die mittlerweile schon 20 Favos <3

Und jetzt viel Spaß beim Lesen!
 

Der Rest der Freistunde verging ohne weitere Vorkommnisse. Roman versuchte sich an den Mathehausaufgaben, verstand allerdings wie so oft wieder gar nichts, gab es nach einiger Zeit wieder auf und langweilte sich den Rest der Stunde. Jan und Nico ließen sich nicht mehr blicken und auch andere Mitschüler tauchten nicht in der Mensa auf.

Als die Stunde sich dem Ende zuneigte, packte Roman seine Sachen zusammen und stand auf. In den nächsten beiden Stunden hatten sie Sport, sein absolutes Lieblingsfach. Zumindest war es das auf seiner alten Schule gewesen. Würde sich seine Klasse im Sportunterricht genauso verhalten wie in den anderen Fächern, verginge selbst Roman die Lust darauf.

Er ging in Richtung Tür, drehte sich aber kurz davor noch einmal kurz um und schaute zu Pirmin, der immer noch regungslos am Tisch saß. Anscheinend schlief er wirklich. Da Roman sich sicher war, dass er nicht von alleine aufwachen und somit nur wieder zu spät in die nächste Stunde kommen würde, ging er zu ihm und rüttelte ihn leicht an der Schulter. „Hey, du musst aufwachen!“

„Hm...?“ Langsam hob Pirmin den Kopf und öffnete die Augen.

„Die nächste Stunde fängt gleich an. Wir müssen gehen.“

„Ja... ist ja gut“, murmelte er verschlafen, rieb sich kurz über die Augen und stand dann auf. Sein Körper fühlte sich schwer und träge an. Wie sollte er die nächsten beiden Stunden nur hinter sich bringen?

Er hob seine Tasche auf und zog sich die Jacke an. Alles extra langsam. Er hoffte, dass Roman sich irgendwann umdrehen und alleine gehen würde. Tat er aber nicht.

„Könntest du mir vielleicht zeigen, wo die Sporthalle ist? Ich kenne mich hier noch nicht so gut aus“, meinte Roman und sah zu ihm. Er nickte nur.

Die beiden verließen das Schulgebäude und machten sich auf den Weg zu der Halle, die ein paar Meter von der Schule entfernt stand. Sie liefen stumm nebeneinander, niemand sagte etwas. Aber Roman erkannte die Gelegenheit und versuchte, mit Pirmin zu reden.

„Seit... seit wann bist du eigentlich hier auf der Schule?“, fragte er. Irgendwie musste das Gespräch ja beginnen.

Pirmin sah kurz zu ihm, dann wieder auf den Boden. „Schon immer.“

„Ah, okay...“ Er überlegte kurz. „...und das mit unserer Klasse? War das auch schon immer so?“

„Ja, war es... aber ich weiß nicht, warum dich das so brennend interessiert.“ Pirmin wollte nicht ausgefragt werden. Jetzt sowieso nicht. Warum war dieser Roman nur so neugierig? Er hatte das doch schließlich schon heute Morgen im Bus gefragt.

„So brennend interessiert mich das gar nicht. Ich mache mir nur etwas Sorgen. Dir scheint es hier ja nicht so gut zu gehen.“

„Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht...“

Roman hob die Augenbrauen. „Ach so, dir gefällt es also, dass du so von den anderen gemobbt wirst?“

„Nein.“

„Aber lustig findest du es?“

„Nein, verdammt.“

„Also? Ich sehe doch, dass du dich hier nicht wohl fühlst. Und ich will dir wirklich nur helfen, nicht nerven oder so. Aber wenn du nicht willst...“

Pirmin antwortete nichts mehr und öffnete die Tür zur Halle. Die anderen aus seiner Klasse waren schon alle drin, ihr übliches Gelächter und Gejohle war bis nach draußen zu hören. Er ging in den Umkleideraum, zog sich schnell um und ging dann an Roman vorbei in die Halle.

Roman zog sich auch um und folgte ihm dann. Obwohl er Sport liebte, war ihm gerade irgendwie nicht mehr danach. Seine Gedanken kreisten immer noch um Pirmin. Warum wollte er ihm nicht zuhören oder wenigstens einmal mit ihm reden? Er wollte ihm doch gar nichts böses. Er wollte doch nur helfen.

Er setzte sich zu den anderen auf den kalten Hallenboden und sah sich um. Der Lehrer war noch nicht anwesend.

„Hey, schau mal, da ist ja unser Möchtegern-Friedensstifter.“ Jan sah zu Roman und grinste.

„Wenn du mich so nennen willst, bitte. Ich habe nichts dagegen.“ Er grinste künstlich zurück. Jan und die anderen waren einfach nur kindisch.

„Gut, dann nenne ich dich ab jetzt so. Ist immerhin besser als 'Schwuchtel'.“ Die Hälfte der Klasse begann zu lachen, Roman verdrehte die Augen.

In dem Moment hörte er Schritte und der Lehrer betrat die Halle.

„So, Morgen miteinander“, begrüßte er die Klasse. „Sind wir heute alle vollzählig?“ Er zählte kurz durch, bis sein Blick an Roman hängen blieb. „Wer bist du? Ein Neuer?“

Er nickte. „Ja, ich bin seit gestern auf der Schule. Mein Name ist Roman.“

„Schön, Roman, willkommen bei uns. Ich bin Herr Beck, der das außerordentliche Vergnügen hat, der Sportlehrer dieser verrückten Bande zu sein.“ Er grinste. Dann wandte er sich wieder an den Rest der Klasse. „So, ich habe ja schon letzte Woche angekündigt, dass wir heute Fußball spielen werden. Also wärmt euch erst einmal auf, 10 Minuten laufen. Mindestens.“

Ein unmotiviertes Aufstöhnen drang durch die Klasse, dann erhoben sich aber doch die meisten und begannen, durch die Halle zu joggen.

„Boah, ich kann jetzt schon nicht mehr!“, hörte Roman eine Stimme und verdrehte die Augen. Er konnte mindestens eine ganze Stunde laufen, ohne schlappzumachen, für ihn waren diese zehn Minuten gar nichts.

Pirmin hingegen war froh, als Herr Beck endlich rief: „Okay, das reicht erst einmal!“ Atemlos blieb er stehen und hoffte, sein Seitenstechen würde gleich wieder verschwinden. Dieses ewige Rennen hasste er.

Als nächstes sollte die Klasse sich in kleine Fünfergruppen einteilen, die dann gegeneinander Fußball spielen sollten. Roman gesellte sich zu Nico, Jan und zwei anderen, die er noch nicht kannte, Pirmin ging in die Gruppe, wo am Ende noch einer fehlte.

„Zuerst spielen Team 1 und Team 2 gegeneinander!“, sagte der Lehrer an. „Spielt aber kurz mal ohne mich, ich muss noch kurz zum Lehrerzimmer gehen und das Klassenbuch holen.“ Romans Gruppe war Nummer 3 und konnte sich daher erst einmal an den Rand setzen.

„Bist du gut im Fußball?“, fragte Jan, während die anderen spielten.

Roman nickte. „Ich spiele schon seit neun Jahren im Verein.“

„Cool.“ Jan lehnte sich zurück und begann dann ein Gespräch mit Nico.

Roman schaute währenddessen den anderen zu. In der einen Mannschaft war Pirmin, das fiel ihm erst jetzt auf. Und in der gegnerischen Steffen. Das konnte ja nicht gut gehen und dieser Verdacht bestätigte sich auch wenig später.

Pirmin hatte gerade einem seiner Gegner den Ball weggespielt und lief auf das Tor zu, als plötzlich Steffen angerannt kam, ihn an den Haaren packte und zu Boden schleuderte.

„Kannst ja nicht mal Fußball spielen, ohne hinzufallen!“, scherzte er und lief mit dem Ball weiter.

„Hey, das war ein Foul!“, schrie Roman in dem Moment. Alle drehten sich zu ihm um.

„Misch du dich da doch nicht ein. Ist meine Angelegenheit, wie ich spiele.“ Steffen blieb stehen und stemmte seine Arme in die Hüften.

„Und es ist meine Angelegenheit, wo ich mich einmische.“

Pirmin stand wieder auf und sagte nichts. Wie immer.

„Der Trottel soll sich schon selbst wehren, wenn er es will.“ Steffen warf Roman noch einmal einen bösen Blick zu und spielte dann weiter.

„Arschloch“, murmelte Roman.

Kurz darauf betrat Herr Beck wieder die Halle und pfiff ab. „So, jetzt spielt der Gewinner von euch gegen Team 3.“

Da Pirmins Gruppe trotz der aggressiven Spielart von Steffen gewonnen hatte, musste sie jetzt noch einmal spielen.

Herr Beck warf den Ball ein und Roman schnappte sich ihn, so schnell er konnte. Geschickt lief er an den anderen vorbei und ehe er es sich versah, hatte er den Ball im Tor versenkt.

„Perfekt!“, rief der Lehrer und klatschte kurz. „Weiter so!“

Die andere Gruppe bekam den Ball und das Spiel ging weiter. Immer wieder versuchte Roman, sich den Ball zu schnappen und erneut ein Tor zu schießen. Kurz darauf war er wieder im Besitz des Balles und rannte schnell auf das gegnerische Tor zu. Niemand stand ihm im Weg, also sollte es auch dieses Mal klappen!

Ein paar Meter vor dem Tor holte er aus und trat so fest wie möglich gegen den Ball. Doch im Eifer des Gefechts hatte er nicht im Blick, was sich um das Tor herum abspielte. Und ehe er es sich versah, traf er anstatt des Tores Pirmin, der ihm in den Weg lief. Genau ans Handgelenk.

„Handspiel!“, brüllte Steffen vom Rand aus. „Das ist Fußball, kein Handball, du Idiot!“

„Ach halt doch endlich mal deine Klappe!“ Roman warf kurz einen wütenden Blick zu Steffen und lief dann zu Pirmin, der sein schmerzendes Handgelenk rieb.

„Alles okay?“

„Geht schon.“

„Am besten du hältst deine Hand mal kurz unter kaltes Wasser...“

„Ja...“ Pirmin drehte sich um und ging aus der Halle in die Umkleidekabine, wo er seine Hand unter den laufenden Wasserhahn hielt. Dies brachte allerdings nicht allzu viel. Romans Schuss war echt brutal gewesen. Seine ganze Hand schmerzte mittlerweile.

„Pirmin?! … Ah, hier bist du!“ Roman kam in die Umkleide hinein. „Tut es sehr weh?“

Er nahm Pirmins Hand. „Mist, die schwillt ja schon an... Ich glaube, es ist besser, wir holen dir nen Kühlbeutel oder so...“

„Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht...“

„Doch, ist es! Ich weiß doch, wie stark ich manchmal schießen kann beim Fußballspielen, das muss dir doch wehtun! Spiel doch nicht alles immer so runter!“

Pirmin seufzte. „Okay, dann hole ich mir halt was zum Kühlen...“

„Ich komme mit. Herr Beck meinte, ich solle mich wenigstens um dich kümmern, wenn ich dich schon verletze.“

Die beiden verließen die Umkleide und gingen in das kleine Krankenzimmer, das direkt daneben war. Pirmin nahm sich einen Kühlbeutel aus der kleinen Gefriertruhe und legte ihn auf seine Hand.

„Ähm...“ Roman kratzte sich verlegen am Kopf. „Tut mir Leid, übrigens. Es war echt nicht meine Absicht, dich zu treffen! Ich habe nicht gesehen, dass du da gelaufen bist.“

„Schon okay, es gibt schlimmeres.“

„Wenigstens ist es die linke Hand. Wäre es die Rechte gewesen, könntest du jetzt nicht mehr schreiben und so.“ Roman grinste etwas.

„Ich bin Linkshänder...“

„Oh. Mist, sorry, das wusste ich nicht.“ Er wurde etwas rot. „Naja... also falls du irgendwie Hilfe brauchst, ich stehe zur Verfügung.“

„Passt schon. Wie gesagt, mir ist schon schlimmeres passiert!“ Pirmin sah Roman an. „Und jetzt mach dir nicht immer solche Sorgen um mich, ich bin schließlich nicht aus Porzellan oder so!“

„Sicher? Auf mich machst du einen ziemlich zerbrechlichen Eindruck, wenn ich das so sagen darf.“

„Nein, darfst du nicht...“ Pirmin seufzte. „Vielleicht bin ich anders als ihr alle, aber ich bin eben so, wie ich bin. Und da stehe ich auch dazu.“

Roman schaute ihn von der Seite an. „Dann zeig das doch auch mal den anderen. Wenn du selbstsicher auftrittst, werden die dich mehr respektieren und mit dem Mist aufhören, den sie immer mit dir machen.“

„Ach, so ist das!“ Pirmin sah ihn an. „Es liegt also an mir! Ich soll mich ändern, damit die anderen damit aufhören!“

„Was...? Nein, so habe ich das doch gar nicht gemeint!“, antwortete Roman schnell. „Ich wollte damit nur sagen, dass...“

„Spar dir deine Worte... es bringt sowieso alles nichts!“

Pirmin drückte ihm wütend den Kühlbeutel in die Hand, drehte sich um und verließ den Raum.

„Hey, du kannst doch nicht immer vor allem und jedem...“, fing Roman an, ließ es dann aber. Seufzend legte er den Kühlbeutel zurück in die Gefriertruhe und ging dann wieder in die Halle zu den anderen. Wie erwartet, war Pirmin nicht hier.

Obwohl Fußball eine seiner größten Leidenschaften war, hatte er jetzt echt keine Lust mehr darauf. Und schon gar nicht mit dieser Klasse. Ständig verpasste er den Ball, wenn er ihm zugespielt wurde und ließ so die gegnerische Gruppe gewinnen. Er war froh, als die beiden Sportstunden endlich vorbei waren.

„Was ist denn mit dir los, ich dachte, du spielst seit Jahren im Verein?!“, fragte ihn Jan, als sie in die Umkleide liefen.

„Sorry, heute ist wohl nicht mein Tag“, murmelte Roman. „Nächstes Mal wird es besser!“

„Das hoffe ich!“

Sie gingen in die Umkleide. Auf den ersten Blick sah Roman, dass Pirmins Sachen nicht mehr da waren. Aber auch das hatte er bereits erwartet.



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Kommentare zu dieser Fanfic (34)
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Von:  Shunya
2012-11-22T00:57:22+00:00 22.11.2012 01:57
Wow, ist das letzte Kapitel echt schon so lange her? @.@
Finde ich aber echt klasse, dass es wieder weitergeht. *g*
Oje, ich habe Sport immer so gehasst. XD
Vor allem Geräteturnen und unser Sportlehrer hat immer mit uns Fußball gespielt, kaum was anderes. ~.~
Ich find es echt süß, wie viel Mühe Roman sich bei Pirmin gibt. >.<
Gott, die sind in der Klasse ja wirklich noch wie Kleinkinder. ~.~"
Ich finde solche Leute einfach nur abartig, als hätten die nichts besseres zu tun und anscheinend besitzen sie nicht mal ein Hirn.
Roman tut mir Leid, dass er jetzt auch da mit reingezogen wird. >.<
Eine Stunde laufen schaffe ich auch, musste ich bereits 3x mal machen und jedes Mal war ich danach tot. XD lol
Aua, wie kann er ihm an den Haaren ziehen?! ó.ó
Das ist echt fies!
Oje, Pirmin hat ja echt Pech. Der Ärmste, was der alles durchmachen muss. O.o"
Höhöhö~ Roman soll sich um ihn kümmern. *g*
Find ich gut. ;P
Aitsch! XD Ich bin auch Linkshänder. Das ist ja echt ne Panne für Pirmin, dann kann er ja auch gar nicht auf seiner Gitarre spielen.
Miiiist, wie sollen die denn Freunde werden, wenn Roman einfach nicht an Pirmin rankommt? XD *drop*
Ich bin schon mächtig gespannt auf das nächste Kapitel. *~*
Von:  Jio
2012-11-04T18:43:37+00:00 04.11.2012 19:43
Es geht weiter! und endlich mal bissle action ^^
Von:  tenshi_90
2012-11-02T09:25:40+00:00 02.11.2012 10:25
juhu, es geht endlich weiter :)

war ein echt schönes kapitel, auch wen pirmin mal wieder ein opfer war =(

bin gespannt, ob roman ihn nicht doch noch aufspüren kann...

lg
Von:  angel_of_sand
2012-11-02T08:17:59+00:00 02.11.2012 09:17
ich liebe Pirmin so sehr und könnte diejenigen schlagen,die ihn mobben Q^Q
ich war sogar den Tränen nahe,nur bei der einen Szene hatte ich (vll unangebracht x`D) einen Lachflash:
>„Wenigstens ist es die linke Hand. Wäre es die Rechte gewesen, könntest du jetzt nicht mehr schreiben und so.“ Roman grinste etwas.

>„Ich bin Linkshänder...“


ich konnte einfach nicht mehr xD
Von:  Jio
2012-03-15T16:00:31+00:00 15.03.2012 17:00
Meine Güte bin ich vorher bei den Tentakeln geschwind erschrocken dachte mir höh sind wir jetzt in ner Science Fiction FF gelandet oder was XD Zum Glück wars nur ein Traum von Pim Also iwie find ich deine Schreibweise echt intressant und macht einen auch neugierig ^^
Von: abgemeldet
2012-02-27T18:08:55+00:00 27.02.2012 19:08
Am Anfang hatte ich kurz Angst, dass das echt ist. Primin tut einem richtig leid. Ich finde, dass du das recht gut darstellst. Hatte ich im zweiten Kapitel noch meine Zweifel mit den Szenen von Pirmin (als er auf dem Baum hockte) finde ich diese jetzt viel überzeugender.

Er dachte nach. Dachte über alles nach. Über sich, über seine Mitschüler, über das ewige Gelächter von ihnen.
Diese abgehackten Sätze sind an dieser Stelle prima eingesetzt. Man könnte meinen, ich könne mich nicht entscheiden. Aber ich finde, dass es auf den Kontext ankommt. Denn:
Dann in die Küche. Mit der alten Kaffeemaschine Kaffee kochen. Frühstücken und dann zur Arbeit aufbrechen.
Diese Aufzählung kannst du hingegen besser mit Kommas darstellen, finde ich.

Eine Weile später hörte er ihre Schritte im Flur und dann, wie die Wohnungstür zufiel.
Seine Mutter weckt ihn nicht? Sagt nicht Auf Wiedersehen? Und wünscht ihm keinen schönen Tag? Ich finde, sie könnte ihrem Sohn ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken.

Wortlos nahm er seine Tasche weg und ließ ihn hinsitzen.
"ihn sich hinsetzen"

Du... du bist nicht wirklich der Beliebteste, oder?
Das ist nicht unbedingt die geschickteste Art, ein Gespräch mit Primin zu beginnen.

Wie fast jeden Morgen, führte ihn sein erster Weg zum schwarzen Brett,
Das erste Komma ist überflüssig.

Was, der Schwuchtel "die"
Die Stelle an sich, mit dem Lehrer, dem Zwischenruf, wirkt etwas gehetzt. Du hast dir zuvor schön Zeit gelassen, warum nicht auch hier?

Aber da die meisten aus der Klasse nun wieder mit Lachen beschäftigt waren,
Ich persönlich mag ja diese "Mit-Tun" Formulierungen gar nicht. "Damit beschäftigt zu lachen."?

Gut finde ich, dass Herr Bührer ihn anspricht. Manche Lehrer sprechen nicht so zu ihren Schülern und schreiben einfach nur blaue Briefe. Natürlich hat es jetzt nicht soooo viel gebracht, aber immerhin schon ein Anfang.

Er und Nico saßen in der Mensa, "Nico und er..."
„Also auch nichts mehr als ich...“ "nicht"
dem Schwuchtel mal wieder eins auszuwischen? "der"

Tolles Kapitel. Ich bin von Roman beeindruckt, dass er es durchgezogen hat.

~present for you~
Turnaris
Von: abgemeldet
2012-02-27T17:49:30+00:00 27.02.2012 18:49
Und wieder zurück.

Er klingelte. Und wartete. Niemand öffnete. Von innen konnte er Schritte hören. Jemand schien hastig im Flur herumzulaufen.
Also hier finde ich diese kurzen Satzgebilde schon ein bisschen sehr zu viel. Im letzten Kapitel konnte man noch recht gut darüber hinwegsehen, aber an diser Stelle ist es übertrieben. "Er klingelte und wartete. Niemand öffnete, aber er konnte Schritte hören - anscheinend lief jemand hastig im Flur herum." Wäre vielleicht eine Möglichkeit.

Oh, da hat mich wohl mein Zeitgefühl mal wieder verlassen.
Nein, eher sein Gedächtnis. Sein Zeitgefühl hätte ihn im Stich gelassen, wenn er auch geglaubt hätte, dass Primin um halb drei kommt und er noch geduscht hätte, aber da er davon ausgegangen war, dass der Junge erst um drei kommt, hat er sich falsch erinnert.

Manche schon über zwei Jahre alt.
Das ist eine schöne Stelle. Du beschreibst Harry hier ein wenig, wie sein Leben so aussieht, ohne dass er überhaupt im gleichen Raum ist. Gefällt mir sehr gut.

die ihn nicht ständig fertigmachten
Das klingt hier so, als ob Harry ihn "manchmal" fertig machen würde, nur eben nicht ständig. Aber du meinst sicher, dass Harry es "nicht" tut, oder?

Harry lehnte sich zurück.
Saß er nicht auf einem Hocker? Wohin lehnt man sich denn da zurück?

und um nicht zu vereinsamen, machte er eben Musik.
Obwohl es mit dem Vereinsamen an sich nichts zu tun hat. Er sucht wohl eher Beschäftigung, etwas, dem er sich widmen kann?

gehörst du schon bald zu meinen besten Gitarrenschülern!“
Ich frage mich gerade, woher er die Zeit für soviele Schüler nimmt? Ist Harry nicht Student?

Da er sich immer noch nicht allzu gut auskannte, lief er einfach mal in eine Richtung, immer der Straße nach.
Um ganz ehrlich zu sein, finde ich es etwas befremdlich, sein Kind in einer neuen Stadt einfach sich selbst zu überlassen. Das klingt etwas abwegig. Vor allem, weil er den Einkauf ja auch irgendwie nach Hause kriegen muss.

Langsam fühlt man sich da echt nicht mehr wohl.
Habe ich als Leser eigentlich eine Ahnung, wie lange diese Zeit schon anhält, die er zwischen Kartons leben muss?

'Und vielleicht kann ich ihm helfen.'
Das ist nett und mutig. Nicht jeder Neue würde überhaupt auf diese Idee kommen.

Das Kapitel ließ sich sehr schnell lesen, ich bin also schon richtig in deine Geschichte eingetaucht.

~present for you~
Turnaris
Von: abgemeldet
2012-02-27T16:32:33+00:00 27.02.2012 17:32
Jetzt bin ich gerade richtig in der Geschichte drin, da lese ich am besten gleich weiter.
Ich finde den Beinahe-Zusammenstoß mit Steffen sehr gut. Besonders „Ich bin nur so doof, weil die Lehrer... PASS AUF!!“ ist eine hervorragende Stelle. Ohne viele Worte hast du hier dem Leser gezeigt, was gerade vorgeht.

in dem er sich mit seiner Mutter eine kleine Wohnung teilte,
Das klingt eher nach einer Wohngemeinschaft. Würde "zusammen wohnen" nicht schöner klingen - und vielleicht besser passen? Zumal das "teilen"... muss Pirmin denn seinen Teil selbst bezahlten?

den kann ich gerade nochmal wischen!
Besser wäre "den kann ich jetzt nochmal wischen".

Ich bin ganz begeistert von der Mutter, also nicht von ihrem Auftreten, sondern ihrem Fleiß und ihrem Durchhaltevermögen. Von der Arbeit nach Hause, kochen und wieder zur Arbeit hin. Das ist leichter gesagt, als getan.

Er stand auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine.
Hey, moment, ich dachte, dass er abwaschen soll. ;D

Er wollte nicht, dass ihm jemand dabei zuhörte.
Da kann man richtig mit ihm mitfühlen. Er ist allein zu Hause und hat trotzdem Angst, dass jemand ihn hört und ihn vielleicht dafür auslacht. Traurige Szene.

Es war ein schönes Lied.
Du könntest noch sagen, welches Lied es ist. Es wirkt etwas runder, wenn man die Dinge beim Namen nennt. "Er las ein Buch" würde auch in diese Kategorie fallen. Man sollte schon hinschreiben, was es ist. ;)

Solides Kapitel, gute Rechtschreibung. Ich kann nicht meckern.
Jetzt bin ich gespannt, wie du die weitere Entwicklung schildern wirst, wie der der weitere Sichtwechsel gelingen wird.

~present for you~
Turnaris
Von: abgemeldet
2012-02-27T16:02:47+00:00 27.02.2012 17:02
Hallo.
So lang ist die Geschichte ja nicht mehr, das schaffe ich vielleicht ja noch während des Wettbewerbs - habe ich mir gedacht, und jetzt bin ich schon hier.

So frei müsste man sein. Einfach wegfliegen und der Welt den Rücken zukehren.
In diesem Kapitel gefällt mir bisher sehr, was du beschreibst. Dass du auf das drumherum eingehst. Und auch die Freiheit, der Vergleich mit den Vögeln. Recht passend. Okay, es ist vielleicht nicht perfekt formuliert und teilweise wirken die Sätze abgehackt, aber schon beim nächsten Mal klappt das sicher schon besser. Ich finde, dass man schon einen guten Schritt hier erkennen kann.

~
Sonderzeichen kannst du auch weglassen. Es ist kein Drama und es machen auch andere. Aber viel schöner ist es, wenn man durch den Text selbst erfährt, woran man gerade ist. Das heißt, dass man sich nicht daran gewöhnen sollte, einfach ein paar Sternchen oder dergleichen zu setzten, um einen Szenenwechsel anzugeben. ;)

Moment, "musste" Roman mitschreiben, oder haben sie ihn mitschreiben "lassen", quasi um seinen Wissenstand zu checken? Er hat doch seinen ersten Tag.

Na super, jetzt fängt es auch noch an, zu schiffen.
Hm, ich glaube, dass man auf das letzte Komma verzichten kann.

Jan machte einen großen Schritt über die Wasser- Glasscherbenpfütze
Hm, anders ausgedrückt, würde es vielleicht besser klingen. Zum Beispiel, dass die Scherben auf dem Wasser schwimmen.

Jan grinste Pirmin hämisch an und verließ dann als einer der ersten das Zimmer.
Na klar, wie typisch. Von wegen Steffen wäre der fiese Kerl der Klasse. Jan steht dem jawohl in nichts nach. Traurig. Und schon hat er wieder einen Sündenbock.

Es ist ein wenig zuviel Sichtwechsel gegen Ende des Kapitels. Da springst du immer zwischen Pirmin und Roman hin und her. Man kann das während eines Kapitels machen, aber dann nicht mehrmals hintereinander.

Ansonsten finde ich, dass man wirklich das Potenzial hier erkennen kann. Du hast die Situation recht gut herübergebracht.

~present for you~
Turnaris
Von: abgemeldet
2012-02-26T14:41:22+00:00 26.02.2012 15:41
Hallo du.
Heute ist Kommentiertag. Ein Kapitel von dir schaffe ich dann auch noch.

Als sie die Treppe hinunterliefen, bemerkte ein Junge mit kurzen, dunkelbraunen Haaren ihn.
"lief" ist hier wiederholt. Lass sie doch mal gehen oder schlendern. ;)

Er ist letztes Jahr bereits zum dritten Mal sitzen geblieben und dann in unsere Klasse gekommen.
Auf was für eine Schule gehen sie denn? Weil, wenn man so oft sitzen bleibt, muss man doch die Schule wechseln, denke ich.

Marie lächelte leicht.
Katharina lächelte.
Lass sie doch mal grinsen, strahlen oder schmunzeln.

Und wir machen es, weil Pirmin es verdient hat.
Na toll, ganz super. Diese Truppe ist mir gerade genauso unsympathisch geworden wie Steffen zuvor. Und ich denke, Roman stimmt mir da zu. Hmpf... Schule... Hmpf...

In was für eine Klasse war er da nur hineingeraten?
Ich fürchte: eine wie jede andere auch.

Wie dem auch sei. Ich finde, hier steckt sehr viel Potential drin. Dein Asdruck ist gut, deine Rechtschreibung auch und du schreibst auch nicht so stur """blabla"", antwortete er, ""blabla"", sagte der", sondern bringst Abwechslung. Lässt auch ihre Mimik sprechen.
Du machst nötige Zeilenumbrüche und hast ein Ziel.
Noch sind die Charaktere etwas platt, etwas undefinierbar, aber das kann ja noch werden.
Außerdem habe ich am Schluss nicht mitbekommen, dass sie schon vor der Klasse standen und dachte, Roman hätte Primin auf dem Schulhof gesehen - die Englischlehrerin hat mich dann aus dem Konzept gebracht.
Insgesamt ist die Geschichte bisher noch nicht weit genug ausgearbeitet, aber das bekommst du sicher auch noch hin.

~present for you~
Turnaris


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