Das perfekte Verbrechen
Es war gerade neun Uhr, als Sergei sich seinem Bett schälte und nach unten in die Küche ging. Heute war ein freier Sonntag. Ein Tag, an dem nicht mal sein Teamcaptian ihm mit irgendwelchen Ausdauerübungen auf die Nerven gehen konnte. Sonntag war ihr Ruhetag. Und um diesen zu genießen, hatte er sich die Arbeit gemacht und sich am Abend des Vortages in die Küche gestellt und eine Himbeertorte gebacken.
Er wusste, dass seine Teamkollegen nicht so sehr auf Süßigkeiten scharf waren, aber wenn man sie mit etwas locken konnte, dann mit seinen Torten. Auch wenn man es ihm nicht ansah, der blonde Russe war ein kleiner Meister in der Küche. Und insgeheim liebten die Anderen sein Essen, auch wenn sie es nicht zugeben würden.
Ihr Verhalten sprach Bände. Sogar Kai, dessen Essverhalten irgendwie gestört schien, da man ihn fast nie essen sah, nahm sich immer Nachschlag.
Nun war er auf dem Weg zum Kühlschrank um sein Meisterwerk zu bewundern und seine Freunde damit zum Frühstück zu überraschen. Es wunderte ihn nicht, dass er der Erste auf den Beinen war. Yuriy war zwar immer der „Sklaventreiber“, wenn es Frühsport ging, doch sonntags war er der Letzte, der aus dem Bett kroch. Auch Kai konnte mitunter ein ziemlicher Morgenmuffel sein. Ivan schlief sowieso stets und ständig – vielleicht kam doch nochmal ein Wachstumsschub?!- und Boris nutzte den freien Sonntagmorgen, um am Samstagabend eine Sause zu machen und erst weit nach Mitternacht nach Hause zu kommen.
Doch was war das??? Er starrte auf seine Torte. Auf seine Himbeertorte, die er mit so viel, ja man könnte fast ‚Liebe‘ sagen, verziert hatte und war erstarrt, schockiert, der Boden rutschte ihm unter den Füßen weg.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten als er die Kühlschranktür wieder zu schmiss und wütend zu den Schlafräumen der Jungs stampfte.
Ohne zu klopfen riss er die erste Tür auf.
„IVANOV! HIWATARI! AUFSTEHEN! SOFORT!“, brüllte er. Dann ging er zur zweiten Tür, während im Zimmer die zwei, bis eben noch, Schlafenden geradezu aus dem Bett fielen vor Schreck und sich verwirrt ansahen.
„PAPOV! KUZNETZOV! IN DIE KÜCHE!“, ohne ein weiteres Wort ging er zurück in die Küche und wartete dort mit verschränkten Armen.
Nach und nach schlürften die ersten müden Körper in das Zimmer.
„Was´n los?“, fragte ein verschlafener Boris, sich die Augen reibend. Alle wussten, wenn Sergei sauer war, dann sollte man tun was er sagte. Und zwar pronto.
Als alle versammelt saßen – einige mit dem Kopf auf dem Tisch – sah er auffordernd in die Runde.
„Also…wer von euch war es?“, knurrte er bedrohlich.
„War was?“, fragte Yuriy, dessen Kopf von seiner linken Hand gestützt wurde.
Diese Frage hätte er lieber nicht stellen sollen, denn eine Sekunde später knallte der Blonde den Kuchen vor ihnen auf den Tisch.
„DAS!“, spätestens jetzt waren alle wirklich wach.
Deutlich erkannte man die Spur der Finger, die heimlich die Dekoration und einige Ecken der Torte gemopst hatten.
„Bist du bekloppt? Deswegen weckst du uns? Du spinnst doch.“, murrte Kai, der gerade daran war aufzustehen und zurück unter die warme Decke zu kriechen. Doch die starke Hand des Bäckers zerrte ihn zurück auf seinen Stuhl.
„Warst du das, Kai?“
„Seh´ ich so aus als ob ich nachts an den Kühlschrank gehe? Ich bin nicht Takao.“
„Also wer dann?“, wieder ein Blick in die Runde.
Als Antwort bekam er 4 Paar fragende Augen zurück. Anscheinend wollte keiner gestehen.
„Also gut, ich finde schon noch raus wer es war. Ich werde jeden einzeln befragen. Wehe einer von euch rührt sich von der Stelle. Boris, ab in die Wohnstube.“
Die Augen verdrehend erhob sich besagter Russe und trug seinen – immer noch verkaterten – Körper auf die Couch.
„Also, wo warst du letzte Nacht?“
„…in der Bar um die Ecke. Wie jeden Samstag. Ruf Igor an, der kann´s bestätigen.“
„Das werde ich. Wann warst du zurück?“
„Keine Ahnung. Um 3 oder so?“
„Oder so?“
„Ich war nicht mehr ganz nüchtern. Kann auch halb 4 gewesen sein. Kann ich jetzt gehen?“
„Nein. Wie sah die Torte aus, als du nach Hause gekommen bist?“
„Was? Woher soll ich das wissen? Ich guck doch nicht in den Kühlschrank, wenn ich nach Hause komme. Ich bin gleich ins Bett. War´s das dann, Inspektor?“, fragte er reichlich genervt.
„Ja. Schick Ivan her.“
„Was hast du gestern Abend gemacht?“
„Serge, wir waren zusammen in der Stube. Erinnerst du dich nicht mehr? Wir haben doch diesen Action-Film zusammen gesehen.“
„Und danach?“
„Bin ich ins Bett. Du wolltest ja noch diesen Porno da gucken.
„…das war kein Porno, das war…egal. Ähm ja…, das war´s. Schick Yuriy her.“
„Wo warst du letzte Nacht?“
„Ich war mit Kai gestern Abend im Fitnesscenter. Dann sind wir nach Hause gegangen und ins Bett. Ich hab noch gelesen. Ihr habt doch diesen Film da gesehen. Habt ihr uns nicht gehört?“
„Nein. Im Fitnesscenter also. Vom Sport bekommt man Hunger.“
„Kai und ich haben an der Bar noch ´nen Salat gegessen.“, er zuckte mit den Schultern.
„Aha.“, er traute es dem Rothaarigen eigentlich nicht zu.
„Ist dir irgendwas aufgefallen letzte Nacht? Irgendwas merkwürdiges? War jemand nochmal wach?“, fragte er stattdessen.
„Außer Boris, der mindestens `ne halbe Stunde gebraucht hat, die Treppen hochzukommen…nein.“
„Wo warst du gestern?“
„….“
„Kai, wo warst du?“, er nahm die Lampe vom Tisch und richtete sie auf Kais Gesicht.
„Hey! Was soll der Scheiß? Krieg dich ein, es ist nur `ne scheiß Torte.“
„Die Torte ist nicht scheiße. Und jetzt beantworte meine Frage!“
„Man ich war mit Yuriy trainieren.“
„Wo?“
„Auf dem Spielplatz im Park. Man im Fitnessstudio. Wo sonst?“
„Und danach?“
„Sind wir nach Hause und ich bin ins Bett. Fertig?“
„Ja…“, während den Unterhaltungen hatte Sergei sich Notizen gemacht. Alle hatten ein Alibi. Mehr oder weniger wasserdicht.
„Ich hab euch alle im Auge. Ich bekomm schon noch raus, wer es war! Bis dahin rührt niemand meine Torte an!“, sagte er, bevor er bei der Bar anrief, um sich bestätigen zu lassen, dass Boris wirklich erst nach 3 Uhr, ziemlich betrunken, das Lokal verlassen hat.
Boris konnte es nicht gewesen sein. Wenn er betrunken war, dann hätte er niemals solch eine feine, gerade Spur hinterlassen. Eher hätte er mit der ganzen Hand zugepackt. Ivan war eigentlich zu klein um an das oberste Fach zu gelangen, in dem die Torte stand. Also Kai, oder Yuriy? Bei Kais Essgewohnheiten war es wohl eher Yuriy. Sollte er es doch nicht gewesen sein, dann würde der Rothaarige ihn das noch mindestens 3 Monate beim Training spüren lassen.
Er musste sich das Opfer nochmal genauer ansehen.
Also holte er die Torte wieder aus dem Kühlschrank, stellte sie auf die Arbeitsfläche in der Küche und holte eine Lupe aus dem Schubfach.
Hm, keine Spuren…doch was war das? Was klebte da am Rand der Torte? Schnell holte er eine Pinzette und nahm das Objekt auf, hielt es ins Licht. Da war es. Das Beweisstück. Ganz in Gedanken, bemerkte er Yuriy erst, als dieser eine Hand auf Sergeis Schulter legte.
„Mir ist da noch was eingefallen. Als Boris die Nacht nach Hause kam, da hab ich ein Geräusch gehört. Als ob etwas über den Boden geschoben würde. Erst wollte ich nachsehen, weil ich erst nicht wusste wer es ist, aber als ich dann ein Rülpsen gehört hab und Gefluche, warum die Treppenstufen alle unterschiedlichen Abstand voneinander hätten, war es mir klar, wer oder was das ist. Vielleicht hilft dir das weiter.“, damit verschwand er wieder.
Ein Schieben also. Er grinste. Er hatte den Täter überführt.
Er versammelte wieder alle in der Küche.
„Ich habe den Täter überführt. Ich habe ein Beweisstück und eine Zeugenaussage.“, er blickte zum Kleinsten in der Runde.
„Ivan. Du warst es!“
„Ich?! Ich war das nicht! Frag doch mal Kai, der isst doch immer 3 Stück von deinen Torten. „
„Vorsicht…“, knurrte Beschuldigter nur.
„Na oder Boris. So besoffen wie der war, hat er seinen Mitternachtssnack sicher vergessen.“
„Woher weißt du wie besoffen er war? Du warst also doch wach!“, entgegnete der Blonde. Ivan verriet sich selber.
„Versuch du mal bei dem Geschnarche zu schlafen! Immer auf die Kleinen. Mit mir könnt ihr es ja machen!“, er verschränkte die Arme beleidigt vor der Brust.
„Und dann hast du dich entschlossen, etwas zu essen, hm? Ich hab ein Haar von dir auf der Torte gefunden. Außerdem wurde mir berichtet, dass die Nacht hier Möbel umhergeschoben werden. Du hast dir einen Stuhl genommen um an das Fach zu kommen und zu naschen! Gib es endlich zu!“
„Ich war gar nichts!“
„Gut. Du bist eindeutig überführt. Da du keine Reue zeigst, sieht deine Strafe wie folgt aus: Die nächsten 3 Monate bekommst du kein einziges Stück Torte mehr von mir.“
„Aber…aber ich bin unschuldig!“, er sah sich verzweifelt um.
„Yuriy…hilf mir.“, doch der Teamcaptain zuckte nur mit den Schultern.
„Du bist überführt. Nimm deine Strafe hin wie ein Mann. Komm Kai, wir müssen den Trainingsplan für nächste Woche erarbeiten.“, damit erhob er sich und auch sein Kollege, der ein „Kindergarten hier.“, grummelte und gingen von dannen.
„Du warst es.“, der Rotäugige grinste, als sie in ihrem Zimmer waren.
„Bitte?“
„Ich hab noch nicht geschlafen letzte Nacht, Naschkatze. Und dann auch noch Beweise verfälschen. Böser Junge du.“
In der darauffolgenden Weltmeisterschaft trat Neoborg ohne Ivan Papov an. Jetzt wissen wir, warum.
Das Perfekte Verbrechen 2 - Die Erklärung
„Erklärs mir.“
„Was?“
„Wieso Ivan?“
Der Rothaarige lachte leise.
„Nun, das war ganz einfach. Bryan war viel zu verkatert. Wäre er an die Torte gegangen, wäre sie leer. Außerdem hätte man an der Torte seinen Alkoholpegel erkennen können. Da ich aber eine ruhige Hand habe und nur minimale Spuren hinterlassen habe, konnte ich es nicht auf Bryan schieben.
Auf dich schieben konnte ich auch nicht. Du bist eine Zicke. Das Risiko wollte ich nicht eingehen. Aua!“, er rieb sich den Kopf, nachdem Kai ihm eine Kopfnuss verpasst hatte.
„Ganz recht. Wo hattest du das Haar her?“
„Tja, ich bin eben auf alles vorbereitet.“, er grinste selbstsicher.
„Weißt du noch, die letzte Party im B52? Als Ivan anschließend neben die Eingangstür gekotzt hat und der Türsteher uns fortgejagt hatte?“
Kai verzog angewidert das Gesicht. Ja, an diese Feier konnte er sich wirklich gut erinnern. Ivan war so betrunken gewesen, dass er jegliche humanen Züge verloren hatte.
„Ich hab ihm die Haare hochgehalten, während wir weggerannt sind und er gekotzt hat. Als ich ihn wieder los ließ, hatten sich ein paar Haare zwischen meinen Fingern verfangen.“
„….und du hast sie aufgehoben?“
„Klar, man weiß ja nie, wofür man sie mal braucht.“
„…hab ich dir schon mal gesagt, dass du manchmal echt gestört bist, Ivanov?“
Er bekam ein dreckiges Grinsen zur Antwort.
„Ok, ich gebs ja zu, ich war angepisst, weil er auf meine Schuhe gekotzt hat. Und das, obwohl ich ihn vorher gewarnt habe. Ich hab ihm gesagt, dass er das bereuen würde, wenn er mich ankotzt.“
„Du hättest ihm ja nicht helfen müssen.“
„Und zulassen, dass er das Team und unseren Ruf in den Schmutz zieht, wenn er besoffen in seiner eigenen Kotze sitzt und nicht mehr laufen kann?“
„Unseren Ruf? Meinst du nicht, der ist so oder so schon versaut?“
„Das spielt doch jetzt keine Rolle. Jedenfalls dachte ich, ich könnte die Haare sicher mal gebrauchen…irgendwann.“
„…creepy.“
„Und die Sache mit dem Stuhl? Auch geplant?“
„Wenn Serge es nicht bemerkt hätte, wäre nichts passiert. Ich hab lediglich die Gunst der Stunde genutzt und die Gegebenheiten zu meinen Vorteilen benutzt. Bryan war so besoffen, dass er gegen die Kommode im Flur gelaufen ist. Daher das Geräusch. Ich bin wirklich davon wach geworden, und von Bryans Gefluche natürlich. Aber da alle anderen Geschlafen haben, konnte ich das Geräusch ja auch anders erklären. War es eben ein Stuhl und keine Kommode. Irgendwie musste Ivan ja an die Torte, kommen bei seiner Größe. Bryan war eh zu besoffen um sich daran zu erinnern, was wirklich war.“
„Was hättest du gemacht, wenn Bryan nicht gegen die Kommode gelaufen wäre?“
„Nun, für diesen Fall, habe ich in der Nacht noch ein Foto von Ivan gemacht.“, er grinste dreckig und öffnete das Schubfach von seinem Nachttisch und zeigte es Kai.
Zu sehen war ein schlafender Ivan, der eine minimale Schlagsahnespur auf der Oberlippe hatte.
„Du hast das nicht ehrlich getan.“
Ein Schulterzucken.
„Doch, klar. Das Bild wäre dann im Briefkasten gelandet, anonym. Serge interessieren nur Tatsachen mit eindeutigen Beweisen, nicht die Frage wie das Bild entstanden ist.“
„…Was hättest du getan, wenn ich dich verraten hätte?“
„Hättest du nicht.“
„Ach nein?“
Der Rothaarige kam seinem Gesicht ganz nahe.
„Du würdest mich niemals verraten. Dafür findest du mich zu scharf.“, der Jüngere zog eine Augenbraue hoch.
„Du hättest nicht riskiert, dass ich sauer auf dich sein würde. Dann würde ich dich vielleicht ignorieren. Und ich weiß, dass du das gar nicht magst.“
„Soviel Scharfsinn hab ich dir gar nicht zugetraut. Vielleicht sollte ich zukünftig wieder in meinem Zimmer schlafen...“, meinte ein Kai, der nicht zugeben wollte, wie sehr Yuriy mit seinen Worten Recht hatte.
