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Armageddon

Auch die Hoffnung stirbt irgendwann ... [Trailer online]
von

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Augen wie Glutnester

Ihr Atem ging schneller, als sie die näherkommenden Schritte hörte. Sie waren leise, gerade hörbar, und ihr Herz versuchte sie zu übertönen. Sakura schwitzte. Drückende, feuchte Luft erfüllte ihre Kammer. Etwas wie bläulicher Raureif hatte sich an den Wänden festgesetzt, aber seit die Welt untergegangen war, hatte sie viel seltsamere Dinge gesehen.

Als der Schatten vor der Tür auftauchte und sie sein Gesicht durch die vergitterte Sichtluke erkannte, kauerte sie sich auf ihrem Bett zusammen. Selbst durch die dicken Schichten von Laken und Decken spürte sie, wie das borstige Stroh in ihre Haut stach. Sie zog die oberste Decke über die Schultern, verbarg ihre schmutzigen, zerrissenen Kleider darunter. „Wie lange willst du mich noch hier einsperren?“, brachte sie hervor. Ihre Stimme klang dünn und brüchig.

Er antwortete nicht gleich. Als er es tat, war seine Stimme ruhig und kühl. „Es ist zu deinem eigenen Schutz.“

Sakura atmete zitternd durch. „Ach ja? Und das gestern … war wohl auch zu meinem Schutz?“

Sie fühlte sich wieder in diese Nacht zurückversetzt, als hätten ihre Worte sie vor ihrem inneren Auge heraufbeschworen, fühlte wieder sein Gewicht auf ihrem Körper, die unbeschreibliche Hitze, seine Lippen auf ihren, den Schmerz, die stechenden Blicke wie von wilden Raubtieren … Und sie schaffte es nicht mehr, ihn anzusehen, diese roten Augen, die im Halbdunkel wie Glutnester in seinem ausdruckslosen Gesicht funkelten. Wut, Scham und Enttäuschung teilten sich ihr Herz auf wie Aasvögel ihre Beute.

„Ja“, sagte er, „das war es.“

Der Geschmack der Erde

Durch eine milchige, beschlagene Scheibe konnte man die bewusstlosen Ninjas sehen, die im Inneren des Apparats an schweren Ketten hingen. Aus der Apparatur quollen Dutzende Schläuche, durch die hellblaue Flüssigkeit in den Körper lief, der in etwas lag, was wie ein überdimensionaler Brutkasten aussah.

Mit schnellen Handgriffen und den passenden Jutsus entfernte Kabuto zuerst die Schläuche, dann die Siegel, die überall am Brutkasten klebten und gefährlich rauchten. Er den Deckel ab. Es fauchte, weißer Rauch entwich. Kabutos Brille beschlug einen Moment, und als er wieder etwas sah, hatte sich der Körper, der im Inkubator lag, bereits aufgesetzt.

„Was ist …“

Die Stimme klang genauso, als hätte der Mann jahrelang nichts gesagt … Er hatte also aufgehört, da drin Selbstgespräche zu führen. „Orochimaru ist tot“, sagte Kabuto.

„Bist du das, Kabuto?“ Seine Sicht war nach sieben Jahren in diesem Kasten getrübt. „Bringst du mir neues Chakra?“

Kabuto schüttelte den Kopf. „Hast du mir nicht zugehört? Orochimaru ist tot. Dein Luxusleben hat ein Ende. Es wird dir niemand mehr Ninjas bringen, deren Chakra du injiziert bekommst.“

Der Ninja murrte. „Was willst du dann?“

Kabuto trat näher. „Sieben Jahre lang hat Orochimaru deinen Körper mit dem Chakra von Hunderten genährt. Jetzt wirst du deine Fähigkeiten dazu nutzen, Orochimarus Mörder zur Strecke zu bringen.“

Der Mann musterte ihn eine Minute lang wenig begeistert. „Also schön“, seufzte er dann. „Sag mir seinen Namen und wie ich ihn finden kann.“
 

Acht Gestalten auf der Lichtung, die sich Auge in Auge gegenüberstanden. Spannung wie von elektrischem Strom, der zwischen ihren Worten in der Luft lag.

„Sasuke“, murmelte Naruto.

„Spar dir deine Mühe“, sagte Suigetsu, der Schwertkämpfer in Sasukes Begleitung, und wog spielerisch Zabusas mächtige Klinge in der Hand. „Sasuke wird nicht mit euch nach Konoha zurückkriechen, egal, wie sehr ihr uns berieselt.“

„Sasuke, bitte“, murmelte Sakura. Sasuke sah sie nicht einmal an – die rothaarige Frau an seiner Seite schon, und unter ihren Brillengläsern blitzen ihre Augen spöttisch auf.

„Wir haben nicht vor, zu kämpfen“, sagte Kakashi ruhig. Er hatte sein Stirnband hochgeschoben, das Sharingan-Auge mit der Narbe entblößt. „Du hast Orochimaru getötet. Komm nach Konoha zurück, es gibt nichts mehr für dich zu tun.“

Sakura wusste es besser. Sasuke würde sich davon nicht überzeugen lassen. Sein Rachedurst war nicht befriedigt. Orochimaru war nur ein Meilenstein auf seinem langen Weg der Zerstörung gewesen.

„Ihr wiederholt euch“, gähnte Suigetsu. „He, Sasuke, was meinst du, ich schneide sie in kleine Scheibchen, dann ziehen wir weiter.“

Sasuke sagte auch jetzt nichts. Stumm wanderte sein Blick nun doch zu Sakura. Naruto bemerkte es. „Du hast Sakura das Herz gebrochen, als du fort bist, weißt du das?“, knurrte er.

Dann war er wieder fort, der Blick, losgelöst von ihren Augen, und es war, als würden Fesseln von ihr abfallen.

In dem Moment fuhr Kakashi herum und schleuderte einen Kunai in eine nahe Baumkrone. Ein leiser Aufschrei ertönte, dann fiel etwas – jemand – aus den Ästen und landete auf dem Waldboden. Sakura erblickte erstaunt einen Ninja, nur in Lederhosen gekleidet, mit dunklem Haar und unscheinbarem Gesicht. Er kratzte sich an der Wange, wo der Kunai eine feine rote Linie gezogen hatte. „Die Jahre im Brutkasten haben wohl meine Reaktion beeinträchtigt“, sagte er zu sich selbst.

„Wer bist du?“, fragte Naruto. Sai drehte sich schräg, um sowohl Sasukes Team als auch den Fremden im Auge haben zu können.

Der Ninja ignorierte ihn und fixierte Sasuke. „Du bist Sasuke, wenn ich mich nicht täusche, ja?“

„Und wenn?“

Mit ihm sprach er. Mit diesem völlig Fremden, schlecht ausgebildeten Ninja sprach er, und mit seinen ehemaligen Freunden nicht. Sakura fühlte sich dadurch verletzt. Es schien, als wären sie Luft für ihn, und nur sie.

„Dann hab ich keine weiteren Fragen mehr. Dank dir bin ich frei. Dank dir muss ich mich nun selbst ernähren. Das ist alles.“ Er streckte sich und ließ sein Genick knacken. „Dann muss ich wohl auch nicht weiterhin mein Chakra verbergen.“

Und eine erdrückende Welle schien über Sakura zusammenzuschlagen. Das Chakra dieses Mannes war gewaltig – so dicht gepresst, dass es zäh und träge wirkte, und die schiere Menge davon überraschte sogar Naruto, der sich mit großen Chakramengen bestens auskannte, denn er schnappte nach Luft.

Der Ninja streckte die Hand aus und ein reißender Strom aus purem Chakra fuhr auf Sasuke zu, blaue und wirbelnd und vernichtend, riss eine Furche in den Boden und fegte Steine, Gras und Blätter davon. Sasuke und sein Team sprangen ohne Schwierigkeiten außer Reichweite, doch Sakura spürte, dass der Angriff sie umgebracht hätte, hätte er sie erwischt. Selbst auf diese Entfernung vibrierte die Luft, als das Chakra einschlug und einen Krater in den Boden riss. Wer oder was war das?

Der Fremde lächelte und sagte rau: „Ich wurde sieben Jahre lang mit dem Chakra von etlichen hundert Ninjas gespeist. Ich beherrsche keine Jutsus und bin im Nahkampf eine Niete. Aber mein Kekkei Genkai erlaubt es mir, das Chakra nach Belieben freizusetzen. Orochimaru-sama hat dieses Talent erkannt.“

Noch bevor er ausgeredet hatte, tauchte Sasuke mit wehendem Mantel wie aus dem Nichts vor ihm auf. Sakura musste innerlich den Kopf schütteln. Glaubte der Ninja denn, er könnte jemanden wie Sasuke mit bloßem Chakra besiegen?

Ohne ihm ein Haar zu krümmen, schnellte Sasuke nur um ihn herum und ging dann auf Abstand. Der Ninja sah ihm nach und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Entsetzens. „Was … nein … Nein, ich hab euch nicht freiwillig absorbiert! Hört auf! Hört auf, mich so anzusehen!“ Seine Stimme wurde schrill, während er sich die Haare raufte, Büschel davon ausriss und wie betrunken auf der Stelle taumelte. Speichel sprühte aus seinen Mundwinkeln, als er wie am Spieß schrie.

„Er steht bereits unter einem Genjutsu“, stellte Kakashi an Sakuras Seite fest. „Der Kampf ist vorbei.“

„Nein! Haut ab!“ Der Ninja schrie und jaulte weiter, als Sasuke bei seinen Teamkameraden landete.

„Wir gehen“, befahl er.

Der Ninja bäumte sich ein letztes Mal auf und brüllte in den wolkenverhangenen Himmel hinein: „Na gut! Nehmt es! Ich geb es euch zurück, aber lasst mich in Ruhe!“

Kakashi merkte es als erstes, denn er spannte alle Muskeln an, und Sakura fühlte es kurz danach. Die gewaltige Menge Chakra in seinem Körper kochte und brodelte über. „Bringt euch in Sicherheit!“, rief Kakashi, als der Körper des Ninjas in gleißendem, blauem Licht entflammte und ein Sturm aus purem Chakra explodierte und sich in alle Richtungen ausbreitete.

Es ging alles so schnell, und doch erinnerte sich Sakura an die Einzelheiten. Die Wolken am Himmel wurden schier weggefegt, das blaue Leuchten brach das Sonnenlicht in unwirkliches Glühen. Der Boden riss auf, die Bäume ächzten, wurden gespaltet. Sasukes Team verschwand mit flatternden Mänteln aus ihrem Blick. Wie eine gewaltige Staubwolke ergoss sich das Chakra über das Land, rollte kreisförmig über sie hinweg, und Sakura fühlte den Sturm auf der eigenen Haut, fühlte, wie etwas Fremdes ihren Körper durchströmte, eisig kalt, diebisch und vernichtend, sie fühlte, wie ihre Poren sich wie mit Öl verklebten und sie alle Kraft und Lebensgeister verlor. Dann waren da plötzlich zwei kräftige Hände, die sie an den Schultern packten und herumrissen. Sie sah in Kakashis einzelnes Sharingan-Auge, das durch die blaue Luft wie eine glühende Kohle funkelte. Er sprang. Der Sturm riss sie mit, doch das Gefühl der Leere wurde nicht mehr intensiver, sondern füllte sie mit Übelkeit und Schmerz. Wo war oben, wo war unten? Alles stürmte, alles wirbelte, blaues Licht überall. Sakura hätte sich nie gedacht, dass so der Weltuntergang aussehen würde. Einen kurzen Blick erhaschte sie auf Sai, der leblos in dem wogenden Strom trieb, die Haut trocken und spröde und voller Falten, grau wie die eines alten Mannes und abblätternd wie alter Verputz, die Augen weit aufgerissen und mit geplatzten Adern darin, die sie blutrot färbten. Sakura schrie, doch sie hörte sich selbst nicht. Kakashis Arme schlossen sich um sie, sie vergrub ihr Gesicht in seiner Ninjaweste. Dann verlor sie das Bewusstsein.
 

Als sie erwachte, schmeckte sie Erde im Mund. Hustend setzte sie sich auf. Ihr war kalt, sie schlang sich zitternd die Arme um den Leib. Dabei merkte sie, dass ihre Kleidung voller Schmutz war, fast war sie schwarz. Die Sonne strahlte noch vom Himmel, dennoch konnte sie sie nicht wärmen. Ihre Sinne waren seltsam getrübt. Sie lag irgendwo in einer Einöde, soviel konnte sie erkennen, unterhalb eines Abhangs auf einem erdigen Weg. Dort oben standen verkrüppelte Bäume, manche zerschlagen, andere gebeugt, allesamt blattlos, von einigen schälte sich die Rinde ab und kräuselte sich an den Stämmen. Der Himmel war wolkenlos, das Licht der Sonne erschien ihr eigentümlich, als läge ein seltsamer Nebel über dem Land, der es blasser, kälter wirken ließ … Sakura konnte sogar direkt in den glühenden Ball starren, ohne dass ihre Augen schmerzten. Und lag nicht etwas auf der Welt, drückend und schwer, und machte das Atmen zur Qual?

Dann erst bemerkte sie ihn neben sich und schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Die einzige kräftige Farbe in dieser Einöde war sein Blut. Kakashi lag auf dem Rücken neben ihr, seine Kleidung wie von scharfen Klingen aufgeschlitzt, und überall klafften kleine Wunden an seinem Körper. Die Augen hatte er geschlossen.

„Kakashi-sensei!“ Sofort war sie bei ihm, die Bewegung rief Übelkeit in ihr hervor, aber sie ignorierte das Gefühl. Sie fühlte seine Temperatur. Er war kalt, aber er atmete noch. Sakura schluckte, riss seine Weste und sein Hemd, die beide ohnehin nur noch Fetzen waren, von seinem Leib und versuchte Chakra in ihren Handflächen zu sammeln, um ihn zu heilen. Es klappte nicht. Das Glühen erschien nicht, und sie fühlte auch nicht das gewohnte Fließen der Kraft in ihren Adern.

„Gib dir keine Mühe“, hörte sie seine Stimme, leise wie ein gemächlicher Bach.

„Sensei!“, rief sie. „Bist du in Ordnung?“ Nein, in Ordnung war er eindeutig nicht.

„Es geht schon“, murmelte er schwerfällig.

„Was ist denn passiert?“

Das Sharingan-Auge zugekniffen, sah er sie müde an. „Ich habe nur eine Theorie“, sagte er und versuchte sich aufzusetzen. Sakura drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder zu Boden. „Der Chakrasturm, der aus dem Körper dieses Ninjas gekommen ist … Er ist schuld.“

„Ist so etwas überhaupt möglich? So viel Chakra zu speichern?“ Sakura konnte es sich gar nicht vorstellen, aber sie hatte gesehen, wie die blaue Energie aus dem Mann hervorgebrochen war.

„Ich habe sowas noch nie gesehen, aber das muss nichts heißen“, sagte er. „Das Chakra ist durch alles hindurchgefahren, was es erwischt hat. Ich weiß nicht, wie weit der Sturm gegangen ist, aber er war vielleicht kraftvoll genug, um Leben auszulöschen und Häuser einzureißen. Er ist in unsere Körper gedrungen und hat unser eigenes Chakra einfach weggefegt. Unsere Chakra-Punkte haben die Belastung nicht ausgehalten. Sie sind betäubt, möglicherweise sogar zerstört.“

Sakura riss die Augen auf. „Heißt das, wir …?“

„Nein“, keuchte Kakashi. „Wir sind immer noch Ninjas und könnten immer noch Jutsus einsetzen – denke ich. Wenn wir an Chakra kommen. Selbst produzieren können es unsere Körper aber nicht mehr, zumindest im Moment.“

„Aber wenn der Sturm wirklich so zerstörerisch war …“, murmelte sie, „wieso leben wir dann noch?“

„Das Chakra war nicht überall gleich stark. Mit meinem Sharingan konnte ich sehen, in welchem Wirbel wir überleben konnten. Trotzdem war es wohl für meinen Körper eine große Belastung.“ Er kniff die Augen zusammen, als er versuchte, seine Glieder zu bewegen. Schweiß lief ihm über die Stirn. Sakura tupfte sie mit ihren Handschuhen ab, dann tastete sie nach ihrer Medi-Tasche, doch sie war fort, von ihrem Gürtel gerissen von dem Sturm. Sakura besah sich Kakashis Verletzungen genauer. Konnte es sein, dass …?

Natürlich. Ein bitterer Geschmack legte sich auf ihre Zunge. Er war zwar verletzt, aber vom Sturz, und keine der Wunden war tief genug, um einen Ninja seines Kalibers außer Gefecht zu setzen. Er hatte zu viel von dem fremden Chakra abbekommen, obwohl er sein Sharingan eingesetzt hatte … weil er sie beschützt hatte. Wenn er starb, war das ihre Schuld.

Und sie konnte ihn nicht einmal heilen! Wie sollte sie ihn von den Nachwirkungen des lebensfressenden Chakras heilen, wenn sie selbst keines bündeln konnte? In hilfloser Wut hieb sie in die Erde, und nicht einmal ihr Schlag war so kraftvoll wie sonst.

Schweigend beobachtete sein waches Auge, wie sie mit den Zähnen knirschte. Dann riss sie sich zusammen und bemühte sich um ein Lächeln. „Ich werde versuchen, Hilfe zu holen. Und Verbandszeug.“ Sie tastete nach seiner Hand und drückte seine Finger. „Ich muss dich aber allein lassen, ist das okay?“

Seine Finger bewegten sich leicht. „Das ist kein Problem.“

Sakura nickte. Sie spürte, wie trocken und kratzig ihre Kehle war. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Einen ganzen Tag vielleicht? Sie würde auch Wasser und etwas zu essen auftreiben.

Sie zog Kakashi unter einen nahen Felsvorsprung, damit er nicht in der prallen Sonne mitten am Weg lag. „Es tut mir leid, Sensei“, murmelte sie schwer atmend, da sie ihn wie einen nassen Sack zerren musste. Es musste entwürdigend sein.

„Schon gut“, murmelte er schwach. „Ich sollte mich bei dir entschuldigen … Sakura.“ Er schloss die Augen und ihr Herz setzte einen Moment aus, aber er atmete weiterhin, wenn auch flach. Sie kauerte neben ihm nieder und legte ihm die Hand auf die Brust, spürte sein Herz schlagen. Er war alles, was sie hatte, fiel ihr wieder ein. Wenn der Sturm wirklich so zerstörerisch war … Das Dorf war nicht fern gewesen … Und sie hatte noch gut vor Augen, was mit Sai geschehen war … Und Naruto …

Nun kamen ihr die Tränen, als sie es erkannte. Wahrscheinlich waren sie alle tot. Naruto und Sai. Ihre Freunde … Nein, so durfte sie nicht denken. Vielleicht war dem Dorf nichts geschehen. Sie musste unbedingt nachsehen, sobald es Kakashi wieder besser ging. Und Sasuke … Er könnte überlebt haben, er besaß auch das Sharingan. Vielleicht, wenn er Glück gehabt hatte …

Eins nach dem anderen. Erst mal musste sie Kakashis Überleben sichern. Mitschleppen konnte sie ihn unmöglich; das hatte ihr die kurze Strecke zum Felsvorsprung klargemacht. Ihr blieb also nur übrig, sich zu beeilen.

Sie kannte die Gegend ein wenig, weil sie hier bereits am Vortag nach Sasuke gesucht hatten. Die Bäume waren jetzt verkrüppelt, Staub von der Straße befleckte, was von den Wiesen übrig war, und das Erdreich war stellenweise aufgebrochen, aber in etwa wusste sie immer noch, wo sie war. Kopfschüttelnd besah sie sich die Zerstörung. Dass ein einzelner Ninja eine solche Katastrophe verursacht hatte … Nein, verbesserte sie sich. Nicht ein einzelner Ninja. Hunderte Ninjas, mit zusammengepresster Kraft. Aber würde das denn ausreichen? Sie hatte das Gefühl, dass diese Erklärung nicht die ganze Wahrheit war.

Sakura folgte dem Weg, bis sie zu dem Dorf kam, das sie gestern schon passiert hatten. Auch hier hatte die Zerstörung sichtbare Spuren hinterlassen. Viele der hölzernen Hütten waren eingestürzt, die Dächer abgedeckt. Einige Häuser waren nur noch Ruinen, Stacheln aus Stein und abgerissenen Brettern, die in den Himmel ragten. Und dann die Leichen. Sie lagen auf den Straßen, vor den Bänken, auf denen sie gehockt waren, so angeordnet, dass man noch sehen konnte, wer zu der Zeit, als der Sturm ausgebrochen war, mit wem geredet hatte. Zwei Frauen mit langen Schürzen lagen vor dem Brunnen im Dorfzentrum. Sakura schluckte. Obwohl sie sich zwang, nicht genauer hinzusehen, sah sie doch jedem Leichnam, den sie passierte, in die Augen. Der Chakrasturm hatte unterschiedliche Auswirkungen auf sie gehabt. Manche waren schwarz verkohlt, andere hatten wächsern glänzende Haut, wieder andere schienen komplett heil zu sein und einfach zu schlafen, und dann waren da noch die Grauhäutigen, denen die Flüssigkeit aus dem Körper gezogen worden zu sein schien und deren Haut aufgerissen war und abbröckelte wie Mörtel. So, wie Sai kurz vor seinem Tod ausgesehen hatte …

Sakura schlug die Hand vor den Mund und würgte. Sie stützte sich an der einzelnen Hauswand zu ihrer linken ab und übergab sich. Galle blieb auf ihrer Zunge zurück und wieder drohte sie die Verzweiflung zu übermannen. So schnell, es war so schnell gegangen … Gerade noch hatten sie versucht, Sasuke zu überreden, und dann kam ein Ninja, den niemand von ihnen kannte, und dann … Sie atmete tief durch und bereute es sofort. Dem Dorf haftete der Gestank des Todes an.

Sie trat zum Brunnen, stieg über eine der Frauen hinweg und kurbelte den Eimer, der im Schacht verschwunden war, nach oben. Wenigstens das Wasser schien in Ordnung zu sein. Schlechtes Gewissen überkam sie, als sie die Häuserruinen durchsuchte. Es ist kein Diebstahl, redete sie sich ein. Sie fand eine Feldflasche, in die sie das Wasser füllte, außerdem einen Vorratskeller mit Pökelfleisch und Brotwecken. Elektrischen Strom für Kühlschränke gab es in diesem Dorf nicht.

Verbandszeug.

Dafür musste sie länger suchen. Sie wollte auf keinen Fall die Taschen der Leichen plündern. Im Endeffekt kletterte sie in den ersten Stock der höchsten Hütte im Dorf, was recht riskant war, denn von der Treppe war nur noch die Hälfte übrig, und ohne Stützen knarzte und bog sich diese unter ihrem Gewicht. Die Hälfte des Fußbodens oben war noch intakt, obwohl das Dach darauf gestürzt war. Unter den Trümmern lugte ein verkohlter alter Schrank heraus, der umgestürzt war. Sie brach die zersplitterten Bretter auseinander und fand tatsächlich einen Jutesack mit Verbandszeug und Kräutersalben. Sie stopfte noch die Feldflasche und das Essen hinzu, schulterte den Sack und verließ das Dorf. Einmal drehte sie sich noch um. Die zerstörten Überreste hatten etwas Endgültiges, Niederschmetterndes. Sie fragte sich, ob nur auf der Lichtung das reine Chakra gewirbelt hatte und hier, weiter davon entfernt, die Elemente daraus hervorgebrochen waren. Das würde die stellenweisen Brandflecken erklären. Fast bedauerte sie es, den Sturm nicht mitangesehen zu haben. Dann hätte sie gewusst, was passiert war.

Sie fand Kakashi unverändert vor, immer noch bewusstlos. Zuerst machte sie sich daran, seine Wunden zu verbinden. In dem Jutesack war auch reiner Alkohol zum Desinfizieren. Nach getaner Arbeit verarztete sie ihre eigenen, kleinen Schrammen, von denen sie sich die meisten beim Herumklettern in den Ruinen zugezogen hatte. Kakashi atmete tief und regelmäßig. Sie überlegte, ob sie nicht das Tuch vor seinem Mund und seiner Nase entfernen sollte, damit er besser Luft bekam, aber aus irgendeinem Grund fand sie es eine irre Verletzung seiner Privatsphäre, und so ließ sie es bleiben. Dann wartete sie. Die Sonne ging unter und Sakura wurde müde, zwang sich jedoch, wachzubleiben. Als der Mond am Himmel stand, kalt und leer, schlug Kakashi wieder die Augen auf. Sein Blick suchte ihr Gesicht. „Sakura“, murmelte er. „Verzeih. Ich bin eingenickt.“

„Schon gut. Schlaf ruhig weiter. Ich halte Wache, bis du dich wieder erholt hast“, sagte sie sanft. Ihr fiel auf, dass sie bisher noch nie so vertraut mit ihm gesprochen hatte. Stets war er der unerreichbare Sensei gewesen, ihr immer einen Schritt voraus. Aber es lag wohl einfach daran, dass er ihr Patient war.

Tatsächlich schlief er wieder ein, sicherlich gegen seinen Willen, und Sakura hoffte einfach, dass sich sein Körper mit genügend Schlaf weitgehend erholen würde. Sie zwang sich, so lange wach zu bleiben, bis auch sie die Schlacht gegen die Müdigkeit verlor, lange nach Mitternacht.

Die folgenden Tage liefen nach einem ähnlichen Schema ab. Sakura suchte die Umgebung nach brauchbaren Dingen ab – und auch nach Lebenszeichen, doch nicht einmal Tiere fand sie. Ihr Mut sank immer weiter, doch sie redete sich ein, dass die Zerstörung ihre Krallen nur in diesen Landstrich geschlagen hatte und sowohl Konoha als auch der Rest des Landes noch da waren. Wie sollte es auch anders sein? Alles andere wäre lächerlich!

Ihre Chakrapunkte waren nach wie vor belegt und sie fühlte sich in vielerlei Hinsicht verwundbar. Kakashi bekam Fieber, das sie so gut es ging kühlte und mit Kräutern behandelte. Das war dann auch das einzige, was sie essen konnten: Kräuter und Brot. Das Fleisch, das sie gefunden hatte, war irgendwie verdorben; es war faserig und spröde wie Holzspäne und schmeckte dabei grauenhaft und wässrig. Das Brunnenwasser war schal, aber genießbar. Kakashi konnte seine Arme immer noch nicht richtig bewegen, also fragte sie ihn am zweiten Tag in einem wachen Moment, ob sie das Tuch entfernen könnte. Fast andächtig schob sie das Stück Stoff zur Seite und darunter war – nichts. Keine Narbe, keine fehlerhaften Zähne. Trauer überkam sie, als sie zurückdachte, wie sie als Kinder Thesen darüber aufgestellt hatten, was Kakashi wohl darunter verbarg. Sie flößte ihm Wasser ein und tränkte auch das Brot damit, das sie ihm gab.

Weit entfernte sie sich nie von ihm. Als sie einmal einen zweistündigen Ausflug in eine andere Siedlung unternahm, schleppte sie mehrere Decken mit, um ihm ein bequemeres Lager einzurichten, dazu eine Öllampe für die finsteren Stunden; auch einen Regenschirm fand sie. Sie tat ihr Möglichstes, um Kakashi gesund zu pflegen, aber sie wusste, dass es nicht reichte. Sein Fieber wurde besser, aber die Schwäche ließ nicht von ihm ab. Wenn nicht bald jemand vorbeikam, am besten ein Medic-nin, der seine Fähigkeiten nicht verloren hatte, wusste sie nicht, ob sie ihn noch lange am Leben halten konnte. Tatsache war, dass sie ihn nicht ewig mitten auf der Straße lagern konnte. Aber ohne ihre Kräfte, die durch das Chakra zustande kamen, konnte sie ihn auf keinen Fall bis zu einer Unterkunft tragen, und sie wagte es auch nicht, noch weiter fortzugehen, um Hilfe zu holen.

Einmal, als sie Kakashi wieder mit einem feuchten Tuch über die Stirn wischte, sah er mit fiebernden Augen zu ihr hoch. „Rin?“, murmelte er.

„Ich bin es, Sensei“, erwiderte sie mit brüchiger Stimme. Sie wusste, dass Rin seine verstorbene Teamkameradin war. Ob sie ihm etwas bedeutet hatte?

„Wo bin ich?“, seufzte er. „Was ist mit Obito?“

Sakura schlug die Augen nieder. Er fantasierte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Schlaf gut, Kakashi-sensei“, flüsterte sie. Das schien er zu verstehen, denn er schloss die Augen und atmete entspannt aus. Er kam ihr plötzlich hilflos vor wie ein kleines Kind, und den gefürchteten Kopierninja so zu sehen, versetzte ihr einen Stich. Sie wollte, dass er wieder der alte wurde, dass er sich wieder wegen seines Zuspätkommens entschuldigte, dass er in jeder Situation cool blieb, dass er wieder vor seinen Schundromanen saß und dabei – nur zum Schein – alles um sich herum vergaß. Sakura spürte, wie ihr plötzlich Tränen über die Wangen rannen. Wenn der berüchtigte Kakashi nun der hilflose, halluzinierende Patient war, der vor ihr lag, war die Welt wohl tatsächlich untergegangen. „Werde wieder gesund“, schluchzte sie leise. „Bitte. Ich habe sonst niemanden.“ Sie stellte sich vor, was sie tun sollte, wenn sie ihn verlor – ihren letzten Anker, der mit der Welt, die sie kannte, verbunden war. Würde sie losgehen und das Dorf suchen? In all der Zeit hatte sie keine Menschenseele gesehen, und obwohl sie wusste, dass es töricht war, so etwas auch nur zu denken, hatte sie immer mehr Zweifel, ob sie beide nicht vielleicht die letzten lebenden Menschen auf dieser Welt waren. Um den Gedanken abzuschütteln, machte sie sich daran, seine Verbände zu wechseln. Wenigstens die körperlichen Wunden verheilten gut. Erstmals blieb ihr Blick an Kakashis hervorstechenden Bauchmuskeln hängen, dann an seinen Armen. Er war wirklich gut durchtrainiert … Ihr fiel auf, dass sie ihn noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen hatte und fast war es ihr peinlich. Die letzten beiden Menschen auf der Welt … Nein, was dachte sie überhaupt? Sie war Medic-nin, er ihr Patient!

Dennoch träumte sie in dieser Nacht von ihm, als sie wieder während ihrer Wache einnickte. Hinterher konnte sie sich nicht an den Traum erinnern, aber der Gedanke daran war seltsam tröstlich.

Nach mehr als zehn Tagen hatte sie ihr Jagdgebiet noch ein wenig vergrößert und streifte durch die Wälder, die weiter nördlich lagen, bis sie an eine Felswand kam. Hier irgendwo gab es ein Gebirge, das wusste sie, und vielleicht waren dort, im Schutz der Steilwände, ein paar Dörfer verschont geblieben. Tatsächlich wurde sie nach kurzer Zeit fündig, anders allerdings, als sie erwartet hatte. Ein kleiner Wagenzug war dicht am Steilhang vorbeigekommen, eine Handelskarawane oder etwas Ähnliches vielleicht. Verlassene Lastkarren standen in einer schnurgeraden Linie da, angeführt von etwas, das wie eine Kutsche aussah. Die Pferdegeschirre waren leer; entweder hatte jemand die Tiere mitgenommen – tot oder lebendig – oder sie waren entkommen. Die Töpfe und Kisten, die auf den Karren standen, sahen ungeöffnet aus. Sakura kletterte auf den erstbesten Karren und warf prüfend einen Blick in einen der Töpfe. Marillen, noch genießbar. Allerdings suchte sie etwas anderes; wenn sie Glück hatte, hatte Karawane auch medizinischen Bedarf geladen, Soldatenpillen vielleicht, oder irgendetwas anderes, das Kakashi weit genug aufputschen würde, damit sie endlich weiterziehen konnten.

„Keine Bewegung!“, hörte sie eine Stimme von oben und sie zuckte zusammen. Die ganze Zeit über hatte sie keine Menschen gesehen und auch nicht erwartet, welche anzutreffen, und war daher nicht gerade vorsichtig bei ihren Plünderungen zu Werke gegangen. Nun sollte sie vielleicht erfreut sein, dass noch jemand außer ihr und Kakashi den Chakrasturm überlebt hatte, aber der Bogen mit dem Pfeil auf der Sehne, der auf sie gerichtet war, hinderte sie daran.

Auf der oberen Kante der Felswand waren gleich mehrere Leute aufgetaucht, allesamt Männer, wie es aussah. Sie trugen grobe Sicheln, Hämmer und Spitzhacken und der eine, der gerufen hatte, ebenjenen Bogen. Ihre Kleidung war schmutzig, aber selbst unter dem Schmutz durchgängig schwarz, und sie hatten sich die Gesichter schwarzweiß angemalt, und zwar so, dass Sakura im ersten Moment glaubte, in blanke Totenschädel zu blicken.

„Das ist unsere Beute! Verzieh dich!“, rief der Mann herunter. Er hatte einen Reisbauernhut auf, der ihm ständig ins Gesicht rutschte.

Sakura wägte ihre Chancen ab. Einem einzelnen Pfeil konnte sie immer noch ausweichen, und es waren zwar insgesamt sechs bewaffnete Männer, aber auch ohne Chakra sollte sie auf ihre Ninja-Ausbildung zählen können. Aber wollte sie wirklich gegen das einzige Bisschen Leben kämpfen, das ihr in den letzten Tagen begegnet war? „Kein Problem“, rief sie nach oben. „Ich habe nicht vor, euch etwas wegzunehmen. Ich brauche nur, was sie an Medikamenten dabei haben. Einverstanden?“

Sie sah, wie der Mann neben dem Anführer sich zu ihm beugte und ihm etwas zuflüsterte. Die Miene des Mannes hellte sich auf. „Tatsächlich? Wieso weiß ich davon nichts?“ Der andere zuckte verlegen die Achseln. „Na gut, wenn das sein Wille ist … aber du zeigst mir diese Schriftrolle dann, ja?“, murmelte der Bogenschütze. Dann rief er zu Sakura: „Gut, plündern wir die Karawane gemeinsam. Du nimmst, was du brauchst, und wir nehmen, was wir brauchen.“

Sakura nickte und machte sich wieder auf die Suche, während die Männer damit beschäftigt waren, die Felswand herunterzuklettern. Der mit dem Strohhut kletterte zu ihr hoch, als sie gerade damit beschäftigt war, eine schwere Eisentruhe zu öffnen. Es wollte ihr nicht gelingen, das Schloss aufzubrechen. „Lass mich mal“, brummte der Mann und zog eine Spitzhacke mit gekürztem Stiel von seinem Gürtel.

Nach ein paar gekonnten Hieben zerbarst das Schloss und Sakura öffnete die Kiste. Sie lächelte erleichtert, als sie darin kleine Säckchen vorfand, aus denen kleine, braune Kügelchen herausgerollt waren. Eben wollte sie sich danach bücken, als plötzlich zwei raue Hände ihre Schultern packten und nach hinten rissen.

„Aua, was soll das?“, rief sie und schlug um sich, aber da schlängelte sich auch schon etwas Kaltes um ihre Handgelenke und zurrte ihre Arme hinter dem Rücken fest. Sakura bäumte sich auf, wirbelte herum und schmetterte den Fuß in das Gesicht eines der Männer, den es rücklings vom Karren warf. Da war schon der nächste heran, mit einer weiteren, eisernen Kette in den Händen. Hätte sie noch ihre alten Kräfte gehabt, hätte sie die Kerle wie lästige Insekten von sich geschleudert, doch ihr blockiertes Chakra und vor allem der Schlafmangel schmälerten ihre Reaktionsfähigkeit. Der Mann schlang ihr die Kette um den Hals, glitt hinter sie und zog zusammen. Sakura röchelte, als die Kettenglieder über ihren Hals schrammten und ihr die Luft abschnitten. Sie versuchte die Ketten zu packen, aber ihre Hände entkamen den Fesseln nicht. Jemand stieß ihr etwas ins Kreuz, was sie keuchend in die Knie brechen ließ, dann wurde sie von mehreren Händen gleichzeitig auf das raue Holz des Karrens gepresst, während die Schlinge um ihren Hals noch fester gespannt wurde. Tränen stiegen in ihre Augen und sie schmeckte Blut im Mund, hatte sich auf die Zunge gebissen. Dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen. „Was … soll das …“, brachte sie tonlos hervor.

„Was wir gesagt haben. Wir nehmen, was wir brauchen“, sagte der Mann mit dem Hut hämisch grinsend.

Als Sakura nicht nur nahe dran war, das Bewusstsein zu verlieren, sondern es sich schon herbeisehnte, wurden die Ketten um ihren Hals gelockert. Sie rang nach Luft, ihr Hals schmerzte höllisch. Die Hände, die sie zu Boden gedrückt hatten, hoben sie nun in die Höhe und sie wehrte sich nicht mehr, als man auch ihre Beine aneinander kettete und die Ketten am Karren befestigte. Dann verschwanden die Männer aus ihrem Gesichtsfeld, und während sie noch darum kämpfte, nicht doch noch in Ohnmacht zu fallen, begann sich der Karren rumpelnd in Bewegung zu setzen. Mit ihr als Beute.

Nein … Warum … Warum tut ihr das? Sie konnte sich doch nicht entführen lassen … Was war mit Kakashi? Er würde garantiert sterben, wenn sie nicht mit den Pillen zurückkam … „Es tut mir leid, Sensei“, flüsterte sie und schloss die Augen, in denen sich Tränen sammelten.
 

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Oha, ist das lang geworden ... aber ich wollte den kleinen Rückblick mit Kabuto auch drin haben :) Es war trotzdem mehr eine Einleitung ... hoffe, dass es nicht langweilig war, weil ich mich mehr auf die Umgebung konzentriert habe. Über Feedback bin ich übrigens immer dankbar :)

Priester des Blutes

Da sie gegen die Fahrtrichtung lag, sah sie nur, wie sie immer weiterfuhren, rechts waren die Felswände, links die Bäume. Das Rumpeln ließ Übelkeit in ihr hochschlagen. Sie versuchte sich aufzusetzen und die Ketten zu lösen, die die Männer um die schwere Eisentruhe und die Holzpflöcke am Karrenrand gewickelt hatten, aber sofort wurde sie wieder nach unten gedrückt. Jemand war noch bei ihr auf dem Karren und bewachte sie. Sie fühlte sich wie eine Schwerverbrecherin. Auf dem Weg zur Hinrichtung.

Als sie endlich anhielten und die Männer ihr gestatteten, sich aufzurichten, sah sie, dass sie in einer zerstörten Siedlung waren, die sich in einem kreisrunden Tal befand. In die Felswände ringsum waren Stufen geschlagen und sie waren löchrig wie ein Bienenstock. Arbeiter, die auf schmalen Holzstegen vor den Höhlen standen, lehnten sich über die niedrigen Geländer, um zu ihnen hinunter zu sehen.

Die Männer halfen Sakura abzusteigen. Ihre Hände ließen sie hinter ihrem Rücken gefesselt, die Ketten um ihre Knöchel lockerten sie gerade so viel, dass sie kleine Schritte machen konnte. An zerstörten, verlassenen Gebäuden vorbei führten sie sie bis zu einer Rampe aus Holz, auf die wie bei einer Hühnerleiter Querbalken gezimmert waren. Als sie einen Fuß darauf setzte, wurde ihr der Grund offenbar: Das Holz war so glitschig, als wäre es mit Schmierseife eingeölt. Der Aufstieg dauerte ewig. Irgendwo weit oben hatten sich ein paar andere Männer versammelt und beobachteten sie. Auch Frauen sah sie erstmals, ebenso schmutzig und in die gleichen Fetzen gehüllt.

„Was ist das für ein Ort?“, fragte Sakura.

Sie erwartete keine Antwort, aber der Mann mit dem Reisbauernhut sagte: „Hier haben wir gelebt, als der Sturm kam. Die meisten von uns sind gestorben. Aber einige hatten Glück, sie waren in den Stollen, als es passierte. Zwar hat uns der Sturm dort auch erwischt, aber wir haben überlebt.“ In seinen Augen funkelte etwas, das Sakura zutiefst beunruhigte. „Es war Vorhersehung“, sagte er. „Der große Jashin hat uns auserwählt, zu überleben.“

Sakura spürte, wie sich etwas in ihr zusammenzog. Jashin? Das war doch der Dämon, den dieser Hidan angebetet hatte? Sie musterte erneut die Körperbemalung der Männer, die sie gefangen genommen hatten. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. „Und … wohin bringt ihr mich?“, fragte sie und bemühte sich ruhig zu bleiben. In Wahrheit kam sie fast um vor Sorge um Kakashi.

„Zu unserem Hohepriester“, lautete die knappe, ebenso beunruhigende Antwort.

Sie erreichten das hölzerne Gerüst, und Sakura wurde nach rechts darauf entlanggeführt, bis zu einem Stollen, der tief in den Berg führte. Dort gingen sie hinein. Fackeln brannten, doch die Flammen waren blau. Sie fragte sich, ob das auch die Nachwirkungen des Sturms waren, der die Elemente umgekrempelt hatte oder etwas in der Art. Der Boden glitzerte, als wäre er mit Eis bedeckt, doch es war warm und die Luft war feucht und schwer. In der Ferne hörte sie das Klingen von Spitzhacken, die gegen Felsen hämmerten. Einmal mussten sie ausweichen, als zwei Männer ratternd mit einer Schubkarre durch den Stollen nach draußen fuhren. Die Arbeiter sahen sie mürrisch an und Sakura erblickte die zahllosen Narben an ihren nackten, schweißglänzenden Oberkörpern. Noch ungewöhnlicher war das Material, das sie transportierten: Steinbrocken, die von schimmernd blauen Kristallen durchzogen waren, die in einem eigenen Licht glühten. Dann wurde sie grob weitergezerrt und musste sich wieder darauf konzentrieren, nicht zu stolpern oder sich den Kopf an der niedrigen Decke zu stoßen.

Der Tunnel verzweigte sich und sie folgten dem größeren Stollen. Das Klackern der Werkzeuge fiel hinter ihnen zurück und kurz marschierten sie durch völlige Dunkelheit, bis sie in einen weiten, hohen Raum gelangten. Schwarz glänzende Tropfsteine ragten von der Decke und aus dem Boden, flankierten den Eingang wie gebleckte Reißzähne. In der Mitte der Höhle waren zwei davon zusammengewachsen und bildeten eine dreißig Meter hohe, feucht schimmernde Säule, oben und unten dick wie der Stamm einer uralten Eiche, in der Mitte dünner. Mit etwas, das wie Kreide aussah, waren Zeichen darauf gemalt, schrecklich asymmetrisch und krakelig. Ein Symbol kam besonders oft vor; ein gleichseitiges Dreieck, das von einem Kreis eingeschlossen wurde. Sakura glaubte, das Zeichen schon mal irgendwo gesehen zu haben.

Die Luft roch würzig nach Räucherstäbchen. Zerfetzte Fahnen an Holzstäben waren rings um die Tropfsteinsäule in den Boden getrieben worden und ein steinerner Felsblock stand wie ein Altar davor; auf ihm lagen die gleichen schimmernden Kristalle, die sie draußen gesehen hatte.

Ihre Entführer führten sie um die Säule herum. Man konnte nur in einem kleinen, freigeräumten Bereich gehen, der wie ein verschlungener Weg zwischen den Stalagmiten hindurchführte, die den Rest des Bodens in ein Meer aus Krallen und Stacheln verwandelten. Dort hinten, über einen Schreibtisch gebeugt, der so gar nicht in diese Höhle passen wollte und der von Kerzen – mit richtigen Flammen – erhellt wurde, stand eine dunkle Gestalt und wandte ihnen den Rücken zu, in irgendwelche Pläne oder Dokumente vertieft. Dennoch hatte sie sie bemerkt. „Was wollt ihr?“

Sakura lief bei der Stimme ein Schauer über den Rücken. Sie erkannte sie. Und sie erkannte auch die roten Wolken, die auf den schwarzen Mantel gestickt waren.

Die Männer zwangen Sakura, auf die Knie zu fallen. Der harte Boden tauchte ihre Kniescheiben in Schmerzen. „Wir bringen dir jemanden, der dich interessieren wird, Hohepriester“, sagte der Mann mit dem Hut.

Langsam, so langsam, als würde ihn die Zeit selbst hindern wollen, Sakura sein Gesicht zu zeigen, drehte er sich um. Augen funkelten in der Dunkelheit, rot wie Blut und kalt wie Eis. Um den Hals trug er eine silberne Kette mit einem Anhänger; einem Dreieck, von einem Kreis umfasst. Schwarzgraues Haar fiel ihm ins Gesicht, das Sasukes so ähnlich sah …

Er musterte sie lange, und sie wusste, dass er sie erkannte, selbst unter der Schmutzschicht auf ihrer Haut. Dennoch sagte er, seine Stimme ruhig und klar und kalt wie ein Bergsee: „Wieso glaubt ihr, dass dieses Mädchen mich interessieren könnte?“

Der Sprecher der Truppe nahm seinen Hut ab und führte ihn vor die Brust. „Ihr wollt uns auf die Probe stellen, Hohepriester. Ich danke Euch, dass wir unseren Glauben vor Euch beweisen dürfen. Jashin selbst hat von ihr gesprochen, in der siebten Weissagung im Buch des Blutes. Die Jungfrau, die dem Donner entsprang.“

Itachi bedachte ihn eines abschätzigen Blicks aus seinen Sharingan-Augen. „Ihr könnt gehen“, befahl er dann. „Lasst sie bei mir.“

„Sehr wohl, Abgesandter.“ Der Mann winkte den anderen herrisch zu und sie verließen fluchtartig die Höhle. Als ihre Schritte verklungen waren, drehte sich Itachi wieder zu seinen Plänen um und würdigte sie keines Blickes mehr.

Umständlich rappelte Sakura sich hoch. Die eisernen Fesseln schnitten in ihre Haut und hatten sie wundgescheuert, doch sie beklagte sich nicht. „Uchiha Itachi“, murmelte sie. Seine Sharingan, wurde ihr bewusst. Wie Kakashi hatte auch er nur dank seiner Augen überlebt.

„Haruno Sakura“, erwiderte er und drehte sich wieder zu ihr um, ein Pergamentblatt in der Hand, das er aufmerksam las. Sie war ein wenig überrascht, dass er sich sogar noch an ihren Namen erinnerte. „Seltsame Wege, die uns heute zusammengeführt haben, denkst du nicht?“

Sakura gestattete sich keinen Funken Angst vor ihm. Sie wusste, wie gefährlich er war – wie gefährlich er gewesen war. Selbst wenn er überlebt hatte, sein Chakra musste genauso auf dem Nullpunkt sein wie ihres. „Hohepriester?“, fragte sie lauernd.

Sie sah, wie seine Lippen sich in einem seltenen Lächeln kräuselten. „Sicher nicht. Aber das ist es, was diese einfältigen Bergarbeiter glauben. Diese Dummköpfe glauben tatsächlich an Jashin, und als eines Tages Hidan an ihrer Siedlung vorbeikam, haben sie sich wohl blendend verstanden. Ich vermute, er hat einige von ihnen geopfert, und sie haben daraufhin beschlossen, ihn als Abgesandten Jashins zu verehrten. Jetzt glauben sie, der Chakrasturm wäre Jashins Werk gewesen. Er hätte in seiner vielgerühmten Grausamkeit beschlossen, die Menschen auszulöschen und nur sein erwähltes Volk am Leben zu lassen.“ Er fuhr mit den Fingern über seinen Akatsuki-Mantel. Sakura fiel auf, dass seine Fingernägel nicht mehr lackiert waren. „Sie haben den Mantel wiedererkannt und geschlussfolgert, dass ich auch ein Bote ihres zweifelhaften Gottes bin.“

„Verstehe“, murmelte Sakura. „Und du hast sie bereitwillig als deine Untergebenen akzeptiert.“ Sie rasselte mit den Ketten und Wut loderte in ihren Augen auf. „Aber ich weiß, wer du wirklich bist. Wegen dir haben Sasuke und Naruto und Gaara so sehr gelitten. Du bist ein Verräter, ein Nuke-nin! Und wahrscheinlich finden deine neuen Anhänger das nicht so toll, wenn ich es ihnen erzähle.“

Itachi zuckte nicht einmal mit einem Gesichtsmuskel. „Du denkst, sie würden dir glauben?“

„Von mir aus müssen wir es nicht erst herausfinden“, sagte sie kampfeslustig. „Mach mich los und lass mich gehen. Ich habe mit ihrer kleinen Sekte nichts am Hut – und für dich habe ich auch keine Zeit.“

„Wenn du glaubst, entkommen zu können, kannst du es gerne versuchen“, sagte er.

Sakura schnaubte. Auf seinem Schreibtisch sah sie eine eiserne Zange liegen. Vielleicht konnte sie damit ihre Fesseln öffnen … ohne weiter zu überlegen machte sie ein paar Hüpfer auf ihn zu und sprang schließlich beidbeinig auf den Tisch, bückte sich und schlug mit den Fäusten nach Itachis Gesicht. Er wich anmutig wie eine Katze zurück und verzog immer noch keine Miene. Sakura bückte sich, nahm die Zange ungeschickt in die gebundenen Hände und schaffte es mit einiger Anstrengung, ihre Fußfesseln zu zertrennen. Die Zange war zu groß und klobig, um auch noch die Ketten um ihre Handgelenke durchzuzwicken, aber nun konnte sie wenigstens rennen.

„Mach das nicht“, murmelte Itachi.

Sie würdigte ihn keiner Antwort. Seine Augen irritierten sie – sie würde ihn nicht ansehen! Dieser Mann hatte etwas an sich, das nicht gut für sie war, diese irre Ähnlichkeit zu Sasuke, diese eiskalte Ruhe und die bohrenden, betörenden Augen … Sie musste fort von ihm, schnell!

Sie rannte den Weg zurück zum Höhlenausgang, so schnell sie konnte, aber noch ehe sie die Säule ganz umrundet hatte, stand er plötzlich vor ihr. Sakura keuchte erschrocken auf. Wie war er ohne Chakra so schnell? Sie versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen, doch er packte ihre Hände und riss sie zurück. Sakura setzte zu einem Tritt an, doch er fing ihren Fuß mühelos mit dem Knie ab, wirbelte um seine eigene Achse und schleuderte sie hart gegen die Säule. Sakura ächzte, als sämtliche Luft aus ihren Lungen gepresst wurde und sie ihre Rippen ächzen, brechen hörte. Bestialischer Schmerz flammte in ihrer Brust auf, verhinderte das Atmen. Der Geschmack von Blut im Mund war wieder da, als sie zu Boden rutschte und die spitzen Stalagmiten über ihre Unterschenkel ritzten.

„Du kannst nicht einmal vor mir fliehen“, sagte Itachi unbeeindruckt. „Denkst du, du kommst an den hundert Leuten vorbei, die in den Stollen arbeiten, oder an den Wachen auf dem Gerüst? Dummes Mädchen.“ Er sah sie an und da waren sie wieder, diese unheimlichen Augen, die sich in ihr Innerstes zu brennen schienen. „Es wäre wohl das Einfachste, dich mit einem Genjutsu zu belegen, Sakura-chan.“

Die Frechheit, sie so herabwürdigend zu behandeln, trieb ihr Zornesröte auf die Wangen. „Red nicht mit mir, als wäre ich ein kleines Kind!“, rief sie. Dann lachte sie heiser. „Ich weiß, dass du bluffst. Dein Mangekyou Sharingan braucht Chakra, und Chakra hast du keines mehr.“

„Denkst du das wirklich?“, fragte er.

Sie stutzte. Und wenn er doch noch … Nein, unmöglich. Er wollte sie verunsichern. Er wollte …

Sie rang erschrocken nach Luft, als er plötzlich direkt vor ihr stand. Nein – das stimmte nicht. Sie stand direkt vor ihm. Er war immer noch an seinem Schreibtisch, die Schriftrolle in der Hand, und die Ketten banden nach wie vor ihre Füße, und da war auch keine Zange auf dem Tisch … Der Blutgeschmack und der Schmerz in ihren Rippen war weg, doch eine dünne, panische Stimme in ihrem Hinterkopf begann laut zu schreien. Seine Augen glühten, sein Blick schien ihre eigenen Augen zu entflammen. Ihr Mund öffnete sich zu einer stummen Frage, die sie nicht auszusprechen wagte.

„Ja“, sagte er. „Du standest bereits unter meinem Genjutsu. Aber ich sehe, du hast nichts von deinem Kampfgeist verloren.“ Er kam auf sie zu, diesmal wirklich. Unfähig, sich zu rühren, starrte sie in die Leere der flackernden Kerzenflammen, als er seinen Mund zu ihrem Ohr brachte. „Was, denkst du, bauen die Leute hier ab?“, flüsterte er, leise wie Schneeflocken im Wind. „Einst haben sie gewöhnliche Bergkristalle ausgegraben, aber als der Chakrasturm ausgebrochen ist, hat sich das Chakra in den Kristallen festgesetzt. Ninjas können mit ihnen ihre Chakravorräte wieder auffüllen.“ Er trat einen Schritt zurück. „Oder glaubst du, ich wäre nur hier geblieben, um den frommen Priester zu spielen? In einer Welt, in der es das natürliche Chakra nicht mehr gibt, hat derjenige, der die Kristalle hat, Macht.“ Er ging zu seinem Schreibtisch zurück und schlug mit einem Klöppel gegen einen Gong, der an der Vorderseite angebracht und der Sakura bis jetzt nicht aufgefallen war. Es verging kaum eine Minute, da waren Sakuras Entführer wieder da – zahlreicher noch als vorher. Ihr kam es so vor, als würden die neu Hinzugekommenen sie von allen Seiten begaffen, und sie begann unruhig auf der Stelle zu treten.

„Fukita, sorg dafür, dass sie in eine Zelle gebracht wird. Und gebt ihr etwas zu essen.“

Zwei Männer griffen nach ihren Ketten, und Sakura versuchte sie in blinder Wut abzuschütteln. Knurrend griff einer von ihnen zu einer hölzernen Keule, aber Itachi hob nur seinen Finger und der Mann trat demütig zurück. Sakura fiel auf, dass immer noch der Ring an seinem Finger steckte, mit dem er Naruto einst ein Genjutsu auferlegt hatte. „Sie soll unversehrt sein“, sagte Itachi.

„Natürlich, großer Abgesandter.“ Der Mann mit dem Reisbauernhut, den er Fukita genannt hatte, gab seinen Leuten ein Zeichen, und diesmal packten gleich mehrere Hände ihre Arme und Beine und hoben sie hoch, obwohl sie protestierend aufschrie und strampelte. Ihr Fuß traf einen der Männer ins Gesicht und sie hörte dessen Nasenbein knackend brechen, aber als der Mann losließ, war sofort ein zweiter heran. Wie ein störrisches Kind, das seine Eltern vom Spielplatz tragen mussten, schleppten die Männer sie aus der Höhle.
 

Fukita blieb noch bei Itachi, der wieder seine Schriftrollen sortierte. „Die Jungfrau, die dem Donner entsprang“, murmelte er und las sich die Siebte Prophezeiung erneut durch.

„Eindeutig.“ Fukita nickte. „Es ist erstaunlich, dass jemand außerhalb unserer Minen überlebt hat, und eine Priesterin ist sie nicht. Sie muss von Jashin dazu auserwählt worden sein, seine Prophezeiung zu erfüllen.“

Itachi überlegte. „Woher wollt ihr wissen, dass sie noch Jungfrau ist?“

„Jashin weiß es“, sagte Fukita im Brustton der Überzeugung. „Er hätte sie uns nicht geschickt, wenn es anders wäre.“

Itachi rollte das Pergament zusammen. „Nun, Fukita – wann hättest du das Ritual angesetzt?“

Der Mann war offenbar froh darüber, dass sein Hohepriester ihn erneut auf Jashins Worte prüfte. Dieser Narr. „Wenn die Sonne aufgeht.“

Itachi nickte. Fukita kannte die zweifelhaften Prophezeiungen weit besser als er selbst. Wahrscheinlich hatte er sie ein Leben lang gehört. „Dann werden wir sehen, wie sich die Sache entwickelt.“

Fukita konnte mit diesen Worten nichts anfangen, das sah er ihm an. Itachi wägte ab, wie gefährlich ihm dieser Mann werden konnte. Er kannte die Schriften viel zu gut und er hatte Haruno Sakura aus den Trümmern der Welt ausgegraben. Er könnte ihn mit einem Genjutsu belegen, überlegte Itachi. Aber das würde den anderen Jashinisten auffallen und er konnte sie nicht alle umkrempeln. Er brauchte sie.

„Wenn Ihr mich entschuldigt“, sagte Fukita nach einer Weile, „ich werde mich persönlich darum kümmern, dass der Altar bis Sonnenaufgang vorbereitet ist.“
 

Sakura wurde in eine kleine, feuchte Kammer geworfen. Es war keine wirkliche Gefängniszelle, sondern wirkte wie eine – besonders ärmliche – Wohnstatt. Ein altes, rostiges Eisenregal stand in einer Ecke, es gab einen Tisch und zwei Stühle, beides aus modrigem Holz, und ein Bett aus Stroh, über das sich so viele Laken spannten, das es aussah, als wollte jemand es allein damit veredeln. Eine windschiefe Holztür führte in einen zweiten, winzigen Raum mit einem vergitterten Abfluss und einem Eimer grünlich schimmerndem Wasser. Das einzige, was wirklich klarmachte, dass sie eine Gefangene war, war die schwere, eisenbeschlagene Eichenholztür mit dem vergitterten Sichtfenster. Als man sie grob auf ihr Bett stieß, ihr endlich die Ketten abnahm – wobei ein bulliger Mann demonstrativ seine schwere Keule in den Händen wiegte und sie ermahnte, nicht wieder zu fliehen zu versuchen – und die Tür zugeworfen wurde, hörte sie, wie zwei schwere Riegel zugeschoben wurden.

Kurz darauf kamen zwei andere Männer und brachten ihr sauberes Quellwasser – das dennoch einen merkwürdigen, grünen Glanz, wahrscheinlich vom Chakrasturm, hatte – und Obst mit ungewöhnlich harter Schale.

Dann war sie allein und schon wieder wollten Tränen in ihr hochsteigen, doch sie zwang sie zurück. Tief atmend ging sie rational ihre Lage durch. Sie war in den Händen von Itachi, ihrem Feind, und einem Haufen verrückter Jashinisten, während Kakashi schwer krank und verletzt einsam und verlassen neben einer Straße lag … Der Drang zu weinen wurde wieder stärker, doch sie kämpfte dagegen an. Sie war stärker als ihre Trauer, sagte sie sich. Sie musste von hier fliehen. Man konnte sie nicht ewig hier festhalten. Beim nächsten Mal, wenn sie ihr Essen brächten … Aber was, wenn auch andere der Leute Ninjas waren? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Vielleicht wäre es am besten … ja, genau! Sie würde ein paar der Chakrakristalle mitgehen lassen und Kakashi damit heilen! Vielleicht würde sich ihre Entführung dann als Glücksfall entpuppen …

Zunächst konnte sie nur warten. Sie rührte das Essen nicht an, trank aber die ganze Schüssel aus. Das Wasser zog sich irgendwie schleimig durch ihre Kehle. Dann legte sie sich auf die stachelige Bettstatt und grübelte nach, wie sie am besten fliehen konnte. Den Weg hinaus würde sie finden, doch er war weit und sicher bewacht. Sie musste einen Kristalltransporter abfangen und sich das Chakra irgendwie einverleiben, dann wäre sie unaufhaltsam.

Während sie überlegte, nickte sie kurz ein, da sie nun, mit ihrem Fluchtplan, ruhiger war und die Erschöpfung der letzten Tage sie wieder anfiel. Stimmen schreckten sie hoch. Das orangerote Fackellicht, das durch die Sichtluke fiel und die einzige Lichtquelle war, veränderte sich niemals, aber ihre innere Uhr sagte Sakura, dass es Nacht war.

„Hohepriester!“, hörte sie jemanden gedämpft rufen. „Ist das Euer Ernst? Was ist mit dem …“

„Jashin hat zu mir gesprochen“, hörte sie Itachis leise Stimme. Verdammt. Wenn er sie mit seinen Sharingan zwang, ihre Fluchtpläne offenzulegen … Ihr Herz schlug ihr bis zur Brust, als vor der Tür Schatten auftauchten.

„Seid Ihr sicher? Ich meine …“

„Willst du Jashins Befehl in Frage stellen?“, fragte Itachi gefährlich leise.

Der andere druckste herum, als Itachi die Tür aufschloss. Sakura sah ihn und drei bewaffnete Männer. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie Wachen hatte.

Itachi kam in den Raum herein, die Augen unheilvoll glühend. „Was willst du?“, fragte Sakura misstrauisch.

Er trat vor Sakuras Bett und sah sie lange und durchdringend an. Sakura fühlte, wie sein Blick in ihr Innerstes vorstieß, ihm alles offenbarte, über Sasuke und Kakashi und die anderen … Und gleichzeitig spürte sie wieder den Bann, der plötzlich auf ihr lag. Wieder ein Genjutsu? Nein, das würde sie nicht spüren …

„Sakura“, sagte er nach einer Weile und allein die Art, wie er zögerte, weiterzusprechen, ließ einen Knoten in ihrem Hals wachsen. Was hatte er vor? Was war los? Wieder dieser Blick. „Leg deine Kleider ab“, sagte er schließlich.

Sakura glaubte nicht recht zu hören. Sie riss Augen und Mund auf. „W-w-was?“, stammelte sie.

„Zieh dich aus.“ Seine Stimme klang härter, kälter. Das konnte er doch nicht ernst meinen, oder?

„Spinnst du?“, warf sie ihm entgegen und verschränkte die Arme. „Nur weil ich deine Gefangene bin, heißt das noch lange nicht …“

Itachi machte eine Geste auf die drei Männer, die in der Tür warteten. „Tu es, oder sie tun es.“ Sakuras Blick glitt zu ihnen. Ihre Augen waren plötzlich feucht und das heißkalte Gefühl einer schrecklichen Vorahnung machte sich in ihrem Bauch breit. Zumindest einer der Wachposten wirkte verstört, aber auf eine ganz andere Weise als sie, fast sah er enttäuscht aus; die anderen starrten sie lüstern an und leckten sich wohl schon gedanklich die Finger.

Zitternd atmete Sakura aus. Sie ballte vor ihrem Herzen die Faust, spürte das Pochen bis in die Fingerspitzen. Ihre Lippen waren so trocken, dass sie sie mit der Zunge befeuchten musste. Sie setzte sich kerzengerade hin. So ruhig es ging, sagte sie: „Itachi, ich weiß nicht, was auf einmal los ist, aber ich habe dich eigentlich immer für jemanden gehalten, der nicht einfach …“

„Das war keine Bitte, Sakura“, unterbrach er sie leise, und drohender hätte seine Stimme wohl nicht sein können.

Sakura biss sich fest auf die Unterlippe. Nein, es musste ein Genjutsu sein. Oder, noch wahrscheinlicher, ein Traum. Ja, genau. War sie nicht eben eingenickt?

„Sakura“, sagte Itachi erneut. Es war keine Ungeduld in seiner Stimme, aber er trat einen Schritt näher. Als sie ihn nur trotzig ansah, sagte er: „Wie du willst. Männer?“

Die zwei Wachen traten erfreut in die Kammer, und Sakura rief: „Wartet!“ Itachi hob eine Augenbraue und machte eine Geste. Enttäuscht stapften die Männer wieder auf den Gang zurück. „Ich … ich mach es selbst“, murmelte Sakura zerknirscht. Verdammt, was wollte er? „Aber … mach die Tür zu.“

„Nein. Die Tür bleibt offen. Tu es jetzt.“ Sie verstand die Welt nicht mehr – und das Gefühl, das in ihrem Kopf kreiselte, sandte Hitzewellen in all ihre Körperregionen. Das Atmen fiel ihr plötzlich schwer. Auch ihre Hände waren wie mit Blei gefüllt, als sie sie unendlich langsam zum Reißverschluss ihres Tops wandern ließ.

Jetzt würde er es gleich sagen. Sagen, dass es nur ein Scherz war, und lachen. Und die Wachen vor der Tür würden auch lachen, wenn sie ihr Gesicht sahen. Aber Itachi … Falls er überhaupt Humor besaß, dann nicht solchen. Genau, das war es – es war nicht Itachi. Sie hatte sich geirrt und es gab doch Ninjas unter den Bergleuten, und das hier war einfach ein Verwandlungsjutsu und alles miteinander nur ein grausamer Scherz! Während ihr die Gedanken durch den Kopf stürmten, zog sie den Reißverschluss nach unten, so langsam, dass sie ihn kaum bewegte.

Itachi seufzte leise und Sakura erwartete schon die erlösenden Worte – doch stattdessen war er mit zwei schnellen Schritten bei ihrem Bett, ließ sich mit einem Knie darauf sinken und packte den Reißverschluss selbst. Sakura stieß ein erschrockenes Quieken aus und ergriff seine Hand, aber er ließ sich von ihr nicht beirren. Sie spürte seinen warmen Atem auf den Lippen, während sie sich zwang, ihm nicht in die Augen zu sehen. Der Duft nach Räucherstäbchen umgab ihn wie eine edle Parfümwolke. Sie suchte vergeblich nach dem Geruch von Alkohol in seinem Atem. Eine letzte Hoffnung, er wäre einfach betrunken, hatte sich versucht durch ihren Verstand zu graben. Unaufhaltsam zog er den Reißverschluss nach unten, öffnete ihr Top. Er deutete auf die Netzbluse, die sie darunter trug. „Mach weiter“, befahl er kalt. „Es sei denn, du willst sterben.“

Sakura atmete zitternd ein und aus. Ihre Augen ließen sich nicht von seinen Sharingan lösen, kaum dass sie seinem Blick einmal begegnet war. Er meinte es ernst. Er meinte es wirklich ernst! Sie wollte am liebsten weinen, aber ihre Augen brannten nur wie ausgetrocknet. Gehorsam schlüpfte sie aus den Ärmeln ihres Tops, hakte die Finger unter den Rand ihrer Bluse und zog sie sich über den Kopf.

„Jetzt der.“ Itachi wies auf ihren dunkelbraunen Sport-BH. Sakura öffnete den Verschluss und streifte ihn sich so langsam es ging ab, während sie unbeholfen versuchte die Arme vor der Brust zu verschränken. Sie hörte, wie die Männer auf dem Gang sich etwas zuraunten und zog es vor, es nicht zu verstehen.

Itachi wandte seinen Blick nicht von ihrem Gesicht ab, selbst, als er ihre Handgelenke packte und sie mit gerade so viel Gewalt zur Seite zwang, dass ihr klar wurde, dass er auch dazu bereit war, sie zu verletzen. Sein Kopf tauchte zu ihren kleinen Brüsten hinab, sie spürte seinen warmen Atem auf der nackten Haut. Ein kühler Schauer durchlief sie, als er sanft gegen ihre Knospen blies und ihre linke Brustwarze mit der Zungenspitze anstieß. Sie spürte, wie ihr überall am Körper Schweiß ausbrach. Ihr war plötzlich so heiß, als würde sie von innen heraus schmelzen. Ihre Wangen brannten vor Scham und Wut. „Nicht …“, flüsterte sie erstickt und versuchte ihn von sich zu schieben, aber immer noch war sein Blick auf ihre Augen geheftet, feurige Karfunkelsteine, und sie wusste, es waren Augen, denen man sich nicht widersetzte, Augen, die stets bekamen, was sie wollten, die einen ganzen Clan dafür auslöschen würden … Sakura atmete schneller, aber sie fühlte sich plötzlich wie gelähmt. Itachi strich mit der Hand über ihren straffen Bauch, umkreiste ihren Bauchnabel und ließ sie tiefer gleiten. Ein unterdrückter Schrei entfuhr ihr, als er seine Finger in ihre Hose schob und ihre Weiblichkeit berührte. „Itachi … Du willst doch nicht … du willst doch nicht wirklich …“

Er küsste sich seinen Weg von ihren Brüsten über ihr Schlüsselbein bis zu ihrem Gesicht hoch und hob sie gleichzeitig ein wenig an, um ihre Hose mitsamt dem pinkfarbenen Schurz und ihrem Slip nach unten zu ziehen.

„Nein“, keuchte sie aufgelöst, in ihrem Kopf schwirrte es und Alarmglocken schrillten. Sie presste die Hände gegen seine Brust, wollte ihn abermals wegdrücken, aber da waren wieder seine Augen und seine eigenen Hände, die ihre Handgelenke packten.

Sie spürte seine Nase direkt neben ihrer und hörte ihn flüstern: „Eines Tages wirst du mir dankbar sein.“ Ihre Antwort erstickte er im Keim, indem er seine Lippen auf ihre presste, kühl und glatt, keinesfalls rau, wie sie erwartet hatte. Seine Hände ließen sie los, mit einer massierte er ihre Brust, die andere wanderte wieder tiefer. Ihr Herz versuchte ihren Brustkorb zu sprengen, die Hitze wallte wie Feuer durch ihren Körper. Seine Zunge kitzelte über die Innenseite ihrer Oberlippe, und Sakura kniff die Augen zusammen, als sie ein Pochen und Ziehen in ihrem Unterleib verspürte. Seine Hand tauchte in feuchte Hitze.

„Tu es nicht. Bitte“, flehte sie leiste, als er die Lippen von den ihren löste, und sah ihm verzweifelt in die Augen, doch die Sharingan-Kreise darin ließen sie keine Gefühlsregung erkennen. Sein Mantel war offen, er nestelte an seinem Gürtel. Sakura begann am ganzen Körper zu zittern, ihr Atem ging so schnell, dass die Luft ihre Lungen gar nicht mehr zu erreichen schien; dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen. Sie hielt die Luft an, wappnete sich innerlich, wartete, und dieses Warten war vielleicht das Schlimmste von allem, das letzte, verzweifelte Hoffen, dass er es nicht tun würde.

Dann spürte sie ihn und schrie auf. Er fing ihre wirbelnden Fäuste ab, drückte sie auf die Bettdecke. Stroh stach in ihre Haut. Ihre Augen blickten starr zur Zimmerdecke hoch, ohne zu blinzeln, stumme Tränen liefen ihr über die Wangen. Das ziehende Gefühl wurde zu Schmerz. „Kakashi-sensei“, hauchte sie tonlos. „Rette mich …“

Glühende Augen stachen durch ihren Tränenschleier. „Sieh mich an“, befahl Itachi und hielt inne. „Sieh mir in die Augen.“

Sie gehorchte, es blieb ihr sowieso nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Die Sharingan-Ringe schienen zu rotieren, seine Pupillen änderten sich, der Raum kam Sakura plötzlich dunkler vor, und als Itachi sich wieder in ihr bewegte, war der Schmerz weg. Ihr Atem wurde langsamer, tiefer, rhythmischer. Alles brannte sich in ihr Gedächtnis, das leise, nasse Geräusch, der Geruch von Itachis Schweiß und dem Rauch. Das Stroh in ihrem Rücken, das Gefühl, als würde sie über ein stoppeliges Feld geschleift werden, vor und zurück, immer wieder. Die Küsse in ihrer Halsbeuge, die brennende Spuren zu hinterließen schienen. Das Flackern der Fackel draußen, die Schatten der Wachmänner, die das Licht in den Raum warf. Es waren mehr geworden, dutzende Augenpaare musterten sie dicht gedrängt.

„Itachi“, brachte sie keuchend hervor. „Bitte, Itachi … mach wenigstens die Tür zu …“

Doch er hörte nicht auf sie. Seine Arme ließen sich auf dem Bett nieder, sein schwarzer Mantel breitete sie wie riesige Rabenschwingen über Sakura aus.

Als es vorbei war, stand er mit einem Ruck auf, richtete seine Kleidung und schlug den Kragen hoch, sodass sie unterhalb seiner Nase nichts mehr erkennen konnte. Sakura griff zitternd nach der obersten Decke und schlang sie sich um den Körper. Sie sah ihn nicht an. Nie wieder wollte sie sein Gesicht sehen!

Itachi bückte sich nach ihren Kleidern und legte sie neben ihr auf das Bett, eine seltsame Geste von ihm. Dann verließ er mit eiligen Schritten ihre Zelle. Die Tür wurde zugeworfen, die Riegel vorgeschoben. „Ab heute gehört sie mir“, hörte Sakura noch seine leise, befehlende Stimme.

Schluchzend vergrub sie das Gesicht in der Decke. Sie fühlte sich schmutzig, bloßgestellt, machtlos. Etwas in ihrem Herzen war zu Bruch gegangen. Sie wusste nicht, was in ihn gefahren war, und sie wollte es auch gar nicht wissen. Sie wollte nur die Augen schließen, der Realität entfliehen, und sei es für einen Albtraum. Um am besten nie wieder aufzuwachen.
 

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So ... ich muss sagen, es war ... anstrengend, dieses Kapitel zu schreiben. Da ich niemandem wünsche, hierbei aus eigener Erfahrung schöpfen zu können, hoffe ich, dass das Ganze (vor allem Sakuras Gefühlswelt) glaubwürdig herübergekommen ist - ansonsten habe ich als Autor versagt.

Dann möchte ich mich nochmal für die vielen lieben Kommis beim letzten Kapitel bedanken und hoffe, das hier ist euren Erwartungen gerecht geworden. Wer sonst eine ENS bekommen will, wenn es weitere Kapitel gibt, melde sich bitte bei mir :)

Ein Leben in Ketten

Ab heute gehört sie mir, hatte er gesagt.

Sakura hatte angenommen, dass er nun jeden Tag zu ihr kommen würde, doch die folgende Woche sah sie ihn nicht, nur direkt am nächsten Tag, und da sah er nur durch die Sichtluke zu ihr herein. Ansonsten ließ er sie in Ruhe. Sie fühlte nicht einmal Erleichterung.

Warum? Warum hatte er ihr das angetan? Sie verstand es immer noch nicht. Damals, bevor die Welt untergegangen war … Sie erinnerte sich an die Gespräche mit den anderen Kunoichi in Konoha, an die Mädchengespräche, als sie jünger gewesen waren. Oft hatten sie von Sasuke geschwärmt, und seine abweisende Art hatte dieses Verhalten nur verstärkt. Als sie kürzlich bei der Rettungsmission für Gaara zum ersten Mal auf Itachi getroffen war, war ihr aufgefallen, dass auch er ein gutaussehender Mann war, auf seine Art noch ruhiger und mysteriöser und anziehender als Sasuke, doch sie hatte sich gehütet, ihn ihren Freundinnen in diesen schillernden Farben zu beschreiben. Immerhin war er ein Feind Konohas.

All das kam ihr wieder in den Sinn. Itachi war weiß Gott nicht hässlich oder abstoßend, Sakura war sich sicher, dass viele ihrer Freundinnen ihm genauso verfallen wären wie sie verrückt nach Sasuke gewesen war, würde Itachi im Dorf wohnen. Vielleicht sollte sie eher dankbar sein, dass es nicht Fukita oder die anderen Männer gewesen waren …

Nein, so durfte sie auf keinen Fall denken!

Wütend hieb sie gegen die Wand. Ihre Knöchel platzten auf, Blut lief ihr über das Handgelenk. Sie konzentrierte sich auf den pochenden Schmerz. Ihr Unterbewusstsein versuchte, sie zu beruhigen, ihr weiszumachen, dass es schon nicht so schlimm war, damit sie sich nicht selbst fertigmachte. Aber das wäre falsch gewesen. Es war gegen ihren Willen geschehen. Diese Tatsache machte Itachi zu einem Monster, ließ sie ihn hassen.

Und trotzdem wollte sie mit jedem Tag, der verstrich, mehr wissen, warum er es getan hatte.

Sakura atmete tief ein und wurde von Schluchzern geschüttelt. Sie lehnte sich zurück, mit dem Rücken und dem Kopf gegen die kühle Wand, die Augen geschlossen. Nur ein Traum, redete sie sich ein, zum zigsten Mal seit es geschehen war. Ein Genjutsu. Aber es half alles nichts. Es war wirklich passiert. Es war wirklich passiert! Ihr wurde übel. Sie stand wankend auf, taumelte in das Waschzimmer, versteckte sich dort in einem finsteren Winkel. Sie schöpfte das Wasser aus dem Eimer und wusch jeden Zoll ihres Körpers, rubbelte mit der groben Bürste so fest über ihre Haut, bis sie rot war und brannte. Immer noch fühlte sie sich schmutzig, besudelt, es kam ihr vor, als spüre sie ihn immer noch in sich, roch immer noch das Räucherwerk und seinen Schweiß. Das Gefühl der Erinnerung, die sie so sehr verabscheute, hielt auch Tage nachher noch an.

Dreimal am Tag wurde ihr Essen gebracht. Es war nichts Besonderes, aber genießbar und wahrscheinlich hatten die Leute ohnehin nichts anderes. Sie sprach nicht mit den Wachen, und diese wiederum begegneten ihr auch äußerst abweisend.

Sie hatte mittlerweile alle Hoffnung fahren lassen. Sie würde Naruto und ihre Freunde nie wieder sehen, selbst Kakashi, der sie gerettet hatte, war sicher schon tot. Sakura war selbst überrascht, wie sehr sie dieser Gedanke schmerzte. Der hilflose, verletzte und zerschundene Ninja der letzten Tage war ganz und gar nicht wie der Sensei gewesen, den sie einst gekannt hatte, und doch hatte seine Anwesenheit sie beruhigt. Sie fühlte sich leer, vernichtet und zerschlagen, und ohne ihn schien ihr das Leben sinnlos. Sie war kein welkes Blatt, das im Wind trieb. Sie war ein welkes Blatt in der finsteren Ecke eines modrigen Kellers, wo der Wind niemals hinkam. Wahrscheinlich würde sie den Rest ihrer Tage hier eingesperrt verbringen. Wenn Itachi nicht beschloss, sie für die Allgemeinheit freizugeben …

Als er nach über einer Woche wieder zu ihr in die Zelle kam – diesmal schickte er die Wachen fort –, war sie für einen verrückten, kurzen Moment fast froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Dann schlug das Gefühl um und wurde zu einer Mischung aus Wut, grenzenloser, glühender Wut auf ihn, und Furcht; der Furcht, er könnte ihr nur etwas Zeit gegeben haben, sich zu erholen, um sich nun erneut mit ihr zu vergnügen. „Was willst du?“, zischte sie ihm entgegen, kroch, in ihre Decken gewickelt, in die hinterste Ecke der Zelle zurück. Das Bett hatte sie seitdem gemieden; keine Minute wollte sie darin schlafen.

Er sah sie nur aus seinen unheimlichen Augen an, ruhig und tief wie ein klarer See, und dennoch rot und feurig. „Ich werde es dir sagen.“

Was willst du mir sagen?“ Sie fühlte den Drang in sich, sich einfach auf ihn zu stürzen, sein Gesicht zu zerkratzen und ihm mit ihren Fingernägeln die Augen auszustechen, und gleichzeitig hatte sie wahnsinnige, lähmende Angst davor, was er dann mit ihr anstellen würde.

Er sah ihr in die Augen, bemerkte ihren gehetzten Blick, ihre seelischen Qualen, zumindest hoffte sie es. Er sollte sehen, was er angerichtet hatte. Sollte sehen, was er aus ihr gemacht hatte. Vielleicht würde er irgendwann etwas wie ein Gewissen entwickeln. Vielleicht würde es ihn dann innerlich töten.

„Es war notwendig“, sagte er ruhig.

„Was?“, schnappte Sakura, doch ihre Stimme klang dünn, wieder wie ein Schluchzen. „Dass du mich … mit diesen Kerlen als Zusehern …“

„Auch das war notwendig“, sagte er. „Sakura, lass es mich dir erklären.“ Er trat auf sie zu, und sie versuchte zurückzuweichen, presste sich gegen die Wand und zog die Decke enger. Itachi ließ die Schultern sinken und seufzte. „Gut. Dann bleibe ich hier stehen. Keine Sorge.“

Keine Sorge?“, hauchte sie. „Weißt du überhaupt, was du mir angetan hast? Du … Du Ungeheuer.“

Es brachte ihn nicht aus der Ruhe. Nichts von dem, was sie sagte, brachte ihn aus der Ruhe. Sie erkannte, dass er, ganz gleich, was sie sagen oder tun würde, nicht die Beherrschung verlieren würde. Das war auch etwas, das kein Bild für sie ergab. Wenn er so kaltblütig und berechnend war, wieso hatte er sie dann … Sakura biss sich auf die Lippen. Ihr Kinn zitterte, merkte sie.

„Du kennst die Jashin-Religion“, sagte er schließlich sachlich. „Du hast von Hidan gehört.“ Er wartete ihr angedeutetes Nickten ab, ehe er fortfuhr. „Jashin ist grausam und blutrünstig. Nichts bereitet ihm mehr Freude, als Tod und Angst zu säen. Ich persönlich glaube nicht, dass Jashin überhaupt existiert. Aber die Leute hier glauben es, und sie sind wild entschlossen, ihrem Herren Blut zu opfern.“ Wieder dieser unnahbare und dennoch so durchdringende Blick. „In einer der verrückten Prophezeiungen, die die Leute irgendwann auf ihre Schriftrollen gepinselt haben, wird etwas vom Ende der Welt erzählt. Jashin soll seine Diener schicken und die Welt in den Untergang stürzen, ins Chaos. Ein Chaos, wie wir es jetzt haben. Sie glauben, dass die Zeit gekommen ist, und das hat ihren Glauben noch verstärkt. Als ich hierher gekommen bin, hatten sie bereits alles vorbereitet, den Altar, die Schriftrollen. Jedes einzelne Wort darin befolgen sie, Sakura. Und laut der Siebten Weissagung wird eine Jungfrau dem Donner entspringen. Der Donner ist für sie der Chakrasturm, und sie hielten dich für die Jungfrau aus der Prophezeiung.“

„Egal, was du sagt“, murmelte Sakura. Sie konnte ihm gar nicht richtig zuhören. Seine bloße Anwesenheit erinnerte sie an den Schmerz, sein Mantel an die dunkle Decke, die sie eingehüllt hatte. „Ich werde dir niemals vergeben. Niemals.“

Sie sagte es ganz nüchtern, und diesmal schien sie wider Erwarten doch eine Gefühlsregung bei ihm auszulösen. Er blinzelte, ein Muskel in seinem Gesicht zuckte kurz. War er etwa hier, um um Verzeihung zu bitten? Nein, Itachi doch nicht. Er wartete ein wenig, ehe er fortfuhr. „Im Buch des Blutes steht, dass, wenn die Jungfrau, die dem Donner entsprang, auftaucht, Jashins Ankunft nahe ist. Um ihm einen Weg zu bereiten, muss sie auf einem steinernen Altar geopfert und ihr Blut getrunken werden, bis auf den letzten Tropfen. Du weißt vielleicht, wie grausam jashinistische Opfer sind.“

Sakura starrte ihn aus großen Augen an.

Itachis Blick glitt die Decke entlang, die sie sich um den Körper gewickelt hatte. „Als Hohepriester konnte ich ihnen das Ritual nicht verwehren. Sie hätten dich gefoltert und getötet. Mir blieb nur eine Möglichkeit, die Prophezeiung ungültig zu machen. Die Leute mussten uns zusehen. Jetzt wissen sie, dass du auf keinen Fall mehr eine Jungfrau sein kannst, und werden nach einem neuen Mädchen suchen.“

In ihrem Kopf drehte sich alles. Deswegen also … Hatte er etwa gedacht, er würde sie retten? „Erwartest du jetzt etwa Dank von mir?“, zischte sie erstickt. Itachis Augenbrauen zuckten kurz. Sakura fuhr fort: „Das mit der Prophezeiung hat dir wohl gut gepasst, oder?“

„Es hat mich etliches an Ansehen gekostet“, sagte Itachi. „Sie würden es mir nie ins Gesicht sagen, aber ich weiß, dass mich einige von ihnen nun ablehnen. Sie glauben, ich hätte das Ritual zu meinem bloßen Vergnügen verhindert.“

„Du armer, verzweifelter Priester“, murmelte Sakura bitter. „Es geht doch nichts über deinen Status, oder?“ Er hätte nicht mit ihr schlafen müssen. Wenn ihm irgendetwas an ihr liegen würde, hätte er sie mit sich nehmen und diesen Ort verlassen können. Aber offenbar überschätzte sie ihren Wert. Sie war nur eine Spielfigur, eine Puppe in seinen Händen, die nach den Fäden seiner Sharingan tanzen würde, wenn es sein musste. Und er hatte hier die Stellung eines Götterboten und wurde mit Chakrakristallen versorgt. Warum sollte er das auch aufgeben? „Wenn dir dein Priesterquatsch so wichtig ist“, sagte sie leise, „warum hast du deine Gläubigen überhaupt verärgert? Du hättest sie mich ruhig opfern lassen können.“ Ihre Stimme wurde bissig. „Oder wirst du arbeitslos, wenn Jashin tatsächlich zu den Menschen kommt?“

Er sah sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. Bedauerte er sie? Bereute er vielleicht sogar, was er angetan hatte? Oder war er einfach zu dumm um zu verstehen, warum sie sich ihm nicht zu Füßen warf und von Herzen für ihr Leben dankte? „Vielleicht war es ein Fehler, dich zu retten“, sagte er kühl. „Aber vielleicht bis du das einzige, was mir aus der alten Welt bleibt.“

Die alte Welt. Er hatte sich also auch darüber Gedanken gemacht, merkte Sakura. Er glaubte – oder wusste –, dass alles zerstört war. Wenn es noch irgendwo Menschen gab, dann waren sie vielleicht ebenso fanatische Anhänger einer irren Sekte geworden wie hier.

„Ist das so?“, murmelte Sakura. Sie fühlte sich niedergeschmettert, ganz gleich, was er sagte. Etwas in ihr versuchte immer noch krampfhaft, daran zu glauben, dass er sie in irgendeiner Form gerettet hatte, dass sie ihm etwas zu verdanken hatte – doch in ihre Stimme gelangte nur Abscheu. „Hast du es vielleicht allein deswegen getan? Wolltest du vielleicht nur ein Kind der alten Welt zeugen?“

Wieder blitzte es in seinen Augen auf, und diesmal meinte Sakura, Zorn darin funkeln zu sehen, aber nur ganz kurz. Sein Tonfall war um etliches kälter, als er sagte: „Da du nun hier bist und nicht mehr geopfert werden sollst, wirst du dich nützlich machen. Du wirst bei den Männern im Stollen arbeiten. Ich werde dir Arbeitskleidung bringen lassen, morgen früh wird man dich holen. Dein Luxusleben hat ein Ende.“

Sakura sah ihm flehend in die Augen, bei diesen Worten war jeglicher Trotz von ihr abgeblättert. „Bitte … kannst du mich nicht einfach gehen lassen? Ich werde versuchen, euch das Essen zurückzuzahlen, aber ich kann nicht hier bleiben.“ Dabei hatte sie sogar fast Angst davor, wieder frei zu sein und Kakashis Leichnam vielleicht auf der Straße verwesen zu sehen … Das Bild, das vor ihren Augen auftauchte, war so schrecklich, dass sie die Lider zusammenkniff und eine aufkeimende Übelkeit zurückkämpfen musste.

„Du kannst und du wirst“, sagte Itachi unnachgiebig. Seine Jashin-Halskette klirrte, als er sich umdrehte und ihre Zelle verließ.

Wie er gesagt hatte, wurde ihr gleichzeitig mit dem Abendessen auch wortlos Arbeitskluft überreicht. Vielleicht hatte Itachi gedacht, ihr würde ihre eigene Kleidung nicht mehr gefallen, womit er durchaus recht hatte. Am liebsten hätte sie ihre Ninjakleider verbrannt, denn ihnen haftete Itachis Geruch an, sein Schweiß und ihr Schweiß … Die neuen Kleider waren dasselbe, was auch die anderen Leute in diesem dunklen Loch trugen: Grobes Sackleinen; Stoff, der kratzte und über die Haut scheuerte. Das sandfarbene Oberteil war weit geschnitten und schien für besonders muskulöse Männer gemacht worden zu sein; es war schulterlos, aber die ausgefransten Ärmel reichten trotzdem ein Stück weit Sakuras Oberarme herunter. Am Rücken gab es Brandflecken und kleine Löcher. Die braunen Beinlinge reichten ihr nur knapp über die Knie und waren schmutzig, stanken nach Öl. Ausgelatschte Lederstiefel rundeten das Ganze ab, aber sie zog es dann doch vor, ihre alten Ninjasandalen anzubehalten.

Diese Nacht wagte sie es erstmals, in dem stacheligen Bett zu schlafen. Auch diesmal war es schwer, einzuschlafen; das flackernde Fackellicht vom Gang stach durch ihre geschlossenen Augenlider, und wenn sie den Kopf in die Decken vergrub, verwandelte sich die Dunkelheit immer noch in Itachis Mantel, der sie umschloss, und sie meinte wieder seine Atemzüge zu hören und seine Stöße zu spüren. Diesmal jedoch fiel sie irgendwann in einen traumlosen Schlaf und erwachte, als jemand mit etwas Metallischem gegen die Gitterstäbe ihrer Zellentür schlug. Verschlafen blinzelte sie die Frau an, die die Tür öffnete. Sakura war erleichtert, nicht mehr nur von Männern umgeben zu sein, von denen mindestens drei sie nackt gesehen und das sicherlich im ganzen Kult herumerzählt hatten, aber der Ausdruck im Gesicht der Frau war hart und grimmig, und scharfe Falten hatten sich in ihre Haut gegraben, obwohl sie noch keine vierzig sein konnte. „Komm“, sagte sie. „Muss ich dir die Füße zusammenketten?“

Sakura schüttelte stumm den Kopf, schüttete sich die lauwarme Brühe, die ihr Frühstück darstellte, in den Rachen und folgte ihr. Sie war zwar kurz versucht zu fliehen, aber sie war keine Kunoichi mehr. Nicht wirklich jedenfalls. Und sie kannte weder dieses Stollenlabyrinth noch wusste sie, wie viele Männer es womöglich bewachten, und am Ende lief sie ihm in die Arme und dann wäre sie vielleicht tot wirklich besser dran gewesen.

Gehorsam trottete sie hinter der Frau durch den Stollen und sie gelangten bald einen breiteren Gang, in dem das Klackern von Pickeln und das Rattern hölzerner Räder zu hören war. Sie gingen tiefer in das Bergwerk hinein. Stellenweise war der Stollen von dicken Holzpfeilern gestützt, die der Chakrasturm allesamt ausgefranst hatte und die entsprechend unheilvoll unter den Tonnen Gestein darüber knarzten. Irgendwann kam das Ende des Ganges in Sicht: eine breite Felsschicht, in der himmelblaue Erzbrocken steckten, die von einem halben Dutzend schweißgebadeter Männer unter großer Mühe aus dem Berg geschlagen wurden. „Da“, sagte sie Frau. „Lass dir eine Spitzhacke oder eine Schaufel geben.“ Damit machte sie kehrt und ging rasch den Tunnel zurück.

Ein wenig verloren trat Sakura auf die Männer zu, die zuerst keine Notiz von ihr nahmen. Sie räusperte sich und bemühte sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen, als sie sagte: „Habt ihr ein Werkzeug für mich?“

Die Männer hielten inne und drehten sich zu ihr um. Sie hatten allesamt nackte, muskulöse Oberkörper; auf ihrer bleichen Haut glitzerte der Schweiß. Ein Koloss, der Sakura am nächsten stand, wischte sich mit einem schmutzigen Tuch übers Gesicht. „Ein Werkzeug hätte ich allerdings für dich, Kleine“, grollte seine Stimme wie mahlende Felsen. „Hier unten, in meiner Hose.“

Die anderen lachten grölend. Sakura biss sich auf die Unterlippe. Also hatte es sich bis in den letzten Winkel des Bergwerks herumgesprochen. Das Schlimme war: Sie war nicht einmal wütend. Alles, was sie spürte, war Scham und wieder dieses Gefühl, schmutzig zu sein. „Ich soll eine Spitzhacke von euch bekommen“, sagte sie. Ihre Stimme war ein wenig unsicher, wie sie selbst merkte. Hoffentlich konnten sie das nicht auch zweideutig auslegen.

„Was will die überhaupt hier bei uns?“, murmelte ein anderer, relativ schmächtiger Mann. „Die steht doch nur im Weg rum. Oder glaubt ihr, die kann irgendein Werkzeug aufheben? Soll sie zu den anderen Frauen zum Kristallmahlen geh’n.“ Er redete, als wäre Sakura gar nicht hier. Das machte sie nun doch wütend.

Mit geballten Fäusten sagte sie: „Euer Hohepriester persönlich wünscht, dass ich euch hier helfe. Von mir aus gehe ich auch wieder, wenn es euch nicht passt.“

Die Männer murmelten sich einander etwas zu, aber sie konnte nur die Worte des Schmächtigen verstehen: „Wieso lässt er seine Konkubine überhaupt arbeiten? Soll er sie behalten.“

Sakura verschränkte die Arme. Sie hatte nichts dagegen, wenn sie nicht erwünscht war. Sollten die Kerle alleine arbeiten. Sie würde einfach wieder zurück in ihre Zelle gehen. Gerade, als sie sich umdrehen wollte, reichte ein kahlköpfiger Mann mit einer Narbe auf der Stirn ihr seine Spitzhacke. „Hier. Zeig mal, was du kannst.“ Er deutete auf einen besonders großen Kristall, der noch zur Hälfte in der Wand steckte.

„Aber vergiss eins nicht, wie du gemerkt hast, arbeiten wir hier oben ohne“, fügte der Koloss schmutzig grinsend hinzu. Sakura ignorierte ihn und holte aus. Ohne ihr Chakra war sie tatsächlich nicht so stark, aber sie konnte gut genug mit der Spitzhacke umgehen, um ihr Gewicht in Schwung zu verwandeln und den Pickel genau in den Spalt zwischen Kristall und Felsen donnern. Zarte Risse bildeten sich und sie setzte dazu an, sie zu vergrößern, als sich zwei große Pranken auf ihre Schultern legten. Sakura erstarrte. Heißer, feuchter Atem strich über ihren Nacken.

„Hey, Mann, was machst du?“, rief der Schmächtige.

„Entspannt euch“, grunzte der Koloss hinter ihr. „Hier hört sie keiner. Warum soll nur der Hohepriester Spaß mit ihr haben? Kommt schon, wozu hätte er sie sonst hergeschickt?“ Eine Hand von ihm löste sich von ihren Schultern und tätschelte ihren Hintern.

Mit einem schrillen Aufschrei wirbelte Sakura herum und schlug instinktiv zu. Höhnisch lachend steckte er Kerl einen Kinnhaken ein und streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus. Doch so sehr sie ihr Chakra auch vermisste, ihre Reflexe und ihre Schnelligkeit hatte sie behalten. Sie duckte sich blitzschnell, huschte hinter ihn, noch ehe er einen verblüfften Laut von sich geben konnte, und donnerte die Spitzhacke seitlich gegen seinen Schädel. Sie hörte ein unangenehmes Krachen, als die Spitze sich in seine Schläfe bohrte, dann sackte der Riese ohne einen Laut in sich zusammen. Sakura ließ die blutige Spitzhacke sinken und atmete schwer. In dem Stollen war es totenstill geworden. Alle sahen sie aus großen Augen an, einige sogar furchterfüllt. „Sollte einer von euch auf dieselbe Idee kommen“, knurrte sie keuchend, „wird er nicht so schnell sterben.“

Als die Männer die Leiche in eine Felsnische schafften und schweigend ihre Arbeit wieder auf nahmen, hackte Sakura mit und ließ mit jedem Schlag den Berg ihren Hass auf Itachi spüren, sie in diese Lage gebracht zu haben.

Zur Mittagszeit kamen zwei Männer mit einem der Holzkarren, brachten ihnen ihr karges Mittagsmahl, das aus schlabbrigem Käse und ungewöhnlich eckigem Reis bestand, und fuhren die Kristalle, die sie geerntet hatten, davon. Abends war es dasselbe, nur dass Sakura und die Männer ihre Spitzhacken liegen ließen und dem Karren folgten. Wegen der Leiche hatten sich der Schmächtige und der Kahlkopf zusammengeredet, sie nachts wegzuschaffen, wie sie mitbekommen hatte. Sakura ging mit hoch erhobenem Haupt neben dem Wagen her. Sie fühlte sich weder stark noch mutig oder triumphierend. Immer noch schmutzig.

Abends versammelte sich die ganze Gemeinschaft in der großen Tropfsteinhöhle. Sakura wurde harsch gezwungen, mitzugehen. Es waren so viele Leute, dass sie dicht an dicht gedrängt sehen mussten, also stellte sie sich an den Rand der Gruppe, die aus Frauen bestand. Als sie sie erkannten, begannen sie zu tuscheln.

„Ist sie nicht die Liebhaberin des Hohepriesters?“

„Ich habe gehört, er hätte sie von weit her bringen lassen.“

„Sollte die nicht geopfert werden?“

„Der Hohepriester hat Jashin sicher verärgert, als er sie entjungfert hat.“

„Sie hat die Prophezeiung zerstört! Man sollte sie einfach töten!“

Sakura bemühte sich, innerlich um die Fassung ringend, nicht hinzuhören, und war fast erleichtert, als die Andacht begann. Es wurde um die baldige Ankunft Jashins gebetet, schauerliche Verse zitiert, alles unter der Führung von Itachi. Den Höhepunkt der Messe bildete ein scheußliches Ritual. Itachi fragte die Versammelten, wer seinen Leib für Jashin zur Verfügung stellen wollte. Wild durcheinander schrien die Freiwilligen. Itachi wählte willkürlich einen von ihnen aus, der vortrat und sich auf den Steinaltar legte, auf den mit roter Farbe – oder Blut? – Jashins Symbol gemalt war.

„Immer wählt er Männer aus“, sagte eine der Frauen neben Sakura ärgerlich.

„Hab ich auch schon bemerkt“, sagte eine andere.

Mit geweiteten Augen verfolgte Sakura, wie dem Mann ein eiserner Speer gereicht wurde. Er legte sich auf den Felsblock und stieß sich den Speer selbst in den Bauch. Sein Brüllen hallte von den Wänden der Tropfsteinhöhle wider, kurz von seinen erleichterten Lachern unterbrochen. Als er zitternd den Speer losließ, weil er sich vor Schmerzen verkrampfte, traten eilig zwei weitere Männer hinzu, packten den Stachel und trieben ihn weiter, bis sie ihn ganz durchbohrt hatten. Die ganze Höhle grölte und johlte, einige fielen auf die Knie, andere stimmten einen Chor aus Jashin-Rufen aus. Sakura wurde schlecht. Sie sah das Blut des Mannes über den Altar laufen, während er lächelnd seufzte. Kurz glaubte sie, sich übergeben zu müssen. Dann begegnete sie Itachis Blick, der neben dem Altar stand. Er sah sie eine Weile an, dann wandte er seine Augen von ihr ab, aber sie sah, wie sich seine Mundwinkel verzogen. Er fand die Szene genauso grässlich und abscheulich wie sie auch. Sie fragte sich, ob das jeden Tag so ablaufen würde. Ob sie das an seiner Stelle aushalten könnte. Wahrscheinlich nicht.

Nach dem Ritual begleitete sie die Frau vom Vormittag zu ihrer Zelle zurück und sie war heilfroh, als sie sich, völlig verstört, in ihre Decken kuscheln konnte.

Niemand sprach sie in den folgenden Tagen auf den Toten an, auch Itachi nicht, doch die Männer behandelten sie fortan mit mehr Respekt, auch wenn sie jedem Gespräch mit ihr aus dem Weg gingen. Vom Arbeiten taten ihr bald ihre Arme weh; das Gewicht der Spitzhacke war ungewohnt und die Zeit an Kakashis Seite und in der Zelle hatten ihrer Kondition auch etwas von ihrem Biss genommen. Sie schlief jetzt besser, aber immer noch klebten die Erinnerungen an diese eine Nacht schrecklich klar und flammend heiß an ihr.

Nach einiger Zeit wurde sie von ihren neuen Kollegen auch dazu eingeteilt, den Holzkarren zu schieben. Das war ihr ganz recht, weil es nicht so anstrengend war. Vor ihr glitzerten die Chakrakristalle, so verlockend und hell, aber sie wusste nicht, wie sie aufzubrechen waren. Sie brachte sie ihren Anweisungen entsprechend in eine große unterirdische Halle, wo die meisten Frauen mit hölzernen Hämmern auf einem gewaltigen Steintisch auf die Kristalle eindroschen, nachdem sie sie eine Zeitlang in heißem Wasser schwimmen gelassen hatten. Feuer flackerte unter den zahlreichen Kochstellen an der Wand, und es war unangenehm heiß hier drin.

Die Kristallstücke wurden gemahlen und in Fässer mit einer zähflüssigen, gelblichen Flüssigkeit geworfen, in der sie sich wie Salz auflösen und der Substanz eine grünblaue Farbe verliehen. Diese wurde dann in andere Gänge gekarrt. Heimlich versuchte Sakura, dorthin zu gelangen, aber Itachi hatte mitgedacht und fünf hart aussehende Kerle mit Lederrüstungen und schweren Waffen vor dem Eingang postiert, die ihr drohten, sie solle ihren hübschen Hintern am besten wieder hier fortschaffen. Die Hoffnung auf Flucht, die sie kurz gefasst hatte, schwand ebenso schnell wieder. Es hatte keinen Sinn. Sie war an diesen Ort gefesselt, ob mit Ketten oder ohne.

Einmal brachte sie die Frau, die sie nach wie vor morgens abholte, in eine Art Küche. Dort musste sie einem fetten, einarmigen Koch helfen, den geschmacklosen Reisbrei und die ölige Suppe zuzubereiten, für Itachi außerdem meist Fisch, der so aussah, als wäre er schon verbrannt, bevor man ihn gefangen hatte. Sie überlegte, wie sie den vermeintlichen Hohepriester wohl vergiften könnte, aber es gab hier nichts, was sie verwenden konnte. Einen anderen Tag half sie beim Verteilen des Mittag- und Abendessens und durfte dafür die restliche Zeit tun und lassen, was sie wollte. Sie versuchte, im Kopf eine Karte der vielen Stollen zu erstellen.

Bald wurde ihr klar, dass sie immer dort eingeteilt wurde, wo gerade irgendein anderer Arbeiter krank oder verletzt war. So lernte sie einen großen Teil des Labyrinths kennen. Sie lauschte den Wachen, die sich damit brüsteten, nach dem Abendritual selbst eine kleine Zeremonie durchführen zu wollen, wo sie sich ihre Finger oder Zehen abschneiden wollten. Über sie konnte Sakura nicht einmal den Kopf schütteln.

Einmal geleitete die Frau sie am Abend gar nicht in ihre Zelle zurück. Sie war offenbar kurzfristig für eine Nachtschicht eingeteilt worden und sollte den Wachen Wasser und Sake bringen. Stumm ließ sie sich vom Koch ein Tablett geben. Die Wachen waren von allen am schlimmsten, wie sie bemerkt hatte. Wenn sie in ihrer Nähe war, pfiffen sie ihr hinterher oder schrien ihr Obszönitäten zu, und das letzte Mal, als sie ihnen ihr Essen gebracht hatte, hatten sie, leicht angetrunken, versucht, sie zu begrapschen. Unter den Frauen in der Siedlung war sie immer noch die jüngste und am besten aussehende, was sie leidvoll hatte bemerkten müssen. Sakura ging so langsam es möglich war, ohne rückwärts zu laufen, den großen Stollen entlang, der zum Höhlenausgang führte, das Tablett in ihren Händen, und wappnete sich innerlich davor, dass sie sie erneut mit ihren Blicke auszogen. Sie würde einfach nicht darauf reagieren, ihnen das Tablett hinknallen und wieder gehen. Außerdem hatte ihr Itachi weit Schlimmeres angetan, da waren diese Männer allerhöchstens Lappalien.

Es war bereits finster, als sie draußen auf dem Holzsteg ankam. Blauweiße Fackeln erhellten die Wachposten, doch von den Wachen selbst war nichts zu erblicken. Stirnrunzelnd trat Sakura näher an das Geländer und sah nach links und rechts. Auf den Stegen war niemand zu sehen. Sie wollte gerade kehrtmachen, als sie mit dem Fuß gegen etwas Weiches stieß. Sie senkte den Blick und ließ erschrocken das Tablett fallen, als ihr die weit aufgerissenen, weißen Augen eines Toten entgegenstarrten, der dort auf dem Boden lag. Ein Wurfstern hatte sich in seine Kehle gegraben. Sakura sah sich den Boden genauer an. Dort drüben lag die zweite Wache, die Glieder unnatürlich verrenkt, und weiter vorne lehnte noch eine Leiche an der Felswand.

Sakura trat einen Schritt zurück. Ihr wurde bewusst, dass das ihre Chance war. Egal, was hier auch passiert war, die Leichen waren Itachis Problem, und auch wenn einer der Männer noch lebte, selbst ihr Gewissen als Heilerin konnte sie nicht dazu bewegen, ihm zu helfen. Schon überlegte sie sich eine schnelle Route über die Holzstege …

Als jemand ihr plötzlich eine eisig kalte Schwertklinge von hinten an den Hals legte. Sakura erstarrte. Die Berührung der scharfen Schneide kribbelte über ihre Haut, ließ sie frösteln.

„Was zum Teufel machst du denn hier?“, ertönte eine Stimme an ihrem Ohr, deren Klang etwas in ihr zum Schwingen brachte.
 

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Hier also Itachis Grund, wie ihn einige von euch schon richtig vermutet haben. Es ist zwar mehr ein Überleitungskapitel, aber ich hoffe, man sieht schon, dass dieses Ereignis Sakura gezeichnet hat. Und einen kleinen Einblick in den "Alltag" der Jashin-Sekte wollte ich auch liefern.

Zum Schluss möchte ich mich nochmal für die Kommis beim letzten Kapitel bedanken :) Es freut mich immer, wenn sich auch noch eine Zeitlang nach dem Upload jemand die Mühe macht, zu kommentieren :) Also danke und bis in ca. 2 Wochen!

Anker in der Einsamkeit

Das Metall an ihrem Hals war bissig kühl. Der Ninja hinter ihr bewegte sich. „Was tust du hier?“, wiederholte er seine Frage. „Wie konntest du überleben?“

Sakura zwang sich zur Ruhe. „Hast du die Leute umgebracht?“, fragte sie das Offensichtliche.

Er antwortete nicht, beantwortete sich aber dann seine eigene Frage selbst. „Ich verstehe. Kakashi.“ Er zog die Klinge weg und Sakura fuhr herum und sah ihn an. Er sah furchtbar aus. Seine Kleidung war löchrig und angesengt und vor Schmutz fast schwarz. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen, die sie wie dunkle Onyxe anfunkelten. Sein Haar war noch zerzauster als üblich. Eben schob er das Schwert in die Scheide. „Du bist die Letzte, die ich hier vermutet habe.“

Sakura senkte den Kopf. „Ich bin auch nicht freiwillig hier“, gestand sie. Ihn jetzt zu sehen, in dieser Einöde von Welt, die die Chakrakatastrophe zurückgelassen hatte, war wie ein Traum. Wie lange hatte sie sich herbeigesehnt, endlich bei ihm zu sein, irgendwo, nur sie beide allein … doch sie standen am Tor zu Sakuras persönlicher Hölle, zwischen toten Sektenanhängern, in einer zerstörten Welt. Es würde nie wieder so sein, wie es einmal war. Selbst der schönste Traum verliert seine Farben, wenn man sich noch an die bittere Realität erinnert.

Sasuke musterte unangenehm genau ihre Bergarbeiterkleidung. Es musste das Hässlichste sein, was sie je getragen hatte … „Ich habe gehört, hier bauen die Leute Chakra ab?“, fragte er.

Sakura horchte auf. War er etwa nicht wegen Itachi hier? Wahrscheinlichen hatten die Plündertrupps des Kultes auch ihn angegriffen und dafür mit dem Leben und mit Informationen bezahlt. Auch ohne Chakra konnte er immer noch gut mit dem Schwert umgehen.

Sollte sie es ihm sagen? Dass sein Bruder, das Objekt seines Hasses, der Grund, warum er aus Konoha fort und zu Orochimaru gegangen war, direkt vor seiner Nase war? Nein, entschied sie sofort, als sie in seine Augen sah. Sasuke würde vielleicht die Tatsache, dass er keine Jutsus einsetzen konnte, einfach ignorieren und in den Tod laufen, und wenn sie ihn durch einen so sinnlosen Umstand auch noch verlöre, könnte sie das nicht ertragen. Tief Luft holend sagte sie: „Ja. Sie schlagen Kristalle aus dem Berg, in denen sich Chakra festgesetzt hat. Mit ihnen könnten wir wieder unsere Jutsus benutzen.“

„Und du weißt, wo sie sie lagern?“ Sasuke musterte sie forschend, und auf einmal war ihr klar, dass sie ihm nun nützlich war. Es war so anders als früher, auch wenn die Situation banal war, aber er brauchte sie plötzlich.

„Ich weiß noch mehr“, sagte sie. „Die Kristalle allein bringen nichts. Man muss das Chakra herauslösen. Ich kann dir zeigen, wie sie das machen.“ Sasuke schien zu überlegen. Er traute ihr nicht. Wenn sie auf der Seite der Jashinisten stand, könnte sie ihn in eine Falle locken. „Hier“, sagte sie und hielt ihm ihre Handgelenke unter die Nase. Obwohl es einige Tage her war, waren noch kaum merkliche Narben zu sehen, wo die Ketten ihre Haut wundgescheuert hatten. „Ich bin hier gefangen.“

„Du siehst nicht sehr gefangen aus“, sagte er trocken.

„Sie haben mich für die Arbeit eingeteilt. Ich sollte den Wachen Essen bringen.“ Sakura deutete auf das Tablett, das sie fallen gelassen hatte. „Mir wäre nichts lieber als endlich abzuhauen, jetzt, wo du sie erledigt hast.“

Sasuke erkannte, dass er schnell entscheiden musste. „Warte“, sagte er ruhig und in befehlsgewohntem Ton. „Zuerst zeigst du mir die Kristalle und wie man sie aufbricht.“
 

Sie führte Sasuke in die Stollen. Er schlich wie ein Schatten hinter ihr her, das Schwert in der Scheide, um nicht durch eine unglückliche Lichtreflexion aufzufallen. „Hier also auch“, murmelte er, als er die blauen Fackeln sah. Sakura gab sich Mühe, so leise und gleichzeitig unauffällig wie möglich zu gehen. Da hörte sie plötzlich Schritte und Gemurmel und blieb stehen.

„Geh weiter.“ Sie spürte die Worte als Hauchen hinter sich. Sakura schluckte. Unauffällig bleiben. Er würde sich schon verstecken. Oft genug hatte sie auf seine Fähigkeiten vertraut.

Sie ging weiter und bald darauf wurden drei Gestalten sichtbar, zwei Männer und eine Frau, die ihnen entgegen kamen. Sakura bekam ein mulmiges Gefühl im Magen, als sie die Frau als jene wiedererkannte, die sie früher von ihrer Zelle abgeholt hatte. Tatsächlich blieb sie stehen und musterte Sakura aus zusammengekniffenen Augen. „Was machst du hier?“, fragte sie scharf.

„Ich habe den Wachen draußen Essen und Sake gebracht“, sagte sie.

„Ach, warst du heute dafür eingeteilt?“ Sie klang amüsiert. „Praktisch, ein Mädchen für alles zu haben. Wundert mich, dass du bei deinen Beziehungen überhaupt arbeiten musst. Sieh zu, dass du in deine Kammer zurückkommst. Ich hol dich morgen früh wieder für den Bergbaudienst ab.“

Sakura lächelte innerlich. Jetzt, mit Sasuke an ihrer Seite, hatte sie nicht vor, weiter in den Stollen zu schuften. Aber sie senkte nur demütig den Kopf und wartete, bis die drei an ihr vorbeimarschiert waren.

Sasuke tauchte hinter ihr aus einer schattigen Nische auf und sah ihnen nach. Er sagte nichts, aber Sakura merkte, dass es hinter seiner Stirn arbeitete. „Hier lang“, flüsterte Sakura, um ihn aus seinen Gedanken zu reißen, und führte ihn vom Hauptgang weg in einen der Nebenstollen.

Als sie schon nahe an der Halle waren, in der die Kristalle zerstampft wurden, stellte er die Frage, die sie befürchtet hatte. „Wer organisiert dieses Bergwerk?“

Sakura atmete tief durch. Sie war froh, vor ihm zu gehen, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. „Die Leute sind ein Haufen Verrückte. Sie glauben an Jashin. Ihr oberster Anführer ist so eine Art Priester, der ihre Rituale durchführt.“

„Was meinte sie mit Beziehungen?“, fragte er.

Sakura biss sich auf die Lippe. Warum sollte sie ihm überhaupt irgendetwas sagen? Die eine wahre Antwort wäre, dass der Priester sein eigener Bruder war. Die andere wäre diese unrühmliche Nacht, die sie verzweifelt vergessen wollte. „Vergiss es einfach“, murmelte sie. „Das hier sind alles kranke Fanatiker. Wir sind da.“

Die Halle lag vor ihnen, die sandgelben, unförmigen Steinwände von wenigen, gelben Fackeln erhellt. An den Tischen und den Stampfwerkzeugen arbeitete niemand mehr, aber zwei Wachen mit langen Speeren standen am unteren Treppenabsatz und spielten Karten an einem kleinen Tisch. Ein blutiges Messer steckte neben ihnen in der Tischplatte und ihre Hände waren von Narben und Wunden übersät. Jedes Mal, wenn einer der beiden eine Partie gewann, schnitt er sich in die Finger, um Jashin für seinen Sieg zu danken. Sakura hatte sie schon öfter dabei beobachtet und ihr Abscheu gegenüber den Leuten hier und ihrem verrückten Gott war nur noch weiter gestiegen.

Die beiden bemerkten sie mit einiger Verspätung; Sasuke war wieder in den Schatten hinter ihr abgetaucht. „Hey, Mädchen, was tust du hier?“, grunzte einer von ihnen.

Sasuke löste sich nicht aus den Schatten. Er nahm ein Stückchen davon mit. Es sah aus, als wäre es ein schwarzer Schemen, der die Treppe hinunterflog, ohne die Stufen zu berühren, und der mit dem im Gegensatz dazu grellen Blitzen von Stahl dein einen Wachmann tötete, als würde ganz von selbst eine Blutfontäne aus seinem Leib hervorbrechen.

Der andere schrie auf, sauste in die Höhe und stieß den Tisch um. Sasuke setzte darüber hinweg und erstickte den Schrei mit einem einzigen, gezielten Schwertstich. Der Mann fand nicht einmal Zeit, mit seinem Speer zu zielen.

„Nicht ganz so leise, wie ich gehofft hatte“, sagte Sasuke und sah zu Sakura hoch. „Wo sind denn nun diese Kristalle?“

Sakura folgte ihm und riss die erdfarbene Plane von den Kisten, in denen verlockend glitzernd die unzerstampften Chakra-Kristalle aufbewahrt wurden, einige klein wie eine Kinderfaust, andere so groß wie Melonen oder noch größer. „Wohin sie sie bringen, wenn das Chakra herausgelöst ist, weiß ich nicht“, log sie. „Warte hier.“

Während Sasuke unbeeindruckt zu den Kristallen ging, lief Sakura in die Vorratskammer, wo die honigfarbene Flüssigkeit in den Fässern darauf wartete, sich mit dem Kristallstaub zu verbinden. Sie wusste immer noch nicht, woraus sie gemacht war, aber vielleicht war es auch gar nicht schlecht, dass man nicht so einfach dahinterkam … Sie füllte die Flüssigkeit in zwei kleinere Fässer um, die sie auf den Schultern tragen konnte und die trotzdem sehr schwer waren, und ging zu Sasuke zurück. „Was ist das?“, fragte er.

„Das brauchen wir“, sagte sie und wuchtete sie vor seinen Füßen zu Boden.

Sasuke schraubte den Deckel von den Fässern und schnupperte am Inhalt. „Wofür?“

„Ohne das kommen wir nicht an das Chakra in den Kristallen ran.“

Sasukes Augen wurden schmal. „Du sagt dauernd wir.“

Jetzt war es an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. „Ja, wir. Wenn ich dir zeigen soll, wie du an das Chakra kommst, wirst du mich mitnehmen müssen. Ich will sowieso hier raus. Und bevor du fragst, einfach die Kristalle da reinzuschmeißen bringt nichts. So einfach ist es nicht.“

Sasuke war alles andere als erfreut, aber Sakura hatte weder vor hierzubleiben, noch mutterseelenallein durch das zerstörte Land zu stromern. Und wenn sie eines über Sasuke gelernt hatte, dann, dass er nur jemanden mitnahm, den er wirklich gebrauchen konnte.

„Entweder, du lässt es zu, dass ein oberflächliches Mädchen dich begleitet“, sagte sie, sich an seine Worte erinnernd, als er Konoha verlassen hatte, „oder du bleibst auf ewig ein Ninja ohne Chakra. Deine Entscheidung.“

Er verzog den Mund, musste es als Erpressung ansehen. „Einverstanden“, sagte er schließlich.

„Zu zweit können wir auch mehr tragen“, sagte sie, griff sich einen der Jutesäcke und stopfte so viele Kristalle hinein, wie es ging. So verließen sie dann die Halle, Sakura mit zwei Säcken voller glitzerndem, für Ninjas unbezahlbarem Inhalt, Sasuke mit zwei schweren Fässern unter den Achseln. Wie durch ein Wunder verließen sie unbehelligt im Schutze der Nacht die Höhlen. Sakura fielen jetzt auch die vielen Toten auf, die auf den Treppen lagen, manche hingen auch über den Geländern. Nur der Mond war ihr Zeuge, als sie das Tal verließen, und Sakura sah mit einem erleichterten Aufatmen zurück. Von der Ferne sahen die Höhlen wie schwarze Punkte aus, die man auf den Berg gemalt hatte. Sie hoffte, dass sie keinen der Leute hier je wieder sah, auch wenn sie vielleicht die letzten Überlebenden des Chakrasturms waren. Sollten sie sich doch alle für ihren Jashin opfern. Sie musterte Sasuke, dessen Gesicht im Mondlicht wie Silber leuchtete. Ein Neuanfang mit ihm? Ihr Herz begann zu klopfen. Immer hatte sie sich gewünscht, bei ihm zu sein, wäre bereit gewesen, Konoha mit ihm zu verlassen. Nun gingen sie nebeneinander her, ihrer Fähigkeiten und Freunde beraubt.

Es war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Aber es musste reichen.
 

Sie folgten nicht dem Weg, sondern gingen quer durch den Wald. Hier war es dunkler, aber das meiste tückische Unterholz war wie weggeweht, sodass es außer den Baumstämmen kaum Hindernisse gab.

Sakuras Gefühl der Erleichterung verwandelte sich bald in Erschöpfung und Müdigkeit, doch sie drängte Sasuke nicht dazu, eine Pause zu machen. Er hätte wohl ohnehin nicht auf sie gehört, und sie wollte unbedingt so weit von den Verrückten des Jashin-Kultes weg, wie nur irgend möglich.

Als die Sonne aufging, konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Bei einem Bach machten sie Halt. Das Wasser war eiskalt, aber sauber, anders als die schmierige Brühe, die es im Bergwerk gegeben hatte. Sasuke hatte einen Wasserschlauch dabei, den er füllte, dann setzten sie sich in den Schatten einiger Felsen und versteckten ihre Beute mit Reisigzweigen und Blattwerk. „Also“, sagte Sasuke schließlich. „Wie bekomme ich das Chakra aus den Kristallen?“

Sakura zögerte. Ihm zu antworten würde sie entbehrlich machen. „Schlafen wir erst“, sagte sie. „Wir können uns mit dem Wachehalten abwechseln.“

Er wusste natürlich genau, warum sie das sagte. „Wir müssten uns nicht wie zwei flüchtige Verbrecher verstecken und Wache halten, wenn du es mir sagen würdest.“

Immer müder werdend hatte Sakura Schwierigkeiten, ihre Gedanken richtig zu ordnen. Kakashi, kam ihr in den Sinn, während sie sich erschöpft gegen den rauen Felsen lehnte. Er war anders als die im Berg, heller und poröser. „Ich sag’s dir“, murmelte sie, „wenn du mich zuerst noch wo hin begleitest. Und die erste Wache übernimmst.“

Sie bekam nicht mehr mit, wie er reagierte, sondern schlief sofort ein. Als sie aufwachte, war die Sonne schon längst über den Zenit gewandert. Sie fühlte sich verspannt, ihr Mund war trocken und irgendwie hatte der Schlaf ihre Erschöpfung nicht besiegt, sondern nur angestachelt. Mir schweren Lidern blinzelte sie zu Sasuke, der ein paar Meter entfernt auf dem Kiesstrand des Baches saß. Sein Hemd war frisch gewaschen, wirkte aber immer noch schmutzig. Vor ihm lagen bläuliche Beeren auf einem Teller aus Blättern, die schon aus der Entfernung matschig aussahen. Hatte er die für sie gesammelt? Und warum hatte er sie nicht geweckt? „Jetzt du“, sagte sie und erschrak über ihre krächzende Stimme. Als er sie fragend ansah, erklärte sie: „Du bist dran mit Schlafen. Ich löse dich ab.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht müde. Iss, dann gehen wir dorthin, wo du hinwillst.“ Sie sah ihn zweifelnd an. Die Ringe unter seinen Augen waren noch dunkler geworden. Achselzuckend schaufelte sie die Beeren in ihren Rachen, obwohl sie keinen Hunger verspürte. Sie schulterten ihre Last und folgten dem Bach in die Richtung, wo Sakura die Straße vermutete, an der sie Kakashi zurückgelassen hatte. Nach kaum zehn Minuten schmerzten Sakuras Arme von den Kristallsäcken und sie hatte das Gefühl, nicht mehr genug Luft zu bekommen. Was war los? Sie hatte getrunken, gegessen und geschlafen ... Sasuke merkte, dass sie immer weiter zurückfiel, und sah sie stirnrunzelnd an. Nach weiteren fünf Minuten, als Sakura keuchend um eine Pause bat, nahm er mit abfälligem Gesichtsausdruck einen ihrer Säcke ab. So ging es etwas leichter, aber Sakura musste sich immer noch bei jedem Schritt quälen. Durch ihre Schläfen zuckten in regelmäßigen Abständen glühende Nadeln.

Das schlimmste Stück war die kleine Steigung, die zu der Straße hinaufführte. Sie erreichten sie bei Sonnenuntergang. Als sie den kleinen Felsüberhang fanden, unter dem Sakura Kakashi zurückgelassen hatten, war sie nicht besonders überrascht, ihn dort nicht zu finden. Auch die Decken und alle Gegenstände aus seinem Lager waren fort. Schuldgefühle wucherten in ihr hoch, ließen die Schmerzen in ihren Gliedern doppelt so penetrant werden. Sie hatte ihn allein gelassen. Sicherlich hatten Reisende ihn längst gefunden, seine Taschen geplündert und seine Leiche entsorgt. Tränen sickerten unter ihren Lidern hindurch, die sie zusammenpresste, um vor Sasuke keine Schwäche zu zeigen. Sie sank in die Knie und berührte mit den Fingern den Boden, auf dem er gelegen war. Hier hatte sie ihn gepflegt, hier hatte sie ihn verlassen. Hier war er gestorben.

„Was ist hier?“, fragte Sasuke.

Sakura antwortete nicht. Sie stand auf und schluckte ihre Trauer hinunter. Wenn sie ihm nun das Geheimnis um die Kristalle verriet, würde er sie zurücklassen. Sie wäre allein, ganz und gar allein in dieser grausamen, leeren Welt. „Ich habe mich geirrt“, sagte sie nur. „Wir müssen noch ein Stück weiter.“

Ihr würde schon etwas einfallen.

Während die Sonne tiefer sank, folgten sie der Straße. Sasuke hatte nun auch den zweiten Kristallsack übernommen und trotzdem schleppte sich Sakura mehr voran, als sie tatsächlich ging. Schweiß lief ihr in Bächen übers Gesicht, dabei war ihr so kalt, dass sie zu zittern begonnen hatte. Die Nadelstiche in ihrem Schädel kamen mittlerweile so häufig, dass alles vor ihren Augen ein wenig verschwamm, als wäre sie betrunken. Einmal mehr überholte sie Sasuke trotz seiner schweren Last. Sie konzentrierte sich auf seinen Rücken, sein schmutziges Hemd, diesen verwaschenen hellen Fleck in der hereinbrechenden Dunkelheit. Noch ein Schritt, noch ein Schritt, weiter, langsam und konzentriert. Atmen, Zähne zusammenbeißen.

Der lichte Fleck vor ihr zuckte, und als sie blinzelte, war er doppelt da. Alles drehte sich, ein Stakkato aus Schmerzen donnerte in ihrem Kopf. Dann verwischte das Bild vor ihren Augen, als ihre Knie nachgaben und sie mit dem Gesicht voraus in den Staub fiel.
 

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Das Kapitel ist irgendwie kürzer geworden, als ich gewollt habe ... Naja, ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen. Der Cliffhanger hat natürlich wieder sein müssen ;)

Ich hab lange überlegt, wie ich Sasuke dazu bringen könnte, sich überhaupt mit Sakura abzugeben. Mit den Kristallen hat es sich dann aber so schön von allein ergeben^^

Für das nächste Kapitel werd ich mich bemühen, dass es wieder länger wird. Itachi ist übrigens jetzt nicht aus der Welt, nur weil Sasuke Sakura dort rausgeholt hat.

Danke übrigens für die Kommis beim letzten Kapitel! Es freut mich, dass meine FF so vielen gefällt :)

Träume von Feuer und Angst

Blut und Donner. Hereinbrechende Himmel, die Himmel standen in Flammen. Feurige Blitze zogen sich über das Firmament. Die Erde bebte.

Bringt euch in Sicherheit!“ Die Stimme gehörte Kakashi.

Nein, sagte sie sich. So war es nicht.

Die Erde tat sich auf, hunderte, tausende Raben flatterten daraus hervor, jeder davon mit einem menschlichen, schwarzweiß bemalten Gesicht. Krächzend und schnatternd umflogen sie Sakura, hackten mit ihren Schnäbeln auf sie ein, zerfetzten ihre Kleidung. Eine Hand stieß sie um, sie verlor das Gleichgewicht. „Ab heute gehörst du mir“, hörte sie eine Stimme nah an ihren Ohren flüstern. Sie spürten einen harten Kuss, doch aus den Lippen wuchsen scharfe Stacheln, fuhren in ihren Kiefer, schrammten kreischend über ihre Zähne, schmerzten. Sakura schrie auf. „Geh weg!“, schrie sie. „Ich bin jetzt mit deinem Bruder unterwegs!“

Zwei riesige Augen glühten vor ihr auf, rot leuchtende Sharingan. Ein Schatten fiel auf sie und Sakura sah, wie neben ihr Sasuke hockte, überdimensional groß, und nachdenklich auf einen der Kristalle starrte. „Wie bekomme ich sie auf?“, fragte er. Seine Stimme war verzerrt.

„Es ist ganz einfach“, sagte der Chakra-Ninja, der ihn hatte töten wollen und der plötzlich neben ihm stand. „Du musst nur …“ Er blähte sich auf, explodierte von innen heraus, und der Himmel stürzte wieder auf Sakura herein. Schwarzer Regen traf hart und kalt ihre Stirn.

„Verstehe“, sagte Sasuke. Der Kristall in seinen Händen wurde schwarz, zerbröckelte, wurde zu Sais Gesicht, zerbröckelte weiter, flog als Rabe davon.

„Sakura“, sagte Itachis Stimme hinter ihr. Sie fuhr herum. Er war schwarzweiß geschminkt. Sie blinzelte, und er sah wieder normal aus. Groß wie ein Wagenrad hing die Jashin-Kette von seinem Hals. Ein Sharingan-Auge drehte sich in dem Dreieck des Symbols, öffnete und schloss sich mit einem schmatzenden Geräusch, starrte sie an.

„Was willst du?“, hauchte Sakura. „Lass mich in Ruhe!“

„Du bist das Opfer“, sagte er und schwenkte einen Kelch in der Hand, einen Kelch voller Blut – ihrem Blut. Plötzlich lag sie nackt mit ausgestreckten Gliedern auf dem Steinaltar. Grunzende, haarige Ungeheuer umringten sie. Itachi warf sich auf sie. Seine Hände waren überall, auf Sakuras Brüsten, ihrem Bauch, zwischen ihren Beinen. Zwei große Rabenflügel wuchsen aus seinen Schultern, kitzelten ihre Haut. Die Ungeheuer humpelten auf ihren verkrüppelten Beinen heran, doch die schwarzen Schwingen wehten sie weg. Sakuras Handgelenke schmerzten, bluteten, von unsichtbaren Ketten wundgescheuert. Dann spürte sie Itachi, seine harten Stöße, seinen schweren Atem, und schrie, aber Rauch kratzte in ihrem Hals und ließ sie husten. Der Stein unter ihr wurde weicher, gleichzeitig stacheliger, und sie roch feuchtes Stroh.

Dutzende Augenpaare beobachteten sie lüstern. Nur zwei waren unbeeindruckt. Ihr Besitzer schälte sich aus der Dunkelheit. Es war Sasuke. „Hilf mir!“, rief Sakura.

„Du hast mich belogen“, sagte er. „Itachi war die ganze Zeit bei dir.“

„Sasuke! Ich hatte keine Wahl!“, schrie sie. Itachi war verschwunden, dafür schwebten Chakrakristalle über ihr wie eine glühende Wolke. Zwischen den Steinen ragten Kakashis Kopf und seine Arme und Beine heraus. Er war tot.

„Ich werde sie öffnen“, sagte Sasuke. Seine Stimme war ein tiefes, kehliges Knurren.

„Nicht!“, rief Sakura, aber da stürzten die Kristalle auch schon auf sie herunter, spießten sie auf, und sie sah wieder den einstürzenden Himmel, über den blaue Windböen wehten …

Und wachte auf.
 

„Seid Ihr sicher, dass wir sie nicht suchen sollen?“, fragte Fukita.

„Wie oft soll ich es dir noch sagen?“, fragte Itachi ruhig, während er schwungvoll mit einer zerfledderten Feder auf einem Pergament eine Nachricht schrieb. „Sie ist nicht die Jungfrau aus dem Donner, sie hat keinen Wert für uns.“

„Aber sie hat unsere Wachen getötet! Gute Männer!“, begehrte Fukita auf.

„Nein“, sagte Itachi sofort. Seine Augen wanderten noch einmal über das Papier, ehe er seine Unterschrift darunter setzte. Es war lange her, seit er irgendwo unterschrieben hatte … „Die Leichen tragen die Handschrift von jemand anderem.“

„Trotzdem …“

„Ich bin sicher, Jashin wird sich an ihrem Sterben erfreut haben“, unterbrach ihn Itachi.

„Wie Ihr meint. Ich sage den Boten, sie sollen trotzdem die Augen offenhalten“, brummte Fukita.

Itachi mochte den Mann nicht. Er war stur und besserwisserisch. „Wo du von Boten sprichst“, sagte er, „hat man Überlebende gefunden?“ Er hatte herausgefunden, dass nicht nur die Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe unter Tage befunden hatten, überlebt hatten. Der Chakrasturm war an einigen Stellen nicht so zerstörerisch gewesen. Er hatte aus kleinen Wirbeln bestanden, die einen sofort getötet hatten, zwischen den Wirbeln hatte man jedoch überleben können. Mit seinen Sharingan war es ihm möglich gewesen, sich in Sicherheit zu halten, auch wenn es seinem Gefühl nach eine Ewigkeit gedauert hatte, bis das Erkennen und Ausweichen vorbei gewesen war. Wenn ein gewöhnlicher Mensch, ohne Sharingan, Glück gehabt hätte, eine ganze Menge Glück, hätte er durch den Sturm rennen können, ohne von einem der vernichtenden Wirbel erwischt zu werden. Dann hätte er zumindest überlebt, auch wenn sein Zustand trotzdem schlimm gewesen wäre.

„Oh ja. Viele Meilen im Norden in einem Sumpfgebiet gibt es noch ein paar Ninjas. Wir haben ihnen die Botschaft überbracht.“ Fukita stützte sich auf den Schreibtisch. „Gesandter, das sind Ungläubige. Wenn wir schon mit ihnen zu tun haben wollen, sollten wir ihnen die Kristalle einfach verkaufen.“

Itachi musterte ihn so lange aus seinen Sharingan, dass Fukita nervös auf der Stelle zu treten begann. „Stellst du meine Entscheidung – nein, die Entscheidung Jashins in Frage?“

„Selbstverständlich nicht“, sagte der Mann so schnell, dass er sich verhaspelte.

„Unsere Leute können gar nicht so vorsichtig sein, dass die Ninjas nicht herausbekommen, woher sie kommen. Es ist besser, wenn wir sie direkt einladen, an unserer Siedlung mitzuarbeiten, als sie praktisch herauszufordern, sich einfach die Minen unter den Nagel zu reißen.“

„Ich entschuldige mich“, sagte Fukita und neigte demütig das Haupt.

„Wie sieht es mit meinen … Ordensbrüdern aus? Habt ihr einen anderen Priester gefunden?“

„Nein, Gesandter. Da war niemand, der Euren Jashin-Mantel trug.“

„Verstehe.“ Itachi fiel es schwer zu glauben, dass er als einziger der Akatsuki überlebt haben sollte. Aber selbst das beste Verteidigungsjutsu versagte, wenn es kein Chakra mehr gab, von dem es zehren konnte. Allerdings gab es noch eine große Unbekannte in dieser Rechnung. Uchiha Madara besaß auch das Sharingan. Itachi glaubte nicht, dass ihn der Sturm vernichtet hatte, aber er wusste auch nicht, wie dessen Pläne nun aussahen. Er konnte sich zu einem Problem oder zu einem Verbündeten entwickeln, je nachdem – falls er wieder auftauchen sollte.

„Hohepriester … Ihr sagtet, es hätte mehrere Priester gegeben … Dennoch scheint der große Jashin ihr Blut gefordert zu haben, aber Eures nicht. Darf ich fragen, wieso?“

„Nein. Geh jetzt.“

„Jawohl, Gesandter.“ Fukita verbeugte sich, setzte seinen Reisbauernhut auf und verließ die Höhle.

Itachi rollte den Brief zusammen und ließ ihn in seinem Ärmel verschwinden. Er war für die Boten, die er nach Sunagakure schicken wollte, um die Lage dort zu erkunden. Dann löschte er die Kerzen, die blau und orangegelb auf seinem Schreibtisch flackerten, und starrte in die Dunkelheit. Wie immer, wenn es um ihn herum finster war, sprang plötzlich Sakura in seine Gedanken. Er wollte nicht wissen, warum das so war. Seinen Leuten hatte er verboten, sie zu suchen.

Er würde sie selbst suchen, wenn seine Anwesenheit entbehrlich war.
 

Das Erwachen war eine schmerzvolle, heftige Erfahrung. Sie schrie nicht mehr, denn nur im Traum hatte sie die Kraft dazu gehabt. Sie öffnete einfach abrupt die Augen, sodass das grelle Licht ihren Kopf mit Schmerz durchspülte und den Albtraum fortwusch. Irgendwo neben ihr rauschte Wasser, doch sie war zu benommen, um die genaue Richtung festzustellen und den Kopf drehen konnte sie praktisch nicht. Über ihr war etwas Grünes zu sehen, dahinter Blau und Weiß. Es dauerte eine Weile, ehe sie bemerkte, dass Wolken über den Himmel zogen und sie sich in einem Wald befand. Sie lag auf etwas Weichem, aber Stacheligem … Stroh? Die Erinnerung ließ sie zusammenzucken und verknotete ihren Hals. Eine Schmerzwelle, die aus der Bewegung entstand, rollte durch ihren kalten Körper und ließ sie stöhnen. Ruhig, sagte sie sich. Es ist vorbei. Du bist woanders. Dennoch war es schwer, ihren Atem zu beruhigen.

„Bist du wach?“, fragte eine Stimme. Es dauerte einen Moment, bis sie sie einordnen konnte.

Unter großer Anstrengung wandte sie den Kopf. Sasuke saß drei Meter entfernt auf einem flachen Felsen, der in einen schnellen Fluss ragte. Auf Stöcke gespießt steckten fünf kleine, zerfetzte Fische über den glimmenden Überresten eines heruntergebrannten Lagerfeuers. Nein … diese Farbe … rot glühend wie seine Augen … und der Geruch nach Rauch, wie sein Mantel. Sakura stöhnte auf, kniff die Augen zusammen und krümmte sich. Seine Hände, überall … Schmerz, Blicke, Wut, Scham, Angst … „Neiiiin“, stöhnte sie durch die zusammengebissenen Zähne. Bilder stürzten auf ihr benebeltes Bewusstsein ein, aus ihren Erinnerungen, aus ihrem Traum, alles vermischte sich. Sie wollte kämpfen, alles in ihr schrie danach, die Fäuste zu erheben und mit der Kraft ihres Chakras Itachi zu Staub zu zermalmen … Sie kam erst zu sich, als sie jemand an der Schulter rüttelte.

„Sakura, was ist? Sakura.“

Der Klang seine Stimme, wie er ihren Namen sagte, ließ sie die Augen aufschlagen. Sie sah in Sasukes Gesicht. Nicht Itachi, Sasuke. Sie war in Sicherheit. „Es geht schon …“, murmelte sie. „Ich hatte einen … Albtraum.“

Er wirkte nicht überzeugt, aber sie sah etwas in seinen Augen, das sie am allerwenigsten von ihm erwartet hatte: Sorge. Oder war es vielleicht doch nur simple Unbehaglichkeit? „Du hast Fieber“, sagte er.

„Ich fühle mich kalt“, murmelte Sakura und unterdrückte ein Zittern, schlang die Arme um ihren Körper. Die grobe Arbeiterkleidung war von ihrem Schweiß durchnässt und klamm geworden.

Sasuke schien mit sich zu ringen, dann zog er seinen dunklen Mantel aus und reichte ihn ihr, ohne sie anzusehen. „Hier“, sagte er.

Sakura starrte ihn ungläubig an, dann lächelte sie. „Danke.“

„Jetzt nimm schon.“

Während sie sich in den Mantel einwickelte, so gut es ging, ohne sich viel zu bewegen – es half nicht wirklich gegen die nasse Kühle –, ging er zum Feuer und bückte sich. Sakura musste kurz das Bewusstsein verloren haben, denn plötzlich hockte er direkt vor ihr, zwei der Spieße in der Hand. „Hier, iss. Du musst zu Kräften kommen.“

„Das ist nett von dir“, murmelte Sakura.

„Unsinn“, sagte er sofort. „Du hast mir noch nicht gesagt, was ich wissen will. Ich brauche dich lebend. Und bei Kräften.“

Sakura tat, als hätte sie nichts gehört, und starrte den Fisch an. Er war klein und seine Haut an vielen Stellen aufgerissen und ein wenig angekokelt. Sie hatte keinen Hunger. Ihr Magen schien einfach nicht mehr vorhanden zu sein. „Hast du die gefangen?“, fragte sie. Ihre Mandeln schmerzten, als sie versuchte, ein wenig lauter zu sprechen.

„Nein. Sie lagen tot am Ufer. Der Sturm muss sie erwischt haben.“ Sasuke biss herzhaft in seinen Fisch hinein und riss die Hälfte des Rückens herunter, sodass bleiche Gräten sichtbar wurden. „Keine Sorge“, sagte er kauend, „das viele Chakra hat sie anscheinend konserviert. Sie schmecken wie frisch gefangen.“

Appetitlos knabberte Sakura an ihrem Fisch. Schweigend aßen sie. Sakura schaffte nur die Hälfte, dann konnte sie nicht mehr, obwohl kaum etwas an dem Tier dran gewesen war. Sasuke reichte ihr den Wasserschlauch, sah dann aber ein, dass sie sich selbst nicht aufrichten konnte, um zu trinken. Unbeholfen kniete er sich neben sie, hob mit einer Hand ihren Oberkörper an und flößte ihr mit der anderen Wasser ein. Sie war von der Berührung wie paralysiert und sah ihn groß an. War das nun der Sasuke, den sie die ganze Zeit zu finden und zurückzubringen versucht hatten? Oder der Sasuke, den sie in Konoha gekannte hatte? Oder …

Sie wurde schläfrig, und er sah es ihr an. „Schon gut“, murmelte er, als hätte er in ihr schlechtes Gewissen geblickt. „Schlaf nur. Ich halte Wache.“ Dabei waren seine Augenringe tiefschwarz und sein Gesicht hatte einen blassen Grauton angenommen!

„Nein“, wehrte sich Sakura. „Du musst auch … Ein paar Stunden schaffe ich …“

„Du sollst schlafen“, sagte Sasuke schärfer.

Sakura sah ihn noch einen Moment trotzig an, dann seufzte sie und glitt in einen unruhigen Dämmerzustand über. Wenige Minuten schreckte sie mit einem Aufschrei wieder hoch. Die Albträume waren zurückgekehrt, noch schlimmer als zuvor.

Sasuke saß nun wieder auf seinem Felsen und sah sie fragend an.

Sakura schloss die Augen und zwang sich, wieder einzuschlafen, aber da waren sie wieder, lange Finger, die sich nach ihr ausstreckten, ihr eigenes Spiegelbild, das vom Chakrasturm verbrannt und aufgelöst wurde … Wieder schlug sie die Augen mit einem erstickten Keuchen auf.

„Was hast du?“ Sasuke klang kühl, aber nicht genervt, das beruhigte sie etwas. Mittlerweile atmete sie wie nach einem Dauerlauf.

„Ich … kann nicht schlafen. Ich … Albträume“, brachte sie hervor.

Sasukes Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Ohne Schlaf wirst du nicht gesund.“ Sie schnitt eine gequälte Grimasse. Da kam Sasuke plötzlich so nah an ihr Gesicht, dass sie erschrocken zurückzuckte.

„W-was ist?“ Die Kälte verschwand, zumindest in ihren Wangen, und in ihrer Brust glomm ebenfalls etwas Warmes auf.

„Sieh mir in die Augen“, sagte er. „Ich helfe dir beim Einschlafen.“

Sieh mich an. Sieh mir in die Augen. Itachis Worte, als er ihr die Unschuld gestohlen hatte.

Nein!“, kreischte sie und mit einer Kraft, die sie selbst nicht erwartet hatte, stieß sie Sasuke von sich fort. Er stolperte rückwärts und landete platschend im Fluss. Knurrend arbeitete er sich hoch. Sakura biss die Zähne zusammen und schlug die Augen nieder. „Tut mir leid“, hauchte sie erstickt. Tränen fanden ihren Weg über ihre Wangen. Schluchzend presste sie sich die Hand vor den Mund.

Er baute sich vor ihr auf, sah auf sie hinab, doch er schien höchstens verwirrt, nicht wütend. Seine Hosen und ein Teil seines schwarzen, ärmellosen Hemdes waren triefend nass.

„Bitte … versuchen wir es nochmal“, murmelte Sakura kleinlaut.

Sasuke schüttelte seufzend den Kopf, ging aber wieder vor ihr in die Knie. Diesmal hielt er etwas Abstand, aber ihr Herz klopfte dennoch schneller, als er sie aus dieser Nähe unverwandt ansah. Aber es war keine Furcht, die sie spürte, sondern etwas … anderes, etwas, das ihr benebelter Verstand nicht richtig einordnen konnte. Und dann sah sie, wie seine dunklen Augen sich veränderten, langsam, wie sie Stück für Stück rot wurden, aber es war immer noch Sasuke, sagte sie sich, immer noch er. Er konnte seine Sharingan noch einsetzen, konnte noch Genjutsus benutzen. Hatte er noch Chakra übrig? Ein letztes Bisschen? Er opferte es für sie?

Als sein Blick starr wurde, fühlte sich Sakura, als würde ihr Kopf leergefegt werden. Sie atmete tief aus und merkte nicht einmal, wie sie einschlief.

Als sie das nächste Mal erwachte, fühlte sie sich tatsächlich besser. Sie hatte diesmal nichts geträumt. Es war Nacht, Sterne standen am Himmel, blickten wissend auf die Welt hinab. Das Lagerfeuer brannte wieder, Sasuke starrte stumm in die Flammen. Er war immer noch da … Er hätte sie auch einfach zurücklassen können. Aber nein, was machte sie sich etwas vor: Er wollte nur die Kristalle.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er, ohne in ihre Richtung zu sehen, hatte wohl ihre Bewegungen oder ihren veränderten Atem gehört.

Sakura war überrascht, dass sie es sogar schaffte, sich aufzurichten, und noch überraschter, als es ihr gelang, auf allen Vieren zum Feuer zu kriechen und sich neben ihn zu setzen. Trotz seines Umhangs fröstelte sie. Sasuke streckte die Hand nach ihrer Stirn aus und sie zuckte unter der Berührung, aber er ignorierte es. „Immer noch Fieber“, murmelte er.

„Tut mir leid“, sagte sie leise.

„Wofür entschuldigst du dich?“

„Für … alles.“ Sakura wich seinem Blick aus. Es war immer noch wie ein Traum, hier mit ihm am Feuer zu sitzen, nachdem er so lange nichts von ihr hatte wissen wollen. Er war in vielerlei Hinsicht der Ritter auf dem prächtigen Schimmel gewesen, hatte sie aus der Hölle befreit und kümmerte sich nun sogar um sie, und sie dankte es ihm, indem sie ihm die Sache mit Itachi vorenthielt und ihn mit den Kristallen erpresste … Aber könnte sie ihm denn trauen? Die Kristalle waren vielleicht alles, was ihn interessierte … Trotzdem fragte er sie nicht danach, obwohl sie schon wieder einigermaßen fit war. „Wie lange hab ich geschlafen?“

„Fast zwei Tage“, sagte Sasuke und stocherte mit einem Stock in den Flammen herum. Er wirkte abwesend, aber vielleicht lag das an den Flammen, die auf seinem Gesicht tanzten. „Bevor du fragst, ich war nicht die ganze Zeit wach. Aber unsere Verfolger haben uns nicht gefunden.“

Sakura horchte auf. „Wir haben Verfolger?“ Warum war sie eigentlich überrascht? Ab heute gehört sie mir.

Er zuckte mit den Achseln. „Es sind Leute aus der Mine in der Nähe gewesen. Ich habe sie aus der Ferne gesehen. Sie sind nach Südwesten gegangen, ein ganzer Zug von ihnen, mit zwei großen Karren. Vielleicht haben sie uns gesucht, vielleicht auch nicht.“

Ein Karren wie der, auf den sie Sakura gekettet hatten? „Das ist meine Schuld. Wenn du alleine wärst, wärst du schon viel weiter. Nein, wenn du alleine wärst, würden sie dich gar nicht erst suchen.“

Sein Mundwinkel zuckte. „Die haben mehr Grund, mich zu jagen, als dich.“ Er sah sie eindringlich an. „Sag mir die Wahrheit. Wenn sie uns finden, werde ich kaum vorgeben können, dass du meine Geisel bist, oder? Sie haben dich gefangen gehalten.“

Sakura nickte peinlich berührt. Sie glaubte zwar, es ihm bereits gesagt zu haben, aber trotzdem war es ihr unangenehm. Er musste sich doch fragen, warum ausgerechnet sie bei ihnen gelandet war … Und wenn er von selbst schon auf die Wahrheit gekommen war, auf die ganze, dunkle Wahrheit? Sie würde vor Scham im Boden versinken wollen.

„Dort, wo wir Halt gemacht haben … Warst du dort mit Kakashi?“

Er hatte zwei und zwei zusammengezählt. Sie schluckte. Tränen wollten sich in ihren Augen sammeln, doch sie zwang sie zurück. Mit belegter Stimme sagte sie: „Er hat mich vor dem Chakrasturm gerettet, aber er wurde selbst schwer getroffen. Ich hab versucht, mich um ihn zu kümmern, aber dann haben mich diese Typen entführt.“ Sie blinzelte. Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Hatte sie sie nicht mit aller Kraft zurückgehalten? Offenbar wollte sie ihr Körper unbedingt vor Sasuke bloßstellen und sie wieder in das kleine, ängstliche, verweinte Mädchen zurückverwandeln, das sie früher einmal gewesen war.

„Warum haben sie das getan? Wollten sie dich bloß als Arbeitskraft?“

Sakura biss die Kiefer aufeinander. Eine Weile antwortete sie nicht, aber wenigstens darüber wollte sie nicht lügen. „Nein … Sie dachten, ich hätte etwas mit einer Prophezeiung von Jashin zu tun.“

„Tatsächlich?“ Er hob die Augenbrauen.

„Sie haben geglaubt, ich wäre … auserwählt, um ihm geopfert zu werden. Aber dann haben sie ihre Meinung geändert und mich zum Arbeiten eingeteilt.“ Sie rückte näher an das Feuer heran, zog sich seinen Mantel enger um die Schultern. Immer noch war ihr kalt. Strömte das Feuer überhaupt Hitze aus? Oder hatte der Sturm sogar dieses Naturgesetz umgekrempelt?

Eine Weile schwiegen sie beide. Schließlich stand Sasuke auf. „Du solltest dich wieder hinlegen. Ich versuche, im Wald etwas zu essen zu finden.“ Erst jetzt schienen ihm die Tränen aufzufallen, die glitzernd an ihren Wangen hinabliefen. „Was hast du?“

Sakura zuckte zusammen, bemerkte erst jetzt, dass sie immer noch weinte. Hastig fuhr die sich mit dem Handrücken über die Augen. „Nichts … Es ist nur …“ Bitter seufzend ließ sie die Hand sinken und starrte in die tanzenden Flammen. Wie eine Sturmflut brach es aus ihr heraus. „Sogar jetzt, wo die Welt untergegangen ist, bin ich nur eine Last für alle! Weil Kakashi-sensei mich gerettet hat, wurde er verletzt. Weil ich mich von diesen Kerlen entführen hab lassen, ist er gestorben. Und jetzt hast du mich am Hals, ich bin krank und wehrlos und das alles, wo sie doch hinter uns her sind …“ Die Tränen wurden immer mehr, aber sie hatte keine Lust mehr, sie zurückzuhalten. Sie hätte jetzt am liebsten alles in die Flammen geschrien, in diesem Moment hätte sie beinahe erzählt, was in den Minen mit ihr geschehen war, aber sie hielt sich im letzten Augenblick zurück. Wenn sie ihm von Itachi erzählte, würde er sie mit Sicherheit ihrem Schicksal überlassen. Und das wollte sie nicht. Mehr noch als gesund zu werden wollte sie, dass er sie nicht verließ. Nicht schon wieder.

Sie spürte Sasukes Blicke in ihrem Nacken, wünschte sich, sie könnte seine Gedanken lesen. Da sagte er: „Wenn du eine Last wärst, hätte ich dich schon zurückgelassen.“

Sakura kniff schluchzend die Augen zusammen, während er im Wald verschwand.
 

Die nächsten Tage ging es ihr immer besser. Sie war immer noch erstaunt, wie aufopfernd Sasuke sich um sie kümmerte. Fürchtete er, sie könnte ihn wegen der Kristalle anlügen, absichtlich oder im Delirium? Dass das Chakra in ihnen beim kleinsten Fehler verloren wäre?

Drei Tage lagerten sie am Ufer des Flusses, einmal sah Sasuke noch die Spuren eines Erkundungstrupps. Das Fieber ging jedoch nicht ganz weg, und sie brauchte immer noch seine Hilfe, um einschlafen zu können, auch wenn neuerdings seine normalen Augen ausreichten, wenn sie nur tief genug hineinsah. Ihn sah sie nie schlafen, obwohl er behauptete, dass er es tat, und auch nicht mehr so erschöpft aussah.

Am dritten Tag bot Sakura an, Sasukes Mantel auszuwaschen. Falls ihre Krankheit ansteckend war, würde es zwar nicht wirklich etwas nutzen, da sie die ganze Zeit über aus demselben Wasserschlauch getrunken hatten, aber wie ihre eigene Kleidung hatte sie auch den Umhang vollgeschwitzt und das war ihr peinlich. Als er ihn wieder anzog, sagte Sakura zögerlich: „Sasuke, ich wollte dir danken … dafür, dass du mich gesund gepflegt hast.“

„Du bist von alleine wieder gesund geworden“, sagte er abweisend.

Sakura sah auf ihre Fußspitzen und biss sich auf die Lippen. „Hör mal, ich weiß, es ist egoistisch, aber … bevor wir die Kristalle auflösen, habe ich noch eine Bitte. Kannst du mich nach Konoha bringen?“

Er sah sie lange mit undeutbarem Blick an. „Wenn du unbedingt willst, bringe ich dich hin“, sagte er schließlich. „Aber es wird dir nicht gefallen, was du dort siehst.“

„Wie meinst du das?“ Ihr Herz schlug plötzlich schneller. Hitze wallte in ihr auf, keine Ausgeburt des Fiebers, sondern die Angst vor seinen nächsten Worten.

„Was denkst du denn? Konoha liegt in Trümmern.“
 

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Das war's auch schon wieder. Hat immer noch nicht die Länge erreicht, die ich will, aber es ist immerhin länger als das letzte^^

Was kann ich noch sagen? Ich mag solche Traumszenen total^^ Hoffe, sie war auch schön stimmig und verworren, wie Träume es eben gerne sind. Ich glaube, man sieht vorerst auch gut, wie die Erlebnisse in der Mine Sakura geprägt haben. Ich hoffe, dass es außerdem In-Character war.

Bei der Gelegenheit (und weil ich ja jemand bin, der gern Kreuzverweise zu all seinen FFs macht^^) will ich ein wenig Schleichwerbung machen, für eine andere FF von mir, ebenfalls Sakura-centric und Darkfic, aber in einer anderen Richtung und mit anderen Pairings. Wenn ihr Lust habt, schaut mal rein, einige von euch kennen sie ja schon: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/466454/277265/

Einen Trailer gibt es übrigens auch dazu.

Apropos Trailer: Zu Armageddon werde ich auch noch einen Trailer basteln. Ich kann noch nicht sagen, wann ich dazu komme, aber ich will unbedingt einen machen :)

Bis zum nächsten Kapitel also!

Ruinen eines Lebens

Sie war auf den Anblick nicht gefasst gewesen. Obwohl sie es sich den ganzen Weg lang vorgestellt hatte, hätte sie nicht erwartet, was sie sah, als die letzten Bäume vor ihnen wichen und sie und Sasuke auf die Überreste des einst so großen und lebensprühenden Dorfes hinabblickten.

Wäre der Hokage-Berg mit den verwaschenen Gesichtern nicht gewesen, hätte sie einfach nicht geglaubt, schon da zu sein. Aber die steinernen Antlitze der Hokage starrten leblos und wehmütig auf die Trümmer nieder und wirkten dabei verzerrt, verformt, zerschlagen, rissig, ebenfalls vom Sturm in Mitleid gezogen. Das neueste Gesicht, das von Tsunade, war nur noch ein runder, gewellter Auswuchs, eine riesige Pustel auf dem Berg.

Die Häuser waren zerfallen, als hätte jemand die Wände verschwinden lassen. Dachziegel lagen bunt auf den Straßen, die keine Straßen mehr waren, sondern kaum merkliche Schluchten zwischen den Ruinen. Die Farben der Plakate und Schilder waren bleich geworden, Schriftzüge fast unleserlich, als würden sie seit Jahrzehnten verwittern. Und nichts, absolut nichts war übrig geblieben! Kein Leben, kein noch so kleines, kein noch so stabiles Gebäude.

Der Himmel war grau und bedeckt, selbst die Sonne verschloss ihr feuriges Auge vor diesem Anblick. Sakura stand minutenlang da, versuchte zu begreifen, was sie sah. Sollte keiner der Ninjas überlebt haben? Traf ihr erster Eindruck von der Katastrophe tatsächlich zu? All ihre Freunde, alle, die sie liebte …? Aus den Minuten wurde eine Stunde, und immer noch konnte sie den Blick nicht von der Zerstörung lösen. In der Nähe des Dorfes waren die Bäume verdorrt und in scharfem Winkel gebogen, weiter weg hatte der Tod nicht so gründlich Einzug gehalten. „Wie kann das sein?“, flüsterte Sakura erstickt. „Wie können wir überlebt haben, wenn das alles … Wie können die Leute in ihren Minen überlebt haben, wie kann überhaupt noch irgendwas da sein, wenn Konoha jetzt so aussieht?“

Sasuke trat an ihre Seite. Er wirkte verändert, bedrückt, obwohl er die Szene bereits gesehen hatte. Steckte ihn Sakuras Stimmung an? „Ich glaube, ich weiß es“, murmelte er. „Kabuto hat einmal Andeutungen über ein Experiment gemacht, einen Ninja namens Aoka. Er besaß die einzigartige Fähigkeit, Chakra zu speichern, und er konnte es auch wieder entlassen. Kabuto sagte, wenn er das tut, ist sein Chakra aggressiv. Wenn es auf andere Lebewesen trifft, reißt es ihr komplettes eigenes Chakra aus deren Körpern und zerrt es mit sich. Darum war der Chakrasturm so vernichtend. In unserer Nähe war er im Grunde noch gar nicht so stark, aber je weiter er sich ausgebreitet hat, desto mehr Nahrung hat er gefunden. Hier, in einem Dorf, wo die meisten Leute Shinobi sind, hat ihr geballtes Chakra den Sturm so weit verstärkt, bis …“ Er sprach nicht weiter.

Jetzt, dachte Sakura. Jetzt wäre wahrlich die Zeit um zu weinen. Aber diesmal, ausgerechnet diesmal wollten keine Tränen kommen. Da sah sie plötzlich etwas, unten im Trümmerfeld war eine Bewegung, ein Schatten. Ohne weiter darüber nachzudenken stürmte Sakura los, so schnell ihre noch wackeligen Beine sie trugen. Sasuke ließ keinen Laut vernehmen, aber sie hörte, wie er sie vefolgte.

Sie stolperte über Trümmer und scharfkantige Steinbrocken, zersplittertes, morsches Holz. Nach wenigen Schritten waren ihre Waden zerschnitten und blutig, doch sie ignorierte den Schmerz. Ein Lebenszeichen, da war ein Lebenszeichen gewesen! Sie umrundete Berge von Schutt, kletterte über Häuserskelette und wich knochigen, geschmolzenen Strommasten aus, die wie die Rippen eines gewaltigen Tieres über den Boden krochen. Als sie atemlos an der Stelle stehenblieb, wo sie die Bewegung gesehen hatte, war da nichts mehr. Hatte sie sich geirrt? Hatte eine verzweifelte Hoffnung Wahnvorstellungen in ihren Kopf gepflanzt?

Sasuke kam hinter ihr zum Stehen, während sie die Hand gegen eine schräg stehende Holzwand legte, dann die Stirn. Unter ihren Füßen lag ein ausgeblichenes Schild, das fröhlich verkündete, dass dies ein Restaurant war. Es wunderte sie, dass sie keine Leichen gesehen hatte, aber wahrscheinlich hatte der Chakrasturm alles Organische einfach in Rauch aufgelöst, wie er es mit Sai getan hatte.

Sie hörte ein Geräusch hinter sich und sah, wie Sasuke herumfuhr. Dort drüben hatten sich umgestürzte Wände und Dachbalken verkeilt, sodass ein Zelt aus Schutt entstanden war. Aus dem Schatten darunter stachen große, angstvolle Augen.

„Komm heraus“, befahl Sasuke.

Die schmale, ausgemergelte Gestalt, die aus ihrer Höhle kroch, hielt Sakura zunächst für jemanden aus dem Dorf, doch wenn es so war, dann kannte sie sie nicht. Es war ein junges Mädchen von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren und so schmutzig, dass seine Haut kaum zu sehen war. Seine Augen waren groß und geweitet. Die Kleidung war zerrissen. In der Höhle sah Sakura einen Stapel Pappkartons. Es versetzte ihr einen Stich, als sie darauf schwungvoll den Schriftzug von Ichirakus Ramen erkannte. Außerdem lagen in der armseligen Unterkunft leere Milchpackungen herum und in einer Ecke glitzerte etwas, das wie wertvoller Schmuck aussah. Zuerst wollte Sakura schon wütend werden, dass jemand so schändlich Konohas Ruinen geplündert hatte, aber dann vergegenwärtigte sie sich, dass es kaum Diebstahl war, wenn niemand mehr lebte, der es sonst nehmen könnte. Sie beugte sich vor und fragte: „Wie heißt du? Bist du aus dem Dorf?“ Ihre Stimme klang wohl doch schärfer, als sie es gewollt hatte, denn das Mädchen ignorierte die erste Frage und schüttelte nur den Kopf.

„Hast du etwas Wertvolles bei dir? Oder etwas zu essen?“, fragte Sasuke. Das Mädchen erschrak und seine Augen wurden noch größer.

„Sasuke!“, sagte Sakura scharf.

„Wir können alles brauchen“, beharrte er. „Ich habe es satt, immer nur Beeren und Fisch zu essen.“

„Aber du verängstigst sie.“ Sanft sagte sie: „Hab keine Angst. Wir wollen dir deine Sachen nicht wegnehmen. Kommst du von weit her?“ Sakura zog es vor, Sasukes abfälliges Zischen zu überhören.

Die Stimme des Mädchens war piepsig, als es antwortete. „Nein, nicht weit. Aus dem Norden. Ich bin aus Neuanfang fortgegangen.“

„Neuanfang?“, hakte Sasuke nach.

Das Mädchen nickte. „Arata na Hajimari. So heißt die Stadt im Norden.“

„Es gibt noch eine Stadt?“, fragte Sakura ungläubig.

„Sie ist neu. Wir haben sie gebaut. Wir leben jetzt dort“, erzählte das Mädchen nicht ohne Stolz.

„Wen meinst du mit wir?“, fragte Sakura.

„Überlebende“, sagte Sasuke. „Es hat wohl noch ein paar gegeben. Offenbar haben sie sich dort oben zusammengerottet und wohnen jetzt in Ruinen.“

„Aber warum bist du fort?“, wollte Sakura wissen.

Der Blick des Mädchens wurde traurig. „Sie haben mich nicht gewollt“, sagte es. „Meine Mutter ist gestorben, und jeder, der in Neuanfang wohnen will, muss hart arbeiten. Ich bin nicht so stark wie die anderen.“

„Also haben sie dich verstoßen?“ Sakura konnte darüber nur den Kopf schütteln.

„Das ist nicht mehr die Welt, die du kennst, Sakura“, erinnerte sie Sasuke. „Und wir werden sie auch nicht mitnehmen.“ Woher hatte er gewusst, was sie als nächstes sagen wollte? Sakura sah ihn nur verärgert an, aber seine Augen waren noch ernster als sonst. „Sie findet vielleicht in den Ruinen, was sie braucht. Sie wäre uns nur ein Klotz am Bein.“

Ein Klotz am Bein. Wie ich damals. Sakura schluckte. Das Mädchen erinnerte sie an sich selbst, als Sasuke sie zurückgelassen hatte, als sie vorgeschlagen hatte, mit ihm Konoha zu verlassen. Nur dass sie Naruto und die anderen gehabt hatte, und das Mädchen war allein. Dennoch wusste Sakura, dass sie kein Recht hatte, etwas anderes von ihm zu verlangen. Es war ein Wunder, groß genug, dass er sie überhaupt mitnahm.

Das Mädchen schien auch nichts zu erwarten, denn es sah die beiden nur noch eine Weile nervös an und blickte zurück zu der Höhle. „Ist schon gut. Wir gehen wieder“, seufzte Sakura.

Die Kleine nickte und kroch in ihre Unterkunft zurück. Während Sakura und Sasuke durch die Trümmer marschierten, verspürte Sakura noch schlechtes Gewissen, dieses Kind sich selbst zu überlassen. Das Gefühl wurde jedoch alsbald von der niederschmetternden Zerstörung niedergerungen. Konoha war nichts mehr, was ein Dorf ausmachte – es wirkte wie ein Feld, auf dem statt Getreide Schutt wuchs, als hätte der Chakrasturm auch dieses Gesetz der Natur gebrochen und ins Lächerliche gezogen.

Schließlich konnte sie nicht mehr weitergehen und blieb seufzend stehen. Hier irgendwo war ihr Haus gestanden, und sie konnte nicht einmal genau sagen, wo. Ihre Eltern … Tränen schmerzten in ihrem Hals, fanden aber den Weg bis zu ihren Augen nicht mehr. Sie fühlte sich leer, als sie an den Überresten von Inos Blumenladen vorüberging, und fast war es ihr, als hörte sie die Stimme ihrer Freundin, die sie rief.

In dem Moment wusste sie nicht mehr, ob das hier einfach nur ein Albtraum war, oder ob sie gerade aus einem schönen Traum in eine schreckliche Realität aufgewacht war. „Du hast das schon mal gemacht, oder?“, murmelte sie leise.

„Was?“, fragte Sasuke. Er hielt sich hinter ihr, als wollte er das letzte Bild, das sie von Konoha sah, nicht stören.

„Dein Leben hinter dir gelassen“, sagte sie. „Du weißt, wie es geht.“ Er schwieg, also fuhr sie fort: „Nichts ist mehr so, wie es war. Als wären wir in eine völlig neue Welt geschleudert worden. Nur wir beide. Und es gibt Städte, die wir nicht kennen, und Leute, die wir nicht kennen.“

„Mach dir einfach nicht so viele Gedanken.“ Sasuke ging an ihr vorbei, trat mit dem Fuß ein paar Bretter weg, die eine Häuserruine verschlossen, die aus schwerem Backstein war. Erst, als er im Inneren verschwand, sah Sakura den abgerissenen, keilförmigen Schornstein, der sich davor in die Erde gegraben hatte. Sie versuchte sich zu erinnern. War das eine Bäckerei gewesen?

Sasuke kam mit Wasserflaschen und einem verkohlten Brotlaib zurück. Sie aßen, während sie weitergingen. Das Brot schmeckte grauenhaft bitter, aber es füllte den Magen. Das Wasser war nicht so schleimig wie das in den Minen, von dem Sakura vermutete, dass es sie krank gemacht hatte.

„Was tun wir jetzt?“, fragte sie, als sie fertig waren. Das Hokage-Gebäude war trotz seines Zustands noch gut zu erkennen und sogar noch begehbar. Die formlos gewordenen Gesichter der Hokage starrten steinern und erbärmlich auf sie herab.

Sasuke sah in den Himmel. „Wir werden hier übernachten. Zur Not können wir uns hier gut verteidigen.“

„Das meine ich nicht. Was tun wir danach? Wohin wollen wir?“

Sasuke zuckte mit den Schultern und warf einen Blick auf die Flasche in seiner Hand. „Hier im Dorf gibt es sicher noch genug Dinge, von denen wir leben könnten, wie das Mädchen eben. Aber ich vermute, du willst nicht hierbleiben.“

Sakura schüttelte den Kopf. Sie war überrascht, dass er ihre Gefühlswelt überhaupt berücksichtigte. Vielleicht war da doch mehr als nur die Hoffnung, dass sie ihm die Kristalle öffnen würde? Nein, das wollte Sakura sicherheitshalber nicht glauben. Er hatte sie damals genug verletzt, als er einfach gegangen war, obwohl sie ihm ihre Liebe gestanden und ihn angefleht hatte, sie mitzunehmen. Außerdem ist zu viel passiert, sagte sie sich.

„Wir pflegen dich hier gesund, dann machen wir uns wieder auf den Weg“, bestimmte er. „Es bringt nichts, nur durch die Gegend zu streifen. Wir versuchen, diese Stadt zu finden, Neuanfang. Wo Menschen sind, können wir vielleicht in Erfahrung bringen, wo andere Menschen sind.“

„Andere Menschen?“, murmelte Sakura. „Was hast du jetzt eigentlich vor, nachdem die Welt untergegangen ist?“

„Für mich hat sich nichts geändert“, sagte er mit harter Stimme. „Ich werde Itachi finden und töten. Auch wenn es jetzt den Anschein hat, dass mein Training bei Orochimaru umsonst war.“

Das hatte sie befürchtet. Schweigsam half Sakura ihm, als er den Schutt vor einem Loch in der Mauer des Hokage-Gebäudes aus dem Weg schob. Sie übernachteten in der Bibliothek, was zwar schmerzte, als sie an die vielen Stunden dachte, die sie hier für ihre Medic-nin-Ausbildung gelernt hatte, aber der Raum war einer der wenigen, dessen Decke noch halbwegs intakt und nicht einsturzgefährdet war. Sie räumten die Bücher zur Seite, die aus den Regalen gefallen waren und den Fußboden wie ein Teppich bedeckten, und Sakura fand in einem der angrenzenden Räume Vorhänge und Tücher, die sie als Matratzen herrichteten. Nebeneinander schliefen sie ein, doch obwohl Sakura sich immer danach gesehnt hatte, ihn so nah bei sich zu wissen, spürte sie nichts, und das entsetzte sie vielleicht mehr als der Zustand dieses Gebäudes. Nicht nur Konoha lag in Trümmern, es konnte sein, dass es ihrem Herz ebenso ging. Was sollte sie machen, wenn sie nie wieder wirklich lieben konnte?

Die düsteren Gedanken gingen in einen düsteren Traum über. Diesmal handelte er nicht von ihr selbst, aber von dem Mädchen in den Ruinen. Es lag blutüberströmt in der Tropfsteinhöhle, während der Jashinist mit dem Reisbauernhut es mit einer Handsense aufschnitt und die ganze Gemeinschaft im Chor rief: „O Jungfrau, die dem Donner entsprang …“

Als Sakura schweißgebadet aufwachte und einen Schrei ausstieß, regte sich etwas neben ihr und plötzlich war ein Gewicht auf ihr, ein dunkler Mantel verdeckte die Schemen, die sie sah, und eine Hand presste sich auf ihren Mund. Sakura versuchte zu schreien und wehrte sich nach Kräften, schlug um sich, kratzte nach unsichtbaren Augen, versuchte zuzubeißen und sich herumzuwälzen, aber je mehr sie zappelte, desto fester wurde der Griff, der sie zu Boden zwängte. Dann schwebten zwei rote Augen vor ihr in der Dunkelheit, sahen sie zornig an, blitzten in irgendeinem Licht, das durch die Falten des Mantels kroch.

Sakuras Herz jagte. Wie hatte er sie gefunden? Itachi war nicht in ihrem Traum gewesen – hatte er einen Weg daraus in die Realität gefunden? „Sei ruhig, verdammt!“, zischte eine scharfe Stimme in ihrem Ohr.

Nein, sie würde nicht ruhig sein! Sie würde es nicht dulden, nicht noch einmal! Die Hand drückte so fest gegen ihre Zähne, dass es wehtat, und eine andere war um ihren Bauch geschlungen und presste sie zu Boden, aber ansonsten tat er nichts. Wollte er sich an ihrer Verzweiflung weiden? Erst ihren Willen brechen?

Erst nach einer Ewigkeit des stummen Ringens merkte sie, dass sie sich irrte. Das Gesicht über ihr gehörte nicht zu Itachi, sondern zu Sasuke, und über seinen Augen hatte sich eine steile Falte gebildet. Abrupt wurde Sakura ruhig, lauschte nur ihrem hämmernden Herzen. Er lockerte den Griff ein wenig, hielt ihr aber weiterhin den Mund zu und nickte in die Dunkelheit.

Es hatte zu regnen begonnen. Sie hörte harte, schnelle Tropfenschläge auf dem Dach. Irgendwo fand das Wasser seinen Weg durch die Ruinen und die Decke, denn neben ihrer Schulter hatte sich eine Pfütze gebildet. Dann hörte sie es auch: Das Klacken wie von Hämmern oder Spitzhacken. Sakura fühlte sich unangenehm in die Minen zurückversetzt. Dann war da auch das Gemurmel, gedämpft, aber es war da. Mehrere Leute schlugen sich einen Weg in das Hokage-Gebäude frei. Konnte das ein Zufall sein? Dass jemand einen Tag, nachdem sie hier Zuflucht gefunden hatten, auf dieselbe Idee gekommen war?

Wohl eher nicht.

Sasuke schien dasselbe zu denken. Er ließ von ihr ab, bedeutete ihr leise zu sein und schlich zur Wand. Sakura folgte ihm und presste sich gegen das Regal. Jetzt waren auch Schritte zu hören; offenbar hatten die Leute einen Eingang gefunden. Flackernder Lichtschein erhellte den Gang draußen. Sakura hielt den Atem an. Das Feuer leuchtete blau.

„Das sind sie“, hauchte sie. Sasuke sagte kein Wort. Nun wurden auch die Männer sichtbar. Es waren acht, und Sakura hätte ihre schwarzweiß bemalten Gesichter gar nicht sehen müssen, um zu wissen, wer sie waren und was sie wollten. Und sie unterhielten sich soeben über das ungünstigste aller Gesprächsthemen: Über Itachi.

„Aber Fukita hat recht“, sagte soeben der, der voranging und den Gang gründlich mit seiner Laterne ausleuchtete. „Auch wenn der Hohepriester das sagt, wir können es doch nicht einfach ungesühnt lassen.“

„Der Meinung bin ich auch. Selbst wenn sie nicht die aus der Prophezeiung ist, opfern können wir sie allemal.“

„Fukita hat gesagt, wenn wir beim Plündern nochmal auf sie stoßen, sollen wir kurzen Prozess machen.“

Der erste lachte. „Da freu ich mich schon drauf, glaubt mir!“

„Aber … der Hohepriester wird wütend, wenn er das erfährt …“, murmelte ein anderer zaghaft.

„Ich spucke auf den Hohepriester!“, sagte der mit der Laterne.

Sakura war schon ganz schwindlig. Sie atmete so flach wie möglich und bemühte sich weder ein Geräusch zu machen noch sich zu bewegen. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis Itachis Name fiel … Und was Sasuke dann machen würde, wollte sie gar nicht wissen. Er hockte vor ihr, sie fixierte seine Schulterblätter im Halbdunkel, als könnte sie ihn von hinten hypnotisieren.

Die Männer waren direkt vor der Tür zur Bibliothek stehen geblieben. Die anderen waren offenbar entsetzt über die Äußerung des ersten. „Wie kannst du das sagen?“, rief einer mit zitternder Stimme. „Jashin gefällt sicher nicht, dass du das gesagt hast! Er wird dich sterben lassen und dich nicht mal als Opfer annehmen!“

Die Laterne machte einen Hüpfer, als der Mann mit den Schultern zuckte. „Wenn wir hier in dieser Ruine noch ein paar Seelen finden, opfere ich sie einfach Jashin, dann wird er sich schon beruhigen.“

„Nicht alle“, murmelte ein anderer mit monotoner, tiefer Stimme. „Wenn wir noch ein Mädchen finden, sollen wir es sofort zum Hohepriester bringen. Der Donner ist schon zu lange vorbei. Wir müssen uns beeilen, wenn die Prophezeiung nicht verfallen soll.“

Sakura wurde schlecht. Etwas zog sich in ihrem Magen zusammen, als sie an das Mädchen in den Ruinen dachte. Sie hoffte, dass die Kleine sich gut versteckte.

Der mit der Laterne brach in schallendes Gelächter aus. „Du Idiot! Als hätte eine Prophezeiung ein Verfallsdatum!“

Die anderen schienen das nicht so zu sehen, denn sofort entbrannte ein kleiner Streit zwischen ihnen, bis der mit der monotonen Stimme trocken sagte: „Wenn wir nicht bald weitersuchen, erfüllt sich die Prophezeiung noch von selbst.“

Dann geschah, wovor Sakura sich am meisten fürchtete. Einer der Männer streckte seinen grausig bemalten Kopf durch die Tür. Sakura biss sich auf den Finger, um nicht zu schreien, als sie sein Gesicht sah: Es sah nicht einfach nur aus wie ein Totenschädel, es war einer, zumindest ließ das flackernde Licht ihn so wirken. Die Haut spannte sich eng um sein Kiefer, die Augen waren nicht zu sehen und die Nase war flach und wie weggesäbelt, der Schädel haarlos.

„Komm weiter“, drängten die anderen vom Gang. „Da sind nur Bücher. Diese Konoha-Bastarde glauben nicht an Jashin, du wirst keine Bücher von ihm finden. Kein Wunder, dass die alle krepiert sind.“

„Ich weiß nicht.“ Der Totenkopfmann schnupperte mit seiner fast nicht vorhandenen Nase. „Ich glaube, hier ist was.“

„Was soll da schon sein? Hühnerkeulen zwischen Buchdeckeln?“, höhnten sie.

Unbeirrbar trat der Mann in den Raum. Der kreisrunde, leergeräumte Fleck in der Mitte musste ihm sofort auffallen. Suchend sah er sich um.

Sakura sah, wie Sasuke seinen Schwertgriff packte. „Nicht“, hauchte sie, so leise es ging. „Sie sind zu acht!“

Der Blick des Mannes wanderte in die gegenüberliegende Ecke des Raumes. Sasuke machte einen Schritt rückwärts, zog Sakura heran und breitete seinen Mantel über sie beide aus. Sakuras Kehle schnürte sich zu, als die Dunkelheit sie einhüllte und sie den schwarzen Stoff auf ihrer Haut fühlte, lichtraubend wie Rabenflügel. Ihre Augen wurden mit einem Mal so trocken, dass sie sie zusammenkneifen musste. Es ist nur Sasuke, sagte sie sich, es ist nicht Itachi, es ist Sasuke. Sie presste das Gesicht gegen seine Brust und machte sich in seiner Umarmung so klein wie möglich. Sie roch keinen Rauch, nur seinen Schweiß. Sein Herz schlug regelmäßig in seinem warmen Brustkorb. Sie konzentrierte sich nur auf dieses Geräusch, es war ungemein beruhigend.

Sie wusste, dass der Totenkopfmann den Raum weiter absuchte. Dann rief er: „Hey, Rosoku! Komm mal mit der Laterne her!“

Etwas in Sakura gefror zu Eis.

„Spinnst du?“, kam es von draußen. „Wenn mir ein Funke davonfliegt, brennt das ganze Dorf nieder! Alte Bücher sind eine Erfindung von Jashin, sag ich dir. Komm jetzt, oder wir gehen ohne dich.“

Zögerlich hörte Sakura Schritte, die über trockenes Papier raschelten. Dann atmete sie auf, als nichts mehr zu hören war und auch niemand plötzlich ihre Deckung fortriss. Sasuke und sie verharrten noch eine Weile, zu zweit unter seinem Umhang, eng aneinander gepresst. Ihr Herz begann schneller zu klopfen, als ihr bewusst war, wie nah sie ihm plötzlich war. Und ohne den Geruch von Räucherwerk in der Nase war die Nähe gar nicht mehr so schlimm. Im Gegenteil. Die Wärme einer anderen Person, einer, der sie zumindest jetzt vertrauen konnte, war etwas Unbezahlbares in dieser kalt gewordenen Welt, in der sonst nur Eigennutz und Angst regierten. Als Sasuke den Mantel schließlich lichtete, ließ sie ihn nur widerstrebend los und blieb noch eine Weile neben ihm sitzen.

„Sie könnten zurückkommen“, flüsterte Sakura. Sie wusste, dass es stimmte, als sie es sagte, aber zuvor hatte sie nur gehofft, er würde sie beide wieder in beruhigende Zweisamkeit hüllen. Vielleicht war für ihr Herz doch noch nicht alles verloren …

„Jashin“, murmelte Sasuke nur abfällig, als hätte er sie gar nicht gehört. „Sollen sie sich doch gleich alle selbst opfern.“

„Meinst du, sie sind uns gefolgt?“

„Vielleicht. Aber nach dem, was sie gesagt haben, könnten sie auch einfach hier sein um Ruinen zu plündern.“ Er sah sie an, immer noch glommen seine Augen im Rot der Sharingan.

„Wie kommt es, dass du das Sharingan einsetzen kannst?“, fragte Sakura verwundert. „Ich dachte, du hättest auch kein Chakra mehr?“

„Ein wenig davon habe ich noch übrig. Ich habe Glück im Sturm gehabt“, sagte er. „Ich kann noch ein paar schwache Genjutsus erzeugen, viel mehr nicht. Es wäre also besser, wenn du deine Albträume in den Griff bekommst.“

Sakura sah peinlich berührt zur Seite. Erst nach und nach erkannte sie, was seine Worte bedeuteten. Er hatte sein wertvolles Chakra dafür verwendet, um ihr ruhigen Schlaf zu ermöglichen. Gut, vielleicht war auch das nur wegen der Aussicht auf mehr Chakra geschehen.

„Sie hören also auf einen Hohepriester“, murmelte Sasuke nach einer Weile. „Hast du ihn getroffen?“

Es war keine Frage, erkannte Sakura. Sie nickte schluckend. „Er führt ihre Rituale durch. Jeden Abend spießt sich einer von ihnen selbst auf. Ich weiß nicht, ob diese Leute überleben.“ Sie versuchte Sasukes Aufmerksamkeit mit dieser grausigen Vorstellung von Itachis Alter Ego fortzulenken. Es wirkte.

„Idioten“, murmelte er kopfschüttelnd. Sakura nickte.

Eine Weile blieben sie, wo sie waren. Sakura ertappte sich dabei, ihren Kopf gegen seine Schulter zu lehnen. Er ließ es ohne ein Wort geschehen. Sie lauschten dem Regen, schweigend, hingen ihren Gedanken nach. Sakura wurde wieder müde. Seine Nähe gab ihr das Gefühl, in Sicherheit zu sein, doch sie fürchtete, mit einem neuen, verräterischen Schrei aus einem Albtraum aufwachen zu müssen. Eine Ewigkeit verging, als sie Männer wiederkamen. Sakura musste sich eingestehen, dass sie sich sogar darauf gefreut hatte. Sie schlüpfte wieder unter Sasukes Mantel, der sein Schwert nun gezogen hatte, doch das Licht und die Schritte gingen an der Bibliothek vorbei.

Dann hörten sie plötzlich das Platschen von schnellen Schritten in Regenpfützen. „Rosoku! Hey, Leute!“, hörte Sakura eine weitere, atemlose Stimme.

„Wir sind hier!“ Das Licht, das unter dem Saum des Mantels hindurch gesickert war, verschwand, als die Männer eilig das Hokage-Gebäude verließen. „Was ist los?“

Die Stimme war nur schwer zu verstehen, aber Sakura hörte jedes Wort mit kristallklarer, klirrender und schneidend schmerzlicher Deutlichkeit. „Fukita und ich haben jemanden gefunden! Ein junges Mädchen, in den Trümmern, keine dreizehn Jahre alt!“

In der Ferne grollte ein Gewitter. Die Männer riefen Worte des Erstaunens aus. „Die Jungfrau, die dem Donner entsprang!“, jubelte Rosoku.
 

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Konoha musste einfach auch noch einmal vorkommen, genauso wie die Gewissheit, dass es zerstört ist. Und die Jashinisten lassen natürlich ebenfalls nicht locker.

Ich kann gar nicht richtig beurteilen, ob der zweite Teil des Kapitels spannend war^^ Ich wollte wieder eher die Atmosphäre erzeugen bzw. beschreiben. Hoffe, dass mir das gelungen ist.

Tja ... und ich habe meine selbst gesetzte Mindestlänge schon wieder nicht erreicht :/ Das ist das Problem, wenn man mit einem Cliffhanger aufhören will^^ Das nächste wird definitiv wieder ein 5000-Wörter-Kapitel sein, mein Wort darauf ;)

Freue mich wie immer auf euer Feedback :)

Alte Liebe stirbt nicht

Sakura fühlte sich wie mit kaltem Wasser übergossen. Sasuke murmelte einen Fluch. Sie hatten sie entdeckt! Das kleine Mädchen von vorhin, dem sie nicht hatten helfen wollen … „Sasuke!“, flehte Sakura und packte ihn am Arm.

„Vergiss es“, zischte er. „Sie sind zu zehnt.“

„Und das schaffst du nicht?“, fragte Sakura, die Augen schmal. „Ich dachte, du hättest noch Chakra übrig?“

„Ich werde es nicht für ein Mädchen vergeuden, das nicht auf sich selbst aufpassen kann“, knurrte er.

„Aber … sie werden sie aufs Grausamste foltern und umbringen!“, rief Sakura.

„Sie haben es sich bei dir auch anders überlegt, oder? Vielleicht hat sie auch Glück.“

Sakura sah betreten zu Boden. „Nein“, murmelte sie. „Bei ihr sicher nicht.“

„Wieso?“ Sein Blick war forschend, misstrauisch.

Sakura biss die Zähne und Augen zusammen. Was konnte sie ihm erzählen? Was würde sie ihm nie erzählen können, nach allem, was er zu wissen glaubte? „Es … ist eine Prophezeiung“, sagte sie, um Zeit zu gewinnen. „Sie brauchen das Blut der … der Jungfrau, die dem Donner entsprang. Der Donner ist für sie der Chakrasturm.“

In seinen Augen änderte sich etwas, als würde er beginnen, zu verstehen, aber sein Blick blieb nach wie vor unnachgiebig.

„Als sie ... gemerkt haben, dass … ich keine Jungfrau mehr bin, haben sie mich verschont“, presste sie unter Anstrengung hervor.

Nun war der Blick, mit dem Sasuke sie maß, verwundert. Hatte er nicht erwartet, so etwas von ihr zu hören? Oder war er vielleicht sicher gewesen, dass sie noch Jungfrau war? Aus irgendeinem Grund beschämte es sie, es vor ihm zugeben zu müssen. Wenigstens ersparte er ihr die Frage, wie genau die Jashinisten das herausgefunden hatten, aber Sakura wäre dennoch am liebsten im Boden versunken.

Die Schritte, die Stimmen und das Licht waren im Regen untergetaucht. „Sasuke, bitte“, sagte sie. „Hilf ihr, ich flehe dich an!“ Itachi würde unmöglich ein so junges Mädchen nehmen, und er kannte es auch nicht. Er würde das Ritual durchführen, um sein Ansehen nicht zu verlieren. Er war kein Kinderschänder, aber immerhin hatte er seinen eigenen Clan ausgelöscht …

Sasuke starrte sie unbewegt an und sie erkannte, dass er keinen Finger rühren würde. „Du bist …“ Sie fühlte sich hilflos, niedergeschlagen. „Ich dachte, du wärst … Aber ich habe mich in dir getäuscht.“

„Ich bin was?“, fragte er höhnisch. „Der strahlende Retter, der jede arme Seele in dieser Hölle beschützt? Ich wäre der erste, der stirbt, und das kann ich nicht, ehe ich nicht mein Ziel erreicht habe.“

Sakura wandte den Blick ab. Er fühlte sich dem Mädchen nicht verpflichtet, natürlich. Er war nicht einmal ihr, Sakura, verpflichtet, und dass er ihr half, war schon mehr, als sie erwarten konnte. Für einen Moment war sie versucht, ihm von Itachi zu erzählen.

Tatenlos saßen sie da, Sasuke grimmig, Sakura verzweifelt, und warteten, bis irgendwann die Sonne aufging und die schändliche Nacht wegwusch. Der Regen hörte auf.

„Ich suche uns Frühstück“, sagte Sasuke und stand auf. Sein Schwert nahm er in die Hand. Sakura blieb, wo sie war. Das angenehme Gefühl seiner Nähe war in etwas anderes, Ernüchterndes umgeschlagen, und nun war es ihr lieber, allein zu sein. Wie von selbst trugen ihre Füße sie dann nach draußen. Konoha war Grau in Grau, der Himmel war wieder zugezogen. Leichter Dunst umwaberte ihre Füße, als sie raschelnd durch den Schutt ging. Auf Anhieb fand sie die Stelle wieder, wo das Mädchen gehaust hatte. Das Dach aus Gerümpel war leer. Natürlich. Sakura hätte die kaum erkennbaren Fußspuren, die die Männer in den Trümmern hinterlassen hatten, nicht sehen müssen, um zu wissen, wohin sie gegangen waren. Eine feuchte Zelle kam ihr in den Sinn, wo sie den größten Albtraum ihres Lebens erlebt hatte, der sie auch nachts immer wieder heimsuchte. Nein, nicht die Zelle. Der Altarraum. Er würde der Albtraum dieses unschuldigen, ausgestoßenen Mädchens werden. Und das letzte, was sie in ihrem Leben sehen würde.

Ohne nachzudenken lief Sakura los. Sie fühlte sich schuldig. Nicht nur, weil sie und Sasuke dem Kind nicht geholfen hatten. Wenn sie damals geopfert worden wäre, wäre Jashins Blutdurst gestillt gewesen. Dafür hasste sie sich selbst. Und Itachi, weil er es verhindert hatte. Und Sasuke, weil er nicht helfen wollte. Dann würde sie das Mädchen eben alleine befreien! Liebend gern hätte sie die Chakrakristalle angezapft, aber hier im regennassen Schutt konnte sie kaum ein Feuer entfachen und sie hatte auch keine Zeit, die Kristalle zu kochen. Es würde schon gehen, es würde schon gehen …

Ihre noch wackeligen Beine rutschten auf einer vom Regen glitschigen Mauerplatte aus und sie fiel kopfüber in den Dreck. Matsch klebte sich ihn ihr Gesicht, eisig kalt und schleimig wie Schnecken. Mühsam wischte sie sich über die Augen, sah aber nur das, was sie schon den ganzen Tag gesehen hatte: Zerstörung. Trümmer. Alle hier waren tot. Machte das Leben eines Mädchens einen Unterschied?

Ja. Sakura ballte die Fäuste. Je weniger Menschen noch am Leben waren, desto wertvoller wurde ein einzelnes Leben.

„Ich hatte dich für vernünftiger gehalten.“ Sasuke stand neben ihr auf einem Schutthaufen, blickte auf sie herab, abfällig, so wie früher.

„Und ich dich für mutiger“, gab sie zurück und rappelte sich auf, wäre fast wieder ausgeglitten. Es hatte wieder zu regnen begonnen.

„Ich bin vernünftig“, sagte er nur. „Ich werde auch keinen Kristall für eine Rettungsmission aufgeben.“

Es hätte ohnehin nichts gebracht. Bis sie hier trockenes Holz für ein Feuer gefunden und die Kristalle zerkocht, zerstampft und aufgelöst hatten … Das Mädchen mochte bereits tot sein.

„Ich fühle mich wieder gesund“, murmelte Sakura. Das war nicht ganz die Wahrheit, aber sie hielt es hier nicht mehr aus, sicherer Unterschlupf hin oder her. „Ziehen wir weiter.“

„Wenn der Regen vorbei ist“, sagte er. „Dein Zustand verschlimmert sich sonst.“

„Was interessiert dich mein Zustand?“, fauchte sie ihn an. „Dir ist ja auch das Schicksal eines hilflosen Mädchens egal!“

Er sah sie nur aus seinen unergründlichen Augen an. Schließlich straffte sie die Schultern und stapfte zum Hokage-Gebäude zurück, schon weil er wieder einmal recht hatte. Drinnen sah sie Medikamente liegen, die er wohl irgendwo gefunden hatte. Sie las die Etiketten und fand das eine oder andere nützlich – wenn es vom Sturm nicht verändert worden war. Auf einem gesprungenen Teller hatte Sasuke schwarze Körner aufgeschichtet. Beim näheren Hinsehen entpuppten sie sich als Reiskörner; sie schmeckten auch so, nur dass sie eben schwarz waren. Sakura war es egal. Wenn die von selbst gebratenen Fische verträglich waren, dann wohl das hier auch. „Wo hast du das gefunden?“, fragte sie mit vollem Mund. Sie wollte nicht mehr streiten und auch nicht mehr über das Mädchen reden. Vielleicht konnten sie ihr wirklich nicht helfen. In dieser Welt war kein Platz für Nächstenliebe mehr.

„Da war ein gedeckter Tisch“, sagte er. „Das war darauf.“

Plötzlich verging ihr der Appetit. Jemand hatte das hier gegessen, als der Sturm losgebrochen war. Tsunade vielleicht? Shizune?

Sasuke hatte auch irgendwo eine Flasche Sake gefunden, die er ihr anbot. Sakura trank normalerweise keinen Alkohol, aber nun nahm sie die Flasche dankbar entgegen. Vielleicht wirkte der scharfe Schnaps wie Medizin. Er wärmte jedenfalls ihren Körper von innen heraus, erzeugte berauschende Wärme in ihrem Magen, als sie den Reis damit hinunterspülte.

„Nur, bis der Regen nachlässt“, sagte sie tonlos. Sasuke nickte. „Dann werde ich es dir zeigen.“

„Was?“, fragte er.

„Wie man das Chakra aus den Kristallen herauslöst.“
 

„Hohepriester!“ Fukitas glänzende Augen verrieten, dass etwas geschehen war, womit er äußerst zufrieden war.

Itachi sah von seiner Lektüre auf. Er saß in seiner eigenen Kammer, einer relativ luxuriös eingerichteten Wohnhöhle inmitten des Bergwerks, nicht weit von der Tropfsteinhöhle entfernt, und hatte begonnen, die verschiedensten Prophezeiungen Jashins zu lesen, da diese das machtvollste Mittel zur Kontrolle der Bergleute zu sein schienen.

„Wir haben sie gefunden!“, rief Fukita freudig erregt aus. „Die Jungfrau, die dem Donner entsprang!“

Itachi musste ein Seufzen unterdrücken. Hörte dieser Irrsinn denn nie auf? „Ich habe euch gesagt, ihr sollt sie nicht verfolgen. Sie ist nicht von Wert für uns.“

Fukita grinste nur. „Bringt sie herein!“

Das Mädchen, das seine Männer gefesselt und geknebelt hereinführten, war nicht Sakura. Sie war viel jünger und kleiner, ihre Augen waren groß und mit Tränen gefüllt und bedachten ihn mit einem flehenden Blick. Itachi fragte sich, wo sie sie wohl aufgegabelt hatten.

„Seht Ihr?“, sagte Fukita eifrig. „Das ist sie, mit Sicherheit!“

„Fukita“, sagte Itachi leise und legte sein Buch weg. „Ich werde dir jetzt etwas anvertrauen. Selbst wenn das Blut von neunundneunzig Prozent aller Menschen von Jashin geholt wurde, wirst du unter den Überlebenden noch viele Jungfrauen finden, wenn du lange genug suchst. Warum denkst du, dass das das Mädchen aus der Prophezeiung sein sollte?“

Fukita starrte ihn entgeistert an, dann trotzig. „Sie war in den Ruinen von Konoha! Dort hat der Donner am schlimmsten gewütet!“

„Und als wir sie gefunden haben, hat es tatsächlich gedonnert!“, fügte ein anderer hinzu. Sein Name war Rosoku, wenn Itachi sich richtig erinnerte.

Der Drang zu seufzen wurde stärker. Diese Männer waren wie kleine, sture Kinder. „Also gut. Lasst sie bei mir. Ich werde ein Auge auf sie haben, bis das Ritual beginnt.“

Fukita verbeugte sich. „Wir werden sofort den Altar vorbereiten, Gesandter.“

„Das hat Zeit.“

„Aber wir müssen doch so schnell wie möglich …“

„Jashins Wille ist es, dass das Ritual bei Sonnenaufgang stattfindet“, unterbrach ihn Itachi. „Die Sonne ist bereits aufgegangen. Wir dürfen bei einem so wichtigen Ritus keinen Fehler machen.“

Fukita verbeugte sich noch tiefer. „Selbstverständlich, Gesandter. Entschuldigt uns.“

Als er mit dem Mädchen allein war, löste er ihren Knebel; die Hand- und Fußfesseln ließ er zur Sicherheit, wo sie waren. „Wie heißt du?“

Das Mädchen erwiderte nichts. Ihre Augen waren schwarz vor Angst.

„Keine Sorge, sie werden dir nichts tun“, sagte er sanft. Noch nicht, fügte er in Gedanken hinzu.

„Bist du …“, piepste das Mädchen, „bist du der Mann aus den Ruinen?“

„Was meinst du?“

„Nein … du bist es nicht …“

Itachi ging neben ihr in die Hocke und sah ihr fest in die Augen. „Hast du denn jemanden gesehen, der so ähnlich aussieht wie ich?“, fragte er. Das Mädchen nickte. „Wo war das?“

„In den Ruinen“, wiederholte sie. „In den großen Ruinen.“

Itachi stand wieder auf und legte den Riegel seiner Tür vor. „Wir beide werden uns ein wenig unterhalten“, sagte er.

Das Mädchen sah sich zitternd in dem Raum um. „Was passiert denn jetzt mit mir?“, fragte sie. „Was wollen die Leute von mir?“

„Mal sehen“, antwortete Itachi nur. In Wahrheit wusste er genau, was zu tun war. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, den ewigen Blutdurst seiner Jünger ein für alle Mal zu stillen. Sie wollten ihr Opfer – sie sollten es bekommen.
 

Als der Regen aufgehört hatte, waren sie wie vereinbart aus Konoha fortgegangen und der Straße nach Norden gefolgt, allerdings waren sie nicht direkt auf der Straße gegangen, sondern in der Nähe im Schutz der Wälder. Die Jashinisten mochten ihre Patrouillen überall hin schicken. Nachdem sie einen halben Tag unterwegs gewesen waren, erreichten sie eine der vielen heißen Quellen, die Konoha umgaben. Das Etablissement war natürlich komplett verfallen, aber den Wasserdampf sahen sie schon von weitem. Eine bessere Gelegenheit, die Kristalle zu kochen, gab es nicht.

Sakura war nicht wohl bei der Sache, Sasuke nun das Geheimnis anzuvertrauen. Aber andererseits konnte sie ihn nicht ewig hinhalten, und es nagte an ihr, dass sie dem Mädchen hätten helfen können, wenn sie nur schon vorher wieder ihre Chakravorräte gefüllt hätten. Jetzt war sie sicher schon in den Klauen von Itachi und den konnte sie, Sakura, wohl nie besiegen, und Sasuke konnte sie immer noch nicht erzählen, dass sie ihn belogen hatte.

Ihr Begleiter runzelte die Stirn, als sie über das eingestürzte Onsen-Haus kletterte, sagte aber nichts.

Das Wasser der Quelle war von einem tiefen Grün und wie dichter Nebel hing der Dampf in der Luft, verhüllte vieles der Zerstörung vor ihren Blicken. „Hier“, sagte Sakura und hockte sich an den Rand des Wassers. Die feuchte Luft fühlte sich seltsam angenehm in ihren Lungen an und die Hitze des Dampfes trieb die Kälte aus ihren Knochen.

Sasuke, der die ganze Zeit über nicht nur die beiden Kristallsäcke, sondern auch die Fässer getragen hatte, lud beides ächzend auf dem Kiesboden ab. Sakura tauchte einen Finger in die Quelle. Das Wasser war heiß, aber es kochte nicht. „Wir brauchen ein Feuer“, sagte sie.

Ohne ihre Worte infrage zu stellen, suchte Sasuke in den Ruinen trockene Holzstücke zusammen und hatte im Nu aus Brettern und Möbeln ein kleines Lagerfeuer entfacht. Sakura fand in den Trümmern zwei hölzerne Badezuber, die sie sich auf die Seite legte, dann drang sie tiefer in das Gebäude ein. Die Küche war in verhältnismäßig gutem Zustand; nur ein Teil des Daches war dort eingestürzt. Sie fand einen Metallkochtopf mit langem Stiel, füllte ihn mit heißem Wasser aus der Quelle und hielt ihn über das Feuer. Es dauerte nicht lange, bis das Wasser kochte. Sie wies Sasuke, der ihre Taten aufmerksam verfolgte, an, den Topf zu halten, und legte so viele der kleineren Kristalle hinein, bis das Wasser fast überlief. Etwa dreißig Minuten lang hielten sie und Sasuke den Topf abwechselnd über das Feuer, dann leerten sie die Kristalle auf eine Metallplatte aus den Trümmern, und Sakura hieb mit einem stabilen Mauerbrocken darauf ein. Vom Kochen spröde geworden, brachen die Kristalle problemlos. Sakura zermahlte sie, bis nur noch blau schimmerndes Pulver übrig war. Sie füllte einen der Badezuber mit der gelblichen Flüssigkeit aus den Fässern und streute das Kristallmehl hinein. „Jetzt müssen wir warten, bis es sich aufgelöst hat. Dann wird es grün“, sagte sie.

Sasuke nickte. „Wie lange wird das dauern?“

Sakura zuckte mit den Schultern. Sie war nie lang genug in dem Saal gewesen. „Eine halbe Stunde, mindestens. Bis dahin können wir nur warten.“

Es begann langsam zu dämmern. Das Wasser dampfte gleichmäßig vor sich hin. Wassertröpfchen kondensierten wie glitzernde Perlen in Sasukes Haar. Sakura sah sehnsüchtig auf die ruhige Wasseroberfläche.

„Wenn du baden willst, tu es. Es wird dir guttun“, sagte Sasuke.

„W-was?“, rief sie aus und wandte hastig den Blick von der Quelle ab. Waren ihre Gedanken so offensichtlich gewesen? „Nein, ich …“

„Mach schon“, sagte er. „Wir sollten hier ungestört sein. Du hast ein Bad dringend nötig – man kann dich kaum ansehen, so schmutzig bist du.“

Sakura sah an sich herab. Er hatte natürlich recht. Ihr letztes richtiges Bad lag Wochen zurück. Ihre Arme und Beine und ihr Gesicht waren mit Schlamm verschmiert, genauso wie ihre Kleider, die nach Schweiß stanken und ihr an der Haut klebten.

Sasuke stand auf. „Ich behalte die Straße im Auge. Melde dich, wenn du fertig bist.“ Er kletterte über den eingestürzten Teil des Onsen-Gebäudes und verschwand aus ihrem Sichtfeld.

Unschlüssig sah Sakura auf das ruhige, grüne Wasser. Der Chakrasturm hatte die Holzwand weggerissen, die Frauen- und Männerbereich trennte, aber das war jetzt wohl sowieso unerheblich. Sakura zog ihre Sandalen aus und ließ einen Fuß ins Wasser gleiten. Es war so angenehm, dass sie laut aufseufzte. Also schön – sie konnte ein heißes Bad wirklich gebrauchen und Sasuke war auch nicht der Typ, der spannen würde. Sie schälte sich die kratzende Bergarbeiterkleidung von der Haut, hielt sich am Rand des Beckens fest und ließ sich langsam ins Wasser sinken. Die Hitze kribbelte wie ein Ameisenschwarm über ihre Haut und sie fühlte, wie sich ihre verspannten Muskeln bereits lockerten. Seufzend legte sie den Kopf an den Rand. Hier war ein abgerundeter Felsen, auf dem sie bequem sitzen konnte. Nie hätte Sakura gedacht, dass es in der neuen Welt etwas so Angenehmes geben würde.

Nachdem sie sich lange genug in dem heißen Wasser, das einen leicht schwefeligen Geruch verströmte, entspannt hatte, begann sie sich den Dreck von der Haut zu waschen. Vielerorts musste sie so lange rubbeln, bis die Haut darunter gerötet war, um ihn loszuwerden. Sie tauchte auch kurz unter, genoss die Hitze, die ihre müden Augen umfing, und wusch sich das Gesicht. Als sie fand, dass sie sauber genug war, lehnte sie sich wieder zurück, atmete den Dampf ein und schloss genießerisch die Augen.

Sie blieb so lange im Wasser, bis ihre Finger schrubbelig waren und ihr von der Wärme schwummrig wurde. Als sie schon im Begriff war, sich aus dem Wasser zu ziehen, fiel ihr Blick auf den unordentlichen Kleiderhaufen. Wieder wurde ihr bewusst, dass sie genauso gut zugeschnittene Säcke mit Löchern drin sein konnten, und außerdem waren sie so dreckig, dass ihr bei dem Gedanken graute, sie wieder anzuziehen. Kurzerhand zog sie das unförmige Oberteil und die Hosen ins Wasser, wusch sie so gut es ging aus und wrang das Wasser aus dem Stoff. Wenn das schon das einzige sein sollte, das sie anziehen konnte, dann sollte es annehmbar sauber sein.

Sie breitete die Kleider am Rand der Quelle aus und stutzte. Und jetzt? Sie wieder anzuziehen, während sie klamm wurden, war kein erfreulicher Gedanke. Ewig konnte sie aber auch nicht mehr in der Quelle bleiben. Es war finster geworden und der Schweiß lief ihr schon in Bächen übers Gesicht, brannte in ihren Augen. Kurz zögerte sie, dann rief sie: „Sasuke! Kommst du bitte?“

Sie tauchte bis um Kinns ins Wasser und wandte sich zur Sicherheit ab, als sie ihn über die Trümmer klettern hörte. „Was ist?“, fragte er und sie hörte deutlich an seiner Stimme, wie verwundert er darüber war, dass sie noch im Wasser war.

„Ich hab meine Kleider gewaschen“, murmelte Sakura und schon war ihr die ganze Situation wieder peinlich. „Könntest du mir aus dem Haus irgendwas holen? Bitte?“, fügte sie kleinlaut hinzu.

Er schwieg eine ganze Weile, ehe er sich in Bewegung setzte. Sakura drehte sich um und sah, wie er in den besser erhaltenen Teil des Gebäudes ging. Kurze Zeit später kam er mit einem weißen, wollenen Handtuch zurück. „Ist das alles?“, fragte sie stirnrunzelnd.

„Wenn du Bademäntel gemeint hast, solche habe ich nicht gefunden.“ Er reichte ihr das Tuch, darum bemüht, nicht in ihre Richtung zu sehen, obwohl der Dampf sowieso zuverlässig die Quelle verschleierte. War es ihm ebenfalls peinlich? Gab es überhaupt etwas, das ihm peinlich war?

„Danke“, murmelte Sakura. „Ich … komm dann raus.“

Er drehte sich abrupt um und ging zum Haus zurück, kletterte aber nicht über das eingestürzte Dach. Sakura zögerte noch einen Moment, dann zog sie sich aus dem Wasser, trocknete sich in Windeseile ab und schlang sich das Handtuch um den Körper, wobei sie ihn genau im Auge behielt.

„Bist du fertig?“, fragte er.

„Äh … ja.“

Er drehte sich immer noch nicht um. „Ich glaube nicht, dass hier jemand vorbeikommt. Wenn es dir nichts ausmacht, steige ich jetzt auch in die Quelle.“

Das überraschte Sakura jetzt, obwohl die Tage im Schlamm und die Nächte im Schmutz auch seiner Hautfarbe nicht gut getan hatten. „Ist gut“, sagte sie.

Ohne sie anzusehen ging er an ihr vorbei zur Quelle. „Das wird hier nicht trocknen, im Dampf“, sagte er und hob ihre Kleider auf. Er trat zu den Ruinen und hängte sie an einen spitzen Pfahl, der hoch über dem Rest aufragte. „Hier müsste es besser gehen.“

„Danke“, sagte sie leise.

Er drehte sich zu ihr um und fragte mit gelangweiltem Blick: „Gibt es noch was?“

„Äh – nein!“ Sakura drehte sich rasch um und betrat das Haus. Die Situation hatte etwas Befremdliches an sich, fand sie. Sie hockte sich in einen der hölzernen Gänge, der von der Zerstörung nur wenig betroffen war, und wartete. Mondlicht fiel durch ein Loch im Dach und Sakura sah, wie ihre Haut und das Handtuch schneeweiß darin leuchteten.

Nach wenigen Minuten schon biss sie der Wahnsinnswurm. Ohne es verhindern zu können, wandte sie den Kopf und spähte um die Ecke zur Quelle zurück, obwohl etwas in ihr sie praktisch anschrie, ob sie eigentlich noch richtig tickte.

Sie hatte erwartet, dass er schon im Wasser war, aber tatsächlich war er gerade erst dabei, hineinzusteigen. Der Dampf verhüllte das meiste von seinem Körper, aber Sakura erhaschte einen Blick auf seinen Oberkörper von hinten. Hatte er immer schon so muskulöse Schultern gehabt? Er hatte sich zwar, seit sie ihn nach drei Jahren das erste Mal bei Orochimaru gesehen hatte, nie die Mühe gemacht, diesen Bereich seines Körpers effektiv zu verstecken, aber zum ersten Mal hatte sie wirklich Zeit, ihn zu bewundern. Sicher gab es Männer mit breiteren Schultern, aber übertriebene Muskelpakete fand Sakura nicht sehr anziehend. Sasuke war nicht einfach durchtrainiert; als der Mond seine helle Haut beleuchtete, erweckte es den Eindruck, als wäre er tatsächlich aus Stahl geformt. Er tauchte ganz ins Wasser und Sakura wandte den Blick ab. Ihre Wangen brannten. Was war denn überhaupt los? Sie hatte nichts gesehen, was sie nicht ohnehin gekannt hatte, aber … vielleicht war es auch die Erfahrung, dass Sasuke, der unnahbare, kraftsuchende Rächer, etwas so Gewöhnliches tat wie Baden.

Er brauchte nicht so lange wie sie. „Du kannst kommen“, rief er, gerade so laut, dass sie es hören konnte. Sie stand auf, rückte sich ihr Handtuch zurecht und ging zum Wasser zurück. Als sie aus dem Gang trat, stockte ihr der Atem. Sasuke war ihrem Beispiel gefolgt und hatte auch seine Klamotten gewaschen, soeben hängte er sie neben ihre. Er hatte sich ein weißes Handtuch um die Hüften geschlungen und seine nasse Haut dampfte in der kühlen Abendluft. „Ist was?“, fragte er und wirkte irritiert.

„Äh, nein, nichts“, sagte Sakura und hoffte, dass sie nicht knallrot anlief. Immerhin, sie beide, allein, an so einem Ort … Nein, die Welt war untergegangen. Alles, was damals war, war vorbei. „Ich … ich glaube, die Kristalle sind jetzt so weit.“

Die Flüssigkeit im Zuber hatte einen tiefgrünen Ton angenommen. „Und das trinkt man jetzt?“, fragte Sasuke.

„Also, ich denke schon“, murmelte Sakura. „Genau weiß ich es leider nicht. Die gewöhnlichen Arbeiter haben nichts davon gekriegt.“

„Ist die Wirkung temporär? Oder hat man das Chakra, bis man es verbraucht?“

Sakura biss sich auf die Lippen. „Das weiß ich leider auch nicht“, gestand sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Wir werden es ausprobieren müssen.“ Kurzerhand nahm er den Waschzuber in die Hand und trank. Er verzog das Gesicht und schluckte unter Anstrengung. Schließlich reichte er ihr den Zuber.

Sakura sah ihn erstaunt an. Die Hälfte der Flüssigkeit war noch übrig. „Ich soll auch …?“

Er nickte. „Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, warst du noch eine Kunoichi, oder? Zu zweit kommen wir weiter. Es kann immer jemand Wache halten.“

Ungläubig nahm sie den Behälter entgegen. Plötzlich wurde ihr warm ums Herz. Hieß das, er akzeptierte sie? Als seine … Teamkameradin? Sie war kein Hindernis mehr, niemand Ersetzbares? Etwas in ihr versuchte ihr einzureden, dass er das nur tat, weil es weit und breit keinen anderen Ninja gab, der ihn begleiten könnte, aber sie weigerte sich beharrlich, auf diese Stimme zu hören – vor allem, da ihre andere innere Stimme gerade vor Glück aufschrie. In einem Zug stürzte sie die grausige Brühe hinunter. Sie schmeckte widerlich süß und brannte im Rachen. Mit einem Knall warf sie den leeren Waschzuber von sich und sah Sasuke an. Nun waren sie beide wieder gestärkt. Sie fühlte, wie pure Energie durch ihre Adern rauschte, sich ihre Chakravorräte regenerierten und ihre Kraft zunahm, sah, wie seine Augen kurz und tiefrot aufblitzten. Sie waren wieder die Alten. Was hatte sich nun geändert?

„Wir sollten nichts von den Kristallen verschwenden“, sagte Sasuke.

Sakura nickte.

„Dann tu es auch nicht“, erklärte er. Als sie ihn verständnislos ansah, streckte er den Finger aus und berührte ihren Mundwinkel. Ein winziger, glitzernd grüner Tropfen klebte an seiner Fingerspitze. Sakura hatte ihn gar nicht gespürt, so sehr war sie mit ihrem Chakrafluss beschäftigt gewesen. Wie von selbst saugten ihre Lippen den Chakratropfen von Sasukes Finger. Als sie erkannte, was sie gerade getan hatte, lief sie knallrot an und schlug die Hand vor den Mund. Selbst Sasuke wich plötzlich ihrem Blick aus und zum ersten Mal, seit sie ihn wiedergesehen hatte, schien er verlegen. Sakuras Herz hämmerte wie wild. Was geschah mit ihr? Versuchte ihr Körper das neue Chakra zu verarbeiten oder … nein, da konnte nicht mehr sein, oder? Erst jetzt fiel ihr auf, wie nah beieinander sie eigentlich standen. Nein, nein, nein – ihre Gefühle für Sasuke waren beim Ende der Welt begraben worden, vielleicht auch schon vorher!

… oder lag vielleicht gerade darin der Schlüssel? Eine neue Welt, wo die Taten aus der alten nichts mehr zählten, wo sie und Sasuke andere Personen waren und neu anfangen konnten?

Er räusperte sich unbehaglich und sagte dann mit rauer Stimme: „Es ist spät. Wir sollten über Nacht hier bleiben. Der Dampf aus der Quelle wird uns gut verbergen. Morgen früh schmelzen wir die übrigen Kristalle, dann haben wir weniger zu tragen.“

Sakura nickte apathisch. Das bedeutete, sie würden nahe dem Wasser übernachten. Ihr Blick glitt zu ihren Kleidern, die im sanften Nachtwind vor sich hin trockneten, wenig außerhalb der Dampfwolke. Wenn sie sie in der Nacht anhatten, wären sie am Morgen wieder durchnässt. Sasuke schien ihre Bedenken zu teilen. „Wir könnten auch in das Gebäude gehen.“

„Da ist kaum Platz“, murmelte Sakura. „Die Küche ist vollgerammelt und am Gang ist es unbequem.“ Sie wusste nicht, warum sie das sagte. Wenn sie sich Platz schufen, würde es ohne Schwierigkeiten gehen – von der brüchigen Decke einmal abgesehen, die vielleicht der einzige Grund war, nicht im Gebäude zu übernachten. Aber irgendwie wollte sie diesen Ort nicht verlassen, das ruhige, heiße Wasser, den warmen Dampf, der sie vom Rest dieser kalten Welt abschirmte, den leichten Schwefelgeruch, der die Hitze begleitete, die feuchte Luft, die in der Kehle gut tat. Sakura zögerte. „Spricht etwas dagegen, wenn wir hier unser Lager aufschlagen?“

Sasuke sah sie an. „Nicht unbedingt“, sagte er. „Aber willst du ohne Kleider schlafen?“

„Nein“, sagte sie. „Aber ich hab ja das hier.“ Sie zupfte an ihrem Badetuch und verknotete die Ecken demonstrativ so fest sie konnte unter der Achsel. Sie konnte an seinem Blick sehen, wie dumm diese Idee war. Wenn sich der Knoten löste, während sie schlief, und sie sich fortrollte … Sie würde vor Scham sterben. Schon jetzt fühlte sie sich unbehaglich, hatte das Gefühl, ihm zu viel von sich zu zeigen, obwohl es kaum einen Unterschied zu ihrer Bergarbeiterkleidung machte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, nur mit einem Handtuch bekleidet neben Sasuke zu schlafen, obwohl sie sich sicher war, dass er die Gelegenheit niemals ausnutzen würde. Erinnerungen an eine bestimmte Nacht keimten in ihr hoch, Erinnerungen, die sie am liebsten abgetötet hätte, doch sie sickerten wie giftige Regentropfen durch ihr Bewusstsein.

Sasuke schien ihre Unsicherheit zu spüren, denn er drehte sich plötzlich um und machte sich am Schutthaufen zu schaffen. Nacheinander zerrte er ein Metallschild und Mauerbrocken heran, die er auf dem Kies aufschichtete, bis er eine stabil aussehende Wand errichtet hatte, im rechten Winkel zum Wasser. Auf jede Seite davon breitete er weitere Handtücher aus der Umkleidestube aus, damit sie nicht direkt auf dem Kies liegen mussten. „Jeder bekommt eine Seite“, entschied er.

Sakura nickte erleichtert. Das war in Ordnung. So sahen sie einander nicht.

Den Vorsatz, schnell einzuschlafen, konnten sie dennoch in den Wind schlagen. Sakura lag auf dem Rücken auf ihrer Seite der Wand und beobachtete die Sterne, die immer wieder kurz und blinkend aus dem Dampf hervortraten, aber sie war hellwach. Ihr wiedergewonnenes Chakra wirkte wie schwarzer Tee und hielt sie wach; immer noch pulsierte die Kraft durch ihren Körper, die sie so lange vermisst hatte. „Sasuke?“, flüsterte sie in die Dunkelheit.

„Hm?“, kam es von jenseits der Mauer.

„Erzähl mir von dir“, bat sie.

„Wozu?“

„Ich will wissen, wie es dir ergangen ist – bei Orochimaru. Nachdem du Konoha verlassen hast …“

„Du denkst immer noch darüber nach?“, unterbrach er sie. „Vergiss es endlich. Konoha gibt es nicht mehr.“

„Nachdem du uns verlassen hast, hab ich mich oft gefragt, was du wohl gerade machst“, sagte sie unbeirrbar.

Eine lange Pause folgte. „Ich habe trainiert.“

„Das ist alles?“

„Reicht das nicht?“

„Ich … weiß nicht …“ Sakura druckste herum. „Und … als du dann von Orochimaru fortgegangen bist?“

Diesmal dauerte die Pause noch länger, und gerade, als Sakura vermutete, dass er nicht darüber reden wollte, antwortete er: „Ich habe ihn getötet und mir mein eigenes Team zusammengestellt.“

„Erzähl mir darüber.“

„Warum willst du das alles wissen?“, fragte er und klang gereizt.

„Das nennt man Smalltalk“, versetzte sie spitz. „Außerdem interessiert es mich wirklich.“

Sie hörte ihn seufzen. „Es waren alles Leute, die ich über Orochimaru kennen gelernt hatte. Sie hießen Suigetsu, Juugo und Karin.“

Das Mädchen mit den roten Haaren, erinnerte sich Sakura. „Haben sie dir etwas bedeutet?“, fragte sie. Auch er hatte seine Teamkameraden verloren, aber das war nicht der wahre Grund, warum sie danach fragte. Der wirkliche, wahre Grund beschämte sie.

Sie konnte sein Achselzucken förmlich spüren. „Sie waren mir eine Hilfe bei der Jagd nach Itachi. Meine Freunde waren sie nicht“, behauptete er.

„Was ist mit mir?“, fragte Sakura mit erstickter Stimme. „Und mit Naruto und Kakashi-sensei? Was bedeuten wir dir?“

Wieder Schweigen. Sie wünschte sich, in seinem Gesicht lesen zu können. „Reden wir nicht über die Toten, Sakura“, sagte er. „Versuch zu schlafen. Morgen müssen wir weiter.“

„Du nimmst mich also weiterhin mit?“, fragte sie zaghaft.

„Natürlich“, sagte er, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Zu zweit sind unsere Chancen vielleicht besser.“

Sakura zauberten die Worte ein Lächeln auf die Lippen. Danke, Sasuke-kun, sagte sie, indem sie nur die Lippen bewegte.

Irgendwann, es musste nach Mittenacht sein, schlief sie ein. Und als hätte das Chakra endlich ihre Albträume bezwungen, war es eine ruhige Nacht, traumlos. Oft wachte sie dennoch auf, geweckt von Energieschüben oder anderen, bedeutungslosen Geräuschen, und obwohl hier auf dem Boden zu schlafen nach wie vor unangenehm war, fühlte sie sich doch jedes Mal glücklich, als sie die angenehm warme Luft einatmete und sich in Sasukes Nähe wusste. Irgendwann konnte sie dann gar nicht mehr weiterschlafen. Sie stand auf, streckte die Zehen ins Wasser, ließ sich von den Dampfschwaden einhüllen. Es war hier so schön friedlich, und wenn sie sich nicht umdrehte, sah sie auch nicht die Spuren der Verwüstung. Wenn es irgendwo auf der Welt noch den Himmel auf Erden gab, dann war er hier. Seufzend schloss sie die Augen, als sie seine Schritte hörte, nackte Zehen auf Kies. Sie wandte sich langsam um. Wie ein Geist trat seine Gestalt aus dem Nebel, stellte sich neben sie und gemeinsam betrachteten sie sich in der spiegelglatten Wasseroberfläche. „Ich habe vorher nicht gefragt“, sagte er plötzlich und leise, „aber wie ist es dir in den Jahren ergangen, Sakura?“

Sie sah ihn überrascht an. Sein Blick war ungewöhnlich weich. War das ehrliches Interesse? Oder nur das Gefühl, ihr nichts schuldig bleiben zu wollen? „Naja, ich habe … bei Tsunade-sama trainiert und bin ein Medic-nin geworden“, sagte sie. Kurz schnitt sie die Abenteuer an, die sie später zusammen mit Naruto erlebt hatte, nur kurz, um keine frischen Wunden aufzureißen. Sasuke schien es nicht begreifen zu können, wie erpicht sie darauf gewesen waren, ihn zu finden und nach Konoha zurückzuholen. Als sie geendet hatte, wirkte er nachdenklich.

„Als ich damals gegangen bin“, sagte er plötzlich, „hast du behauptet, dass du mich liebst.“ Es klang fast anklagend.

„Nun ja, ich …“ Was sollte sie sagen? Dass es die Wahrheit gewesen war? Dass sie jung und naiv gewesen war? Dass sie ihn nur am Gehen hatte hindern wollte? Dass sie um jeden Preis mitkommen hatte wollen? Alles davon war wahr und nichts. Sie wusste den Grund selbst nicht mehr genau.

„Deine Gefühle für mich“, sagte er dann, „haben sie sich geändert?“

Sakura blickte in sein Spiegelbild. Seine Augen dort im Wasser schienen so fremd und doch so vertraut, voller Ernst und mit einer Tiefe, die sie schaudern ließ. Vorsichtig streckte sie die Hand nach seinem Gesicht aus, berührte seine Wange, sah nochmal in seine Augen, wie um sich zu vergewissern, dass er seine Sharingan nicht benutzte. Sie sah Wassertröpfchen auf seiner Haut glitzern, die im gedämpften Mondlicht wie Silber leuchtete. Eines war mit Sicherheit anders, das erkannte sie. Selbst wenn er immer noch seinen Clan rächen wollte, waren die Umstände anders. In der alten Welt, die voller Ninjas und Jutsus war, die man erlernen musste, hatte Sasuke keinen Platz für Gefühle gesehen. Nun jedoch, wo sie beide plötzlich über dem Großteil der Überlebenden standen, konnte er es sich leisten, zu leben. Er musste es nur erkennen, dann wäre die neue Welt nicht mehr ganz so finster. Sakura lehnte sich gegen ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Sie fürchtete, er könnte sie wegstoßen, so wie sie ihn vielleicht weggestoßen hätte, hätte er den ersten Schritt gemacht, doch er fuhr mit der Hand durch ihr vom Dampf feuchtes Haar. Sie löste sich von ihm, zog die Hand zurück, und er tat es ihr gleich. „Sie haben sich geändert“, sagte Sakura und fühlte, dass sie diesmal nicht rot wurde. Zu viel hatte die Situation von einem Traum, zu unwirklich erschien das alles inmitten der Wärme und des weißen Dampfnebels. „Aber in welche Richtung genau, weiß ich noch nicht.“

Es sah aus, als würde er etwas sagen wollen, dann sah er wieder aufs Wasser hinaus, stumm wie eine Statue. Sakura hatte das Gefühl, dass es besser wäre, wenn sie ihn allein lassen würde. Vielleicht hatte sie ihn überrumpelt und es war ihm peinlich – vor allem wenn er tatsächlich Gefühle für sie hegte. Sie ging zu ihrem Schlafplatz zurück, während er im Nebelschleier stehen blieb, unbewegt und nachdenklich.
 

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Sooo ... was gibt es zu dem Kapitel noch zu sagen? Erstens - ich habe die 5000er-Grenze einmal mehr geknackt, juche^^ Zweitens, ja, der Titel ist kitschig, aber mir ist kein besserer eingefallen. Dann zum Inhalt: Ich dachte einfach, ein wenig Entspannung und Zwischenmenschliches wäre nach ihren vergangenen Strapazen ganz gut. Was das "Zwischenmenschliche" angeht, hoffe ich, dass es nicht aufgesetzt oder unrealistisch wirkt. Ich habe versucht, Sasukes Verhalten auch aus Sakuras Sicht zweifelhaft erscheinen zu lassen, also dass sie nicht wirklich weiß, warum er sich so verhält und ob er nicht Hintergedanken hat.

Es ist wieder keine Action vorgekommen - war irgendwie anders geplant, aber der Schluss hat, finde ich, so gut gepasst, dass die Action aufs nächste Kapitel verlegt wird ;) Es sollte eigentlich von vornherein eher nicht so viel Kampf und Action in der FF vorkommen, aber da anscheinend die Nachfrage da ist, werde ich dann auch mal ein wenig Stahl blitzen lassen^^

Bleibt nur noch zu sagen, dass ich hofffe, dass es euch gefallen hat, und vielen Dank für die vielen Kommis beim letzten Kapitel :) Ich weiß nicht, ob das Kapitel hier noch vor dem Neujahrsanbruch freigeschaltet wird, aber ich wünsche euch jedenfalls allen einen guten Rutsch :)

Gold und Silber

Pünktlich beim ersten Sonnenstrahl klopfte Fukita an Itachis Tür. „Hohepriester, seid Ihr wach? Es ist alles für das Ritual vorbereitet!“

Itachi öffnete. Fukitas Augen strahlten geradezu vor Glück. Itachi konnte gar nicht sagen, wie sehr er diesen Mann verabscheute.

„Seid Ihr soweit?“, fragte der Jashinist und spähte neben Itachi in den Raum. Er sah das Mädchen auf dem Stuhl am Schreibtisch sitzen, ungewöhnlich ruhig.

„Ich habe Jashins Schriften eingehend studiert“, sagte Itachi.

„Ja?“ Fukitas Blick wurde misstrauisch.

„Das Ritual muss ausgeführt werden“, sagte Itachi, „allerdings ist es nicht nötig, dass alle Arbeiter daran teilnehmen. Ich will nicht, dass die Arbeit zum Erliegen kommt.“

Fukita nickte. „Aber Ihr braucht Zeugen, die davon berichten.“

„Fünf müssten genügen. Fukita, du sollst einer davon sein. Ich will, dass du vier Männer auswählst, denen du vertraust und deren Glauben an Jashin unerschütterlich ist. Geh mit ihnen in die Grotte und warte beim Altar. Lasst sonst niemanden hinein; er könnte das Ritual stören, und das will ich nicht.“

„Natürlich, Gesandter“, sagte Fukita eifrig und zog sich zurück.
 

Die fünf – es waren nicht nur Männer, sondern auch eine Frau darunter – warteten in gespannter Erwartung vor dem Altar, als Itachi in die Grotte trat, allein.

„Wo ist die Jungfrau aus dem Donner?“, fragte die Frau. Die anderen musterte Itachi unsicher.

Nacheinander sah er sie an, ehe er mit fester Stimme sagte: „Da kommt sie.“ Er deutete hinter sich in den Schatten des Eingangs. Das Mädchen kam zögerlich herein, mit unsicherer Miene, aber stumm, gewiss wusste sie noch nicht, was man von ihr wollte. Itachi führte sie zum Altar und Fukita und die Frau banden sie daran fest. Der Hohepriester stellte sich dahinter, hob seine Jashin-Kette an und begann mit den rituellen Worten, während Fukita den Blutkelch und das Opfermesser zückte.
 

Sakura erwachte, als ein Schrei, ein Klirren und das Geräusch eines Körpers, der zu Boden fiel, ertönten. Sie schnellte in die Höhe, kurz wurde ihr schwindlig. Der Nebel war von grauem Dämmerlicht durchdrungen. Was war los?

Links von ihr sah sie Sasuke, immer noch nur mit dem Handtuch bekleidet, mit einem anderen Mann ringen. Sein Schwert drückte gegen dessen Kunai. Neben ihnen lag noch eine Gestalt in einer Blutpfütze.

Ein Kampfschrei gellte über den Platz, als ein dritter Mann sich über den Trümmerhaufen schwang, Sasuke und den anderen ignorierte und direkt auf Sakura zustürmte. Vor Schreck war sie wie gelähmt, und erst, als er Anstalten machte, über die kleine Sichtmauer hinwegzusetzen, die sie am Vorabend errichtet hatten, riss sie ein Gedanke aus ihrer Starre. Sie war kein hilfloses Opfer der Katastrophe mehr! Sie hatte wieder Kraft!

Als der Mann mit erhobenem Katana und eleganten, einstudierten Bewegungen auf sie zusprang, duckte sie sich, sammelte ihr Chakra in ihrer Faust und schlug zu. Der Schlag war so gewaltig, dass sie die Luft ringsum davonpfauchen hörte und der Dampf um sie herum weggeweht wurde wie Spinnweben im Wind. Der Mann japste auf, als ihre Faust sich in seinen Magen grub, dann wurde er weggeschleudert, krachte gegen die Sichtwand, die regelrecht zerbarst, überschlug sich und schlug fast wie ein Meteor in das Onsen-Gebäude ein, das unter dem Aufprall vollends einstürzte. Als das Krachen und Bersten verstummte und sich die Staubwolke ausbreitete, sah Sakura, wie Sasuke seinen Gegner mit einem elektrischen Blitz aus seiner Schwertklinge niederstreckte. Rauchend fiel die Leiche zu Boden.

Sasuke wandte den Blick zu dem zerstörten Gebäude, dann sah er zu Saskura. „Nicht übel“, murmelte er.

„Danke“, grinste sie und ballte die Faust. Es tat gut, wieder ihre alte Stärke zu haben.

Sie traten zu den Leichen, um sie zu untersuchen. Als allererstes fielen ihnen die Stirnbänder auf. „Shinobi“, murmelte Sasuke. „Aus Iwagakure.“

„Also haben noch welche überlebt?“

„Sieht so aus. Aber sie haben auf mich nicht wie Ninjas gewirkt. Eher wie gewöhnliche Straßenräuber, die uns als leichte Beute angesehen haben. Sie waren unsicher. Ninjas, die unsicher sind, leben nicht lange.“

„Es wird sie verstört haben, dass sie kein Chakra mehr hatten“, sagte Sakura, die sich neben der ersten Leiche niedergekniet hatte. Sasukes Schwert hatte eine tödliche Wunde in den Brustkorb gerissen. „Wir haben auch gar kein Glück“, sagte sie.

„Was meinst du?“

„Egal, wo wir unser Nachtlager aufschlagen, ständig findet uns irgendwer“, sagte Sakura trocken. „Vielleicht sollten wir tagsüber schlafen.“

Sasuke zuckte mit den Schultern und ging zu ihren Klamotten. Sakura sog scharf die Luft ein und drehte sich schnell weg, als er sein Handtuch einfach fallen ließ, um in seine Kleider zu schlüpfen. Dann schnappte er sich den Metalltopf und begann neues Wasser für die Kristalle zu kochen. Bei dem blubbernden Anblick knurrte Sakuras Magen, obwohl das, was er brauen würde, nicht wirklich genießbar war.

„Willst du den ganzen Tag halb nackt herumlaufen?“, fragte Sasuke, ohne sie anzusehen.

Sakura sah an sich herab und erschrak, als sie sah, dass der Ruck ihres Schlages ihr Handtuch hatte verrutschen lassen. Noch war zwar alles bedeckt, aber nur gerade so. Hastig schritt sie zu dem Pfahl, auf dem sie die Kleider aufgehängt hatten. Sie waren tatsächlich in der Nacht getrocknet, obwohl einzelne Dampffinger sie sicher noch erreicht hatten. Unsicher sah sie zu Sasuke, der soeben dabei war, die Kristalle in das Wasser zu legen. Immer noch wandte ihr den Rücken zu, aber er musste ihr Zögern gespürt haben. „Mach schon. Ich schau dir schon nichts weg.“

Sie schluckte und sah sehnsüchtig zu dem Onsen-Gebäude, das mittlerweile nur noch eine staubende Ruine war, in die man keinen Schritt weit mehr eintreten konnte, und sofern sie nicht auf die Straße hinauswollte, wo vielleicht noch weitere fremde Ninjas waren, gab es nirgends einen ruhigen Platz zum Umziehen. So schnell es ging wickelte sie sich aus dem Handtuch und schlüpfte in die kratzende Bergarbeiterkleidung. Ihre Haut war noch feucht, aber es würde schon gehen. Sasuke hatte sich immer noch nicht gerührt, als sie sich zu ihm setzte, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen, und wartete, bis die Kristalle fertiggekocht waren. „Gewöhn dich besser dran“, murmelte Sasuke und leerte die Steine auf den Boden. „Wir müssen vielleicht für längere Zeit gemeinsam durch das Land ziehen. Falsche Scheu bringt da nichts.“

„Das sagst du“, meinte sie schnippisch. „Der Frauenheld mit dem Traumkörper, den zu verstecken ja eine Schande wäre.“

„Frauenheld?“ Jetzt sah er sie verwundert an. „Bist du sauer?“

„Vielleicht“, gab sie zurück.

„Wieso?“

„Weil …“ Sie wusste es selbst nicht. „Ach, lass mich doch in Frieden“, sagte sie und wandte demonstrativ den Kopf ab.

„Wenn du schon davon sprichst, ich finde nicht, dass du dich verstecken müsstest.“

„Pah.“ Trotzig stand sie auf, um etwas zu finden, womit man die Steine zerkleinern konnte, als sie plötzlich innehielt. Hatte er ihr gerade ein Kompliment gemacht? Zweifelnd sah sie zu ihm zurück. War er vielleicht krank? Da kam ihr erst wieder in den Sinn, dass sie ihn heute Nacht geküsst hatte. Hatte das irgendetwas geändert? Oder war es am Ende genau das gewesen, was sie vermutet hatte – nichts als ein schöner Traum?

Schweigend kochten und mahlten sie alle Kristalle nacheinander und streuten das Pulver in ihre beiden Fässer. Die ganze Zeit sah Sakura immer wieder verstohlen zu Sasuke. Er musste die Blicke sehr wohl bemerken, aber er reagierte nicht darauf. Sie schulterten jeder ein Fass und machten sich weiter auf den Weg nach Norden. Sakuras Magen begann immer lauter zu knurren, doch in dem Waldgebiet gab es keine Beeren oder anderes Essbares; die Tiere schienen gemeinsam mit dem Menschen verschwunden zu sein.

Dafür sah sie gegen Mittag etwas, das bewies, dass der Chakrasturm die Welt nicht nur zum Schlechten, Düsteren gewandelt hatte: Ein wunderschöner Waldsee mit kristallklarem Wasser, das goldener im Sonnenlicht schimmerte, als es wohl gewöhnlich getan hätte, mit glitzernden, regenbogenbunten Wirbeln erstreckte sich plötzlich vor ihren Augen. Flache, glänzende Felsen prangten darin wie riesige Edelsteine, und gespeist wurde der See von einem kleinen Wasserfall, vor dem ein Regenbogen in einer Wolke aus sprühenden Wassertröpfchen schwebte. Die Felsen ringsum waren vom Sturm poliert worden und wirkten wie gläserne Spiegel, warfen das Licht zurück und verstärkten es, sodass ein Kranz aus goldenem Nebel den Wasserfall umgab. Staunend berührte Sakura die Felsen, sah sich selbst darin und war überrascht, dass sie sich kaum verändert hatte. Ihre Wangen waren ein wenig eingefallen, ansonsten sah ihr Gesicht aus wie immer.

In schweigendem Einverständnis luden sie ihre Last ab und setzten sich auf die Felsenkante, um auszuruhen, sahen auf den See hinunter. Nach einer zögerlichen Weile lehnte Sakura ihren Kopf an Sasukes Schulter, ganz leicht nur, aber Hitze explodierte dabei in ihre Wange, dabei wollte sie im Grunde nur herausfinden, wie er reagierte.

Er reagierte gar nicht. Stumm sah er auf das Wasser hinab.

„Wie gefällt es dir?“, fragte sie.

„Was meinst du?“

„Das hier. Den Wasserfall und den See.“

Er schnaubte. „Es ist ein Wasserfall und ein See, nichts weiter.“

„Aber er ist wunderschön. Kannst du das nicht sehen?“

„Ich halte nicht viel von Naturschauspielen. Aber es ist beruhigend, das stimmt.“

Eine Weile schwiegen sie. Sakura genoss einfach nur das Gefühl seiner Nähe, einer Nähe, die sie selbst bestimmte, und er entzog sich ihr nicht. „Was hältst du eigentlich von mir?“, fragte sie irgendwann.

„Du stellst zu viele Fragen.“

„Nein – du gibst nur zu wenig Antworten.“

Er zögerte, warf einen Stein ins Wasser. Wie geschmolzenes Gold rollten kleine Wellen davon, unwirklich und verträumt glitzernd. „Ich habe mir nie wirklich Gedanken über jemand anderes als mich gemacht. Auch nicht über Frauen.“ Er stockte, und es schien ihr, als würde es ihm jetzt erst bewusst werden, dass ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. „Wenn du von Liebe sprichst“, sagte er etwas lauter, „dafür bin ich wohl nicht geboren.“

„Woher willst du das wissen?“

„Weil ich alles, was ich tue, danach ausrichte, welche Kraft ich davon erhalten kann“, sagte er überzeugt. „Und Liebe macht einen nicht stärker.“

„Das ist doch kompletter Blödsinn!“

Er sah sie fragend an.

Gerade die Liebe kann Berge versetzen und eine Antriebskraft sein! Dein Problem ist nur, dass du eine Mauer um dein Herz aufgebaut hast, damit du von niemandem abhängig sein musst, aber zu jemandem zu gehören ist nichts Schlechtes! Im gleichen Maße, in dem du deine Liebsten schützen musst, schützen sie auch dich!“ Die Worte kamen ihr über die Lippen, ohne dass sie lange nachdenken musste. Sie hatte viel über Sasukes Beweggründe nachgedacht, schon immer. Er dachte zweifellos, Liebe wäre nur eine Last und würde ihn einschränken.

Sasuke schnaubte humorlos. „Wozu soll ich lieben? Ich lebe für meine Rache. Liebe brauche ich dafür nicht. Das ist eine Mädchen-Fantasie, sonst nichts.“

„Ja, Rache“, sagte Sakura gereizt. „Weißt du, was Rache ist? Nur ein Stück Stoff, das ein Loch stopft! Und wenn du deine Rache bekommen hast, wird an der Stelle eine gähnende Leere sein, und um die zu füllen, brauchst du etwas anderes, etwas, das länger anhält!“

„Liebe, meinst du?“, murmelte er und klang nicht mehr ganz so von sich selbst überzeugt, zumindest nachdenklich. Sakura wertete das als positive Entwicklung. Ein Gespräch, das war es, was er immer schon gebraucht hatte. Sie hatten zu wenig geredet, damals, und es war auch nie Gelegenheit dazu gewesen, wenn sie sich getroffen hatten, nachdem er Nuke-nin geworden war.

„Natürlich! Was hattest du denn vor zu tun, wenn du deine Rache bekommen hast? Selbstmord begehen?“

„Unsinn.“ Er schwieg nachdenklich und sah wieder auf den See hinaus. „Eigentlich dachte ich daran, den Uchiha-Clan wiederaufzubauen.“

„Na bitte“, sagte Sakura triumphierend. „Wie willst du das schaffen, ohne …“ Sie brach ab. Das führte zu weit. Was dachte sie sich denn dabei? Dachte sie ernsthaft, sie könnte die Mutter seiner Kinder werden? Wollte sie denn das überhaupt selbst? Sie konnte es plötzlich nicht sagen, aber ihr Herz pochte wie verrückt.

„Was soll ich deiner Meinung nach dann tun?“, fragte er sie und klang gereizt. Auf seiner Stirn hatte sich eine leichte Falte gebildet.

Sakura sah in seine Augen und hoffte, dass er in diesem Moment erkennen konnte, was sie für ihn fühlte. Sie fuhr mit dem Finger über seinen Mundwinkel. „Lass mich dir helfen“, sagte sie sanft. „Lass mich dir helfen, die Wand um dein Herz einzureißen. Du brauchst sie nicht mehr.“ Sie näherte ihre Lippen seinen an. Für einen Moment fürchtete sie, er würde sie abweisen, aber er bewegte sich nicht. Sie merkte jedoch, wie er etwas erwidern wollte, also verschloss sie seinen Mund mit ihren Lippen.

Dieser Kuss war intensiver als der letzte. Sie spürte, wie er ihn erwiderte, sogar die Arme um sie legte, so sanft, dass sie sie kaum spürte. Sakura strich ihm durch das Haar, umschlang ihn mit dem anderen Arm, hielt ihn fest, damit er nicht fliehen konnte. Als sie die Augen öffnete, sah sie ihre Spiegelbilder in Dutzenden der spiegelnden Felsen, umrahmt von goldenem Nebel, der vor allem um ihre Haut herum schimmerte. In einem der Spiegel brach sich das Licht so, dass Sasuke von einem blenden weißen Sonnenstrahl erfasst wurde, der seine Haut hell erstrahlen ließ. Nur in diesem einen Spiegel war es so, in diesem Felsen, den der Chakrasturm verändert hatte, nur dieses eine Spiegelbild ließ ihn wie eine Statue aus Silber funkeln, während ihre Haut von einem goldenen Schimmer überzogen war. Gold und Silber. Zwei Edelmetalle, eng umschlungen. Sie wusste, dass es nur in diesem Spiegel so aussah, dass sie in Wirklichkeit so aussahen wie immer, doch der Anblick brannte sich in ihr Gedächtnis. Es erschien ihr wie ein Zeichen, das ihr klarmachen sollte, dass sie beiden zusammengehörten.

Ihre Lippen lösten sich von einander und sie legten das Kinn auf die Schulter des jeweils anderen. „Vom Grund meines Herzens“, flüsterte Sakura, melancholisch gestimmt von dem magischen Anblick, „wünsche ich mir, dass du die Dunkelheit ablegst, in der du dein Herz versteckst, Sasuke. Selbst, wenn der Sturm noch ärger ausgefallen wäre, wenn nur noch kleine Erdkrumen von der Welt übrig wären und alles wie die Wüste im Land des Windes aussehen würde, ich will an deiner Seite sein. Das wollte ich immer, und ich werde dich nicht mehr gehen lassen, jetzt, wo ich dich endlich wiederhabe.“ Ihre Arme zitterten, als sie ihn mit aller Kraft an sich drückte. Ohne dass sie es wollte, stiegen ihr Tränen in die Augen. „Wir haben so viel getan, so viel versucht, um dich zurückzubringen … Andere haben schon die Hoffnung aufgegeben, dass wir es je schaffen würden. Ich weiß nicht mehr, wer es war, vielleicht Neji oder einer der Jonin, aber er hat einmal gesagt, eher würde die Welt untergehen, als dass wir dich erreichen könnten.“ Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge, wischte ihre Tränen an seiner Haut ab. „Jetzt ist es soweit. Die Welt ist untergegangen. Und ich halte dich in den Armen.“ Ein Schluchzen schüttelte sie. „Es ist wie ein Traum. Bitte, lass ihn nicht enden.“

„Aber wieso …“, murmelte er. „Wie kannst du so von mir denken … Ich habe euch doch alle verraten.“

Sakura lächelte traurig. „Wie ich dir gesagt habe. Diese Welt ist eine völlig andere. Und vielleicht schaffe ich es auch langsam, das Alte hinter mir zu lassen.“

„Sakura …“, murmelte er, und beim Klang ihres Namens entfuhr ihr ein wohliger Schluchzer und ihr Denken setzte aus.

Sie setzten den Kuss fort, noch inniger als zuvor. Sasukes Mund öffnete sich für sie, ihre Zungen umtanzten einander ohne ihr Zutun. Sie spürte seinen Atem in ihrem Gesicht, sein Haar kitzelte über ihre Haut. Wie feine Spinnweben berührte er sie an den Schultern, bugsierte sie nach hinten, legte sie auf den glatten Felsen. Sie hätte nie gedacht, dass ein abtrünniger Ninja und Rächer wie er so sanft sein könnte. Er beugte sich vor, um den Kuss nicht zu unterbrechen, strich über ihre Arme, verschränkte seine Finger in ihre. „Sasuke“, seufzte sie atemlos, als er die Lippen zurückzog. Mit jedem schnellen Herzschlag wogte eine kribbelnde Hitzewelle durch ihren Körper. In ihrem Kopf drehte sich alles.

„Dann versuch es, Sakura“, murmelte er herausfordernd. „Beweise mir, dass es stimmt. Reiß die Mauer ein.“

Und ihre Gedanken waren wie fortgeweht. Alles, was sie wusste, war, dass sie ihn liebte. Noch immer, aller Logik zum Trotz. Und dass sie nun die Verantwortung hatte, ihn wieder zu einem Menschen zu machen.

Sie faltete die Hände in seinem Nacken und zog ihn zu sich herunter, küsste ihn erneut, auf den Mund, auf den Hals. Sakura streifte die Träger seines weit ausgeschnittenen, dunklen Hemds über seine Schultern und tastete flüchtig mit den Lippen über seinen Brustkorb. Schon dass er das zuließ … Vielleicht bröckelte die Mauer um sein Herz schon. Vielleicht hatte sie ja der Sturm brüchig werden lassen, wie so vieles aus der alten Welt. Aber … So schnell, es geht zu schnell … Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, doch sie konnte jetzt nicht aufhören. Sie fühlte sich plötzlich selbst wie in einem Sturm, und wenn sie ihn nicht festhielt, wenn sie auch nur eine Sekunde von ihm abließ, würde er vielleicht davongerissen und sein Herz endgültig zerschmettert werden …

Sasuke ging kurz auf Abstand und hob ihre Beine von der Felsenkante, sodass sie ausgestreckt vor ihm lag. Dann kniete er sich über sie, ihre Knie berührten sich. Sakura seufzte auf, als seine Hand unter ihre Bergarbeiterweste glitt und ihre linke Brust umschloss. Langsam schob er den groben Stoff hoch. Er begann, an ihren Brustwarzen zu saugen, sie sich ihm steil und hart entgegenreckten. Sakura antwortete mit einem leisen, genießerischen Stöhnen, als ein wohliges, kribbelndes Gefühl durch ihre Brust in ihren Körper strömte. Sasuke beugte sich vor, um sie auf den Mund zu küssen. Sie spürte durch den Stoff seiner Hose hindurch, wie seine Erektion flüchtig über ihren Oberschenkel streifte, und plötzlich setzten ihre Gedanken wieder ein.

Und mit ihnen kam die Erinnerung.

Plötzlich sah sie schwarze Schwingen vor ihrem inneren Auge auftauchen, der glatte Fels unter ihr verwandelte sich in borstiges Stroh, und sie hörte ihre eigenen, gellenden Schreie in ihren Ohren, verzweifelt und hilflos. Sie war wieder da. Die Nacht, in der sich Itachi an ihr vergangen hatte, war wieder so lebendig wie nie zuvor.

Sasuke bemerkte, wie sie sich plötzlich verkrampfte, und hielt inne. „Was hast du?“

Sakura biss sich auf den Finger, um die Tränen zu verscheuchen, doch es gelang ihr nicht. Stumm liefen sie ihr über die Wangen. Sie drückte Sasuke kraftlos weg und kroch davon, schob schützend ihr Oberteil wieder über ihre Brüste und presste die Hand vor den Mund, um weitere Schluchzer zu unterdrücken, die sie schüttelten. Er sah sie mit ratlosem Blick an.

„Entschuldige“, flüsterte sie bebend, sprang auf und lief davon, hinein in den Wald, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dann sank sie schluchzend und zitternd auf einem Felsen nieder, umschlang den Oberkörper mit den Armen und sah zu, wie ihre Tränen auf den Waldboden tropften. Ihre Schultern bebten.

Sie hatte ihn nicht abweisen wollen. Sie wusste, dass sie ihn jetzt verletzt hatte. Aber sie hatte es einfach nicht gekonnt … Vielleicht war es gar nicht so gewesen, dass sie die Wand um sein Herz einreißen hatte wollen. Hatte sie nicht eher versucht, mit seiner Hilfe die Wunde in ihrer Seele zu heilen? Sie wusste plötzlich, dass das zum größten Teil stimmte. Stattdessen war sie wieder aufgerissen.

Während sie hemmungslos ihren Kummer weinte, dachte sie darüber nach, dass sie sich vielleicht nie wieder von einem Mann berühren lassen konnte. Selbst ihn zu küssen wäre jetzt nie wieder wie zuvor. Sie wäre wertlos, wenn Sasuke seinen Clan wiederaufbauen wollte, aber das war es nicht, was ihr am meisten Angst machte.

Am meisten fürchtete sie, dass Itachi etwas in ihr zerstört hatte. Dass sie womöglich nie wieder zu wirklicher und vollkommener Liebe fähig war.
 

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Das ist eine neuere, hoffentlich treffendere Versiond es Kapitels mit klitzekleinen Schönheitsänderungen. Ich bin also auf das Feedback der Neuleser gespannt, wie es herüberkommt, also haltet euch nicht zurück ;) Alles in allem läufts wieder mal drauf hinaus, dass ich hoffe, aber mir nicht sicher bin, ob ich das Gefühlsleben glaubhaft dargestellt habe^^

Danke übrigens noch allen Kommi-Schreibern beim letzten Kapitel, ich hätte eigentlich gar nicht damit gerechnet, dass die FF bis jetzt so gut ankommt :D

Was wäre noch zu sagen? Ahja, die Actionszene. Wie war die? Ich hab sie nicht extra ausgebaut, plane aber, bald noch weitere folgen zu lassen. Darfs ruhig ein bisschen detaillierter sein?^^

Seelischer Fluch

Nach einer Weile hörte sie Sasukes Schritte. Sie sah nicht auf, als er sich auf einen Baumstamm setzte, schmerzlich weit weg von ihr. „Was ist mir dir, Sakura?“, fragte er so leise, dass sie keine Gefühlsregung in seiner Stimme hören konnte.

Sie blinzelte, sah ihm kurz in die Augen und konnte dann nicht anders, als den Blick abzuwenden. Wenigstens das erkannte er. Dass es nicht seine Schuld war. Er wirkte nicht beschämt, sondern ein wenig unsicher, aber nicht über sich selbst, sondern über ihre Reaktion.

Sie wollte etwas sagen, sich entschuldigen, aber sie brachte keinen Ton heraus. In ihrem Hals war ein Knoten, der ihre Kehle zuschnüren wollte und nur Schluchzen durchließ, nichts sonst.

„Habe ich etwas Falsches getan?“ Jetzt fragte er es. An seinem Ton hörte sie, dass er nur versuchte, ihr die Wahrheit zu entlocken. Denn er hatte nichts getan. So viel Selbstvertrauen, das anzunehmen, besaß er.

Sakura schüttelte den Kopf. „Nein“, schniefte sie. „Es ist nicht … deine Schuld …“ Sie vergrub das Gesicht in der rechten Hand, als eine neuerliche Tränenwelle mit aller Gewalt nach oben drängte.

Er stand auf, setzte sich neben sie, vorsichtig, um ihr Gelegenheit zu geben, zurückzuweichen. Zaghaft berührten seine Fingerspitzen ihre Schulter. Sie zuckte zusammen, und er zog sie sofort wieder zurück.

„Bitte … ich möchte allein sein“, brachte sie gepresst hervor. Dabei hätte sie nichts lieber getan, als sich ihm an die Brust zu werfen und ihm alles zu erzählen, all das Leid und die Unsicherheit, die Angst und die Verzweiflung über etwas, das sich nie wieder rückgängig machen ließ.

Er blieb sitzen und sah sie forschend an. „Du hast etwas davon gesagt, dass du ein Jungfrauenopfer hättest sein sollen, bei den Jashinisten.“ Er zögerte. „Sei ehrlich. Als sie dich gefangen hatten, da hätten sie dich noch für ihr Ritual opfern können, oder?“

Sie antwortete nicht, starrte nur ins Leere. Sie wollte es ihm nicht sagen. Immer noch schämte sie sich dafür, obwohl sie nichts dafür konnte. Es auszusprechen hätte alles nur schlimmer gemacht.

„Sakura“, sagte er, nicht drängend oder befehlend, aber sie nickte abgehackt. Er wusste es ja ohnehin schon, so naiv war er nicht.

Sasuke murmelte einen tonlosen Fluch. „Wer war es?“, fragte er dann und seine Stimme klang verändert. „Wer hat dir das angetan, Sakura?“

Obwohl sie seine Nähe als seltsam tröstlich empfand, wurde das Gespräch von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. Wenn sie einfach verschwinden, im Boden versinken könnte, hätte sie es getan. „Ist doch egal“, sagte sie mit hoher, brüchiger Stimme. Sie schluckte, doch das weinerliche Ziehen in ihrem Hals blieb. „Der Hohepriester.“

Etwas in seinem Blick veränderte sich und er nickte und stand abrupt auf. „Dann komm.“

Sie sah ihn fragend an, weinte nun nicht mehr, aber die Tränen in ihren Augenwinkeln verschleierten trotzdem ihren Blick.

„Wir kehren um. Der Kerl wird dafür büßen“, sagte Sasuke kalt.

Sie wusste nicht, ob sie ihm dafür dankbar sein sollte. Aber was sie wusste, war, dass er das auf keinen Fall tun durfte. Er würde herausfinden, dass Itachi der Hohepriester war, und er würde sie hassen und vielleicht sterben. Sie packte ihn fest am Handgelenk. „Nein“, murmelte sie mit belegter Stimme. „Er hat es getan, um mich zu schützen.“

„Du verteidigst ihn auch noch?“, murmelte er.

Sakura griff auch mit der anderen Hand zu. „Bitte, Sasuke … Ich will nie wieder dorthin zurück. Ich will das alles vergessen. Ich gehöre doch jetzt zu dir.“ Sie war immer leiser geworden, bis sie flüsterte. „Das hört sich vielleicht unehrlich an, nach allem … Aber glaub mir, ich will dir nahe sein. Ich will dich umarmen, ich will dich küssen, ich will … ich will … auch mit dir schlafen“, brachte sie hervor. „Ich will dir alles geben, was du von mir erwarten kannst, dir helfen deinen Clan wiederaufzubauen, aber … ich kann nicht …“ Sie kniff die Augen zusammen, als die Tränen wieder heraus drängten. „Es tut mir leid … so leid …“ Sie fing wieder zu weinen an, hasste sich dafür, konnte es aber nicht ändern. Er stand stumm neben ihr, und erst, als sie an seiner Hand zog, schloss er sie mit steinerner Miene in die Arme.
 

„Frevel?“, fragte Fukita großäugig.

„Ja“, sagte Itachi. „Es ist, wie ich es mir gedacht habe. Jashin hat das große Ninjadorf zerstört, weil sie einen seiner Priester getötet haben. Alle Gegenstände von dort sind von ihm verflucht. Im Buch des Blutes sagt Jashin in der neunten Prophezeiung: Wer Blut vergießt, dessen Blut wird veredelt, aber wer tötet, um sich mir zu widersetzen, dessen Blut sei auf ewig verflucht. Damit meint er nicht nur die Ninjas, die seine Gesandten töten, sondern all ihre Besitztümer.“ Er deutete auf das Gerümpel, das sich in seiner Kammer stapelte. Fukita musste es seltsam vorkommen, da er schließlich selbst angefordert hatte, ihm alle brauchbaren Möbelstücke, Küchengeräte und alles aus Metall zu bringen, was in Konohas Ruinen noch zu finden gewesen war, doch er würde einfach sagen, er hatte die Worte dieser neunten Weissagung überprüfen wollen. „Bringt mir einen großen Karren – einen einzigen, denn er wird auch verflucht werden – und zwei Leute als Begleitung. Dieses schändliche Gut muss sofort nach Konoha zurückgebracht werden, zugedeckt, zur Sicherheit. Es darf von dort nicht mehr entfernt werden.“

Fukita nickte entgeistert. „Selbstverständlich, Hohepriester … aber was ist mit den Leuten, die dieses verfluchte Zeug zusammengesucht haben? Sie haben Frevel in Jashins Augen begangen!“

„Deshalb werde ich selbst mitgehen“, erklärte Itachi. „Ich selbst werde den Karren im Zentrum von Konohas Ruinen abstellen, mit meinen gesegneten Händen. Dann wird Jashin uns Gnade erweisen. Die Eskorte soll mich nur bis zum Rand des Dorfes begleiten.“

„Wie Ihr befehlt“, murmelte Fukita, aber er klang erleichtert.

Als er gegangen war, wandte sich Itachi zu dem Stapel aus Gerümpel, der einen großen Teil seiner Wohnhöhle beanspruchte. „Es ist bald soweit“, sagte er zu dem Augenpaar, das ängstlich zwischen zwei Stühlen hervor spähte. „Wenn sie mit dem Karren kommen, kletterst du sofort hinein. Und denk daran, du erzählst niemandem, dass du hier warst.“

Das Mädchen nickte furchtsam.

Er hatte so viel Nützliches von ihr erfahren, dass er sie unmöglich hatte sterben lassen können. Sasuke war noch am Leben, und zweifellos war er es gewesen, der Sakura befreit hatte. Natürlich. Sein kleiner Bruder …

Es war ihm nicht weiter schwer gefallen, die fünf Ritualdiener mit einem Genjutsu zu belegen, das ihnen vorgegaukelt hatte, sie würden tatsächlich das lang ersehnte Opfer erleben. Tatsächlich hatte er mit dem Messer nur durch die Luft geschnitten und was sie getrunken hatten, war Wasser gewesen. Um die dafür beanspruchte Menge an Chakra auszugleichen hatte Itachi vier faustgroße Kristalle gebraucht, aber das war es wert gewesen.

Dennoch stimmte ihn der Gedanke nachdenklich. Er hätte auch Sakura auf die gleiche Weise retten können. Warum hatte er sich nur für diesen anderen Weg entschieden? Weil es einfacher gewesen war, sagte er sich. Aber mittlerweile wusste er nicht mehr, ob er überhaupt auf diesen Gedanken gekommen war … oder ob noch etwas anderes dahintersteckte, das sich seiner Kenntnis entzog …

Er unterdrückte ein Seufzen. Das war Vergangenheit, ließ sich nicht mehr ändern. Und Jashin hatte seiner Meinung nach schon viel zu viele Opfer bekommen.
 

Nachdem sich Sakura etwas beruhig hatte, waren sie weitergezogen, in peinlichem Schweigen. Als Sakura dachte, dem Hunger nicht mehr standhalten zu können, fing Sasuke einen Dachs, der dem Chakrasturm wohl auf die gleiche Weise entkommen war wie die Jashin-Sekte: indem er sich in seinem Bau unter Tage verkrochen hatte. Sie rösteten ihn über einem Feuer und schlangen ihn beide mit Heißhunger herunter. Sakura bemerkte, wie zufrieden Sasuke war, dass die Wirkung der Chakrakristalle anscheinend nicht verflog, sondern anhielt, bis man das Chakra wieder aktiv verbrauchte. Ansonsten wechselten die beiden kein Wort mehr an diesem Tag, und so hatte Sakura genügend Zeit, sich destruktiven Gedanken hinzugeben.

Was auch immer sie ihm gesagt hatte, es war bedeutungslos. Was half es, wenn sie ihn lieben wollte, aber nicht konnte? Sie würde ihn verlieren, das wurde ihr mit jedem Schritt auf der rissigen Erde klarer. Sie war nur so lange von Wert für ihn, bis ihre Chakravorräte einmal mehr aufgebraucht waren oder er einen anderen Partner fand. Selbst wenn er sie nicht verlassen würde, wenn er die Wahrheit über sie und Itachi erführe, was wohl zu schön wäre, um war zu werden: Wenn er seinen Bruder nicht tötete, würde er selbst sterben; wenn er ihn aber besiegte, würde er seinen Clan wiederaufbauen wollen, und dafür war Sakura wertlos. Spätestens dann würde er sie loswerden wollen, den lästigen Klotz am Bein, der zwar vorgab, ihn zu lieben – aber Sasuke war trotz allem immer noch nicht der Typ, der Liebe über kalte Berechnung stellte. Wenn sie bei ihm bleiben wollte, musste sie ihm einen triftigen Grund geben. Einen triftigen Grund … Nur welchen?

Ihr Nachtlager fanden sie in einer Talsenke. Diesmal wechselten sie sich mit dem Wacheschieben ab. Sasuke übernahm stummschweigend die erste Wache und hätte wohl stur ihren Part auch gleich übernommen, wäre Sakura nicht gegen Mitternacht von einem Albtraum aufgewacht und hätte sich demonstrativ auf einen Ast der Bäume gesetzt. Diese Nacht war allerdings ruhig.

Dafür stießen sie am nächsten Tag gegen Mittag auf Leben. Sie folgten einem schmalen Weg durch die Wälder, als sie eine Hütte am Wegesrand fanden. Sie war verlassen, aber dem Schild nach war es eine der Rastmöglichkeiten für Reisende, wo man heißen Tee und Dango-Klöße oder Curry bekam. Der Holzbau war windschief, stand aber noch, wahrscheinlich weil kein Ninja in der Nähe gewesen war, der den Chakrasturm verstärkt hätte. Dafür fanden sie zwei Leichen in der Küche, die wie Wachs glänzten; kein Gestank und kein Anzeichen von Verwesung. Sie füllten ihre Wasservorräte bei dem angrenzenden Brunnen auf; die Lebensmittel, so sie nicht von dem Sturm vernichtet worden waren, waren allesamt bereits geplündert worden. Man spürte, dass die Katastrophe bereits lange zurück lag. Kurz danach wäre vielerorts wahrscheinlich ein Bankett möglich gewesen.

Sie waren noch keine zehn Minuten wieder unterwegs, als sie Stimmen hörten. Vor ihnen machte der Weg einen Knick, also sahen sie sich nur kurz an und huschten dann in den Schutz der Sträucher am Wegesrand. Drei Leute kamen vorbei, zwei Männer und eine Frau, Shinobi, den Stirnbändern nach zu urteilen. Sie unterhielten sich über ungewöhnliche Kunai, die sie einer Leiche abgenommen hatten und die auf Wind-Chakra reagierten – angeblich, denn ausprobieren hatten sie es wegen ihrer Chakraarmut nicht können. „Etwas Gutes hat die Katastrophe ja gehabt“, sagte der eine, ein übermütiger Jungspund in Sakuras Alter, schleuderte die gebogenen Kunai in die Luft und fing sie gekonnt wieder auf. „Wir sind jetzt komplett neue Menschen. Wir können uns sogar unsere eigenen Namen ausdenken! Mich zum Beispiel dürft ihr von heute an Kaze nennen!“

„Ich nenn dich Baka, das trifft’s eher“, sagte die Frau trocken. Der andere Mann lachte. Sakura fragte sich, wohin sie gingen, aber ihrem raschen Schritt nach zu urteilen hatten sie wohl ein Ziel vor Augen. Sie und Sasuke hätten selbst zwar durch die Äste der Bäume springen können, wie Ninjas es für gewöhnlich zur Fortbewegung taten, aber diese übermenschliche Anstrengung hätte Chakra gekostet.

Auch dieser Tag verging schließlich ohne nennenswerte Konversation. Sie erreichten bergigeres Gebiet, als sie weiter nach Norden kamen. Die Hügel dort waren so dicht bewaldet, dass sie kurz nach der Dämmerung kaum noch die Hand vor Augen sahen. Immerhin schienen sie hier sicher zu sein; sie waren nun weit abseits des Weges, um eine Abkürzung zu nehmen, aber jemand ohne Chakra hätte die schroffen Berge, die sich vor ihnen auftürmten, wohl kaum in Angriff genommen. Sakura fand wilde Pilze, die in schrägem Winkel aus manndicken Wurzeln sprossen. Sie riss sie auseinander und tippte sie zuerst nur mit der Zungenspitze an, dann presste sie sie aus und kostete einen Tropfen des bleichen Saftes. Als beide Methoden kein Brennen oder Jucken im Mund oder Übelkeit hervorriefen, entfachten die beiden ein Feuer, um die Pilze zu braten. Schweigend sahen sie den Flammen zu, wie sie die Luft erwärmten und Helligkeit spendeten und dabei trotzdem wie ein Höhlenfeuer unter dem dichten Blätterdach wirkten.

„Hör mal“, sagte Sakura dann irgendwann, als sie die Stille nicht mehr aushielt. Sie hatte lange genug nachgedacht und war zu einer Entscheidung gekommen. Es gab eine ganz einfach Methode, ihn zu zwingen, bei ihr zu bleiben, ihn dazu zu bringen, seinen Clan mit ihr wiederaufleben zu lassen. Und sie hatte eine Idee, wie sie es vielleicht trotz ihres Traumas schaffen konnte. „Es tut mir wirklich leid wegen gestern. Ich habe hoffnungslos überreagiert. Es ist nur … ich weiß auch nicht.“

„Wofür entschuldigst du dich?“ Seine Stimme klang wie immer kühl, als er mit den Zähnen einen Pilz von seinem Holzspieß pflückte. „Wir haben das geklärt, oder?“

Sie knetete ihre Hände. „Schon, aber … Es ist anders zwischen uns, seitdem.“ Sie musste an die Geschichten einiger ihrer Freundinnen in Konoha denken, deren Freunde plötzlich mehr für sie bedeutet hatten und deren Freundschaft sich, wie sie es ausdrückten, nach einem Streit und der darauf folgenden Trennung selbst zerstört hatte. War das mit Sasuke und ihr so ein Fall? Oder war es einfach viel komplizierter? Sie fasste sich ein Herz und fuhr fort: „Wir haben uns doch auch vorher geküsst. Hat das alles keinen Wert mehr, nur weil wir nicht … du weißt schon.“

„Sag du es mir“, antwortete er und wirkte so gleichgültig, dass sie ihn in diesem Moment fast hasste und sich überwinden musste, das Gespräch nicht sofort abzubrechen. „Die letzten paar Mal hast du mit der Küsserei angefangen.“

Hitze schoss ihr in die Wange, doch sie gründete nicht in Verlegenheit, sondern in Ärger. „Ja, und du warst der stille Genießer! Also sag nicht, es hätte dir nichts bedeutet!“

Er sah sie forschend an, als wartete er auf etwas. Seufzend löste sie einen zweiten Trinkschlauch von ihrem Hosenbund. „Was ist das?“, fragte er.

„Reisschnaps. Hab ich in dieser Rasthütte gefunden“, sagte sie und zog den Korken ab. Stechend scharfer Geruch drang in ihre Nase. Unschlüssig ließ sie den Schlauch wieder sinken. „Ich weiß, ich bin dir so, wie ich jetzt bin, nicht von Nutzen. Aber ich will es noch einmal versuchen“, murmelte sie beklommen. Sie war nahe dran, einen Rückzieher zu machen, aber sie hatte sich das alles gründlich überlegt, nach tausend wirbelnden Gedanken, es war die einzige Möglichkeit, die sie hatte ersinnen können, um diese Sache wieder gutzumachen, sie würde es tun! Wenn ihr Verhältnis so, wie es jetzt war, weiterlief, würde sie eines Tages allein und womöglich ohne jede Spur von Chakra aufwachen – wobei das Chakra ebenfalls etwas war, das sie eigentlich nie wieder missen wollte.

Etwas Alarmiertes flackerte kurz in Sasukes Blick auf. „Was meinst du?“, fragte er tonlos.

Sakura sog tief die Luft ein. Sie roch nach Wald, nach Moos und Harz, angenehm. Die Dunkelheit ringsum war so vollkommen, dass sie das Gefühl hatte, trotz ihres Lagerfeuers könnten fremde Augenpaare sie nicht sehen. „Ich will wirklich bei dir bleiben“, sagte sie ernst. „Du bist alles, was mir geblieben ist … Ich meine das jetzt nicht abwertend, ich habe vielleicht nie mehr gewollt, als bei dir zu sein … Aber …“ Wieder musste sie tief Luft holen um weitersprechen zu können. Warum fiel ihr das nur auf einmal so verdammt schwer? Sie musste ihn einfach überrumpeln, alle Karten, die sie hatte, ausspielen, um zu retten, was zu retten war. „Sasuke, ich will mit dir deinen Clan neu aufbauen. Wenn du bei mir bleibst, dann verspreche ich dir, dass ich dir ein Kind schenken werde.“ Sie hob den Schlauch zu ihrem Mund. „Und ich werde dir beweisen, dass ich es ernst meine, hier und jetzt. Ich werde nicht mehr davonlaufen.“

Seine Augen wurden schmal, doch er sagte nichts.

„Wenn mein Bewusstsein mich daran hindern will, mit dir zu schlafen, werde ich es einfach betäuben!“, erklärte sie kampfeslustig und setzte den Schlauch an. Scharfer Schnaps brannte ihre Kehle hinunter, floss wie Feuer durch ihren Magen, doch sie schluckte immer mehr davon, hörte nicht auf zu trinken, selbst als ihre Augen tränten und ihr Magen rebellierte und den Alkohol wieder hocharbeiten wollte – und dann stand Sasuke plötzlich direkt vor ihr, packte den Schlauch hart mit der Hand und zog ihn nach unten, sodass sie nicht mehr an den Reisschnaps kam.

„Hör schon auf“, knurrte er gereizt. Er entriss ihr den Trinkschlauch und schmiss ihn achtlos in die Büsche. In seinen Augen funkelte Zorn. „Du bist erbärmlich“, murmelte er, wandte sich mit einem Ruck ab und verschwand im Wald.

Sakura fühlte sich wie mit eisigem Wasser übergossen. Das Feuer in ihrer Kehle flackerte heißer denn je, und sie musste husten, doch zum Glück kam nichts hoch. Wie ein begossener Pudel blieb sie auf dem weichen Waldboden hocken und starrte apathisch ins Feuer. Erbärmlich … Er hielt sie also für erbärmlich …

Sasuke kam nicht zurück. Stattdessen wurden ihre Gedanken träge, als der Alkohol zu wirken begann, und sie bekam Schluckauf. Ärgerlich stürzte sie sich gut die Hälfte des Wassers in dem anderen Schlauch hinunter und stand ruckartig auf.

Das hätte sie nicht tun sollen. Der Boden schwankte unter ihr, als stünde sie an Deck eines in Seenot geratenen Schiffes kurz vor der Kenterung. Ungeschickt fiel sie auf die Knie. Plötzlich fühlte sie Zorn in sich. Was fiel ihm eigentlich ein! Ihre Bemühungen so herunterzumachen, ihre ehrlichen Gefühle mit Füßen zu treten … Energisch stand sie auf, etwas trittsicherer diesmal, und machte sich auf die Suche nach ihm. Der Alkohol war ihr wirklich zu Kopf gestiegen, denn sie stolperte mehr schlecht als recht über Wurzeln und den abschüssigen Boden, und obwohl Sasuke sich keine Mühe machte, sich zu verstecken, musste sie zweimal hinsehen, um den unförmigen Schatten als seinen Körper zu identifizieren, der auf einem umgestürzten und schräg aufragenden Baumstamm saß und in den Nachthimmel starrte, von dem von hier aus ein winziger Fleck zu erkennen war.

„Da bist du ja“, sagte er, ohne in ihre Richtung zu sehen. Klang er nicht hämisch? Es kam ihr so vor.

Weil sie den rutschigen Baumstamm in ihrem momentanen Zustand wohl ohnehin nicht hätte erklimmen können, setzte sie sich nur trotzig auf dessen Stumpf. „Ja, stell dir vor, das oberflächliche, erbärmliche, betrunkene Mädchen ist dir gefolgt“, sagte sie gereizt. Wenigstens hatte sie mit dem Sprechen keine Probleme, zumindest fiel es ihr nicht auf. „Du toller Hecht“, fügte sie bissig hinzu. Als er nichts sagte, rief sie: „Was ist los? Bist du plötzlich zu cool für mich?“

„Ich streite mich nicht mit Betrunkenen“, sagte er sachlich. Langsam aber sicher brachte er sie mit seiner unberührbaren Stimmungslage in Weißglut.

„Du musst dich ja für sehr anständig halten“, höhnte sie. Es war nicht wirklich sie, die sprach. Sie ließ ihrer inneren Stimme ungehindert den Vortritt, und die war stinkwütend. „Wenn du Alkohol nicht riechen kannst, hättest du es sagen sollen.“

Mit einer schwungvollen Bewegung sprang er von dem Baum und landete gute drei Meter tiefer federnd auf dem Waldboden. Sie senkte misstrauisch den Kopf, als er sich vor sie stellte, erwartete eine abfällige Bemerkung, wie sie es von ihm gewohnt war, aber es klang fast freundlich, zumindest aus seinem Mund. „Sakura“, sagte er, „warum denkst du auf einmal, mit mir schlafen zu müssen, damit ich dich mitkommen lasse? Glaubst du, ich würde nur Sex von dir wollen?“

Ich bin ihm nicht gut genug. Trotzig wich sie seinem Blick aus. „Wennschon. Was könnte ich dir sonst bringen? Lieben wirst du mich ja kaum, soviel steht fest.“

„Steht das fest, ja?“ Plötzlich war er dicht vor ihr, stützte die Arme links und rechts von ihr auf den Baumstumpf. Obwohl ihr Verstand benebelt war, reagierte ihr Körper auf die plötzliche Nähe und ihr wurde so heiß, dass ihr der Schweiß ausbrach.

„Du würdest mir zum Beispiel nicht geradeheraus sagen, dass du mich liebst“, murmelte sie. Als er nichts erwiderte, sagte sie: „Siehst du, du kannst es nicht.“

„Das ist es nicht“, sagte er nur und klang aus irgendeinem Grund fast belustigt. „Aber wie gesagt, ich streite nicht mit Betrunkenen.“

Sakura setzte zu einer geharnischten Antwort an, die ihr garantiert gleich wieder leid getan hätte, aber dann klappte sie den Mund wieder zu. „Wieso hast du mich erbärmlich genannt?“, murmelte sie bitter.

Der Ausdruck in seinen Augen änderte sich nicht und es blieb ihr nichts übrig, als ihn als ehrlich einzustufen. „Weißt du das wirklich nicht? Du hast versucht, dich zu etwas zu zwingen, was du selbst nicht willst. Du hast getan, als würde ich dich nur für eine Gebärmaschine für zukünftige Uchihas halten. Damit hast du nicht nur deine eigene Selbstachtung über den Haufen geworfen, sondern auch noch mich beleidigt.“

„Tut mir leid“, murmelte sie betreten. „Ich hatte nur Angst … dass du mich nach dem, was passiert ist, verlassen würdest. Und sag jetzt nicht, dass dich das auch beleidigt. Schließlich hast du es schon mal getan.“

Seine Augen waren glatt und so dunkel, kaum zu erkennen in der Finsternis. Die Sterne am Himmel und das Flackern des Feuers in der Ferne spendeten kaum Licht, aber sie glaubte zu sehen, wie sich etwas in seinem Blick änderte. Sachte schüttelte er den Kopf. „Ich dachte immer, ich wäre jemand, der nur Kummer und Schmerz fühlen kann. Aber nun sehe ich dich. Was du durchgemacht hast. Welche Ängste und Sorgen du hast. Das ist …“

„Erbärmlich?“, schlug sie bitter vor, als er nicht weitersprach.

Ohne darauf einzugehen, stand er auf. „Schlaf dich aus“, sagte er. „Ich übernehme die erste Wache. Sieh zu, dass du nüchtern wirst.“

„Jaja“, murmelte sie, stand ebenfalls auf und musste sich an seinen Arm klammern, um nicht umzufallen. Seufzend geleitete er sie zum Feuer zurück und half ihr, sich auf die Stelle mit dem meisten Moos zu legen. Dann zog er sogar seinen Umhang aus und deckte sie damit zu.

„Bekomme ich gar keinen Gutenacht-Kuss?“, fragte sie schlaftrunken. Ihre Zunge plapperte wie von alleine.

„Schnaps“, murmelte er kopfschüttelnd. „Auf dich muss man wirklich ständig aufpassen“

Sakura lächelte und schloss die Augen. In ihrem Kopf drehte sich immer noch alles.

„Sakura“, sagte er.

„Hm?“

Sie spürte, wie seine Hand nach ihrer tastete. „Ich werde bei dir bleiben, keine Sorge“, sagte er. „Ich kann dich umarmen und dich küssen, wenn das in Ordnung ist.“ Sie musste sich beherrschen, ihn nicht überrascht anzustarren, stattdessen hielt sie die Augen geschlossen. Vielleicht träumte sie ja schon, und vielleicht verschwand dieses Gespenst, das mit Sasukes Stimme Worte sprach, die aus seinem Mund zu hören sie nie erwartet hatte. „Aber ich werde nie weiter gehen, bis du nicht auch dazu bereit bist“, fuhr er fort. „Solange werde ich warten.“

Plötzlich fühlte sie sich schon wieder weinerlich. „Wenn du Pech hast, musst du für immer warten.“

Seine Lippen berührten ihre Stirn und er wischte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. So kam sie also doch noch zu ihrem Gutenacht-Kuss. „Dann werde ich für immer waren“, sagte er tonlos, und wieder wusste sie nicht, ob es die Wahrheit war oder der Versuch, seine lästige Begleiterin in den Schlaf zu wiegen. Sie hoffte auf Ersteres.
 

Sie brauchten vier Tage, um das Gebirge zu überqueren, stolperten oft haarscharf am Absturz vorbei über einen Felsgrat. Essen gab es dafür in Hülle und Fülle: Seltsame, verkrüppelte Bäume zwängten sich aus dem rohen Fels, auf denen blassgelbe, geschmacklose, aber sättigende Früchte wuchsen.

Sakura merkte, wie sich ihr Verhältnis in diesen Tagen geändert hatte. Immer noch sprachen sie nicht sehr viel, meist über belanglose Dinge und über solche, die direkt vor ihnen lagen. Dennoch spürte sie, wie das Eis in Sasukes Augen taute. Wenn er sie ansah, war sein Blick ungewöhnlich weich, und das liebte sie. Im Gegensatz zu den letzten Tagen verhätschelte er sie auch nicht; stattdessen teilten sie sich die Wachezeiten und Essensbeschaffung akkurat auf. Auch das gefiel ihr; es gab ihr das Gefühl, ihm endlich gleichwertig zu sein.

Und noch etwas fiel ihr auf. Sie wusste nicht, ob diese Veränderung von ihr aus ging oder von ihm, aber sie standen einander oft näher, im wahrsten Sinne des Wortes; ihre Knie berührten sich, wo immer sie saßen, und an besonders steilen Felsen hielten sie fest den Arm des anderen. Eines Nachts erstickten sie sogar das Schweigen in Küssen, die seltsamerweise nun äußerst zaghaft waren. Als sie am dritten Tag den höchsten Punkt ihrer Route erreichten und es kalt und windig wurde und sie das Wacheschieben ganz bleiben ließen, kuschelten sie sich eng aneinander, Sakuras Rücken an seinen Bauch, und er schloss sie fest in die Arme, und nicht nur von seiner Körperwärme wurde auch Sakura warm. Mehr taten sie allerdings nicht. Sasuke verlor immer noch kein Wort darüber, ob er sie liebte, und Sakura konnte immer noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie nicht vielleicht nur ein Verlangen in ihm geweckt hatte, einen bloßen Instinkt, jemandem nahe zu sein, ähnlich wie sie selbst nicht allein sein wollte. Es muss reichen, sagte sie sich. Das muss gut genug sein.

Als sie am Nachmittag des vierten Tages die nördlichen Ausläufer des kleinen Gebirges erreichten, fühlte Sakura sich nicht mehr so schlecht wie an den vorangegangenen Tagen. Ihre Reise hatte etwas von einem Ausflug, einer gemeinsamen Wanderung, und sie kam nicht umhin festzustellen, dass sie eine romantische Note angenommen hatte.

Sie kamen wieder in flachere Gefilde, als Sasuke, während sie auf einem alten Tierpfad durch immer noch dicht bewaldetes Gebiet gingen, fragte: „Hast du es schon bemerkt?“

Ohne zu nicken oder ihr Tempo zu ändern, sagte Sakura: „Ja. Er ist schon seit heute Morgen hinter uns.“ Da hatte sie ihn auch das erste Mal wahrgenommen, eine einzelne Person, die wie ein Schatten an ihnen klebte. Sakura konnte nicht sagen, wo er so plötzlich hergekommen war, vielleicht lebte er in diesen Wäldern und hielt sie für willkommene Beute. Aber er war da, ein schweigender Verfolger, unter dessen Füßen kaum mehr Äste brachen als unter ihren eigenen, und es war mehr das Gefühl, dass da jemand war, als tatsächliche Gewissheit. Aber wenn Sasuke ihn auch gespürt hatte, gab es ihn wohl wirklich. „Was meinst du?“, fragte sie. „Kämpfen?“

Sasuke schüttelte kaum merklich den Kopf. „Wer auch immer er ist, wir können ihn mühelos abhängen. Das kostet wesentlich weniger Chakra.“

Sakura nickte. „Zehn Schritte?“, fragte sie.

„Ab jetzt“, bestätigte er.

Auch schon in den Bergen hatten sie auf ihr Chakra zurückgreifen müssen. Manche Felsspalten waren anders nicht zu überqueren gewesen, und einmal war zu ihrer Überraschung ein wahrhaftiger Bär vor ihnen aufgetaucht. Sein Fell war büschelweise ausgefallen gewesen, aber er hatte in seiner Höhle und dank der luftigen Höhe wohl vor dem Sturm Schutz gefunden. Mit seinem Chidori hatte Sasuke somit den schmackhaftesten und langanhaltendsten Braten erlegt, den sie seit dem Weltuntergang gegessen hatten. Immer noch trugen sie gebratenes Fleisch mit sich herum; Sasuke hatte aus seinem Umhang, Blättern und stabilen Pflanzenranken einen provisorischen Rucksack gebastelt.

Sie schlenderten die zehn Schritte weiter, ehe sie sich kraftvoll vom Boden abstießen und in den Ästen über ihnen landeten. Mit weit ausgreifenden Sprüngen setzten sie in Shinobi-Manier von einem Baum zum nächsten und verschwanden mit dieser Geschwindigkeit aus der Sichtweite ihres Verfolgers. Zur Sicherheit sprangen sie noch zehn Minuten lang weiter, ehe ihre zur Neige gehenden Chakravorräte sie zu einer Pause zwangen. Inmitten von haushohen Bäumen sprangen sie zu Boden.

„Hast du noch Chakra übrig?“, fragte er sie, ein wenig schwer atmend. Die Wochen ohne Training und größere Anstrengung forderten ihren Tribut.

„Kaum“, sagte sie. Ein wenig würde sie das Springen noch aushalten, einen wirklichen Kampf konnte sie aber nicht bestreiten. Obwohl sie womöglich immer noch eine bessere Chakrakontrolle besaß wie Sasuke, war auch sie an ihre Grenzen gelangt.

„Egal. Wir haben ihn abgehängt“, sagte Sasuke und wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Füllen wir unser Chakra am besten gleich wieder auf.“

Sie lösten die Fässer mit der Kristallflüssigkeit, die sie nun mit kräftigen Ranken festgebunden auf den Rücken trugen, stellten sie auf dem weichen, von Kiefernadeln bedeckten Waldboden ab und öffneten sie. Die zähe Flüssigkeit war nicht mehr so grün wie damals, als sie sie gemischt hatten, fand Sakura. Sie schöpften sie mit der Hand und tranken, und Sakura fühlte – nichts. Verwirrt sah sie zu Sasuke hinüber. Auch er hatte die Stirn gerunzelt. Obwohl sie die Chakraflüssigkeit getrunken hatten, hatte sich ihr Chakra nicht regeneriert. Was war los? Verlor die Mischung nach einigen Tagen etwa ihre Wirkung? Aber dann wären sie doch ganz umsonst so sparsam mit ihren Kräften umgegangen …

Ein Rascheln ließ sie herumfahren. Ein Ast ächzte und eine Gestalt ließ sich hinter ihnen zu Boden fallen.

Auch das noch.

Sakura starrte auf den Mann, der vor ihnen erschienen war. Er hatte sie eingeholt. Er war genauso schnell gewesen. Und er war nicht einfach nur irgendein Mann. Er hatte ein Stirnband auf, das ihn als Ninja aus Konohagakure auswies, auch wenn Sakura nicht sicher war, ob sie sein Gesicht schon einmal gesehen hatte. Er verzog den Mund zu einem gehässigen Grinsen. Mit angehaltenem Atem fing sich Sakuras Blick an seinem rechten Auge. Im Gegensatz zu seinem anderen, dessen Iris von einem dunklen Blau war, war dieses hier völlig weiß. Dicke Adern traten rund um das Auge aus der Haut. Er besaß ein Byakugan und hatte sogar genug Chakra, um es zu benutzen.

„Sieh an, die Vöglein wollen davonfliegen“, sagte er spöttisch. „Und sie haben keinen Funken Chakra mehr im Körper.“

„Was willst du von uns?“, fragte Sasuke lauernd und zog sein Schwert.

Die Mundwinkel des Fremden zuckten. „Frag das doch meine Freunde“, sagte er, formte blitzschnell Siegel, und ehe die beiden reagieren konnten, stieß er die flache Hand gegen den Boden. Schriftzeichen flogen über die Erde, als er ein Beschwörungsjutsu ausführte. Ein großer, hölzerner Kasten erschien in einer Rauchwolke, wackelnd und mit verzierten Türen, die praktisch sofort aufsprangen.

„Verdammt, tu das nie wieder“, murrte eine Stimme aus dem Inneren.

Als sich der weiße Rauch legte, der mit der Beschwörung einhergegangen war, erkannte Sakura die beiden Männer, die aus dem Schrank traten, während dieser sich wieder in Luft auflöste.

Das heißt, sie erkannte sie nicht wirklich.

Wohl aber die schwarzweiße Körperbemalung und die Jashin-Symbole, sie sie sich in die Stirn eingeritzt hatten.
 

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Cliffhanger ftw!^^

Ich will mich nochmal für die vielen ehrlichen Kritiken beim letzten Kapitel bedanken :) Ich hab mich bemüht, das Feebdack zu beherzigen - ob es etwas gebracht hat, müsst ihr mitentscheiden ;)

Itachi hat das Mädchen gerettet, wobei ich überlegt habe, ob er es nicht doch einfach hätte opfern sollen. Aber schließlich ist er ja nicht wirklich ein absoluter Bösewicht. Und Sakura und Sasuke stehen, wieder mal ohne Chakra, ihren Feinden gegenüber. Diesmal dürfen sie sich aber wirklich anstrengen ;)

Hoffe, es hat euch gefallen, und dass Sakuras etwas von ihrem Trauma geprägte Beweggründe nachvollziehbar waren.

Ein Bett aus Gras

Yay, frisch aus dem Urlaub zurück mit einer neuen Rekordlänge^^

Bevor ich euch auf das Kapitel loslasse, ein kurzer Autorenkommentar: Ich muss gestehen, dass ich mit Sasukes Charakter immer schon meine lieben Probleme hatte - liegt vielleicht daran, dass er eben der typische Rächer ist, in dessen Kopf kaum etwas anderes Platz hat. Nichtsdestotrotz entwickelt sich sein Charakter über den Anime/Manga hinweg klar weiter. Der Sasuke in meiner FF ist (noch) ein anderer als der aktuelle im Anime/Manga, da sie vor seiner Konfrontation mit Itachi spielt, wo er noch kein solcher "Bösewicht" ist, der Konoha hasst und seine "Freunde" opfern würde. Ich kann mich erinnern, dass er zB Suigetsu zu der Zeit daran hindern wollte, unnötig zu töten. Zu diesem Zeitpunkt war er sogar mir sympathisch^^ Ich will damit natürlich nicht klare OoCs aus den vergangenen Kapiteln rechtfertigen, die plane ich noch zu überarbeiten, aber ich hielt es für wichtig, nochmal explizit darauf hinzuweisen, auch da ich den Manga nicht lese und nicht weiß, was für Schandtaten er noch alle begehen wird ;)

Schwieriger verhält es sich mit Itachi. Als ich die FF geplant und begonnen habe, wusste ich natürlich schon, dass er nicht wirklich ein Bösewicht ist, aber erst letzte Woche mit der letzten Naruto-Folge habe ich erkannt, wie freundlich er tatsächlich ist (auch anderen als seinem Bruder gegenüber)^^ Das bringt mich ein bisschen in einen Zwiespalt, aber ich habe meine Request-Vorgaben so weit erfüllt und für den Rest fällt mir schon noch was ein ;)

Genug palavert, viel Spaß :)
 

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Der eine der Jashin-Anhänger hustete. „Nochmal mach ich das nicht mit!“, fluchte er.

Der Ninja mit dem einzelnen Byakugan zuckte mit den Schultern. „Es ging nicht anders. Tragen hätte ich euch schwer können, und die zwei wären mir durch die Lappen gegangen.“

Sakura dachte fieberhaft nach. Kannte sie dieses Gesicht? Blondes, schulterlanges, fettiges Haar, unrasierte Backen, ein blaues Auge, ein weißes. Er war definitiv niemand aus dem Hyuuga-Clan.

Die Jashinisten sahen furchtbar aus. Sie trugen nur Stiefel und die gleichen Bergarbeiterhosen wie Sakura, und ihre Oberkörper und Gesichter waren zu schattierten Skelettknochen geschminkt worden. Einer der beiden hatte eine lange Narbe über dem Bauchnabel. Sakura dachte an die grausigen Rituale, die sie in der Mine durchführten, und beschloss schaudernd, gar nicht wissen zu wollen, was ihre Ursache war.

„Tatsächlich! Das ist sie!“, rief der Vernarbte aus und deutete mit ausgestrecktem, schwarz bemaltem Finger auf Sakura. Seine Nägel waren hellgrau lackiert.

„Euer entflohenes Opfer?“, fragte der Ninja spöttisch.

„Jashin will sie nicht“, murmelte der andere. „Aber Fukita hat einen Preis auf ihren Kopf ausgesetzt.“

Sakura schluckte. Und das ausgerechnet jetzt, zu dieser Zeit … ohne Chakra waren sie verwundbar und das Kristallgebräu hatte seine Wirkung verloren. Ein Schweißtropfen lief von ihrer Schläfe, dabei war ihr eigentlich kalt. Ihr Blick flackerte zu Sasuke. Er wirkte äußerlich ruhig, überlegte sich bereits einen Plan. Aber es war nicht nur die Überzahl ihrer Feinde und die Tatsache, dass sie einem anderen Shinobi gegenüberstanden, die ihr Sorgen machten. Hier standen zwei Männer, die Itachi kannten. Wenn auch nur einer von ihnen den Namen ihres Hohepriesters fallen ließ oder Sasukes Ähnlichkeit zu ihm feststellte …

„Dann ist das der Kerl, der ihr geholfen hat“, sagte der zweite Jashinist. Er war schon ziemlich alt, das sah man, obwohl er seine Falten überschminkt hatte. Sein Haar war spärlich und ergraut. „Seinen Kopf will Fukita auch.“

„Erst, wenn ich mit ihm fertig bin.“ Der Shinobi verschränkte die Arme und warf seine ungepflegte Haarmähne zurück.

„Was? Was soll das auf einmal?“ Narbenbauch sah ihn mit zornblitzenden Augen an. „Wir hatten eine Abmachung. Wir haben dir die Kristalle nicht gegeben, damit du uns dann in den Rücken fällst.“

„Davon ist gar keine Rede.“ Der Shinobi schob das Kinn vor. „Du bist Sasuke Uchiha, oder? Es gibt kaum einen Ninja in Konoha, der dein Gesicht nicht erkennen würde.“

Sakura sah ihn überrascht an. Also stammte er tatsächlich aus Konoha. Vielleicht hatte sie ihn wirklich schon einmal gesehen … bis auf sein Stirnband und die blauen Sandalen ließ nichts an seiner Kleidung darauf schließen, dass er ein Ninja war; er trug eine Art Robe, die aus dutzenden Kleiderfetzen zusammengenäht worden zu sein schien, und schlabbrige graue Hosen. Aber konnte es sein, dass er sie nicht erkannte? Sakura beantwortete sich die Frage selbst. Während Sasuke die Berühmtheit eines Verräters anhaftete, die ihn einfach in jeder Situation herausstechen ließ, war sie nicht gerade ein bunter Hund in Konoha gewesen. Sicherlich gab es wenige reguläre Ninjas, die sie nicht schon einmal gesehen hatten, aber wahrscheinlich war ihr Gesicht wieder einmal so schmutzig und ihre Haare so zerzaust, dass sie sich selbst nicht mehr ähnlich sah.

Aber vielleicht konnte es sie ja retten, wenn sie es ihm erzählte. „Hör mal“, sagte sie, geflissentlich die Jashinisten ignorierend, „wir wollen keinen Streit. Ich bin auch aus Konoha. Mein Name ist Sakura Haruno.“ Gleichzeitig wurde ihr klar, wie heuchlerisch ihre Worte klingen mussten – immerhin war sie mit einem Nuke-nin unterwegs.

Der Ninja kniff die Augen zusammen. „Haruno? Hm, kann sein, dass die dort tatsächlich so eine Göre hatten. Aber weißt du was? Konoha gibt es nicht mehr. Jetzt gilt es, jeder für sich. Es ist mir also herzlich egal, wer oder was du früher warst. Jetzt hast du mir ein wenig Chakra eingebracht, das ist alles, was zählt, und es wird noch mehr, wenn du erst tot bist. Nichts Persönliches.“

„Dann wirst du wenig Freude daran haben“, sagte Sasuke überheblich. Er hatte bereits seine Schwertkämpferpose eingenommen, seitlicher Stand, um wenig Angriffsfläche zu bieten. „Die Kristalle verlieren nach einiger Zeit ihre Wirkung. Andernfalls wärst du bereits tot.“ Demonstrativ deutete er zu den Fässern, deren Inhalt wirklich wieder verdächtig gelb war.

„Ha!“, rief der Grauhaarige. „Ihr erdreistet euch, unser Eigentum zu stehlen, ohne zu wissen, dass der Kristallstaub sich nach einiger Zeit absetzt? Wenn man die Flüssigkeit mehr als drei Tage stehen lässt, muss man sie wieder zum Kochen bringen, damit der Staub sich wieder damit vermischt!“

Sasuke warf ihr einen Blick zu, der verärgert wirkte. Sakura biss sich auf die Lippen. „Das … wusste ich nicht“, gab sie kleinlaut zu.

„Nachdem das geklärt ist, töte sie schnell, Hideyoshi“, sagte der Kerl mit der Narbe. „Sie sind gefährlich und allein ihre Existenz ist eine Beleidigung für Jashin!“

„Sachte“, sagte der Ninja, den er Hideyoshi genannt hatte. Auch der Name sagte Sakura nichts, aber das musste nichts heißen; wie die drei Ninjas bemerkt hatten, die sie auf ihrem Weg nach Norden gesehen hatten, konnte jedermann einen Namen annehmen, der ihm gefiel. „Von mir aus köpfe ich das Mädchen gleich. Aber den hier bringen wir zuerst nach Neuanfang zu einem Medic-nin, der mir sein Auge einpflanzen kann.“ Er grinste, als er Sakuras entsetzten Blick sah. „Was denn? Mit einem Sharingan und einem Byakugan wäre ich unschlagbar. Oder glaubst du, das da ist mir natürlich gewachsen?“ Er deutete auf sein rechtes Auge, das kalt und leer vor sich hin starrte. „Aber keine Sorge. Ich hab dem Hyuuga-Mädchen einen schnellen, angenehmen Tod bereitet. Nachdem ich ihr Auge hatte, natürlich.“ Sein Grinsen nahm eine teuflische Note an. „Leider hatten wir für die Operation kein Betäubungsmittel für sie.“

Sakura ballte die Fäuste. „Vergiss, was ich vorhin gesagt habe, Sasuke“, murmelte sie, vor Zorn bebend. „Den Kerl reiß ich auch ohne Chakra in Stücke.“

„Oho, so kämpferisch“, spottete Hideyoshi – und schnell wie ein Schatten sauste er zwischen ihnen hindurch hinter Sakura, setzte zu einem Faustschlag an. Sasuke reagierte als erster, wirbelte herum und stieß von schräg hinten mit seinem Schwert nach ihm, doch Hideyoshis Byakugan ließ ihn den Angriff kommen sehen. Ohne sich umzudrehen, drückte er Sasukes Klinge mit der flachen Hand zur Seite und schlug mit der anderen zu. Die Seite seines Unterarms knallte hart gegen Sakuras hochgerissene Arme, doch obwohl sie sich schützte, wurde sie von der mit Chakra verstärkten Wucht fortgeschleudert. Wie ein verästelter Blitz zuckte der Schmerz durch ihre Knochen, sie landete auf dem Rücken und rutschte über den Waldboden, dass ihre Zähne klapperten. Sie sah Sasuke zweimal mit Links auf den Ninja einprügeln, der ebenfalls mit Fäusten abwehrte, ehe das Schwert wieder auf ihn herabsauste. Mit einem kraftvollen Sprung beförderte sich Hideyoshi gute zehn Meter hoch auf einen dicken Ast. Sakura fluchte innerlich. Das ist Wahnsinn! Wie sollten sie das schaffen? Sie wünschte sich, auch so viel Chakra zu haben. Mit ihrem kläglichen Rest war sie nicht viel besser als ein gewöhnlicher Mensch.

„Dann wollen wir mal“, verkündete Hideyoshi, zog eine Handvoll Shuriken aus seiner Gürteltasche und schleuderte sie auf Sasuke, der ohne Schwierigkeiten auswich. Da formte Hideyoshi Fingerzeichen und hielt das letzte Siegel. „Ninpou: Kamikaze Shuriken!

„Sasuke!“, rief Sakura warnend, doch Sasuke hatte es auch bemerkt. Die fünf Shuriken kamen zurück, hatten eine Kurve beschrieben und rasten nun wieder von verschiedenen Seiten heran, wie kleine, tödliche Kreissägen. Sasuke suchte festen Stand und schlug sie mit konzentrierter Miene weg, einen nach dem anderen, Schwert gegen Wurfsterne, Stahl gegen Eisen, Funken sprühend. Kamen zwei gleichzeitig, wich er einem davon gekonnt aus. Doch die Shuriken weigerten sich tot zu sein, wie verletzte Raubtiere griffen sie wieder und wieder an, versuchten sich in seine Haut zu beißen, ihre Bestimmung zu erfüllen, und das Klirren erfüllte die Luft.

Hideyoshi stieß einen abfälligen Laut aus, als er merkte, dass seine Bemühungen nicht fruchteten. In der Hocke drehte er sich herum, die Finger immer noch gefaltet, und Sakura beschlich eine grauenvolle Ahnung, als sie in seine Augen sah. Blutdurstig surrend sausten die Shuriken auf sie zu, fünf tödliche Scheiben, zu schnell um sie in ihrer Ganzheit zu erfassen. Sakura musste sich zwingen, nicht die Augen zusammenzukneifen. Ninjas verschlossen nicht die Augen vor der Gefahr, das hatte Tsunade sie gelehrt. Aber ohne Chakra – war sie da überhaupt noch ein Ninja?

„Warte!“

Sasukes Stimme war kalt und schneidend, befehlend, keineswegs verzweifelt oder bittend, sondern – überheblich. Die Shuriken hielten fünf Zentimeter vor Sakuras Gesicht an, verloren ihr Drehmoment, schwebten wie an unsichtbaren Schnüren in einer Linie vor ihr. Zwischen den blitzenden Zacken sah sie, wie Hideyoshi sich auf seinem Ast abermals herumdrehte. Sasuke stand genau auf der gegenüberliegenden Seite des Baumes. „Wie viel sind dir meine Augen wert?“, fragte er. Sakura schnappte nach Luft. Er hatte die Klinge seines Schwertes genau vor sein rechtes Auge gesetzt, mit dem er Hideyoshi entschlossen anfunkelte.

Der Ninja schien überrascht und ein wenig belustigt. „Du würdest dir selbst dein Auge ausstechen? Du bist wirklich Sasuke Uchiha, der kompromisslose Nuke-nin, was?“

„Wie die Dinge stehen, leben wir ohnehin nicht mehr lange“, erklärte Sasuke sachlich, doch Sakura sah ihm an, wie schwer ihm solche Worte fielen. „Wenn du meine Augen willst, lässt du Sakura gehen.“ Sie starrte ihn ungläubig an. Er tat das für sie? Sicherlich, die Dinge zwischen ihnen hatten sich verändert, aber trotzdem … Sasuke und Aufgeben? Er musste bluffen, auf ihren Einsatz warten. Sie schluckte und sah sich nach einer Waffe um. Sie musste ihm helfen! Hideyoshi wandte ihr den Rücken zu. Sakura stutzte. Warum war Sasuke überhaupt dorthin gelaufen? Er stand doch vorhin weiter rechts …

Hideyoshi zögerte.

„Hideyoshi-san!“, rief der Jashin-Jünger mit der Narbe. „Wir hatten eine Vereinbarung, vergiss das nicht!“

Sasuke lächelte abfällig. „Was ist dir wichtiger – dein Versprechen an eine Bande verrückter Fanatiker, oder die vielleicht letzten Sharingan, die es gibt?“

„Hm … du bist sehr überzeugend“, sagte Hideyoshi. „Also, dein Vorschlag?“

„Hideyoshi-san!“, schrie der Grauhaarige erbost. „Willst du uns verraten? Damit beleidigst du den großen Jashin!“

„Schnauze, alter Mann!“, blaffte Hideyoshi. Er hob stolz die Nasenspitze und sah Sasuke überheblich an. „Außerdem, jede Beleidigung für Jashin ist eine Wohltat für die Menschheit, oder nicht? Was willst du jetzt, Uchiha-Bastard?“

„Ich lege das Schwert weg und folge dir zu deinem Chirurgen. Mach danach, was du willst, aber Sakura lässt du hier und jetzt gehen.“

Nein, Sasuke konnte es nicht ernst meinen. In dem Moment sah Sakura einen halben Schritt hinter sich einen abgeknickten Ast. Sie war gegen den Strauch geprallt und hatte die Äste abgebrochen.

„Na schön, machen wir es so“, willigte Hideyoshi soeben ein. „Hörst du, Mädchen? Ich werde dich verschonen.“ Er drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie Sakura den drei Finger dicken Ast durch die Löcher der Shuriken stieß, die immer noch reglos vor ihr schwebten. Wie eine gefährliche Perlenkette waren sie nun aufgefädelt, und Sakura hielt mit einem triumphierenden Grinsen die Enden des Stockes fest. Hideyoshi öffnete den Mund zu einem ungläubigen Laut. „Aber wie … Ich habe das Byakugan! Warum hab ich nicht gesehen, was sie tut?“

„Seltene Fähigkeiten zu sammeln ist schön und gut“, sagte Sasuke lässig. „Aber man sollte auch wissen, wo ihre Schwächen liegen.“

Hideyoshi knurrte und hob die zusammengelegten Finger. Ein Ruck ging durch die Shuriken, die sich wieder zu drehen begannen und ruckelten, doch sie entkamen dem Stock nicht. Dann sausten sie allesamt nach oben. Sakura schrie erschrocken auf, als sie von den Füßen gerissen wurde, doch sie hielt den Stock fest umklammert, der sich unter ihrem Gewicht gefährlich durchbog und ächzte. Sie wurde durch die Luft gezerrt, durchgeschüttelt, Hideyoshi ließ sie gegen Baumstämme und tief hängende Äste prallen. Die Schläge trieben ihr die Luft aus den Lungen und hinterließen schmerzhafte Schrammen und Striemen auf ihrer Haut, zerrissen den Stoff ihrer Kleidung. Ihr Haar verfing sich an einem Astauswuchs, rosa Strähnen wurden ausgerissen. Sakura schrie, doch sie ließ nicht los. Sie würde nicht aufgeben!

Die Shuriken sausten nach unten, schleiften sie über den Boden, sie versuchte mitzulaufen, doch ihre Schuhe wirbelten nur Erde auf. Dann sah sie, wie die wilde Fahrt direkt auf Sasuke zuging, der die Arme hob, wie um sie aufzufangen. „Weich aus!“, kreischte sie, doch er rührte sich nicht. Eine Sekunde, bevor sie zusammenprallten, wirbelte er plötzlich herum und schleuderte sein Schwert. Sakura hörte einen Schrei, ein Rascheln, ließ den Stock los, doch sie stieß trotzdem hart gegen Sasuke und riss ihn von den Füßen. Abgestorbene Kiefernnadeln wirbelten auf, als sie über den Waldboden schlitterten. Die Shuriken rasten in alle Richtungen davon. Sie spürte Sasukes Hände, die ihre Schultern festhielten und die Rutschpartie mehr oder weniger stabilisierten. Als sie zum Liegen kamen und Sakura keuchend die Augen aufriss, war sein Gesicht genau unter ihr. Er nickte anerkennend. Hatte er das alles geplant? Er hatte Hideyoshi erwischt, oder?

Sakuras Hände krallten sich immer noch in den Stoff seines Hemdes, als sie aufblickte. Auf dem Ast war der feindliche Ninja nicht mehr, er musste heruntergefallen sein. Dafür sah sie, wie die beiden Jashin-Anhänger wutentbrannt auf sie zustürmten, schaurig-scheußlich in ihrer Toten-Bemalung. Hastig rollte sich Sakura von Sasukes Brust und federte in die Höhe. Der Alte war als erster bei ihr. Sie wich seiner Faust aus, packte seinen Arm und schleuderte ihn über ihre Schulter, rammte ihm den Fuß in die Brust, als er unter ihr lag, dass die Rippen böse knirschten. Der jüngere mit der Narbe stieß schauriges Kriegsgeheul aus, rief irgendetwas zu Jashin und schwang einen zackigen Dolch, der für Rituale vorgesehen schien. Aus irgendeinem Grund schien er Sasuke für den einfacheren Gegner zu halten, der sich, ohne Schwert, neben Sakura hochrappelte. Der Dolch schnappte nach ihm, doch Sasuke tauchte unter dem Stich hindurch, wartete, bis der Mann weitergestolpert war, und schnellte hoch. Seine Faust traf ihn gegen das Kinn, ein markdurchdringendes Knacken ertönte, und der Jashinist kippte hintenüber und regte sich nicht mehr. Der Dolch landete scheppernd auf dem Boden. Sasuke klaubte ihn auf und reichte ihn Sakura mit ernstem Blick. Sie verstand, was sie damit machen sollte, als sie Hideyoshis Stimme hörte.

„Ich will jetzt wissen, wie zum Teufel ihr das gemacht habt“, knurrte der Ninja. Er schleppte sich zwischen den Büschen hervor und zog dabei eine Blutspur hinter sich her; Sasukes Schwert steckte in seiner linken Schulter, doch er störte sich nicht daran. Das Gesicht verzerrt, die Zähne gebleckt, starrte er Sasuke wütend an.

„Das Byakugan hat einen blinden Fleck“, erklärte Sasuke. „Der Nutzer kann nicht sehen, was sich genau hinter seinem Nacken abspielt.“ Er schnaubte abfällig. „Und jemand wie du will das Sharingan meistern?“

Hideyoshi knirschte mit den Zähnen. „Euch mach ich fertig“, drohte er.

Sasuke nickte Sakura zu und stürmte los. Sie folgte ihm auf dem Fuß.

„Ha!“, rief der Ninja erfreut. „Stürzt ihr euch nicht ein wenig schnell in den Tod?“ Er formte wieder seine Fingerzeichen. Aus allen Winkeln des Waldes kamen seine Shuriken zurück, versammelten sich vor ihm zu einem rotierenden Schwarm und flogen den beiden entgegen.

Sasuke legte einen Zahn zu. Sakura sah, wie in seinen Augen kurz die Sharingan aufflackerten. Der letzte Rest seines Chakras. Sie riss die Augen auf. Er wollte doch wohl nicht …?

Das Geräusch, mit dem die scharfen Zähne der Wurfsterne in seine Haut bissen, würde sie nie vergessen, nass und fleischig. Erstickt schrie sie seinen Namen, zwang sich doch, weiterzurennen. Da sah sie, dass er die Arme erhoben hatte. Mit seinen Sharingan hatte er die Flugbahn der Shuriken genau analysiert und alle fünf mit seinen Armen allein aufgefangen. Er sprang zur Seite, rannte im rechten Winkel von seinem bisherigen Kurs davon. „Du bist dran!“, keuchte er.

Sakura stieß einen lauten Schrei aus, rannte noch schneller und hob den Zeremoniendolch. Sie sah mit seltsamer Klarheit eine Ader an Hideyoshis Schläfe pochen, sah, wie seine Finger sich verkrampften. Leise hörte sie Sasuke ächzten, als sich die Shuriken selbst einen Weg aus seinem Fleisch bohrten, und sie wusste, dass sie nun hinter ihr her waren.

Mit einem letzten, kraftvollen Sprung kam sie Hideyoshi so nahe, um ihn wirklich verletzen und nicht nur ankratzen zu können. „Shannaro!“ Sie holte aus und schleuderte das Messer mit aller Kraft und der Präzision einer Kunoichi. Das Surren hinter ihr schwoll an, als die Shuriken immer näher kamen … Hideyoshi riss die Augen auf – und das Zeremonienmesser bohrte sich mit der Klinge voraus genau dazwischen in seinen Schädel.

Sakura spürte den Luftzug, als die Wurfsterne knapp neben ihrem Kopf vorbeisausten, ihre Haare flattern ließen, und tot, wie sie sein sollten, wie Marionetten, deren Schnüre man gekappt hatte, irgendwo im Unterholz einschlugen. Dann erst nahm das Wanken von Hideyoshis Körper überhand und er kippte nach hinten.

Sakura atmete tief durch. Es war vorbei. Sie hatten einen Ninja ganz ohne Chakra besiegt … Jetzt erst merkte sie, dass sie zitterte. So musste sich wohl ein gewöhnlicher Mensch nach einem Kampf gegen einen Shinobi fühlen … Dann erst fiel es ihr wieder sein.

„Sasuke!“

Als sie bei ihm ankam, sah sie entsetzt, wie wild die Shuriken in seiner Haut gewütet hatten. Klaffende, ausgefranste Wunden ließen wahre Blutbäche über seine Arme laufen.

„Nichts Ernstes“, murmelte er.

„Unsinn! Warte hier!“

Sie lief zu Hideyoshis Leiche. Nun war sie also schon so weit, Tote – von ihr Getötete – zu plündern. Ein Anflug von Trauer und Nichtverstehen streifte ihr Bewusstsein, als sie sich herumdrehte. Es waren nur noch so wenige Menschen am Leben. Und trotzdem töteten sie einander weiterhin.

An seinem Gürtel fand Sakura neben einem schartig gewordenen, unansehnlichen Kunai auch eine Medi-Tasche. Sie zog die Verschlusslasche nach oben und musterte den Inhalt. Hideyoshi trug einige praktische Sachen mit sich herum. Sie fand ein paar Päckchen Verbandsmull, eines bereits angerissen, Soldatenpillen und Schmerzmittel; allerlei Medikamente, die im Feld für rasche Linderung sorgten, aber ziemlich gesundheitsschädlich waren. Aber in dieser kalten Welt, wo jeder, den sie trafen, augenscheinlich ihr Feind war und sie vielleicht den nächsten Tag nicht erleben würden, war das wohl ein geringes Opfer. Zumindest musste Hideyoshi das gedacht haben.

Fachmännisch verband Sakura Sasukes Wunden. Die Tasche nahm sie mit, außerdem die drei kleinen Chakrakristalle, die die Jashinisten bei sich trugen, wahrscheinlich als Bezahlung für Hideyoshis Dienste. Sie schienen beide tot zu sein, zumindest konnte Sakura keinen Puls fühlen. Um den Leichen nicht beim Verwesen zusehen zu müssen, entfernten sie sich ein wenig von diesem blutigen Ort. An einer Stelle, die von besonders dichtem Blattwerk geschützt war, entfachten sie ein Feuer und kochten die Chakraflüssigkeit erneut, tranken so viel davon, wie ihre Körper speichern konnten. Dann löste Sakura Sasukes Verbände, und obwohl er einwarf, dass sie besser Chakra sparen sollte, wandte sie ihre Medic-Jutsus an um die Wunden zu heilen, bis sie sich erschöpft fühlte. Schließlich riss er ihr grob seine Arme aus den Händen und befahl ihr, es jetzt gut sein zu lassen. Die Verletzungen waren noch zu sehen, aber man musste sie nicht mehr nähen; es waren nun nur noch teils verschorfte, teils noch blutige Schrammen. Zu ihrer Freude fand Sakura Heilkräuter in diesem Teil des Waldes, die sie kannte. Sie legte sie auf seine Wunden und verband das Ganze erneut. „Es brennt ein wenig“, murmelte Sasuke.

„Es muss ein wenig brennen“, sagte sie. „Die Blätter desinfizieren.“

„Verstehe.“

Doch als Sakura die Kräuter auf ihre eigenen, kleinen Schrammen legte, zuckte ein bestialischer, heißer Schmerz über ihre Haut und sie riss sie von sich. Rund um die Wunden hatte sich die Haut blitzschnell gerötet, als wäre sie allergisch. Resigniert seufzend öffnete sie Sasukes Verbände ein weiteres Mal und nahm schnell die Blätter fort. Auch seine Haut darunter war krebsrot. Der Chakrasturm hatte offensichtlich sogar die Wirkung der Heilpflanzen verändert.

„Wenn es so dermaßen weh tut, sag das doch“, murmelte sie anklagend. „Spiel mir nicht vor, dass das nur ein wenig war.“

Sasuke zuckte nur mit den Schultern.

Es wurde Abend, als sie die Wälder verließen. Ein Feld mit fast schulterhohem Gras erstreckte sich vor ihnen, saftig und grün. Neuanfang war nicht mehr weit – das sagte zumindest das Schild, das vor dem Feld aufgestellt worden war.

Sakura erkannte es als eine Art Werbeschild einer Kneipe oder eines Bordells, über das jemand mit schwarzer Farbe in großen, unförmigen Schriftzeichen Arata na Hajimari – 4 Stunden geschrieben hatte. Ein Pfeil wies direkt auf das Feld, obwohl es keinen sichtbaren Weg gab. Den Siedlern in der neu gebauten Stadt schien daran gelegen zu sein, Reisende auf ihr neues Heim aufmerksam zu machen – oder vielleicht versuchten sie, die Verbindungen zwischen den Menschen in der zerstörten Welt wieder aufzubauen.

„In vier Stunden ist es stockdunkel“, sagte Sasuke und sah in den Himmel. Schräg links von ihnen ging die Sonne als rot glühender Ball unter. Der Nebel über der Welt war scheinbar verschwunden; direkt in die Sonne zu sehen tat wieder in den Augen weh, so wie es sein sollte. Der Himmel war goldrot gefärbt, durchzogen von den purpurnen Linien der Wolken.

„Wir sollten bei Tag in die Stadt gehen“, meinte Sakura. „Da sehen wir mehr. Wir wissen nicht, was uns erwartet, und vielleicht haben sie die Tore bei Nacht ja sogar geschlossen.“

Sasuke nickte apathisch.

So schickten sie sich an, die letzte Nacht unter freiem Himmel zu verbringen, obwohl Sakura gehofft hatte, endlich wieder in einem richtigen Bett schlafen zu können. Sie gingen ein paar hunderte Meter in das Grasfeld hinein. Sasuke schnitt einige der Halme ab, um ihnen einerseits eine kreisrunde Fläche zum Schlafen, andererseits eine weiche Unterlage zu beschaffen. Sie schichteten die Halme auf, bis der Boden nicht mehr zu spüren war, eine Matte aus nach Sommer duftendem Gras. Die Fässer mit der Kristallflüssigkeit versteckten sie ein wenig abseits zwischen den stehenden Grashalmen, dann legten sie sich nebeneinander hin. Wie immer in den letzten Tagen legte Sasuke die Arme um sie, verschränkte seine Finger in ihre. Sie spürte seinen Atem im Nacken und es hatte etwas Beruhigendes. Ein wenig drehte sie sich, um die Sterne am Himmel zu beobachten, doch noch waren sie nicht zu sehen; ein leichter roter Schimmer kündete das Ende der Dämmerung an. Der nicht ganz volle Mond schwebte schon blass über ihnen, ein ewiger, stummer Zeuge, der den Aufstieg und das Ende der Zivilisation mitangesehen hatte und auch noch da sein würde, wenn sie vielleicht eines Tages nur noch Staub war. Sakura seufzte. Es war so still … kein Laut durchbrach die Ruhe; rund um sie herum ragte ein Wall aus grünem Gras auf, so hoch und dicht, dass sie sich wohl eingesperrt fühlen sollte, aber sie empfand es als beruhigend. Sie war allein mit Sasuke in diesem Teil der Welt, abgeschnitten von allem, was ihnen Leid zufügen konnte. Könnte sie sich doch nur ebenso von ihrer Vergangenheit lossagen …

„Ich stelle dir jetzt eine Frage“, murmelte Sasuke in ihr Ohr. „Und ich will, dass du sie ehrlich beantwortest.“

Sie nickte. Wollte er sie nach Itachi fragen? Vielleicht sollte sie es ihm endlich sagen. Nein – sie entschied sich, es zu tun. Sie war es ihm mehr als schuldig. Aber würde das ihre neu gewonnene Beziehung beenden?

„Wir wissen nicht, was uns in Neuanfang erwartet“, sagte er, seine Stimme nur ein tonloses Hauchen, mehr spürbar als wirklich hörbar. „Aber es wird dort sicher alles anders.“

„Ja.“ Sie fragte sich, ob es ihm vielleicht unangenehm wäre, an der Seite von anderen Menschen zu leben. Jahrelang hatte er in Abgeschiedenheit sein Dasein gefristet, nur an der Seite derjenigen, von denen er gehofft hatte, dass sie ihn stärker machten.

Sein Griff wurde stärker, er klammerte sich regelrecht an sie, als fürchtete er, sie würde ihm entrissen werden. „Ich habe einen Entschluss gefasst. Und eine Idee. Aber ich will es nur mit deinem Einverständnis tun.“

Sie hatte eine vage Ahnung, was er meinte. Das Thema hatte sich auch für sie nicht erledigt. Erwartungsvoll schwieg sie, drückte seine Hände, wollte ihm Mut machen, weiterzusprechen.

„Wir sind vielleicht nie wieder so ungestört wie jetzt. Es wird anders werden, und wir wissen nicht, inwieweit. Daher würde ich es gerne jetzt tun, ehe das endet, was noch gar nicht angefangen hat.“ Er stockte kurz. Sie spürte, dass ihm das Thema unangenehm war. Dennoch schwieg sie. Ohne ihre Gedanken ordnen zu können, konnte sie auch nichts erwidern. „Sakura … Ich habe mich für etwas entschieden. Ich habe mich dafür entschieden, dich zu … zu lieben. Ich weiß nicht, ob ich dazu fähig bin, aber ich will es versuchen.“

„Sasuke …“, murmelte sie.

„Bevor uns jemand versucht, auseinanderzureißen – ob es jetzt diese Jashin-Sekte, ein Ninja oder die Typen in Neuanfang sind –, will ich unsere Bande festknüpfen.“ Er schnaubte, belustigt und doch irgendwie traurig. „Bande. Ich höre mich an wie Naruto. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es sowas überhaupt gibt.“

„Es gibt sie“, sagte Sakura tonlos. „Du hättest Naruto im Tal des Endes töten können, aber du hast es nicht getan.“

„Es war nicht wegen ihm. Ich wollte nur nicht …“

„Warte“, unterbrach ihn Sakura rasch. Sie löste sich aus seiner Umarmung, drehte sich herum um ihm in die Augen zu sehen. Sie sah sich darin spiegeln, ihre eigenen, smaragdgrünen Augen, heller als das Grasmeer. Fragend zog er eine Augenbraue hoch. Sie lächelte. „Sag nicht, was du gerade sagen wolltest. Du hast ein Talent dafür, schöne Erwartungen mit deinen Worten zu zerstören. Sag mir stattdessen, was du auf dem Herzen hast. Bitte“, fügte sie kaum hörbar hinzu.

Er wich ihrem Blick aus. Es musste tatsächlich wichtig sein, sonst war er ein Meister des ausdruckslosen Anstarrens. „Ob man es jetzt Bande nennen kann oder nicht, ich will sicherstellen, dass wir zueinander gehören. Dass du mir gehörst.“ Und ich dir. Das sagte er nicht, sprach es nicht aus. War er zu stolz dazu? Er bewegte seinen Mund kaum, so war er nur schwer zu verstehen, aber sie konnte sich einreden, er hätte es gesagt, und sie hätte ihn nur nicht gehört. So saugte sie jedes Wort in sich auf, ließ zu, dass diese seltenen Worte sich in ihr Herz gruben und es aufwärmten wie Kohlen im Kamin einen erkalteten Raum im Winter. „Ich will es dir beweisen, und es von dir bewiesen bekommen. Ich mag keine halben Sachen. Ich will, dass wir es festlegen, auf jede erdenkliche Art.“

„Mit Haut und Haaren und Herz und Seele “, murmelte Sakura. „Du willst, dass wir uns einander komplett … hingeben. Du willst, dass wir eins werden.“ Sie war nicht überrascht. Auch nicht enttäuscht oder erschrocken. Es war ein unbeholfener Versuch, ihre gegenseitige Liebe sicherzustellen, und er war zumindest von ihrer Seite her nicht notwendig, aber Sasuke war niemand, der Erfahrungen mit den Herzen anderer hatte – auch nicht mit seinem eigenen. Für ihn zählten Taten, nicht Worte. Was er gesagt hatte, allein die Tatsache, dass er es gesagt hatte, war mehr, als sie sich je von ihm erhofft hatte. Dennoch senkte sie traurig den Blick. „Es ist erst vier Tage her“, sagte sie. „Das ist noch keine Ewigkeit.“

„Ich weiß, du bist nicht dafür bereit“, sagte er ruhig. „Aber es liegt nicht an mir, oder?“ Allein die Frage tat ihr im Herzen weh. Stumm schüttelte sie den Kopf, ein Knoten bildete sich in ihrem Hals. „Es liegt an dem, was dir angetan wurde“, sagte er, sachlich, und doch verstärkte es den Schmerz nur noch, da ihr Unterbewusstsein die Erinnerung heraufbeschwören wollte, sie im kühlen See ihrer Seele wie Luftblasen aufsteigen ließ, näher und näher zur Oberfläche, um sie einmal mehr zu zerstören. „Darum will ich deine ehrliche Antwort. Ich will dein Einverständnis, dass ich dich von den Erinnerungen befreie.“

Ihre Augen wurden groß. „Das kannst du?“ Die gleiche Macht, die die Erinnerung hatte hochholen wollen, klammerte sich jetzt an eine Hoffnung, die niemals wahr werden würde. Diese Macht war ihr Feind, das wusste sie.

Wie zur Antwort glühten seine Augen auf, Kohlen in der Finsternis. „Ich habe mir seitdem Gedanken darüber gemacht. Ich kann dich unter ein Genjutsu setzen, das sich nur auf deine Erinnerungen auswirkt, das dich kurze Zeit vergessen lässt, was damals passiert ist. Mein Sharingan sollte mächtig genug dafür sein.“

„Was ist mit deinem Chakra?“

Er lächelte nicht, sondern sah einfach nur … entschlossen aus. „Das Jutsu wird nicht wenig davon brauchen. Aber ich bin bereit, es herzugeben. Für … Für uns.“

Sakura schluckte. Es war nicht so, dass er sie nur dazu bringen wollte, mit ihm zu schlafen, das wusste sie mit ziemlicher Sicherheit. Sie kannte keinen anderen Mann, der seine Gefühle so perfekt unter Kontrolle hatte, und auch sein Verlangen; eine Zeitlang hatte sie ihm sogar zugetraut, er wäre komplett über solche irdischen Gelüste erhaben, auch wenn das nicht stimmen konnte. Und auch sie selbst hatte sich bitter damit abgefunden, ihn nie auf diese Weise zu spüren. Aber es war ihr trotzdem immer unangenehm gewesen; es war das letzte Stück des Puzzles, das sie verband, zumindest fand sie das. Da wurde es ihr klar. Er wollte keinen Beweis für ihre Liebe. Er wusste, wie sehr sie der Umstand belastete, dass sie ihm körperlich nicht näher kommen konnte, das war während ihrer wenig rühmlichen Eskapade mit dem Alkohol deutlich hervorgesickert. Er wollte es für sie tun. Er bot ihr eine Option. Konnte das nicht einfach die Wahrheit sein? Zittrig atmete sie ein. „Wie funktioniert es? Ich möchte dabei nicht benebelt sein …“, sagte sie zaghaft. Es war eine Ironie. Bei Itachi hatte sie sich gewünscht, alles wäre nur ein Genjutsu gewesen, und nun musste sie auf Genjutsus ausweichen, um es mit Sasuke zu tun. „Und ich will auch ich selbst bleiben.“

Er nickte. „Ich werde nichts an deinem Bewusstsein verändern. Ich werde es nur auf die Gegenwart richten, damit es die Vergangenheit nicht ankratzt. Was meinst du? Ich biete dir die Möglichkeit, aber du musst entscheiden.“

Sie wich seinem Blick aus, hin und her gerissen. „Danke“, murmelte sie. „Es muss hart für dich sein.“

„Ich habe die Sharingan besser unter Kontrolle als früher“, sagte er.

„Das meine ich nicht. Es muss hart sein, wenn ich … wenn du mich mit einem Genjutsu belegen musst, damit wir … Es muss gegen deinen Stolz gehen, wenn das Mädchen, das behauptet, dich zu lieben, sich vor dir fürchtet.“

„Keineswegs“, sagte er ernst. „Ich kann mir nicht vorstellen, was du durchgemacht hast, aber ich weiß, dass das alles nur deswegen ist.“

Sakura ließ sich lange Zeit, sah die Sonne endgültig versinken, hörte, wie das Zirpen der Grillen begann, die, warum auch immer, von der Katastrophe verschont geblieben waren, spürte, wie sich Tau auf das Gras setzte und der Geruch nach Sommer frisch und sanft wurde, sah zu, wie die Halme sich im Wind bewegten, sachte und leise. Dann sah sie Sasuke fest in die Augen. „Wenn es nur mit einem Genjutsu geht, ist das auch okay. Und ich wünsche es mir.“ Keine Erleichterung, keine Freude in seinen Augen, sondern nur ein ernstes Nicken. Er tat es nur für sie. Und er hätte ewig gewartet, in diesem Augenblick war sie sich da ganz sicher.
 

Die kühle Nachtluft verwandelte sich in flimmerndes Feuer. Seine roten Augen schienen größer zu werden, verschlangen ihr Sichtfeld – oder vielleicht ertrank sie nur gerade in ihnen. Sie saugten etwas aus ihr, stahlen von ihr, was sie nicht wollte, wirbelten den See ihrer Erinnerungen auf und ließen die Seele darin Wellen schlagen. Ein Blitz durchbrach die schillernde Oberfläche, bohrte sich verästelt immer tiefer und traf dort auf die Erinnerung, die Nacht mit Itachi, die tief unter der Wasseroberfläche brütete, wartend und darauf lauernd, sie anfallen zu können. Sakura hoffte in dem Moment nur, dass Sasuke nicht sah, was sein Sharingan bekämpfte, dass er Itachi nicht sah, doch sein Blick änderte sich nicht, es war alles in Ordnung.

Doch die Erinnerung war zäh, wollte nicht weichen. Fest umklammerte sie ihre Seele, als erkannte sie, dass ihre Zeit gekommen war, dass sie wenigstens für ein paar Minuten würde schlafen müssen, krallte ihre kalten Finger in Sakuras Innerstes, ließ nicht los. Auf Sasukes Gesicht perlte Schweiß, doch er gab nicht auf, obwohl Sakura spürte, wie das Chakra aus seinem Körper floss, in ihr Bewusstsein eindrang, gegen den unsichtbaren Feind darin kämpfte, den Feind, der sie selbst war. Itachi schien sie nicht hergeben zu wollen. Ab heute gehört sie mir, hörte sie seine Stimme. Nein – sie würde Sasuke helfen, diese Stimme zu vertreiben! Auch wenn er ihr unwiderruflich ihr erstes Mal geraubt hatte, auch wenn er sich anmaßte, sie zu besitzen, und auch wenn ihr Unterbewusstsein sich gegen jeden weiteren Kontakt mit dem Menschen, den sie liebte, sträubte, sie würde ihm wenigstens ein paar Minuten abringen, nur ein paar Minuten …

Dann schien etwas in ihrem Bewusstsein knackend zu platzen, eine der Blasen, die die Erinnerungen so gern und unermüdlich nach oben brachten, und noch eine und noch eine … und das Bild von Itachi, die Rabenflügel, das Stroh, die wilden Augen, das alles versank tief in ihrem Inneren, so weit, bis es nicht mehr zu erkennen war.

Sakura schlug die Augen auf. Sasukes Iriden waren wieder normal. „Hast du noch Angst?“, fragte er. Sie lagen eng nebeneinander, sich gegenseitig umschlungen, ihre nackten Körper aneinander gepresst. Sie spürte seine Hand in ihrem Nacken, von ihrem Haar umflossen, spürte, wie ihre Brüste gegen seinen breiten Brustkorb drückten. Seine Augen finster, verschmolzen mit der Nacht, und er atmete schwer. Das Jutsu war anstrengender gewesen, als er zugeben hatte wollen. Schweißspuren glänzten wie silberne Linien im Mondlicht auf seiner Haut.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein“, hauchte sie. „Jetzt nicht mehr.“ Sie küsste ihn zärtlich auf den Mund und umarmte ihn noch inniger, winkelte das Bein ab, ihr Oberschenkel glitt an seiner Hüfte entlang. Sie spürte, wie seine Männlichkeit ihre intimste Stelle berührte, doch diesmal zuckte sie nicht zurück. Während ihre Zungen einander stumm umtanzten, wartete sie auf die Macht der Erinnerungen, auf diesen brutalen, sadistischen Hammer ihres Unterbewusstseins, der jeden Funken Glück am liebsten in tausend Scherben gesprengt hätte. Doch da war nichts. Sie hatte es nicht etwa vergessen, aber die Erinnerung hatte keine Macht mehr über sie. Sie wusste nicht, wie lange diese Barriere anhielt, aber sie würde es genießen, solange es ging.

Sie löste sich aus dem Kuss, lehnte ihre Stirn gegen seine und sah ihn mit tiefer Dankbarkeit in den Augen an. Minuten vergingen, in denen sie so verharrten, und Sakura konzentrierte sich voll und ganz auf das angenehm warme Gefühl, das durch ihren Körper pulsierte. In seinen Augen las sie eine stumme Frage und antwortete ebenso mit einem Blick, und er nickte. Langsam und sanft glitt er in sie, und die Wärme nahm zu und wurde zur Hitze, überrollte sie wie ein Sandsturm, prickelnd und glühend auf ihrer Haut, und sie musste die Augen schließen. Süße, kleine Seufzer aus ihrem Mund erfüllten die Nacht, begleiteten seinen Rhythmus. Er hatte die Hände an ihre Hüften gelegt, und ihre Finger umschlossen seine Unterarme, fühlten die rauen Verbände. Obwohl die Nacht kühl geworden war, glitzerten überall auf Sakuras heller Haut Schweißtröpfchen. Sasuke begann, die salzigen Perlen von ihrem Körper fortzuküssen, seine Lippen strichen über ihre Stirn, ihre Wangen, ihre Mundwinkel und Lippen, saugten sich an ihrem Hals fest und ließen sie aufseufzen.

„Sasuke …“, hauchte sie kraftlos.

Er drehte sich, zog sie mit sich, sodass sie auf ihm saß, spannte seine Bauchmuskeln an, um ihre Schultern mit seinen Küssen zu bedecken, ihre Schlüsselbeine, den Brustansatz, ihre Knospen. Seine Arme hinter ihrem Rücken geschlossen, vergrub er sein Gesicht zwischen ihren Brüsten. Sein strähnig gewordenes Haar kitzelte über ihre Haut und sie konnte nicht anders als aufgekratzt zu kichern. Ihr Atem wurde zittrig von ihrer beider schneller werdenden Bewegungen. Die Hitze in ihr schwoll bis zur Grenze des Erträglichen an, in ihrem Bauch schien etwas auseinanderzustieben, tausende kleine, glühende Sternchen, kitzelnd und prickelnd, die durch ihre Körper flatterten wie goldene Schmetterlinge. Sie fühlte sich, als würde sie schmelzen; das Gefühl seiner Wärme durchströmte sie wie Meereswellen, ruhig und regelmäßig und doch kraftvoll und reinigend, knisterte von ihrem Unterleib ausgehend in alle Ecken und Enden ihre angespannten Körpers, kitzelte bis in die Finger- und Zehenspitzen, setzte ihr Herz in Flammen und wischte ihre Gedanken endgültig weg, ließ eine leere, blanke Tafel zurück, auf der neue Erinnerungen geschrieben werden sollten.

Sakura schloss die Augen, atmete tief das Gemisch der Gerüche von Schweiß und feuchtem Gras ein, den Duft einer lauen Sommernacht, mit einem Hauch von Winter, der von den Bergen kam, ein leiser, kühler Luftzug, der über ihre Haut strich und die feinen Härchen in ihrem Nacken aufrichtete. Im Rhythmus ihres Atems, immer wenn sich ihr Brustkorb nach Luft lechzend hob, berührte seine raue Zunge ihre Knospen, umkreiste sie, seine Zähne streiften sie. Ohne ihr Zutun bewegten sich ihre Hüften immer schneller. „Sasuke … Bitte hör nicht auf … Nicht aufhören …“, flehte sie, die Stimme hoch vor Anstrengung und Erregung, obwohl er keine Anstalten machte innezuhalten. Seine Hände umfassten sanft ihr Gesicht, rahmten es ein, und sie sah ihm in die Augen und der Ausdruck in ihnen, dieser warme Funken, den sie noch nie darin gesehen hatte, dieses Zugeständnis an sie, ließ die Flammen in ihr mehr als alles andere höher lodern, brachte etwas in ihr zum Schwingen, zum Vibrieren … Sakura riss den Mund zu einem stummen Schrei auf, ihr Atem stockte, sie bog den Rücken durch und spreizte ihre Zehen; ihre Fingernägel gruben sich hart und tief in die weiche Haut über seinen Schulterblättern, während sie von den feurigen Wellen in ihrem Inneren, die stürmisch und windgepeitscht nach draußen schwappten, geschüttelt wurde, und als ihre Muskeln zuckten, zerbrach auch Sasukes selbst auferlegter Widerstand und er ergoss sich in ihr. Schwer keuchend sank sie auf seiner Brust zusammen, lehnte ihren Kopf in seine Halsbeuge, wartete darauf, dass das Rasen ihres Herzens nachließ. Das war es also. So hätte es sein sollen, von Anfang an, er und sie, sie und er, und sie fand nun eine so tiefe Glückseligkeit in ihrer Seele, wie sie es nicht erwartet hatte, in dieser Seele, die ihr Feind hatte sein wollen. Auch wenn die Wunde darin noch lange nicht geschlossen war, sich vielleicht nie schließen würde – sie hatte es zumindest heute Nacht geschafft, nicht auf sie zu blicken.

Als sie später in Sasukes Armen lag und die Sterne beobachtete, sagte sie: „Sasuke, jetzt hab ich eine Frage an dich. Und du musst sie auch ehrlich beantworten.“

„Hm?“

Sie schämte sich fast, es auszusprechen. „Das gerade … war real, oder? Es war nicht dein Genjutsu, das es mich hat glauben lassen.“

Er wirkte nicht gekränkt, eher amüsiert. „Würde es denn einen Unterschied machen?“

Würde es das? Reichte nicht allein das Gefühl? „Ja, allerdings“, sagte sie. Nun hatte sie eine Erinnerung, die sie der anderen entgegenhalten konnte. „Bitte, Sasuke, ich muss die Wahrheit wissen.“

„Hast du so wenig Vertrauen in mich?“, fragte er, doch als er bemerkte, wie entschlossen und ernst sie ihn ansah, zuckte sein Mundwinkel und er meinte: „Keine Sorge, es war real.“ Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Da spürte sie, dass nicht nur sie sich nach dieser Erfahrung verändert war. Unter der harten tönernen Ummantelung begann sich ein neuer Sasuke hervorzuarbeiten, offener und zur Liebe fähig. Sakura betrachtete noch eine Weile, wie sich Tautropfen auf den langen Grashalmen bildeten, ehe sie glücklich einschlief.
 

Am nächsten Morgen zogen sie weiter querfeldein, und gegen Mittag kam schließlich Neuanfang in Sicht.

Sakura hatte nicht viel erwartet und wurde mit noch weniger belohnt. Die Stadt, sofern man sie überhaupt so nennen konnte, wucherte in einer natürlichen Felsenlandschaft, von hinten durch schroffe Berghänge begrenzt. Dort oben entsprang ein klarer Bach, der spritzend und plätschernd in die Tiefe rauschte und durch die Stadt floss, was wohl der Grund war, dass man Arata na Hajimari hier gebaut hatte. Es schien so, als hätten die Einwohner alle nützlichen Trümmer aus den Dörfern, Städten und Gehöften in der Nähe hierhin zusammengerafft und sich daraus behelfsmäßige Unterkünfte gebaut. Aus der Ferne sah man Hütten mit unsauber zusammengesteckten Wellblechdächern, die auf der einen Seite direkt von einem mannshohen Felsbrocken gestützt wurden und auf den anderen zusammengenagelte Wände aus den verschiedensten Holzplanken besaßen. Viele der Bauten waren zu niedrig, um aufrecht darin zu stehen, aber über den meisten stieg verheißungsvoller Rauch auf und ein würziger Duft lag in der Luft. Die vielen verschiedenen Schrottteile müssten die Stadt eigentlich quietschbunt färben, aber die Farben waren verblasst. Es gab insgesamt vielleicht vier Dutzend Häuser, die meisten davon so klein, dass man wirklich nicht gerade von einem städtischen Flair reden konnte.

Aber Neuanfang war bewacht, und das machte vielleicht den Unterschied in dieser kalt gewordenen Welt aus, den Grund, warum sie sich hier zusammengerottet hatten und nicht jeder für sich ein neues Leben begannen. In weitem Bogen erhob sich ein Wall aus zusammengenagelten, teils schiefen, teils wurmstichigen oder von Brandlöchern gezierten Holzplatten, auf deren Spitzen jemand behelfsmäßig einen langen Stacheldraht befestigt hatte. Auf der Rückseite der Mauer gab es ein schmales Trittbrett, sodass man sogar darauf stehen und Wache halten konnte. Ein zweiflügeliges Tor mit rostigen Scharnieren, das wie das Werk eines Hobbyhandwerkers aussah, markierte den Eingang in die Stadt. Davor flatterte eine zerfledderte rotschwarze Fahne im Wind, die wohl keinen anderen Zweck hatte als einfach nur auszudrücken, dass hier etwas war, und über dem Tor stand auf einem großen Schild: Arata na Hajimari.

Sakura und Sasuke waren natürlich schon bemerkt worden, als sie näher kamen. Auf der Mauer standen Männer und Frauen, einheitlich in graue Kleidung gehüllt, um so etwas Ähnliches wie Uniformen nachzuahmen, auch wenn das Spektrum von Schmiedeschürzen bis hin zu Festkleidung reichte. Sie waren mit verbogenen Speeren, Bögen und Katanas bewaffnet, einer hatte sogar einen Fuuma-Shuriken auf den Rücken geschnallt, ein anderer schleppte eine riesige Ninja-Schriftrolle mit sich herum. „Stehen bleiben!“, gebot ihnen letzterer, also hielten sie etwa zwanzig Schritte vom Tor entfernt an. Dahinter ertönte Gemurmel, und die dünnen Spanplatten des Tores wurden geöffnet, um ein Empfangskomitee nach draußen zu lassen.

„Gratuliere. Ihr habt Neuanfang gefunden“, sagte eine Stimme.

Sakura erstarrte, Sasuke spannte sich an. Das war doch nicht möglich, oder? In ihrem Kopf begann sich etwas rasend schnell zu drehen, als ihnen ein Trupp grau gekleideter, schwer bewaffneter Wachen entgegenmarschierte. Angeführt wurden sie von niemand geringerem als Kakashi. Er blieb vor ihnen stehen und hob lässig die Hand. „Yo“, sagte er an Sakura gewandt. „Lange nicht gesehen.“
 

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So, ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, auch die diesmal längere Kampfszene. Sakuras Sicht auf Sasuke ist übrigens mit Absicht so gehalten, dass sie viel interpretiert, aber nüchtern betrachtet nichts gewiss ist; später einmal mehr dazu ;)

Übrigens, falls mir wer beim Benachrichtigen entschlüpft sein sollte, es gibt jetzt einen Trailer für diese FF: http://www.youtube.com/watch?v=8IEOYtgm4YQ

Der Feind in den eigenen Gedanken

In Sakuras Kopf tobten die Gedanken, in ihrer Brust die Gefühle. Kakashi war tatsächlich noch am Leben … und es ging ihm gut! Sie war sich so sicher gewesen, dass er tot war … wieder fühlte sie schlechtes Gewissen in sich hochsteigen. Sie hatte ihn nicht nur im Stich gelassen. Sie hatte ihn auch gleich abgeschrieben und nicht weiter nach ihm gesucht, obwohl er ein so erstaunlicher, zäher Ninja war … „Kakashi … du lebst noch …“, flüsterte sie, während er und seine Begleiter auf dem kahlen Feld vor ihnen verharrten. Ganz bewusst verzichtete sie darauf, ihn Sensei zu nennen.

Sasuke musterte indessen die Leute, die sie empfangen hatten. Sie waren ebenfalls alle grau gekleidet, Kakashi trug eine graue Flickenweste und hatte seine Ninjahosen bemalt, und allesamt waren sie bewaffnet. „Sieht so aus“, gab er zurück. Er trug ein graues Stirnband, das sein Auge überdeckte, allerdings ohne das Abzeichen von Konoha, und seinen üblichen Mundschutz. Wie immer war es schwierig, seine Gedanken in diesem halben Gesicht zu lesen. „Ich glaube, das verdanke ich dir.“

Sakura kniff bitter die Lippen aufeinander. „Ich habe dich im Stich gelassen“, murmelte sie.

„Tatsächlich?“ Kakashi hob die sichtbare Augenbraue. „Als du nicht mehr aufgetaucht bist, habe ich eine Menge Theorien über deinen Verbleib angestellt, aber auf diese Idee bin ich nicht gekommen.“ Als sie mit ihrem schlechten Gewissen schwieg, wandte er sich an Sasuke und seine Stimme wurde etwas härter. „So treffen wir uns also auch einmal ziemlich unerwartet. Danke, dass du auf Sakura aufgepasst hast, Sasuke-kun.“

„Ich habe nichts getan. Sie kann auf sich selbst aufpassen“, sagte Sasuke kühl.

„Du kennst sie also?“, stellte einer der Männer neben Kakashi überflüssigerweise fest. Er hatte langes rotes Haar, das ihm wirr in alle Richtungen vom Kopf abstand, und einen Ring im linken Nasenflügel, der aber nicht wirkte, als wäre er aus Metall. In seinem Genick lag ein eiserner Speer, auf den er lässig die Hände gestützt hatte.

„Sie sind meine ehemaligen Schüler“, bestätigte Kakashi.

Der andere schnalzte mit der Zunge. „Gut. Dann können wir sie ja sicher rein lassen.“

„Ja, das können wir“, sagte Kakashi, nicht ohne Sasuke noch einen warnenden Blick zukommen zu lassen. Sakura wunderte sich, dass er ihm nicht zumindest den Zutritt verbot. Dachte er, Sasuke wäre vertrauenswürdig, weil er mir ihr unterwegs war?

Sie folgten ihrem Empfangskomitee in die erste selbsternannte Stadt der neuen Welt. Die Hütten wirkten bei Nahem noch armseliger, als Sakura zunächst vermutet hatte, viele windschief, mit Ritzen, durch die der Wind pfeifen konnte. Es lebten nicht so viele Menschen hier wie in Itachis Reich, aber es war doch eine beachtliche Menge, wenn man sich vergegenwärtigte, was eigentlich mit dieser Welt passiert war … und ihrer Kleidung und ihrem Aussehen nach zu urteilen war Neuanfang ein Schmelztiegel; Sakura sah auch Leute, die noch die typischen Kopftücher der Wüstenbewohner trugen, und die dunkleren Hauttönungen des Reichs der Blitze. Sie hämmerten in einer Art Schmiede, wuschen Lebensmittel oder Eisen oder kochten in offenen Küchen, die intensiven Kohlgeruch wie einen Schleier über die Stadt legten.

Kakashi und die anderen Graugekleideten führten sie in einer Runde durch die Siedlung. Die ganze Zeit über nagten die Worte an ihr, die sie Kakashi hatte sagen wollen, vor allem damals, als sie so plötzlich entführt worden war … Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber es war lächerlich, es abzustreiten: Sie fühlte seit dem Weltuntergang anders für ihn. Er war mehr für sie geworden als ihr Sensei oder Teamkamerad, und wenn es in der kurzen Zeit gewesen war, in der sie ihn behandelt hatte. Und das waren auch nicht bloß Gefühle einer Heilerin für ihren Patienten gewesen, das war ihr jetzt klar, als ihr Herz flatterte und ein unangenehmes Gefühl in ihrem Bauch aufgetaucht war, ein ziehendes Gefühl, ein nach unten ziehendes, das sie eigentlich nicht spüren wollte, denn es kam ihr so vor, als hätte sie Kakashi verraten. Denn statt ihn zu suchen, war sie mit Sasuke gezogen, den sie schließlich liebte … Und jetzt … Und gestern Nacht …

„Kakashi, ich …“, begann Sakura, doch er unterbrach sie.

„Ich kann mir vorstellen, dass ihr viele Fragen habt“, sagte er, „aber beschränkt sie bitte fürs erste auf Neuanfang.“ Sakura verstummte. Als sie weitergingen, fuhr Kakashi fort: „Es ist gut, dass ihr hier seid. Wir können euch gut gebrauchen; es gibt viel zu tun hier. Für Faulheit ist diese Welt zu kaputt.“ Er blieb stehen und sah vor allem Sasuke an. „Das gilt vor allem für dich, Sasuke. Wenn ihr hier bleiben wollt, müsst ihr euren Teil zum Wohl der Stadt beitragen. Das hier ist nicht Konoha, und es wird niemand für dich Partei ergreifen, solltest du dich auch hier wie ein Verräter benehmen.“ Die anderen sahen Sasuke misstrauisch an, aber das schien keinen der beiden zu stören.

„Du erzählst mir Dinge, die ich mir denken kann“, murmelte Sasuke und erwiderte Kakashis Blick kühl.

Ihr Sensei sah ihn noch kurz bohrend an, dann änderte sich sein Gesichtsausdruck zu einem übertriebenen Lächeln. „Dann ist ja gut.“ Sie gingen weiter, und er zeigte ihnen die wichtigsten Gebäude und wie und wovon die Leute hier lebten. „Wasser bekommen wir von der Quelle. Das Essen ist schwieriger. Ein paar Meilen im Norden haben wir fruchtbare Erde gefunden. Möglich, dass es früher mal ein Acker war, jetzt ist dort nichts mehr. Wir haben Gemüse dort angepflanzt, aber es dauert sicher noch eine ganze Weile, bis wir es ernten können. Bis dahin haben wir nicht viele Möglichkeiten. Wir plündern die Ruinen oder jagen Tiere. Zwar gibt es nur noch wenige, aber in diesem Ökosystem sind sie ohnehin alle vom Aussterben bedroht – wir Menschen auch, wenn wir nicht aufpassen.“

Sie umrundeten etwas, das wie eine altertümliche Wagenburg aussah, mit zerbrochenen Karren, löchrigen Metallfässern und weiterem Schrott, der irgendwie zu einer halbwegs stabilen Pyramide gestapelt war und die meisten anderen Gebäude überragte. Vielerorts stützten Holzpfeiler die Konstruktion und auf halber Höhe erlaubten zwei schmale, zusammengenagelte Bretter, dass man auf einer Art Wehrgang patrouillieren konnte. Das Rathaus, wie Kakashi erklärte. Sakura kam es eher vor wie eine Einladung zum Selbstmord. Hinter dem wenig Vertrauen erweckenden Gebilde lag eine Felswand, in der ein riesiges Loch gähnte. Zwei rostige Eisenschienen führten heraus, ehe sie im Nichts endeten, abgerissen und in die Höhe gebogen. Soeben schoben zwei Arbeiter – einer von ihnen trug einen echten Bergarbeiterhelm – einen verbeulten Minenwagen aus dem Stollen, was Sakura unangenehm an eine bestimmte andere Mine erinnerte. Draußen warteten schon weitere Leute, die den Inhalt des Wagens in ihre Körbe stopften: Seltsames, blassgrünes Geflecht, zart und weich wie Moos. „Was ist das?“, fragte sie.

„Wissen wir nicht“, sagte Kakashi leichthin. „Eine Art Algen vielleicht. Es wächst seit dem Chakrasturm in dem unterirdischen See dort drinnen. Man kann es essen und es schmeckt auch recht gut, allerdings wird man krank, wenn man zu viel davon erwischt. Darum wird es streng rationalisiert.“

Sie beendeten hier ihre kurze Tour. „Das Gremium wird bestimmen, welche Arbeit man euch zuteilt“, erklärte Kakashi. Anscheinend war es für ihn beschlossene Sache, dass sie hier blieben. „Aber da ich euch kenne, werde wohl letztendlich ich entscheiden. Sasuke, dich werde ich zu den Jägern stecken.“

„Und was machen die Jäger?“, fragte Sasuke. Es war ihm anzusehen, dass er nicht unbedingt erfreut war über Kakashis Worte.

„Wie ich schon sagte, ihr versucht Tiere zu erlegen, essbare Pflanzen zu finden, Räubergruppen auszuschalten und Ruinen zu plündern. Ich hoffe, du hast das Teamwork nicht gänzlich verlernt. Hier in Neuanfang ist eine Berufung zum Jäger eine Ehre, also fühl dich ruhig geehrt.“ Als Sasuke etwas grummelte, fügte Kakashi hinzu: „Übrigens, noch was. Was auch immer du dort draußen als Jäger findest, es wird dem Allgemeinwohl überstellt. Die Jäger bringen ihre Beute ins Vorratslager, auch Waffen und Werkzeuge. Das Gremium bestimmt später, wer es wie nutzen darf. Das gilt übrigens auch für die Dinge, die ihr bei euch habt.“ Er deutete auf die beiden Fässer. „Da ist Chakraflüssigkeit drin, oder?“

Sakura wusste nicht, wie er es so schnell erraten hatte. Kakashi war eben doch scharfsinnig – oder es war einfach offensichtlich. Sie nickte. Er würde es sowieso herausfinden.

„Wir haben hart darum gekämpft“, sagte Sasuke eisig. „Sie gehört uns.“

„Dann haben wir ein Problem“, seufzte Kakashi.

Sasukes Augen wurden schmal. „Ist bei euch persönlicher Besitz etwa verboten?“

„Sasuke“, warnte ihn Sakura leise und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Kakashi. „Tut mir leid. Es fällt uns nicht leicht, jemandem zu trauen, nach allem, was wir erlebt haben.“

Ihr Sensei nickte. „Das kann ich verstehen.“ Kaum, dachte Sakura bitter. „Nun, ich will euch zu nichts zwingen. Wenn ihr es uns nicht aushändigen wollt, müsst ihr die Stadt aber verlassen, und ich kann nicht für eure Sicherheit garantieren.“

Sakura fasste nach Sasukes Hand, der zusammenzuckte, als hätte er für einen Moment vergessen, dass sie auch da und mehr war als nur eine Weggefährtin, dann drückte er ihre Finger. Kakashi verfolgte die Geste aufmerksam mit seinem freien Auge. Sakura sah Sasuke bittend in die Augen, und schließlich wandte er den Blick ab. Das kam einer Einwilligung gleich. „Wir bleiben“, sagte Sakura. „Wenn du auch hier bist, können wir den Leuten wohl vertrauen. Und wo würdest du mich einteilen, Kakashi?“

„Bei den Heilern“, sagte er. „Die Leute, die hier jetzt leben, sind alle nur durch Glück dem Chakrasturm entkommen und keiner ist unversehrt geblieben. Sie können zwar arbeiten, aber viele haben Schmerzen oder sind krank. Wir brauchen jemanden mit deinen Fähigkeiten, um sie zu behandeln.“

Sakura nickte. Sie hatte etwas in der Richtung erwartet – auch wenn sie nicht genau wissen wollte, was mit den Leuten geschah, die nicht mehr arbeiten konnten. Irgendwie strahlte Neuanfang eine kalte Aura aus, und Barmherzigkeit wollte zu so einem Ort nicht passen. Sie erinnerte sich an das kleine Mädchen, das ausgestoßen worden war, weil sie den Anforderungen hier nicht gewachsen gewesen war. „Aber ohne mein Chakra kann ich nur wenig bewirken“, sagte sie mit einem demonstrativen Blick auf die Fässer.

„Du hattest eine Ausbildung zum Medic-nin. Das ist weit mehr, als die meisten anderen Heiler vorweisen können. Mit den Medikamenten aus den Ruinen und den Gerätschaften wirst du genug erreichen können. Außerdem“, fügte er leise hinzu, „haben wir für den Notfall immer noch ein wenig Chakraflüssigkeit.“

Ihr habt …?“, rief Sakura aus.

Kakashi nickte. „Nicht viel, aber wir konnten einige Kristalle ergattern. Wir wissen, wie man sie zubereitet.“

„Woher habt ihr sie?“

Kakashi blinzelte gegen die Sonne – oder eher in deren Richtung, denn sie hatte sich hinter eine bleierne Wolkenwand geschoben, die die Szenerie noch grauer und unfreundlicher erscheinen ließ, als sie ohnehin war. „In letzter Zeit sind viele Leute aus dem Süden durch diese Gegend gezogen. Sie haben Ninjas eingeladen, in ihre Siedlung zu kommen und zur Überzeugung ein paar der Kristalle mitgehabt, die sie dort unten abbauen.“

Sasuke und Sakura wechselten Blicke. Die Ninjas, die sie unterwegs getroffen hatten, und die Kristallminen fügten sich zu einem Bild zusammen. „Sind ihnen viele gefolgt?“, fragte Sakura.

„Von uns nicht“, antwortete Kakashi. „Sie verlangen nämlich, dass man Jashin Treue schwört. Mit solchen Verrückten geben wir uns nicht ab.“

„Aber wir erleichtern sie gern um ihre Last, wenn wir auf sie treffen“, fügte der rothaarige Mann grinsend hinzu.

Sakura überlegte. Was hätte Itachi davon, wenn er seine Chakrakristalle mit anderen Ninjas teilte? Sie konnte es sich nicht erklären.

Die Wellblechplatte vor dem Rathaus, in die Löcher gestanzt waren, die mit dicken Lederschnüren mit einem Türrahmen verbunden waren, was das Ganze wie eine Tür aussehen ließ, schwenkte zur Seite und ein alter, raubärtiger Mann sah heraus. „Ah, Kakashi-san. Wir haben die Frage, ob wir den Stollen vergrößern sollen, neu aufgerollt. Bist du unpässlich?“

„Nein, ich komme schon“, antwortete Kakashi und gab dem rothaarigen Mann ein Zeichen. „Kureiji? Kannst du ihnen Quartiere zuweisen?“

„Klar doch.“ Kureiji grinste vielsagend. „Ihr beiden wollt sicher ein Haus zu zweit, oder?“

„Ja“, sagte Sasuke. Sakura war trotz allem froh, dass er ihre Beziehung nicht zu verheimlichen versuchte. Sie hegte nur den absurden Wunsch, Kakashi hätte es nicht gehört.

„Also dann“, seufzte ihr ehemaliger Sensei. „Ich werde mir eine von diesen endlosen Besprechungen antun und dann gleich eure Zuteilung mit einbringen. Man sieht sich.“ Er hob grüßend die Hand und folgte dem alten Mann ins Rathaus.

„Dann kommt mal mit“, sagte Kureiji. Als sie bei dem mit Stacheldraht umzäunten, rechteckigen Lagerplatz vorbeikamen, der wirkte wie ein Schrottplatz mit einem alten, quadratischen, ausgebrannten Betonblock in der Mitte – der wiederum in Sakuras Augen so aussah wie das einzige Gebäude, das von vornherein an diesem Ort gestanden und nicht aus Trümmern gebaut worden war –, deutete er auf die beiden Wachen davor, die jeder ein Katana im Gürtel trugen und sich auf lange Spieße stützten. „Gebt denen euer Zeug.“

Etwas widerstrebend übergaben sie ihnen die Fässer, die die beiden in den Betonklotz brachten. Dort bunkerten sie wohl die wertvollsten Dinge. „Kann ich mein Schwert behalten?“ Es war keine Frage, Sasuke legte die Hand auf den Griff.

Kureiji ließ sich von der Geste nicht beeindrucken. Er holte etwas aus seiner Tasche, steckte es in den Mund und kaute darauf herum. „Klar. Du kommst ja zu den Jägern. Das ist mitunter ein gefährlicher Job. Mit den eigenen Waffen kann man immer noch am besten umgehen.“ Er wandte sich an Sakura. „Deine Shuriken würd‘ ich aber gerne haben. Und den Kunai. Du brauchst sie hier nicht.“

Sakura und Sasuke hatten sich Hideyoshis Waffen aufgeteilt. Zögerlich rückte Sakura mit ihrem Anteil heraus. Kureiji warf alles achtlos auf einen Haufen hinter dem Zaun. „Woher wusstest du davon?“, fragte Sakura.

„Bin auch ein Ninja“, sagte er knapp. Er kaute lautstark auf was auch immer herum. „Kekkei Genkai. Ich kann Metall aufspüren.“

„Dann bist du also auch einer der Jäger?“

„Erraten. Kommt weiter.“

Als sie seinem wuscheligen Haarschopf, der beim Gehen wippte, folgten, tauschten sie noch einen Blick. Es war gut gewesen, dass sie ihre Chakravorräte noch gefüllt hatten, ehe sie zur Stadt gekommen waren. Sakura hatte das Gefühl, hier würde es noch viel strenger und kontrollierter zugehen, als der erste Blick verriet.
 

„Sie fressen uns die Haare vom Kopf!“, beklagte sich Fukita. „Wir sollten sie alle opfern! Dann hat Jashin wenigstens etwas davon!“

Er, Itachi und einige andere standen am Ausgang des Hauptstollens und sahen in die Siedlung hinunter. In den letzten Tagen hatten sich die Früchte ihrer Anwerbungen bemerkbar gemacht. Fast drei Dutzend Ninjas waren inzwischen in das Tal gekommen, hatten sich in den Ruinen der Siedlung eingerichtet oder eigene Hütten und Zelte aufgebaut, und laut ihren Spähern würden es noch mehr werden, chakrahungrige Ausgestoßene; Ausgestoßene aus dem Leben, das sie einst geführt hatten. Und dabei war noch kein Bericht aus Sunagakure gekommen, die Boten dorthin waren wohl noch unterwegs.

„Das werden wir nicht“, sagte Itachi etwas verspätet. „Sie halten unsere Feinde fern und werden sich bald selbst ernähren – und uns. Die Kristalle machen sie zu Söldnern. Ganz wie Shinobi es gewohnt sind.“

Fukita trat ungeduldig auf der Stelle herum. „Sie sollten nicht hier bleiben“, beharrte er. „Eine Armee, die auf dem eigenen Land steht, frisst es nur kahl. Sie müssen marschieren!“

Itachi sah ihn an und der Mann schrumpfte unter seinem Blick zusammen. Er hatte gehörigen Respekt vor seinem Hohepriester, sparte aber dennoch nicht mit ungeduldigen Kommentaren. „Was soll das heißen, marschieren?“

„Was ich sage“, erwiderte Fukita trotzig. „Selbst wenn sie das Essen selbst besorgen, plündern sie nur die Ruinen, die sonst wir durchsucht hätten. Wenn wir sie fortmarschieren lassen, können sie sich anderswo durchfüttern und plündern.“

„Und wohin würdest du sie marschieren lassen?“, fragte Itachi monoton.

Fukita zögerte. „Ich weiß nicht. In die Wüste vielleicht, oder ins Land der Reisfelder, vielleicht ist da noch was übrig. Oder nach Norden in diese neue Stadt. Es ist egal, wohin, aber eine Armee muss marschieren.“

„Fukita.“

„Ja, Gesandter?“

„Sieh dort hinunter.“ Itachi deutete auf die Ruinen der Siedlung. „Sieht so eine Armee aus?“

Fukita schwieg. Der Anblick war tatsächlich etwas ernüchternd. Die Ninjas stammten aus verschiedenen Gegenden und konnten ihre Streitereien teilweise nicht einmal jetzt ablegen. Als gestern die meisten der Ninjas aufgetaucht waren, hatten etliche versucht, mit Gewalt an die Kristalle zu kommen. Itachi hatte sie mit seinem Mangekyou Sharingan durch jahrelange Schmerzen gejagt, sodass sie außer Gefecht waren. Die meisten hatten eingesehen, dass sie ihn nicht einmal mit den Kristallen besiegen konnten, und eingewilligt, für den Jashin-Orden zu arbeiten. Dennoch hatten sie untereinander Kämpfe ausgefochten. Seitdem hatte es vier Tote und eine ganze Reihe Verletzter gegeben, und es gab wenig, was Itachi dagegen tun konnte. Die Jashin-Jünger tendierten vielfach zu purer Arroganz, weil sie in ihren eigenen Augen viel zivilisierter waren als der bunt zusammengewürfelte Haufen Shinobi, und Itachi musste anerkennen, dass sie tatsächlich eine Einheit bildeten, eine Bastion, die gegen die wütenden, chakradurstigen Ninjas stand. Deren Egoismus und Paranoia, die er ihnen trotz allem nicht verübeln konnte, schlug sich auch auf ihre Unterkünfte durch. Alle Zelte und die neuen, trotzdem schon wieder einsturzgefährdeten Bauten drängten sich so nah wie möglich an die Felswand und somit an die Kristalle tief im Berg. Ninjas, die sich von früher kannten, hatten kleine Gruppen gebildet, wie die Teams aus alten Zeiten. Stets hielt einer Wache, während die anderen schliefen, und selten sah man einen Shinobi irgendwo alleine gehen. Nach und nach hatte sie Itachi zu Audienzen gebeten, ihnen die Lage klargemacht und Versprechen auf Kristalle gemacht, wenn sie etwas Produktives zur Gemeinschaft beitrugen. Gut fand er, dass keiner auch nur einen Gedanken daran verschwendete, tatsächlich zum Jashinismus überzutreten. Fanatiker hatte er genug am Hals.

Innerlich seufzend, löste er die Hände vom Geländer und ging in den Stollen zurück. Fukita folgte ihm nach kurzem Zögern wie ein treuer Hund. Itachi war nicht wirklich zum Anführer einer Siedlung geboren. Sein Mantel, der wie Hidans aussah, verlieh ihm der Sekte gegenüber Autorität, und auch wenn viele der Shinobi schon von ihm gehört hatten, zählten für sie nur Taten, keine erfundenen Worte eines Dämons, der vielleicht gar nicht existierte.

Itachis Gedanken glitten, ohne es zu wollen, zu Sakura. Sie war sicher nach Neuanfang gezogen, nachdem das Mädchen ihr von der Stadt erzählt hatte. Und Sasuke war bei ihr. Itachi überlegte, ob er einen Spähtrupp nach Norden schicken sollte, der auskundschaftete, was die beiden trieben. Nur konnte er schlecht seine Anhänger nach ihr ausschicken, nachdem er offiziell kein Interesse mehr an ihr hatte.

„Fukita“, sagte er.

„Zu Diensten.“

„Diese drei Ninjas aus dem Grasdorf, die sich bereit erklärt haben, in den Minen mitzuarbeiten. Sag ihnen, ich habe einen gut bezahlten Auftrag für sie, und bring sie her.“
 

Das Haus, das ihnen zugeteilt wurde, war undicht. Das merkten sie, als am späten Nachmittag der Regen begann und fiese Tropfen durch die Wellblechdecke sickerten. Sie stellten rostige, verbeulte Eimer auf, aber das Tropfgeräusch war dennoch lästig. Für den Tag durften sie sich ausruhen, bekamen geschmacklosen Eintopf aus undefinierbaren Ingredienzien und zwei Handvoll der grünen Flechten aus der Höhle zu essen.

Ihre Unterkunft bestand aus nur zwei Räumen. Zum einen aus einem geräumigen, weil ziemlich leeren Hauptzimmer, in dem ein Bett stand, das gerade etwas zu schmal war, um als Doppelbett gelten zu können, außerdem ein Tisch mit einer Öllampe für finstere Stunden, eine Kiste, wohlgemerkt ohne Schloss, und ein Campingtisch aus Plastik mit dazu passenden Hockern. Durch die Ritzen der Bretter sickerte Sonnenlicht, als der Regen schließlich im letzten Licht des Tages aufhörte, und ließ Staub in der Luft tanzen. Dann gab es zum anderen noch eine Art Badezimmer, das sich an einen Felsen schmiegte, der kantig und feucht war, um eine Wand einzusparen. Es gab einen Bottich zum Waschen und ein aus rohen Brettern gezimmertes Plumpsklo, das in eine kleine Empore eingelassen war. Rostige Abflussrohre führten durch die Wand in den nahen Bach.

Sakura beschwerte sich nicht über das Essen. Es war nichts, wovon sie satt werden würde, auch nicht, wenn sie nicht schon tagelang am Limit gelebt hätte, aber es war ihnen vorerst kostenlos überlassen worden – auch wenn sie dafür ihr Bärenfleisch hatten abliefern müssen – und auch dieses Haus war, so unbequem es auch anmutete, ein Geschenk an die neuen Bewohner von Neuanfang. Sakura wusste nun, dass der Name der Stadt in mehr als nur einer Hinsicht zutraf. Es war nicht nur ein Zufluchtsort in einer kalten Welt, eine Zivilisation inmitten der Ödnis, sondern es änderte ihr gesamtes Leben. Ihre täglichen Aktionen würden mehr denn je auf das Gemeinwohl der Siedler abzielen, soviel hatte Kakashi durchsickern lassen. Luxus und Müßigkeit hatten hier keinen Wert. Sasuke hatte recht gehabt – es würde alles anders werden.

Sie verbrachten die Nacht aneinander gekuschelt in ihrem Bett, weiter passierte nichts. Sakura strich mit den Fingern über die Stelle, wo früher Sasukes Verfluchtes Mal geprangt hatte, das ihr so viele Sorgen bereitet hatte und nun, nach dem Chakrasturm, verschwunden war, wie er sagte.

Am nächsten Morgen war die Sonne noch nicht aufgestiegen, als Kureiji in Begleitung eines halben Dutzends anderer, vier davon Männer, zwei Frauen, und ihrer Ausrüstung nach allesamt Shinobi, Sasuke abholen kam. Sakura verabschiedete ihn, und sie verließen in einem strammen Marsch die Stadt. Der Himmel war wieder grau in grau und es fehlte noch an Helligkeit, um von einem neuen Tag sprechen zu können, als Sakura ebenfalls abgeholt wurde. Es gab in Neuanfang ein kleines Krankenhaus, einen rohen, weitläufigen Bretterbau, so niedrig, dass man sich den Kopf stieß, wenn man nicht aufpasste. Er war vollgerammelt mit Krankenhausbetten, die allesamt zerschlissen waren oder unter dem Gewicht der darauf liegenden Patienten ächzten; in einer Ecke gab es noch einfache Liegen aus Holz und Leinen, doch sie wurden zum Glück nicht benutzt. Die Heiler, allesamt ältere Frauen und Männer, deren Stärke Weisheit und Erfahrung waren, zeigten ihr die Instrumente, welche sie benutzten. Sakura war nicht überrascht, dass auch diese in katastrophalem Zustand waren – oder auch einfach selbst zusammengebastelt. Ein kleiner Lagerraum grenzte an das Spital, wo Medikamente aufbewahrt wurden.

An ihrem ersten Tag war Sakura nicht gerade zufrieden mit sich; sie musste sich erst mit den Behandlungsmethoden der Heiler anfreunden, die Schmerzmittel nur um äußersten Notfall gaben und auch andere Medikamente nur nach dreimaligem Überlegen injizierten, die Sakura den Patienten schon längst verabreicht hätte. Geschlaucht und deprimiert kam sie gegen Einbruch der Dunkelheit in ihr Haus zurück. Die Tür war offen, denn auch sie hatte kein Schloss – Sakura fragte sich, ob dieses Gremium, das die Stadt regierte, nicht vielleicht ein wenig zu sehr gegen Privatsphäre wetterte. Ihr Abendessen stand auf dem Tisch, eine Schüssel desselben Eintopfs, den sie auch gestern und mittags im Spital gegessen hatte. Für Sasuke war nichts dabei. Es schien klar zu sein, dass die Jäger heute nicht wiederkommen würden.

Als sie fertiggegessen hatte und sich eben ins Bett legen wollte, klopfte es an der Tür. Sie war doch ein wenig erstaunt, als sie Kakashi öffnete. Er kam ihr immer noch ein wenig wie ein Geist vor, wie er da in dieser fremden Kleidung vor ihr stand, offenbar auf Du und Du mit den wichtigsten Leuten der Stadt. Das schlechte Gewissen drückte ihre Stimmung noch tiefer.

„Hast du ein wenig Zeit?“, fragte er. Seine Stimme klang seltsam sanft.

„Sicher“, murmelte sie apathisch und ließ ihn herein. Sie nahmen auf den beiden Hockern Platz, sahen sich über den Tisch hinweg an, eine ganze Zeit lang.

„Du hast dich verändert“, stellte er fest.

„Tatsächlich?“ Sie und Sasuke hatten gestern das eisige Wasser aus dem Bach geschöpft, dort, wo es klar und sauber vom Berg herabgestürzt kam, und ergiebig in dem Bottich gebadet. Sauber müsste sie also eigentlich sein, bis auf die Schicht Schmutz eben, die man ohne Seife nicht abbekam.

„Ja. Du siehst aus, als hättest du eine Menge durchgemacht.“ Seine Stimme klang mitfühlend. Sie hatte schon fast vergessen, wie sich so eine Tonlage anhörte.

„Ich will nicht darüber reden“, sagte sie. „Was ist mit dir? Wie kommst du hierher? Ich dachte … ich dachte, ich hätte dich verloren“, fügte sie leise hinzu. Sie hatte die Fäuste geballt und auf die Knie gepresst. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, überglücklich, und hätte … ja, was eigentlich? Wie weit wäre sie gegangen? Hätte sie ihn vor Freude geküsst? Das vielleicht nicht, aber sie wäre sich tatsächlich erlöst vorgekommen, so froh wie noch nie seit dem Chakrasturm, denn er lebte und es ging ihm gut! Aber sie tat nichts dergleichen, sie konnte nicht. Es wäre falsch gewesen, das wusste sie. Sie hatte bereits Sasuke. Vielleicht wäre alles anders, wenn sie nicht vor zwei Tagen mit ihm geschlafen hätte, vielleicht hätte sie dann nicht das Gefühl, ihr Körper und ihre Seele wären mit ihm so eng verschmolzen, unwiderruflich. Also saß sie nur da und schämte sich. Sie hatte Kakashi abgeschrieben, aber ihn nun wieder zu sehen, wühlte mehr in ihr auf, als sie wollte …

„Naja, es war nicht einfach“, sagte er, als sie schweigend seinen Blicken auswich. „Die Kurzfassung wäre, dass ich, sobald ich wieder fit war, die Sachen gepackt und dich gesucht habe. Ich hatte von Neuanfang gehört und dachte, dass du vielleicht dort bist. Also bin ich hierhergekommen. Deine Behandlung hat übrigens wahre Wunder gewirkt.“

Nein, er sollte sie nicht loben! Sollte er sie doch verwünschen, verdammen, sie eine Verräterin schimpfen! „Ich verdiene deinen Dank nicht“, murmelte sie.

„Doch, das tust du“, beharrte er. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich hatte sogar ein schlechtes Gewissen, als die Leute aus der Stadt mich erkannt und ins Gremium gesetzt haben. Ich habe zwar immer wieder versucht, dich zu finden, aber die Aufgaben haben mich so beschäftigt, dass ich in letzter Zeit kaum noch Gelegenheit dazu hatte. Ich habe darauf vertraut, dass du allein zurechtkommst, aber ich wäre dir lieber beigestanden. Tut mir leid.“

Sie sah ihn mit feuchten Augen an, die Lippen ein klein wenig geöffnet. Er entschuldigte sich. Er. Weil er sie nicht gefunden hatte. Weil er stattdessen der Menschheit geholfen hatte, Fuß in diesem Ödland zu fassen. Und was hatte sie getan? Sie hatte sich mit einem Verräter zusammengetan, sich in ihn verliebt … Und obwohl sie immer der Meinung gewesen war, Gefühle, vor allem Liebe, wären nichts, wofür man sich schämen müsste, tat sie es in diesem Moment.

„Sakura? Was ist los?“

Sie weinte, merkte sie. Schon wieder saß sie hier, weinend; obwohl sie ihre Fähigkeiten zurück hatte, hatte sich nichts geändert. Sie tat den Leuten weh, egal, was sie machte. Sollte es ihr nicht egal sein, weil man ihr selbst wehgetan hatte? Nein. Vielleicht galt das für andere. Aber Kakashi, der keine Schuld an ihrem Zustand hatte, der ihr Leben ja erst gerettet hatte, sollte sich für nichts entschuldigen müssen. „Dummkopf“, brachte sie hervor, die Fäuste so fest geballt, dass sie zitterte. Tränen tropften darauf. Sie spürte, wie er sie fragend ansah. „Du glaubst ja gar nicht, was ich mir für Vorwürfe gemacht habe, dich einfach allein gelassen zu haben. Als du dann verschwunden warst, da habe ich … da habe ich geglaubt …“

Sie spürte, wie er aufstand und ihr die Hand auf die Schulter legte. „Es tut mir leid. Ich könnte jetzt sagen, ich habe mich auf der Straße des Lebens verlaufen, aber wir hatten wohl einfach Pech, einander nicht zu finden.“

„Du entschuldigst dich schon wieder“, schniefte Sakura. „Kakashi … Es ist wie ein Traum, dass du wieder bei mir bist … Und trotzdem, ich …“ Sasukes Gesicht tauchte vor ihren Augen auf, dann plötzlich Itachis. Warum jetzt? Warum kamen die Erinnerungen an ihn wieder hoch? Wollte ihr ihr feindseliges Bewusstsein weismachen, das mit Sasuke wäre nur Trost für sie gewesen? Sie wusste nicht einmal, ob sie sich noch selbst trauen konnte … „Kakashi“, flüsterte sie und sah mit geröteten Augen zu ihm hoch. „Was … Was bedeute ich dir?“

Ehe sie es sich versah, hatte er sie fest in die Arme geschlossen. Sakura erstarrte buchstäblich, sogar aufs Atmen vergaß sie. „Du bedeutest mir alles, Sakura“, sagte er leise. „Ein Ninja, der seine Kameraden nicht beschützen kann, ist Abschaum unter Abschaum. Und ich konnte sie nicht beschützen. Nur dich. Du bist alles, was mir geblieben ist. Und ich war noch nie so froh wie in dem Moment, als ich dich gesund und munter wiedergesehen habe.“

Sakura berührten seine Worte. Sie erwiderte die Umarmung und fühlte, wie etwas auf ihre Schulter tropfte und sich feucht durch den Stoff ihrer Weste sog. Er weinte, schoss es ihr durch den Kopf. Kakashi, der Kopierninja mit dem Sharingan, weinte. Sie konnte es nicht glauben. Das war doch ein Traum, oder? Ihr ehemaliger Sensei umarmte sie unter Tränen. Sakura schluckte hart. Und wollte sie nicht ebenfalls weinen? Was bedeutete er ihr? Sie war froh, dass er sie im Gegenzug nicht fragte. Sie wusste nicht, was sie hätte antworten können.
 

Der nächste Tag verlief ganz ähnlich, nur dass Kakashi sie während ihrer Mittagspause besuchen kam. Er brachte ihr persönlich das Essen vorbei und unterhielt sich mit ihr, fragte sie über die Abenteuer aus, die sie und Sasuke auf ihrer gemeinsamen Reise erlebt hatten, und erzählte von seinen eigenen. Sie berichtete ganz sachlich und nüchtern, wie Sasuke ihr geholfen hatte, aus der Gefangenschaft zu fliehen – von Itachi und ihrer Vergewaltigung erzählte sie auch ihm nichts – und sie anschließend miteinander gen Norden gezogen waren, ohne ihre Gefühle zu erwähnen, doch sie mussten wohl in ihrem Tonfall mitgesickert sein, denn Kakashis Miene wurde nachdenklich. Als alle anderen Heiler ihre Arbeit wieder aufnahmen, hielt er sie noch zurück. „Sakura … weißt du, was Sasukes wahre Absichten sind?“

„Was meinst du?“

„Vergiss nicht, wer und was er ist. Er ist jemand, der jede Schwäche ausnutzt und jede Möglichkeit wahrnimmt.“

Sie sah ihm verwirrt nach, als er wieder zum Rathaus ging.

Abends kam er vorbei, um mit ihr zu essen. Den ganzen Nachmittag hatten seine Worte in Sakura gearbeitet, aber sie verstand nicht ganz, was er damit bezweckte.

„Kakashi, kann es sein, dass du Sasuke immer noch misstraust?“

Er schwieg lange, sah auf die Brotstückchen, die in der milchigen Suppe schwammen. Sein Mundtuch hatte er herabgezogen; Sakura hatte ihn außerdem sowieso schon ohne gesehen. „Wir haben lange versucht, ihn nach Konoha zurückzubringen“, sagte er schließlich. „Es ist uns nie gelungen. Warum hilft er dir so plötzlich?“

„Er hat sich eben geändert“, sagte sie schnippisch und stopfte sich eine Brotkrume in den Mund. Das Brot war hart, aber mit Suppe vollgesogen ganz in Ordnung. „Worauf willst du hinaus?“

„Sein Ziel ist doch noch das gleiche, oder?“

Sakura seufzte. „Ich kann verstehen, dass du ihm nicht vertraust. Am Anfang hat er mich gebraucht. Und danach … Tja, sogar jemand wie Sasuke ist zur Liebe fähig, weißt du.“ Jetzt war es heraus. Sie hatte es so nicht sagen wollen, aber nun war es zu spät. Fast trotzig wartete sie auf eine Antwort.

Sein Blick war tatsächlich anders als vorhin, aber die Änderung war schwer zu erkennen und unmöglich zu beschreiben. „Bist du sicher?“, fragte er leise. „Oder braucht er dich immer noch?“

Die Fragerei ärgerte Sakura. Sie hatten sich endlich wiedergesehen und nun fühlte sie sich, als müsste sie sich für ihre und Sasukes Gefühle und Handlungen rechtfertigen. So hatte sie es sich nicht vorgestellt. „Ich weiß nicht, was du hast“, sagte sie. „Ja, er braucht mich, weil er mich liebt! Warum willst du ihn schlechtmachen? Bist du etwa …“ Fast wäre ihr auch das herausgerutscht. Eifersüchtig. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen, um das Wort am Entfliehen zu verhindern.

„Ich will ihn nicht schlechtmachen“, antwortete Kakashi ruhig. „Ich mache mir Sorgen um dich, das ist alles.“

„Ich kann auf mich selbst aufpassen.“ Sakura legte ihren Löffel zur Seite. Obwohl ihr Magen noch knurrte, hatte sie keinen Appetit mehr.

„Ich glaube eher, du bist blind vor Liebe.“ Er sah sie schräg an, es wirkte fast gelangweilt. „Wieder einmal.“

Wut kochte in ihr hoch. Auch wenn sie gehofft hatte, Kakashi wiederzusehen, nach Sasuke hatte sie sich gesehnt. Und die gemeinsame Zeit, die ersten zaghaften Küsse, der Kampf Seite an Seite und die Nacht unter dem Sternenhimmel – selbst blind hätte sie die Wahrheit dahinter gespürt! „Ist das das Vertrauen eines Senseis in seine Schüler? Glaubst du, ich wäre so dumm, mich einwickeln zu lassen? Glaubst du, er hätte es nötig, mich zu verführen?“

Kakashi war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Womöglich.“

Sie stand knurrend auf. Sie konnte nicht mehr sitzen bleiben! Rastlos wanderte sie in dem Zimmer umher. „Also wirklich! Wir haben uns gegenseitig ergänzt und uns gegenseitig gerettet! Wenn hier einer blind ist, dann du, Kakashi-sensei!“

„Richtig. Er hat dich gebraucht. Sasuke hat auch Orochimaru getötet, als er ihn nicht mehr gebraucht hat.“

Und das aus Kakashis Mund! Sakura wurde blass vor Wut. „Ich will dich nicht vor die Tür setzen“, sagte sie mühsam beherrscht, „aber vielleicht solltest du gehen, Sensei. Wenn du glaubst, Sasuke würde mir etwas antun, dann … dann bist du verrückt! Warum hast du ihn denn dann in die Stadt gelassen?“

„Nein, er wird dir nichts tun. Er braucht dich.“ Kakashi senkte den Blick. „Ich will ihm wirklich nichts unterstellen, aber ich bitte dich, vorsichtig mit ihm zu sein. Es könnte sein, dass er dich nur ausnutzt.“

„Auf keinen Fall!“, begehrte sie auf. „Wie würde er …“

„Du hast schon mit ihm geschlafen“, sagte er.

Sakura klappte entgeistert der Mund auf und ihre Wangen färbten sich rot. Woher wusste er es? Sie wollte nicht, dass er es wusste. Nicht er. Nicht jetzt. „Was … was hat das damit zu tun?“, stotterte sie.

„Also stimmt es.“

„Kakashi-sensei!“

Er stand auf und baute sich direkt vor ihr auf, sah ihr in die Augen. Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Sie, Sasuke und Naruto an seinem Pfahl, und Kakashi, der sich zu ihnen herabbeugte und sie eindringlich ansah, ehe er verkündete, dass sie seinen Test bestanden hatten. Ein Ratschlag, ein wichtiger Tipp, eine Lebensweisheit, das war es, was folgen würde. Nur diesmal packte er sie an den Schultern, als könnte sie weglaufen wollen. „Hör mir zu, Sakura“, begann er ernst und ruhig, ganz der Ninja von früher. „Einem Verräter traut man nicht so leicht. Ich weiß, dass du immer in ihn verliebt warst, aber du darfst dich dadurch nicht täuschen lassen. Liebe kann einen Ninja töten, das weißt du.“

„Nein, das weiß ich nicht“, murmelte Sakura. Der Boden unter ihr schwankte. „Sag es mir. Inwiefern könnte er mich ausnutzen?“ Dabei wusste sie genau, was er sagen würde.

Sie behielt Recht. „Ich habe euch bei unserem ersten Zusammentreffen gefragt, was für Ziele ihr im Leben habt. Weißt du noch, was Sasuke gesagt hat?“

„Dass er jemanden töten will“, sagte Sakura tonlos, ausweichend, wissend, worauf er hinauswollte. „Itachi.“

„Das war das eine Ziel. Sein zweites betraf seinen Clan. Er sagte, er will seine Familie wieder aufbauen. Das bedeutet, er will seine Blutlinie fortführen, das Sharingan weitergeben. Dafür braucht er eine Frau, die seine Kinder austrägt.“ Seine Stimme war die von Kakashi in der Schlacht, analysierend, präzise.

Sakura wich seinem Blick aus. „Es ist gut, wenn er mich braucht“, murmelte sie. „Wenn ich ihm damit einen Gefallen tue, werde ich eben die Mutter seiner Kinder.“

„Du vergisst eine wichtige Sache“, mahnte sie Kakashi, sah auf sie herab wie auf ein störrisches Kind. Das störte sie an dieser Unterhaltung am meisten: Er war der Kluge, Vorausschauende, sie diejenige, die bekehrt werden musste. „Das meine ich mit blind vor Liebe. Auch wenn du dein Leben für Sasuke und seine Kinder geben würdest, er wird deine Gefühle nicht erwidern. Er wird natürlich bis zu einem gewissen Grad mitspielen müssen, so weit, dass du ihm hörig bist, damit du auch wirklich ein Kind von ihm akzeptierst. Er wird dich benutzen und nicht dich brauchen, sondern deinen Schoß. Wenn er keine Verwendung mehr dafür hat, könnte er dich verstoßen. Dann wirst du eine gebrochene Frau sein.“

Gebrochener als jetzt?, formten ihre Lippen. Kakashis Augenbrauen zuckten. Er konnte von den Lippen ablesen, fiel ihr ein. Nicht, dass es ihr jetzt etwas ausmachte. Allein, dass sie dieses Gespräch führten, allein, dass er diese Worte sagte, zerstörte etwas zwischen ihnen, und Sakura wusste nicht, ob es ein Gebilde des Vertrauens oder der Distanziertheit war. Mit ihr über Mutterschaft und Kinder zu sprechen, das erschien ihr falsch. Sensei und Schülerin … das waren sie wirklich schon lange nicht mehr. „Aber er erwidert meine Gefühle bereits!“, schleuderte sie Kakashi entgegen, die Fäuste in einer entschlossenen Geste geballt. „Er liebt mich!“

„Und wieder vergisst du einen wichtigen Aspekt“, sagte Kakashi, immer noch ruhig, aber etwas nachdenklicher als vorhin. „Sasuke ist ein Ninja, und ein besonders guter dazu. Ninjas ist es in die Wiege gelegt, zu täuschen und zu verschleiern. Wenn man blind vor Liebe ist, fällt man allzu leicht auf schöne Worte herein, Sakura.“

Sie wollte impulsiv etwas erwidern, aber letztendlich verließ kein Wort ihre Lippen. Sasuke … Er hatte sie mit einem Genjutsu vor sich selbst beschützt, damit sie auf ihren eigenen Wunsch hin mit ihm eins werden konnte – aber war es ihr eigener Wunsch gewesen? Oder seiner, perfekt unter einer Maske der Liebe versteckt? Immerhin war es sein Vorschlag gewesen. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte. Sasuke war ein verschlossener Mann geworden, hatte selbst zugegeben, dass er nicht sicher war, ob er Liebe empfinden konnte. War die Bereitschaft, die Mauer um sein Herz zu zerstören, auch nur gespielt gewesen? Er hatte sich um sie gekümmert, als sie krank war – aber war das nicht gewesen, weil er noch nicht wusste, wie man die Kristalle kochte? Er hatte sie in den Kämpfen beschützt – aber er war auch jemand, der seine ehemaligen Freunde ohne Gnade bekämpfen konnte. Und hatte sie nicht selbst zu Beginn Pläne geschmiedet, wie sie ihm am besten von Nutzen sein konnte, damit er sie mitnahm?

Plötzlich wurde ihr heiß. Der Raum drehte sich langsam um sie und ihr Kopf kam ihr seltsam schwer vor. Warum tust du mir das an, Kakashi?, flüsterte ihr Mund tonlos, aber sie wusste nicht, ob er es diesmal gelesen hatte, da er schon auf dem Weg zur Tür war.

„Es tut mir leid, dass ich dich verunsichern musste“, sagte Kakashi und klang ehrlich bedauernd. „Ich wünschte mir wirklich, dass ihr glücklich werden könnt. Und vielleicht klappt es wirklich. Aber ich musste dir diese Dinge vor Augen führen. Vielleicht hast du recht und seine Absichten sind ehrenhaft. Doch falls nicht, wirst du es immer bereuen. Das versuche ich zu verhindern.“ Auch wenn es dir wehtut, hörte Sakura seine Stimme in ihren Gedanken klingen, als hätte er es laut gesagt.

Dann schloss Kakashi die Tür hinter sich und ließ sie allein in der stickig gewordenen Luft und den Klauen ihrer eigenen Gedanken, die ihr schon vor langer Zeit geschworen hatten, niemandem mehr zu vertrauen.

Kühle Zweifel, kalte Angst

Sasuke kam am Abend des folgenden Tages nach Hause. Sakura hatte erfahren, dass die Jäger meist so lang ausblieben, um einen größeren Bereich mit ihren Erkundungen abzudecken. Sie bemühte sich um einen herzlichen Empfang, aber ihr Lächeln verunglückte ein wenig. Falls er es merkte, ging er nicht darauf ein.

Sie war überrascht, als er von der Jagd zu erzählen begann. Sie hatten das umliegende Land in Sektoren von der Form von Tortenstücken eingeteilt und einen der Keile systematisch erkundet, hatten Jagd auf Eichhörnchen gemacht und drei, vier verlassene Höfe durchsucht, doch sie waren bereits geplündert gewesen. Heute hatten sie sich allerdings Zutritt zu einer Festung verschafft, die in den Bergen lag und von einer Art Fürst bewohnt worden war. Nun hatten sie nur ein abgebrochenes Lager von Reisenden darin gefunden. Die Waffenkammer und andere Fundquellen waren leergeräumt gewesen, aber Kureiji hatte einen versteckten Raum im Keller der Burg entdeckt, aus der sie noch ein paar frisch geschmiedete Schwerter hatten mitgehen lassen. Sie waren sieben Jäger gewesen, mit einem bestimmten Vorrat an Chakra, der, sobald er verbraucht war, das Zeichen für die Rückkehr darstellte, und Sasuke hatte natürlich die Fähigkeiten eines jeden genau analysiert. Kureiji schien der fähigste der Ninjas zu sein. Er war sowohl bei den Jägern als auch im Gremium, wenn er im Dorf war; seine graue Kleidung zeugte davon. Sein Kekkei Genkai erlaubte es ihm, Metall durch Wände hindurch aufzuspüren und anscheinend auch wie ein Magnet anzuziehen oder abzustoßen. Sasuke gab sich aber zuversichtlich, ihn im Ernstfall besiegen zu können.

Sakura hörte ihm aufmerksam zu. Dass Sasuke so gesprächig war, gefiel ihr nach ihrem Gespräch mit Kakashi gar nicht. Sie hätte sich freuen sollen, dass er sich ihr gegenüber öffnete, seinen Alltag erzählte, und sie wollte sich auch freuen, aber sie konnte die Zweifel in sich nicht unterdrücken. Was, wenn seine Wandlung nicht natürlich, sondern gespielt war? Um das Gefühl von etwas zu erwecken, das wie eine Ehe aussah? Der Ehemann, der von seiner Reise heimkam und seiner Frau, die gewartet hatte, erzählte, was er erlebt hatte … Sakura wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Auch, als er auf ihre unsichere Stimmungslage nicht reagierte, wusste sie nicht, was sie davon halten sollte. Erkannte er es einfach nicht? Oder war es ihm egal? Oder war das sogar von ihm geplant? Im Stillen verfluchte sie Kakashi und seine Theorien, aber sie wusste, er machte sich nur Sorgen um sie.

Die Tage verliefen ereignislos. Ihre Arbeit im Hospital nahm fast den ganzen Tag in Anspruch, und Sasuke wurde, kaum von der Jagd zurück, für Patrouillengänge eingeteilt. Die nächste Jagd stand auch schon an und sollte in zwei Tagen stattfinden. Nachts lag Sakura immer noch in seinen Armen, aber seine Nähe kam ihr kälter vor als bisher. Was war mit ihr los? Warum hatte sie nur solche Zweifel? Es waren die drei Jahre, die zwischen ihnen lagen, erkannte sie. Nicht vom Altern, sondern von der Einstellung, der Motivation, der Lebensweise, ihren verschiedenen Erfahrungen her. Drei Jahre lang hatte er sich von ihr entfremdet. Die wenige Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, reichte nicht, um das auszugleichen, nicht im Ansatz. Nun, da sie wieder etwas wie einen Alltag erreicht hatten, war auch die romantische Zweisamkeit vorbei. Sie liebte ihn, sie war verrückt nach ihm, nur … etwas war anders, etwas in ihr war gewichen … oder war da etwas Neues in ihrem Inneren, das sie daran hinderte, einfach glücklich zu sein?

Am Abend vor seiner zweiten Jagd, als sie ins Bett krochen und sich der Kälte der Nacht unter der dünnen Decke aneinander gekuschelt erwehrten, versuchte er sie seit langem wieder zu küssen. Sakura erwiderte den Kuss, aber es war eher so, dass sie es wie eine Puppe mit sich geschehen ließ. „Was ist los?“, fragte Sasuke schließlich, als sich ihre Lippen voneinander lösten.

„Nichts“, murmelte Sakura, drehte sich herum und versuchte zu schlafen. Sie musste ihre Gedanken in Ordnung bringen, ehe sie mit ihm darüber reden konnte, und das ging nicht, solange er hier war und ihr den Kopf verdrehte.

Sie fühlte, wie sich seine Arme um sie legten. „Sakura, was hast du? Hat dir jemand wehgetan, als ich fort war?“ Sein Atem, warm in ihrem Nacken.

Aus irgendeinem Grund verärgerte sie diese Frage. Als könnte sie nicht auf sich aufpassen. Als bestünde die Welt nur aus Leuten wie Itachi … „Sasuke“, murmelte sie in die Dunkelheit, in ihr Kissen. „Liebst du mich?“

„Hatten wir das nicht schon?“

„Sag es mir.“

„Wie gesagt, ich weiß nicht, ob ich jemanden lieben kann. Aber wenn das, was ich fühle, tatsächlich Liebe ist, dann liebe ich dich.“

Sie war mit dieser Antwort nicht zufrieden. Sie wäre mit keiner zufrieden gewesen, wahrscheinlich. Ihre Gedanken gruben sich tiefer. Sollte sie ihn schockieren? Ihn anlügen, sagen, sie könnte nie Kinder bekommen, warum auch immer? Es würde Kakashis Theorie auf die Probe stellen. Aber sie würde ihn schon wieder belügen, und er hatte sich zu gut unter Kontrolle, als dass sie seine Reaktion hätte deuten können. Und wenn Kakashi recht hatte und er sie verstieß? Ein kalter Strudel wütete in ihrem Körper. Oder was, wenn das Gegenteil der Fall war? Was, wenn sie bereits … Nein, sie wollte nicht darüber nachdenken.

Sasukes Hand streichelte über ihren Kopf. „Alles ist gut“, murmelte er. „Ich werde dich nicht verlassen.“

„Wie kommst du darauf, dass ich das glaube?“

Er zog die Hand zurück, klang verwirrt. „Ich dachte, das wäre das Problem. Dass ich Itachi immer noch irgendwann töten will.“

Sie schüttelte den Kopf, das Gesicht im Kissen vergraben. „Mach dir keine Gedanken. Ich bin nur ein wenig durcheinander, weil sich so viel geändert hat.“

Er beugte sich über sie, gab ihr schweigend einen Kuss auf die Wange und drehte sich dann ebenfalls weg. Es war die erste Nacht seit langem, in der sich nur ihre Rücken berührten.
 

Die Ahnung blieb bestehen, dieses kühle, rumorende, wie ein Schneesturm in ihrem Körper kreiselnde Gefühl, und sie beschäftigte sie plötzlich immer mehr. Konnte es sein … Nein, die Krankheit nach ihrer Flucht aus der Mine war wirklich eine Krankheit gewesen, wenigstens dessen war sie sich sicher, und es gab absolut keine Anzeichen darauf, aber trotzdem … Oder gab es diese Anzeichen doch? Sakura ertappte sich dabei, wie sich ihre Gedanken sogar um sich, Sasuke und Itachi drehten, wenn sie ihre Patienten behandelte und konzentriert bleiben musste. Sie zwang sich zur Aufmerksamkeit. Außertourliche Arbeitspausen wurden in Neuanfang nicht geduldet.

Diesmal blieb Sasuke länger aus und ihr Unbehagen wuchs. Sie wollte ihn zwar nicht in ihrer Nähe haben, fürs erste, nicht solange sie keine Klarheit hatte, aber jeden Tag allein in dieser kalten, unvollständigen Hütte zu verbringen, schlug auf ihr Gemüt, und wie um das zu verstärken, war der Himmel auch ständig bewölkt, ohne dass es indessen regnete. Am dritten Abend von Sasukes Abwesenheit, als sie nach der Arbeit mit dem Kopf voller finsterer Gedanken, Vorahnungen und Ängste zu ihrem Haus zurückging und die Hand nach der rostigen Türklinke ausstreckte, packte sie ein so heftiges Schwindelgefühl, dass sie erschrocken aufkeuchte und sich an der Wand abstützen musste, um nicht zu stürzen. Nein … verdammt, verdammt … Zitternd öffnete sie die Tür und stolperte in die düstere, leere Wohnung, bedachte das Essen auf dem Tisch mit einem Blick, aus dem kein Funken Appetit sprach – ganz im Gegenteil meinte sie zu spüren, wie ein Gefühl der Übelkeit langsam ihre Speiseröhre emporköchelte –, und legte sich auf ihr Bett. Immer noch zitterte sie. War es Zufall? Sie glaubte nicht mehr an Zufälle. Sie musste mit jemandem reden, sofort. Aber sie kannte immer noch niemanden wirklich außer den ältlichen Heilern, und die hätten kaum Verständnis. Und Kakashi? Nein, das war ausgeschlossen. Er hatte sie ja davor gewarnt … aber wenn sie ihm die ganze Geschichte erzählte? Sakura kniff die Augen zusammen, presste Tränen heraus. Es half nichts. Es war längst überfällig.
 

Eine der beiden Kunoichi, deren Namen zu merken Sasuke sich nicht die Mühe gemacht hatte, zwängte sich aus der Dachluke des Hauses und warf einen Sack auf das Schindeldach, in dem es verdächtig schepperte und klimperte. „Nicht zu fassen, was die Leute so alles verstecken.“

Etwas Wertvolles blitzte aus der Öffnung des Sacks, als sie zu ihnen nach oben kletterte. Messing oder Gold, vielleicht sogar mit ein paar Edelsteinen, definitiv wertvoll. Und irgendwie passte es zu diesem Stadtviertel: Während alle anderen Gebäude eingestürzt waren und als graue, knochige Ruinen dem Himmel entgegengriffen, waren die noblen Häuser des Reichenviertels fast unversehrt geblieben. Sie waren äußerst stabil gebaut und obwohl Mörtel und Verputz abbröckelten und jede freie Holzplanke vom Sturm entweder morsch oder verkohlt geworden war, hatten sie standgehalten und waren eine wahre Schatzgrube. Die Stadt selbst lag in den Bergen, die Sasuke und Sakura erst vor wenigen Tagen durchwandert waren; hätten sie sich ein wenig weiter östlich gehalten, wären sie auf sie gestoßen.

„Gut“, sagte Kureiji zufrieden und warf sich ein Stück Kautabak in den Mund. Er musste immer auf etwas herumkauen, war Sasuke aufgefallen. Seine rote Struwwelmähne glühte förmlich im Abendlicht. „Einmal sind ja schon Händler vorbeigekommen. Wenn Neuanfang bekannter wird, gibt’s auch mehr Handel, und irgendwer nimmt uns den Plunder schon ab.“ Er wollte noch etwas sagen, aber irgendetwas ließ ihn aufhorchen. „Da ist noch mehr Metall“, sagte er.

„Haben wir was übersehen?“, fragte ein anderer Jäger.

„Es bewegt sich.“

Während die anderen noch zauderten, hatte Sasuke bereits etwas gehört; das Ächzen eines in Mitleidenschaft gezogenen Gebälks, auf das jemand getreten war. Er fuhr herum, riss das Schwert aus der Scheide und schoss einen blitzenden Strahl blau glühender Elektrizität auf das dritte Haus in der Straße ab. Als der Blitz einschlug, riss er das Gebäude regelrecht auseinander. Die abgerundeten Steine, aus denen die Mauern bestanden, wurden in alle Richtungen davonkatapultiert, das Dach brach mittendurch und als das Chidori Nagashi erlosch, quoll dichter Staubnebel aus den zerschmetterten Fenstern des Hauses – der zerrissen wurde, als drei Gestalten an verschiedenen Orten ins Freie sprangen und auf weiteren Schindeldächern landeten; eine davon stieß wie ein Raubvogel auf sie herab. Es war eine Kunoichi mit strähnigem, braunem Haar mit einer gezackten Linie auf dem Stirnband – dem Symbol des Grasdorfes. In den Händen wirbelte sie einen Stab mit Klingen an beiden Enden.

Die Jägerin, die das Gold aus dem Haus geholt hatte, zog ihr Katana und fing die ganze Wucht des Angriffs ab. Funken sprühend donnerten die Waffen gegeneinander, und die Gras-Kunoichi wurde zurückgedrängt. Mit einem weit ausholenden Schlag verschaffte sie sich Luft und formte Siegel. „Douton! Shougekiha no Jutsu!“ Heftig stampfte sie mit dem Fuß auf. Das Dach unter ihr vibrierte, die Schindeln schlugen Wellen – und dann breiteten sich Risse aus, die das Gebäude zerteilten. Der Boden unter Sasukes Füßen wackelte und glitt zur Seite, langsam wie eine Schildkröte, aber beständig, und trockener Mörtel und Staub rieselten in das Nichts darunter. Die Jäger brachten sich mit großen Sprüngen in Sicherheit.

Kaum dass sie verstreut auf den umliegenden Dächern gelandet waren, rannte ein weiterer Grasninja heran. Er hatte ebenso langes, braunes Haar wie die Frau und mochte ihr Bruder sein. In jeder Hand einen Fuuma-Shuriken, schleuderte er die riesigen Wurfsterne knapp hintereinander.

Und wählte den denkbar schlechtesten Gegner.

Kureiji musste nur ein einziges Siegel formen, und die metallenen Sterne glitten vor ihm zur Seite, als sein Magnetfeld sie abstieß. Während einer weit davonsauste, schlug der zweite in einer Hauswand ein. Kureiji änderte sein Siegel und der Shuriken flog ihm sanft in die Hand, und während der Grasninja verblüfft stehen geblieben war, sah er sich plötzlich seinem eigenen Fuuma-Shuriken gegenüber, der auf ihn zuschoss.

„Eichi!“ Der jüngere der drei Ninjas sprang wagemutig vor seinen Kameraden, in jeder Hand einen gebogenen Kunai, die in zackig aussehendem, grünem Chakra glühten. Gekonnt zerhackte er den Shuriken dicht vor seinem Körper, fing das harmlose Mittelstück mit seiner Brust ab, während die wirbelnden Spitzen wirkungslos an den beiden vorbeirauschten. „Was tust du denn?“, schnauzte der Junge seinen älteren Teamkameraden an.

„Eichi! Kaze! Steht nicht einfach herum!“, brüllte die Kunoichi.

Als die beiden sich umwandten, sahen sie Sasuke von hinten auf sie zurennen, das Schwert bereits zum Schlag erhoben. Die Kunoichi schnellte zwischen ihn und ihre Kameraden und blockte Sasukes Klinge im letzten Moment ab, drückte ihn von sich fort, wirbelte an ihm vorbei und stieß ihm gekonnt von hinten die Klinge in den Magen. „Ha!“, rief sie. „Das hast du davon!“

Ihr triumphierendes Lächeln gefror, als Sasukes Körper blass wurde und in weiße, eklige Schlangen zerfiel. „Hier bin ich“, hörten sie eine hochmütige Stimme und sahen auf.

Sasuke stand unversehrt auf der Spitze des höchsten Gebäudes in der Nähe. Sein Plan war aufgegangen; alle drei Feinde waren nun auf einem Fleck versammelt. Indem er auf sie zusprang, formte er Siegel. „Katon! Gokyaku no Jutsu!“ Eine Feuerwolke verließ seinen Mund und hüllte die drei schreienden Ninjas ein. Als sie verpufft war, ragte ein Felsschild vor ihnen auf, das stellenweise glühte. Knirschend bohrte er sich wieder durch das Dach zurück, das beschädigt ächzte. Die Kunoichi war bleich geworden und ihr Gesicht schweißüberströmt. Den Felsen so hoch zu befördern hatte viel von ihrer Kraft gekostet.

„Eichi“, keuchte sie. „Es wird Zeit.“

„Sofort.“ Ihr Bruder rollte zwei Schriftrollen aus, auf die Kaze und die Frau sich stellten, und formte Fingerzeichen. „Hijouguchi no Jutsu!

Sasuke stürmte in Windeseile auf sie zu, doch er kam zu spät. Als die Fingerzeichen beendet waren, schlug Eichi die Hände zusammen und seine Kameraden lösten sich in weißen Rauch auf, fortgeschickt, gerettet.

Sasukes Schwert zeichnete eine blitzende Linie durch die Luft, als es auf Eichis Kopf niederschnellte – und von einer unsichtbaren Kraft zurück in die Höhe gerissen wurde. Sasuke sah sich ärgerlich um. Neben ihm stand Kureiji, die Hand ausgestreckt. Er hatte die Klinge mit seinem Magnet-Jutsu aufgehalten. „Hoho, langsam“, sagte er. Sasuke fiel auf, dass er ausnahmsweise nichts im Mund hatte. „Du bist echt stark, muss man dir lassen. Aber jetzt ist es genug; Informationen sind in dieser Welt schwer zu bekommen, und hier haben wir einen lebenden Infospucker.“

Eichi faltete die Hände im Schoß und verbeugte sich sitzend. „Ich bin euer Gefangener.“
 

Es hatte nun doch zu regnen begonnen. Kakashi sah auf, als ein Blitz den Himmel teilte. Donner grollte nur kurz danach. Das Fenster seines Hauses hatte keine Scheibe, also spürte er kleine Spritzer auf der Haut und rückte mit dem Stuhl etwas zurück, um sich dann wieder in sein Buch zu vertiefen. Es war eine Ausgabe seines Lieblingsbuches Icha Icha Paradise, das vor einiger Zeit Händler in Neuanfang zum Verkauf angeboten hatten. Laut ihrer eigenen Berichte hatten sie es aus einer geplünderten Wohnung im Land der Reisfelder; die Plünderer hatten es zurückgelassen. Es war angekokelt und etliche Seiten fehlten und außerdem hatte Kakashi das Buch schon vor Jahren ausgelesen, dennoch hatte er es gekauft. Die Debatte mit dem Gremium von Neuanfang, die über etwas so Banales wie ein Buch einhergegangen war, war enorm gewesen; persönlicher Besitz und noch dazu Luxus, den man nicht zum Leben brauchte, war eigentlich ein Tabu. Erst als Kakashi zum Ausgleich den Schrank in seinem Haus dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellte und ihn auf den Sammelplatz brachte, ließen sie ihn das Buch gehalten – wobei auch sicherlich sein Einfluss, Berühmtheitsgrad und Sitz im Gremium eine Rolle spielten. Nun verbrachte er die freien Abende damit, in alten Zeiten zu schwelgen und in Seiten zu schmökern, die ihm nichts Neues mehr erzählen konnten. Aber es beruhigte ungemein.

Abermals horchte er auf, als jemand gegen die Tür pochte. „Herein“, sagte er, gerade laut genug um den Regen zu übertönen. Zögerlich wurde die Schnalle nach unten gedrückt und die Tür aufgezogen.

Im strömenden Regen stand Sakura. Ihr Haar hing ihr schwer und nass ins Gesicht, verdeckte ihre Augen. Von ihrer Nasenspitze fielen Wassertropfen. Auch über ihre Wangen zogen sich nasse Spuren, sodass es aussah, als hätte sie geweint. Sie machte keine Anstalten, einzutreten.

„Sakura? Was ist los?“ Kakashi ließ das Buch endgültig sinken.

Wortlos tappte sie ins Haus, schloss die Tür hinter sich. Ihre Sandalen waren schlammverschmiert und hinterließen schmutzige, braune Spuren. „Kakashi“, murmelte sie leise. „Ich …“ Ihre Worte wurden vom Donner übertönt, und das Halbdunkel im Zimmer ließ ihn ihre Lippen nicht sehen. Sie schien zu wissen, dass sie das, was sie sagen wollte, nicht laut aussprechen konnte, und trat in den Schein der Öllampe. Auch die Flamme dieser Lichtquelle war durch den Chakrasturm unwiderruflich verändert worden und flimmerte viel bleicher, als sie sollte, fast war sie weiß. „Kakashi-san“, wiederholte sie tonlos. „Kann ich mit dir reden?“ Ihre Lippen waren das einzige, was sich in ihrem Gesicht bewegte.

„Natürlich.“ Er legte das Buch auf den Beistelltisch. „Setz dich doch.“

Er wies auf den zweiten Hocker, doch Sakura blieb reglos stehen. Sie hob den Kopf und er konnte in ihre schimmernden, grünen Augen sehen, die das ungewöhnliche Licht glühen ließ wie geschliffene Smaragde. „Kakashi, ich glaube … ich glaube, ich bin schwanger.“

Unheilsbote

Sakura sah, wie Kakashis Augenbraue kurz zuckte. Er atmete tief aus und ließ sich nach hinten sinken, lehnte sich schwer gegen die Wand. Er sagte nichts.

Sie wich seinem Blick aus. „Ich wollte deinen Rat beherzigen, wirklich, das wollte ich, aber … es ist … es ist bereits zu spät.“

„Oioioi …“, machte er. „Na komm, setz dich.“

Zögerlich nahm Sakura auf dem Hocker Platz, überschlug unbehaglich die Beine. Immer deutlicher spürte sie, dass es ein Fehler gewesen war, herzukommen. Sie bedrängte Kakashi mit Problemen, die er versucht hatte ihr zu ersparen. Aber nun war sie hier. Und sie wusste, sie würde nicht einfach wieder gehen. Und er würde sie auch nicht einfach so gehen lassen.

„Bist du dir ganz sicher?“, fragte er.

„Nein“, gab sie zu. „Aber ich … Heute war mir so merkwürdig schwindlig und schlecht auch … Und … meine Tage sind schon lange überfällig.“ Auch wenn es ihr unangenehm war, sie würde alle Karten auf den Tisch legen. Es wäre einfacher gewesen, wenn sie mit einem der Heiler gesprochen hätte. Aber sie hätte bestenfalls ein kühles, fachmännisches Nicken geerntet. Es war nicht gerecht, Kakashi, nachdem sie ihn im Stich gelassen hatte, mit ihren Sorgen zu belasten, und doch tat sie es. Wollte, dass er ihr Mut machte. Wollte, dass er sie tröstend in den Arm nahm. Wollte irgendjemanden, der ihr Wärme entgegenbrachte in dieser kalten Welt, jemanden, von dem sie kristallklar wusste, dass er es voll und ganz uneigennützig tat. Jemanden, dem sie vertraute. Sie schluckte. „Das letzte Mal hatte ich sie, als wir zu unserer letzten Mission aufgebrochen sind. Das ist jetzt schon fast eineinhalb Monate her“, fuhr sie mit gesenktem Blick fort.

Sein freies Auge wirkte nachdenklich. „Verstehe.“

„Kakashi, ich habe Angst“, murmelte sie. „Wenn ich ein Kind bekomme … werde ich verstoßen?“ Es war nicht das, was sie hatte fragen wollen. Nicht die Art von Sorge, die ihr durch den Kopf spukte, aber es war ihr soeben eingefallen.

Er sah sie überrascht an. „Ich glaube eher, dass die Leute ein Fest feiern würden. Das erste Kind in Neuanfang. Was gibt es Besseres für einen Neuanfang in einer zerstören Welt als ein Neugeborenes?“ Sakura senkte wieder den Blick. „Sakura, sieh mich an“, verlangte Kakashi. „Es tut mir leid, wenn ich dich mit meinen Ratschlägen so sehr verunsichert habe. Du sagtest, du wärst glücklich, wenn du Sasuke ein Kind schenken könntest. In gewissem Sinn hat dir das Schicksal die Entscheidung abgenommen, ob du bei ihm bleibst.“

„Das ist es nicht!“, rief Sakura. Sie zitterte in ihren vom Regen klammen Klamotten, schlang sich die Arme um den Körper. „Das ist es nicht …“

Als sie nicht weitersprach, verengte sich Kakashis Auge zu einem Schlitz. „Was genau versuchst du mir zu sagen?“, fragte er eine Spur schärfer, misstrauischer.

Sie wich seinem Blick aus. „Ich fürchte … Das heißt, ich bin mir fast sicher … dass es nicht Sasukes Kind ist, sondern das von Itachi.“

Jetzt war es heraus. Kakashi starrte sie eine geschlagene Minute an, in der sie sich immer unwohler fühlte. Das Schwindelgefühl war wieder da und dazu eine Übelkeit, als würde sich etwas Großes, Ekliges in ihrem Magen herumwälzen. „Du hast mit Itachi …“, sagte er leise, fast zischend, und sie wusste, dass er von ihr enttäuscht war.

„Nein!“, sagte sie schnell. „Das heißt, ja … Ich …“ Seufzend ließ sie die Arme sinken, brach in Tränen aus. Sie konnte nicht. Konnte es ihm nicht erzählen. Sie wusste, er würde ihr für nichts die Schuld geben, aber trotzdem … Allein daran zu denken ließ sie sich schmutzig fühlen.

Kakashi rutschte mit seinem Hocker zu ihr und drückte ihre Hand. „Was ist passiert?“, fragte er, die Stimme sanft wie Seide.

Unter Tränen erzählte sie ihm alles, stockend und durcheinander. Ihre Entführung, Jashins Prophezeiung, die Sache mit Itachi. „Das war einen halben Monat nach meiner letzten Periode“, sagte sie leise, als sie fertig und ihre Tränen getrocknet waren. Sie hatte sie nur vergossen, weil sie ihm davon erzählt hatte, nicht wegen der Erinnerung selbst, die sie nur noch als bitter empfand. „Das … mit Sasuke ist erst ein paar Tage her. Ich hatte so viel um die Ohren, dass ich noch nicht mal darüber nachgedacht habe, aber … Kakashi, was ist, wenn es Itachis Kind ist? Dann trage ich das Kind eines Verräters und Mörders und … und Ungeheuers in mir, und Sasuke …“ Ihre Sicht verschwamm bei dem Gedanken. Draußen rollte der Donner über das Land wie ein grollendes Lachen. „Sasuke würde das Kind töten, ganz sicher …“

Kakashi legte ihr seine warme Hand auf die Schulter. „Langsam, langsam“, sagte er. „Ich glaube nicht, dass Sasuke einen Säugling töten würde. Auch, wenn er nicht der Vater ist.“

„Ich wünsche mir, dass er es ist“, murmelte Sakura. „Es ist unwahrscheinlich, aber kann es nicht immer noch sein?“ Ohne es zu wollen, glitt sie hinüber auf seinen Schoß, legte ihre Wange auf Kakashis Brust, lauschte dem Herzschlag, als wäre er die Hoffnung, an die sie sich klammern konnte.

„Zunächst einmal wissen wir nicht einmal mit Sicherheit, ob du überhaupt schwanger bist“, sagte Kakashi sachlich und streichelte ihr durchs Haar. „Die Anzeichen, die du meinst zu erkennen, können viele Gründe haben. Ich habe gehört, die Tage einer Frau können ausbleiben, wenn sie großen Anstrengungen ausgesetzt ist und wenig zu essen hat. Ich vermute, der Weg hierher war kein Zuckerschlecken, und nicht einmal unsere Jäger finden genug, um alle wirklich satt zu bekommen.“ Sakura schluckte. Tatsächlich hatte sie etliches an Gewicht verloren, was kein Wunder war. Sie betete, dass er recht hatte. „Oder vielleicht liegt es auch an dem Chakrasturm“, fuhr Kakashi fort. „Wir wissen immer noch nicht, was er alles mit uns angestellt hat. Du hast sicher gesehen, wie viel in der Natur er verändert hat, obwohl es eigentlich unumstößliche Dinge sind; Farben, Geschmack, Formen. Genausogut könnte er etwas in deinem Körper durcheinandergebracht haben. Im schlimmsten Fall hat der Sturm alle Menschen, die er gestreift hat, unfruchtbar gemacht, und die Menschheit wird aussterben. Sogar das traue ich ihm zu.“

„Und … das Schwindelgefühl?“, fragte sie zaghaft.

Kakashi lächelte, durch sein Tuch zwar, aber sie sah es ihm bleichen Licht ganz deutlich. „Hattest du es, bevor oder nachdem dir der Gedanke mit der Schwangerschaft gekommen ist?“

Sie überlegte. „Danach, glaube ich.“

„Du bist Heilerin, du solltest es wissen. Beizeiten redet sich ein Patient eine Krankheit selbst ein oder macht, wenn es um seine Symptome geht, aus einer Mücke einen Elefanten. Ich sage ja nicht, dass eine Schwangerschaft eine Krankheit ist, aber könnte dir nicht dasselbe passiert sein?“

Sakura antwortete nicht, sondern vergrub nur ihr Gesicht in Kakashis grauem Hemd. „Hoffentlich“, flüsterte sie. „Hoffentlich hast du recht. Ich will Sasuke kein fremdes Kind unterschieben. Und ganz sicher nicht das von Itachi. Er hat mir und uns allen so viel angetan … da will ich ihm nicht zur Belohnung einen Nachfolger schenken!“ Ihre Schultern begannen zu beben, doch sie weinte nicht mehr. Tränen wollten keine mehr kommen.

Kakashi hielt sie fest in den Armen, schweigend und ruhig, während draußen der Regenschauer stärker prasselte.

„Willst du heute Nacht hier bleiben?“, fragte er sie, als sie ruhig und schläfrig wurde. Selbst das Gewitter war jetzt ferner und der Regen hatte nachgelassen.

Sie nickte. „Bitte“, sagte sie heiser. Sie könnte es nicht ertragen, allein in ihrer kalten, grauen Hütte zu schlafen. Vielleicht würde sie den Verstand verlieren, wenn das Schwindelgefühl sie wieder überraschte.

Kakashi hob sie hoch, legte sie auf sein Bett und musterte stirnrunzelnd ihre immer noch feuchten Kleider. „Du wirst dich erkälten“, sagte er. „Ich hole dir ein paar Ersatzkleider von mir.“

Er wartete draußen unter dem Dach, während Sakura in einen mottenzerfressenen Mantel und Hosen schlüpfte, die ihr beide zu groß waren. Dann deckte er sie zu, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und sagte: „Schlaf schön, kleine Blume.“ Er selbst legte sich auf den harten Boden neben dem Bett.
 

Der nächste Morgen begann für Sakura mit einem Schock, als jemand heftig an Kakashis Tür pochte. „Kakashi-san!“

„Was ist denn jetzt los?“, murmelte Kakashi neben dem Bett und streckte seine verspannten Glieder.

„Komm schnell! Die Jäger sind zurück!“ Dann entfernten sich Schritte in Regenpfützen.

Schon? Sakura durchzuckte es wie ein Blitz. Sasuke war wieder da! Wenn er zu ihrem Haus kam und sie nicht vorfand, stattdessen hier bei Kakashi … Sie stolperte so schnell aus dem Bett, dass ihr prompt schlecht wurde. Sie presste die Hand vor den Mund, aber es gelang ihr, die Übelkeit niederzuringen. Sie war schon fast bei der Tür draußen, als ihr einfiel, dass sie immer noch Kakashis Sachen anhatte. Sie warf einen Blick nach hinten, wo er sich schwerfällig – wirklich schwerfällig – aufrappelte, schnappte sich ihre eigenen, nunmehr trockenen Kleider und zog sich in dem winzigen Badezimmer um. Trotzdem war sie vor Kakashi fertig. Sie wusste nicht, wie er das machte, aber er hatte noch nicht einmal sein Hemd angezogen. Ihr Blick streifte kurz und sträflich seinen nackten Oberkörper. Er war wirklich viel durchtrainierter als Sasuke … aber es waren viel mehr Narben auf seiner Haut zu sehen. Umständlich fädelte Kakashi seine Arme in das Hemd und gähnte herzhaft. Auch sein Mundtuch lag noch irgendwo neben dem Bett. Sakura schüttelte den Kopf, ein müdes Lächeln auf dem Gesicht. Er würde zu spät kommen. Wenigstens eine Sache hatte sich nicht verändert.

Als sie das Haus verließ, schlug ihr frische Morgenluft entgegen. Die Sonne versteckte sich noch hinter dem Horizont, und die Stadt befand sich in einem Zustand seltener Ruhe. Auf dem Platz in der Mitte von Neuanfang hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet, die Mitglieder des Gremiums bis auf Kakashi, die Jäger und einige andere. Sie versuchte Sasuke ausfindig zu machen, aber er war nirgends zu sehen.

„Unser Haus liegt in der anderen Richtung“, sagte seine Stimme hinter ihr, als sie auf die Menge zutrat. Wie von der Tarantel gestochen fuhr sie herum. Er stand hinter ihr, einen fragenden Gesichtsausdruck aufgesetzt. Unbewusst glitt ihr Blick über ihre Kleidung. Sie hatte nichts an, was ihr nicht gehörte, oder?

„Wo warst du?“, formulierte er die versteckte Frage offen.

Sie beschloss es ihm zu sagen. „Bei Kakashi-sensei“, murmelte sie. „Aber es ist nicht, wie du vielleicht denkst. Ich war nur … wegen etwas verängstigt.“

Er hob eine Augenbraue. „Wie denke ich denn?“

Sakura biss sich auf die Lippen.

Er ging weiter, legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie merkte, dass er etwas abgerissen aussah, wie nach einem Kampf. „Keine Sorge“, sagte er, während er sie neben sich her bugsierte. „Ich weiß, dass du mich nicht betrügst. So etwas würdest du nicht tun.“

Sakura spürte einen harten Kloß in ihrem Hals. Wieder fühlte sie sich schuldig. Warum fühlte sie sich in Gesellschaft aller Menschen, die ihr etwas bedeuteten, kontinuierlich schlecht?

Sie erreichten die Menschentraube, drängten sich an den Stadtbewohnern vorbei. Wie eine graue Wand standen die Mitglieder des Gremiums um einen Ninja herum, der mit Stricken gefesselt auf dem nackten Felsenboden kniete. Er hatte braunes, verfilztes Haar, das ihm bis auf den Rücken fiel, und um den Hals trug er ein Ninjastirnband mit dem Zeichen des Grasdorfes. Sakura glaubte, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben, vielleicht damals auf ihrem Weg nach Norden?

Erwartungsvoll wie ungeduldig sahen die Leute Kakashi entgegen, der auch endlich gemächlich auf den Platz kam. „Entschuldigt“, sagte er, die Hand grüßend erhoben. „Der Weg hierher war heute sehr verwirrend.“

„Seine Ausreden werden nicht besser“, stellte Sasuke trocken fest. Sakura schüttelte den Kopf.

Als Kakashi endlich auch angekommen war, stieß Kureiji den Gefangenen grinsend mit der Stiefelspitze an. „Den Kerl hier haben wir erwischt, als er uns mit zwei Kameraden angreifen wollte. Die anderen sind entwischt, aber der hier hat uns sicher eine Menge zu verraten.“ Der Jäger stopfte sich Kautabak in den Mund. Nach allem, was Sakura von den Heilern gehört hatte, war er hochgradig süchtig danach und hatte nur deswegen das Recht, überhaupt so etwas zu besitzen, weil er sonst Entzugserscheinungen bekam. „Zum Beispiel, woher er kommt und woher er das Chakra hat. Na? Etwa aus dieser Kristallmine im Süden? Eichi – so war’s doch, oder?“

Der Mann nickte. „Dort unten bekommen Ninjas, was sie brauchen“, sagte er grimmig.

„Demnach sind mehrere von euch dort unten?“, fragte Kakashi.

Eichi schnaubte und verzog belustigt den Mund. „Ihr habt ja keine Ahnung. Ihr wisst ja nicht, was sich dort im Süden direkt vor euren Augen zusammenbraut, was für eine Kraft sich da zusammenballt! Die Minen sind das Zentrum der Welt geworden. Eine ganze Armee versammelt sich da, sage ich euch, und sie wird auch euch überrennen, euch und eure mickrige Stadt!“

Sakura spürte ein Ziehen in ihrer Magengegend. Das klang unheilvoll …

„Armee, sagst du?“, gackerte Kureiji. „Es gibt nicht mehr genug Menschen für eine Armee, Schwachkopf.“

Eichi sah ihn überlegen an. „Wenn mehr als die Hälfte aller Überlebenden sich dort befinden, wie würdest du es dann sonst bezeichnen?“

Kureiji gab keine Antwort, sondern kaute nur nachdenklich.

„Wir wissen, dass diese Jashin-Sekte Ninjas mit Kristallen kauft. Bisher haben uns diese Ninjas aber in Ruhe gelassen“, sagte Kakashi. „Warum seid ihr jetzt auf einmal hier?“

„Keine Ahnung“, behauptete Eichi. „Wir sollen nur einem von euch eine Nachricht überbringen, das ist alles.“

„Wem?“

„Ich kenn den Typen nicht, aber er soll angeblich hier bei euch leben. Sein Name ist Uchiha Sasuke. Und ich soll ihm von seinem Bruder ausrichten, dass er es leid ist, den Hohepriester dieser Jashin-Spinner zu spielen. Das ist alles.“

Sakuras Kopf ruckte herum. Sasukes Gesicht war wie in Stein gemeißelt, doch in seinen Augen blitzte es gefährlich auf.

Die Gerechtigkeit der neuen Welt

„Wo ist er?“, fragte Sasuke den gefangenen Ninja, leise und gefährlich, und trat auf ihn zu, packte ihn am Kragen und zerrte ihn in die Höhe. „Wo?

„Keine Sorge“, erwiderte Eichi keuchend. „Deinem Bruder geht’s gut, kein Grund sich so aufzuregen.“ Offenbar glaubte er, Sasukes Reaktion entspringe seiner Sorge um Itachi.

„Sag mir, wo er ist“, verlangte Sasuke und zog sein Schwert. Eichi wurde ein wenig blass um die Nase.

„Sasuke“, sagte Kakashi scharf.

„Was glaubst du denn?“, platzte Eichi heraus. „Im Süden, in der Chakramine! Er ist dort so etwas wie ein Oberaufseher, und diese Jashin-Fanatiker haben ihn zu ihrem Hohepriester gemacht.“

Sasukes Blick flackerte für einen kurzen, schrecklichen Moment zu Sakura. Dann ließ er den Mann fallen, straffte die Schultern und wandte sich zum Gehen.

„Wo willst du hin?“, rief Sakura erschrocken.

Kurz blieb er stehen, steckte sein Schwert weg. „Ich gehe mich von der Jagd ausruhen“, erklärte er monoton und stapfte davon. Die umstehenden Leute machten ihm respektvoll Platz.

Sakura zögerte noch, ihm zu folgen. „Du hast es ihm nicht gesagt“, stellte Kakashi an ihrer Seite leise fest. Sie schüttelte den Kopf. Er seufzte und wandte sich an die anderen, indem er auf Eichi zeigte. „Wir sollten ihn einsperren. Schon zu seinem eigenen Schutz.“ Nickend gaben ihm die anderen Gremiummitglieder recht.

Sakura sah, wie Sasuke in Richtung ihres Hauses davonging. Sie biss sich auf die Lippen, riss sich innerlich zusammen und lief ihm hinterher.
 

„Das war zu erwarten“, sagte Itachi.

„Dein Bruder und du seid wohl nicht gerade eine Musterfamilie, was?“, feixte der junge Ninja, der sich Kaze nannte. Er und seine Kameradin waren gestern Abend auf den Beschwörungsschriftrollen vor Itachis Kammer erschienen, ganz wie geplant. Itachi würdigte ihn keiner Antwort.

„Der einäugige Kerl hat beschlossen, dass sie ihn einsperren“, berichtete die Kunoichi. Sie saß im Schneidersitz, spezielle Fingerzeichen haltend, auf dem Boden und hatte die Augen geschlossen. Ihr braunes Haar verschmolz beinahe mit der Höhlenwand hinter ihr. „Jetzt bringen sie ihn in ein Haus oder etwas Ähnliches. Sieht aus wie ein Bretterverschlag mit ein paar Eisenstangen als Stütze. Ziemlich klein. Da steht ein Metallgerüst, so etwas, an das man Kühe kettet. Sie binden ihn da dran, der rothaarige Mistkerl sagt: Allzuviel zu essen werden wir leider nicht für dich erübrigen können, dafür haben wir zu wenig. Jetzt gehen sie und schließen die Tür von außen ab. Ein Fenster gibt es nicht, aber durch die Ritzen zwischen den Brettern kann Eichi ein wenig raussehen.“ Sie öffnete die Augen. Ihre Pupillen waren einen Moment lang riesengroß, sodass ihre Augen schwarz wirkten, dann blinzelte sie und sie passten sich den Lichtverhältnissen an. Ihr Blick war zornig, als sie zu Itachi sagte: „Ich will hoffen, dass ihm nichts passiert, sonst werde ich sauer, Hohepriester.“

„Ihr habt dem Plan zugestimmt“, erinnerte sie Itachi ungerührt. Die Kunoichi rümpfte nur die Nase und stand auf, klopfte sich Steinstaub von der Hose. Anzu war nicht nur recht fähig, was Medic-Jutsus anging, sie und ihr Bruder Eichi waren außerdem beide Sensor-Ninjas und wie gemacht für die Informationsbeschaffung. Ihr Kekkei Genkai erlaubte es ihnen, sofern sie die eigenen Augen geschlossen hatten und ein bestimmtes Fingerzeichen hielten, die Sinne des jeweils anderen abzurufen. Somit hatte sie gesehen, was ihr Bruder im Norden gesehen hatte, ohne dass dort jemand gemerkt hatte, dass sie ausspioniert worden waren. Itachi mutmaßte, dass diese Fähigkeit weitläufig mit dem Rinnegan verwandt sein könnte.

„Was sollen wir jetzt tun?“, fragte Kaze.

„Fürs erste nichts. Ich melde mich bei euch, wenn ich einen neuen Plan habe.“ Damit wies Itachi auf die Tür seiner Kammer, damit sie ihn allein ließen.

Anzu setzte sich in Bewegung, aber Kaze blieb. Grinsend fragte er: „Das Mädchen, das bei deinem Bruder ist – kann es sein, dass du in sie verknallt bist?“

„Du fragst zuviel“, sagte Itachi.

„Ich hab also recht.“ Kazes freches Grinsen wurde breiter.

„Und du interpretierst zuviel“, gab Itachi kühl zurück. „Geht jetzt.“
 

Als Sakura die Tür zu ihrem Haus öffnete, stand Sasuke einfach nur da und starrte die gegenüberliegende Wand an. Sein Schwert lag auf dem Tisch. „Du hast es mir nicht gesagt“, murmelte er.

„Nein“, sagte sie betroffen und trat ein. Knarrend zog sie die Tür hinter sich zu.

„Ich war schon ganz in seiner Nähe, nicht wahr?“

Sie seufzte traurig. „Ja.“ Mehr konnte sie nicht sagen.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“

„Sasuke, ich …“

Warum?“ Seine Stimme war scharf und schneidend wie seine Schwertklinge. Er hatte wütend die Schultern angezogen.

Sakura knetete ihre Hände. „Ich dachte … du würdest dich sofort auf ihn stürzen. Itachi hat fast alles Chakra, das noch übrig ist, er kontrolliert die Minen. Und seine Handlanger … die Jashinisten, sie tun alles, was er ihnen befiehlt.“

„Du denkst, ich wäre zu schwach gewesen.“

„Was hättest du denn ohne Chakra tun können?“, rief sie, ein wenig gereizt. Er musste doch selbst merken, dass es unvernünftig gewesen wäre!

„Und jetzt, wo er noch mehr Kristalle hat und eine Ninjaarmee, jetzt ist es einfacher?“, knurrte er. Immer noch wandte er ihr den Rücken zu.

„Ich wollte doch nur, dass du bei mir bleibst …“, flüsterte sie und machte ein paar Schritte auf ihn zu, wollte ihn umarmen, wie damals vor so langer Zeit im Wald des Todes, seine Wut mit einer simplen zärtlichen Geste ersticken.

„Bleib, wo du bist“, zischte er. „Komm nicht näher.“ Sakura hielt mitten im Schritt inne und ließ die Schultern hängen. „Du hast mich belogen“, murmelte Sasuke. „Von Anfang an. Liebe. Die Mauer um mein Herz einreißen. Das Loch in meiner Seele füllen. Mich durch die Wüste begleiten. Die neue Welt.“ Er schnaubte humorlos. „Nichts als schöne Worte. Du wolltest also nur bei mir blieben? Ich habe mich geirrt. Du bist noch genau wie damals. Wieso habe ich nur geglaubt, du als einzige in dieser gottverfluchten Welt wärst nicht selbstsüchtig, gerade du? Wieso?

Und da wusste sie es plötzlich. Der Gedanke mochte ihrem verruchten Unterbewusstsein entspringen, das keine Gelegenheit ausließ, sie zu quälen, aber für einen kurzen Moment war sie sich dennoch sicher. Ihre Zweifel waren wie weggewischt von der Trauer und dem Gefühl, ihn verloren zu haben. Es war ihm nicht um den Wiederaufbau seines Clans gegangen. Er hatte sie wohl tatsächlich geliebt. Sakura schwieg betreten. „Ich wollte nur das Beste für dich“, sagte sie mit erstickter Stimme. „Es wäre dein Untergang gewesen. Unsere Liebe hätte gar nicht erst entstehen können.“ Sie wusste selbst, wie hohl es klang.

„Erspar mir deine schönen Reden. Liebe? Das ist ein Ausdruck, der dir gefällt, ja? Den du drehen und wenden kannst, wie es dir passt.“ Er wandte sich halb um, in seinem gesenkten Kopf funkelten Raubtieraugen. Sie konnte nicht sagen, ob er nur wütend war oder sie nun hasste. Gold und Silber, fiel ihr ein. Vielleicht waren sie einfach zu verschieden, als dass eine Beziehung auf lange Sicht geglückt wäre.

Betreten wich sie seinem Blick aus. „Ich werde … Kureiji fragen, ob er ein anderes Haus für mich hat“, sagte sie. Fast hätte sie Kakashi gesagt, aber sie hatte das Gefühl, dass Sasuke diesen Namen lieber nicht hören wollte. „Ich vermute, du willst nicht mehr mit mir unter einem Dach wohnen.“

Er sah sie nur weiterhin an, und aus seinem Blick sprach so tiefer Zorn, dass sie die finstere Kralle deutlich spürte, die nicht nur seine Gedanken umklammert hielt, sondern auch nach ihr griff. Mit einem Ruck drehte sie sich um. Alles in ihr schrie danach, ihn nicht allein zu lassen, bei ihm zu bleiben. Aber sie konnte nicht. Wieder schwindelte sie kurz. Vielleicht war es sogar besser, wenn sie von nun an getrennte Wege gingen. Es hätte doch nicht Bestand gehabt. Selbst die Gewissheit, der sie nun so nahe war, die Gewissheit, dass seine Gefühle für sie am Ende doch nicht gespielt gewesen waren, weil ihre Lüge ihn so schwer getroffen hatte, brachte ihr keinen Trost. Instinktiv presste sie die Hand an ihren Bauch. Stumm stiegen Tränen in ihre Augen, brennend. „Es tut mir leid“, flüsterte sie, als sie die Hand nach der Türschnalle ausstreckte. „Versprich mir nur … dass du nichts Unüberlegtes tust.“

Plötzlich war er bei ihr, seine starken Hände umschlangen ihren Leib. Er küsste ihren Nacken, durch ihr Haar hindurch. Sie kniff die Augen zusammen. War das ein Abschiedskuss?

„Vergiss nicht, Itachi hat dir etwas Unverzeihliches angetan“, murmelte Sasuke an ihrem Ohr. „Jetzt habe ich noch einen Grund mehr, ihn zu töten.“

„Sasuke, tu es nicht …“, hauchte Sakura. Die Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen. „Du rennst in deinen Untergang.“

„Du kannst mich nicht aufhalten“, sagte er hart.

Ja, das wusste sie. Sie hatte es auch damals nicht gekonnt. Jetzt, nach dieser Geschichte, weniger denn je. Unsanfter, als er es hätte müssen, schob er sie zur Seite, riss die Tür auf. Das Letzte, was sie sah, waren die morgendlichen Sonnenstrahlen, die sein Haar in einem Feuerkranz einrahmten. Dann knallte er die Tür hinter sich zu und Sakura blieb in ihrem Haus zurück, unfähig sich zu rühren. Ein Gefühl kletterte ihre Kehle hoch, schwer und schleppend, schleimig wie eine Schnecke, gründlich. Dennoch wusste sie, dass die spitzen Ecken des Gefühls langsam abstumpften. Der vergangene Monat hatte so viel Leid über sie gebracht, dass sie es gar nicht mehr alles aufnehmen konnte.

Ja, vielleicht konnte sie ihn deshalb gehen lassen. Nur aus diesem Grund. Weil sie einfach müde war. Müde, ihrem Unglück hinterherzulaufen, denn wohin sie ging, das Unglück wartete genau dort, hatte sie umzingelt. Also würde sie einfach stehen blieben.
 

Mechanisch, wie eine Maschine, ging sie zum Hospital, half mit geübten Handgriffen den Leuten dort, linderte körperlichen Schmerz und war doch unfähig, ihren eigenen, seelischen Schmerz loszuwerden. Nicht ohne Hilfe. Doch Hilfe konnte sie in dieser Welt nicht erwarten.

Stimmen eines Aufruhrs erreichten sie gegen Mittag. Sie sah von ihrem Patienten, einem grauhaarigen Mann mit üblen Magengeschwüren, auf und aus dem glaslosen Fenster in die flimmernde Luft; der Tag schickte sich an, anders als die vorhergegangenen sehr heiß zu werden. Draußen kamen zwei Arbeiter aus der Höhle, in verschmutzten Overalls, und unterhielten sich erregt, doch sie konnte die Worte nicht verstehen.

Auch die anderen Heiler spürten die Unruhe, die plötzlich in der Stadt aufbrandete. Der ranghöchste von ihnen, ein alter Mann mit kleinen, runden Brillengläsern, runzelte die Stirn und sah nach draußen. „Heda!“, rief er einem Jungen zu, der einen Korb voller verkümmerter Pilze zum Nahrungslager gebracht hatte und eben zum Stadtzentrum rennen wollte. „Was ist los? Sagt uns auch mal jemand was?“

Der Junge sah Sakura hinter ihm, und sein Blick zuckte vor ihr zurück, als würde ihn eine ansteckende Krankheit befallen, wenn er sie nur ansah. Laut sagte er: „Der … Neue. Sie haben ihn festgenommen.“

Sakura riss die Augen auf. Es gab keinen Zweifel, wer der Neue war … Aber wieso sollte jemand Sasuke festnehmen? Ohne zu überlegen, stürmte sie an ihrem Kollegen vorbei ins Freie, der ihr nachrief und schließlich fluchend folgte.

Wie schon einmal an diesem Tag, hatten sich die meisten Bewohner von Neuanfang um den Platz im Zentrum der Stadt versammelt. Mit Ellbogen und Schultern bahnte Sakura sich den Weg in dessen Mitte. Dort war er, Sasuke; die Arme gefesselt, das Hemd zerrissen und mit einer Wunde an der Stirn, aus der Blut über eine Hälfte seines Gesichts lief, hockte er auf dem Boden. Sein Schwert hatte er nicht mehr – es war in den Händen von Kureiji, der neben ihm lässig damit herumspielte. „Was geht hier vor?“, rief Sakura scharf. „Was soll das?“ Ein knisternder Gedanke zuckte in ihrem Kopf – sie sollte sich nicht nur fragen, warum Sasuke immer noch hier war, sondern auch, warum ihn überhaupt irgendjemand hatte fangen können.

Einer der Männer in Grau, ein strenger Ninja aus dem Gremium namens Hotaru, von dem Sakura gehört hatte, dass er eines der Gründungsmitglieder von Neuanfang war, reckte sein Kinn. „Er wurde dabei erwischt, wie er in das Vorratslager einbrechen und unsere Chakraflüssigkeit stehlen wollte.“

Sakuras Blick wanderte zu dem mit Stracheldraht umzäunten Lagerplatz, in dem sich der steinerne Bunker duckte, in den Kureiji ihre Fässer hatte bringen lassen. „Ist das nicht sein gutes Recht?“, gab sie wütend zurück. „Das Chakra gehört uns.“

„Ihr habt es bei euer Ankunft der Stadt überantwortet“, polterte Hotaru. „Es gehört dem Allgemeinwohl. Außerdem wollte er nicht nur die Fässer stehlen, die wir von euch haben, sondern auch die anderen!“

Sakura starrte Sasuke ungläubig an. „Ist das wahr?“

Er sah ihr nur mit unbewegter Miene entgegen, schweigend. Er hatte ihr nicht verziehen.

„Es ist kein Problem, unsere Gemeinschaft zu verlassen“, meinte Kureiji und stopfte sich einen Streifen Tabak in den Mund. „Solange man nicht wieder winselnd angelaufen kommt. Aber bei Diebstahl verstehen wir leider keinen Spaß.“

Jetzt wucherten die Ranken des schlechten Gewissens wieder in Sakura hoch. Sie hätte ihn aufhalten müssen. Sie wusste, dass es dumm von ihm war, Itachi herauszufordern, aber ganz offensichtlich war er sogar in seinem Rachewahn zu dem Entschluss gekommen, dass er Chakra dazu brauchte – viel Chakra. Von der letzten Jagd dürfte er kaum noch welches übrig gehabt haben. Sakura straffte die Schultern und stemmte die Hände in die Hüften. Sie hatte es satt, so satt. Ständig schob sie sich selbst die Schuld zu, alles machte sie falsch. Dann eben so! Sie würde auch weiterhin alles falsch machen, also konnte sie genausogut auf jede Rücksicht verzichten. „Seit wir hier sind, haben wir hart gearbeitet. Ich habe Dutzende Patienten behandelt. Kureiji, du weißt, wie sehr Sasuke euch geholfen hat! Also lasst ihn gefälligst frei und in Ruhe ziehen, oder ihr werdet es bereuen!“ Sie wusste, dass Sasuke sie diesmal nicht mitnehmen würde. Sie hoffte, bluffen zu können, hoffte, dass ein fähiger Medic-nin für sie von größerem Wert war als ein Gefangener.

„Wenn einer die Regeln bricht und ungeschoren davonkommt, werden andere dasselbe tun“, knurrte Hotaru. „Er wird auf jeden Fall hart bestarft und verliert das Recht seiner Freiheit. Wir müssen streng sein. Nur Disziplin hält die Menschen in dieser Ödnis zusammen.“

„Was für Menschen seid ihr denn noch, wenn ihr eure Menschlichkeit ablegt?“ Sakuras Wangen brannten vor Wut. Bestrafen? Sasuke? Das kam ihr so unnatürlich vor … und sie hatte Angst davor. Einer der Patienten hatte ihr erzählt, dass ein anderer Arbeiter einen Streit mit ihm angefangen hatte, der in eine Prügelei ausgeartet war. Als Bestrafung hatte das Gremium den Mann nicht nur verstoßen, sondern ihn mit einem glühenden Eisen gebrandmarkt.

„Vielleicht die letzte Art Mensch auf der Welt“, beharrte Hotaru stur, „doch wir leben.“

„Das ist doch …“, zischte Sakura und ballte wütend die Fäuste.

„Das reicht, Sakura.“

Sie hätte seine Stimme nicht hören müssen, um zu wissen, dass die Hand, die sich auf ihre Schulter legte, Kakashi gehörte. Zornig funkelte sie ihn an. Nun, da sie ihn sah, ein wenig abgekämpft und die Frisur noch schräger als sonst, wurde ihr klar, wer es geschafft hatte, Sasuke zu erwischen und gefangenzunehmen.

„Kakashi!“, sagte sie eindringlich.

„Du weißt, dass es ohne Regeln nicht geht.“ Seine Stimme war ruhig, beruhigend.

„Aber er hat euch so viel eingebracht, und ihr habt ihn immerhin davon abgehalten, etwas zu stehlen“, sagte Sakura. „Verstoßt ihn und lasst ihn gehen.“

Der Griff um ihre Schulter wurde kaum merklich stärker. „So einfach ist es nicht.“

„Blöderweise haben wir recht genaue, ungeschriebene Gesetze für so was. Seine früheren Taten spielen keine Rolle“, sagte Kureiji, sein dämliches Grinsen wollte auch in dieser Situation nicht aus seinem Gesicht verschwinden, während er lässig auf seinem Tabak kaute. „Die Bestrafung für Diebe ist sicher das älteste Gesetz in Neuanfang, oder?“ Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten.

Sakuras Herz begann so sehr zu klopfen, dass sie es hart und unangenehm in ihrem Brustkorb spürte. Wenn sie einem Mann wegen einer Schlägerei ein Brandeisen aufdrückten, was mochten sie mit ihm vorhaben? Mit einem klammen Gefühl sah sie zu, wie Hotaru zwei Wachmännern zunickte, die Sasuke in die Höhe zogen und ihn vor sich her stießen. Die Menge schwappte mit, als sie ihn in die hinterste Ecke der Stadt führten, in die Nähe der Felswände. Dort war ein verbogener Metallpflock in die Erde getrieben, dessen bloßer Anblick Sakura Unbehagen bereitete. Während sie sich von der Menge mittreiben ließ, blieb Kakashi ständig in ihrer Nähe, wie um sie daran zu hindern etwas Dummes zu tun.

„Wie konntest du das tun“, zischte sie Kakashi zu. „Was immer sie jetzt mit ihm machen, es ist deine Schuld.“

„Es war meine Pflicht“, gab Kakashi zurück. „Außerdem werden sie ihn nicht umbringen. Itachi wird es.“ Er zögerte. „Ich habe dich gewarnt. Er ist unberechenbar.“

„Weil er zurückgekommen ist, um sich Chakra mitzunehmen?“

„Weil er zu oft die Seiten wechselt. Sasuke ist und bleibt ein Verräter, Sakura.“

„Dann bin ich ebenso eine Verräterin“, meinte sie trotzig.

„Unvernunft kannst du dir hier nicht leisten“, sagte er streng. „Das hier ist nicht Konoha.“

„Und warum nicht?“, murmelte sie bitter. „Alles war in Ordnung in Konoha.“

Er wollte etwas erwidern, aber die Menge hielt an. Sasuke wurde brutal in die Höhe gezogen, bis seine Fesseln auf einem Metalldorn ruhten, der aus dem Pfahl wuchs. Er war so hoch oben, dass Sasukes Zehen gerade noch so den Boden berührten und es ihm schier die Schultern auskugeln musste.

„Sasuke, du hast gestohlen und somit ein Verbrechen begangen“, sagte Hotaru formell. „Folgend den Regeln, die das Gremium für die Verwaltung von Neuanfang aufgestellt hat, sollst du bestraft werden. Der erste Teil der Bestrafung betrifft die Tat selbst und damit die Vergangenheit. Dafür sollst du ausgepeitscht werden.“

„Nein“, flüsterte Sakura. Ihre Finger kratzten an ihrer Unterlippe. Sasuke reagierte auf diese Ankündigung nur mit einem zornigen Blick.

Einer der Wachen zog eine glänzend schwarze Peitsche aus dem Gürtel, die ihm Kureiji allerdings abnahm. „Ich mach das“, erklärte er und trat zu Sasuke. Gerade so laut, dass Sakura ihn hören konnte, sagte er: „Zwar schlag ich nicht gern meine Kampfgefährten, aber du bist doch ‘n zäher Junge. Dich juckt das sicher nicht mal.“

Sasuke sah aus, als hätte er ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt, aber da drehten ihn seine beiden Bewacher grob um, sodass er mit dem Gesicht zum Eisenpfosten stand und Kureiji den Rücken zuwandte, der gemächlich die Peitsche entrollte und sich anschickte auszuholen. Die anderen beiden zerschnitten die Schulterstücke seines Hemds, sodass es ihm lose um die Beine schlenkerte und sein Rücken entblößt wurde.

„Nein!“, schrie Sakura und wollte sich nach vorn werfen, doch Kakashi hielt sie eisern fest, beide Hände brauchte er dazu. „Hört sofort auf! Sasuke!“

„Tut mir leid, kleine Kirschblüte, aber so sind die Regeln“, meinte Kureiji achselzuckend und spuckte seinen Tabak aus. Dann schlug er zu.

Wie in Zeitlupe sah Sakura den langen Arm der Peitsche sich zuerst strecken und dann wie eine Giftschlange nach Sasukes Oberkörper schnappen.

Sie hörte den Schlag erst gar nicht, sah nur mit schrecklicher Klarheit, wie der Riemen sich quer an seinen Oberkörper klebte, eine lange, blutige, zerfetzte Linie aus seiner Haut riss, und Sasukes Muskeln ringsum zuckten. Der Schlag ließ ihn nach vorn pendeln, wehrlos baumelnd an seinen Handfesseln. Dann erst nahmen Sakuras Ohren die Geräusche wieder wahr, das reißende Schnalzen, mit zehnfachem Echo, das in ihrem Kopf widerhallte, und ihren eigenen, schrillen Schrei.

Sasuke schrie nicht. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er blieb stumm wie ein Fisch. Kueriji warf Hotaru einen Blick zu, der nickte. Blitzschnell und dabei anmutig und präzise wie ein Ninja schlug er abermals auf Sasuke ein, vollendete ein blutiges X auf seinem Rücken. Diesmal schwenkte Sasuke, nur mit den Zehenspitzen den Boden berührend, weit genug herum, dass sie seine angespannten Bauchmuskeln und zusammengebissenen Zähne sehen konnte. Ihre Augen wurden feucht vor Grauen. Wieder biss die Peitsche zu, wickelte sich unter seiner Achsel hindurch, verschonte nicht einmal Sasukes Brust. Der nächste Schlag war waagrecht und für einen Moment schlang sich der Lederriemen um seine Hüften, nur um eine brennend rote Spur zu hinterlassen, als Kureiji die Peitsche wieder zurückriss.

Sakura achtete nicht mehr auf die anderen. Sie stieß die Schaulustigen zur Seite, stürzte auf den Marterpfahl zu, und als die beiden Wachmänner sich ihr entgegenstellten, hob sie angriffslustig die Fäuste. Sie würden ihrer Körperkraft nichts entgegenzusetzen haben, das wusste sie, und im Gegensatz zu Sasuke war ihr Chakra noch nicht verbraucht.

Jemand packte ihre Arme, riss sie zurück. Sie sah in Kakashis ausdrucksloses Gesicht. „Mach keinen Ärger“, schärfte er ihr ein. „Bitte. Um deiner selbst willen. Wenn du nicht hinsehen kannst, sieh mich an.“

Sakuras Kraft schien zu schwinden, als sie sah, wie er sein Stirnband hob um sein Sharingan zu entblößen. Sie wollte Kakashi nicht wehtun, nicht, während Sasuke gepeinigt wurde, und sie hätte ihm wohl auch nichts entgegenzusetzen gehabt.

Aber wegsehen konnte sie nicht.

Stumm und bitter blickte sie zu Sasuke, dessen Rücken bereits ein Mosaik aus blutigen Striemen war. Und immer noch hieb Kureiji auf ihn ein. Jeder neuerliche Schlag sprenkelte die trockene Erde und die Felsen mit feinen Blutspritzern. Dann donnerte die Peitsche mit nie dagewesener Wucht herab, grub eine tiefe Furche in sein Fleisch, und Sasuke schrie.

Sakura kniff die Augen zu, in denen Tränen ohnmächtiger Wut brannten. Nein, sie war es ihm schuldig. Sie hatte ihn belogen, ihretwegen war er hier, ihretwegen wollte er wieder zurück. Sie war sein Todesengel. Und obwohl sie sich selbst fühlte, als gehörte sie bestraft, war Sasuke es, der ausgepeitscht wurde. Die Welt lag im Sterben. Die Ungerechtigkeit war geblieben.

Mit aller Macht zwang sich Sakura, die Augen zu öffnen. Das schreckliche Schnalzen des Riemens würde sie ohnehin in ihre Träume verfolgen, und sie hörte es laut und deutlich. Sasukes Beine hatten nachgegeben und er schlenkerte nun tatsächlich nur noch an den Handgelenken aufgeknüpft an dem Pfahl. Dünne Filme aus Blut sickerten aus den Dutzenden roten Schluchten seiner Haut, tränkten seine Hosen, färbten den Staub unter seinen Beinen. Und er sah sie an. Sakuras Atem stockte. Sasuke starrte ihr direkt in die Augen, den Kopf verdreht, als wollte er sie unter allen Umständen ansehen. In seinem Blick sah sie einen stummen Vorwurf, dumpfe Verachtung, und als würde er die Worte laut aussprechen, las sie eine Frage in seinen Augen: Nun bin ich noch hier. Hast du erreicht, was du wolltest?

Das Leder der Peitsche kam Sakura triefend rot vor, als Kureiji sie endlich sinken ließ. „Dreißig. Und erst bei den letzten sieben hast du geschrien. Respekt – ich dachte schon, ich krieg‘ überhaupt keinen Ton aus dir raus.“ Sakura hatte selten jemanden so gehasst wie Kureiji in diesem Moment, obwohl sie spürte, dass seine Worte eigentlich so etwas wie Anerkennung waren. „Reicht doch, oder?“, fragte er Hotaru, der grimmig nickte.

Sakura atmete zittrig durch. Es war vorbei. Er hatte es überstanden. Sie wollte auf Sasuke zutrteten, seine Hände von dem Haken nehmen, aber der Gründer von Neuanfang zerschmetterte ihre Hoffnungen mit einem stählernen Hammer. „Das war der erste Teil der Bestrafung, der die Vergangenheit sühnt. Der zwei Teil betrifft die Zukunft und soll dafür sorgen, dass du diese Tat nie wieder begehst.“ Hotaru ließ eine dramatische, unheilverkündende Pause folgen, in der Sakura mit all ihren Ängsten und ihrer Hilflosigkeit konfrontiert wurde. Dann sagte er mit vernichtender Endültigkeit: „Der Reiz der Ninjutsus hat dich den Diebstahl versuchen lassen. Damit du nie wieder in Versuchung kommst, Sasuke, werden wir die Möglichkeit nehmen, als Ninja Fingerzeichen zu formen.“ Er nickte Kureiji und Sasukes Bewachern zu. „Schneidet ihm die Zeige- und Mittelfinger ab.“

Nein!“, kreischte Sakura, doch immer noch brannten Kakashis Hände an ihren Oberarmen. Sasuke Gesicht, so blutleer es auch war, schien noch blasser zu werden. In seinen Augen flackerte etwas auf, das vielleicht Angst war, oder auch die schleichende Erkenntnis, dass ihm damit auch jede Möglichkeit genommen würde, Itachi zu töten.

Kureiji verzog das Gesicht. „Mach’s du“, sagte er zu einem der Bewacher. Dieser zögerte.

„Ich werde es tun.“

Sakura fuhr herum. Kakashis Stimme war emotionslos, als er sich freiwillig meldete. „Vielleicht bin ich es ihm schuldig, dass ich es mache“, erklärte er leise.

Sakura fühlte sich wie in einem Fiebertraum, als Kakashi von Hotaru ein blitzendes Messer ausgehändigt bekam. Nicht einmal ein Kunai, dachte sie, nicht einmal das Werkzeug eines Ninjas. In hilfloser Wut ballte sie die Fäuste, biss sich so fest auf die Unterlippe, dass ihr Blut über ihr Kinn lief. Es war nicht gerecht. Auch wenn die neue Welt strenge Maßnahmen verlangte, es war nicht gerecht! Der Sturm hatte ihnen schon einmal ihre Ninjafähigkeiten genommen. Nun wollten die Menschen es ihm gleichtun.

„Nein“, murmelte sie, als die Wachen Sasuke von dem Dorn lösten und herumdrehten. Sein Körper war schlaff und kraftlos in ihren Armen, er verzog das Gesicht, als sie seine geschundene Haut berührten. Kakashi kam mit dem Messer näher.

„Nein“, sagte sie lauter und tat einen Schritt nach vorn. Und in diesem Moment hatte sie es endgültig satt. Alles. Diese ganze Stadt, die der Neuanfang der Menschheit werden wollte. Die strengen Regeln, die Sasuke das antaten. Diese ganze verdammte Welt, alles, was von ihr übrig geblieben war, sollte es doch verrotten und verbrennen! Und am meisten hatte sie sich selbst satt. Ihre ständige Unentschlossenheit, ihre scheinbare Hilflosigkeit, ihre Ohnmacht, etwas anderes zu tun als nur am Rande zu stehen und entsetzt in Tränen auszubrechen. War nicht die Welt ins Gegenteil verkehrt worden, war Itachi nicht ein Sektenführer, war Sasuke nicht plötzlich jemand, der Liebe als Gefühl anerkannte? Warum hatte sie sich nicht geändert? Sie hatte genug von allem hier. Wenn die Welt sich von außen nach innen stülpte, warum sollte sie sich dann noch an irgendetwas halten?

Plötzlich war ihr, als befände sie sich in einen dieser seltenen Träume, in denen man sich bewusst war, dass man träumte, und ohne Rücksicht auf die Realität tun und lassen konnte, was man wollte. „Sofort aufhören!“, befahl sie mit einer Stimme, so schrill wie kreischende Nägel auf Gestein. Sie war selbst erschrocken über die Schärfe dieser Worte, die durch die Menge schnitt und jeden auf dem Platz erreichte. Ging sie vielleicht durch Mark und Bein? Sehr gut.

Kakashi drehte sich um, sah aber eher traurig als fragend aus.

„Mach weiter“, sagte Hotaru, als er sie kurz mit einem Blick maß und entschied, dass ihr Wort weder Gewicht noch etwas Hörenswertes besaß.

„Ja, macht nur weiter“, rief Sakura und fühlte sich plötzlich so leicht, als könnte sie mit einem einzigen Sprung in die Luft rauschen und davonfliegen. „Macht weiter und seht eure verdammte Stadt in Rauch aufgehen!“ Sie packte den nächstbesten Mann, den sie in die Finger bekam, und nahm ihn in den Schwitzkasten. Zufrieden stellte sie fest, dass sie den ältesten der Heiler erwischt hatte. „Mal sehen, wie weit euer Gerechtigkeitssinn geht!“, spie sie Hotaru entgegen. „Jeder Finger kostet euch einen Mann. Und glaubt nicht, ich könnte nicht sämtliche Heiler hier umbringen, bevor ihr mich schnappt!“

Die Wachen zuckten zusammen, ihre Waffen erblickten scharrend das Licht der Sonne, Kureiji starrte sie mit offenem Mund an, Kakashi wollte sie nicht in die Augen sehen, wegen seines Sharingans, aber sie alle hatten offensichtlich nicht gedacht, dass jemand in der Menge die ganze Menge als Geisel nehmen würde. Hotarus Mundwinkel wanderten nach unten. „Das würdest du nicht wagen“, sagte er.

„Wetten?“ Sakura drückte ein wenig fester zu und der Heiler ächzte. Er war eigentlich kein schlechter Mensch, aber das war ihr egal. War Sasuke ein schlechter Mensch? Nein, die Frage sollte lauten – spielte es in dieser Welt überhaupt noch eine Rolle, ob jemand gut oder schlecht war?

„Du weißt nicht, was du tust, Mädchen“, knurrte der Gründer von Neuanfang. „Ich kann zwar verstehen, dass du mit ihm leidest, aber …“

„Kannst du das?“ Aus Sakuras Augen blitzte Zorn, den sie selbst heiß und fiebrig glühend spürte. „Kann ein alter Steinbrocken ohne Herz etwas wie Liebe fühlen?“

„… aber Sasuke ist ein Verbrecher“, fuhr Hotaru unbeeindruckt fort. „Wenn du uns daran hinderst, Recht zu sprechen, bist du ebenfalls eine Verbrecherin.“

„Wenn das, was ihr hier tut, Gerechtigkeit sein soll“, sagte Sakura und ihre Stimme wurde laut, als sie ihm das Kinn entgegenreckte und den Griff um den Kopf des Heilers verstärkte, „dann bin ich mit Freuden und mit Stolz eine Kriminelle, mit Herz und Seele!“

„Sakura“, sagte Kakashi, die Ruhe in der Stimme von Schärfe durchzogen, die selten zum Vorschein kam. „Sei vernünftig.“

Vernünftig“, stieß sie aus. Allein das Wort klang wie Gift, als würde sie erst jetzt erkennen, welche Moralvorstellungen sie eigentlich von innen heraus zersetzten, nun, da sie offenbar ihre Gültigkeit verloren hatten. „Ich spucke auf deine Vernunft! Ihr lasst Sasuke in Ruhe, oder ich erschlage so viele Leute hier, bis eure Stadt eine Geisterstadt wird! Und ich kann einen Menschen mit einem einzigen Fausthieb töten, lasst euch das gesagt sein! Vergesst es, mich überreden zu wollen, und tut, was ich sage, ist das so schwer zu verstehen?!“ Sakuras Blut rauschte feurig durch ihre Adern. Sie fühlte sich wieder fiebrig, aber auf eine ganz andere, belebende Weise.

Sie zögerten. Sie zweifelten. Aber nicht an ihrer Entschlossenheit, sonst hätten sie den alten Mann längst ihrem Griff entrissen.

Sie wussten, dass sie es tun könnte.

Sakura hatte nie vor ihren Augen gekämpft, aber sie ahnten wohl, dass sie keine schwache Kunoichi war, wenn sie mit Sasuke unterwegs war. Sie sah Unsicherheit in den Augen der anderen, selbst in denen Kureijis, wo sie mit leichter Amüsiertheit gepaart war. Einzig Kakashi … er könnte sie aufhalten. Er würde es mit Leichtigkeit können, aber er rührte keinen Finger. Warum nicht? Was dachte er? Nein, sie durfte nicht in sein Gesicht sehen …

„Lasst Sasuke frei“, sagte Sakura, jede Silbe betonend. Als die anderen immer noch nicht reagierten, zuckte sie demonstrativ mit den Schultern und umschloss mit der freien Hand die Stirn des Heilers. Seine Augen waren angstgeweitet, die Pupillen zuckten wie zappelnde Fische auf dem Trockenen, ehe man sie erschlug. Er wollte etwas sagen, aber sein Kiefer zitterte zu stark, als dass sie ihn verstehen konnte. „Tut mir leid“, sagte sie freundlich. „Aber du siehst ja, Gerechtigkeit bedeutet ihnen alles.“ Damit setzte sie an, ihm das Genick zu brechen, spannte die Sehnen ihrer Arme …

„Warte.“ Hotarus Wort durchbrach die Stille der Stadtbewohner wie ein pötzlicher Knall. Sakura war versucht, es trotzdem zu tun, schließlich gab es genügend weitere Opfer hier … doch sie sah auf, sah ihm ruhig in die Augen.

Der Gründer der Stadt hatte die Hand abwehrend erhoben und wandte sich soeben an Kakashi. „Du hast gesagt, sie wären deine Schüler. Du hast kein Wort darüber verloren, dass der eine ein Verbrecher und die andere eine Verrückte ist. Das macht dich ebenfalls schuldig, Kakashi.“

Er machte Kakashi verantwortlich! Sakura fühlte ein bitteres Lachen in sich aufsteigen, aber sie ließ es nicht hervorquellen. Sie fürchtete, sie könnte wirklich den Verstand verlieren, wenn sie weiterhin diesem erlösenden Traum nachgab. „Gib die Schuld, wem du willst“, sagte sie heiser. „Gib den anderen meinetwegen die Schuld, wenn du ganz allein in den Trümmern dieser Stadt verblutest!“

„Tja, mein Fehler.“

Sakura stutzte. Es klang, als würde Kakashi sich am Kopf kratzen. War er kein bisschen alarmiert? Angespannt? Fast war es so, als hätte ihn jemand bei seiner Lektüre gestört, um ihm zu sagen, dass er vergessen hatte, die Tür zu seiner Wohnung zu schließen.

„Okay, wie wäre es damit?“, fuhr Kakashi fort. „Sasuke hat zumindest einen Teil seiner Bestrafung bekommen. In Anbetracht der Umstände wäre es vielleicht nicht ratsam, Sakura weiter zu reizen. Wir lassen ihn hier gefesselt; die Zelle ist ja immer noch besetzt. Und wir bewachen ihn und halten jegliches Chakra von ihm fern. Somit kann er auch keine Jutsus einsetzen, das ist der gleiche Effekt.“ Sakura sah ihn nun doch an, fast gegen ihren Willen drehte sich ihr Kopf. Sein Sharingan wirkte normal, aufmerksam ja, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass er ihre Gedanken irgendwie umzudrehen versuchte. „Und Sakura wird weiterhin fleißig in Neuanfang arbeiten. Vielleicht nicht als Heilerin, aber mit diesem Kampfgeist könnten wir sie bei den Jägern auch gut gebrauchen.“ Jetzt klangen seine Worte schon eindringlicher, und sie las deutlich den Zusatz dazu in seinen Augen. Und während Sasuke hier festgehalten wird, kann er nicht in sein Unglück rennen. „Ist das akzeptabel, Sakura?“, fragte Kakashi.

Sie starrte ihn an, nickte zaghaft und ließ den Heiler los. Plötzlich fühlte sie sich elend. Sie drängte das Gefühl zurück. Es hatte funktioniert. Auch wenn sie den armen Mann fast getötet hatte. Auch Schuldgefühle waren etwas, das sie nicht länger dulden wollte.

„Du verlangst ernsthaft, dass ich ihre Drohungen einfach ignoriere?“, polterte Hotaru los. „Sie ist gefährlich, sie ist unberechenbar, und sie ist verrückt! Das Mindeste, was wir tun können, ist sie zu verstoßen!“

„Oh, das sehe ich anders.“ Kakashi schnippte sein Stirnband über sein linkes Auge. „Sie ist blind vor Liebe. Vielleicht kannst du das wirklich nicht verstehen, Hotaru-san, aber in dem Alter kommt so etwas vor. Sasuke kann genauso unser Pfand sein. Solange es ihm gut geht, wird sie sich eingliedern.“

War das Erpressung? In Hotarus Augen sollte es wohl so klingen. Aber Kakashi hatte recht. Es war die beste Lösung, die Sakura sich ausmalen konnte.

Die Diskussion, die folgte, bekam sie kaum noch mit. Plötzlich fühlte sie sich müde und das Schwindelgefühl war zurückgekehrt. Unbewusst legte Sakura die Hand auf ihren Bauch. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, seufzte Hotaru. „Wenn ich das zulasse, dann nur, weil du ein guter und ehrlicher Mann bist, Kakashi, der beste vielleicht, den diese Stadt gesehen hat. Schön. Er soll hier angekettet werden, fürs erste.“ Seine Blicke stachen wie Nägel in Sakuras Gesicht. „Du wirst härter arbeiten als bisher“, erklärte er grimmig. „Beim ersten Vergehen, wenn du auch nur etwas tust, das mir seltsam vorkommt … werden wir einen Weg finden, dich loszuwerden.“

Sakura nickte abgehackt. Ihr war alles recht. Sasuke war gerettet. Ihr Blick glitt zu ihm. Er hockte auf dem Boden und hatte die ganze Zeit an den Leuten vorbei ins Leere gestarrt. Jetzt, da er ihre Blicke spürte, wandte er den Kopf.

Egal, was sie erreicht hatte, in seinen Augen konnte sie immer noch lesen, dass er sie verachtete. Er hatte ihr nicht verziehen.

Blutregen

Es war erregte Erwartung, die von ihnen Besitz ergriffen hatte. Dicht gedrängt standen sie an den Höhleneingängen, auf den Holzstegen, das Tal im Rücken, den Blick zum abendroten Himmel gerichtet. Der Hohepriester hatte es verkündet und es war nur logisch: Die Jungfrau aus dem Donner war geopfert worden. Jashin würde das Antlitz der Welt betreten. Und es sollte heute Abend geschehen.

Fukita wartete neben Rosoku. Sie hatten beide ihre Körper schwarzweiß bemalt, wie der Hohepriester sie angewiesen hatte. Innerlich lächelte Fukita über die Ninjas, die hinter ihnen im Tal lagerten. Sie würden nicht in den Genuss von Jashins Gunst kommen. Die Skelettbemalung wies sie als Jashins Anhänger aus, die bereit waren, ihr Blut für ihn zu vergießen, wieder und wieder, um seinen unersättlichen Durst nicht zu stillen, sondern im Gegenteil weiter anzustacheln. Ja, heute würde der größte aller Tage sein. Der Tag, auf den sie alle so lange gewartet hatten. Der Tag, der durch den großen Donner und die Vernichtung angekündigt worden war.

Dann erschien das erste Zeichen am Himmel. Es sah aus wie ein … brennender Pfeil? Er flog von der Bergspitze herab, prallte irgendwo gegen einen Felsen. Fukita sah unsicher seine Kultkameraden an. Was war davon zu halten?

In dem Moment schrie einer der Männer neben ihm auf. Fukita fuhr herum und sah gerade noch, wie der Bemalte mit weit aufgerissenen Augen nach vorn kippte. Drei Zacken eines riesigen Shuriken ragten aus seinem Rücken. Noch ehe Fukita sich zum Tal hin umgedreht hatte, zuckten Blitze und prasselte Feuer. Waffen und Jutsus flogen aus dem Ninjalager zu ihnen hoch. „Diese verdammten Ungläubigen!“, brüllte er über die Schreie der Getroffenen. „Sie wollen um ihr Leben kämpfen! Haltet durch, Jashin ist nahe!“

Auch auf den Holzstegen waren nun Ninjas aufgetaucht, metzelten sich den Weg mit Schwertern und Kunai frei, mähten wie Schnitter durch Ähren. Blut lief bald die Felsen hinab, machte das Holz glitschig. Warum taten sie das plötzlich? Eben noch hatten sie doch zusammengearbeitet, um die Siedlung zu ernähren und zu bewirtschaften! Und nun nutzten sie das Chakra, das sie als Bezahlung erhielten, gegen Jashins Jünger?

Mit einem Kampfschrei riss Fukita seine Reissichel aus dem Gürtel, die einzige Waffe, die er bei sich trug, um mit ihr sein Blut Jashin zu opfern, sollte er es verlangen. Aber an diese frechen, ungläubigen Ninjas würde er es nicht verschwenden!

Eine Kunoichi mit tiefen Augenringen und einem wilden Ausdruck in den Augen drängte sich zwischen sterbenden und fliehenden Menschen vorbei und griff ihn mit ihrem Kunai an. Fukita störte sich nicht daran, dass sie eine klaffende Wunde in seine Schulter riss; er hoffte nur, nicht zu viel Blut zu verlieren, um als Opfer für Jashin nicht mehr interessant zu sein. Er hackte mit der Sichel zurück, doch sie fing jeden seiner Schläge mühelos ab, sprang auf einen Pfosten des Geländers, das den Steg umgab, schnellte davon meterweit in die Höhe und formte Siegel.

„Pass auf!“

Rosoku riss ihn zur Seite, stieß ihn in den nächstbesten Höhleneingang, während prasselnd nadelspitze, harte Wassertropfen auf diese Schlachtbank niedergingen. Die beiden rutschten über den Boden, schürften sich auf, verschwendeten weiteres, kostbares Blut. Fukita war sofort wieder auf den Beinen, Rosoku jedoch ächzte. In seinem Rücken klafften Dutzende winziger Stichwunden, wo ihn das Wasserjutsu erwischt hatte.

„Kannst du gehen?“, fragte Fukita seinen Glaubensbruder.

Rosoku nickte knapp. Schatten erschienen in der Tunnelöffnung. Shinobi, mit schadenfrohem Grinsen in den Gesichtern. Draußen hielt der Kampfeslärm an, aber er war mittlerweile nur noch eine Kakophonie aus fallenden Körpern, durch Fleisch gleitenden Waffen und Todesschreien. „Na?“, fragte die Kunoichi von vorhin überheblich. „Habt ihr es euch so vorgestellt? Jashin wird sich sicher freuen, dass ihr alle für ihn krepiert.“

„Lauf“, keuchte Fukita. „Zum Hohepriester!“

Sie kannten sich in diesem Teil des Tunnellabyrinths bestens aus. Einige verwinkelte Gänge mit halsbrecherischen Felsen, die den Weg blockierten, führten zum Hauptsystem und von dort aus konnten sie zu Hohepriester Itachi gelangen. Zu dieser Zeit würde er in der Tropfsteinhöhle sein; wahrscheinlich bereitete er gerade erst die Zeremonie für Jashins Erweckung vor. Er musste unbedingt von diesem feigen Verrat informiert werden – seine Kräfte würden sie schützen.

Rosoku kam nur langsam voran und Fukita zerrte ihn rücksichtslos hinter sich her, ließ ihn gegen Felsen und mit den Kopf gegen die niedrige Decke stoßen, bis sein Gesicht eine blutüberströmte Maske war – und dann schrie er auf und fiel schwer, niedergestreckt von Kunai und Shuriken. Fukita ließ seine Hand los und hastete allein weiter, durch die Dunkelheit, und er schaffte es sogar, den verfolgenden Schritten zu entkommen, zumindest glaubte er, sie in dem Labyrinth abgehängt zu haben.

Er erreichte die Tropfsteinhöhle völlig außer Atem, stürzte hinein und umrundete die Säule in der Mitte der Grotte. Der Hohepriester saß auf einem abgeflachten Stalagmiten, unweit seines Schreibtischs, und sah ihm mit ausdruckslosen, roten Augen entgegen, die in der Dunkelheit funkelten wie geschliffene Rubine.

„Hohepriester“, presste Fukita kurzatmig hervor. „Die Ninjas … wir werden … Sie wollen Jashins Ritual stören … Wir müssen etwas tun …“

Er blieb vor Itachi stehen, stützte seine Arme auf seine Knie und rang nach Luft. Die schwarze Farbe in seinem Gesicht verrann mit seinem Schweiß. Ein schadenfrohes Gackern erfüllte die Höhle und Fukita sah hinter der Säule zwei weitere Shinobi hervortreten, einen Jungen und eine Frau, die sich zwischen Itachi und ihn stellten.

„Das sieht euch Fanatikern wieder ähnlich“, spottete Kaze. „Wisst alles über Jashin und seine bescheuerten Prophezeiungen, aber keiner von euch hat je von Uchiha Itachi gehört, was? Clans auszurotten ist sozusagen seine Spezialität. Auch wenn er sich nicht mehr selbst die Finger schmutzig machen will, was, Itachi?“

„Erspar mir das“, murmelte der Hohepriester finster, als würde er an etwas erinnert, das er am liebsten verdrängen würde.

Fukita war erbleicht. Sein Blick glitt zwischen Itachi und den Ninjas hin und her. „Aber … aber was hat das zu bedeuten?“, fragte er hilflos.

„Würdest du nicht gern dein Blut für Jashin geben?“, säuselte Kaze und hob seinen Kunai, der von grünem, zackigem Chakra umgeben war. „Das hat zu bedeuten, dass ihr Idioten genug Menschen geopfert habt, um eurem verrückten Jashin zu huldigen. Damit ist jetzt Schluss.“ Er warf einen Blich zu der Kunoichi. „Normalerweise wäre das wohl eine moralische Streitfrage, ob wir euch töten sollten, damit ihr niemanden mehr tötet. Aber in der neuen Welt kräht wohl auch kein Hahn mehr danach.“

Fukitas Welt schien zu zerbrechen, Splitter bohrten sich in seinen Verstand, schmerzten. „Das ist nicht wahr!“, kreischte er mit hoher Stimme, wandte sich an Itachi. „Ihr seid ein Abgesandter Jashins! Ihr müsst sie aufhalten!“ Aber der Hohepriester rührte keinen Finger, sah nur stumm der Szene zu. Schließlich stieß Fukita ein Knurren aus. „Ihr kriegt mich nicht! Jashin allein ist der Anwärter auf mein Leben!“ Er hob seine Reissichel, bereit, sie in seinen Brustkorb zu rammen – als schnell wie ein Blitz die Gras-Kunoichi heransauste und mit einem Klingenstab die Waffe aus seinen Händen schmetterte, die wild rotierend gegen die Höhlenwand prallte, dann drückte sie Fukita zu Boden, den Stab quer über seiner Brust.

Kaze war mit einem einzigen Sprung bei ihnen. „Sie uns lieber dankbar“, erklärte er. „Ninjas halten nichts von langsamen, qualvollen Ritualmorden. Zumindest die meisten.“

Fukita starrte mit angstgeweiteten Augen auf die Spitze des Kunais, der so nah über seiner Nasenwurzel schwebte, dass er ihn doppelt sah. Als das grüne Chakra aufflammte, war ein kurzer, reißender, wirbelnder Schmerz in seinem Schädel das letzte, was er spürte.
 

Nach und nach erteilten die geheimen Ninjakommandanten die erwarteten Meldungen. Die Jashinisten auf dem Gerüst waren alle erfolgreich eliminiert worden. Das Sensor-Team hatte ein paar Flüchtende aufgespürt und zur Strecke gebracht. Das Aufklärungsteam hatte wie erwartet die Boten, die heute von ihrer Reise nach Sunagakure zurückerwartet wurden, in einem nahen Waldstück gefunden und ausgeschaltet. Raubzüge waren für heute wegen des Rituals keine geplant gewesen. Kurzum: Die ganze Jashin-Sekte war restlos ausgelöscht worden.

„Ein gewagter Zug, Itachi. Sie waren alle total auf deiner Seite, was man von dem Haufen hier nicht behaupten kann“, bemerkte Kaze, als sie nach draußen gingen, wo die anderen Shinobi lachten und scherzten und über Jashin spotteten.

Itachis Finger wollten sich schon um das Holzgeländer schließen, aber angewidert vom vielen Blut zog er sie wieder zurück. Trotz allem hatte ihm diese Aktion kein Vergnügen bereitet, wirklich nicht. „Sie hätten mit dem Chakra nichts anfangen können“, erwiderte er. „Wir werden die Mine weiterbetreiben wie bisher.“

„Gut und schön, aber glaubst du, dass du weiterhin den Anführer spielen kannst?“

„Wer sagt, dass ich das will?“, fragte Itachi und Kaze sah verdutzt drein.
 

Es hatte leicht zu nieseln begonnen, kaum spürbar. Der Himmel war grau, die Wolken hingen tief. Sakura haderte mit sich selbst, ließ den Sprühregen Tröpfchen in ihr Haar zaubern. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und er war ganz anders als die vorangegangenen gewesen. Nach dem, was sie sich heute Morgen geleistet hatte, wollte man sie nicht mehr in die Nähe der Kranken und Verwundeten lassen. Jeder, dem sie begegnete, behandelte sie mit einem gewissen Vorbehalt, doch man schien übereingekommen zu sein, dass ihre geistige Verfassung nunmal etwas labil war und sie die Trennung von ihrem Geliebten nur schwer verkraftete. Sie war den Jägern zugeteilt worden und hatte für den nächsten Raubzug mit ihnen trainiert. Ohne Chakra zu benutzen, einfach nur ihr Geschick mit Waffen und im Nahkampf. Kureiji hatte sie vergnügt herangewinkt und gesagt: „Dann zeig mal, ob du heute nur geblufft hast, oder ob du wirklich so gefährlich bist. Tut dir sicher gut, wenn du beim Training ordentlich Dampf ablässt.“

Was die Jäger von ihr hielten, interessierte sie nicht, obwohl sie sich einzureden versuchte, dass es wichtig war. Morgen würden sie miteinander auf eine dreitägige Erkundungsreise gehen.

Und genau deswegen musste sie jetzt noch zu ihm gehen. Sie atmete tief durch.

Zuerst dachte sie, die Wachen vor der Felsnische, in der Sasuke immer noch an der Eisenstange angekettet war, würden sie gar nicht erst zu ihm lassen. Als sie ihren misstrauischen Blicken begegnete, sagte sie tonlos: „Ich will ihn nicht befreien. Ich will nur mit ihm reden.“

Die Männer in Grau zögerten, sahen, was sie bei sich trug, und nickten schließlich. Sie waren in Hörweite, aber Sakura störte sich nicht daran, als sie zu Sasuke trat.

Seine Hände waren um die Basis des Pfahls gebunden worden und die Ketten hatte man verlängert, sodass er wenigstens einigermaßen bequem auf dem nackten Boden sitzen konnte. Sein Rücken war verkrustet mit Blut und Staub und er sah nicht so aus, als könnte er sich nachts zum Schlafen hinlegen. Er sah sie aus einem müden Auge an. Sein Haar fiel ihm dunkel und matt ins Gesicht.

„Hier“, sagte Sakura nach einigen peinlichen Sekunden des Schweigens. Sie stellte die Schale mit der klaren Suppe vor ihm ab, in der vollgesogene Brotstücke schwammen. Sie wusste, dass die Gefangenen kein Essen bekamen, zumindest noch nicht. Das Gremium würde es nicht erlauben, Verbrecher, die nicht einmal arbeiteten, durchzufüttern. Deswegen hatte es auch noch nie für längere Zeit Gefangene in Neuanfang gegeben. Sie würde ihm daher ihre Ration geben. Wenn sie ab morgen fort war, würde er hungern müssen.

Sasuke warf nicht einen einzigen Blick auf das Essen. „Was willst du?“, fragte er. Seine Ketten rasselten, als er sich bewegte, unterstrichen das raue Krächzen seiner Stimme. „Kommst du um mich zu verspotten? Gefällt dir, was du siehst? Bist du zufrieden damit, was du geschafft hast?“

Es tat ihr weh, das zu hören, mehr, als sie sich selbst eingestehen wollte, selbst wenn nicht stimmte, was er sagte. Ihr Herz fühlte sich an wie mit Nadeln gespickt. Und sie konnte sich nur des Schmerzes erwehren, indem sie die Nadeln eine nach der anderen herauszog, ganz gleich, wie sehr es dann bluten mochte. „Es tut mir so leid“, murmelte sie. „Aber es ist besser, als wenn du in den Kampf ziehst.“

Dafür hatte er nur ein humorloses Schnauben übrig und wandte den Blick ab. „Damals hast du versucht, mich mit einer Liebeserklärung zum Bleiben zu bewegen. Jetzt tust du es mit Ketten und Peitschen.“

„Es tut mir so leid“, flüsterte sie nur wieder.

„Wenn du mir sonst nichts zu sagen hast, dann geh wieder.“ Seine Stimme wurde lauter, ohne dass er sie indes ansah, sie hörte sich an wie eine Säge, die durch Holz fuhr. „Du hast es geschafft. Ich laufe nicht davon. Komm her, wann immer du willst, und erfreu dich an meinem Anblick.“

Jetzt wurde es Sakura doch zuviel – vor allem der Schmerz, den er ihr zufügen wollte. „Und was hätte es gebracht, wenn ich es dir von Anfang an erzählt hätte? Du wärst nur zu Itachi gerannt, du wärst gestorben! Und jetzt, wo du mir schon gesagt hast, dass du mich liebst – selbst jetzt ist dir die Rache immer noch wichtiger? Willst du so sehr Rache nehmen, dass du mich einfach zurücklässt? Dass du mich hier allein lässt, um gegen Itachi und seine Sekte zu kämpfen und zu sterben?“

„Dich allein lassen?“, fragte er und klang so überheblich, wie er früher gewesen war. „Damals in Konoha wolltest du noch um jeden Preis, dass ich dich mitnehme. Vielleicht hätte ich es diesmal ja getan.“

„Unsinn“, zischte sie. „Ja, ich wäre dir im Weg gewesen. Ich hätte nämlich mit aller Macht verhindert, dass du deine Rache antreten kannst.“ Sie ballte sie Faust, aber ihre Stimme wurde seltsamerweise trauriger. „Ich kann nicht glauben, dass dir diese Rache so viel wichtiger ist als ich. Du sagst, du hättest dich in mir getäuscht, aber in Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Du tötest lieber, du stirbst lieber, als dass du mit mir zusammen bist. Ich habe dir vor nicht allzu langer Zeit gesagt, dass Liebe der Stoff sein könnte, der die Leere stopft, wenn du deine Rache bekommen hast. Aber du zündest den Stoff an, um das Loch noch tiefer zu brennen! Was glaubst du, was dir dann noch bleibt, selbst wenn du Itachi tötest? Glaubst du nicht, dass du dann einsam bist?!“

Sie hatte zum Schluss so laut geschrien, dass sie erst wieder Atem schöpfen musste. Er hob den Kopf, aber sein Haar verdeckte immer noch seine Augen, schwer vom stärker gewordenen Regen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem blitzenden, boshaften Grinsen in der herannahenden Dunkelheit. „Wo hab ich so etwas nur schon gehört? Ah, ich weiß schon. Hast du das von Kakashi? Jetzt, wo ich außer Gefecht bin, hast du sicher eine Menge Zeit für ihn. Bist du schon bei ihm eingezogen, damit du nicht allein bist, wenn dich nachts deine Albträume wieder heimsuchen?“

Sakura zuckte zusammen, als er dieses Thema laut aussprach, war mit zwei schnellen Schritten bei ihm und ehe sie wusste, was sie tat, hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Schwer atmend versuchte sie ihre zittrige Wut niederzuringen, während sich seine Backe langsam rot färbte. Es gelang ihr nicht. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“, zischte sie zornig. „Und was glaubst du, wer ich bin? Ich hab dich heute Morgen gerettet, ich hab verhindert, dass sie dir die Finger abschneiden, und jetzt darf ich mich von dir beleidigen lassen? Ich hab jedem in der Stadt gedroht, ich hab mein ganzes Leben für dich in die Waagschale geworfen, verdammt!“

Er sah sie aus einem einzelnen, dunklen Auge an. „Erwartest du jetzt von mir, dass ich mich bedanke?“, knurrte er leise.

Sakura wollte etwas erwidern, ihm etwas gegen seine Arroganz an den Kopf schleudern, als ein Schauer über ihren Rücken rieselte, eine Lawine aus Erinnerungen, ausgelöst von diesem einzelnen Satz. Erwartest du jetzt etwa Dank von mir? Genau das hatte sie Itachi gefragt, als er ihr den Grund seiner Tat genannt hatte. Unbewusst legte sie die Hand auf ihren Bauch. Kurz war sie versucht, es ihm zusagen, von ihrer Vermutung zu erzählen, schwanger zu sein, eine kleine, ihr bislang unbekannte innere Stimme flüsterte ihr ins Ohr, ihm zu erzählen, es wäre sein Kind, um ihn dadurch vielleicht zu beruhigen. Aber sie brachte es nicht über sich. Kakashi hatte recht, sie mochte sich irren. Und eine neue Lüge würde er nicht verkraften, genauso wenig wie sie.

Sie schlug sie Augen nieder. „Sasuke“, flüsterte sie leise. „Du … du Idiot.“ Sie musste einfach irgendetwas sagen. Die Gedanken, die ihren Kopf durchkreisten, ergaben keinen Sinn mehr. Sie drehte sich auf dem Absatz herum. Ehe sie losging, sagte sie noch leise über die Schulter zurück: „Ich habe dich wirklich geliebt. Das ist die Wahrheit.“
 

Es war vorbei. Für Sasuke war sie endgültig gestorben. Und es wäre wohl auch nie gut gegangen. Sie passten nicht zueinander. Und die Schuld lag nicht nur an ihr, das war ihr jetzt klar. Sein Rachewahn entriss ihn jedem, der ihm nahe sein wollte.

Sakura wusste nicht, wie lange sie einfach auf dem Platz in der Mitte der Stadt gestanden war und in den Himmel gestarrt hatte. Der Regen war stärker geworden, dicke Tropfen zerplatzten auf dem Boden, hüllten die trockene Erde in hellen Schein, wo sie zu winzigen, hellen Spritzern zerbarsten. Ihr Haar klebte ihr nass im Gesicht und im Nacken und sie fröstelte, dennoch rührte sie sich nicht.

Leiser als die fallenden Tropfen näherten sich ihr Schritte. Die ausgefransten Ränder eines alten, grauen Regenschirms schoben sich über sie, bis sie den Regen nicht mehr spürte. „Es ist nicht gut, wenn du zu lange im Regen stehst. Am Ende erkältest du dich“, hörte sie Kakashis Stimme.

„Wennschon“, murmelte Sakura, ohne ihn anzusehen.

„Na komm.“ Seine Hand legte sich auf ihre Schulter, er schob sie sanft vor sich her. Die ganze Zeit über starrte sie gedankenverloren auf ihre Füße, und als sie aufblickte, standen sie vor Kakashis Haus. Er öffnete ihr die Tür, spannte den Schirm ab und schüttelte ihn aus. Zögerlich setzte sie ihre Füße in die Hütte. Sasukes Worte kamen ihr wieder in den Sinn, und nun tatsächlich in Kakashis Haus zu sein, war Salz in einer Wunde. Außerdem schien sie nur an regnerischen Abenden herzukommen; wenn es ihr schlecht ging. War es so verwerflich, ein wenig Trost zu suchen?

„Kann ich dir irgendwas anbieten?“, fragte Kakashi. „Tee vielleicht?“

Sie schüttelte den Kopf. Die Jäger hatten neben ihrem Gefangenen und ein wenig Schmuck auch eine Schachtel voller Teebeutel mit heimgebracht, hatte sich Sakura sagen lassen. Als kleine Feierlichkeit für einen gelungenen Plünderungszug hatte das Gremium verfügt, dass die Beutel an die Bewohner verteilt werden sollten. Sakura hatte nichts bekommen, aber sie hatte sich nicht darüber gewundert. Trotzdem schüttelte sie den Kopf. Die Plünderungen waren so erfolgreich gewesen, weil Sasuke dabei gewesen war. Der Mann, der jetzt draußen angeprangert war, im strömenden Regen saß, mit diesen schrecklichen Wunden … Sie hätte ihn heilen sollen, fiel ihr ein. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht? Nicht, dass er es zugelassen hätte …

„Hast du Hunger?“, fragte Kakashi. „Ich habe noch nicht gegessen.“

Die kalte Suppe stand auf dem Tisch, aber Sakura hatte keinen Appetit. „Nein, danke. Ich brauche vielleicht nur … ein wenig Gesellschaft.“

Kakashi sah sie nachdenklich an. „Okay“, sagte er.

Sakura sah ihm zu, wie er nun doch ein Feuer in der Kochstelle in der Ecke des Hauses entfachte, wo der der Rauch durch ein eher zufällig entstandenes Loch schräg oben in der Wand abziehen konnte, und auf dem wackeligen Drahtgestellt einen alten, verbeulten Kessel mit heißem Wasser aufstetzte. „Kakashi“, sagte sie nach einer Weile, als sie sich an den Tisch gesetzt hatte. „Kannst du mir ein paar Fragen beantworten?“

„Sicher.“

„Durch den Chakra-Sturm sind doch die meisten Menschen gestorben, oder?“

„Die meisten, ja.“ Kakashi zog sein Mundtuch herunter und blies gegen die Flammen, die auszugehen drohten.

„Es sind nur noch wenige Überlebende übrig, oder?“

„Ja.“

„Wenn das so ist“, murmelte Sakura bitter, „warum verletzen und töten sich die Überlebenden dann immer noch gegenseitig?“

Kakashi schwieg. Die Flammen knisterten so leise, dass der Regen, der auf das Dach trommelte, sie übertönte.

„Auf dem Weg hierher sind wir einem Ninja begegnet“, fuhr Sakura fort. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte auf die Tischplatte. „Es ging ihm nicht schlecht, er war nicht krank oder verletzt, und er hatte Chakra. Und wir waren auch mit dem zufrieden, was wir hatten. Trotzdem haben wir gegeneinander gekämpft. Trotzdem haben wir ihn getötet. Wenn es so ist, wie du sagst, und es kaum noch Menschen gibt, wieso können wir dann nicht aufhören, uns weiterhin zu bekämpfen? Wir rotten uns aus, und wir wissen es, und trotzdem tun wir es?“

Kakashi schwieg eine ganze Weile, wandte ihr den Rücken zu. „Es ist die Angst“, sagte er. „Jeder hier hat Angst vor der Zukunft. Jeder, der den Sturm überlebt hat, hat so gut wie alles in seinem Leben verloren, sein Zuhause, seinen Besitz, seine Freunde und Familie. All diese Verluste haben die Menschen wachsam gemacht. Sie wollen nicht auch noch das kleine Bisschen verlieren, was ihnen geblieben ist, und sobald ihnen etwas begegnet, das es ihnen auch nur wegnehmen könnte, schlagen sie mit aller Macht dagegen.“ Das Wasser kochte; Kakashi goss zwei Zinnbecher ein, in die er die Teebeutel gehängt hatte. „War es bei dir heute Morgen nicht genauso?“

Sakura schwieg, als er ihr ihren Becher reichte. Sie schloss die Hände darum, obwohl er heiß war. Kakashi setzte sich ihr gegenüber. Eine Weile spürte sie seinen sanften Blick auf sich, dann sagte er: „Sakura, ich weiß, dass du Kummer hast, und das kann ich verstehen. Aber ich kann nicht in dein Herz sehen. Wenn du mit irgendjemandem reden willst, kannst du immer zu mir kommen. Du kannst mir deinen ganzen Kummer anvertrauen, damit du ihn los wirst, ja?“

Sakura roch, wie der Tee langsam seinen Duft entfaltete. „Danke“, murmelte sie.

„Also, was bedrückt dich gerade am meisten? Sasuke?“, fragte er.

„Wenn ich ehrlich bin, ich selbst“, murmelte Sakura trocken. Ihre Handflächen brannten, weil sie den heißen Becher so fest umklammerte, aber körperlicher Schmerz konnte seelischen zumindest beiseitedrücken. „Alles, was ich tue, ist falsch. Sogar hier bei dir zu sein … es fühlt sich an, als würde ich Sasuke verraten.“

„Liebt Sasuke dich denn?“, fragte Kakashi. Sie horchte genau in seine Stimme hinein, aber sie fand keine Heimtücke darin. Es war eine ernste, ehrlich gemeinte Frage.

„Ich bin mir sicher, es hat eine kurze Zeit gegeben, wo er es getan hat“, sagte Sakura tonlos. Immer noch hob sie den Blick nicht vom Rand des Bechers, aus dem wohliger, feuchtwarmer Dampf in ihr Gesicht wallte. „Jetzt glaube ich, dass er mich hasst.“

„Wenn er dich nicht liebt, warum denkst du dann, du könntest ihn verraten?“, fragte Kakashi, wieder so sachlich wie zuvor.

„Ach, was weiß ich.“ Sakura stützte sich schwer mit den Ellbogen auf den Tisch, vergrub die Hände in ihrem Haar. „Egal, was ich tue, ich fühle mich hinterher schuldig.“

Kakashi seufzte. „Du hast eben einfach ein gutes Herz. Ein zu gutes, vielleicht. Denkst du, Sasuke würde seine Taten bereuen, obwohl er viel Schlimmeres getan hat als du? Oder Kureiji, dass er ihn geschlagen hat? Oder Hotaru, weil er es befohlen hat?“

„Hm.“ Vielleicht war sie wirklich zu gutmütig. Warum war sie nicht kalt und abweisend, ohne den Hauch eines Gewissens, nach allem, was ihr widerfahren war? Alles, was sie entwickelt hatte, waren Bitterkeit und Angst. „Vielleicht bin ich als Kunoichi ja eine Versagerin.“

„Wie kommst du jetzt darauf?“

„Ich hab es nie vergessen. Unser erstes gemeinsames Abenteuer im Reich der Wellen. Was du damals gesagt hast, ist mir lange nicht aus dem Kopf gegangen. Dass wir Ninjas nur Werkzeuge des Todes sind und deswegen keine Gefühle brauchen.“ Sakura kippte den Teebecher gerade so weit, dass er nicht überlief, erst in die eine, dann in die andere Richtung.

Wieder seufzte er. Sie sah auf und merkte, dass er wieder das Tuch abgenommen hatte, um am Tee zu nippen, der immer noch so heiß war, dass er ihn sofort wieder abstellte. Es war nach wie vor seltsam, ihn ohne den Mundschutz zu sehen. Fast so, als säße ihr eine andere Person gegenüber … jemand, der ihr unendlich vertrauter war. „Das hat mal gestimmt, ja“, sagte er und sie merkte, wie sorgsam er sich seine Worte zurechtgelegt hatte. „Aber sieh dir an, was von der Welt geblieben ist. So viele sind tot – welchen Zweck haben da noch Werzeuge des Todes? Und wenn wir keine Werkzeuge mehr sind, können wir auch Gefühle zulassen. Vielleicht müssen wir andersherum denken, vielleicht bist du ja die Fortschrittlichste von uns allen.“ Er lächelte, sie sah ihn wahrhaftig lächeln, nicht nur das kaum merkliche Kräuseln seines Mundtuchs, sondern ein richtiges, unverhülltes Lächeln. Winzige Grübchen bildeten sich dabei in seinen Wangen. Es sah so untypisch in seinem Gesicht aus, dass es fast komisch wirkte.

Aber er wollte sie nur trösten. Wollte, dass sie sich besser fühlte. Aber sie wollte sich nicht besser fühlen – zumindest sträubte sich etwas in ihr mit gespreizten Igelstacheln dagegen. „Ach ja?“, sagte sie trocken. „Wenn das so ist, hast du dir schon Gedanken um Gefühle gemacht?“

Er kratzte sich an der Wange, dort, wo normalerweise der Rand seines Tuchs war, und sah mit seinem freien Auge in eine obere Ecke des Raums. „Nun ja, ich habe sogar schon vor einiger Zeit damit angefangen.“

„Und was sind so deine Gefühle?“, hakte sie nach, wollte, dass er klein bei gab, zugab, dass er diese Worte nur vorschützte, um ihr Trost zu spenden. Und während sie sich fragte, welcher Wahnsinn sie eigentlich gerade gebissen hatte, fügte sie hinzu: „Was für Gefühle empfindest du zum Beispiel für mich?“

Er sah sie überrascht an, aber noch mehr überrascht, fast entsetzt, war sie selbst. Was war denn das gewesen? War das aus ihrem Mund gekommen? Eben noch hatte sie ihn verletzen wollen – nun hoffte sie tatsächlich auf Trost, der tiefer ging, als … Sie wich seinem Blick aus, biss sich auf die Lippe. Vergiss es, wollte sie sagen, aber sie brachte es nicht über sich. Sasukes Worte nagten an ihr. Aber sie wollte es wissen, schon so lange wollte sie es wissen …

„Hm, schwierig“, murmelte er, war nicht wirklich verlegen, sondern einfach nur … Kakashi. Ausweichend, lässig. „Du hast mir im Grunde das Leben gerettet, dafür bin ich dir natürlich sehr dankbar.“

„Das ist keine Antwort“, bemerkte sie, obwohl sie befürchtete, dass sie bald Kopfschmerzen bekommen müsste, wenn sie weiter in ihn drang, aber diese laute, impulsive innere Stimme feuerte sie trommelfellzerfetzend an, weiterzumachen. Wenigstens ließ Kakashi die Ereignisse vor dem Sturm außen vor. Es stünde ihr als Schülerin nicht zu, ihren Sensei das zu fragen, und ihm auch wohl kaum zu antworten. Aber diese Welt war Vergessenheit, war Asche, wurde vom Wind verweht, je mehr Zeit verging.

Kakashi kratzte sich am Kopf. „Du drängst mich ganz schön in die Enge“, stellte er fest, klang aber immer noch nicht verlegen oder so. „Vielleicht ist es gar nicht so gut, wenn ich es dir sage.“

„Jetzt will ich es erst recht wissen“, beharrte sie.

Wieder seufzte er und sah sie endlich an, immer noch mit seinem typischen, gelangweilt wirkenden Gesichtsausdruck, aus seinem einen Auge. „Tja, ich fürchte nur, du wirst denken, ich hätte dich aus purem Eigennutz vor Sasuke gewarnt, wenn ich dir sage, dass ich dich eigentlich liebe.“

Sakura starrte ihn mit offenem Mund an. Es war die Art, wie er es gesagt hatte, die sie so sehr verblüffte. Er hatte tatsächlich eine Liebeserklärung in einen unbekümmerten Nebensatz verpackt. Seine Pupille sauste nach oben und auch Sakura wich seinem Blick aus, spürte, wie sie rot wurde. Sie sah dem Tee beim Dampfen zu und sagte leise: „Ich … Es gab eine Zeit, da hätte ich mich über solche Worte von dir gefreut, und das ist noch gar nicht so lange her. Nein – das stimmt auch nicht. Ich wäre … gern mit dir zusammen, zumindest weiß ich, dass ich es sein sollte. Aber ich kann nicht.“ Ihr Blick glitt zum Fenster hin, nach draußen, wo der Regen langsam nachließ. „Es tut mir leid, Kakashi.“

Nur das leiser werdende Prasseln folgte ihren Worten. Schließlich regte sich Kakashi. „Kein Problem. Mir reicht es, wenn ich dir helfen kann, ein bisschen glücklicher zu sein. Und sei es, wenn ich dich nach Liebeskummer trösten muss“, witzelte er.

Sakura schluckte. Er war so grundehrlich … Auch er passte nicht ins Bild dieser neuen Welt, die grausamer war als die alte. Sie hatte ihn mit ihren Sorgen belästigt, die mit Sasuke und Itachi zu tun hatten … Und er hatte ihr sogar gerne zugehört.

„Tut mir leid“, sagte er nach einer kurzen Weile. „Das hätte ich nicht sagen sollen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ist schon gut.“ Sie sah einem Regentropfen zu, der an der Innenseite des glaslosen Fenters zu Boden tropfte.
 

Die Nacht war seltsam. Sakura wusste hinterher selbst nicht genau, wie die Szene zustandekam. Kakashi borgte ihr wieder seine Reservekleider, damit sie trocken schlafen konnte. Sie wickelte sich in die Decke auf seinem Bett ein, wollte aber nicht, dass er wieder auf dem Boden schlafen musste. So rutschte sie bis zur Kante, damit auch er Platz hatte; Kakashi schlief in Unterwäsche. Sie wandte ihm im Schlaf den Rücken zu, fühlte seine Wärme, doch trotz des Platzmangels berührte er sie nicht. Sie schliefen, nicht miteinander, sondern beieinander. Seine regelmäßigen Atemzüge beruhigten sie und sie fühlte sich so geborgen wie bei sonst keinem.

Bevor sie einschlief, ging ihr die Frage durch den Kopf, was wohl aus ihnen geworden wäre, hätten die Jashinisten sie nicht verschleppt. Wie hätte sich das zwischen ihnen entwickelt? Denn dass sich etwas entwickelt hätte, dessen war sie sich mittlerweile sicher. Sie wusste nicht, ob das nicht eine weitere Gelegenheit auf ein wenig Glück in dieser kalten Welt gewesen war, die Jashin ihr genommen hatte.

Als sie aus einem tiefen, ruhigen Schlaf aufschreckte, wusste sie instinktiv, dass noch Nacht war – oder eher, dass noch Nacht sein sollte. Als sie jedoch aus dem Fenster blickte, schien Abend zu sein … nein … das Licht war zu grell, von einem tiefen Orangerot zwar, aber dennoch unnatürlich … Beunruhigt stieg sie aus dem Bett, trat ans Fenster. Sie wusste irgendwie, dass da draußen etwas vor sich ging, irgendetwas, das nicht so war, wie es sein sollte, etwas Schreckliches, Unnatürliches, etwas, das nicht in diese Welt gehörte und dennoch näher und näher an sie herankroch …

Der Himmel glühte in einem eigenen Licht. Die Sonne war nicht zu sehen, was verständlich war, da die Nacht das Land noch umklammert hielt. Mond und Sterne waren aber ebenso nicht zu finden, doch die Regenwolken hatten sich zum Großteil verzogen und gaben den Blick auf einen anderen, hellen Nebel frei, der über der Welt lag und sie in blutiges Licht tauchte. Die verbliebenen Wolken wurden von oben beleuchtet, schimmerten grauviolett. Nebel, der leuchtete? Ein eisiger Schauer kroch ihr über den Rücken. Für einen Moment war sie sogar fest davon überzeugt, dass die Jashinisten Recht hatten und Jashin die Welt mit seiner Anwesenheit beschmutzen würde.

Kakashi trat schweigend hinter sie. Es war so still draußen … sie hatte das Gefühl, dass es eigentlich laut sein müsste, dass dieser Anblick Lärm machen müsste; es war einfach nur unheimlich, dieses stille und unnatürliche Spektakel dort oben … Andere Einwohner von Neuanfang traten aus den Häusern, sahen mit besorgten Mienen zum Himmel empor.

Und dann brach es los.

War der Chakraausbruch damals ein Sturm gewesen, war das hier das genaue Gegenteil … und doch so ähnlich. Durch das Fenster und die Ritzen der Hütte spürte Sakura saugenden Wind, und dann riss in einem Wirbel der rötliche Dampf entzwei, und es sah aus, als würden die Himmel sich teilen. Sakura hörte Kakashi scharf nach Luft schnappen, als der rote Nebel einstürzte, sich zu einer Unzahl von wirbelnden Säulen vereinte, wie feurige Windhosen. Wie zornig zuckende Finger stießen sie aus dem Himmel herab, saugten Wolken ein und schlugen fauchend auf der Erde ein. Der Boden vibrierte, als Stacheln, die nur aus dunkelroter Luft zu bestehen schienen, die Stadt mit einem Schwall von Hitze überschütteten.

Sakura sah mit schreckensweiten Augen zu, wie eine der wirbelnden Säulen einen Stadtbewohner erwischte. Er wurde nicht etwa fortgeweht. Im Bruchteil einer Sekunde vertrocknete seine Haut, blähte sich auf, und der Mann wurde von einer unsichtbaren Kraft in Stücke gerissen, keines größer als ein Staubkorn, einfach pulverisiert wurde er. Auch die Felsen und Bauten, über die die Himmelszungen leckten, lösten sich auf. Glitzernder Staub wehte in alle Richtungen, der rote Dampf prallte vom Boden ab und stieg wieder schräg empor, wie ein Spiegel Lichtstrahlen reflektiert.

Sakura und Kakashi duckten sich blitzschnell, als in einem Meter Höhe eine rot glühende Klinge aus Luft, blattdünn, durch ihr Haus schnitt. Unter lautem Getöse wurde das Dach über ihren Köpfen weggerissen, rotes Pulver regnete herab, brannte auf ihrer Haut. Über ihnen war nichts als glühende Dampfwirbel, wütend und zerstörerisch, und über die Fensterkante hinweg konnte Sakura sehen, dass sich der Nebel überall in der Stadt wie ätzende Säure durch die Gebäude fraß. Geschrei ertönte von draußen, als die Menschen von umhersausenden Trümmern erschlagen wurden, Sakura sah, wie ein glatt gekappter Dachbalken, fortgerissen durch das Vakuum, das den Nebelklingen folgte, in den Brustkorb eines Gremiummitglieds sauste und es aufspießte, und selbst das Blut wurde in winzige Tröpften geteilt und mitgeweht.

Was ist das?“, kreischte Sakura, während sie versuchte, ihren Kopf mit den Händen zu schützen.

Kakashi kauerte neben ihr, den Blick starr auf die Luftwirbel gerichtet, die so substanzlos zu sein schienen und dennoch Materie besaßen, als enthielten sie die Essenz des Todes selbst, das Gegenstück zu allem Leben. „Was nach oben steigt, kommt irgendwann wieder herunter“, murmelte er. Sakura glaubte, dass er das eher zu sich selbst sagte, aber sie ahnte, dass er näher an der Wahrheit dran war, als er sich vielleicht bewusst war.

Wenige hundert Meter stiegen die roten Nebelschwaden noch in die Luft, ehe das Tosen und Brüllen nachließ. Stattdessen verschleierte sich der Blick auf den Himmel nun vollständig.

Als Sakura den ersten Tropfen spürte, dachte sie, es würde wieder zu regnen beginnen, durch den Nebelschleier hindurch, doch als sich das vermeintliche Wasser an ihrer Schulter durch das Hemd saugte, brannte es wie Feuer und ließ sie erschrocken zusammenzucken. Sie riss den Kopf hoch. Mehr Tropfen folgten dem ersten, schienen direkt aus dem Nebel auf sie herabzuregnen. Zuerst dachte sie, die Regentropfen wären schwarz, aber je mehr es wurden und je mehr gegen die Möbel und die Wände ihres nunmehr dachlosen Hauses klatschten, desto sicherer wurde sie, dass sie blutrot waren.

Kakashi stöhnte auf, als der Regen seinen Oberkörper traktierte, Sakura meinte sogar es heiß zischen zu hören. Sie warf sich auf ihn, versuchte ihn mit ihrem Körper zu beschützen, immerhin trug sie seine Kleidung. Doch selbst diese wurde nass und schwer und rot und so heiß, dass ihre Haut juckte und prickelte. Kakashi schob sie mit den Händen weg. „Sakura … der Regenschirm!“ Durch das Prasseln war er kaum zu verstehen.

Ihr Kopf ruckte zur Seite. Wo hatte er ihn am Abend hingelegt? Sie fand das graue, schäbige Ding neben dem Eingang liegen und stürzte darauf zu. Tropfen wie flüssiges Feuer klatschten in ihr Gesicht und ließen sie aufschreien. Sie versuchte ihre Augen zu schützen, doch ihre eilig hochgerissene Hand kam zu spät. Als würden ihre Augäpfel zu geschmolzenem Wachs werden, strahlte bestialischer Schmerz durch ihren Schädel, ließ sie taumeln und stürzen. Sie hörte dumpf, wie Kakashi ihren Namen schrie. Sakura presste den Handballen auf das linke Auge, robbte sich auf allen vieren weiter, zu dem Schirm hin, der so unendlich weit entfernt lag … Schwer zog sie sich durch rote Pfützen, die sich in Windeseile auf dem unebenen Boden der Hütte bildeten, jede einzelne eine Qual wie glühende Kohlen, aber die Kopfschmerzen waren so stark, dass sie sich nicht dazu imstande fühlte, einfach aufzustehen. Ihre Kopfhaut prickelte unter ihren nassen Haaren und es hätte sie nicht gewundert, wenn sie gleich büschelweise ausfallen würden. Sie fühlte, wie etwas Heißes zwischen ihre Finger sickerte, die ihr Auge schützten. Blutete es? Oder war es nur der Regen, der ihre Wange hinablief? Regnete es tatsächlich Blut? Was zum Teufel war das?

Ihre andere Hand fand den Griff des Schirms. Sie riss ihn empor, versprühte rote Tropfen in alle Richtungen und mühte sich ab, ihn aufzuspannen. Als das höllische Stakkato der Tropfen aufhörte und gegen das dünne Plastik trommelte, sah sie sich nach Kakashi um. Er taumelte eben auf sie zu. Sakura zwang sich, aufzustehen. Es klappte sogar, auch wenn es sich anfühlte, als würde das Gewicht der Tropfen, die über den Schirm liefen, sie zu Boden drücken. Kakashi duckte sich unter den Regenschirm und langte ebenfalls nach dem Griff. Sie hörte seinen schnellen Atem. Er sah furchtbar aus; sein Oberkörper war fast ganz in Rot getaucht, erinnerte sie so sehr an Sasukes blutquellende Striemen, dass sie schauderte. Sein Haar hing ihm nass und blutrot in den Nacken und er strich es sich auch immer wieder fahrig aus dem Gesicht. Grässliche Flecken zierten seine Boxershorts.

Ihre vollgesogenen Klamotten brannten auf ihrer Haut, und das Brennen wurde immer schlimmer, ließ sie die Arme schütteln, als könnte sie somit die Armee lästiger, knabbernder Hitzekäfer loswerden. Durch ihre zusammengebissenen, knirschenden Zähne drang ein tiefes, grollendes Stöhnen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus; indem sie es Kakashi überließ, den Schirm zu halten, riss sie sich mit fahrigen Bewegungen sein Hemd vom Leib, schmiss alles fort, was der Blutregen getränkt hatte, behielt nur ihren Slip an, und rubbelte mit den Händen über ihre Haut, versuchte die heiße rote Flüssigkeit davon zu entfernen. Kakashi sah taktvoll weg. Auch seine Schulter- und Brustmuskeln zuckten, als sie Hitze sich durch sie bohrte, und er krümmte sich leicht. Sakura erwatete, Brandblasen zu sehen, aber da war nur das rote, grausige Mosaik zerfließender blutiger Fäden.

Atemlos warteten sie, bis der rote Regen nachließ. Immer wieder gellten Schreie, wo andere Stadtbewohner keinen Unterstand fanden. Da habt ihr es, dachte Sakura grimmig. Glaubt ihr nun, es ist Sasukes Blut, das ihr vergossen habt? Unansehnliche rote Bäche rannen über die Wände und die Möbel ihrer zerstörten Hütte, Pfützen mehrten sich. Die Welt war in Rot getaucht, vom Himmel angefangen über die trockenen Straßen draußen, die die Flüssigkeit nicht aufsaugen konnten. Etwas kitzelte in Sakuras Mundwinkel und gedankenlos leckte sie es weg. Der Spritzer brannte auf der Zunge, aber er schmeckte nicht wie Blut. Er schmeckte nach überhaupt nichts, war einfach nur heiß … oder scharf? Sie spuckte aus, bis sie das prickelnde Gefühl wieder loswurde. Gerade, als es ihr gelang, tropfte etwas auf ihre nackten Schultern. Sie sah nach oben, dachte, Kakashi würde den Schirm schief halten, und erstarrte mit offenem Mund.

Die rote Flüssigkeit sickerte durch den Regenschirm. Sie sammelte sich unterhalb der Kunststoffmembran wie Kondenswasser und tropfte auf sie herunter. Kakashi bemerkte es ebenfalls. Der Regen wurde so dicht, dass man keine zwei Schritte mehr sehen konnte, weiter vorne verschlang eine aus roten Fäden gestrickte Wand die Sicht. Das Prasseln hatte sich zu einem Rauschen gesteigert, und der Schirm ließ so viel von der Substanz durch, als wäre er ein Sieb. „Was ist das?“, rief Sakura, als ein besonders großer Tropfen ihren Nacken traf und ungehindert eine brennende Schmerzspur über ihren Rücken zog.

Kakashi versuchte sich mit der freien Hand zusätzlich zu schützen, doch wann immer ein Tropfen seine Haut berührte, zuckte er zusammen. Sakuras Muskeln begannen zu zucken und sie konnte laute Schreie nicht mehr zurückhalten. So musste man sich fühlen, wenn man in Flammen stand … war das Ende der Menschheit nun endgültig gekommen? Ihre Knie brannten, ihre Beine, ihre Arme, ihr Oberkörper, ihr Nacken, ihre Kopfhaut, ihre Nase, alles, ihre Zehen, die in Pfützen standen, schienen geschmolzen zu sein, zerflossen; sie spürte sie nicht mehr, nur noch schmerzvolle Klumpen an ihren Füßen …

Mit einem heiseren Aufkeuchen brach sie in die Knie, sackte zur Seite, platschte in die Pfütze, entflammte weitere Regionen ihres Körpers, obwohl sie geglaubt hatte, sie würde bereits am ganzen Leib brennen. Hilflos wälzte sie sich umher, wurde schmierig von der roten Masse, doch das unsichtbare Feuer drang weiter durch ihre Haut, tauchte ihr Fleisch und ihre Knochen in puren Schmerz. Der Schirm war plötzlich weg, wie glühende Nadeln war der rasende Sturzbach aus rotem Regen, der über sie hereinbrach. Irgendwo neben sich hörte sie Kakashi stöhnen, auch er rollte sich am Boden hin und her, wollte Flammen ersticken, die nicht da waren. Sakuras Finger fanden seine Hand, klammerten sich so fest um sie, wie es ging.

Und dann platzte etwas in Sakura auf, eine Membran, die unter den trommelnden Tropfen riss, und sie fühlte sich plötzlich von kühler, kraftvoller Energie durchströmt. Sakura riss die Augen auf. Sofort brannte der Regen seinen Weg in ihre Augäpfel, doch sie spürte es kaum mehr. Nach und nach kroch Chakra in ihre Adern, wie sie es seit dem großen Sturm nicht mehr gekannt hatte. Ihre Poren, eben noch mit der blutähnlichen Substanz verklebt, wurden Saatpunkte für eine irre, erfüllende Kraft, die den Schmerz sofort vernichtete. Es war, als hätte ein Medic-nin eine Wunde von ihr geöffnet und das Gift herausgesaugt. Es war plötzlich alles viel leichter als vorher.

Sie spürte Kakashi an ihrer Hand ziehen und stand auf. Sie war überrascht, wie leicht es ihr fiel. Nach wie vor verwandelte der Regen sie beide und die ganze Umgebung in das Abbild puren Horrors, doch dem Albtraum entsprang eine vage Hoffnung auf ein tröstliches Erwachen.

Kakashi hatte die Hand ausgestreckt und ließ die Tropfen in die Handfläche fallen. „Kein Regen“, murmelte er. „Das ist …“

„Was nach oben steigt, kommt irgendwann wieder herunter“, murmelte Sakura.

Sie wusste nicht, was genau um sie herum passierte. Sie konnte nur Vermutung anstellen, und wahrscheinlich könnte dieses Ereignis nicht einmal begreifen, wenn sie es genauer untersuchen könnte. Aber ihre Chakravorräte waren mit einem Mal wieder zum Bersten gefüllt, als wäre der Regen tatsächlich unter ihre Haut gedrungen und hätte ihr Chakrasystem gespeist …

„Das muss die letzte Nachwirkung des Chakrasturms sein“, sprach Kakashi ihre Vermutung aus. „Das ganze Chakra, das der Welt entrissen wurde, hat sich hoch in der Luft gesammelt wie Wasserdampf. Und wie Regen kehrt es jetzt zurück.“

Sakura schüttelte fassungslos den Kopf. Es kam ihr plötzlich wie ein Wunder vor. „Aber … ist Chakra nicht blau?“

„So war es bis jetzt“, murmelte Kakashi. „Vielleicht hat der Sturm nicht nur die Farbe von Feuer und Stein geändert. Vielleicht sind diese Regentropfen dasselbe Material wie die Kristalle, die Itachis Leute abbauen, nur in flüssiger Form, und vielleicht ist auch wirklich Regen dabei und der ist rot gefärbt. Ich weiß es nicht.“

Gerade, als er das sagte, merkte Sakura, wie der Regen wieder nachließ. Bedeutete das, das Chakra war weltweit zurückgekehrt? Die Tropfen waren durch den Regenschirm gedrungen, vielleicht konnten sie sogar durch intakte Dächer sickern? Als würde das Chakra um jeden Preis zu seinen Eigentümern zurückwollen …

Es wurde dunkler, als der Regen aufhörte. Das unheimliche rote Glühen verschwand, der Nachthimmel wurde langsam sichtbar. Sakura atmete tief durch, streckte entspannt die Arme aus – und plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke, der sie zutiefst erschrak. Wie hatte sie ihn nur vergessen können?

„Kakashi, das heißt doch, dass …“ Ein helles Leuchten unterbrach sie, ein Blitz, der bis weit in den Himmel reichte, verästelt und blau und gleißend, und er kam aus der Richtung, wo Sasuke angekettet war – oder bis vor kurzem noch angekettet gewesen war.

„Sasuke!“, schrie Sakura und stürmte los.

„Sakura, warte!“ Kakashi folgte ihr. Ihre Füße ließen die Pfützen spritzen. Sakura sprang kraftvoll vom Boden weg, und als sie landete, regenerierte die rote Flüssigkeit sofort das Chakra, das sie dadurch verbraucht hatte.

Sie kam zu spät. Sasukes Marterpfahl war verlassen. Zwei Leichen lagen davor, die seiner Bewacher, und ihr Blut vermischte sich mit den roten Chakrapfützen. Sakura meinte, einen Schatten in der Dunkelheit davonhuschen zu sehen, aber nicht einmal dessen war sie sich sicher. Obwohl sie regelrecht vor Kraft strotzte, knickten ihre Beine ein und sie sank in sich zusammen. „Sasuke“, murmelte sie, während der Regen endgültig aufhörte. Rote Tropfen fielen aus ihrem Haar.

Er hatte sich befreien können. Und sie wusste genau, wo er nun hinwollte.

Kakashi erreichte sie und legte ihr sein Hemd über die Schultern. Sie hatte ganz vergessen, dass sie fast nackt war. Dankbar zog sie es wieder an. Das feurige Gefühl von vorhin blieb aus. „Er ist fort“, murmelte sie.

Kakashi antwortete nicht, aber er seufzte, während im Osten ein schmaler Streifen Tageslicht die blutige Landschaft erhellte und die anderen Bewohner der Stadt aus den Überresten ihrer Häuser traten. Sakuras Blick glitt zu dem Schild, das neben dem Marterpfahl lag. Es war das Schild, das über dem Eingang zur Stadt gehangen hatte. Sakura fragte sich, wie es hierhergekommen war, wahrscheinlich hatte das Vakuum es hergeweht. Arata na Hajimari, stand darauf. Und es war mittendurch gebrochen und fast unleserlich geworden.

Es erinnerte sie an Sasukes Ninjastirnband, als der Kratzer darauf das Zeichen von Konoha duchkreuzt hatte.

Albtraumwelt

„Sakura“, murmelte Kakashi gedämpft.

„Er ist weg“, flüsterte sie apathisch. Vielleicht hätte sie weinen sollen, aber Tränen kamen keine. Die Hitze hatte ihre Augen ausgetrocknet, so fühlte sie sich jedenfalls.

„Sakura, wir sollten uns beeilen.“

„Womit?“ Sie sah ihn fragend an. Der Himmel hatte einen seltsamen Grünstich; die Minuten in vollkommenem Rot verwirrten nun ihre Sinne. Hatte Kakashi etwa vor, Sasuke hinterherzueilen?

Ein gutturaler, wütender Schrei hallte durch die Gassen der zerstörten Stadt. Sakura glaubte, Kureijis Stimme zu hören. Eine Kunoichi, die bei den Jägern war, landete auf der Spitze eines Felsens in der Nähe, von wo aus sie zu ihnen herabsah. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Leichen inmitten des Blutmeeres sah. „Was hast du getan?“, keuchte sie und starrte Sakura hasserfüllt an. Sie zog zittrig ihr Schwert. Ihr Gesicht war eine rote Grimasse, die Haare verklebt von dem Chakraregen und die graue Kleidung dunkel und schwer und nass. Ihre Augen funkelten vor Wahnsinn, dem bodenloser Schrecken zugrunde lag.

„Nein!“ Sakura sprang auf. „Das war ich nicht!“ Ihre eigene Stimme klang kaum weniger hysterisch. Plötzlich erkannte sie, was Kakashi gemeint hatte. Der Regen hatte nicht nur das Chakra zurückgebracht. Er hatte die Ninjas wieder auf eine Stufe gestellt, und sie, Sakura, die gedroht hatte, Chaos in Neuanfang zu säen, vor den Leichen von Sasukes Bewachern, drückte ihr ein glühendes Brandzeichen auf die Stirn. Sie war gefährlich.

Die Kunoichi stieß einen langgezogenen, fast heulenden Schrei aus und stürzte sich auf sie.

„Bleib zurück.“ Kakashi streckte den Arm aus, wie einen Schranken, und formte schließlich Siegel. Gleißende Blitze zuckten aus seiner Handfläche.

„Misch dich nicht ein!“, kreischte die Kunoichi und versuchte, neben ihm vorbei nach Sakura zu stechen. Ein fataler Fehler. Kakashis Raikiri schlug eine tiefe Wunde in ihre Seite und ließ sie unter kaum noch menschlichen Schmerzenslauten zusammenbrechen. Er hatte sie nicht getötet, aber sie war kampfunfähig.

Kakashi packte Sakuras Handgelenk. „Du musst fliehen. Ich weiß, dass Hotaru dich hasst, und in diesem Chaos findet er sicher einen Weg, dich zu töten.“

Sakura schüttelte stumm den Kopf. Wo sollte sie denn hin? „Nicht ohne dich“, flüsterte sie. „Lass wenigstens du mich nicht allein. Ich habe alle anderen verloren.“

„Ich komme nach“, sagte er, aber es klang zu schnell dahingesagt. Kureijis Schreie wurden lauter, er dirigierte andere in ihre Richtung. „Ich halte sie auf. Lauf! Du kannst es jetzt schaffen.“

„Wieso?“, schrie Sakura aufgelöst. „Wieso kannst du nicht mit mir kommen? Was schuldest du diesen Leuten?“

„Ich habe mich für euch verbürgt“, sagte er und lächelte, selbst in dieser Situation lächelte er. „Ich werde für alles gerade stehen, was sie glauben, euch anhängen zu müssen. Ich weiß, wie Hotaru tickt. Keine Sorge, ich kann ihn sicher überzeugen, euch zu vergeben. Wenn ich mit dir fliehe, wird er uns jagen, da bin ich mir sicher. Er ist verbohrt genug, seine Stadt rächen zu wollen.“

Sakura sah sich um und erkannte, was er meinte. Neuanfang gab es kaum noch. Aus den Türritzen der Häuser quoll rotes Regenwasser, viele Dächer waren fortgerissen worden, einige Bauten komplett eingestürzt. Auch das provisorische Gefängnis war darunter; der gefangene Ninja war entweder begraben worden oder geflohen.

Dennoch schüttelte sie den Kopf, deutete auf die gefällte Kunoichi, die sich stöhnend krümmte. „Du hast sie verletzt.“

„Sie war wahnsinnig“, sagte er. „Sakura, vertrau mir. Hotaru braucht mich, wenn er diese Stadt je wiederaufbauen will. Er wird mir nichts tun, und ich werde es zu meinen Bedingungen machen, dass er euch in Ruhe lässt.“ Euch. Er half zu ihr und Sasuke, um ihretwillen. Sakura schluckte hart. Vertrau mir. Er war der einzige, dem sie vertrauen konnte. „Wenn sie dir etwas antun wollen“, brachte sie mit zittriger Stimme hervor, „dann warte die Bestrafung nicht ab. Töte sie alle und komm nach.“ Sie war erstaunt, wie leicht ihr diese Worte fielen.

Er gab keine direkte Antwort. „Wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich“, sagte er und schloss sie ein letztes Mal in die Arme, ihren ausgehungerten, blutrot verschmierten Körper, fuhr mit den Fingern durch ihr verfilztes Haar, presste sein Gesicht in die Strähnen. „Bald.“

Kureiji tauchte hinter den Ruinen der Häuser auf und ihm folgte ein wütender Mob aus roten Gestalten mit erhobenen Waffen.

„Jetzt, Sakura“, sagte Kakashi drängend, als sie keine Anstalten machte, sich von ihm zu lösen. Sakuras Blick flackerte in die Richtung der Ninjas, dann, ehe sie wusste, was sie tat, ergriff sie Kakashis Gesicht, zog seinen Kopf herab und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann lief sie, hielt seine Hand, seine Finger noch so lange fest, wie es ging. Mit einem kraftvollen Sprung setzte sie über die Stacheldrahtmauer der Stadt hinweg, ließ Geschrei und Wut und Blut und den Neuanfang hinter sich. Mit Hoffnung und Reichtum und Sasuke an ihrer Seite hatte sie die Stadt erreicht. Zerschlagen, besitzlos und allein verließ sie sie wieder.

Es war es nicht wert gewesen.
 

Auch das endlose Grasmeer hatte der rote Regen niedergedrückt und blutige Bäche durchzogen das Feld der platten Halme. Sakura rannte ohne innezuhalten darüber, zog sich Kakashis Hemd im Laufen an. Ihre nackten Füße glitten mehrmals auf dem glitschigen Boden aus, doch selbst ihre Stürze verwandelte sie in Schwung, rollte sich ab und sprang wieder auf. Das Grasfeld endete so viel schneller, als sie es in Erinnerung hatte. Im Wald kam sie noch rascher voran, sie sprang von Ast zu Ast, fühlte immer noch die unbeschreibliche Energie ihres voll aufgefüllten Chakras in sich. Jeder Sprung prellte hart durch ihre Fersen. Schließlich musste sie landen und ihre Füße behandeln; sie hatte Blasen bekommen, die teilweise aufgeplatzt waren, und die rissige Rinde der Bäume hatte ihre Haut aufgerissen. Das Chakra, das sie für die Heilung verbrauchte, war schnell wieder regeneriert, als sie durch eine kniehohe Regenpfütze watete; selbst in diesem Wald war nicht weniger Regen gefallen als auf freiem Feld, er war durch die Blätter genauso gesickert wie durch ihren Regenschirm und noch weigerte sich der Boden, das rote Wasser aufzunehmen.

Innerhalb weniger Minuten legte sie die Strecke zurück, für die sie und Sasuke Stunden gebraucht hatte. Sie war nicht so töricht anzunehmen, dass sie ihn einholen konnte.

Aber immerhin wusste sie mit vollkommener Sicherheit, wohin er unterwegs war.

Diesmal nicht, dachte sie, während sie von Baum zu Baum sprang und rote Blätter an ihr vorbeirauschten wie Wind. Er hatte sie schon einmal für seine Rache zurückgelassen. Offenbar wollte er es nicht lernen. Offenbar wollte er nicht einmal für Liebe davon ablassen.

Diesmal würde sie nicht denselben Fehler machen wie damals. Nie wieder.
 

Schreiend brach der Mann zusammen und krümmte sich. Schwarze Flammen wuselten über ihn wie Heuschrecken über ein sattes Feld. Die anderen Ninjas sahen ihn mit unbehaglichen Blicken an, beobachteten, wie sich seine Haut und seine Haare stinkend von seinem Körper lösten und er irgendwann zu schreien aufhörte. Erst, als nur noch pechschwarze Asche von ihm übrig war, streckte sich Kaze und ließ seine Schultergelenke knacken. „Ich hab euch gewarnt. Noch jemand, der unbedingt da rein will?“ Er deutete lässig auf den Zugang zum Haupttunnel, in dem die Sekte die Chakrakristalle abgebaut hatte. Der Tunnel war vollständig mit schwarzen, zuckenden Flammen gefüllt, der bloße, nackte Stein brannte und ließ sich nicht mehr löschen.

„Halt die Klappe“, murrte ein Ninja aus Sunagakure, der erst kürzlich zu den Minen gestoßen war. „Sag uns, wie wir da reinkommen.“

„Gar nicht“, meinte Kaze leichthin. Er saß auf dem Geländer, wo früher ein Wachposten gewesen war, und kaute an einem verrunzelten Apfel herum. Mit vollem Mund sagte er: „Es sei denn, ihr wollt den ganzen verdammten Berg sprengen. Dann wünsche ich euch viel Spaß. Aber vergesst nicht, dass ihr damit vielleicht auch die Chakravorräte vernichtet. Ich schlage vor, ihr tut, was Itachi verlangt, das ist einmalig und einfacher.“

„Und was will dein Itachi?“, knurrte der Ninja verächtlich.

„Einen letzten Gefallen, bevor ich die Minen wieder öffne und euch eure Entlohnung gebe“, sagte Itachi von seinem Platz auf dem Felsvorsprung über dem Eingang aus. Die Köpfe der Versammelten ruckten zu ihm hoch. Er musterte sie. Es waren weniger, als er erwartet hatte. Als in der Nacht plötzlich der rote Regen niedergegangen war, hatte es ein heilloses Durcheinander gegeben, aber bald hatten die Ninjas erkannt, dass ihr Chakra zurückgekehrt war. Einige von ihnen hatten sich im Morgengrauen zusammengerottet, um die Minen zu stürmen und Itachi somit zu entmachten. Doch Itachi hatte das vorhergesehen und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen.

Ein Tunnel aus Feuer seines Amaterasus blockierte den Weg zu den kostbaren Kristallen und den gelagerten Fässern mit der bereits gelösten Flüssigkeit, die immer noch einen gewaltigen Schatz für jeden Ninja bedeuteten. Und nur die Mangekyou Sharingan vermochten die Flammen wieder zu ersticken.

„In der alten Welt hat es versteckte Ninjadörfer gegeben, deren Bewohner gemeinsam für ihr Wohl gekämpft haben“, sagte Itachi bedeutungsschwer. „Das wiederholt sich nun. Ihr seid hierher gekommen und eine neue Gemeinschaft geworden.“

„Gemeinschaft? Pah!“, schnaubte der Sandninja abfällig.

Itachi ließ sich nicht beirren. „Im Norden gibt es ebenfalls eine Gemeinschaft. Ihre Ninjas haben etliche unserer Kristalle gestohlen. Es ist gut möglich, dass sie uns irgendwann gefährlich werden können.“

„Also sollen wir sie für dich erledigen?“, fragte Kaze, der Itachis Plan nur zur Hälfte gekannt hatte.

„Das liegt in eurem Ermessen. Ich will, dass ihr drei Dinge für mich tut. Was ihr darüberhinaus mit der Gemeinschaft anstellt, interessiert mich nicht.“

Der Sandninja verschränkte die Arme, sie alle lauschten aufmerksam.

„Ihr werdet euch zu der Stadt dort im Norden begeben. Wenn ihr auf dem Weg dorthin einem Ninja begegnet, der auf den Namen Uchiha Sasuke hört, soll ihn jemand zu mir geleiten. Sagt ihm, sein Bruder erwartet ihn, dann wird er vermutlich mitkommen. Die anderen setzen ihren Weg zu der Stadt fort und bringen die Chakrakristalle, die sie dort bunkern, zurück. Passt auf, die Ninjas werden sich zu wehren wissen.“

„Nichts leichter als das.“ Der Sandninja klopfte sich gegen die Brust.

„Und der dritte Gefallen?“, fragte Kaze und grinste, als ahnte er schon, worum es gehen würde.

„In der Stadt oder auf dem Weg dorthin werdet ihr vielleicht auf eine junge Frau treffen. Sie bringt ihr ebenfalls zu mir, aber ihr darf nichts geschehen. Bringt sie in der Nähe unter, bis ich mit meinem Bruder fertig bin. Sie sollen einander, wenn möglich, nicht begegnen.“

„Ich wusste es“, grinste Kaze.

Itachi zog etwas aus dem Ärmel seines Mantels und ließ es zu Kaze flattern. Er hatte es in den Trümmern von Konoha gefunden, als er das Mädchen dorthin gebracht hatte. „Das ist sie?“, fragte Kaze, als er sich das Bild ansah. „Bisschen jung für dich, meinst du nicht?“

„Das Bild ist über drei Jahre alt“, sagte Itachi.

Kaze studierte die anderen Gesichter auf dem schmutzigen, verblichenen Papier. Der Rahmen war verschwunden und ein Rand war ausgefranst. „Und der auf der linken Seite? Ist das dein Bruder?“ Er wartete die Antwort gar nicht ab. „Was sollen wir tun, wenn wir auf die anderen treffen?“

„Der blonde Junge wird nicht mehr am Leben sein. Wenn ihr dem weißhaarigen Mann begegnet, passt auf, dass ihr diese Begegnung überlebt.“
 

„Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?“, brummte Hotaru. Er sah zerschlagen aus, hatte offensichtlich versucht, sich die roten Spuren vom Gesicht zu waschen, doch es gab kein Wasser in der Nähe, das nicht ebenfalls gefärbt war.

Kakashi stand in den Resten des Versammlungshauses – was schlicht bedeutete, dass er mit gefesselten Händen inmitten scharfkantiger Trümmer stand. Die vernichtenden Hitzestacheln vor dem Blutregen hatten es erwischt. Die anderen Gremiummitglieder standen um ihn herum, ebenfalls in den Trümmern, Hotaru ein wenig erhöht. Einige der Mitglieder fehlten, ein älterer Mann schien an der Grenze zur Bewusstlosigkeit zu stehen und brabbelte zusammenhangloses Zeug vor sich hin. Selbst Kureiji schien noch geschockt, seine Kiefermuskeln traten hervor, er hatte die Zähne zusammengebissen, seit sie Kakashi hierher gebracht hatten.

„Was wirft man mir denn vor?“, fragte Kakashi ruhig.

Hotarus Miene verfinsterte sich. „Dein Verhalten hat Neuanfang geschadet“, konstatierte er. „Du hast dich für diese beiden … Gören verbürgt.“

„Weder Sakura noch Sasuke waren für den roten Regen verantwortlich“, erinnerte ihn Kakashi. „Und es war auch nicht Sakura, die seine Wachen getötet hat, das ist doch wohl jedem hier klar. Sasuke hat sich aus eigener Kraft befreit, aber das war zu erwarten gewesen. Wir waren alle nicht auf den Chakraregen vorbereitet. Weder du noch ich.“

„Rede nicht so affektiert daher!“, donnerte Hotaru überreizt. „Du hast selbst eine der unseren verletzt!“

Kakashi nickte. „Die Wunde ist nicht lebensbedrohlich. Die Kunoichi war verrückt. Auch das solltet ihr bereits gesehen haben. Alles, was ich tun konnte, war, sie ruhig zu stellen. Sie wäre womöglich zu einer neuen Gefahr für Neuanfang geworden, wenn sie blindlings gewütet hätte.“

„Erzähl mir hier keine Geschichten!“ Hotaru schlug kraftvoll auf das Wandstück neben ihm, das unter seiner wiederhergestellten Kraft zersprang. „Du wolltest nur diesem Mädchen die Flucht ermöglichen, damit sie ihrem Liebsten nachrennen kann!“

Kakashi blinzelte. Er hoffte inständig, dass Sakura das nicht tat. „Es gibt in Neuanfang kein Gesetz, weder geschrieben noch ungeschrieben, dass man die Stadt nicht verlassen darf. Im Gegenteil – wenn ich mich richtig erinnere, haben wir diejenigen, die wir nicht brauchen können, immer verstoßen.“

„Zum Donnerwetter!“, brüllte ihm Hotaru entgegen und Speicheltröpfen wurden vom Wind fortgetragen. „Du musst auch auf alles eine Antwort haben! Wie lange willst du dich noch herausreden?“

„Hotaru“, sagte Kakashi ruhig. „Ich habe dich als einen Mann kennen gelernt, der imstande ist, die Situation, in der er sich befindet, kühl zu analyiseren und passende Maßnahmen zu ergreifen. Habe ich mich so in dir getäuscht?“

Die Augen des Gremiumoberhaupts funkelten ihm zornig entgegen. „Pass auf, was du sagst. Dein Leben liegt in unserer Hand.“

„Mein Leben ist nie in einer anderen Hand als meiner eigenen gelegen“, entgegnete Kakashi. „Abgesehen davon solltest du wissen, dass du mich brauchst.“

Hotaru lachte schallend, doch es klang nicht echt.

Er spielte sich selbst etwas vor, erkannte Kakashi. Er fuhr fort: „Wenn wir dem gefangenen Ninja Glauben schenken, hat sich im Süden eine Armee versammelt. Selbst wenn es keine Armee ist, sondern nur eine größere Truppe Ninjas – ihr Chakra ist genau wie unseres wiederhergestellt, und selbst wenn es das nicht wäre, haben sie die Kristalle, um es zu erhöhen.“ Der Gefangene war geflohen. Die Staubsäulen hatten das Dach seines Gefängnisses zerstört und der Blutregen hatte ein Übriges getan, eine Leiche hatte man aber nicht gefunden. Vielleicht begegnete er ja Sasuke auf dem Weg nach Süden. Kakashi war sich nicht sicher, ob er das begrüßen würde.

Endlich schien Hotaru ihm zuzuhören, denn er schwieg nachdenklich. „Und warum sollten sie uns angreifen?“

„Sie haben allen Grund. Wir haben ihre Kundschafter überfallen und die Chakrakristalle geraubt, ihre Leute getötet und gefangen genommen. Warum sollten sie jetzt, wo sie nicht mehr fürchten müssen, ihre Kräfte zu verschwenden, zögern, sich zu rächen und sich ihr Eigentum zurückzuholen? Abgesehen davon gibt es in Neuanfang einiges zu holen.“

Hotaru ging auf seiner kleinen Plattform, die die eingebrochene Wand gebildet hatte, auf und ab. Kakashi wusste, dass das Gremium am Ende seiner Pläne war. Solange alles relativ rund gelaufen war, hatten sich die Leute in ihre Rollen als Anführer eingelebt – doch mit der neuen Situation waren sie nun überfordert. Plötzlich war diese Welt keine untergegangene mehr – aber was sie stattdessen war, eine wiederauferstandene oder nur eine auf neuerliche Art verwüstete, musste sich erst zeigen.

„Ich werde noch darüber reflektieren“, sagte Hotaru. „Und damit meine ich, was mit dir geschehen soll. Ich verlasse mich nicht auf den Humbug, den ein Gefangener erzählt. Es gibt keine Ninjaarmee. Es gibt nur diese schwächlichen Nicht-Ninjas, die den Namen irgendeines verrückten Dämons rufen, wenn man sie aufschneidet.“

„In dieser Zeit jemanden zu unterschätzen kann tödlich sein“, murmelte Kakashi.

„Und drohen lasse ich mir von dir auch nicht!“, bellte Hotaru. „Bringt ihn weg, und seht verdammt nochmal zu, dass er nicht entkommen kann!“

Als Kueriji ihn mit einem unsicheren Grinsen abführte, dachte Kakashi, dass die Hoffnung von Anfang an in den Händen des falschen Mannes geruht hatte. Hotaru war durch den Niedergang der Welt zu einem Anführer aufgestiegen. Nun, durch die Wiedergeburt derselben, war er wieder das, was er früher gewesen war, was immer das sein mochte. Seine Macht löste sich auf wie Rauch im Wind, und in dem fruchtlosen Versuch, den Rauch mit den Händen festzuhalten, brachte er womöglich sogar die Glut zum Erlöschen.
 

Eichis Atem ging schnell und pfeifend. Seine Sprünge führten ihn durch einen blutigen Dschungel. Rotes Chakrawasser tropfte von Bäumen, Ästen und Blättern, und zwar ständig und überall, regnete auf ihn herab, während er von Ast zu Ast hüpfte. So hatte er sich einen Regenwald vorgestellt, einen Regenwald des Grauens.

Sein Verfolger holte rasch auf. Immer wieder flackerte Eichis Blick nach hinten, erwartete, die Person, deren Chakra er spürte, in Fleisch und Blut zu sehen, doch noch war nur ein Schatten weit hinter dem Vorhang aus blutigen Tropfen zu sehen.

Ein einziger Moment der Unachtsamkeit wurde ihm zum Verhängnis. Eichis Fuß glitt an der glitschigen, roten Rinde eines Astes ab und mit einem erschrockenen Aufschrei trudelte er in die Tiefe, wo er es wenigstens schaffte, unbeschadet mit den Füßen auf dem schlammigen Boden zu landen, wo die Erde unter ihm aufspritzte, als er bis zu den Knöcheln darin einsank.

Mehr brauchte sein Verfolger nicht. Ein blauer Blitz kündigte ihn an. Eichi sprang mit einem Salto davon, als er dort einschlug, wo er gestanden war, und den Schlamm unter Strom setzte. Als das blaue Knistern verschwunden war und Eichi wieder landete, schoss der Schatten zwischen den Bäumen hervor und landete auf einem Ast, keine zwei Meter über dem Waldboden. Sein Gesicht war eine rote Maske, sein Oberkörper entblößt und die Haut zerfetzt und rissig.

Eichi schluckte. Er hatte natürlich gewusst, wer ihn verfolgte. „Was willst du von mir?“, rief er mit zitternder Stimme, als er in Sasukes kalte Augen sah. Einen Kampf mit ihm konnte er nicht gewinnen, das wusste er. Auch wenn sein Chakra wieder aufgefüllt war, er beherrschte nur wenige Techniken, die sich für einen Kampf eigneten. „Ich hab keinen Streit mit dir! Ich sollte nur … Dein Bruder!“, fiel ihm ein. „Ich kennen deinen Bruder! Ich kann dich zu ihm bringen! Es geht ihm gut, also keine Sorge!“

„Das hoffe ich“, sagte Sasuke, aber er klang nicht erleichtert, sondern grimmig. Er hob sein Schwert – nein, nicht sein Schwert, erkannte Eichi, bei ihrer letzten Bewegung hatte er ein anderes gehabt.

„Warte! Ich hab kein Problem mit dir, ehrlich!“, schrie Eichi verzweifelt, als Sasuke sich vom Ast abstieß und auf ihn zusauste. Schnell formte er Fingerzeichen. „Douton! Dojou no Shuriken!“ Zwei Wurfsterne aus rot getränkter Erde brodelten aus dem Schlamm unter ihm hervor und schossen Sasuke entgegen, zermalmten ihn zu weißen Schlangen. Schon wieder ein Doppelgänger!

Eichi fuhr herum, sah den Ninja von der anderen Seite angreifen und rollte sich ab. Schlamm griff mit kalten Fingern über seinen Nacken und Rücken, während er wieder auf die Beine kam. Die Klinge von Sasukes Schwert surrte haarscharf über seinen Kopf hinweg. Eichi stieß einen Wutschrei aus, schlug seinen Schwertarm zur Seite und seine andere Faust knallte mit einer Wucht gegen Sasukes Brustkorb, die ihn von sich und gegen einen nahen Baumstamm schleuderte. Eichi wiederholte sein Jutsu; der Schlamm zu seinen Füßen hatte sein Chakra sofort wieder regeneriert. Diesmal formte er einen einzigen, riesigen Wurfstern aus Erde, gepresst und hart wie Stein, und noch ehe Sasuke von dem Baum abrutschen konnte, wurde er von dem Shuriken durchbohrt.

Diesmal war es kein Doppelgänger. Der Stern steckte quer in Sasukes Brust, nagelte ihn an den Baum und ließ sein Blut zu Boden laufen. Eichi ließ einen zweiten Shuriken folgen, der sauber seinen Kopf abtrennte, und atmete auf. Immer noch hatte er das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen. Aber er hatte es geschafft. Er hatte tatsächlich Sasuke Uchiha besiegt. Er hatte …

Ein scharfer Schmerz bohrte sich von hinten durch seinen Brustkorb und wurde zu einer blutigen Klinge, die zwischen seinen Rippen hervorstach. Diesmal blieb ihm die Luft entgültig weg. Eichi würgte, als Blut seinen Hals hochsprudelte. Aber er hatte doch …

Sein Blick, der immer mehr verklärte, wanderte einmal mehr zu dem Baum. Kein Sasuke, der dort festgesetzt war. Zwei Erdshuriken, die bereits zu bröckeln begannen, steckten einsam in der Rinde. Genjutsu …, ging es ihm noch durch den Kopf, ehe die Welt in Schwarz getaucht wurde.
 

Sasuke musste nicht lange warten. Kurz nachdem dieser Grasninja sein Leben ausgehaucht hatte, hatte er sie gehört. Also blieb er, wo er war.

Nacheinander tauchten sie aus dem Dickicht auf. Ninja um Ninja verschiedenster Herkunft landete im Schlamm oder auf den Ästen, als sie ihn bemerkten. Das war also die Armee, die der arme Tropf zu Sasukes Füßen erwähnt hatte. Er musste sich eingestehen, dass er beeindruckt war. Armee war zwar immer noch zu viel gesagt, aber es hatten wohl doch weit mehr Ninjas die Katastrophe überlebt, als er gedacht hatte. Da keiner von ihnen offenkundig Sharingan besaß, musste es sich um wahre Glückspilze handeln.

„Du da!“, rief ihm einer der Shinobi an der Spitze zu, der das Symbol des Reichs des Windes auf dem Stirnband trug und darunter ein Kopftuch, wie es für die Bewohner von Sunagakure üblich war. „Bist du …“

Er wurde von einem jungen Ninja unterbrochen, der neben ihm gelandet war. „Eichi!“, schrie er. Sasuke erkannte ihn, er war auch einer der Grasninjas, gegen die er mit den Jägern in den Ruinen gekämpft hatte. Seinen Namen hatte er sich nicht gemerkt.

Der Ninja starrte den Toten an, dann Sasukes Schwert, von dem noch Blut tropfte, dann ihn. Sein Unterkiefer zuckte. „Du Mistkerl! Du hattest keinen Grund, ihn umzubringen! Du verdammtes Schwein!“ Er zog einen gebogenen Kunai und ließ Windchakra darin auflodern, doch als er von dem Ast springen wollte, streckte der Wüstenninja den Arm aus und hielt ihn zurück.

„Ruhig, Kleiner. Wir haben strikte Anweisungen. Wenn du ihn umbringst, wird Itachi nicht erfreut sein.“

Sasukes Augenbraue zuckte. Also steckte tatsächlich sein Bruder hinter diesem Ninjaaufgebot … das war ebenso überraschend wie ungemütlich.

„Itachi kann mich mal!“, brauste der junge Grasninja erbost auf. „Er hat meinen Teamkameraden auf dem Gewissen, meinen Freund, verdammt nochmal! Itachi hat uns zugesichert, dass ihm nichts passiert!“ Wieder wollte er in blinder Wut vorstürzen, doch diesmal packte ihn je ein Ninja unter den Achseln.

„Ruhig Blut, Kaze, das bringt nichts“, sagte einer von ihnen beschwörend.

„Lasst mich los! Ich bring diesen Kerl um, ich tu’s!“, krächzte der Grasninja mit sich überschlagender Stimme.

Der Sandninja achtete gar nicht mehr auf ihn. „Du bist nicht zufällig Uchiha Sasuke oder, der Bruder von Uchiha Itachi?“ Es war eine rein formale Frage, natürlich wussten die Ninjas, wer er war.

„Und wenn?“

„Dann hast du genauso großes Glück wie wir. Wir sollen dich zu deinem Bruder eskortieren.“

Sasukes Miene verfinsterte sich. „Ich habe keine Lust, mich eskortieren zu lassen. Falls Itachi sich noch in dieser Kristallmine versteckt, kenne ich den Weg.“ Das hier waren die nördlichen Ausläufer des Gebirges, das er vor Tagen mit Sakura durchquert hatte.

„Hör mal“, sagte der Sandninja überheblich. „Ich kann dich auch nicht leiden, aber das sind unsere Anweisungen. Entweder du lässt es zu, dass dich vier von uns begleiten, oder du kämpfst gegen alle von uns und suchst deinen verdammten Bruder als blutiges Wrack. Kämpfen wollen wir eigentlich nicht gegen dich.“

Sasuke überlegte. Er konnte niemanden brauchen, der sich in seinen Kampf mit Itachi einmischte, aber noch weniger wollte er es sich leisten, verletzt zu werden. Die blutigen Striemen, die Kureijis Peitsche auf seiner Haut hinterlassen hatten, brannten immer noch und würden es auch noch lange tun. „Drei. Dann bin ich einverstanden.“

„Auch gut.“ Der Sandninja deutete auf drei der anderen Shinobi, die von dieser Aufgabe wenig begeistert schienen.

„Ich gehe auch mit ihm“, entschied Kaze kalt.

„Nein, du nicht. Du würdest ihn bei der nächsten Gelegenheit anfallen.“

„Allerdings“, knurrte Kaze offen. „Was anderes hat er nicht verdient!“

„Wenn du nicht bald aufhörst zu jammern, stopfe ich dir dein Maul, auch wenn du Itachis Schoßhündchen bist“, zischte der Sandninja.

Kaze starrte ihn hasserfüllt an. „Ich bin nicht sein Schoßhündchen“, grollte er und klang fast unmenschlich. „Und ich werde sicher nicht mehr seine Drecksarbeit erledigen!“ Seine Hände schnellten zur Seite, schlugen den einen Ninja weg, der ihn festhielt, dann wirbelte er herum und trat dem zweiten die Beine fort. Während der Shinobi mit einem überraschten Aufschrei vom Ast fiel, sprang Kaze durch die zupackenden Hände des Sandninjas hindurch, landete auf dessen Schulter und stieß sich ab. Raschelnd verschwand er irgendwo im Unterholz. Die Ninjas sahen ihm nach.

„Naja“, meinte der Sandninja. „Lassen wir ihn. Wir haben noch eine Aufgabe im Norden, also weiter.“ Während sich der Trupp wieder in Bewegung setzte, sagte er noch zu Sasuke: „Pass einfach auf deinen Rücken auf.“

Als die Ninjas weitergezogen waren, bis auf die drei, die Sasuke begleiten sollten, sagte er: „Wir nehmen den Weg durch die Berge.“

Sie sahen ihn überrascht an. „Nein“, erwiderte einer von ihnen, „das ist ein Umweg. Auf der Straße sind wir viel schneller.“

„Wir nehmen die Berge“, sagte Sasuke und betonte jede Silbe. Sein unnachgiebiger Blick bohrte sich in die Augen des Mannes. Er würde den Teufel tun und einem Weg folgen, den er nicht kannte. Der Pfad durch die Berge mochte länger dauern, aber wie die Dinge standen, würde Itachi wohl warten. Sasuke war so kurz vor seinem Ziel, dass er keinen Fehler mehr machen würde.
 

Die Welt war ein Albtraum.

Immer noch war alles Rot in Rot. Die Straßen und Wege waren wie mit Blut überschwemmt, und hätte Sakura nicht gewusst, dass es gar nicht mehr genug Menschen dafür gab, hätte sie wohl wirklich geglaubt, dass hier ein Massenschlachten stattgefunden hätte. Dabei war das rote Chakrawasser doch eigentlich ein Zeichen der Erlösung …

Die wunderlichen Dinge, die es seit dem Chakrasturm gab, hatten sich mit den wunderlichen Dingen, die der Blutregen erschaffen hatte, gekreuzt und neue, wunderliche Dinge geschaffen. Sie sah einen Baum, dessen Astspitzen in hellroten Flammen standen, die ruhig und sanft waren wie Kerzenflammen, überquerte einen Bach, unter dessen blutroter Oberfläche sich etwas Grünes wand, zerfloss und wieder eins wurde, wie ein seltsamer, schillernder Fischschwarm. Sakura erlebte diese Dinge wie in einem Rausch, während sie durch einen tropfenden, totenstillen Wald rannte, ihre Füße bis zu den Knien rot gefärbt, und immer noch von Kraft durchflossen. Die Welt war ein Albtraum, und wie ein Traum kam es ihr vor.

Sie war ein wenig vom Weg abgekommen, das merkte sie. Alles sah komplett anders aus; sie wusste die ungefähre Richtung, glaubte nicht, dass sie sich verirren würde, aber dennoch endete sie auf einem Waldpfad, der ihr gänzlich unbekannt war.

Sie fand ein kleines Gehöft auf einer Waldlichtung; auf dem breiten Innenhof hatte jemand ein Lager aufgeschlagen, da war eine Feuerstelle, Unrat und Kisten und Fässer, ein eingestürztes Zelt aus Fellen und … und ein großer Käfig auf Rädern, dessen hölzerne Gitterstäbe mit Bastschnüren zusammengebunden waren.

Vorsichtig schlich sie näher. Dieser kleine Zwischenstopp würde ihr vielleicht etwas zu essen bescheren; auch wenn ihr Körper nur so von Chakra durchflutet wurde, hatte ihr Magen zu knurren begonnen. Und außerdem brauchte sie endlich wieder etwas Vernünftiges zum Anziehen. Ihre Zehen waren vom Laufen im aufgeweichten Boden kalt und gefühllos geworden.

In dem Lager lebte auf den ersten Blick niemand mehr. Verstreut im Hof lagen die Leichen von einem halben Dutzend Männern, die augenscheinlich in einem Kampf gestorben waren. Sie trugen noch regen- und blutdurchtränkte Kleidung, aber Sakura widerstrebte es, diese selbst anzuziehen. Ein einsames Stück Pökelfleisch lag geschwärzt in der Asche der Feuerstelle. Sakura wollte sich eben danach bücken, als sie die Gestalten im Käfig bemerkte. Da waren Menschen drin?

Ein leises Stöhnen dran an ihr Ohr, und zwei dürre Arme griffen zwischen den Gitterstäben nach ihr, als sie nähertrat. „Hilfe …“, seufzte die Gestalt schwach. Es war ein Mann, über und über mit Schmutz bedeckt, in den der Chakraregeln ein grausiges Mosaik gezeichnet hatte. Er war kein Ninja, andernfalls hätte er sich befreien können, und er trug nur zerfetzte Hosen. Seine Fingernägel waren allesamt eingerissen und er war so dürr, dass die Rippen scharf hervorstachen. Seine Wangen waren eingefallen und die Augen blutunterlaufen. „Bitte …“, stöhnte er kaum hörbar. „Lass mich raus …“

Sakura überlegte nicht lange. Sie riss die Kette, die die winzige Tür im Käfig verschloss, einfach herunter und half dem Mann herauszuklettern. „Danke …“, murmelte er. „Danke, danke …“ Sie musste ihn stützen, weil seine Knie nachzugeben drohten.

„Was ist hier passiert?“, fragte sie. „Wer sind all die Leute?“

Die Augen des Mannes wirkten verklärt und abwesend und sein Mund bewegte sich kaum, als er antwortete: „Sklavenhändler … nach dem Sturm sind sie durch das Land gezogen und haben Überlebende zusammengesucht. Sie haben gute Geschäfte gemacht … aber sie haben uns nichts zu essen gegeben …“

Sakura konnte nicht verstehen, wozu man in dieser kaputten Welt Sklaven brauchte. Dann fiel ihr wieder die Sache mit Itachi ein und eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Sie bemerkte noch eine zusammengesunkene Gestalt im hinteren Teil des Käfigs; weil er mit einer Lederplane abgedeckt war, hatte sie sie in den Schatten bislang nicht gesehen.

„Als dieser rote Regen begann, sind die Kerle wahnsinnig geworden“, erzählte der Mann apathisch weiter. „Sie haben begonnen sich am ganzen Körper zu kratzen, und dann haben sie sich gegenseitig umgebracht. Der letzte hat sich einen Kunai in die Kehle gestochen, als er gemerkt hat, was er getan hat.“

Sakura hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie hatte die Gestalt am Arm berührt, doch sie regte sich nicht. Mit einem Ruck riss sie die Plane vom Käfig, um sie genauer ansehen zu können.

Sie kannte das Mädchen. Sie hatte es vor langer, langer Zeit, wie es ihr schien, schon einmal gesehen, in den Ruinen Konohas. Das war das Mädchen, das die Jashinisten verschleppt hatten, um es zu opfern. Es sah schrecklich aus, noch magerer, noch schwächer als damals … als Sakura es an der Schulter rüttelte, sackte ihr Kopf zur Seite, die Augen blieben geschlossen.

Ein Gedanke keimte in Sakura auf. Das Mädchen war Jashin entkommen? Unmöglich … Und Itachi würde doch nicht … nein, das bedeutete, er musste sie gehen haben lassen. Ein bitterer Knoten bildete sich in Sakuras Hals. Er hatte das Mädchen freigelassen.

Genutzt hatte es ihm nichts. Sie berührte es am Hals, versuchte einen Puls festzustellen, doch das Mädchen war tot. Verhungert, so wie es aussah. Sakura zog traurig die Hand zurück.

In dem Moment traf sie ein harter Schlag in den Nacken und ließ sie mit der Stirn gegen den hölzernen Boden des Käfigs knallen. Ächzend drückte sie sich davon fort, rollte sich stöhnend auf den Rücken, während ein pochender Schmerz durch ihren Schädel zuckte. Mit verschwommener Sicht erkannte sie den Mann, der kaum mehr als ein Gerippe war. In der Hand hielt er einen gewöhnlichen Hammer, seine Lippen waren zu einem weinerlichen Grinsen verzerrt und Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. „Tut mir leid“, nuschelte er so undeutlich, dass sie ihn kaum verstand. Seine Nasenflügel bebten und seine Augen waren weit aufgerissen, das Weiße darin war gelb geworden. „Ich kann … hier niemandem mehr trauen … auch dir nicht …“ Er holte mit dem Hammer aus, wankte aber unter dessen Gewicht, schwach, wie er war. „Nur ich allein … ich allein kann dafür sorgen, dass ich sicher bin … ich muss allein sein …“

Sakura hob abwehrend die Hand, während ihr Kopf immer noch dröhnte. Der Hieb war nicht besonders kräftig gewesen, aber der Hammer allein war schon schwer. Sie versuchte aufzustehen, aber das Schwindelgefühl zwang sie sofort wieder in den Schlamm. Schwarze Flecken tanzen am Rand ihres Blickfelds. Der Mann tat einen unbeholfenen Schritt vorwärts und schlug abermals zu. Sie rollte sich zur Seite und der Hammer grub sich in die weiche Erde; der Kerl fiel ihm praktisch hinterher. Mühsam rappelte er sich auf, zog seine Waffe aus dem Dreck …

Sakuras nackte Füße trafen ihn an der Gurgel. Er stieß einen einen würgenden Laut aus, als er drei Meter weit fortgeschleudert wurde und gegen die Hausmauer des Hofes krachte. Der Hammer landete platschend im Matsch, und der Mann rührte sich nicht mehr.

Sakuras Gedanken wurden träge. In ihrem Kopf surrte immer noch ein Bienenschwarm, und der Lärm schwoll immer weiter an, bis er ihr Bewusstsein auslöschte und ihren Versuch, sich aufzurichten, abermals im Schlamm enden ließ.

Aufwind aus dem Höllenschlund

Lange konnte sie nicht bewusstlos gewesen sein … aber mehrere Stunden mit Sicherheit, traumlos. Noch bevor sie die Augen aufschlug, spürte sie das kaum merkliche Ziehen in ihrem Unterleib. Sie kniff die Lider zusammen und öffnete sie schließlich mit einem Ruck, der ihr Schmerznadeln in die Augäpfel jagte. Die Sonne stand hoch und grell am Himmel.

Als sie sich im Schlamm auf die Ellbogen hochstemmte, sah sie es. Sie sah es, starrte vor sich hin, versuchte zu begreifen, ob sie träumte oder nicht … und die Welle der Erleichterung, die durch sie wogte, zwang sie förmlich dazu laut loszulachen. Sie lachte, bis sie Tränen in den Augen hatte.

Es war alles ein Irrtum gewesen. Ihre Tage hatten endlich eingesetzt, nachdem sie so lange überfällig gewesen war; ihre Schenkel waren blutig, und es war nicht der getrocknete, rote Regen. Ob es wirklich auf ihre Verfassung oder den Chakrasturm zurückzuführen war, wusste sie nicht und sie wollte es auch nicht wissen. Sie wusste nur eines. Dass sie frei war.

Das belebende Gefühl, das sie ergriff, ließ den Tatendrang in ihr Funken sprühen. Es war Zeit, diese letzte Sache zu bereinigen, und zuvor musste sie sich dafür rüsten. Sie fand in den Truhen im Lager verschiedene nützliche Dinge, die sie zusammenbasteln konnte. Zuallererst brauchte sie etwas Neues zum Anziehen; etwas Besseres als die stinkenden Fetzen der Leichen. Sie fand einen blassroten Kimono, dessen unteres Ende zerfetzt und rissig war und ihr deshalb nur bis zu den Knien reichte, aber das machte nichts. Sie zog ihn über Kakashis Hemd und band ihn sich mit einem rostigen Gürtel, den einer der Toten trug, um die Hüften fest. Die Ärmel des Kimonos waren ebenfalls verschwunden; ein paar Fransen standen vom Stoff an den Schultern ab, ansonsten war er praktisch schulterfrei. Um den Unterleib schlang sie sich Mullbinden, die sie in einem Medizintäschchen der Ninjas fand. Zwar waren diese vom Chakraregen ebenfalls rot getränkt, aber sie sahen sauber aus.

Sakura setzte ihre Suche auch in dem verlassenen Hof fort. Dort war nichts, was auf den ersten Blick wertvoll erschien, aber von einer verbeulten Blechpfanne riss sie den Stiel ab und benutzte die Kette, die den Käfig abgeschlossen hatte, um sie sich auf die linke Schulter zu binden; die Kette schlang sie sich quer über die Brust und um die Hüften. Je mehr Schutz, desto besser, sagte sie sich, immerhin hatte sie ansonsten keine Ninjawaffen, mit denen sie Wurfsterne abwehren konnte, außer dem drei Kunai, die bei den toten Sklavenhändlern lagen, und davon war einer abgebrochen und einer rostig und schartig. Aus der Lederplane, die den Käfig abgedeckt hatte und einen halben Fingerbreit dick war, riss sie sich mit bloßer Kraft kleine Plättchen heraus, schnürte sie mit Nadel und Garn zusammen und erhielt so zwei Paar lederner Armschützer. Die Nadel schob sie kurzerhand unter das linke untere Plättchen, um sie schnell bei der Hand zu haben.

Fehlten nur noch Schuhe. Die toten Ninjas hatten allesamt größere Füße als sie und beim Kämpfen konnte schlechte Bodenhaftung ein schwerwiegender Nachteil sein. Nachdem sie noch einmal gründlicher die Habseligkeiten der Sklavenhändler durchsucht hatte, stieß sie auf eine Schere, mit der sie aus der Lederplane dicke Schnüre schneiden konnte. Dann stellte sie sich auf die Plane und schnitt Stücke in Form ihrer Füße aus, nähte die Schnüre daran und band sie sich um die Knöchel und Unterschenkel. Das Ergebnis war fast traurig anzusehen, einen billigeren Versuch, Sandalen nachzuahmen, hatte sie nie gesehen, aber Sakuras Optimismus war nicht zu bremsen, wenigstens jetzt war sie zuversichtlich, darin kämpfen zu können. Immerhin würde sie die Rinde der Bäume nicht mehr aufschürfen, und sie käme schneller voran.

Im oberen Stockwerk des Gebäudes, in einem Zimmer, dessen eine Wand komplett eingestürzt war, stand ein zerbrochener Spiegel. Darin betrachtete sich Sakura ausgiebig und war zufrieden mit sich. Der gekürzte Kimono mit den ausgefransten Schulterstücken verlieh ihr etwas Wildes, das behelfsmäßige Rüstungsteil saß fest und zur Not konnte sie die Kette trotzdem noch zum Zuschlagen verwenden, die Nadel wartete in ihrem linken Armschützer darauf, gezogen zu werden. Eine Sache fiel ihr noch ein. Mit der Schere stutzte sie sich die Haare, die sie mittlerweilie zu lang fand, machte sie kürzer als zuvor und ließ die rötlichen, verfilzten Strähnen achtlos zu Boden fallen. Dann brach sie die beiden Scherenschenkel auseinander und schob einen zu den Kunai in den Gürtel, den zweiten steckte sie in eines der Kettenglieder an ihrem Rücken, wo er ebenfalls schnell zu ziehen war. Zu guter Letzt band sie sich noch ein rot getränktes Tuch um die Stirn. Es beruhigte sie, das sanft drückende Gefühl über ihren Augen zu spüren. Als würde sie ihr Ninjastirnband tragen, das sie verloren hatte … Sakura atmete tief durch. Sie fühlte sich wie ein anderer Mensch, und ein anderer Mensch starrte ihr aus dem Spiegel entgegen. Und aus den Augen dieses Menschen blitzte seit langem wieder Mut und Zuversicht.
 

Als sie durch die Wälder rauschte, fühlte sie sich wie ein Schatten. Wie ein roter Schatten, wenn man ihre neue Kleidung bedachte. Sie knabberte an dem verkohlten Stück Fleisch, und sogar das fand sie plötzlich köstlich.

Das Feuer roch sie schon von weitem, noch bevor sie es sah. Sie landete auf einem niedrigeren Ast und schließlich auf dem weichen Waldboden. Ihre Sandalen pressten rotes Wasser aus dem Schlamm, das unter ihre Fußsohlen lief, aber so würden wenigstens ihre Chakravorräte beständig wieder aufgeladen werden.

Sie war am Rande einer Lichtung angelangt. Eine einsame Gestalt hockte mit zusammengesunkenen Schultern vor einem winzigen Lagerfeuer. Sakura trat näher, sah aber sofort, dass es nicht Sasuke war. Dennoch glaubte sie, den Jungen schon einmal gesehen zu haben – bloß wo?

Er bemerkte sie ebenfalls, wandte träge den Kopf. Aus seinen rot verquollenen Augen sprach Erkennen, als er sie weit aufriss. Den Mund halb geöffnet, sprang er auf. „Du …“, hauchte er. „Das Mädchen auf dem Bild … oder?“ Er blinzelte.

Sie versuchte ein Lächeln. „Kennen wir uns?“

Er schluckte. „Dein Name. Sag mir deinen Namen.“

Sie zögerte. „Wer bist du?“, fragte sie.

„Ich hab zuerst gefragt“, sagte er unwirsch, dann jedoch murmelte er: „Kaze.“

Jetzt erinnerte sie sich. Er war einer von drei Grasninjas gewesen, die sie und Sasuke auf dem Weg nach Neuanfang gesehen hatten. „Ich bin Sakura“, sagte sie.

„Sakura … Ja … ich glaube, er hat deinen Namen mal erwähnt …“, murmelte Kaze und stierte sie unverwandt an.

Sein bohrender Blick war ihr unangenehm. „Und … wie kommst du …“

So schnell, dass sie das Geräusch erst später hörte, schoss er heran, in der Hand plötzlich einen gebogenen Kunai, der grün glühte wie die, die Asuma-sensei immer verwendet hatte. Sie weitete die Augen, als sie ihn knapp vor sich ausholen sah, sein Kunai zog einen Schweif aus Licht nach sich – Sakura riss instinktiv den Scherenschenkel aus der Kettenschlaufe, um sein Messer abzuwehren, und winkelte ihr Knie an. Die beiden Waffen trafen sich zwanzig Zentimeter vor ihrem Gesicht, und sie konnte die brennende Wut in Kazes Gesicht sehen. Wie in Zeitlupe sah sie, dass sein Kunai unerbittlich durch das Eisen der Schere glitt, es glühen und schmelzen ließ, und schließlich hatte er den Widerstand durchbrochen, sein Hieb gegen ihr Gesicht wurde fortgesetzt … Sakuras Fuß traf Kaze hart gegen den Brustkorb, was ihn mehrere Meter rückwärts schleuderte und gegen einen Baumstamm prallen ließ. Wie Blutstropfen regneten rubinrote Perlen aus dem Blattwerk auf ihn herab. Sein Kunai entglitt ihm, flog ins Unterholz davon. Kaze hustete einen Blutschwall und begann Fingerzeichen zu formen.

Schnell wie ein Schatten war sie bei ihm, packte und verdrehte sein Handgelenk, um sein Jutsu zu unterbrechen. Er wich ihrer Faust aus, rollte sich über ihre Schulter und entrang sich ihrem Griff, doch sie wirbelte herum und er konnte ihren neuerlichen Tritt nur gerade so mit den Unterarmen abwehren. Ächzend wurde er rückwärts in den Dreck geschleudert, während Sakura ihre Drehung beendete und der Saum ihres Kimonos flatterte.

Kaze keuchte, als er sich aufrichtete. Der Zorn in seinen Augen hatte sich gelegt; Hass war an seine Stelle getreten. „Warum tust du das?“, rief Sakura. „Wir haben keinen Streit miteinander!“

„Zwei Worte“, knurrte der junge Ninja. „Uchiha Itachi.“

Der Name jagte Sakura einen Schauer über den Rücken, obwohl sie sich geschworen hatte, sich nicht mehr länger vor ihm zu fürchten. „Du arbeitest für ihn?“

„Für ihn arbeiten?“ Er stieß einen kurzen, hysterischen Lacher aus. „Er hat meinen Teamkameraden auf dem Gewissen! Er hat versprochen, dass Eichi nichts passiert, und jetzt ist er tot! Dafür werde ich ihm den gleichen Schmerz bereiten.“ Eine Haarsträhne fiel ihn Kazes Stirn. Sakura meinte den Ausdruck in seinen Augen zu erkennen. Es war beinahe der gleiche wie der Sasukes, wenn er über Itachi sprach – auch wenn der Hass lange nicht so tiefschürfend war.

„Aber was habe ich damit zu tun?“, fragte sie verständnislos.

„Weißt du das wirklich nicht?“ Kazes Grinsen entgleiste ihm. „Was könnte ihn mehr treffen, als die Person zu verlieren, die er liebt?“

Die er liebt? Sakura spürte, dass ihr schwindlig wurde. Was redete dieser Junge da? Das ergab keinen Sinn … Oder? Itachi sollte sie lieben? Das war garantiert ein Psychotrick dieses Ninjas … Ab heute gehört sie mir …

„Dann irrst du dich“, sagte sie und wünschte sich, ihre Stimme klänge ein wenig fester. „Itachi liebt mich nicht. Warum sollte er?“

„Erzähl mir nichts!“, fuhr er sie an. „Sucht das Mädchen, hat er befohlen. Bringt sie mir unversehrt. Nachdem ich mit meinem Bruder fertig bin, kümmere ich mich um sie. Zweifellos will er nur seinen Bruder und dann dich persönlich zur Hölle schicken“, spottete er. „Oder wie findest du das: Er schickt Eichi in eure Stadt, um nach euch beiden Ausschau zu halten – nicht nur nach seinem Bruder, sondern auch nach dir, und er wird wütend auf diese Sektenspinner, weil die ihm immer noch deinen Kopf bringen wollen, letzten Endes stimmt er sogar zu, dass wir sie alle umbringen, und das vielleicht auch nur wegen dem, was sie dir wahrscheinlich angetan haben!“

„Du … interpretierst viel zu viel in seine Aktionen hinein“, meinte Sakura halbherzig, aber er musste ihre Zweifel spüren, denn Kaze lachte nur.

„Wir werden ja sehen. Ich wette, wenn ich dich töte, wird er es bereuen, sich je mit uns angelegt zu haben!“ Wieder formte er Fingerzeichen, und Sakura, immer noch überwältigt von seinen Behauptungen, reagierte eine halbe Sekunde zu spät. Noch ehe sie ihn ganz erreicht hatte und zuschlagen konnte, hatte er sein Jutsu vollendet.

Eine Sturmböe riss sie von ihm fort und diesmal war sie es, die rückwärts gegen einen Baumstamm geschleudert wurde, der ächzend erzitterte. Der Windstoß hielt an, presste sie wehrlos gegen die Rinde, und Kaze schüttelte seine Ärmel in den Sog aus. Winzige Shuriken, an denen hauchdünner Ninjadraht befestigt war, folgten dem Luftstrom, rotierten um ihre Gliedmaßen und banden sie mit einem Ruck an dem Baum fest. Als die Böe nachließ, sackte sie ein wenig nach vor, doch dann schnitt schon der schwarze, fiese Draht in ihre Haut, der sich um ihren Oberkörper, Hals und ihre Beine gewickelt hatte; sogar jeder ihrer Arme war perfekt an je einen breiten Ast fixiert, sodass sie ein wenig schief dahing. Sie konnte sich nicht rühren, der Draht brannte wie Feuer in ihrem Fleisch, und als sie schluckte, schien selbst ihr Kehlkopf daran zu scheuern.

Mit einem triumphierenden Schrei stürzte Kaze auf sie zu, in der Hand einen zweiten, gebogenen und grün leuchtenden Kunai. Er sprang sie an, schwenkte das Messer in der Hand, und wieder sah Sakura, wie es in Zeitlupe auf sie zuflog – nur dass sie ihm diesmal nichts entgegenzusetzen hatte.

Es war im ersten Moment kaum zu spüren, so sauber und ohne auf Widerstand zu stoßen glitt die Klinge quer über ihren Brustkorb, von links nach rechts. Schnalzend riss der straff gespannte Draht um ihren Oberkörper. Der Schmerz kam erst, als sich das aggressive Chakra in ihre Haut fraß. Blut sprudelte aus dem Schnitt, ergoss sich über ihren Bauch und ihre Beine, quoll heiß und metallisch ihren Hals hinauf und erstickte ihren Schrei zu einem blubbernden Röcheln, drang hoch in ihren Rachen und sprühte auf Kazes Gesicht, verwandelte sein Grinsen in eine rote Grimasse.

Federnd kam er wieder auf dem Boden auf und atmete tief durch. „Das ist eigentlich eine gute Idee … ich lasse dich ausbluten und werfe Itachi deinen bleichen Leichnam zu Füßen.“ Er lachte heiser.

Sakura bekam keine Luft mehr. Schaumiges Blut schoss bei jedem versuchten Atemzug ihre Kehle hoch, drang durch Mund und Nase und aus dem Schnitt. Jeder qualvolle Atemzug verstärkte den Druck auf ihrer Lunge, während ihre Sicht verschwamm. Das war das Ende …

Der Draht hatte sich gelockert; indem er ihn gekappt hatte, konnte sie ihre linke Schulter wieder bewegen. Sie biss die Zähne zusammen. Sie hatte den Weltuntergang überlebt … was war das hier dagegen? Mit einem gurgelnden Schrei wand sie sich, schaffte es, den linken Arm aus dem Drahtgeflecht zu befreien, wobei blutige Hautfetzen darin hängen blieben. Während Kaze sich mit großen Augen wieder zu ihr umwandte, sammelte sie all ihre Kraft in ihrem linken Arm und rammte den Ellbogen seitlich gegen den Stamm. Der ganze Baum erbebte, Äste, Blätter und rote Tropfen regneten auf sie herab, als die Wucht ihres Chakras den Stamm regelrecht sprengte. Späne spritzten davon, wie mit der Axt gekappt begann der obere Teil des Baums zu kippen. Peitschend riss der Draht an einer weiteren Stelle und rang ihr einen Aufschrei ab, als er sich dabei tief in ihre Schulter grub, der Rest des Geflechts verlor die Spannung und Sakura glitt zu Boden, während die Baumkrone raschelnd und krachend zu Boden stürzte und sie in eine Wolke aus Ästen, spritzendem rotbraunem Matsch und schweren gefärbten Blättern hüllte.

Während Kaze erst wieder Chakra in seinen Kunai leitete, schnellte Sakura aus der Wolke hervor, ihr Blut zog einen dunkleren Streifen über ihren roten Kimono, rosafarbene Blasen wurden bei jedem Schritt aus der Wunde gepresst. Kaze bereitete sich auf ihren Angriff vor, doch sie setzte mit einem hohen Sprung über ihn hinweg, wirbelte in der Luft um ihre eigene Achse, während sie die Kette um ihren Oberkörper löste, die Metallpfanne daran wie einen Morgenstern wirbeln ließ und ihm damit mit einer Zielsicherheit, die sie selbst überraschte, das Messer aus der Hand prellte.

Kaze taumelte zurück. Sakura ließ sie Kette schwingen und sich wie eine Schlange um ihren Arm wickeln, während sie mit einem unmenschlich klingenden Knurren auf ihren Gegner zustürzte, seinem Fausthieb auswich, um ihn herumtänzelte und die unberechenbare Kettenwaffe gegen seine Schläfe knallen ließ. Noch während Kaze stürzte, war sie über ihm, packte ihn an der Kehle, drückte ihn in die Erde und brach sein Genick im gleichen Moment, als ihre andere Faust seinen Bauch traf und seine inneren Organe zerfetzte. Kaze stieß noch einen ungläubigen Laut aus, dann wurde sein Blick leer.

Röchelnd sank Sakura zurück. Die Anstrengung hatte mehr Blut aus ihr gepresst, als sie je zuvor verloren hatte … Sie setzte ihre zittrigen Hände an ihre Brust und begann die Verletzung zu heilen. Tsunade hatte ihr beigebracht, dass Selbstheilung immer am meisten Chakra von allen Heilungen verbrauchte, doch der Boden war immer noch mit zinnoberfarbenem Chakra getränkt. Unter ihren Händen fügten sich Haut und Fleisch und Adern und Lungenbläschen zusammen, und schließlich brachte sie ein raues, schmerzvolles Husten zustande und erbrach Blut. Jeder Atemzug rasselte schwer in ihrer Lunge und immer noch konnte sie nicht richtig atmen. Das Druckverhältnis stimmte nicht mehr, ihre Lunge war kollabiert. Wenigstens hatte Kaze knapp ihr Herz verfehlt. Sie hoffte, dass sie sich selbst behandeln konnte, ehe der Sauerstoffmangel sie in eine letzte Ohnmacht wiegen würde. Während sie auf dem Boden hockend konzentriert den kleiner werdenden Schnitt behandelte und sich darauf verließ, dass der Schlamm ihr Chakra regenerierte – es dauerte deutlich länger als noch vor Stunden –, wanderte ihr Blick zu Kaze. Traurigkeit erfüllte sie. Er hatte seinen Teamkameraden rächen wollen. Er war kein schlechter Mensch gewesen. Wieder einmal hatten sich die Überlebenden gegenseitig getötet.

Erneut musste sie röchelnd husten. Der Sauerstoff war nicht ihr einziges Problem. Der Blutmangel machte sich bemerkbar. Ihre Sicht verschwamm einmal mehr und ihr wurde so kalt, dass sie fröstelte. Mit wackeligen Schritten ging sie zu Kazes Leiche und durchsuchte seine Taschen. Er war gut ausgerüstet; neben einem weiteren Wind-Kunai und ein paar Shuriken fand sie auch Soldatenpillen, die sie hinunterschluckte, um die Blutproduktion anzukurbeln.

Jetzt erst drang wieder das Gespräch in ihr Bewusstsein. Hatte Kaze die Wahrheit gesagt? Itachi sollte etwas an ihr finden? Lieben konnte er sie nicht, unmöglich. Ein Mann, der seinen Clan ausgerottet hatte, konnte keine Liebe empfinden, und niemanden, den man liebte, zwang man zu solchen Dingen … Was sollte sie nur davon halten?
 

Kakashi hörte genau, wann es begann. Sie hatten ihn in den Vorratsbunker gebracht, der wie durch ein Wunder heil geblieben war, und alle Eingänge vernagelt. Es war ein halbherziger Versuch, ihn am Fliehen zu hindern, selbst die vier Jäger, die ihn rund um die Uhr bewachten, änderten daran nichts. Aber Kakashi hatte auch nicht vor, zu fliehen. Und als der Kampfeslärm begann, war er vorbereitet.

Sie hatten ihm die Hände mit massiven Ketten gefesselt; wenigstens hatte Hotaru nicht darauf bestanden, ihm die Finger abzuhacken. Jetzt fixierte Kakashi die Eisenglieder mit seinem Mangekyou Sharingan und sah zu, wie sich die Wirklichkeit verschob und die Ketten einsaugte, bis der zerfledderte Rest rasselnd zu Boden fiel und er das Auge wieder zukniff. Die Bretter vor der Tür hielten nur einem einzigen Tritt stand, und wie er es vermutet hatte, waren seine Wachen verschwunden. Nicht weit entfernt hörte er einen Aufschrei, und Feuerschein blinzelte über die Dächer der verbliebenen Häuser. Zufrieden bemerkte Kakashi, dass die meisten Ninjas Hotarus Sorglosigkeit nicht geteilt und Wachen an der Mauer postiert hatten, dennoch war der Feind an vielen Stellen schon bis in die Stadt durchgebrochen – was sicherlich auch daran lag, dass die ohnehin unzuverlässige Mauer mit ihrem Stacheldraht von den Staubsäulen genauso in Mitleidenschaft gezogen worden war wie der Rest von Neuanfang.

Kakashi orientierte sich und machte den nächsten Kampfherd ausfindig. Zwischen zwei Ruinen sah er Kureiji wie verrückt auf einen anderen Ninja einspringen und –dreschen, der sich mit dem Flügel eines Fuuma-Shuriken zu wehren versuchte – ehe Kureijis Magnet-Jutsu ihm diesen aus der Hand riss und seine Verteidigung für einen tödlichen Schlag öffnete. Neben ihm kämpfte noch eine Kunoichi in den mittlerweilie grau-roten Uniformen von Neuanfang, aber gleich drei andere Shinobi hielten auf die beiden zu. Kakashi setzte über die scharfen Trümmer hinweg, um ihnen zur Hilfe zu kommen.

Kureiji streckte die Hand nach den Feinden aus, aber nur das Ninjastirnband des vordersten löste sich von seiner Stirn und flatterte auf ihn zu. Sie trugen sonst kein Eisen bei sich. Die Ninjas formten ein kollektives Ninjutsu, in dem Kakashi deutlich das Erdelement erkennen konnte. Er erzeugte sein Raikiri und sprang an Kureiji und der Frau vorbei. Zwischen ihm und den Ninjas türmte sich ein fünf Meter hoher felsiger Golem mit vier Armen auf, der Kunai und Schwerter aus Stein trug. Kakashis Raikiri ließ den gigantischen Brustkorb mit einem Knall bersten, während er immer noch mit unverminderter Geschwindigkeit auf die fremden Ninjas zuhielt. „Kureiji, ein Kunai!“

Der Jäger reagierte sofort, zückte sein Wurfmesser und stieß es mit seinem Magnet-Kekkei-Genkei von sich. Kakashis Sharingan erlaubte es ihm, es aus der Luft zu fangen, kurz bevor er die feindlichen Ninjas erreichte. Der erste fiel einem gezielten Stich ins Herz, und Kakashi wuchtete den schlaffen Körper als Schutzschild herum, um einen Hagel aus Steinen abzuwehren. Dann erreichten auch Kureiji und die Kunoichi ihn und zu dritt hatten sie die verbleibenden Feinde schnell ausgeschaltet.

„Wundert mich, dass du noch da bist“, erklärte Kureiji gleichmütig und griff in den Beutel an seinem Gürtel, aber offenbar war ihm der Kautabak ausgegangen, was er mit einer Grimasse quittierte.

„Du scheinst mich nur schlecht zu kennen“, gab Kakashi zurück. „Wo ist Hotaru?“

Die Kunoichi schnaubte. Jetzt, aus der Nähe, erkannte er sie als Kirie, eine Einwanderin aus Iwagakure, die auch bei den Jägern war. Sie hatte schulterlanges braunes Haar und klare, wache Augen. „Er ist fast daran verzweifelt, uns Befehle geben zu wollen. Im Endeffekt haben wir alle getan, was wir für richtig gehalten haben. Wir zwei mussten uns von der Mauer zurückziehen, es waren einfach zu viele.“

Und jetzt überrennen sie die Stadt, dachte Kakashi, als er in einiger Entfernung ein ganzes Dutzend Ninjas durch die Gassen stürmen sah, zwei Graugekleidete vor sich her treibend, die versuchten, ihren eigenen Rückzug zu verteidigen. „Und wo ist er jetzt?“

„Kann sein, dass er die Evakuierung überwacht.“ Ohne seinen Tabak kaute Kureiji nun auf seiner Unterlippe herum. „Die normalen Bürger werden in die Höhle gebracht. Vielleicht sind die ihnen ja egal – kann auch gut sein, dass Hotaru die Höhle versiegeln und darin versauern will.“

Kakashis Blick glitt zu der Steilwand hinter ihnen. Die Höhle war tatsächlich eine gute Idee – die einzige, wie sie vielleicht etwas retten konnten. Alle Vorbereitung hätte nichts gegen eine so große Anzahl von Feinden genutzt, aber dank der Grotte mit den Flechten konnte man darin lange überleben.

Falls die anderen Ninjas das zuließen.

„Wir sollten auch weiter zurückfallen“, sagte Kakashi, als aus einer anderen Richtung jetzt auch noch fünf Ninjas dorthin liefen, wo sich die Bürger eben in Sicherheit bringen wollten. Die beiden nickten und folgten ihm.

Weit kamen sie nicht. Ein Trupp von sechs Ninjas versuchte ihnen den Weg abzuschneiden Sie waren, ihren Stirnbändern nach zu urteilen, alle unterschiedlichster Abstammung, und ihr Teamwork ließ zu wünschen übrig. So fiel es den dreien nicht schwer, sie zu bezwingen. Irgendwo hatten die feindlichen Ninjas Feuer gelegt. Als die Höhle in der Bergwand und die Bürger, die immer noch in heillosem Durcheinander hineinströmten, endlich durch die Rauchwand sichtbar wurden, hüllte eine dichte Schwade die drei ein. Kakashi hörte das Klirren von Metall, dann einen Schrei, und sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Dank seines Sharingans konnte er dem Angriff mühelos ausweichen und sein Raikiri in den Sandninja graben, der ihn angegriffen hatte. Ein Windstoß zerriss die Rauchschwade, doch das kurze Scharmützel hatte seinen Tribut gefordert. Kirie lag tot in ihrem Blut, neben ihr zwei Ninjas aus dem Reich der Blitze, gegen die sie sich erfolgreich gewehrt hatte, bis der Sandninja sie von hinten attackiert hatte.

„Beeilen wir uns“, keuchte Kureiji neben ihm. Kakashi nickte ihm zu; der Jäger zitterte am ganzen Körper, doch es schien nicht die Anspannung zu sein.

Eben fanden die letzten Bürger von Neuanfang Schutz in der Höhle, als sie die herantrampelnden Schritte weiterer Shinobi hörten. Kakashi und Kureiji stürmten auf den Höhleneingang zu, in den sich nicht nur Nicht-Ninjas, sondern auch die meisten Gremiummitglieder ängstlich duckten. „He!“, brüllte Kureiji. „Hockt nicht nur da rum, kommt raus!“

Da sah Kakashi Hotaru, der aus dem hinteren Bereich der Höhle kam und ihm grimmig entgegenblickte, und bevor er es tat, wusste Kakashi schon, was er vorhatte.

Der Gründer von Neuanfang formte Siegel, rammte die Hand gegen den Boden und eine Wand aus grauem Stein wuchs vor der Höhle in die Höhe und verrammelte den Eingang. Kurz bevor der Felsen ihren Blickkontakt unterbrach, konnte Kakashi noch unverhohlenen Hass in Hotarus Gesicht erkennen. Dann standen er und Kureiji vor der Steinmauer.

„Mist!“, fluchte Kureiji und stampfte mit dem Fuß auf die feuchte Erde. „Mist, Mist, Mist!“

Kakashi drehte sich um. Der Rauch war verflogen. In einem geschlossenen Halbkreis umringten sie Ninjas, mindestens noch zwei Dutzend. Zwei Dutzend gegen zwei. Der Rest von Neuanfang hatte entweder Schutz oder den Tod gefunden.

„Scheint, als müssten wir da rein“, sagte einer der Ninjas. „Bisher haben wir das Mädchen noch nicht gefunden.“

Kakashi konnte nicht sagen, warum, aber er wusste sofort, wen sie meinten. „Sakura ist nicht mehr hier“, fühlte er sich verpflichtet zu sagen. Vielleicht konnte er die Ninjas davon abhalten, die Höhle zu stürmen. So würden viele Leben gerettet werden, gleichgültig, ob Hotarus nun darunter war oder nicht.

Aber niemand hörte auf ihn. „Das ist der Typ von dem Foto, oder?“, fragte eine wild aussehende Kunoichi mit blutverschmiertem Gesicht. „So gefährlich sieht der ja gar nicht aus.“

Die anderen lachten. Kunai wurden hochgehoben, Fingerzeichen gemacht – Kureiji schnellte knurrend vor Kakashi und formte zwei, drei rasche Siegel. Die Kunai und Shuriken wurden den Ninjas aus den Händen gerissen, aus den Trümmern von Neuanfang lösten sich Metallplatten, Stahlträger und Eisenstangen; alles, was von seinem Jutsu angezogen werden konnte, schnellte auf Kureiji und Kakashi zu, verbog sich ächzend und quietschend und formte einen eisernen, grauen Ball um sie herum wie einen Schutzwall. Gleich darauf prallten die feindlichen Jutsus dagegen, Feuer zischte durch die Ritzen und ließ das Eisen glühen, Felsbrocken schlugen Dellen hinein.

„Okay, hör zu“, keuchte Kureiji, der immer noch sein letztes Fingerzeichen hielt. Schweiß tropfte von seiner Stirn. „Ich weiß, du bist ‘n verdammt guter Ninja, aber das hat einfach keinen Sinn. Ich lenk sie ab, und du siehst zu, dass du wegkommst.“

„Nicht ohne dich“, murmelte Kakashi. Er würde seinen Kameraden nicht zurücklassen, niemals.

Kureiji stieß einen fauchenden Lacher aus. „Du bist mir nichts schuldig, Alter. Ich krepier hier so oder so. Die haben meine Kauvorräte, und, verflucht will ich sein, ohne das Zeug bin ich nicht mal ein halber Mann. Ich werde entweder wahnsinnig oder die Kerle bringen mich gleich um. Aber was du brauchst, das gibt es noch und läuft momentan gerade einem Spinner in den Süden hinterher.“ Er unterbrach sich und atmete schwer. Kakashi sah ihm nur ernst in die Augen und schwieg. „Wenn dir die Kleine wirklich was bedeutet, lauf ihr nach“, fuhr Kureiji fort, während Blitze und Flammen von außen gegen die Eisenhülle donnerten, und an der Seite zwängten zwei starke Hände ganz einfach so zwei scharfkantige Platten auseinander und ein vorfreudig grinsendes Gesicht wurde sichtbar. „Sie und dieser Sasuke? Das ist ja wohl ein schlechter Witz. Ich sag dir was, Kakashi. Als die beiden in die Stadt gekommen sind, hab ich mir gedacht, was für ein süßes Paar. Als der Junge dann mit uns auf der Jagd war, bin ich eines Besseren belehrt worden. Wenn überhaupt, passt das Mädchen zu dir. Du hast ja gesehen, was der Typ so alles aufführt. Es ist an der Zeit, dass jemand dieser Sakura die Augen öffnet.“

„Kureiji“, murmelte Kakashi. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Metall kreischte und quietschte.

„Heh. Jetzt versuch ich mich schon als Beziehungsratgeber“, sagte Kureiji trocken. „Liegt wohl am Entzug. Ich spreng die Schale auf, und du haust ab, ja?“

„Hotaru wird dir das nicht danken.“

„Hotaru kann mich mal“, schnaubte der Jäger. „Bereit? Ich bin nämlich fix und alle.“ Er atmete tief aus und änderte sein Fingerzeichen. Das Metall brach auseinander und schoss in alle Richtungen davon, warf die überraschten Ninjas, die die Schutzhülle bearbeitete hatten, davon wie Fliegen. „Jetzt!“, brüllte Kureiji, als Kakashi immer noch keine Anstalten machte zu fliehen. „Und bestell der Kleinen einen schönen Gruß von dem wahnsinnigen Ninja aus Neuanfang!“ Er ging zitternd in die Knie, unfähig, sich noch zu wehren, als auch schon aus allen Richtungen Jutsus daherrauschten.

Und Kakashi bedachte ihn noch mit einem dankbaren Blick, stieß sich kraftvoll vom Boden ab und rannte in Windeseile die Felswand hoch. Feuerbälle prallten neben seinen Beinen gegen das Gestein, er spürte die Hitze, doch wie durch ein Wunder wurde er nicht getroffen.

Vielleicht war es verwerflich, seinen Kameraden in Stich zu lassen. Aber war es besser, wenn sein unausweichlicher Tod umsonst wäre, indem Kakashi sich ebenfalls töten ließe?

Er würgte den Gedanken ab. Ja, das waren immer seine Vorsätze gewesen. Doch Kureiji hatte recht, es gab da etwas – jemand – Wichtigeres. Er erreichte die obere Kante der Steilwand und schwang sich darüber.
 

Seine drei Begleiter meckerten die ganze Zeit über, wie viel kürzer der direkte Weg zum Bergwerk der Jashin-Sekte gewesen wäre, als sie die Berge durchquerten. Sasuke irgnorierte sie. Als es Abend wurde, hatten sie die südlichen Aufläufer erreicht. Es würde mindestens Mitternacht werden, bis sie am Ziel waren. Er überlegte, ob er für die Nacht rasten sollte. Das hieße, Zeit zu verschwenden. Wenn Itachi nun gar nicht mehr dort war? Außerdem hielt ihn das viele neue Chakra auf den Beinen.

Kein Stern und kein Mond war zu sehen, als sie das Tal mit dem durchlöcherten Felsen erreichten, das vollkommen still dalag. Fackeln brannten in regelmäßigen Abständen, rote Flammen diesmal. Während sie die vom Regen feuchten Stege entlanggingen, bemerkte Sasuke, dass der Hauptstollen, den er vor so langer Zeit mit Sakura betreten hatte, vollständig von schwarzen Flammen ausgefüllt war. Eine Nachwirkung des Blutregens? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen.

„Da rein“, sagte einer seiner Begleiter und deutete auf eine Nebenhöhle. Sasuke trat auf den Stollen zu. Er war niedrig und gerade so breit, dass sie nur nacheinander eintreten konnten.

„Das könnte eine Falle sein“, sagte er. „Nach euch.“

Die Ninjas zuckten mit den Schultern und traten vor in den Gang ein. Diese Einfaltspinsel. Ein einziger Blitz seines Chidori Nagashi durchbohrte in einer Reihe sauber ihre Herzen. Er würde sich nicht stören lassen.

Nachdem er über die Leichen der drei unglücklichen Ninjas gestiegen war, nahm er eine Fackel aus einer Halterung und folgte dem Stollen in die Tiefe des Berges. Rechts zweigten weitere Gänge ab, in denen ebenfalls schwarze Flammen wuselten. Nur der Weg zu einem bestimmten Raum war frei, er war verschlungen und führte auf den verwirrendsten Umwegen durch die kleinsten Nischen in eine weitläufige Grotte, in der Stalagmiten wie Zähne aufragten und ein Pfad um eine große Tropfsteinsäule führte, auf der harsch durchkreuzte Jashin-Symbole prangten. An der Rückseite der Säule wurde er fündig.

Eine Kunoichi, die er als die erkannte, gegen die er als Jäger gekämpft hatte, stand neben einem einfachen Bambusstuhl. Und auf dem Stuhl …

„Willkommen, Sasuke“, sagte Itachi. „Wie viel kannst du bereits mit deinen Augen sehen?“

Zweitausend Jahre

Sasuke griff nach seinem Schwert und zog es aus der Gürtelschlaufe. Da war er. Sein Bruder. Sein Ziel. Sein Schicksal. Sein Opfer. „Was ich sehen kann? Ich sehe deinen Tod, Itachi“, sagte er grimmig.

Itachi schlug die Beine übereinander. „Ich verstehe. Nun, allzu weitsichtig bist du nicht, aber das macht nichts.“

Sasuke nickte der Kunoichi neben ihm zu. „Wer ist das?“

„Ihr Name ist Anzu“, sagte Itachi, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Sasuke sah ihm genau in die Augen, wartete darauf, in einem Genjutsu gefangen zu werden, nur um sich befreien und seinerseits zurückschlagen zu können, aber das schien nicht zu passieren. „Sie ist neben einer Sensor-Kunoichi auch ein fähiger Medic-nin. Sie wird uns dabei helfen, den Eingriff sauber zu gestalten.“

Sasuke kniff die Augen zusammen. „Wovon redest du?“, fragte er kalt, ohne die Spur von Interesse.

Itachis Sharingan veränderten sich, nahmen die Form an, die sie in der Nacht hatten, als er den Uchiha-Clan ausgelöscht hatte. Sasuke fühlte beißende Wut in sich aufsteigen. „Du hast immer noch nicht die selben Augen wie ich“, stellte Itachi fest. „Konntest du deinen besten Freund am Ende doch nicht töten?“

Sasuke wollte nichts davon hören. Zu reden brachte nichts. Es war Zeit, zu töten. Ohne Vorwarnung schleuderte er sein Schwert auf Itachi, und noch während dieser einen Kunai zog um es abzuwehren, setzte er ihn unter ein Genjutsu.

Doch Itachi durchschaute den Trick. Er bemerkte die beiden Explosiv-Kunai, die dem Schwert folgten und die Sasuke seinen Wächtern in Neuanfang abgenommen hatte, und wich den Waffen mit einem Sprung aus. Sasuke sah zwar, wie sein Bruder getroffen und in Stücke gerissen wurde, doch er erkannte sofort, dass auch das nur eine Illusion war. Einzig der Bambusstuhl war in seine Einzelteile zerlegt worden.

Die Kunoichi, Anzu, die hinter einem großen Stalagmiten in Deckung gegangen war, warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Soll ich anfangen?“, fragte sie. „Oder sprengt ihr lieber zuerst die ganze Höhle in die Luft?“

Itachi bedeutete ihr zu warten. „Sie hat recht, Sasuke. Wir können immer noch kämpfen, aber ich möchte, dass du dir vorher meinen Vorschlag anhörst.“

Sasuke zog an dem Draht, den er am Griff seines Schwerts befestigt hatte, und riss es in seine Hand zurück. „Warum sollte ich noch mit dir reden?“

Itachi lächelte müde. „Sieh es als letzten Wunsch an.“

Sasuke überlegte. Etwas war im Busch. Vielleicht sollte er zuerst diese Kunoichi töten … „Wenn du reden willst, verrate mir eins. Damals sagtest du, wenn ich das Mangekyou Sharingan entdecken würde, gäbe es drei Leute mit dieser Fähigkeit. Wer ist der dritte? Du meintest nicht Kakashi, oder?“

Itachi sah ihn wieder mit seinen gewöhnlichen Sharingan an. „Ich sage es dir, wenn du mir zunächst einmal einfach zuhörst.“

„Gut“, sagte Sasuke lauernd und blieb auf der Hut. „Dann sag deine letzten Worte.“

Jetzt lugte die Kunoichi wieder hinter der Tropfsteinsäule hervor. Er war sich jetzt sicher, dass sie die Teamkameradin von Eichi war – vielleicht sogar seine Schwester, wenn man die Ähnlichkeit bedachte. Ob er ihr vom Schicksal ihres Bruders erzählen sollte? Er beschloss, abzuwarten, was Itachi noch vorzubringen hatte.

Sein Bruder überraschte ihn, als er sich leger auf einen abgeflachten Tropfstein setzte und die Hände faltete. „Da es Konoha nicht mehr gibt“, sagte er bedeutungsschwer, „gibt es wohl auch keinen Grund mehr, die Wahrheit zurückzuhalten.“
 

Als er geendet hatte, waren Sasukes Pupillen winzig klein geworden. Ein Schweißtropfen lief über seine Schläfe und tropfte auf seine nackte Schulter. Ungläubig starrte er seinen Bruder an. „Das ist nicht wahr“, brachte er mühsam über die Lippen, die sich nicht bewegen wollten. „Das ist ein verzweifelter und trauriger Versuch, deine Haut zu retten, Itachi!“

„Es ist wahr“, sagte Itachi unbeirrt. „Der Uchiha-Clan wollte eine Revolution starten, und auf den Befehl der Ältesten hin habe ich diese Gefahr gebannt. Du musst nicht denken, dass es mir leicht gefallen ist. Ich verließ das Dorf als Nuke-nin und trat den Akatsuki bei, einerseits um sie daran zu hindern, Konoha anzugreifen, andererseits, um dich vor den Anbu zu schützen.“ Er machte eine Pause. „Der Chakra-Sturm scheint auch Orochimarus Chakra in dir zerstört zu haben. Das ist gut. Wir müssen nicht gegeneinander kämpfen, kleiner Bruder.“

Sasukes Gesicht war wie in Stein gemeißelt, nur seine Augäpfel zuckten.

„Das ist doch ein Trick, oder?“

Eine andere Stimme. Itachi sah auf, Sasuke fuhr herum. „Sakura“, murmelte der jüngere der Uchiha-Brüder.

Sie trat hinter der Säule hervor. Auf direktem Weg war sie hergekommen, hatte den Stollen mit den Leichen gefunden und gewusst, welchen Weg sie nehmen musste. Nie hätte sie gedacht, dass es ihr so leicht fallen würde, hierher zurückzukommen. Sie erinnerte sich an diese Höhle, als wäre es gestern gewesen. Hier hatte sie Itachi nach der Katasrophe wiedergesehen. Sie war gerade rechzeitig gekommen, um seine letzten Sätze zu hören. Die Kunoichi hatte sie als erste bemerkt, doch sie hatte nur gegrinst, anstatt Alarm zu schlagen.

Sakura zwang sich, den Blick von Sasuke zu lösen und Itachi anzusehen. Ein Frösteln durchlief sie. Sie versuchte, ihm nicht in die Augen zu blicken, doch auch so wurden für einen Moment wieder die Erinnerungen übermächtig, Erinnerungen an Schmerzen, Schweiß und Räucherwerk, kratziges Stroh und schwere Rabenflügeln, glühende Augen und lüsterne Blicke. Die Höhle drohte sie zu erdrücken, die Stalaktiten schienen jedem Moment auf sie hereinstürzen zu wollen, um sie aufzuspießen und sich an ihrem Blut zu laben. In den schattigen Nischen glaubte sie schwarzweiß bemalte Ungeheuer zu sehen, nur halb Mensch, die bluthungrig und verstümmelt darauf warteten, dass sie einen Augenblick lang unachtsam war.

Dennoch trat sie entschlossen noch einen Schritt vor.

„Was tust du hier?“, knurrte Sasuke. Sein Blick glitt über ihre neue Kleidung und Ausrüstung, die schon wieder blutverschmiert war, über ihr schlammverklebtes, kürzeres Haar, und blieb lange an ihren Augen haften. Verwirrte ihn der Ausdruck darin? Er war nicht erfreut, sie zu sehen, aber das hatte sie nicht erwartet.

„Du bist also schon hier“, sagte Itachi. Etwas in seiner Stimme ließ sie aufhorchen, wollte sie dazu verleiten, in seinen Augen zu lesen, was er von ihr hielt, doch das durfte sie nicht, niemals.

„Ja. Ja, ich bin hier“, sagte sie. Ihre Stimme klang so dünn und brüchig, dass sie sich räuspern musste und sich innerlich dafür verfluchte. „Ich weiß jetzt, was ich für einen Fehler gemacht habe, Sasuke. Damals, als du Konoha verlassen hast.“ Sie schritt langsam, aber entschlossen auf ihn zu. Sein Blick zwang sie jedoch, in vier oder fünf Schritten Abstand innezuhalten. Sakura reckte das Kinn vor und zog die Schultern zurück. Dabei ließ sie es zu, dass er einen Blick auf ihr blutiges Dekolleté und die verschorfte, breite Narbe knapp über ihrem Herzen werfen konnte. Sollte er ruhig sehen, was sie durchmachen musste, um hierher zu kommen. Irgendwie würde sie ihn schon beeindrucken. „Ich habe damals gebettelt, dass du mich mitnimmst, hab dich angefleht und geweint. Ich habe zu spät gemerkt, dass das der völlig falsche Weg war.“ Sie atmete tief durch. Ihre Atmung war immer noch ein wenig belegt, aber es würde schon gehen, es musste. „Als du aus Neuanfang fortgelaufen bist, wusste ich es besser. Wir haben beide nichts davon, wenn ich weinend sitzen bleibe und darauf vertraue, dass du wiederkommst oder dass dich jemand zurückbringt. Wenn du mich als Partnerin akzeptieren sollst, dann muss ich selbst die Initiative ergreifen. Ich darf nicht betteln, mitkommen zu dürfen, ich muss mich einfach auf deine Seite schlagen. Ich muss es schaffen, mit dir mitzuhalten, und ich muss ebenso stark und zielstrebig sein wie du. Als Klotz am Bein kannst du mich nicht gebrauchen.“

Sasuke starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. Vielleicht weil es das erste Mal war, dass er sie so sah. Er kannte nur Sakura, die hilflose Kunoichi, und die gebrochene Sakura nach dem Chakrasturm. Es war an der Zeit, dass er die neugeborene Sakura nach dem Blutregen kennen lernte. Das würde ihn beeindrucken, das wusste sie.

Sie täuschte sich. „Meine Rache ist etwas, was ich alleine antreten muss“, sagte er kühl und wandte sich mit einem Ruck wieder Itachi zu. „Kapierst du das nicht? Allmählich wirst du zur Plage.“

Sakura verschlug es die Sprache. Sie hätte sich nichts von ihm erwarten dürfen, nicht nach dem, was ihm widerfahren war, teils durch ihre Schuld, aber trotzdem … Nachdem sie so weit gegangen war … „Und glaubst du, du bist der einzige, dem Rache zusteht?“, zischte sie wütend, obwohl ihr der Gedanke gerade erst gekommen war. Außerdem glaubte sie nicht, es mit Itachi aufnehmen zu können.

„Rache ist nicht nötig, Sasuke“, sagte Itachi ruhig. „Ich weiß, ich habe vieles getan, was verwerflich ist und was man mir bis an mein Lebensende vorwerfen wird.“ Dabei sah er nicht nur seinen Bruder an, sondern einmal flackerte sein Blick sogar kurz zu Sakura, die überrascht gar nicht daran dachte, die Augen abzuwenden, und einen erschrockenen Schritt zurück machte. Doch irgendetwas sagte ihr, dass kein Genjutsu im Spiel war, auch jetzt wieder nicht. Als wollte er sie daran erinnern, dass er für sie gar kein Genjutsu brauchte …

In Itachis Stimme änderte sich etwas, als er sah, wie sie zurückzuckte. Verletzte es ihn, war es das? Oder war es Zufall? Sakura wusste nicht, warum, aber nach Kazes Worten versuchte sie schon wieder in die kleinsten Reaktionen ganze Bände hineinzuinterpretieren. Warum war nur immer alles so verdammt kompliziert?

„Ich kann das alles vielleicht nie wieder gutmachen, das ist die Wahrheit“, fuhr Itachis samtene Stimme fort und er wandte sich wieder Sasuke zu. „Aber ebenso die Wahrheit ist, dass ich vieles davon getan habe, um dich … um euch zu schützen.“ Plötzlich stahl sich ein schwaches Lächeln auf seine Lippen. „Ich weiß, es kommt spät und es klingt unglaubwürdig, nach allem … aber ich habe dich vermisst, kleiner Bruder.“

Für einen Augenblick war es totenstill. Dann begann Sasukes Mundwinkel amüsiert zu zucken, während sein Blick ernst blieb. Er schnaubte, stieß ein leises, tonloses Kichern aus. „Itachi“, sagte er und klang so überheblich, wie Sakura es von ihm gewohnt war. „Glaubst du im Ernst, dass ich dir das abnehme? Du kannst mich nicht mit Genjutus betrügen – wie soll es dann mit Lügenmärchen funktionieren?“

Itachis Mienenspiel begegnete seinem ausdruckslos. Nach einer Weile erst sagte er: „Du hast mir vorhin eine Frage gestellt. Ich werde sie dir jetzt beantworten, wie abgemacht. Der andere Nutzer des Mangekyou Sharingan ist Uchiha Madara, Gründungsmitglied von Konoha und von Akatsuki gleichermaßen.“

Sasukes Augenbrauen zuckten. „Gründungs… aber dann müsste er längst tot sein?“, rief Sakura und erntete dafür einen abfälligen Blick von dem jüngeren der Uchiha-Brüder.

„Madara war es auch, der den Kyuubi einst auf Konoha losgelassen hat“, erklärte Itachi. „Ihn könntest du fragen, er weiß über meine Taten genau bescheid. Allerdings weiß ich nicht, ob er noch lebt oder im Chakrasturm umgekommen ist. Ich habe mir ausgerechnet, dass der Sturm mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu hundert auch einen Sharingan-Nutzer in den Tod hätte reißen können, wenn die Chakrawirbel ungünstig ausgefallen sind. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie es sich anhört.“ Er schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder, und bei ihm wirkte es fast so, als würde er abwinken. „Wichtiger ist aber eine andere Geschichte. Die zunächst unausweichliche Konsequenz für das Privileg, das Mangekyou Sharingan zu benutzen, ist Erblindung.“ Er ließ seine Worte ein wenig sinken. Sakura glaubte sich zu erinnern, dass Kakashi über Itachis Sehkraft einmal eine ähnliche Andeutung gemacht hatte. „Als Madara als junger Mann merkte, dass sein Mangekyou Sharingan sein Augenlicht immer mehr schwächte, nahm er sich die Augen seines jüngeren Bruders“, fuhr Itachi fort. „Damit erweckte er das ultimative Doujutsu; ein Mangekyou Sharingan mit all seinen Vorteilen, aber ohne die Nachteile.“

„Und dieses Doujutsu ist jetzt auch dein Ziel“, murmelte Sasuke. Sein Finger glitt an der stumpfen Kante seines Schwerts entlang. Sakuras Blick glitt von Itachi zu ihm und wieder zurück. „Deshalb also dieses ganze Theater.“

„Das ist mein Ziel, ja“, sagte Itachi unbewegt. Er nickte der Gras-Kunoichi zu. „Anzu wird uns bei der Operation helfen, den Blutfluss hemmen und die Schmerzen lindern, und dafür sorgen, dass sich deine Augen schnell wieder erholen, wenn ihnen mein Mangekyou Sharingan eingepflanzt wird.“

Sasuke wollte schon etwas erwidern, als ihm plötzlich der Mund offen stehen blieb. Auch Sakura starrte Itachi erstaunt an. „Du willst …“, murmelte sie, „deine Augen … Sasuke geben?“

„Lügner! Da steckt ein fauler Trick dahinter!“, schrie Sasuke entschieden. „Wozu solltest du das tun? Und wozu sollte es gut sein? Ich habe noch keine Mangekyou Sharingan. Also werde ich auch nicht erblinden. Glaubst du, ich lege mich unter das Messer von deiner Kunoichi? Ich bin nicht mehr der kleine Junge von damals!“

„Nein“, stimmte Itachi zu, „der bist du ganz sicher nicht mehr. Wenn du dich dann wohler fühlst, können wir es auch ohne ärztliche Hilfe tun.“

„Ich frage dich nochmal: Warum solltest du mir so etwas vorschlagen?“, knurrte Sasuke gereizt.

Sakura verstand die Welt nicht mehr. Was ging hier eigentlich vor? Sie hatte immer eine klare Vorstellung davon gehabt, dass Itachi der böse Clanmörder und Sasuke auf Rache aus war, eine einfache Linie. Und nun hörte sie eine unglaubliche Wahrheit, von der sie sich nicht wirklich vorstellen konnte, dass es wirklich die Wahrheit war, und Sasuke glaubte es auch nicht. Vielleicht wäre es etwas anderes gewesen, wenn er die Geschichte von jemand anders gehört hätte, von diesem Madara beispielsweise, aber aus Itachis Mund hörte es sich tatsächlich nach einer Ausrede an, einem Versuch, die Schuld von sich fortzuschieben und dem Kampf mit seinem Bruder zu entgehen. Und damit nicht genug, versprach Itachi nun, Sasuke sein Augenlicht zu opfern?

„Der rote Regen hat das Chakra wieder in unsere Körper zurückgebracht“, erklärte Itachi, „aber niemand weiß, ob wir nun auch wieder selbst Chakra produzieren können. Wenn nicht, werden die Ninjas wieder auf die Chakrakristalle aus dieser Mine angewiesen sein, sobald das rote Wasser versickert oder aufgebraucht ist. Das schwarze Feuer, das ihr auf dem Weg hierher gesehen habt, entstammt dem Amaterasu, einer Technik, die dem Mangekyou Sharingan zueigen ist. Nur das Mangekyou Sharingan kann diese Flammen erzeugen, und nur das Mangekyou Sharingan kann sie wieder löschen. Der Schlüssel zu den Chakrakristallen und damit zur einzigen Chakraquelle der neuen Welt liegt im Amaterasu, und der Schlüssel zum Amaterasu in der Vereinigung unser beider Augen, Sasuke.“

Und das war der verrückte Moment, wo Sakura begann zu begreifen, welche Tragweite Itachis Handeln hatte. Er hatte die Kristallminen verschlossen und seine Ninjas losgeschickt, um Sasuke zu holen, damit er ihm den Schlüssel dafür in die Hand drücken konnte. Damit machte er ihn … Sakura schluckte. Er machte Sasuke zum König der neuen Welt, dem einzigen, der über die Kristalle verfügen konnte, der sie alle für sich behalten oder für bestimme Dienste als Bezahlung anbieten konnte. „Du würdest all das für deinen Bruder tun?“, fragte sie leise. Sie war nahe dran, alles zu glauben, was er eben gesagt hatte.

„Es ist das Mindeste“, entschied Itachi und seine Stimme klang fest. „Ich habe immer auf dich aufgepasst, Sasuke. Wäre die Welt nicht untergegangen, hätte ich vorgehabt, im Kampf gegen dich zu sterben, nachdem ich dich von allem befreit hätte, was von Orochimaru in dir geblieben ist. Jetzt kann ich dir mehr bieten. Ich hoffe, du nimmst dieses Geschenk an.“

„Wie nobel von dir.“ Sasuke versuchte spöttisch zu klingen, doch auch seine Selbstsicherheit war ins Wanken geraten und Zweifel sickerte durch die Ritzen in seiner Entschlossenheit. „Du würdest alles für mich opfern? Du hast mich lange nicht gesehen. Du kennst mich nicht einmal mehr!“

„Nicht jeder sieht nur auf seinen eigenen Vorteil, Sasuke“, murmelte sein Bruder leise. „Ein kleiner Risikofaktor besteht, weil dein Mangekyou Sharingan noch nicht erwacht ist. Aber ich nehme an, dass du es benutzen können wirst, wenn du erst die Kraft meiner Augen hast. Ich habe im Gegenzug nur eine Bitte.“ Er sah plötzlich Sakura an und diese wich zurück, als ein flaues Gefühl sie beschlich und mit kalten Spinnenbeinen über ihr Rückgrat lief. „Du bekommst meine Augen und die Mine. Dafür bitte ich dich, lass von Sakura ab. Sakura-san, ich weiß, ich habe auch dir weh getan. Ich bitte dich trotzdem, bleib an meiner Seite. Ich werde blind sein, also hast du nichts zu befürchten.“

Sakura blieb der Mund offen stehen. Also war er wirklich … „Wa-wa-was soll das auf einmal?“, stotterte sie. Er kam näher, und sie wich noch weiter zurück, bis sie die scharfen Spitzen der Salagmiten spürte, die ihre Kniekehlen kitzelten. „Was hab ich damit zu tun? Wieso bin ich jetzt ein Tauschobjekt zwischen zwei Brüdern?“

„Du bist kein Tauschobjekt“, sagte Itachi. Er klang ernst, noch ernster als üblich, kam ihr vor … „Ich werde Sasuke so oder so meine Augen überlassen. Was du tust, ist deine Entscheidung.“

Sakura blinzelte. Sie sah zu Sasuke, der ihren Blick stumm erwiderte. Warum sagte er nichts? Er schien zu überlegen, aber warum sah er nicht schockiert aus oder zumindest etwas in der Art?

„Meine Entscheidung?“, brachte sie heiser hervor. Ihre Augen wurden feucht, das Brennen war wieder da und stärker denn je. „Warum sollte ich … Nach allem, was …“

„Ich weiß, ich habe dir etwas Schreckliches angetan und ich hätte es besser wissen müssen“, sagte Itachi. „Wenn du mir etwas Zeit gibst, werde ich versuchen, mich zu erklären.“

Sakura schüttelte traumatisiert den Kopf, tat einen weiteren Schritt zurück, als er noch näher kam. Die spitzen Stacheln ritzten die Haut ihrer Unterschenkel auf. Sie zückte Kazes Wurfmesser und hielt es vor die Brust. „Bleib, wo du bist! Komm nicht näher!“

Diesmal sah sie tatsächlich etwas in diesen unheimlichen Augen, das wie ehrlicher Schmerz aussah. „Sakura“, sagte er. „Ich weiß, dass es viel verlangt ist. Du musst auch nicht bei mir bleiben. Aber gibt mir wenigstens die Chance … dich dazu zu bringen, mir zu vergeben.“

„Dir vergeben?“ Sakura lachte kurz hysterisch auf. „Nicht in tausend Jahren werde ich dir vergeben!“

Er neigte den Kopf. „Dann werde ich es zweitausend Jahre lang versuchen.“ Seine Hand schloss sich um ihr Handgelenk, doch sie war wie erstarrt und konnte nicht zustoßen. War das ein Genjutsu, das sie lähmte? Nein. Denn das Genjutsu kam erst jetzt.

Itachis linkes Auge veränderte sich, die Sharingan-Sprenkel darin vereinigten sich. Das Mangekyou Sharingan, schoss es Sakura heiß und mit wuchtiger Klarheit durch den Kopf. Verdammt!

Und die Welt war verschwunden.
 

Ein Rauschen aus Rot und Grau hüllte sie ein, wie in ihren Albträumen, sie sah Itachi vor sich, die Farben verblasst und invertiert, versuchte erneut vor ihm zurückzuweichen, zu fliehen, irgendwohin, auch wenn es hier nichts gab – dann ging ein Ruck durch die Welt und die Farben veränderten sich erneut.

Sie stand inmitten einer Wiese im Frühling, saftig und hellgrün, gelbe und violette und blaue Blüten verströmten süßen, milden Duft. Wind rauschte durch die Blätter des nahen Waldes, trug den Geruch nach Harz und Wärme heran. Irgendwo plätscherte friedlich ein Bach, dort drüben, am Fuß des sanft geschwungenen Hügels, und als sie dorthin sah, schwammen schillernde Fische gegen den Strom des sprudelnden, klaren Wassers. Sakura hielt den Atem an. Sie hätte nie geglaubt, wieder einmal etwas so Schönes, Natürliches zu sehen …

Itachi stand plötzlich vor ihr. Er trug nicht mehr seinen Akatsuki-Mantel, sondern einfache, graue praktische Alltagskleidung. Sein Zopf wehte schwach im Wind. Bei seinem Anblick biss sie sich auf die Lippe. „Was hast du mit mir gemacht?“, fauchte sie.

„Das hier ist die Welt von Tsukuyomi“, sagte er, seine Stimme war leise, aber deutlich zu hören. „Eine Illusion, erschaffen durch die Macht des Mangekyou Sharingan. Ich kontrolliere das Aussehen und die Zeit an diesem Ort. Ich kann dir eine Sekunde vorkommen lassen wie einen Tag, einen Tag wie ein Jahr, eine Sekunde wie ein Jahr.“

Sakuras Herz schlug schneller, als sie sich an die Begegnung mit ihm erinnerte, als sie damals auf dem Weg waren um Gaara zu retten. Kakashi hatte gesagt, er wäre drei Jahre lang in Itachis Genjutsu gefangen gewesen, wo er höllische Qualen durchlebt hätte. „Du“, stieß sie hervor. „Willst du mich foltern?“

Er strich sich eine Strähne seines Haares aus dem Gesicht, das vom Wind zerzaust wurde. „Kommt dir diese Welt wie Folter vor?“

Sakura sah sich erneut misstrauisch um. „Ein Trick“, mutmaßte sie.

„Ich habe dir gesagt, vielleicht würdest du mir verzeihen, wenn ich dir zweitausend Jahre Zeit lasse. Das war ernst gemeint.“

Sakuras Mund klappte auf. „Du willst doch nicht etwa … Du hast doch nicht vor, mich zweitausend Jahre in einer Illusion einzusperren?“ Er könnte sonstwas mit ihr anstellen, solange sie keine Kontrolle über ihre Umgebung hatte … nach allem, was Kakashi erzählt hatte, konnte man dieses Tsukuyomi nicht wie ein normales Genjutsu unterbrechen.

„Wenn es dir hilft, deine Angst vor mir zu überwinden.“

„Wer sagt, dass ich das überhaupt will?“ Dabei wollte sie nichts lieber, als es endlich zu vergessen … aber wie konnte sie das, wenn alles hier von Itachi gemacht war und er selbst vor ihr stand? Sie schlang die Arme um ihren Leib. Wenigstens ihre Kleidung war unverändert … was hätte sie getan, wenn sie sich plötzlich selbst nackt gesehen hätte? Sogar das war ihm zuzutrauen! „Also schön“, sagte sie mit zitternder Stimmung, während sie wieder unsicher in dieser Welt umherblickte, die so friedlich gewesen wäre … wäre er nicht hier gewesen, hätter er sie nicht geschaffen. „Das hier ist nur eine Illusion, nicht? Dann mach schon. Tu mir mir, was immer du willst. Ich kann es ja doch nicht verhindern.“ Zittrig atmete sie ein, verbannte die Angst so gut es ging aus ihren Gedanken. Er hatte ihr bereits so viel genommen … was konnte er ihr noch groß antun? „Aber versprich mir eins. Nachdem du zweitausend Jahre lang deinen Spaß mit mir gehabt hast und das Jutsu endlich beendest, lass mich gehen. Dann war ich doch lange genug bei dir, oder?“

Itachi seufzte und schlug die Augen nieder, und es sah traurig aus, fand Sakura. Kurz verschwammen die Formen um sie herum, die Farben verblassten. „Du hast es immer noch nicht begriffen, Sakura. Es ist mein Wunsch, dass du an meiner Seite bleibst, bis an mein Lebensende. Aber wenn es dein Wunsch ist, frei zu sein, ist das auch in Ordnung.“

„Frei sein? Und das hier?“ Sakura breitete die Arme aus. „Ich bin in deinem Genjutsu gefangen!“

Er lächelte gequält. „Ich möchte nur, dass du mir zuhörst. Ich werde dich nicht berühren, versprochen. Ich möchte dir etwas über mich erzählen. Vielleicht kannst du mich dann ein Stück weit verstehen.“

Sakura schürzte die Lippen. War das immer noch ein Trick um sie in Sicherheit zu wiegen? „Ich verstehe nur, dass du mich in dieser kalte Zelle gefangen gehalten hast, dass du mir deinen Willen aufgezwungen hast und dir meinen Körper einfach so genommen hast“, sagte sie bitter und lachte humorlos. „Auf meinem Weg hierher bin ich diesem Kaze begegnet. Er hat allen Ernstes behauptet, dass du mich lieben würdest. Lustig, nicht wahr? Und ich könnte schwören, du versuchst, den gleichen Eindruck zu erwecken. Warum?“

„Weil es die Wahrheit ist“, sagte er sanft.

„Ach.“ Sakura sah ihm forschend in die Augen. Endlich konnte sie es, sie war bereits in seiner Illusion, also war es egal. Endlich konnte sie in Ruhe die Tiefen ausforschen, die sich im ständigen Rot seiner Iriden versteckten. „Das Mädchen ist tot“, sagte sie unvermittelt.

„Welches Mädchen?“

„Das Mädchen, das deine Leute aus den Trümmern von Konoha aufgelesen haben.“ Aus Sakuras Blick sprach Zorn und Unverständnis. „Ich habe sie gesehen, in einem Sklavenkäfig, zu Tode gehungert.“

Wieder senkte Itachi kurz den Blick, doch diesmal veränderte sich an der Umgebung nichts. „Das ist bedauerlich“, sagte er. „Du hast also mitbekommen, dass Fukita sie gefunden hat?“

„Sei ehrlich, wenigstens dieses Mal“, sagte Sakura drohend leise. „Sie hast du nicht gezwungen, mit dir zu schlafen, oder?“

„Nein“, seufzte er.

„Du hast deine Anhänger mit einem Genjutsu getäuscht und sie gehen lassen. Mir hast du Gewalt angetan. Und ich soll dir abnehmen, du würdest mich lieben?“ Ihre Stimme war schrill geworden. „Sasuke hatte recht, du bist verabscheuungswürdig!“

„Sakura-san, bitte“, sagte Itachi. „Hör mir zu!“

„Ich denke nicht daran.“ Sakura wirbelte herum und lief davon. Ihre Füße trugen sie den Hügel hinab, sie sprang über den Bach, wo sie kurz ihr zerschundenes Gesicht spiegeln sah. Das war die Wahrheit, dachte sie. Die schöne, heile Welt um sie herum konnte nicht verdecken, wer und was sie waren.

Sie lief in das Wäldchen. Verträumte, goldene Sonnenstrahlen blinzelten durch das Blätterdach. Als sie an einem Baum vorbeilief, stand er wieder vor ihr. „Du kannst hier nicht vor mir fliehen“, sagte er. „Mach es uns beiden leichter und hör mich einfach an.“

„Ich werde nie etwas anders tun, als dich zu hassen“, knurrte sie ihn an. „Selbst wenn du mich zehntausend Jahre lang verfolgst.“

„Du hast dich gefragt, warum ich das Mädchen habe gehen lassen und dich nicht“, sagte er unbeirrt.

Sakura seufzte. „Gut. Sag es mir.“

„Erinnerst du dich, was ich nach jener Nacht zu dir gesagt habe?“

Wie könnte sie das vergessen? Immer noch sandte die Erinnerung einen Schauer über ihren Rücken. Ab heute gehört sie mir.

„Ich habe es gesagt, damit die Jashinisten dich in Ruhe lassen, aber es steckte wohl mehr Wahrheit darin, als ich zunächst vermutet habe.“

Der Wald verschwand vor ihren Augen, stattdessen standen sie nun beide in einer urigen Hütte. Die Wände, der Boden und das Dachwerk waren aus dicken Holzbalken, es gab einen offenen Ofen und einen Tisch mit zwei Stühlen. Durch die geglasten Fenster konnte sie wieder die Wiese erkennen, obwohl sie von dort aus vorhin keine Behausung gesehen hatte. „Was soll das?“, murmelte sie.

„Hier ist es gemütlicher. Setz dich. Ich denke, mit Tee willst du dich nicht aufhalten?“

Sie schüttelte apathisch den Kopf. Es war nur eine Illusion, Tee zu trinken hatte gar keinen Zweck, er wollte sie nur vergessen lassen, dass sie sich in seinem Genjutsu befand!

Itachi setzte sich auf einen der Stühle und sie tat es ihm gleich. Die hölzernen Sitzflächen waren überraschend bequem.

„Die neue Welt ist in vielerlei Hinsicht für mich erfreulicher als die alte“, sagte Itachi. „Die ganze Verantwortung, die ganze Maskerade, der ich mich verpflichtet habe. Alles ausgelöscht, von einem Atemzug auf den nächsten.“ Seine Erinnerungen schienen in die Ferne zu schweifen. „Ich habe mein Leben dem Dorf geopfert. Und Sasuke. In einem Geheimauftrag habe ich den Uchiha-Clan ausgerottet, um eine Rebellion zu verhindern, einen Bürgerkrieg und vielleicht noch Schlimmeres. Anschließend bin ich ins Exil gegangen, habe mich Akatsuki angeschlossen, ein Auge auf ihre Aktivitäten gehabt und versucht, Sasuke vor den Anbu zu schützen. Gleichzeitig musste ich den bösen Nuke-nin spielen, den Sasuke irgendwann herausfordern würde, wenn er stark genug geworden wäre, bereit, gegen ihn zu verlieren. Ich weiß, du kennst mich als einen kalten Verbrecher, aber das alles war nicht leicht.“ Er machte eine kurze Pause, sah sie immer noch nicht an. „Als der Chakrasturm ausgebrochen ist, begann ein neues Leben für mich. Damit meine ich nicht, dass mich die Jashinisten zum Hohepriester auserkoren haben. Konoha, das ich beschützen wollte, war ausgelöscht worden. Tief im Inneren wusste ich, dass Sasuke noch lebte. Er war letztendlich alles, was mir geblieben war. Von da an tat ich alles, um ihn an die Spitze der neuen Welt zu bringen. Ich beschloss schließlich, ihm die Wahrheit zu sagen. Es gab keinen Grund mehr, gegen meinen kleinen Bruder zu kämpfen. Ich hatte zwar überlegt, ihn im Dunkeln zu lassen und wie geplant durch seine Hand zu sterben, aber du hast mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

„Ich?“, machte Sakura verständnislos.

Itachi lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Mein Leben lang habe ich für andere gelebt. Ich habe wertvolle Zeit mit meinem Bruder dem Training geopfert, um zu den Anbu zu kommen. Ich habe meinen Clan geopfert, um den Frieden im Dorf zu wahren. Ich habe mein Leben als ehrbarer Ninja geopfert, um Sasuke zu schützen. Und ich wollte mein Leben opfern, um ihm eine Zukunft zu geben. Dann ist mir ein Weg eingefallen, wie ich ihm die auch so geben konnte – und ein einziges Mal wollte ich selbstsüchtig sein. Als die Jashinisten dich in mein neues Reich gebracht haben, warst du zunächst tatsächlich das einzige bekannte Gesicht in der neuen Welt.“

Sakura wollte schon zu einer bissigen Antwort ansetzen, doch etwas hielt sie zurück. Sie glaubte fast, es ihm schuldig zu sein, ihm zumindest dabei zuzuhören, wie er sich herauswinden wollte.

„Du warst immer noch kämpferisch. Du bist nicht vor mir gekrochen wie die Jashinisten, du bist eine Kunoichi, und du hast den Sturm überlebt. Vielleicht war es so etwas wie Vorhersehung. Du bist keine gewöhnliche Frau, das habe ich erkannt. Als ihr damals gegen meinen Doppelgänger gekämpft habt, hast du dich zwar zurückgehalten, aber du hast es geschafft, Sasori zu besiegen. All das ist mir wieder eingefallen, als ich dich gesehen habe. Und dass ich sicherstellen musste, dass du überlebst. Dich einfach gehen zu lassen wäre riskant gewesen. Fukita hätte dich am liebsten auf der Stelle geopfert, und garantiert hätten sie dich gejagt und wieder gefangen genommen. Ich wusste nicht, wie ich dir Chakrakristalle hätte zukommen lassen können, ohne dass sie Wind davon bekommen. Und ich brauchte die Jashinisten, um alles für Sasukes Krönung vorzubereiten.“

„Du hättest mich immer noch auf die gleiche Weise befreien können wie das Mädchen“, murmelte Sakura tonlos, ohne die Lippen viel zu bewegen. Sie glaubte, im Ansatz zu verstehen, was er sagen wollte. Selbst nachdem es eigentlich hinfällig geworden war, hatte er mit seiner Maskerade weitergemacht, um Sasukes Willen. Erst jetzt wollte er die Maske fallen lassen.

„Vielleicht hätte ich das tun sollen, ja. Ich war aufgewühlt. Vielleicht war ich auch zu sehr in meiner Rolle als Bösewicht versunken. Ich musste mich erst in meiner neuen Position zurechtfinden, und es haben wohl viele Faktoren in diese Entscheidung mit eingespielt. Du wärst womöglich genauso in die Hände von Sklavenhändlern geraten, oder überfallen und ausgeraubt worden, genauso wie du von den Jashinisten überfallen wurdest. Du hättest verhungern oder verdursten können, niemand kann sagen, was der Chakrasturm in der Welt alles verändert und vergiftet hat.“

Ja. Das Wasser in eurer Zelle zum Beispiel, dachte Sakura sarkastisch, aber sie hörte weiter zu.

„Dann war da noch die Sache mit Sasuke. Ich wusste, dass er sich von euch losgesagt hatte, aber ich war mir nicht sicher, ob er dich nicht töten oder für seine Rache ausnutzen würde.“ Er sah sie seltsam an, als würde er sie fragen wollen, ob das nicht vielleicht sogar der Fall war. „Es war auch einfacher und kräftesparender, als ein Genjutsu auf ein halbes Dutzend Ritualdiener anzuwenden. Und, schlussendlich, lag es vielleicht zum Teil auch einfach daran … dass ich dich bereits begehrte.“ Sie sah ihm an, wie schwer ihm dieser letzte Satz fiel. Sakura wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie sah auf ihre geballten Fäuste hinab. „Begehrte … oder liebte?“

Er schwieg lange. Sie ahnte, dass er ihr diese Zeitspanne wie einen Wimpernschlag hätte vorkommen lassen können, aber er wollte, dass sie mitbekam, wie sehr er überlegte. „Lange habe ich jedem etwas vorgespielt. Das muss aufhören. Ich will ehrlich zu dir sein, Sakura-san“, sagte er tonlos und sah sie an, doch sie erwiderte den Blick nicht. „Ich empfinde auch jetzt noch keine wirkliche Liebe für dich. Noch. Ich fühle etwas, von dem ich weiß, dass es sich entwickeln könnte, wenn wir ihm die Chance dazu geben. Für Liebe … ich schätze, wir müssten einfach mehr Zeit miteinander verbringen. Das ist auch ein Grund, warum ich dieses Jutsu benutze.“

„Und damals?“ Sie hörte sich kaum selbst, aber er verstand sie sicher. „Was war ich damals für dich? Was an mir hast du begehrt?“

Eine noch längere, schmerzlichere Pause. „Ich weiß es nicht. Du warst die einzige Person um mich, die bei klarem Verstand war. Die wusste, was es heißt, ein Ninja zu sein und Gefahr zu laufen, ohne Chakra überleben zu müssen. Nein, man könnte es noch anders sagen. Du warst der einzige richtige Mensch, den ich hatte. Und jung und hübsch dazu. Vielleicht liegt es daran. Ich weiß es selbst nicht.“ Wieder schwieg er. Sakura fühlte sich einfach nur niedergeschmettert. Also hatte er sich einfach die erstbeste Frau genommen, die er in die Finger bekommen hatte, die sich nicht auf Jashin verschworen hatte? „Ich habe deine Gefühle mit Füßen getreten, das ist mir bewusst“, sagte er. „Aber danach habe ich mir Gedanken gemacht. Über dich. Du hast mehr verloren als ich, nämlich die Heimat, die ich schon lange nicht mehr hatte. Während ich auf Sasuke hoffen konnte, hattest du womöglich alle deine Freunde verloren. Und ich kann dir sagen, was ich dir angetan habe, hat mir letzten Endes größere Gewissensbisse bereitet, als der Verrat an meinem Clan. Denn schon damals konnte ich auf meinen Bruder hoffen. Aber nach dieser Nacht mit mir … da war mir klar, dass keiner von uns wirklich etwas davon hatte.“

„Du hast ja keine Ahnung“, flüsterte Sakura. Ihr Hals kratzte und ihre Augen brannten, Tränen liefen ihr heiß und nass über die Wangen. „Die Albträume, die Ängste … ich hab mich gefürchtet, allein zu sein, und gleichzeitig davor, von einem anderen Mann berührt zu werden … Ständig musste ich daran denken, ständig …“ Sie brach ab, biss die Zähne zusammen, aber sie konnte ihr Schluchzen nicht aufhalten.

„Es tut mir leid“, sagte Itachi. „Auch das ist die Wahrheit. Ich weiß, Worte bringen keinen Clan zurück und lassen dich auch diese Sache nicht vergessen.“ Er atmete tief durch. „Als ich solcherlei Gedanken hatte, wurde mir klar, dass ich begann, mehr für dich zu empfinden. Je weiter du von mir fort warst, desto klarer wurde es mir. Zuerst war es nur Mitleid, dann Verständnis … bis ich zum Schluss nur noch an dich denken konnte, und daran, was du hast durchmachen müssen.“

Er schwieg und ließ Sakura mit ihrem Kummer allein fertig werden. Dafür emfpand sie ihm gegenüber eine absurde Dankbarkeit. Nichts wäre ihr unangenehmer gewesen, als wenn er versucht hätte sie zu trösten, und er schien das zu erkennen.

„Meine Entschuldigungen haben nur die Erinnerungen wiedergebracht“, murmelte er nach einer gefühlten Ewigkeit, als ihr Körper aufgehört hatte zu beben und ihre Augen getrocknet waren. „Vielleicht hilft es dir, wenn du weißt, dass ich es bereue, und vielleicht kannst du mich ein Stück weit verstehen. Es war wohl dumm von mir, anzunehmen, dass du deine Meinung ändern würdest … Du kannst natürlich tun, was du willst, bei Sasuke bleiben oder fortgehen; mir ist jetzt klar, dass du auf keinen Fall bei mir bleiben willst. In Ordnung. Das ist eine Schuld, die ich tragen muss. Ich werde das Tsukuyomi auflösen.“

„Warte“, brachte sie gepresst hervor. Er sah sie fragend an. Sakura knetete ihre Hände und nun war sie es, die sich Zeit ließ, ehe sie weitersprach. „Es vergeht in der Realität keine Zeit, während wir hier reden, oder?“ Er schüttelte den Kopf, sagte nichts, um ihr nicht ins Wort zu fallen. „Der Schmerz … er hat über die Zeit nachgelassen. Ich bin meiner Angst mehr und mehr entkommen, aber ich … ich brauche einfach noch mehr Zeit.“ Sie glaubte nicht, dass sie jemals darüber hinwegkommen würde, aber die Pein würde sich lindern. Plötzlich fühlte sie keine Furcht mehr vor Itachi, sie hatte einen Blick hinter seinen Schatten werfen können und er war bereit, sie wieder in die Realität zu entlassen. Hierzubleiben bedeutete keine Gefahr. Aber vielleicht konnte sie in Ruhe mit ihrer Vergangenheit abschließen, wenn sie nur lang genug in einer sicheren Umgebung war. „Halte dein Genjutsu noch ein wenig aufrecht. Ich will keine zweitausend Jahre warten, aber wenn du kannst, gib mir noch ein wenig Zeit. Bitte.“

Itachi nickte.
 

An diesem Tag sprachen sie nicht mehr viel. Sakura erkannte, dass sie weder Schlaf noch Essen brauchte. Es gab ein Bett im Nebenzimmer, das Itachi ihr anbot, doch etwas in ihr sträubte sich noch immer, sich in seiner Gegenwart hinzulegen. So blieb sie wach, allein, saß auf ihrem Stuhl, die Wange gegen das warme Holz des Fensterrahmens gelehnt, und blickte stumm nach draußen, wo Mond und Sterne erschienen. Sie ordnete ihre Gedanken, ihre Gefühle, sagte sich, sie könnte ihn jederzeit bitten, sie wieder in die kalte Realität zu entlassen.

Als am nächsten Tag die Sonne warm und kräftig strahlte, setzte sie sich nach draußen in das Gras und genoss die Wärme. Auch wenn es nur eine Illusion war, die Sonnenstrahlen wirkten echt und fühlten sich gut an auf ihrer Haut. Itachi setzte sich in einiger Entfernung in den Schatten einer Trauerweide und harrte die Zeit aus, die sie für sich allein brauchte, in Reichweite, falls sie die Traumwelt verlassen wollte, aber nicht mehr als eine stumme, unbeteiligte Statue.

Das Muster der Wolken am Himmel wiederholte sich ständig und ihr fiel auf, dass auch in den Geräuschen etwas wie eine fixe Abfolge zu hören war, aber sie beschloss, nicht so sehr darauf zu achten. Sie dachte an Sasuke und Kakashi, an Naruto und die anderen, versuchte, mit der Welt vor dem Chakrasturm abzuschließen. Die müßige Zeit, in der sie vor nichts auf der Hut sein musste – denn falls Itachi sich doch entscheiden sollte, ihr etwas anzutun, konnte sie es doch nicht verhindern, und sie glaubte es mit jeder Stunde, die verging, weniger –, die ihr so lange gefehlt hatte, konnte sie jetzt endlich nachholen. Bis zum Sonnenuntergang saß sie da und dachte einfach nach. Irgendwann, nachdem der Wind auffrischte, stand Itachi auf und ging in die Hütte zurück, und als es dunkel wurde, folgte Sakura ihm. Im Ofen brannte ein angenehmes Feuer, das warmes, behagliches Licht in der Stube verströmte. „Das Feuer stammt aus meiner Erinnerung“, erklärte er ihr. „Shisui, ein ehemaliger Freund und Kamerad von mir. Seine Familie hatte einen ähnlichen Ofen. Das Feuer war warm und die Schatten tanzten, so wie jetzt gerade.“

Sakura antwortete nicht, sie setzte sich wieder auf den Stuhl, zog die Beine an und umschlang die Knie mit den Händen, schaukelte ein wenig hin und her und summte leise vor sich hin. Es half ihr, ihren Kopf freizubekommen. Die Gedanken waren geordnet, jetzt mussten sie nur noch zur Ruhe kommen. „Erzähl mir etwas“, sagte sie irgendwann, als es Mitternacht vorbei war.

Er sah weiter in die Flammen und sie konnte nicht sagen, ob der Ausdruck auf seinem Gesicht traurig oder amüsiert war. „Was möchtest du wissen?“

Was Sakura auch fragte, Itachi antwortete ihr. Er erzählte ihr von seiner Kindheit, seiner Familie, dem Uchiha-Clan, und natürlich von Sasuke. Ganz besonders von Sasuke. Und das war es auch, was Sakura am meisten interessierte. Die Nacht endete und der neue Tag begann, die Sonne zog über den Himmel, während Itachi immer noch redete. Durch seine Erzählungen lernte sie Sasuke von einer völlig neuen Seite kennen, die er vielleicht schon unter seinen Rachegedanken begraben hatte, aber auch Itachi nahm vor ihrem inneren Auge neue, klarere Gestalt an. Er erzählte ihr von seinen Missionen, dem inneren Zwiespalt, als er den Auftrag bekam, seinen Clan auszulöschen, und im Gegenzug erzählte auch sie von ihrem Leben in Konoha, ihren Freunden. Es endete damit, dass ihr Tränen über die Wangen liefen, aber auch das war eine Therapie, redete sie sich ein. Dieser Itachi war nicht derselbe, der sie vergewaltigt hatte, zumindest drängte sich ihr dieses Gefühl auf. Sie konnte ihm plötzlich mehr erzählen, als sie für möglich gehalten hatte.

Die Tage und Nächte vergingen. Aus dem Aufwärmen und Teilen von Erinnerungen wurden lockere Gespräche, dann herrschte wieder einmal langes Schweigen zwischen ihnen, als sie einander nichts mehr zu sagen hatten, doch sie empfand es nicht als unangenehm. Es war eine Art gegenseitige Verständnis, sodass sie keine Worte mehr brauchten. Es gab auch wenig zu bereden; sie machten Spaziergänge oder saßen im Gras, aber weder um Essen noch um Geld mussten sie sich kümmern und die Welt war auf der einen Seite hinter dem Wald und auf der anderen an einer windumtosten Steilklippe vor einem unechten Ozean zu Ende. Nach einiger Zeit erklärte Sakura sich bereit, doch das Bett zu benutzen. Itachi veränderte das Genjutsu und überreichte ihr einen Schlüssel, mit dem sie die Schlafkammer zusperren konnte. Es hatte wenig Sinn, da er Zeit und Raum hier kontrollierte, aber es hatte symbolische Bedeutung und Sakuras Unterbewusstsein ließ sich davon täuschen. Sie schlief nicht, aber sie glitt in einen Dämmerzustand, und setzte ihr Denken fort.

Es kostete ihn viel Chakra, das gab Itachi zu, aber er tastete all seine Reserven ab und erschuf Jahreszeiten in seiner kleinen Welt. Sakura und er wanderten durch einen warmen, duftenden Sommer, in dem die Grillen einlullend in der lauen Nachtluft zirpten, das Meer wild war und die Gischt sprühte, wenn sich die Wellen an der Klippe brachen. Sie kletterten hinab und Sakura schmeckte das salzige Wasser auf den Lippen, und egal wie durchnässt sie waren, nachdem sie auf den Felsen im Meer gehockt waren und Krebse gezählt hatten, der warme Sommerwind trocknete ihre Kleider rasch wieder. Der Regen der Sommergewitter brachte erfrischende Kühle nach heißen Tagen, die dem saftigen Gras auf der Wiese nichts anhaben konnten. Es folgte ein malerischer, verträumter Herbst, in dem die Bäume des Wäldchens sich in prächtige Farben kleideten und Laub in der Luft tanzte. Itachi schnitzte imaginäre Angelruten und sie fischten im Bach, ließen ihren Fang aber wieder frei.

Im Winter bedeckte Schnee die Wiese knietief, dicke Flocken fielen vom Himmel und Itachi und Sakura blieben in der vom Feuer gewärmten Hütte, verbrachten die Nächte in Decken gewickelt am Tisch sitzend, während sie Karten spielten. Einmal in einer Vollmondnacht gingen sie spazieren, fanden die Spuren eines Rehs im frisch gefallenen Schnee. Der Wald glitzerte und funkelte und strahlte weiß im kalten Mondlicht, als wäre die Welt mit Silber übergossen. Die Winterluft war frisch und rein, und bei jedem Schritt blitzte ein anderer Eiskristall vor ihren Füßen auf, während ihr Atem warm vor ihren Mündern dampfte und sie unter ihren Decken dennoch nicht froren. Der kleine Bach war zugefroren und Eiszapfen hingen von der Dachkante der Hütte. Am nächsten Tag waren ihre Spuren verschwunden und eine unberührte Schneelandschaft erstreckte sich auf den Hügeln.

Als im Frühling die ersten Blumen duftend aus dem schmelzenden Schnee ragten, die Vögel die warme Luft begrüßten und die kleine Welt vor Leben sprühte, mehr noch, als die richtige, kaputte Welt es noch vermochte, wurde Sakura bewusst, dass sie sich wie in einem Traum fühlte – in einem guten Traum. Die Träume, sie sie selbst immer wieder ereilt waren, hatten mit Folter und Blut und Schmerzen zu tun. Itachi war der Auslöser für sie gewesen, doch der Traum, den er ihr jetzt schenkte, was so schön, dass sie nicht mehr daraus erwachen wollte.

Sie sah ihn nicht mehr nur in neuem Licht. Sie sah ihn von allen Seiten von Licht überflutet, erkundete seinen Charakter, seine Vergangenheit, seine Gedanken. Auch sie offenbarte ihm vieles von sich, wenn auch längst nicht alles, aber das Gefühl der Vertrautheit nahm sogar zu. Es war bedauerlich, dass sie beide unter diesen Umständen zur Welt gekommen waren, in eine raue Realität geschleudert worden waren, die sie zu dem gemacht hatte, was sie in Wirklichkeit waren. Ihr wurde bewusst, dass, wenn Itachi und Sasuke Platz getauscht und Itachi stattdessen Team 7 zugeteilt worden wäre, auch dieses Team viel harmonischer gewesen wäre. Sie teilte ihm diesesn Gedanken mit, aber er meinte: „Die Menschen denken immer viel darüber nach, wie dieses und jenes gelaufen wäre, wenn nur eine Kleinigkeit in ihrem Leben anders gewesen wäre. Niemand kann wissen, wie sich etwas entwickelt hätte. Wäre ich nicht gewesen, wäre mein Bruder auch ein anderer Mensch. Es macht auch wenig Sinn, darüber nachzusinnieren. Die Vergangenheit ist tot.“

Er sprach die Sache nie wieder an, aber Sakura mutmaßte, dass er in der Zeit, die sie miteinander verbrachten, tatsächlich tiefe Zuneigung für sie entwickelte, ganz wie er es vorausgesagt hatte. Und auch sie konnte nicht leugnen, dass sie ihn zu mögen begann. Nicht das Monster, das ihr ihre Unschuld genommen hatte. Sondern den Mann, den sie nach und nach besser kennen lernte, dessen Fähigkeiten und Selbstlosigkeit sie beeindruckten und dessen Schicksal sie ehrlich zu bedauern begann. Es war schwer, etwas nicht lieben zu lernen, das man so in und auswendig kannte, mit all seinen Beweggründen und Gedanken. Dennoch blieb ein Schatten an ihr haften, denn wie er gesagt hatte, die Vergangenheit war tot, ließ sich nicht zurücknehmen.

Sie wagte es irgendwann, ihn zu berühren, ließ sich von ihm die Hand reichen, um über Meeresfelsen zu klettern, sich nach einem Schwimm- oder Tauchausflug von ihm an Land ziehen, tanzte sogar einmal an einem melancholischen Sommerabend zur Melodie der Vögel mit ihm über die Hügel, wozu sie ihn sogar überreden musste. Einmal, als sie nach einem Regenguss den Regenbogen beobachteten, rutschte sie auf dem glitschigen Gras aus und riss ihn auf der Suche nach Halt mit sich. Sie schlitterten den Hügel hinunter, und als sie hastig wieder aufstanden, berührten sich ihre Lippen flüchtig. Ihm war es sichtlich unangenehm, wahrscheinlich fürchtete er, sie könnte annehmen, er würde absichtlich versuchen, ihr nahe zu kommen, denn er sah sie erschrocken an, und Sakura senkte errötend den Blick.

In ihrem dritten gemeinsamen Jahr, als sie an einem windstillen Tag im Sommer wieder Unterwasserausflüge machten, um die kleine Korallenwelt zu betrachten, die im Schutz eines großen Felsens unterhalb der Klippe lag, schwammen sie nackt und störten sich nicht daran. Es war sogar Sakuras Idee gewesen und sie wunderte sich selbst darüber, aber sie hatte das Gefühl, dass es sie einander nichts vorenthalten mussten, und das am wenigsten. Itachi fragte sie anschließend, ob er sein Genjutsu für sich selbst nicht hätte verändern sollen, damit er sie stattdessen im Badeanzug gesehen hätte, und sie lachte. Dennoch gingen sie in stiller Übereinkunft nie weiter als bis zu dieser Linie. Sakura sah in ihm bereits fast so etwas wie einen Freund, einen Vertrauten, einen Verbündeten, der sie auch in der echten Welt nicht verlassen würde, falls das, was sie hier erfahren hatte, auch dort Gültigkeit besaß – und davon ging sie aus, denn kein Genjutsu würde so perfekt und komplett ein menschliches Wesen nachahmen, wenn es nicht das echte war. Aber lieben würde sie ihn trotzdem nie. Diese eine Sache konnte sie ihm nach wie vor nicht verzeihen. Und dann gab es da noch jemand anders, bei dem sie bleiben wollte. Als sie ihm das sagte, nickte er nur und sagte: „Ich verstehe.“

Diese Erkenntnis führte dann auch dazu, dass Sakura beschloss, es nun gut sein zu lassen. Sie hatten lange miteinander gelebt, vergangene Freuden und Leid geteilt und auch Spaß gehabt. Doch letzten Endes war alles nur ein Traum, und er gestand ihr auch, dass er sein Tsukuyomi unmöglich so lange würde aufrechterhalten können, dass es sich wie zweitausend Jahre anfühlte. Und Sakura hatte Angst, dass sie nie wieder in die Realität zurückfinden würden, dass sie es gar nicht wollen würde, wenn sie zu viel Zeit mit ihm in diesem Traum verbrachte, und es gab noch einiges, was sie beide erledigen mussten, und das wurde dann das letzte Thema, das sie besprachen.

Als sie ihn bat, das Genjutsu abzubrechen, verblassten mit einem Hauch von Trauer und Sterben die bunten Farben und sie fanden sich in der kalten, harten Wirklichkeit in der kalten, harten, untergegangenen Welt jenseits des Traumes und der Meereswellen und des Wäldchens wieder. Sie hatten fünf ganze Jahre in der Welt von Itachis Tsukuyomi verbracht.

Neuanfang

Die Höhle war öde und leer. Kein Gras, kein Wellenrauschen, kein Schnee und kein dämmeriges Dickicht, nur Felsen und Tropfstein, und verwischte oder durchkreuzte Jashin-Symbole auf der großen Säule. Düsteres Fackellicht, teils orangerot, teils blaue, und Schatten krochen wie schwarzer Nebel über den Boden. Die feindseligen Stacheln, die den Weg säumten, waren die dämonische Perversion des sich sanft im Wind wiegenden Grases aus dem Traum. Erstarrt und höllisch ragten sie in die Höhe und von der Decke herab. Sakuras Kleidung, die in dem Genjutsu längst wieder sauber gewesen war, klebte ihr blutig und schmutzig am Leib, ihre Narbe juckte. Vor ihr stand Itachi, so wie noch gerade eben, doch er stieß ein Stöhnen aus und presste sich die Hand aufs linke Auge. Für einen Moment wankte er, und Sakura griff zu um ihn zu stützen, ehe er stürzen konnte.

Sasuke hielt das Schwert immer noch in der Hand. Es war seltsam, ihn nach so vielen Jahren unverändert zu sehen, obwohl es nur natürlich war. Sakura hatte die Situation nie vergessen, in der sie waren, aber sie brauchte dennoch ein wenig, um in diese Welt zurückzufinden. „Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte Sasuke, die Augen schmal vor Misstrauen.

Itachi keuchte schwer, stemmte sich an ihrer Schulter hoch, ehe er wieder aufrecht stand. Sakura musterte ihn genau. „Willst du immer noch diese Fähigkeiten für Sasuke aufgeben?“, fragte sie leise.

Itachi musste erst Atem schöpfen, dann sagte er: „Ich habe es mir geschworen. Er soll alles bekommen.“ In seiner Stimme lag der gleiche Ton, mit dem er eben noch im Traum mit ihr gesprochen hatte. Sakura war erleichtert. Für einen kurzen Moment war ihr der Gedanke gekommen, dieser Itachi hier hätte nichts mit dem in der Welt seines Tsukuyomi zu tun gehabt.

„Hast du versucht, sie mit deinen Lügen zu überzeugen, Itachi?“, fragte Sasuke harsch. Sakura sah ihn mitleidig an. Nach fünf Jahren an Itachis Seite kam ihr Sasukes Hass einfach nur sinnlos vor, sinnlos und fast lächerlich. Sie glaubte, seinen Bruder nun besser zu kennen als er selbst.

„Er hat mir nur die Augen geöffnet“, erwiderte sie und trat neben Itachi, der sich wieder zu Sasuke umgedreht hatte. Immer noch presste er den Handballen auf sein Auge und wirkte zu Tode erschöpft, und Sakura sah ihn besorgt von der Seite an.

„Anscheinend“, meinte Sasuke abfällig. „Ihr beide seid ja plötzlich dicke Freunde geworden.“

Sie ging nicht auf seine Sticheleien ein. „Sei vernünftig, und tu, was er sagt, Sasuke. Itachi meint es gut mit dir.“

„Hätte er unsere Familie getötet, wenn er es gut meinen würde?“, warf er ihr aufgebracht an den Kopf. „Hätte er dich vergewaltigt? Er muss dir den Verstand verdreht haben!“

„Menschen leben immer nach dem, was sie für richtig und wahr erachten“, murmelte Itachi leise. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Das Tsukuyomi musste fast sein gesamtes Chakra verbraucht haben. Sakura sah sich um, doch nirgendwo war etwas von dem roten Wasser zu sehen. „Sie glauben, was sie sehen. Doch egal, wie gut deine Sharingan mittlerweile sind, du weigerst dich, aus dem Fenster in die weite Welt zu blicken. Ich habe auf den Befehl von Konoha hin gehandelt. Das ist die Wahrheit. Und ich will dir meine Augen vermachen, das ist ebenfalls die Wahrheit.“ Sakura und er hatten lange darüber nachgedacht, wie sie ihn überzeugen konnten. Itachi hatte ihn lange nicht gesehen und nur eine ungefähre Vorstellung gehabt, in welche Richtung sich sein Bruder im tiefsten Innersten entwickeln würde. Auch Sakura war vieles an ihm noch ein Rätsel, während sie Itachi bereits kannte wie ein Buch, das sie oft und vollständig studiert hatte.

Aus Sasukes Blick sprach immer noch Zorn, also sagte Sakura: „Es ist wahr. Hör auf ihn, bitte.“ Du dummer, kleiner, unwissender Junge. Dein Hass gilt einem Phantom. „Ich werde Anzu zur Hand gehen und auch bei der Operation helfen.“ Sie nickte der Kunoichi zu, die immer noch im Schatten der Säule darauf wartete, wie sich die Sache entwickelte.

Sasukes Schwert begann bläulich zu blitzen. „Ich werde mir seine Augen holen, nachdem ich ihn getötet habe“, knurrte er. „Ich kann nicht riskieren, auf eine Lüge hereinzufallen.“

„Dann soll es so sein“, murmelte Itachi. „Ich hatte gehofft, es anders regeln zu können, aber wenn du deinen Hass sonst nicht ablegen kannst …“ Er trat vor.

„Nein!“, rief Sakura, drängte sich vor ihn und stellte sich damit zwischen die Brüder.

„Aus dem Weg“, knurrte Sasuke kalt. „Oder ich töte dich gleich mit.“

„Er ist nicht in der Verfassung zu kämpfen, siehst du das nicht?“

Itachi legte ihr die Hand auf die Schultern. „Lass es gut sein“, murmelte er. „Ich habe befürchtet, dass es so weit kommt.“

„Ich weiß, aber trotzdem …“, murmelte Sakura hilflos. All die Wochen des Herumsinnierens, umsonst? Sie betrachtete sein Auge, das er immer noch zusammengekniffen hatte. Er hatte fast all sein Chakra geopfert, um Zeit mit ihr zu verbringen … und damit sie die Dämonen los werden konnte, die sie verfolgten. Dafür sollte er jetzt sterben? Das war nicht gerecht!

Itachi lächelte leise. „Nichts in dieser Welt ist gerecht, Sakura“, sagte er. Sie war nicht überrascht, dass er ihre Gedanken kannte. „Ich habe nichts mehr zu bereuen. Ich wünsche mir, dass du mein Gesicht vergessen kannst, Sakura.“ Sanft schob er sie aus dem Weg; diese Geste allein grub eine zornige Furche in Sasukes Gesicht.

„Bist du bereit?“, fragte der jüngere der beiden Brüder.

Itachi warf Sakura noch einen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Eines möchte ich noch sicherstellen“, sagte er. „Ich weiß, ihr wart zusammen unterwegs und früher in einem Team. Sakura liebt dich noch immer. Aber ich frage dich: Liebst du sie?“

Sasuke sah ihn an, dann sie, erst starr wie die in Stein gemeißelten Gesichter der Hokage, dann nachdenklich und misstrauisch, und ein boshaftes, schmales Lächeln erschien auf seinen Lippen, das etwas in Sakura zu Eis gefrieren ließ. „Sie? Lieben?“ Er lachte heiser. „Was ist das, lieben?“

„Sasuke“, flüsterte Sakura. Auch ihre Stimme klang nun heiser, ihre Kehle kratzte, die Narbe juckte, und hinter ihren Augen begann es zu brennen. „Ich dachte …“

„Ja, du dachtest“, unterbrach er sie und hob affektiert die Augenbrauen. „Das tust du gern, ich weiß. Du dachtest, ich könnte Itachi nicht das Wasser reichen. Du dachtest, du müsstest mich davor schützen, ihm zu begegnen.“

Natürlich. Für sie waren fünf Jahre vergangen, doch für ihn nicht einmal eine Minute. Die Wunde, die ihr Verrat an ihm hinterlassen hatte, war immer noch frisch. „Sasuke“, sagte sie. „Es tut mir leid. Dass ich dir vorenthalten habe, wo Itachi ist, und deine Auspeitschung und … alles andere auch. Aber gab es nicht trotzdem einen Moment, einen Augenblick, in dem du mich wirklich geliebt hast?“

Seine Mundwinkel kräuselten sich. „Du stellst dich auf die Seite meines Bruders, und das schon von Anfang an. Und ausgerechnet du sprichst von Liebe?“ Er schnaubte. „Gab es so einen Moment? Ich weiß nicht“, spottete er. „Du hast die Welt durch eine rosa Brille gesehen und warst ganz begierig darauf, Clanmutter zu werden. Ganz nebenbei hast du selbstsüchtig versucht, mir deinen Willen aufzuzwingen. Ich habe dein Theater mitgemacht, um dich mir warmzuhalten, aber langsam habe ich genug davon.“

Sie fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. In ihrem Hals hatte sich ein dicker, hässlicher Knoten gebildet, der sie am Schlucken hinderte, und in ihrem Bauch brannte etwas Heißes, Unangenehmes. Selbst nach fünf Jahren schmerzten diese Worte so sehr. „Theater?“, brachte sie tonlos hervor.

„Du warst einfach zufriedenzustellen. Reden, Umarmungen und Küssen, und bei mir zu bleiben, das wolltest du. Einen Partner, der nichts tut, was du nicht willst, dem du aber unter dem Einfluss eines Genjutsus trotzdem Kinder schenken kannst.“

„Dann war das … alles nur gespielt?“ Sakura presste sich die Hand vor den Mund, biss sich kräftig auf die Unterlippe. Tränen standen ihr in den Augen. „Auch … Auch die Nacht im Grasbett?“ Sie fühlte keine Verlegenheit vor Itachi. Sie hatte ihm längst alles erzählt.

„Ich spürte, dass es notwendig war. Ich habe dir gesagt, ich will unsere Bande festknüpfen, aber in Wirklichkeit warst du es, die sich sicher sein wollte, dass sie mich in ihrem Netz hatte. Ich leugne allerdings nicht, dass es mir gefallen hat.“

Sakuras Unterkiefer begann zu zittern, ihre Zähne klapperten. Fünf Jahre, nein, noch länger … und sie war sich die ganze Zeit so sicher gewesen … Sie musste sich nicht umsehen, um sich Itachis ausdrucksloses Gesicht vorstellen zu können. Er sagte es, um sie zu verletzen, das musste es sein. Er wollte seine Rache, diesmal an ihr, weil sie ihn belogen hatte. „Du … Mistkerl“, stieß sie hervor.

Sasuke lachte. Langsam kam er näher. „Soviel zur Liebe. Aber es war ohnehin nur immer ein Traum von dir, oder? Also macht es nichts, wenn ich dich nur habe träumen lassen. Besser, als dich deinen Albträumen von ihm zu überlassen, nicht wahr?“ Direkt vor ihr blieb er stehen. „Eins muss ich dir aber lassen“, sagte er plötzlich ernst. „Du hast etwas in mir bewegt. Lange hat mir niemand solche Zuwendung entgegengebracht. Du warst selbstsüchtig und oberflächlich und verängstigt und hinterhältig, aber du wolltest dich für mich aufopfern.“ Er atmete tief durch, seine Finger rieben am Griff seines Schwerts. „Wenn es eine Person gibt, die mir wirklich nahesteht“, flüsterte er ihr ins Ohr, während sie nur starr dastehen und abgehackt atmend ins Leere sehen konnte, „bist du es.“

Und sie hörte mehr das Singen der Klinge und spürte den Luftzug, als dass sie die Bewegung sah. Ein Knirschen ertönte, warmes Blut klatschte ihr auf die Wange, ein seichter Schmerz flammte in ihrer Halsbeuge auf, ein kalter, stählerner Kuss.

Sakura wandte den Blick, starrte in Sasukes rot funkelnde Augen. Die spürte den Arm, der sie umschlungen hielt, warm und schwach, und der Mantel direkt vor ihrer Nase roch nach Räucherwerk.

Itachi hatte ihr von hinten den Arm um den Hals geschlungen, als Sasuke die Klingenspitze in ihre Halsbeuge hatte rammen wollen. Die Klinge hatte den Knochen an seinem Oberarm durchbohrt und steckte fest, nur ein, zwei Zentimeter hatten Sakuras Haut erreicht. Itachi riss den Arm fort und das Schwert wurde aus Sasukes Händen gerissen.

„Itachi!“, rief sie erschrocken, als sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte.

Itachi packte den Griff mit der rechten Hand, doch geschwächt, wie er war, konnte er das Schwert nicht herausziehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sagte er: „Sasuke. Ich habe dir versichert, dass es auch so gehen wird.“

„Du hast gesagt, es bleibt ein Restrisiko.“ Sasuke formte Fingerzeichen, umklammerte sein Handgelenk und das Chidori erschien blitzend und zuckend und kreischend in seiner Hand.

Sakura fühlte sich wieder wie erstarrte. Sasuke wollte sie töten … Erst jetzt wurde ihr klar, was er gerade versucht hatte – und jetzt wieder versuchte. Er stürmte auf sie zu, und erst als Itachi ihren Namen rief, riss sie sich soweit zusamen, dass sie ausweichen konnte. Die elektrische Wucht seiner Attacke sauste unter ihr hinweg, als sie sich kraftvoll vom Boden abstieß. Während sie in der Luft einen Salto schlug, riss sie sich die Kette vom Leib und schlug kopfüber mit ihrer improvisierten Pfannenwaffe zu. Er vermutete wohl, es wäre etwas Gefährlicheres, die Pfanne wäre mit einem Jutsu belegt oder würde wie ein Sprengkunai explodieren, denn er fuhr herum und fing sie mit seinem Chidori ab. Das billige Blech wurde zerfetzt, doch das lose Kettenende peitschte Sasuke ins Gesicht und ließ ihn taumeln.

Als Sakura schwer atmend landete, war sie froh, dass die letzten fünf Jahre nur in ihren Gedanken stattgefunden hatten, denn sie hatten nicht trainiert.

Doch hier endete auch schon ihr Widerstand. Sie konnte doch unmöglich gegen Sasuke kämpfen, oder? „Was ist in dich gefahren?“, rief sie. „Ich dachte … Auch wenn du mich nicht liebst, du hast gesagt, ich stünde dir nahe!“

Sasuke sah sie an. Die Kette hatte eine tiefe Schürfwunde auf seiner Stirn hinterlassen. Das Blut, das hervor sickerte, umrahmte sein linkes Auge, lief über seine Wange, und es sah aus, als würde er dunkle Tränen weinen. „Du stehst mir sogar sehr nahe, Sakura. Genau das ist der Punkt. Wenn die Operation fehlschlägt, weil ich nicht auch das Mangekyou Sharingan besitze, war alles umsonst.“

Sakura biss sich auf die Lippen. War es eine Fehleinschätzung, weil das Blut in der Düsternis tatsächlich an Tränen erinnerte, oder klangen seine Worte wirklich bitter, traurig? Und vielleicht hat er mich doch geliebt, dachte sie. Aber selbst wenn, es war nicht genug gewesen, um seinen Rachewahn oder sein Streben nach Macht zu übertrumpfen.

Sie fühlte plötzlich Wut in sich aufsteigen. Fünf Jahre mit Itachi hatten sie die rosa Brille ablegen lassen, von der Sasuke gesprochen hatte, und nun war sie fähig, grenzenlose Wut auf diesen Fremden vor ihr zu empfinden. Sie war nicht auf ihn angewiesen. Sie war nicht auf seine Liebe angewiesen. Sie brauchte ihn nicht. Er brauchte sie, tot.

„Das ist also deine Antwort, Sasuke“, murmelte sie leise. Sie ballte die Faust, fühlte, wie das Chakra darin pulsierte. Immer noch hielt sie Kazes Kunai in der Hand, und das Leder knirschte unter ihrem festen Griff. Er sah sie nur überheblich an, was den pochenden Zorn in ihrem Kopf noch weiter anstachelte. „Hier hast du meine!“

Wie ein roter Blitz schnellte sie auf ihn zu, zückte den zweiten Windkunai, und stellte zufrieden fest, wie Sasukes Augenbrauen kurz zuckten. Er hatte sein Schwert nicht, um die Messer zu parieren, doch selbst wenn er es gehabt hätte, die schiere Wucht von Sakuras Schlägen hätte dennoch seine Knochen zertrümmert.

Dem ersten furiosen Hieb wich er aus, die Spitze des Kunais schnitt kurz vor seinen Augen durch die Luft, als er sich zur Seite drehte. Sakura benutzte ihren Schwung, um mit dem zweiten Messer zuzustoßen, aber seine Sharingan ließen ihn selbst den grauen Schatten sehen, in den sich der Kunai verwandelte. Sie spürte, wie seine Faust ihr Handgelenk traf, seitlich, und den Schlag ins Leere gehen ließ. Kurz sah sie seine Augen, rot und schwarz, und er schien immerhin überrascht, dass sie so unbarmherzig auf ihn eindrang. Noch während sie beide einen Ausfallschritt machten, um das Gleichgewicht zu erhalten, wirbelte Sakura herum.

Diesmal sah er die Kette kommen, die wie eine verrückte Kobra nach ihm biss, schützte sein Gesicht mit den Unterarmen – und Sakura beendete ihre Drehung und schmetterte ihm den Fuß ins Gesicht.

Während sie unsauber zu Boden ging, wurde Sasuke ebenfalls von den Füßen gerissen, stürzte rücklings und kam in einer Rolle wieder auf die Beine. Doch er griff nicht an. Verdutzt betastete er seinen beschädigten Wangenknochen, als könnte er es nicht fassen, von Sakura erwischt worden zu sein.

Vor Wut zitternd richtete sie sich auf. Hätte sie die Zeit gehabt, mehr Kraft und Chakra in den Tritt zu legen, hätte sie ihn vielleicht sogar damit getötet. Aber es war zu spontan gewesen. Und als sein Mienenspiel wieder unbeeindruckt wurde, wusste sie, dass das die wirkliche Grenze war. Sie konnte gegen ihn kämpfen, aber besiegen konnte sie ihn nicht.

„Ist das alles?“, fragte er und noch ehe seine Worte verklungen waren, schoss er auf sie zu wie ein von der Sehne gelassener Pfeil. Sie versuchte sich mit ihren Kunai zu schützen, doch er las ihre Bewegungen, schlug abermals ihre Hände zur Seite und sein Fuß traf ihre Brust.

In einem feinen Sprühnebel aus Blut und eingetrocknetem Schlamm wurde sie davongeschleudert, schlug hart auf dem Boden auf und schürfte über Felsen und Steinzacken. Ein tiefer Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Der Tritt hatte die Wunde in ihrem Brustkorb wieder aufreißen lassen. Wie eine feurige Spinne streckte der Schmerz seine Beine in ihrer Brust aus. Sakura krümmte sich und hob schwer atmend die Hand, ließ ihr Chakra aufflammen und begann sich selbst zu heilen.

„Ihr seid doch alle verrückt!“, hörte sie Anzu von irgendwo in der Höhle rufen. „Schlagt euch die Schädel ein, solange ihr wollt. Ich bin raus aus der Sache.“ Ihre Schritte verhallten in dem Stollen.

Wie ein Schatten schleppte sich Itachi schwerfällig vor Sakura, die sich langsam inmitten der Felsnadeln aufrappelte. Ihr Rücken musste wie eine Mondlandschaft aussehen. „Hör auf, Sasuke“, sagte Itachi ruhig, obwohl sein Atem schnell ging. Immer noch steckte das Schwert in seinem Arm. „Töte mich. Das wird genügen.“

„Deine Lügen werden nicht besser, Itachi.“ Sasuke formte Siegel und spie einen Feuerball auf die beiden. Sakura keuchte erschrocken auf. Itachi stand mitten in der Schusslinie, sie musste aufspringen, ihn mit sich reißen – die geschmolzene Hölle hüllte sie ein, Feuer und Hitze überall, Sakura presste die Hand vors Gesicht, versuchte Itachi zu packen – als er sich gegen sie warf, sie zu Boden drückte und mit seinem eigenen Körper schützte. Sakura starrte in sein Gesicht, auf die kleinen Flammen, die an seinen Haarspitzen züngelten. Es war fast wie damals, nur blieb sie dieses Mal ruhig. Dieses Mal war er kein Schwert, das in ihre Seele drang, sondern ihr Schild.

Warum?, formten ihre Lippen, ehe die Flammenhölle abebbte. Ihre Haut prickelte vor Hitze, die untere Hälfte ihrer Beine war von dem Feuer erwischt worden, aber ansonsten war sie unversehrt. Itachi lag schwer auf ihr, seine Händ links und rechts neben ihren Schultern, zwischen seinen Fingern die Felsnadeln. Er hatte er sich in die Höhe gestemmt, doch sein Oberkörper wankte. Sein Mantel war am Rücken vollkommen verbrannt, die Haut darunter rauchte und der Geruch nach angesengtem Haar drang Sakura in die Nase. Sie hörte Sasukes Schritte näher kommen, energisch und zielstrebig.

„Du bekommst sie nicht, Itachi“, sagte er scharf. „Du hast sie dir einmal mit Gewalt genommen. Das war das einzige Mal, dass du sie berühren durfest. Du verdienst sie noch weniger als ich.“

„Es tut mir leid, Sakura“, sagte Itachi. „Sasuke hat recht.“

Sakura krallte die Hände in den Saum seiner Ärmel. Tränen standen ihr in den Augen. „Versuch zu fliehen“, hauchte sie. „Ich kann ihn ein wenig aufhalten.“

Er schüttelte traurig den Kopf. Seine Augen waren schwarz umrandet und unendlich müde. Zärtlich strich er ihr durchs Haar. „Es macht keinen Unterschied. Ich bin krank, Sakura. Ich habe nicht mehr viel Zeit.“

Die Tränen liefen ihr über die Wangen, waren angenehm kühl auf ihrer heißen Haut. „Warum hast du das nicht gesagt?“, hauchte sie. Nie hatte er ein Wort darüber verloren, in den ganzen fünf Jahren nicht. Wenn es nur für so kurze Zeit gewesen wäre, hätte sie ihm den Gefallen getan und wäre solange bei ihm geblieben, genau wie er es erbeten hatte. Außerdem … „Ich könnte dich heilen, ich …“

Ein schwaches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Ich wollte dich nicht noch mehr beeinflussen, Sakura. Aus Mitleid solltest du nicht bei mir bleiben.“ Er beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Lippen. Erst versteifte sie sich, doch dann schloss sie die Augen. Das hier ist jemand anders, sagte sie sich. Es war ein Hohepriester von Jashin, der mir das damals angetan hat. Das hier ist ein besorgter, einsamer Mann, dessen Bruder ihm den Tod geschworen hat. Und weiter als bis hierhin gehen wir nie.

Als sich seine Lippen von den ihren lösten, flüsterte er: „Es war mich wohl nicht vergönnt, dieses Mal selbstsüchtig zu sein.“

Blitze zuckten hinter ihnen. Sakura wusste nicht, ob Sasuke absichtlich gewartet hatte. Vielleicht war er auch einfach fassungslos gewesen, und der Kuss hatte seine Wut weiter angestachelt. Itachi rappelte sich auf und zog sie in die Höhe. Er bot seine letzten Kräfte auf, das merkte sie.

„Dieser Schlag wird euch beide treffen“, verkündete Sasuke. Die Zähne hatte er knirschend aufeinandergebissen. In dem Moment hatte Sakura nur noch Mitleid mit ihm. Er war ein Gefangener seiner selbst.

Sakura griff nach Itachis Hand. „Es ist meine Schuld, dass es so weit gekommen ist. Ich hätte nicht herkommen sollen“, sagte sie, während die Blitze in Sasukes Hand noch an Intensität zunahmen. Ihre Stimme wurde gefühllos, die Schmerzen in ihrem Körper verschwanden plötzlich, und sie war diese Farce einfach nur mehr leid. „Ich habe genug Schaden angerichtet. Lass uns gemeinsam sterben.“

Itachi drückte schwach ihre Hand. „Als Freunde?“

Sie nickte. „Als Freunde.“

Chidori Nagashi!“ Die Blitze in Sasukes Hand verästelten sich und sausten wie sich windende Schlangen auf die beiden zu.

„Vergib mir, Sakura“, hörte sie Itachis Stimme. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie gepackt, von den Füßen gerissen und mit sich gezerrt. Woher nahm er plötzlich wieder diese Kraft? Hatte er ihr seine Schwäche nur vorgespielt?

Die Blitze wurden in den Boden gerammt, einer traf Itachis Bein und ließ ihn straucheln. Sakura hätte sich wehren können, aber sie ließ es zu, dass er mit ihr zum Stollenausgang rannte.

„Was soll das?“, fragte sie matt.

Ein bitteres Lächeln schlich sich auf seine Züge. „Ich werde dich wohl immer wieder auf eine Art retten, die du mir nicht verzeihen kannst.“ Er gab ihr einen kraftvollen Stoß zwischen die Schulterblätter, der sie in den Stollen taumeln ließ, der von der Höhle fortführte, wo ihre bereits zerschundenen Ledersandalen an einem Steinbrocken hängen blieben und sie stürzen ließen. „Lauf!“

Itachi hatte sich wieder umgedreht und war von einer Art Feuer eingehüllt, das von ihm selbst auszugehen schien. „Du unterschätzt die Macht des Mangekyou Sharingan, kleiner Bruder“, hörte sie ihn sagen. Sasuke kam hinter der Tropfsteinsäule zum Vorschein, immer noch stand ihm die Kampfeslust ins Gesicht geschrieben. Das Feuer um Itachi loderte heller auf, etwas erschien darin, Knochen oder etwas in der Art, durchscheinend, etwas Großes, das bis zur Decke der Höhle reichte. Felsen knirschten, Steine brachen, das Etwas, das erschien, sprengte die Höhlenwände, Staub und Steinmehl rieselten herab, Felsenstachel und Stalaktiten hagelten herab wie ein tödlicher Nadelregen, über Sakuras Kopf bildeten sich Risse im Gestein, Felsen wurden gespalten, Staub und winzige Chakrakristalle bildeten eine im Hals kratzende Wolke, die Höhle brach ein …
 

Es hatte zu regnen begonnen. Die Fackeln in der Siedlung flackerten und wehrten sich tapfer, und so spendeten sie noch ein wenig Licht, das einzige in dieser Nacht. Bis auf die fallenden Tropfen war alles totenstill. Staub qualmte immer noch aus dem Berg, aus jedem der Höhleneingänge, eher der Regen ihn niederkämpfte. Der Berg selbst war in sich zusammengesunken wie ein Kuchen, der zu lange im Ofen war, der obere Teil eingebrochen. Eine Schutthalde war es, eine Schutthalde aus Felsen und Stein, zermalmten Chakrakristallen und Träumen und Erinnerungen.

Sakura hob den Kopf, um sich den Regen übers Gesicht laufen zu lassen. Die Tropfen ersetzten ihre Tränen, die versiegt waren. Sie hatte sie zurückgelassen, irgendwo in den Stollen verloren, als sie unter einbrechenden Balken und herabstürzenden Felsbrocken nach draußen gerannt war. Ihre Tränen waren vielleicht ebenso unter Tonnen verfluchten Gesteins begraben. Die Stätte des Grauens, die dieses Bergwerk einst dargestellt hatte, war nicht mehr. Dennoch gähnte in Sakura eine riesige Leere, schwärzer noch als diese verregnete Nacht. Es war normaler Regen, fiel ihr auf, er schmeckte nach nichts, als er ihr in den halb geöffneten Mund floss.

Sie wollte sich am liebsten in den Schlamm legen und einfach schlafen, doch selbst das erschien ihr zu mühsam. So blieb sie einfach stehen, im Regen inmitten von Ruinen. Sakura atmete tief ein und aus, ein und aus, ein und aus. Die Luft war frisch, der Staub wurde vom Regen niedergedrückt, aber immer noch kratzte er ihr im Hals. Sie wünschte sich in Itachis Traumwelt zurück.

Der zerbrochene Berg erinnerte sie an die Ruinen Konohas. Wie niedergeschlagen hatte sie sich gefühlt, als sie sie vor tausend Jahren erblickt hatte. Damals war ihre ganze Welt in Trümmern gelegen. Nun waren auch die Trümmer zertrümmert, ihre Welt ein weiteres, ein drittes Mal zerstört worden. Es war nicht gerecht.

Nichts in dieser Welt ist gerecht.

Ein Schluchzer entfuhr ihr und sie kauerte sich auf dem Boden zusammen, machte sich so klein wie möglich. Sollte die Welt sie doch auch verschlingen. Alles war zerstört, jeder war tot, warum war das Schicksal so grausam und ließ sie überleben? Wieder legte sie den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen den Regen an. Sie brauchte die kühlen Tropfen, sie würden ihr einmal mehr helfen, ihre Gedanken fortzuschwemmen.

Die Fackeln erloschen, und sie saß immer noch so da. Gnädige Finsternis umhüllte sie, verbarg den zerbrochenen Berg vor ihren Blicken, und sie saß immer noch so da. Ihr wurde kalt und sie fröstelte, dann zitterte sie, und trotzdem saß sie immer noch so da, schaute zu einem Himmel hoch, der genauso unerreichbar war wie die Zukunft. Irgendwann dämmerte es im Osten, wurde die Welt wieder etwas heller, doch es war nur ein helleres Grau, ein helleres, farbloses Nichts.

Und die Regentropfen verschwanden, als sich ein löchriger, blassgelber Regenschirm über sie schob.

„Du wirst dich erkälten, wenn du zu lange im Regen sitzt.“

Sakura wandte den Kopf und sah ihn mit leerem Blick an. Der Regen hatte ihn beschworen. Er war immer da gewesen, wenn es geregnet hatte.

„Du bist wieder einmal zu spät gekommen“, sagte sie tonlos.

Kakashi sah sie lange an, dann den zerstörten Berg. „Es scheint so“, murmelte er und reichte ihr die Hand. „Na komm.“ Doch er musste sie hochziehen, aus eigener Kraft aufstehen konnte und wollte sie nicht.

Zu zweit standen sie unter dem Schirm und betrachteten die Zerstörung. Sie fragte ihn nicht, wo er ihn herhatte, vermutlich hier aus der Siedlung oder aus einem verlassenen Lager. Sie musste Kakashi auch nichts erklären, er wusste bereits, was geschehen war. „Denkst du, Sasuke hat überlebt?“, fragte er irgendwann.

Von ihrem Haar lief noch ein Tropfen über ihr Gesicht, fiel von ihrer Nasenspitze. „Er ist schon seit langer Zeit tot“, sagte sie tonlos. Sie hatte sich getäuscht. Die Welt war untergegangen, aber nicht einmal das hatte Sasuke zur Vernunft gebracht. Selbst, als er sie hätte haben können, als er König der neuen Welt hätte werden können, selbst dann noch hatte er Itachi nichts gegönnt und sich nicht von seiner Rache abbringen lassen. Und Itachi … er war bereit gewesen, alles für seinen Bruder zu opfern. Nur sie nicht. Sie hatte er davor bewahrt, geopfert zu werden, erneut, und wieder konnte sie ihm dafür nicht dankbar sein. Nun hatte sich alles, was Itachi angestrebt hatte, in Rauch aufgelöst. In Asche und Staub und tonnenschwere Gesteinsbrocken.

Sasuke, der sie nicht geliebt hatte.

Itachi, den sie nicht lieben konnte.

Was bedeutete Liebe schon in einer Welt wie dieser?

„Neuanfang wurde zerstört“, sagte Kakashi nach einer Weile. „Die Ninjas werden sich wieder hierher zurückkommen.“

Sakura nickte gedankenabwesend. Sie würden sich wohl untereinander zerstreiten, zumindest aber würde sich ihre Gruppe auflösen. Niemand wusste bislang, ob ihre Chakrapunkte wieder funktionierten oder ob selbst das Chakra, das der rote Regen gebracht hatte, wieder verflog. Dann waren die Kristalle unerreichbar. Vielleicht waren sie bereits vernichtet, zermalmt von den einstürzenden Felsmassen. Vielleicht war es besser, wenn es keine Ninjas mehr gab. Das würde vielleicht verhindern, dass die Welt ein zweites Mal unterging. Und vielleicht würde sowieso bald das gesamte Ökosystem zusammenbrechen und sie alle würden sterben.

Ein weiteres Mal.

„Gehen wir?“, fragte Kakashi.

„Wohin?“

„Irgendwohin. Wenn wir lange genug durch das Land reisen, finden wir vielleicht einen Ort, an dem wir bleiben können.“

Sakura nickte. „Danke, dass du noch bei mir bist“, flüsterte sie, aber sie wusste nicht, ob ihre Worte im Regen untergingen oder ob er sie hörte. „Ich hätte dich damals nie auf der Straße zurücklassen sollen.“ Er war wie ein Haus, eine Heimat. Er war immer da, irgendwo wartete er auf sie, und er würde sie nicht abweisen, wenn sie zu ihm kam. Sie beide waren der klägliche Rest von Team 7. Ein neuer Anfang an seiner Seite. Alles vergessen. Sakura war um fünf Jahre weiser geworden und fühlte sich fünfhundert Jahre älter. Jetzt wusste sie, dass die Zeit aus Wunden zumindest Narben machte, die zwar als Mahnmal blieben und juckten wie die an ihrer Brust, die aber irgendwann aufhörten, ihr Denken zu bestimmen.

Kakashi hielt ihr die Hand hin, und sie ergriff sie. Der Regen ließ etwas nach, nicht viel, aber es wurde merklich heller, als sie Hand in Hand unter dem Regenschirm gedrängt das Tal verließen. Sakura sah sich nicht um, sah nicht mehr zurück, als sie in die neue Welt hinausgingen. Sie erreichten einen Wald, gingen an Bäumen vorbei, deren Mantel aus Blut endlich fortgewaschen worden war und die satt und grün und kräftig die Zukunft erwarteten.
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es hat mit dem Hochladen ein wenig länger gedauert, als ich erwartet habe, aber ich hoffe, das Warten hat sich doch für euch bezahlt gemacht und es hat euch gefallen ;)
Ja, ich habe Kakashi weinen lassen^^ Ich finde, wenn ein Mensch nicht komplett aus Stein ist, ist das durchaus in gewissen Situationen legitim ;) Ansonsten ist zwar nicht viel passiert, aber das Drama soll jetzt dann bald richtig losgehen :)
Danke übrigens für die ganzen Kommis beim letzten Kapitel - Ich glaube, so viele habe ich erst ein- oder zweimal gehabt bisher :D Falls noch jemand von euch gern eine ENS bei neuen Kapiteln haben möchte, einfach bei mir melden :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, die Actionszene war nach eurem Geschmack :) Zum Rest sage ich an dieser Stelle noch nichts ;)
Tut mir leid, dass es diesmal wieder so kurz war, aber ich fand das Ende hier wie geschaffen für einen Cliffhanger, und ich hatte diese Woche kaum für irgendwas Schriftstellerisches Zeit ... Ich werde zum Ausgleich versuchen, das nächste Kapitel kommendes Wochenende hochzuladen anstatt erst in zwei Wochen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß, es ist leider wieder recht kurz und es hätte eher da sein sollen, allerdings hab ich die letzten Tage alle für eine Uni-Prüfung aufgewendet ;) Mein ursprünglicher Plan sah vor, dass ich dieses Kapitel und das letzte zusammenlege, aber naja, jetzt ist es eben so geworden^^
Zur Erinnerung, Sakura hat Sasuke schon erzählt, dass der Hohepriester sie vergewaltigt hat, aber nicht, dass das Itachi ist.
Ach ja, Kakashis Trägheit musste einfach mal vorkommen XD Sonst ist ja nicht viel passiert, ich hoffe, dass das nächste Kapitel das Lesen wieder mehr in Fahrt bringt ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habs tatsächlich geschafft, das Kapitel jetzt schon hochzuladen :) Zwar war es nicht ganz das Wochenende, aber ich vermute, ihr habt über die Feiertage ohnehin so wenig Zeit wie ich ;)
Also, ich hoffe wie immer, dass es euch gefallen hat. Ich hab mich um ein paar knackige Dialoge bemüht, ich hoffe, sie kommen gut rüber ;) Eines noch, das ich im Nachwort immer zu erwähnen vergesse: Falls noch jemand eine ENS von mir haben will, wenn neue Kapitel online sind, meldet euch einfach via GB-Eintrag, Kommi oder ENS bei mir :) Ich will nämlich nicht lästig sein und immer fragen^^'
Jetzt könnt ihr erst mal rätseln, wie es weitergehen wird ;) Ich wünsche euch noch nachträglich frohe Ostern :)
UrrSharrador Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war dieses Kapitel ...^^ Ihr seht, ich veranstalte gern unerwartete Sachen ;) Zumindest gehe ich davon aus, dass es unerwartet war, hoffe aber auch, dass ich trotzem einen ausreichenden Zusammenhang zwischen Blutregen und Chakrasturm hergestellt habe XD
Ob Itachi die Sekte wirklich auslöschen lässt, mag eine Streitfrage sein, ich hab mich dafür entschieden, dass er es tut. Immerhin führen die ja so einige verwerfliche Sachen auf und Ninjas sind grundsätzlich ziemlich martialisch veranlagt^^ Aber ich bin auf eure Meinung gespannt :) An dieser Stelle nochmal ein kollektives Danke für die ganzen Kommis beim letzten Kapitel :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
... und während wir langsam auf das Ende zustreben, hab ich mir ewig Zeit gelassen mit diesem Kapitel. Tut mir leid, es war mal wieder echt stressig bei mir. Mein Router hat anscheinend die Gewitter der letzten Tage nicht so toll überstanden - glücklicherweise funktioniert er wieder, sonst hätte es unter Umständen noch länger gedauert, das Kapitel hochzuladen.
Naja, wie auch immer, ich hoffe, es gefällt euch :)
Ach ja, die erwähnte Straße nach Norden ist tatsächlich ein viel schnellerer Weg, darum sind die Ninjas schon so bald auf Sasuke gestoßen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Viel hab ich eigentlich nicht dazu zu sagen ... zwei Kapitel noch, dann ist die FF vorbei.
Naja, und wie immer hoffe ich, es hat euch gefallen^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Da Itachis Tsukuyomi diese kleine Folterwelt erschaffen kann und nie (zumindest soweit der Anime ist) erwähnt wird, dass seine Fähigkeit sich darauf beschränkt, halte ich es für nur natürlich, dass er auch eine andere Welt erzeugen kann. Verdammt, ich will auch so was können!^^
Itachi ist ja zweifellos der selbstlose, nette Bruder, das hab ich mittlerweile auch gemerkt. Dennoch ist er ein Mensch und ich habe ihm daher gestattet, einen Fehler zu begehen, ohne den diese FF nicht zustande gekommen wäre. Bei Sasukes Reaktion auf seine Geschichte hab ich mich übrigens ziemlich am Original orientiert, als er sie von Madara erzählt bekommt. Ja, da hat Mr. Cool auch ungläubig herumgezetert.
Ich hoffe, euch hat dieser kleine Exkurs in seine Fantasiewelt gefallen und sie kam unerwartet, das nächste Kapitel wird das letzte sein. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war Armageddon - freut mich, dass ihr bis hierher durchgehalten habt ;)
Es gibt wohl viele Möglichkeiten, wie die Geschichte hätte ausgehen können, ich habe mich für diese entschieden.
Ich hoffe, es hat euch gefallen - auch, wenn es natürlich kein richtiges Happy End war ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (327)
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Von:  Talyia92
2022-06-08T18:09:09+00:00 08.06.2022 20:09
Oh mega FF. Hab teilweise echt mit gezittert. Hammer beschrieben. Einfach nur Wow.. Bin echt etwas sprachlos. Konnte einfach nicht aufhören zu lesen. Auch wenn ich Itachi es echt gegönnt hätte. Harte Schicksalsschläge
Von:  Cosmoschoco1209
2019-02-25T18:30:04+00:00 25.02.2019 19:30
Gänsehaut pur, kann ich bei deiner FF nur sagen und das von Anfang bis zum Ende. Vorallem die letzten Kapitel hatten es in sich. Und natürlich bleiben auch für mich viele Fragen ungeklärt... Hat Sasuke für Sakura doch ein paar Gefühle gehegt? Werden Kakashi und Sakura vielleicht zusammen finden? Was wäre wenn Sasuke sich nicht für seine Rache entschieden hätte und Itachis Angebot angenommen hätte... Und viele, viele weitere hätte ich...
Aber Fakt ist, du hast das beste Ende gehabt. Es ist doch egal, was wäre wenn... Es ist so wie du es geschrieben hast, so packend gewesen, dass sich selbst meine Haare aufgestellt haben. Ich konnte nicht aufhören mit lesen, weil es mich in seinen Bann gezogen hat und ich dachte mir, du darfst auch wenn es schon 1:00 Uhr ist nicht aufhören, auch wenn du in ein paar Stunden wieder raus musst. Und danach war es mit meinem Schlaf sowieso vorbei, weil es mich aufgewühlt und überrascht hat.
Schon alleine die Idee die dahinter steckte, hat mich sprachlos gemacht. Deine Geschichte hatte alles. Sie war aufregend, grausam, packend, irritierend, hoffnungsvoll usw... Ein großes Lob an Dich! Für soviel Emotionen die du in mir ausgelöst hast. Ebenso war es mir eine Ehre so eine fantastische Geschichte lesen zu dürfen und ein Teil davon zu sein. Danke!!!
Antwort von:  UrrSharrador
27.02.2019 17:57
Danke für deine Kommis! Freut mich sehr, dass dich die FF so mitgerissen hat :D
Von:  Cosmoschoco1209
2019-02-23T12:59:17+00:00 23.02.2019 13:59
Deine Fanfic beschert mir eine unheimliche Gänsehaut, vorallem die letzten Zeilen lassen mich echt schwer schlucken. Ich bin gerade hin und hergerissen, denn einerseits möchte ich wissen wie es weitergeht und hoffen das die beiden die Kleine vor denen retten und anderseits habe ich Respekt davor, wenn dies nicht geschieht und was dann passieren wird. Ich werde wohl erstmal ein paar Stunden eine Pause einlegen und mein Herz selbst beruhigen müssen, bevor es mir komplett das Herz zerbricht, wenn ich jetzt weiterlese.
Von:  Cosmoschoco1209
2019-02-22T18:48:06+00:00 22.02.2019 19:48
Unglaublich, wie so wenige kurze Sätze einen schon in den Bann ziehen können. Ich freue mich sehr auf die Fanfic und hoffe mein Gemüt schafft es bis zum letzten Kapitel.
Von:  emymoritz
2017-01-06T23:13:04+00:00 07.01.2017 00:13
Eine Wahnsins geschichte mich würde es interessieren wie es zwischen die beide weiter geht u d wohl sie gehen
Antwort von:  UrrSharrador
12.02.2017 18:17
Danke für deinen Kommi! Wie es mit ihnen weitergeht, ist der Fantasie der Leser überlassen ;)
Von:  Genova
2016-11-26T16:45:21+00:00 26.11.2016 17:45
Wow, also ich bin noch immer sprachlos! :0 Das war eine der besten FF´s, die ich je gelesen habe. Dein Schreibstil ist atemberaubend... also keine Ahnung, ich muss das erstmal verarbeiten xD
Ich habe deine Geschichte gestern Abend gefunden und bis eben durchgelesen, weil ich einfach nicht mehr aufhören konnte. Ich kann das alles hier nur in den Himmel loben!
Antwort von:  UrrSharrador
29.12.2016 13:31
Hi! Die Antwort kommt ein wenig spät, aber vielen Dank für deinen Kommi :) Freut mich, dass dir die FF gefallen hat!
Von:  Hidan_1975
2016-02-28T13:55:23+00:00 28.02.2016 14:55
Danke

muß zugeben,sie fetzt jetzt schon ungemein.

Lg ♥♥♥♥♥
Von:  Hidan_1975
2016-02-27T22:16:41+00:00 27.02.2016 23:16
Hi UrrSharrador

Ich hab mir diese FF als Ebook runter geladen.Bin mal gespannt...was mich alles erwartet.

Lg ♥♥♥♥
Antwort von:  UrrSharrador
28.02.2016 12:18
Hi,
bin auch gespannt, wie du sie findest XD Wünsche dir schon mal viel Spaß :)
Von:  Meyumi
2016-02-21T18:00:21+00:00 21.02.2016 19:00
sry, jetzt spam ich doch irgendwie mit kommentaren :D
hmmmmmmmmm
krass, ob sakura echt schwanger ist O.o
echt seltsam wie locker kakashi mit ihr über die periode spricht xD da bin ich ja sogar richtig rot angelaufen, so wie der sich auskannte x3
ein wenig schade fand ich es, dass kakashi überhaupt nicht geschockt oder empört darüber ist, was itachi ihr angetan hatte. da fehlte mir ein bisschen sein sensei-beschützer-instinkt-gedanke xD
aber das mit seiner trägheit war witzig, da musst ich richtig grinsen^^


Antwort von:  UrrSharrador
23.02.2016 18:19
Hi,
ich will mich mal eben an dieser Stelle für deine Kommis bedanken! Freut mich echt, dass diese FF immer noch Leser findet und sie dir soweit gefällt :D
Hm du hast recht, mehr Reaktion auf das, was Sakura ihm erzählt hat, wäre bei Kakashi schon gut gewesen. Aber wie du schon gesagt hast, die FF ist mittlerweile so lange her, dass ich sie nicht mehr umschreiben (oder etwas ergänzen) werde, sorry dafür ;)
lg
Von:  Meyumi
2016-02-21T17:21:40+00:00 21.02.2016 18:21
eeeeendlich *kreisch* kakashi-senseiiii <3
super kapitel wieder!!
nur ein bisschen stutzig bin ich geworden, als heraus kam, dass kakashi offenbar einen hohen rang in der neuen stadt hat, und dennoch zugelassen hat, das dieses kleine mädchen verstoßen wurde, welches sich dann in konoha versteckt hatte :O
und ich fand es ein bisschen schade, dass sakura und kakashis gespräch bei dem (zumindest für mich x3) wichtigen thema so kurz gehalten war, über sakuras entführung, wieso sie so plötzlich nicht zurückkam, wie kakashi vllt spuren fand, aber keine sakura.
möglicherweise (ist nur so ein gedanke von mir :D ) könntest du da ja noch ein flashback einbauen, wie kakashi sich zurück erinnert ^-^ wenn es nicht ein wenig spät dafür ist :D immerhin ist es 3 jahre her seit der letzten änderung x) aber ich dachte ich schreib das jetzt trotzdem mal hinein.

zu deinem kommentar, ich fands okay kakashi weinen zu lassen. zumal es das ende der welt ist und nur noch wenige seiner freunde lebten. dass er sakura auf sasukes möglichen hinterhalt hinwieß fand ich auch gut, ehrlich gesagt habe ich auch erst da zweifel bekommen, ob er es wirklich ernst meint... jetzt bin ich weiterhin gespannt. es wäre ihm wirklich zuzutrauen, sakuras gefühle auszunutzen o.ô


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