Zum Inhalt der Seite

A Fork Stuck In The Road

Aliens, Armdrücken & andere Absurditäten
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Another Turning Point

Es war surreal, wie selbstverständlich der Alltagstrott zurückkam, als es vorbei war.

 

Schule. Lernen. Clubaktivitäten. Obwohl es saudumm war, hatte keiner von ihnen aufgehört.

„Wir bleiben bis zum Schluss!“, hatte Tooru schnaufend verkündet, und keiner von ihnen wäre je auf die Idee gekommen, zu protestieren. Sie blieben. Es ging weiter, als würde es ewig weitergehen. Sie gingen zur Schule, trafen sich in den Mittagspausen in einem Klassenraum, lachten, wenn Takahiro wieder gegen Hajime beim Armdrücken verlor. Stöhnten und ächzten über Tests und Hausaufgaben und all die unseligen Dinge, schubsten ihre Kouhais beim Volleyballtraining herum, obwohl Tooru den Captainsmantel längst abgelegt hatte und Yahaba inzwischen stolz und mit feuchten Augen das Captainemblem auf dem Trikot trug. (Vize-Captain Kyoutani hatte sie alle erstaunt und so manchen Protest ausgelöst, doch als es das erste Mal nötig wurde, dass er von seinem Amt Gebrauch machte, hatte er schnell alle Zweifler zum Verstummen gebracht.)

 

Sie benahmen sich, als würde das Jahr niemals enden, dabei war es schon wieder fast März, und eigentlich war das Jahr schon vorbei, die Abschlussprüfungen standen schon mit einem Fuß in der Tür. Und obwohl sie alle wussten, wohin es für sie gehen würde nach diesem Jahr, nach diesem Monat – man sprach nicht darüber. Nicht darüber, dass Tooru und Hajime sich zum ersten Mal in ihrem Leben trennen würden, nicht darüber, dass Issei gar nicht zur Uni ging und Takahiro ans andere Ende von Japan ziehen würde, um seine Wunsch-Universität zu besuchen. Heisuke wollte nach Tokyo.

Es war bekannt. Es wurde nicht darüber gesprochen. Wahrscheinlich würden sie sich am letzten Schultag verabschieden mit „Bis Montag!“, so wie sie es immer taten, bevor sich ihre Wege an verschiedenen Kreuzungen trennten, lachend und schwatzend.

 

Aber Montag würde niemals kommen.

 

 

„Das ist unser letztes Jahr.“

Die Worte waren so schwer, dass sie in der Luft hingen wie ein Leichentuch, und hätte er sie zurücknehmen können, er hätte es wahrscheinlich getan. Sechs Augenpaare blickten ihn an, als hätte er einen ungesagten Schwur gebrochen, und schließlich war es Tooru, der seufzend und mit den Händen wedelnd antwortete: „Versuchst du gerade, uns etwas Neues zu erzählen, Yudacchi? Das wussten wir schon.“

„Und bald“, fuhr er unbeirrt fort, schluckte hart, bevor er weitersprechen konnte, „gehen wir auf die Uni. Und trennen uns.“

Er sah den Blick, der zwischen Tooru und Hajime gewechselt wurde. Er sah, wie auch die Blicke der anderen auf ihr Super-Duo fielen.

„Was soll das jetzt werden, Kaneo?“, unterbrach Motomu den schwermütigen Moment genervt, die Augenbrauen zusammengeschoben zu einer steilen Falte und die Hände in die Hüften gestemmt, „Ist es nicht ein bisschen spät für große Reden?“

Motomu meinte die Uhrzeit – eindeutig zu spät –, aber Kaneo fasste die Frage trotzdem völlig anders auf und schüttelte wild den Kopf.

„Gerade deshalb! Bald ist es wirklich zu spät! Dann gehen wir einfach auseinander, und– und–“

Und da waren sie wieder, die Tränen, die viel zu leicht flossen, sobald es um das Thema Schuljahresende ging. Kaneo presste die Lippen zusammen und reckte das Kinn vor, die Hände zu Fäusten geballt. Die Idee war nicht spontan gekommen; seien es all die kitschig-traurigen Filme, die er sich angeschaut hatte, all die lächerlich inspirierenden Zitate und Ideen, die Google ihm ausgespuckt hatte, oder sein eigener Wunsch danach, dieses letzte Jahr mit seinen Freunden zu etwas Besonderem zu machen, es war in Planung, seit sie die Frühlingsmeisterschaft schon in der Vorrunde hinter sich hatten lassen müssen.

„Deshalb!“, setzte er neu an, und eine Träne tropfte auf seine Wange, malte eine nasse Spur, ehe sie sich auf seiner Haut verlor, „Sollten wir noch etwas richtig Verrücktes tun!“

 

„Was.“

 

Es war nicht einmal eine Frage, einfach eine Feststellung, und Motomus Blick war passend entgeistert. Issei grinste schief, tauschte einen Blick mit Takahiro, der ihm dann wohl seine Worte aus dem Mund nahm: „Ich finde, du machst das mit dem verrückt schon gut genug für uns alle, Yuda.“

„Hören wir uns wenigstens an, was er sagen will!“, mahnte Heisuke streng, auch wenn auf seine Strenge noch nie jemand etwas gegeben hatte. Tooru lachte sogar einfach nur, was ihm einen empörten, verlegenen Blick einbrachte – Heisuke wurde immer noch so leicht rot wie an ihrem ersten gemeinsamen Tag in der ersten Klasse, als er sich beim Vorstellen dreimal verhaspelt hatte und dann erst einmal die Namen von zwei Senpais konsequent den Rest des Tages vertauschte. Damals hatte Kaneo schon gefürchtet, der Junge würde nie wieder eine normale Gesichtsfarbe bekommen.

Hatte er am Ende doch, auch wenn sie sich selten in normalen Bahnen hielt.

„Also, Yudacchi? Was hast du vor?“

Kaneo holte tief Luft, blickte entschlossen zwischen seinen Freunden hin und her. Sein Blick duldete keinen Widerspruch, doch er ahnte, dass er damit ungefähr so viel Erfolg hatte wie Heisuke mit seiner Strenge oder Tooru mit dem Versuch, ihnen weiszumachen, er sei ein netter Mensch.

„Wir schwänzen.“

Sofort öffneten sich mindestens vier Münder in Protestversuchen. Kaneo hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, ehe sie losplappern konnten.

„Hört mir erst zu! Wir schwänzen. Sieben Tage. Und jeden Tag machen wir – irgendwas! Jeder von uns füllt einen Tag mit Dingen, die er mag, die ihm wichtig sind.“ – „Wieso sieben Tage?“, brummte Hajime, und Kaneo lachte hilflos-erleichtert auf, weil das der einzige Kommentar war, der dem Kerl einfiel, und das war gut, denn das hieß, dass die Idee zumindest nicht völlig in Grund und Boden gestampft werden würde. Wenn Hajime etwas durchwinkte, war es schon halb abgesegnet. (Die andere Hälfte, natürlich, war Toorus Entscheidung, aber Kaneo vertraute auf Toorus Hang zu idiotischen Ideen.)

„Sieben ist die Glückszahl!“, erklärte er lachend und streckte sieben Finger aus, um die Zahl zusätzlich zu illustrieren, „Davon können wir dann die nächsten Jahre zehren, bis wir uns alle nochmal auf einem Haufen wiedersehen! Und außerdem sind wir eben sieben Leute?“

Er grinste. Hajime verdrehte die Augen. Tooru kicherte in sich hinein, was Kaneo als gutes Zeichen nahm. Takahiro und Issei tauschten einen Blick, in dem ein stummer Witz zu liegen schien, denn im nächsten Moment lachten die beiden ebenfalls. Heisuke hatte die Lippen fest zusammengepresst und rollte grimassierend die Augen, als könne er damit die Tränen wieder zurückzwingen. Motomu schüttelte nur resigniert den Kopf.

 

„Es ist doch eh schon beschlossene Sache, oder?“, fragte er, resigniert, doch jetzt zupfte da ein Grinsen an seinem Mundwinkel. Tooru lachte laut auf, „Natürlich, Ucchi, was denkst du denn!“ – „Oi, Shittykawa, hör auf, alles allein zu entscheiden!“ – „Awww, aber Iwa-Chan~ du willst es doch auch.“

Hajime und Tooru verfielen wie auf Kommando wieder in ihre alten Zankereien, und das Thema schien mit einem Schlag vergessen. Kaneo lächelte, wischte sich die letzte Nässe von den Wangen. Er sah auf, als Issei ihm schwer eine Hand auf die Schulter legte.

„Viel Spaß beim Planen.“

Im nächsten Moment hatte er Takahiros Hand auf der anderen Schulter.

„Jap. Glaub ja nicht, dass wir einen Finger mehr krumm machen als nötig dafür, dass du uns zu so einem Delinquentenverhalten anstiftest.“ – „Kaneo der Delinquent! Das glaubt uns niemand!“, lachte Motomu kopfschüttelnd, „Aber es gefällt mir. Da werden die Kleinen ganz schön gucken, wenn wir ihnen das erzählen.“ – „Und dann werden sie Kaneo in den Hintern treten, weil er uns dazu gebracht hat, das Training zu schwänzen“, beendete Heisuke mit einem strahlenden Grinsen. Kaneo konnte selbst nicht anders als zu grinsen.

 

„Ich finde, das klingt nach einem großartigen Abschluss!“

Make The Best Of This Test

Bringt Fahrräder mit! ۹(ÒہÓ)۶

 

Das war die letzte Nachricht gewesen, die von Kaneo gekommen war, zusammen mit ihrem Treffpunkt und einer Uhrzeit (verdammt früh!), um die erste Station ihres verrückten Ausflugs zu erreichen. Es war acht Uhr abends, Motomu saß noch über seinen Hausaufgaben (die er machte, obwohl niemand sie kontrollieren würde), und er starrte eine geschlagene Minute auf sein Handy, ehe er es einfach nur noch ausseufzte und wieder weglegte.

Die Hausaufgaben konnte er eigentlich auch schon weglegen, denn eigentlich konnte er schon ins Bett gehen, wenn er am Morgen pünktlich sein wollte.

Sein Blick fiel auf den längst gepackten Rucksack, an den ein Schlafsack gebunden war.

Kaneo war verrückt.

Wahrscheinlich waren sie alle noch viel verrückter dafür, dass sie bei dieser verrückten Kiste mitmachten. Motomu seufzte leise, klappte sein Englischbuch zu und schob es achtlos zusammen mit seinen anderen Schulunterlagen beiseite. Bett. Wenn er sich schon um fünf Uhr mit den anderen treffen wollte, müsste er spätestens um vier aufstehen.

 

Allein der Gedanke machte ihn schon müde.

 

 

Es erstaunte Motomu nicht nur beinahe, dass tatsächlich alle pünktlich ankamen, Fahrräder schiebend und riesige Reiserucksäcke auf den Rücken tragend. Oikawa und Iwaizumi waren die letzten, die ankamen, zusammen, wie immer. Iwaizumi sah genervt aus, während Oikawa jammernd neben ihm herlief.

„Iwa-Chan hat mich viel zu früh geweckt!“, klagte er, kaum, dass er angekommen war – „Hab ich nicht, Oikawa. Hätte ich dich länger pennen lassen, wären wir jetzt zu spät.“

Oikawa schüttelte den Kopf und hob belehrend den Finger.

„Das ist nicht wahr, Iwa-Chan. Wären wir später aufgewacht, hätte ich mich im Bad beeilt.“ – „Das heißt, ich habe umsonst eine Stunde vor deiner Badezimmertür verbracht?“ – „Oh Iwa-Chan, glaubst du wirklich, ich würde jeden Morgen so lange im Bad stehen? Normalerweise reicht eine halbe Stunde!“

Motomu und Shido packten Iwaizumi vorsorglich, ehe er Oikawa zu Brei schlagen konnte, und ringsum wurden resignierte Blicke getauscht.

 

„Eine Woche“, kommentierte Hanamaki mit einem Grinsen an Matsukawa, der ebenso grinsend antwortete, „Jap. Eine Woche.“

Auch wenn Motomu nicht so ganz daraus mitnahm, was in den Köpfen der beiden vor sich ging, es schien lustig zu sein, denn sie grinsten nur noch breiter, ehe sie sich voneinander abwandten.

Es unterschied sich kaum von einem normalen Schulmorgen, wenn Motomu es recht betrachtete. Der gleiche alte Zank zwischen Iwaizumi und Oikawa, die gleichen alten, geheimen Witzchen, die Hanamaki und Matsukawa teilten. Shido und Kaneo tuschelten über irgendetwas, das Motomu wahrscheinlich nicht einmal interessieren würde. (Schlechte Filme, vermutlich.) Es war friedlich, nach ihren Standards. Motomu hatte Zweifel daran, dass sich das eine ganze Woche halten würde.

Er hatte auch Zweifel daran, dass das hier überhaupt eine so gute Idee war. Nicht einmal nur deshalb, weil sie wichtige Vorbereitungszeit auf die Abschlussprüfungen vergeudeten, auch wenn das wohl das wichtigste Argument sein sollte. (War es nicht. Motomu waren seine Freunde wichtiger, auch wenn er das nicht laut sagen würde.) Was ihm mehr Sorge bereitete war die Tatsache, dass Kaneo fast im Alleingang ihre gesamte Reiseroute geplant hatte – was dazu führte, dass Motomu abgesehen von seinem eigenen Tagesprogramm keinerlei Ahnung hatte, was ihn wann wo und wie erwarten würde. Es gefiel ihm nicht. Motomu mochte es, den Überblick zu haben.

Andererseits war es Kaneo so wichtig gewesen, dass er es nicht übers Herz gebracht hatte, sich einzumischen.

 

„Also, Kumpel? Erzähl mal, was geht nun genau ab?“

Hanamaki stellte die Frage, die tatsächlich jeden der anderen dazu brachte, seine Aufmerksamkeit von was auch immer er gerade getan hatte abzuwenden. Kaneos Antwort war ein Grinsen und er zog sein Telefon aus der Tasche.

„Wir werden jetzt eine Weile unterwegs sein“, begann er, deutete dann auf sein Smartphone und die darauf aufgerufene Straßenkarte, „Bis wir Marumori erreichen. In der Nähe ist ein Campingplatz, das ist unsere erste Station!“ – „Camping“, echote Oikawa mit großen, weit aufgerissenen Augen, „In einem Zelt?!“

Er sah regelrecht entsetzt aus bei dem Ausblick auf eine Nacht in einer so unbequemen Umgebung. Motomu fragte sich, wieso ihm das Drama nicht schon früher eingefallen war – der Schlafsack, den er hatte einpacken sollen, hätte doch Aufschluss darüber geben sollen. Fand scheinbar auch Iwaizumi, der Oikawa einen leichten Schlag auf den Hinterkopf verpasste.

„Das hättest du schon wissen können, Oikawa.“

„So gemein, Iwa-Chan!“

„In einem Zelt“, beeilte Motomu sich, das Drama zu unterbrechen, ehe Oikawa und Iwaizumi die nächste Stunde damit verbrachten, zu streiten, während Oikawa ohne Zweifel über den mangelnden Komfort der bevorstehenden Nacht jammern würde.

Er wusste noch nicht, ob er froh sein sollte, dass der Auftakt gleich sein geplantes Camping war, oder unzufrieden, weil er danach einfach gar nichts mehr hatte, woran er sich orientieren konnte. Wahrscheinlich eher letzteres; es gefiel ihm wirklich nicht, planlos zu sein.

„Sorry auch, dass es so weit entfernt ist, aber dummerweise haben zu dieser Zeit des Jahres beinahe gar keine Campingplätze geöffnet, und das war der nächste, der in irgendeiner Form unseren Ansprüchen entsprochen hätte.“ – „Was sind eigentlich unsere Ansprüche?“, hakte Matsukawa mit einem trägen Grinsen nach, völlig anspruchslos aussehend dabei. Wahrscheinlich hätte ihm ein Schlafsack mitten im Wald auch gereicht, solange es nicht regnete.

Motomu begann ebenfalls zu grinsen, während er den Rucksack auf seinen Schultern bequemer zurechtrückte.

 

„Survival.“

 

Oikawas entgleistes Gesicht war herrlich genug, dass sie alle in irgendeiner Form in Gelächter ausbrachen (Kaneo so nett, es hinter einer Hand zu verbergen, und Iwaizumi schnaubte unverhohlen schadenfroh).

 

 

Die Fahrt nach Marumori dauerte fünf Stunden.

Sie hätten bedeutend schneller sein können, hätten sie nicht so oft halten müssen. Neben den kurzen Pinkelpausen gab es auf halber Strecke eine Pause zum Essen, und irgendwie schaffte Oikawa es, aus einem einfachen Toilettenbesuch ein solches Theater zu machen, dass sie mehr als fünfzehn Minuten auf der Stelle standen. Zweimal suchten sie in irgendeinem Kaff am Wegesrand nach einem Supermarkt, damit sie neue Getränke kaufen konnten, weil irgendein Depp einfach immer zu wenig hatte.

Eigentlich hatte Motomu fest erwartet, dass sie mit der Bahn fahren würden, einfach, weil die Strecke doch weiter war. Andererseits hätte er ahnen können, dass Kaneo irgendetwas Verrücktes planen würde, nachdem Motomu ihm die Adresse gegeben hatte, und schlussendlich war er sogar froh darum, dass sie auf ihren Rädern losgezogen waren.

Zugegeben, sein Hintern schmerzte nach der langen Fahrt, und er war trotz Essenspause viel zu hungrig, aber vor allem hatte er einiges an überschüssiger Energie abbauen können, von dem ihm gar nicht einmal so ganz bewusst gewesen war, dass sie überhaupt existiert hatte. Und gemessen an über die Fahrt hinweg gebrüllten Unterhaltungen zwischen Kaneo, Oikawa und Iwaizumi, Wettrennen zwischen Hanamaki und Matsukawa und Shidos unruhigem Gezappel in jeder Pause, war er da eindeutig nicht der einzige, der einiges abzubauen gehabt hatte.

 

„Das war eine furchtbare Idee!“, beklagte Oikawa sich, nachdem sie ihre Fahrräder angekettet hatten und die letzten Meter zum Check-In des Campingplatzes zu Fuß zurücklegten. Er hatte sein Handy mit eingeschalteter Frontkamera in der Hand und betrachtete unglücklich sein nicht mehr ganz so penibel hübsch gestyltes Haar, das vom Fahrtwind doch sichtlich in Mitleidenschaft gezogen war.

„Hier sind eh keine Mädchen, die den Boden unter deinen Füßen anbeten könnten, Oikawa“, brummte Iwaizumi schroff, „Aber Iwa-Chan! Ich muss doch deine fehlende Attraktivität ausgleichen…“ – „Ich geb dir gleich fehlende Attraktivität, Trashykawa!“

Hanamaki und Matsukawa tauschten Blicke, dann grinsten sie wie auf Kommando. Hanamaki wedelte schließlich aufmerksamkeitsheischend mit der Hand, nachdem sie noch einige Augenblicke schweigend den neu entbrannten Zank verfolgt hatten.

„Heeey! Jungs, wer von euch will wetten, wer von den beiden am Ende der Woche lauter jammert, wie froh er ist, endlich Ruhe zu haben?“ – „Ich setz auf Iwaizumi“, erwiderte Motomu sofort grinsend. Kaneo lachte. „Tooru!“, rief er aus. Hanamaki grinste noch breiter und zückte sein Handy.

„Alle Mann, die mitmachen wollen, kommen jetzt bitte zu mir~“, singsangte er in einer faszinierenden Mischung aus schadenfroh und tonlos. Innerhalb von wenigen Sekunden hatte sich die gesamte Truppe minus der beiden Betroffenen um ihn geschart, völlig ignorierend, dass Oikawa nun dazu übergegangen war, darüber zu jammern, dass sie Wetten auf seine Kosten abschlossen:

 

„Ihr könnt euch doch nicht an meinem Leid bereichern!!! Makki, Mattsun, das ist nicht nett! Yudacchi, Shicchi, Ucchi, macht doch nicht auch noch mit!“

 

 

„Eigentlich ist es hier doch gar nicht übel“, kommentierte Shido achselzuckend, als sie nach ihrem Rundgang zurück zu ihren Zelten kamen, „Ich meine, wir haben fließendes Wasser, Duschen und sogar ein Bad, und eine Küche, wenn das Lagerfeuer uns nicht reicht… Was will man denn mehr?“ – „Ein Bett“, kam die prompte Antwort von Oikawa, der sich mit einem theatralischen Ächzen auf den Boden vor seinem und Iwaizumis Zelt plumpsen ließ; weil die Zelte klein waren, teilten sie – Oikawa und Iwaizumi, Hanamaki und Matsukawa, und Motomu würde sich mit Shido und Kaneo in ein Zelt quetschen. Er beweinte im Stillen seinen ruhigen Schlaf, weil Kaneo ein Zappler sondergleichen war.

„Sei nicht so ein Weichei“, schalt Shido streng. Oikawa ignorierte ihn vollkommen, während er weiter lamentierte, dass das nicht gut für seinen Rücken war, und für seine Haare sowieso nicht, er brauchte doch sein fluffiges Kissen, damit seine Frisur nicht völlig plattgelegen wurde, und außerdem schnarchte Iwaizumi so entsetzlich laut, dass er bestimmt gar nicht schlafen könnte, und dann – oh Schock! – würde er Augenringe bekommen und „Ist das nicht tragisch?!“ – „Das einzig tragische hier ist deine Stimme, Shittykawa.“

 

„Achtung, ich ruiniere mal die romantische Stimmung“, kündigte Kaneo lachend an, als er sich zwischen Oikawa und Iwaizumi auf den Boden fallen ließ, „Aber ich hab da mal ne Frage!“

Konnte nichts Gutes heißen, befand Motomu. Er sah zu, wie Kaneo die Knie anzog und die Arme darum schlang, und dann sah Kaneo aus blitzenden Augen übermütig zu ihm auf.

„Was genau ist eigentlich der Survival-Part des Trips?“

Für Kaneo-Verhältnisse eine verblüffend sinnvolle Frage. Motomu war beeindruckt.

„Nun, normalerweise hätte das wohl Angeln impliziert. Oder jagen. Pilze sammeln.“

Mit jedem Wort mehr rümpfte Oikawa die Nase ein bisschen weiter, bis sein Gesicht völlig zerknittert aussah. Sagen dürfte man ihm das natürlich niemals, und Motomu schwieg es auch konsequent aus – wenn auch mehr, weil er aus dem Augenwinkel sah, wie Shido heimlich Fotos machte, und er ihm das Motiv nicht ruinieren wollte.

„Aber zu dieser Jahreszeit gibt’s noch nicht so viel, huh?“, kommentierte Iwaizumi mit einem schiefen Grinsen. Motomu nickte ihm zu.

„Genau. Deshalb gibt es weder Angeln, noch irgendetwas anderes, das irgendwie Survival-mäßig wäre.“ – „Aber du hast gesagt, wir campen auf Survival, Ucchi!“

Wahrscheinlich hatte Oikawa anklagend klingen wollen, jedenfalls sah sein aufgeblasenes Hamstergesicht danach aus, aber Motomu fand, in seiner Stimme klang viel zu viel Erleichterung mit, als dass das noch überzeugend wäre.

 

„Kann hier irgendjemand kochen?“

 

Motomus Frage wurde mit verwirrten Blicken beantwortet, die einmal quer durch die Gruppe wanderten, ehe sechs Köpfe mehr oder weniger synchron begannen, sich zu schütteln. Motomu grinste breit.

 

„Ich auch nicht. Deshalb Survival-Camping.“

 

 

„Reis kochen kann nicht so schwer sein“, meinte Kaneo, und er schaffte es, auf beunruhigende Art unsicher dabei zu klingen, obwohl die Grimasse auf seinem Gesicht wohl eine schlechte Karikatur von Optimismus sein sollte. Sie hatten Lose gezogen; drei von ihnen kümmerten sich um das Mittagessen, drei um das Abendessen (mit Resten fürs Frühstück!), und der letzte durfte den Abwasch machen.

Motomu war sich sicher, dass sich Matsukawa noch nie so sehr übers Tellerwäschern gefreut hatte.

Er selbst hatte die unehrenhafte Aufgabe, sich mit dem Mittagessen zu prügeln, zusammen mit Kaneo, und, dem Himmel sei Dank, nicht Oikawa – stattdessen hatte er Iwaizumi neben sich hocken, der skeptisch eine Packung Reis anstarrte, als könne er sie allein durch seinen Blick zum Garen bringen.

„Ohne Reiskocher?“, fragte er, hob die Augenbraue und den Blick in Kaneos Richtung. Kaneo zuckte mit den Schultern und grinste schief.

„Hajime, deine Falten!“, mahnte er liebevoll. Er angelte Iwaizumi die Reispackung aus der Hand, während der die Stirn nur noch tiefer runzelte. Irgendwo aus dem Inneren eines Zeltes hörte er Oikawa „Iwa-Chan, das macht dich auch nicht attraktiver!“ hinüberrufen, und inzwischen glichen die Falten zwischen Iwaizumis Augenbrauen tiefen Schluchten.

 

„Reis“, wiederholte Kaneo noch einmal, hob die Reispackung demonstrativ hoch, „Und Omelette. Kann nicht so schwer sein. Also los!“

 

Es war nicht schwer. Nein.

Es war eine Katastrophe.

Der Reis schaffte es, gleichzeitig halbroh und verbrannt zu sein, und das Omelette war eher ein klägliches Rührei geworden. Wie auch immer sie das geschafft hatten, nachdem sie vergessen hatten, den Reis zu salzen, war immerhin das Ei überraschend gut gewürzt.

„Wenn man genug Sojasauce draufschüttet, schmeckt es sogar passabel“, lobte Hanamaki mit einem spöttischen Grinsen, das Kaneo nur ein schadenfrohes Lachen entlockte – „Warte ab, wie ihr euch heute Abend schlagt!“

Bei Oikawa im Team konnte es nur schlechter werden, darauf wollte Motomu sich verlassen. Sein Stolz ließ gar nichts anderes zu.

„Träum weiter, Yudacchi! Wir werden ein großartiges Abendessen auf den Tisch bringen, warte es nur ab.“

Irgendwie schien das niemand so recht glauben zu wollen.

 

„Wer den Abend überleben will, sollte über einen Fahrradtrip ins nächste Kaff nachdenken, und sich Proviant kaufen.“ – „Iwa-Chan!!!“

 

 

Sie überlebten den Abend. Ohne Kotztüten oder spontane Fahrradausflüge nach Marumori hinein, weil sie dringend etwas anderes zu essen brauchten. Sehr zu Motomus Missfallen war es Oikawas Kochkurs sogar gelungen, den Reis nicht anbrennen zu lassen – dafür war er völlig verwässert und verquollen, und sie hatten Reisbrei in ihren Schalen, den sie löffeln mussten, weil er von den Stäbchen runterrutschte.

Die Idee, einfach Gemüsespieße über dem Lagerfeuer zu grillen (wie Motomu erfuhr, hatte Oikawa sich die Holzspieße bei einem jungen Mädchen ein paar Zelte weiter erschnorrt), war leider so gut, dass sie den matschigen Reis wieder wettmachte, und am Ende wurden sie alle satt, weniger wegen dem Reis als wegen dem Gemüse, aber in jedem Fall reichte es.

 

Inzwischen war das Abendessen vorbei, das Geschirr gespült, die Reste fürs Frühstück beiseitegelegt und sie saßen beieinander um das Lagerfeuer herum, ließen sich die Gesichter und Hände wärmen, wo die Nacht mit ausgesprochen unschönen Temperaturen Einzug gehalten hatte.

Immerhin würden sie so keine Sorgen haben müssen, dass ihr Frühstück die Nacht nicht überstand.

Das warme Flackern des Lagerfeuers malte tanzende Schatten auf ihre Gesichter. Eine Weile war es still. Irgendwann – viel zu bald – begann Oikawa wieder zu plappern, erzählte von irgendwelchen Belanglosigkeiten, die Motomu sich nicht einmal zu merken versuchte. In den ewig gleichen Singsang von Oikawas Stimme mischte sich manchmal Iwaizumis harsches Bellen oder Kaneos krächzige Stimme. Vielleicht war es doch gar keine so schlechte Idee gewesen.

„Ich wusste gar nicht, dass du etwas für Camping übrig hast“, kommentierte Shido sanft. Er stieß seine Schulter gegen Motomus und grinste ihn flüchtig an. Seine Augen glühten in einer faszinierenden, feurigen Farbe.

„Schon seit ich denken kann“, gab Motomu achselzuckend zurück, „Mein Vater ist ein totaler Outdoor-Narr. Wir campen mindestens einmal im Jahr. Früher war es öfter, aber seit mein Bruder ausgezogen ist und ich zur High School gehe…“

Er ließ den Satz unfertig in der Luft hängen und zuckte mit den Schultern. Dinge änderten sich eben. Motomu vermisste es häufiger, als er zugeben wollte, aber mit allem Volleyballtraining hätte er auch gar nicht mehr die Zeit dazu gehabt, allzu oft hinaus in die Natur zu flüchten. Und er hätte das Training nicht sausen lassen, und das nicht nur, weil Oikawa ihm dann ewig in den Ohren gelegen hätte.

 

„Apropos. Motomu, du gehst wo zur Uni?“

 

Kaneos Einmischung kam unerwartet, weil er so in sein Gespräch mit Oikawa vertieft schien. Jetzt war es still, und sechs Paar feuerglühender Augen lagen auf Motomu. Er seufzte leise, zog die Schultern hoch und schob die Hände tiefer in die Jackentaschen.

„Ishinomaki. Hab das Eingangsexamen für die Senshu in Tokyo nicht geschafft. Na ja. Wenn es gut läuft, will ich mein Studium sowieso im Ausland beenden.“ – „Waaas? Ucchi, du lässt uns hier allein?! Wie gemein von dir!“

„Lass ihn gefälligst, Oikawa.“

 

„Ist ja nicht, als wäre ich aus der Welt, huh?“

Motomu wollte lachen, aber sein Grinsen fiel so schief aus, dass es sich nicht einmal mehr nach Grinsen anfühlte. Er mochte solche Gespräche nicht besonders. All das Theater darum, dass man sich nicht mehr so oft wiedersehen würde, schlug ihm auf den Magen.

„Wir sehen uns schon oft genug wieder, und wenn nicht, dann schick ich euch nette Postkarten aus Amerika.“ – „Amerika also! Ucchi will uns wirklich für fettiges Essen und grobschlächtigen Sport allein lassen!“ – „Shittykawa!“

„Wir sollten das positiv sehen!“, beschloss Kaneo, grinste breit in die Runde. Er gestikulierte wild.

„Wenn wir jetzt auseinandergehen, dann haben wir eine richtig gute Ausrede, die verschiedensten Orte zu besuchen! Wir sollten Motomu alle die Daumen drücken, dass er sein Auslandsstudium hinkriegt, und dann können wir ihn irgendwann gesammelt in Amerika besuchen und brauchen kein Hotel zu zahlen!“

Motomu schnaubte amüsiert.

„Oikawa wird nicht bei mir übernachten!“

 

Alle lachten, außer Oikawa, der laut jammerte und sein Leid beklagte, und Motomu verspürte mit einem Mal eine riesige Vorfreude auf sein Leben im Ausland und auf den Tag, an dem völlig unverhofft diese Idioten vor der Tür zu seiner viel zu kleinen Studentenbude stehen würden.

Like I Never Outgrew My Old Playground

Sie waren auf dem Dachboden und verstaubt gewesen, als Hajime nach Jahren das erste Mal wieder nach ihnen suchte. Ihm war nie bewusst gewesen, wie viele er hatte. Ihm war nie bewusst gewesen, dass sie mit ihm gewachsen waren.

 

Ihm war nie bewusst gewesen, dass sie irgendwann aufgehört hatten, mit ihm zu wachsen.

 

Schlussendlich hatte er einen neuen gekauft, obwohl er schon in dem Moment, in dem er an der Kasse stand, wusste, dass es eine idiotische Idee war und überhaupt nicht lohnenswert. Aber der ganze Ausflug war eine idiotische Idee, da machte es auch keinen Unterschied mehr. Und jetzt, wo er einmal davor stand, merkte Hajime, dass er das alte Hobby ernsthaft vermisste.

Vielleicht würde es sich auf lange Sicht doch lohnen.

 

 

Vielleicht war es aber wirklich nur eine idiotische Idee, und in dem Gedanken fühlte Hajime sich mehr als bestärkt, als ihm am zweiten Morgen ihres verrückten Trips sechs entgeisterte Gesichter über ein Frühstück aus kalten Gemüsespießen und matschigem Reis hinweg entgegenstarrten.

„Käfersammeln“, echote Oikawa mit diesen lächerlich weit aufgerissenen Augen, die wohl erstaunt aussehen sollten, Hajime aber immer an den glubschenden Goldfisch erinnerten, den er als Kind bei einem Sommerfest gewonnen hatte und der dann ganze eineinhalb Jahre sein Haustier gewesen war – weil der Fisch und Oikawa so viel Ähnlichkeit hatten, hatte er ihn Fishykawa getauft. Oikawa hatte ihn gehasst. (Fishykawa hatte immer noch ein kleines Grab in Hajimes Garten. Wann immer Oikawa zu Besuch war, legte er extra schnell gepflückte Wiesenblumen vor das verwitterte, morsche Holzgrabmal, um ihn zu ärgern.)

„Käfersammeln“, bestätigte Hajime achselzuckend. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Sawauchi die Arme hinter dem Kopf verschränkte, „Das dürfte genauso schief gehen wie der Survival-Trip, huh?“, fragte er amüsiert. Ja, würde es, und das wusste Hajime natürlich. Um diese Jahreszeit fand man noch lange keine Käfer, zumindest nicht, wenn man nicht sehr genau suchte – und selbst dann waren es nur die paar Arten, die den Winter in einer Winterstarre überbrückten oder als Kokons.

 

„Egal. Es geht ums Prinzip. Und vielleicht haben wir Glück und finden irgendetwas.“

 

„Wie nostalgisch“, kommentierte Hanamaki grinsend. Hajime war sich nicht sicher, ob er es ernst meinte, oder einfach nur mal wieder spotten wollte (vermutlich beides), „Hätte mir jemand Bescheid gesagt, hätte ich meine alten Kescher mitbringen können. Es muss zehn Jahre her sein, dass ich das letzte Mal losgezogen bin.“

„Meine Mutter wollte mich nie gehen lassen“, erzählte Kaneo mit einem verlegenen Lachen, „Ich hab mich als Kind viel zu schnell verlaufen! Sie hatte Angst, dass ich verloren gehe, und wenn ich nur in den Park um die Ecke laufe.“

 

Jeder von ihnen hatte Käfersammelerlebnisse auf die eine oder andere Art. Shido erzählte, dass er als Kind immer von seinen älteren Brüdern gejagt worden war, die den kleinen Käfer eben fangen wollten, Matsukawa hatte lieber zugesehen, statt sich selbst zu beteiligen, und Sawauchi hatte eine Weile lang gezielt Schmetterlinge gejagt, aber doch recht bald das Interesse verloren und sich lieber dem Angeln zugewandt.

„Iwa-Chan hat ständig mit diesem ollen Netz herumgefuchtelt, wenn wir rausgegangen sind“, erzählte Oikawa und blies schmollend die Wangen auf, „statt mit mir Volleyball zu trainieren! Das war furchtbar! Und wenn er diese hässlichen, riesigen Krabbelviecher eingefangen hat, hat er sie mir unbedingt unter die Nase halten müssen.“

Er hielt inne, ein beinahe träumerischer Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht.

„Einmal hat er mich so mit seinem neuesten Fund erschreckt, dass ich ihn versehentlich mit meinem Volleyball zermatscht habe.“

Danach hatte Hajime ihm einen neuen Ball kaufen müssen, aber seinen wunderbaren Hirschkäfer hatte das nicht wieder zum Leben erweckt. Es war ihm eine Lehre gewesen, allerdings, und der Tag, an dem er beschlossen hatte, den Kescher zuhause zu lassen, wenn er sich mit Oikawa im Park traf.

 

Und auch, wenn Volleyball zuerst nicht so ganz sein Ding gewesen war, es war hängen geblieben, im Gegensatz zum Käfersammeln.

 

 

Obwohl sie früh mit dem Frühstück und aller Morgenroutine fertig waren, reizten sie die Zeit voll aus, die sie im Camp bleiben durften. Das, zusätzlich mit einem längeren Fußweg über Stock und Stein, bis sie einen potentiell guten Platz zum Käfersammeln fanden, führte dazu, dass sie erst nach Mittag anfangen konnten. Normalerweise wäre es wohl klüger gewesen, die Mittagsstunden und die damit einhergehende Hitze zu vermeiden, aber nachdem eben nicht Juli sondern März war, war es auch nur einerlei, und die zusätzlichen Stunden brachten immerhin ein bisschen mehr Wärme mit sich, die bei den immer noch kalten Temperaturen auch bitterlich nötig waren.

„Käfersammeln ist im Wesentlichen eine ziemliche Geduldprobe“, begann Hajime, nachdem sie sich alle auf einer kleinen Lichtung zusammengerottet hatten. Er hatte seine alten Kescher verteilt, wobei die teilweise kleinen Kindergrößen in den Händen von hochgewachsenen Jugendlichen einfach nur albern aussahen. Kaneo hatte den kleinsten bekommen, doch er hatte es mit Humor genommen und nur gutmütig verkündet, dass er eben nichts zu kompensieren habe. (Hatte Hajime auch nicht! Er hatte nur gerne einen Kescher in einer sinnvollen Größe, und im Gegensatz zu Kaneo, der sein neues Spielzeug ziellos durch die Gegend schwang, wusste er wenigstens, wie er damit umgehen musste.)

„Und eine Frage von Aufmerksamkeit. Wenn ihr durch die Gegend walzt und euch nicht anständig umseht, seht ihr erstens nichts, das ihr fangen könntet, und zweitens verjagt ihr die Insekten höchstens.“ – „Was völlig egal ist, immerhin sind hier eh noch keine, nicht wahr, Iwa-Chan?“

 

„Wir können immer noch so tun als ob!“, beharrte Kaneo und wedelte mit seinem Kescher empört durch die Luft. Es sah albern aus, und Hajime sah, wie Hanamaki und Matsukawa beide grinsend das Gesicht verzogen. Sawauchi setzte seinen das ist albern-Blick auf, ein Anblick, der nun auch Hajime zum Grinsen brachte.

„Genau, Trashykawa, streng deine Fantasie ein bisschen an. Du kannst dir ja auch vorstellen, wir würden Aliens suchen.“ – „Iwa-Chan!!! Das ist Jahre her, so etwas Dummes mache ich nicht  mehr!“

 

Die Tatsache, dass Oikawa ausnahmsweise einmal die Wahrheit sagte, machte Hajime nur noch wütender. 

 

„Ich bin dafür, einen Wettbewerb draus zu machen“, unterbrach Hanamaki mit einem blöden Grinsen. Hajime machte sich nicht die Mühe, zu ihm hinüberzusehen, denn jede weitere Erklärung kam, ganz wie er erwartet hatte, von Matsukawa: „Wahlweise daraus, wer die meisten Käfer oder anderen Schund findet, oder daraus, wer sich am Überzeugendsten zum Idioten macht. Wobei den Wettbewerb sowieso Yuda gewinnen wird.“ – „Hey!!!“

Hajime stemmte grinsend die Hände in die Hüften.

„Gut, machen wir einen Wettbewerb draus. Was kriegt der Gewinner eigentlich?“

Die Antwort war, natürlich, nichts.

 

 

Bei allem nichts war ein Wettkampf aber immer noch ein Wettkampf. Es wunderte Hajime nicht, dass jeder einzelne plötzlich viel entschlossener aussah, als sie sich schließlich trennten und begannen, durch den Wald zu streifen. Hajime hatte noch lange einige der anderen im Blick. Sawauchi hatte sein Handy vor der Nase und tippte eifrig auf dem Touchpad herum. Als er Hajimes Blick auffing, grinste er breit und selbstbewusst, während er mit dem Handy wedelte. Neugierig, was er da gefunden hatte, trat Hajime näher – es war ein Artikel über das Überwintern von Insekten.

Natürlich kam Sawauchi auf sinnvolle Ideen, während die anderen ratlos durchs Gebüsch krochen. Hajime hätte es zu gerne Betrug genannt, aber nachdem er selbst nicht besser war, verkniff er es sich und erwiderte sein Grinsen nur amüsiert.

 

So hatte er wenigstens richtige Konkurrenz.

 

Es war wirklich nostalgisch, so durchs Dickicht zu streifen. Hajime brauchte nicht lange, bis er einen ersten Kokon entdeckte, von dem er vorsichtig ein Foto machte. Ein Stück weiter in einem Astloch entdeckte er winterstarre Käfer, die er ebenfalls fotografierte, sorgsam darauf achtend, ihnen nicht zu nahe zu kommen und sie versehentlich frühzeitig aufzuwecken. Es waren keine großen Funde, und definitiv nichts, mit dem er sich als Kind vor seinen Käfersammlerfreunden hätte brüsten können, aber gerade war Hajime mit dem Resultat seiner Suche ausgesprochen zufrieden – es war unwahrscheinlich, dass die anderen überhaupt etwas fanden, außer Sawauchi half ihnen auf die Sprünge, und selbst dann fehlte ihnen die Routine, die Hajime immer noch hatte, selbst wenn sie etwas eingerostet war.

Und es war vor allem ausgeschlossen, dass Oikawa etwas finden würde, und das befriedigte Hajime ungemein.

Wo man vom Teufel sprach – hinter der nächsten Biegung entdeckte er Oikawa, der allen Ernstes über den Boden kroch, sein Blick hochkonzentriert. Er hatte die Unterlippe leicht vorgeschoben, was Hajime als Zeichen dafür nahm, dass er jetzt schon frustrierte, weil er nichts fand. Dann plötzlich erstarrte er, und im nächsten Augenblick landete sein Kescher auf dem Boden und er sah hektisch auf.

„Iwa-Chan! Ich hab etwas gefunden!“

Hajime konnte es nicht fassen.

Hajime konnte es nicht fassen, und als er Oikawas großen Fund sah, konnte er vor allem ein Lachen nicht mehr zurückhalten, das seinen alten Kindheitsfreund dazu brachte, eine gar tragische Schnute zu ziehen.
 

„Das ist Baumrinde, Idiot.“

 

 

Sie streiften lang genug durch den Wald, um hungrig zu sein, als sie wieder zusammenkamen. Oikawa war immer noch unglaublich beleidigt, dass er überhaupt nichts gefunden hatte, während Hanamaki und Matsukawa völlig zufrieden damit schienen, dass sie zufällig eine Raupe beim Fressen entdeckt hatten. Das Tierchen hatten sie mitgebracht, aber sofort wieder ausgesetzt, nachdem ihr Fund bestätigt war. Sawauchi hatte es wie Hajime gehalten – er hatte Fotos gemacht und weit mehr gefunden, als Hajime ihm zugetraut hätte.

Trotzdem gewann Hajime. Aber daran hatte er auch noch nie gezweifelt.

„Wir brauchen ein Mittagessen“, kommentierte Shido ausgesprochen hilfreich, als sie ihre Telefone wieder wegsteckten. Sein Magen knurrte, wie um seine Worte zu unterstreichen, und prompt lief er wieder einmal rot an. Der Anblick war beinahe vertrauter als seine normale, helle Gesichtsfarbe.

„Die Verlierer holen es“, schlug Sawauchi mit einem gehässigen Grinsen vor, „Und dann suchen wir uns nen netten Platz zum Picknicken. He, Kaneo, wohin müssen wir heute eigentlich noch?“ – „Zurück nach Sendai. Herberge. Zwei Zimmer. Wir können aber so früh oder spät antanzen, wie wir wollen.“

„Gut. Dann essen wir jetzt und machen uns dann auf den Weg“, bestimmte Hajime. „Wer holt nun das Zeug?“

Shido und Kaneo, beide genauso gnadenlos schlecht wie Oikawa, meldeten sich freiwillig. Es wurde abgesprochen, dass sie einen hübschen Platz zum Picknicken suchen sollten, und schließlich Oikawa an ihrem alten Treffpunkt abstellen, um den Lieferservice abzuholen, sobald er zurückkam.

 

Es dauerte nicht lange, den passenden Platz zu finden. Ein Bach plätscherte durch den Wald. Sie legten ihre Schlafsäcke als Picknickdecke aus, und verfielen in oberflächliche Gespräche, die nur dazu dienten, die Zeit totzuschlagen, bis das Essen kam – glücklicherweise bald genug, und glücklicherweise waren Shido und Kaneo weitsichtig genug, dass sie sogar Proviant für die Fahrt mitgebracht hatten.

„Wisst ihr“, kommentierte Sawauchi nachdenklich, den Blick auf den Bach zu seiner Linken gerichtet, „Wir könnten ja versuchen, ob wir Fische fangen können. Dann kommen diese ollen Netze immerhin zum Einsatz.“

 

Es war eine Selbstverständlichkeit, dass der Vorschlag angenommen wurde.

 

Barfuß, mit hochgekrempelten Hosenbeinen und Kescher bewaffnet, ging es also in das kaum mehr als knöcheltiefe Wasser, kaum, dass die gefüllten Reisbällchen verspeist waren.

„Ich glaube kaum, dass wir hier so viel mehr finden.“ – „Wart’s ab, Hanamaki. Irgendwas geht uns schon ins Netz.“ Sawauchi grinste und schulterte seinen Kescher bequem, „Und sei es nur Oikawa, der auf dem nassen Boden ausrutscht und ins Wasser platscht.“ – „Das tu ich nicht, Ucchi!“

Sie begannen zu zanken, und Hajime, den Göttern sei Dank einmal nicht Oikawas Streitpartner, wandte nur zu gerne seine Aufmerksamkeit von dem Theater ab und widmete sich lieber dem klaren Wasser, das seine Knöchel umspülte. Lange würde er in der Kälte nicht hier bleiben wollen.

 

Und im nächsten Moment sah er eine kleine, flinke Bewegung unter Wasser und jede Kälte war vergessen.

 

 

Es war nicht Oikawa, der am Ende ins Wasser stürzte. Es war Hanamaki, der mit einem erschrockenen Schrei auf dem Hintern landete. Matsukawa war sofort zur Stelle, um ihm aufzuhelfen.

Natürlich zog Hanamaki ihn zu sich hinunter. Hajime hätte es auch getan.

Es wurde eine Kette daraus – vor Lachen nicht darauf achtend, wo er hintrat, war Kaneo der nächste, der im Wasser landete, und er zog Shido zu sich hinunter, der allen Ernstes noch naiv genug gewesen war, ihm ebenfalls aufhelfen zu wollen. Wer an diesem Punkt noch nicht im Wasser lag, wurde knallhart runtergezogen, und so landete auch Hajime lachend in dem kalten Bach, und keine Minute später hing Oikawa lachend und nass an seiner Schulter.

 

In dem Moment, in dem er mit seinem überraschten Fischglubschen aus dem Wasser hochgerumpelt war, nass bis in den Haarschopf, weil er sich der Länge nach hingelegt hatte, hatte er Fishykawa ähnlicher denn je gesehen.

 

Hajime hätte zu gerne ein Foto davon gehabt.

 

 

Sie fingen natürlich keinen einzigen Fisch.

 

Dafür durften sie sich mitten in der Pampa umziehen, um ihre nassen Klamotten loszuwerden. Immerhin half die Fahrradfahrt, die auf ihr unfreiwilliges Bad folgte, gut dabei, die verfrorenen Körper wieder aufzuwärmen.

Als sie endlich an der Herberge ankamen, gab es natürlich regelrechten Krieg um die Duschen, den Hajime selbstverständlich gewann – Oikawa hatte das größte Pech und war der letzte, der ins Bad durfte, was im Wesentlichen daran lag, dass er auch derjenige war, der am Längsten brauchte.

Das Gejammer war trotzdem groß, und Hajime hörte es trotz laufendem Wasser noch, aber es war ihm relativ egal. Sobald Oikawa erst seine Dusche hatte, würde er immerhin ruhig sein und bleiben.

 

Letztlich blieben sie alle still, als das Licht erst einmal aus war. Abgesehen von den üblichen Geräuschen, die Schlafende verursachten, war es völlig ruhig. Hajime starrte Löcher an die Decke.

„Du bist noch wach, Hajime.“

Keine Frage, eine Feststellung. Er brummte, drehte sich zu Kaneo um. Er konnte im Dunkeln gerade noch so entdecken, wie der Junge auf dem Bett neben seinem ihn ansah, aber der Blick in seinen Augen war unlesbar.

„Du auch.“

Kaneo lachte leise.

„Nicht nur ich. Tooru ist auch noch wach. Und Issei.“ – „Yudacchi, ich schlafe!“

Matsukawa protestierte nicht, er schnaubte nur amüsiert, ehe er sich herumdrehte und sich mit der Bewegung sichtbar vom Gespräch abwandte. Hajime blinzelte irritiert in die Nacht. Er hatte wirklich geglaubt, die anderen würden schlafen.

 

Einige Minuten herrschte Stille nach dem kurzen Austausch. Hajime wusste nichts zu sagen. Scheinbar auch niemand sonst. Schließlich war es Kaneo, der die Stille durchbrach:

„Shibata ist nicht wirklich weit entfernt von hier, oder?“

Hajime schwieg. Nicht einmal eine Stunde mit dem Auto. Wenn er einen Führerschein machte… aber dafür brauchte er Geld, das er nicht hatte, und entsprechend einen Job neben dem Studium. Lohnte es sich überhaupt, Geld in etwas zu investieren, für das ihm dann die Zeit fehlen würde?

„Nein. Die Fahrten sind trotzdem teuer.“ – „Hm.“

In Kaneos Stimme schwang so viel Wehmut mit, dass sogar Hajime sie problemlos heraushören konnte. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wann er das letzte Mal wirklich ohne Oikawa gewesen war.

„Iwa-Chan hat mir nie erzählt, was er studieren will“, kam es erstickt vom anderen Ende des Zimmers. Obwohl seine Stimme nur so halbwegs hinter seinem Kopfkissen hervorkam, klang Oikawa unglaublich vorwurfsvoll. Hajime schnaubte.

„Sportmedizin.“ – „Echt?! Hajime, Arzt ist ganz schön hochtrabend!“

Er zuckte mit den Schultern. Wusste er selbst. War nicht, als wäre er blöd.

 

„Iwa-Chan wird ein schrecklicher Arzt! Wenn du immer so böse guckst, wird niemand bei dir in Behandlung sein wollen~!“ – „Dann ist es ja umso besser, dass du es schon gewöhnt bist, Shittykawa.“

„IWA-CHAN!!!“

Mit einem Satz saß Oikawa kerzengerade im Bett, und seine Augen waren so weit aufgerissen, dass Hajime es selbst in der Dunkelheit sah. Kaneo gab einen Laut von sich, der halb nach unterdrücktem Lachen und halb nach unterdrücktem Schluchzen klang und Hajime verzog unwillig das Gesicht, froh, dass die Dunkelheit kaschierte, wie verräterisch heiß sein Gesicht gerade wurde.

„Iwa-Chan, du kannst doch nicht–!“

Hajime unterbrach den Protest mit einem gezielt geworfenen Kissen in Oikawas Gesicht, und als es wieder hinunterfiel, glubschte er immer noch genauso ungläubig wie vorher, und zusätzlich öffnete und schloss er nun wortlos den Mund.

Wie ein Fisch auf dem Trockenen.

 

„Halt die Klappe und geh schlafen, Fishykawa.“

Way Back When I Would Gamble And Win

„Ach übrigens: Morgen bist du dran“, hatte Yuda ihm mitten in der Nacht noch gähnend und halb schlafend verkündet, als Oikawa und Iwaizumi endlich still waren und das Schnarchen aus Iwaizumis Richtung verriet, dass er auch endlich schlief. (Ob Oikawa schlief oder nicht, konnte Issei nicht beurteilen, aber es reichte ihm, dass der Kerl still war und endlich aufgehört hatte, über den letzten neuen Spitznamen von Iwaizumi zu jammern. Auch wenn er zugeben musste, Fishykawa war unerwartet genial, und er würde Hanamaki dringend davon erzählen müssen.)

Issei hatte die Ansage mit einem trägen Brummen hingenommen, ehe er sich selbst auf die andere Seite gedreht hatte, das Gesicht halb ins Kissen gedrückt, und eingeschlafen war.

 

Wie immer erwachte er in einer völlig anderen Position.

 

 

Kaum aus der Tür hinaus begrüßte ihn Hanamaki, seine Mimik auf vertraute Art nichtssagend, aber da lag ein übermütiges Funkeln in seinen Augen, das Issei grinsen ließ. Statt einem Morgengruß bekam er einen Rempler mit der Schulter, ehe sie schweigend nebeneinander her zum Frühstück trotteten. Hanamaki hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben, Issei war zu faul, irgendetwas mit ihnen zu tun und ließ sie träge an seinen Seiten herabhängen. Sie bogen gerade in die herbergseigene Mensa ein, als Hanamaki ihn noch einmal mit der Schulter anstieß.

„Hab ich was verpasst?“

Issei grinste viel zu amüsiert.

Fishykawa“, antwortete er schließlich und hob vielsagend die Augenbrauen in Hanamakis Richtung. Einen langen Moment sah Hanamaki ihn nur an, ausdruckslos, dann brach er mit einem Schlag in schallendes Gelächter aus, das die wenigen anderen Gäste, die anwesend waren, dazu brachten, ihnen missbilligende Blicke zuzuwerfen. Hanamaki warf ihnen eine knappe Entschuldigung entgegen, ehe er sein Lachen zu einem gehässigen Grinsen drosselte.

Fast am Ende des Raumes saßen Iwaizumi, Shido, Yuda, und Oikawa bereits, wobei letzterer geradezu misstrauisch zu ihnen hinüberstierte. Das Lachen hatte er offensichtlich gehört, und er hatte es offensichtlich richtig gedeutet. Hanamaki gluckste erheitert.

„Weißt du? Im Gegensatz zu den anderen Spitznamen ist das ein wahrer Geniestreich. Es passt richtig gut.“ – „Ja. Kaum zu glauben, dass Iwaizumi so kreativ sein kann.“

 

„Ihr solltet weniger lästern“, war Oikawas Begrüßung – die völlig an ihnen vorbeizog, natürlich –, als sie sich schließlich mit ihrem Frühstück hinsetzten. Issei konnte nicht behaupten, dass er es bedauerte, dass der Reis nicht völlig zermatscht oder halbroh war. Was war er froh, dass er niemals über eine WG mit diesen Leuten nachdenken musste.

„Schläft Ucchi noch?“ – „Ich hab ihn aus dem Bett gejagt, als ich aufgestanden bin“, gab Hanamaki achselzuckend zurück. In spätestens einer halben Stunde sollte er also da sein, vermutete Issei. Er erinnerte sich, dass Sawauchis Schlafgewohnheiten – je mehr Schlaf, desto besser schien sein Motto zu sein – schon so manches Mal dazu geführt hatten, dass sie beinahe zu spät gekommen wären. Nicht nur, dass er meist lange schlief, wenn er einmal wach war, brauchte er auch noch ganz schön lange, um wirklich in Bewegung zu kommen. Dass es gestern einfacher gewesen war, schob Issei schlicht auf die verdammt unbequemen Schlafsäcke.

Oikawa gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen Luftausstoßen und Jammern lag, und ein bisschen nach sterbender Kuh klang dabei, dann ließ er den Oberkörper auf den Tisch sacken und verzog die Lippen zu einer Schmollschnute. Wenn er jetzt noch die Wangen aufblies, wäre er ein wunderbarer Kugelfisch.

„Fishykawa“, murmelte Hanamaki neben Issei grinsend und Issei prustete in sein Wasserglas, zum Glück schon leer genug, dass er nicht den halben Tisch duschte.

„Er soll sich beeilen! Was machen wir überhaupt heute?“

„Das wird uns Issei hoffentlich gleich erzählen!“, rief Yuda gutmütig aus. Eigentlich könnte Yuda es genauso gut einfach erzählen, aber er wollte Issei wohl die Freude nicht nehmen. Oder was auch immer. Yudas sentimentaler Kopf war für Issei schon immer zu anstrengend gewesen. Er stützte das Kinn auf eine Hand und griff sich seine Essstäbchen.

„Gleich, wenn Sawauchi da ist.“

 

„Mattsuuuuuun! Du bist gemein!“

 

Oikawas Gejammer hatte bei ihm noch nie geholfen; er war nicht Iwaizumi.

 

 

Als Sawauchi schließlich kam, noch später als erwartet, hatte Issei gar keine Lust mehr, seine Pläne groß zu verraten, also schwieg er sich aus und lehnte sich entspannt zurück, während er wartete, dass der Nachzügler mit Frühstücken fertig wurde. Iwaizumi sorgte dafür, dass Oikawas Gejammer nicht zu laut wurde, und es dauerte nicht lange, bis Oikawa jedes Gedrängel vergessen hatte und sich stattdessen voll und ganz darauf konzentrierte, seinen bestimmt schon über ein Jahrzehnt alten Ehekrach mit Iwaizumi weiterzuführen.

„Es ist nicht, als würde da etwas so spannendes kommen“, kommentierte Hanamaki irgendwann leise. Issei stieß ihm seinen Ellenbogen in die Rippen, „Sagt der Richtige.“

Issei wusste, was Hanamaki geplant hatte. Hanamaki wusste, was Issei geplant hatte. Aus einem ganz einfachen Grund: Sie hatten gemeinsam geplant. Zugegeben, Issei war auch davon ausgegangen, dass Iwaizumi und Oikawa sich im Vorfeld absprechen würden, aber gut. War ihr Verlust, dass sie es nicht getan hatten. Oder vielmehr war es zugunsten der Gruppe, denn Oikawa so unvorbereitet ins Käfersammeln geworfen zu sehen, war einfach unterhaltend gewesen.

…huh.

Survival-Camping. Käfersammeln. Wenn Issei darüber nachdachte, dann kamen er und Hanamaki im Vergleich unglaublich langweilig weg. Oikawa würde zweifelsohne etwas total Übertriebenes machen. Shido und Yuda konnte Issei nicht einschätzen, es war nicht so, als würden sie im Team oft über ihre Freizeit sprechen. Aber er ahnte, dass die Chancen gut standen, dass es im Vergleich durchaus in kreative Bahnen schlug.

Nicht, dass es Issei viel ausmachte.

 

Er war gerne gewöhnlich.

 

„Wir können los“, verkündete Sawauchi in Isseis Gedanken hinein. Seine Ansage wurde begleitet von der typischen Aufbruchshektik einer Jugendgruppe, und ziemlich bald waren sie hinaus und auf dem Weg ins Stadtzentrum, das von ihrer Herberge aus sogar zu Fuß bequem erreichbar war.

 

Es hätte im Grunde wirklich ein ganz normaler Tag sein können.

 

Ihre Fahrräder ließen sie bei der Herberge, in der sie auch die nächsten Tage verbringen würden, genauso blieben auch ihre Reiserucksäcke dort. Mit den kleinen Taschen, die sie höchstens noch bei sich trugen, sahen sie nicht anders aus als jede andere Gruppe Jugendlicher, die durch die Stadtmitte streiften. Sie fielen nicht auf, während sie geknubbelt durch die Straßen trotteten, lachend und schwatzend, und es erinnerte Issei an all die Male, die sie nach dem Training noch gemeinsam losgezogen waren, um etwas zu futtern zu besorgen oder sonst etwas zu kaufen, das irgendeiner von ihnen gerade dringend brauchte.

Das Gefühl von Alltag kippte schlussendlich erst, als er die Jungs in die Videospielhalle bugsierte, die er schon alleine – oder mit Hanamaki gemeinsam, in seltenen Fällen – oft genug besucht hatte. Sie war vertraut, aber es war nicht vertraut, seine Freunde aus dem Volleyballclub bei sich zu haben.

„Ich wusste nicht, dass du ein Zocker bist“, bemerkte Shido beinahe ehrfürchtig. Yuda an seiner Seite lachte und nickte wild, „Ja, das traut man ihm gar nicht zu!“

„Mich überrascht es nicht.“

Es überraschte Issei nicht, dass es Oikawa nicht überraschte. Es überraschte wohl auch niemanden sonst, denn Oikawas Enthüllung wurde kaum mit einem Seitenblick bedacht. Stattdessen waren die Anderen größtenteils damit beschäftigt, ihre Umgebung zu scannen. Hanamaki grinste breit, als er Isseis Blick auffing.

„Ich bin dafür, dass wir wieder einen Wettkampf draus machen.“ – „Und lass mich raten“, erwiderte Iwaizumi trocken. Ohne wirklich hinzusehen, was er tat, packte er Oikawa am Kragen, als der sich gerade mit seinem schrecklich schmierigen Aufreißerlächeln ein paar Mädchen nähern wollte, die offensichtlich über ihn getuschelt hatten, „Es gibt keinen Preis für den Gewinner.“ Hanamaki nickte – „Ganz genau.“

 

„Aber gewinnen macht keinen Spaß, wenn man nichts dafür bekommt, Makki!“ – „Du bekommst einen Arschtritt weniger, Shittykawa.“

 

 

Im Vorfeld hatte Issei gefürchtet, es würde ein Problem werden, überhaupt irgendwelche Spiele zu finden, die seine Freunde interessieren könnten. Er hatte sich schon vorgestellt, was passieren würde, wenn Oikawa meckernd in der Ecke saß, oder Sawauchi schlicht den Dienst quittierte, weil ihm die Videospiele zu langweilig und zu kindisch waren. Aber nachdem sie ungefähr eine Stunde damit zubrachten, verschiedene Einzel- und Gruppenspiele auszuprobieren, angefangen bei simplen Sachen wie Tetris oder Pinball über diverse Beat’em’Ups, die dann aber doch ausschieden, weil immer nur einer gegen einen langweilig war, blieben sie schlussendlich bei Autorennspielen hängen.

Es dauerte gar nicht mehr lange, bis sie sich auf Mario Kart geeinigt hatten.

Es dauerte umso länger, bis sie eine Startreihenfolge ausgeknobelt hatten, denn es konnten maximal vier Personen zur gleichen Zeit spielen. Nachdem die ersten Losversuche scheiterten und Schere-Stein-Papier auch nicht funktionieren wollte, warfen sie schließlich Münzen. Es musste Schicksal sein, dass ausgerechnet vier Münzen auf der gleichen Seite landeten, aber das nahm ihnen ihre Entscheidung immerhin problemlos ab.

 

Die erste Runde fuhren schlussendlich Issei, Iwaizumi, Shido und Sawauchi.

Issei kannte das Spiel geradezu auswendig. Er kannte die Steuerung, er wusste, welche Items er in welcher Situation am besten einsetzte, er kannte fast jede Strecke so gut, dass er sie vermutlich hätte blind fahren können, er wusste, wann er beschleunigen und wann er bremsen musste. Es stand außer Frage, dass er gewinnen würde.

Vermutlich würde er auch noch leichtes Spiel haben.

„Wehe, ihr spielt nicht fair!“, mahnte Yuda hinter ihnen lachend. Zusammen mit Oikawa und Hanamaki stand er um sie und ihre Bildschirme herum verteilt, auch wenn das bedeutete, dass sie alle ein bisschen enger aneinander klebten, als noch bequem sein mochte.

„Und nicht das Lenkrad abreißen, Iwa-Chan~!“

 

Issei brauchte ungefähr zehn Sekunden, bis er einsah, dass Oikawas Mahnung angebracht war.

 

Iwaizumi fuhr wie eine gesenkte Sau – und schlimmer. Er raste über die Strecke, als gäbe es kein Morgen, aber mit einer so schlechten Kontrolle über sein Fahrzeug, dass er bei jeder sich bietenden Gelegenheit in irgendetwas reinraste, das eigentlich nicht für die Kollision mit einem quietschbunten Gefährt gedacht war. Oikawa stand neben ihm und murmelte in einem Zug mit Sicherheit sehr hilfreiche Tipps, die an Iwaizumi einfach abprallten: „Du musst hier bremsen, Iwa-Chan! – Links, links, Iwa-Chan! Das andere Links! Iwa-Chan, wenn du– Aaaah, Iwa-Chan, wieso bist du schon wieder ins Wasser gefahren?!“

Wären seine Hände nicht damit beschäftigt gewesen, sich in Iwaizumis Oberarm zu krallen, hätte er sich wahrscheinlich das penibel gestylte Haar gerauft, bis von der Frisur nichts mehr übrig gewesen wäre als ein explodierter Wattebausch.

Iwaizumi war keine Bedrohung.

Shido war noch weniger eine. Er fuhr in einem Tempo, dass selbst eine Schnecke an ihm vorbeigezogen wäre. Gleichzeitig schaffte er es, wahnsinnig konzentriert und entschlossen auszusehen, ganz mit Zunge zwischen den Zähnen und der albernen Angewohnheit, sich mit dem Lenkrad zusammen in die Kurve zu legen.

Sawauchi war auch kein harter Gegner, doch im Gegensatz zu Shido hatte er Tempo, und im Gegensatz zu Iwaizumi hatte er Kontrolle. Wenn er die Strecken erst einmal besser kannte, würde er noch ernstzunehmend werden. Vielleicht nicht für Issei, aber zumindest für Hanamaki. (Den Issei natürlich schon oft genug zum Spielen gezwungen hatte, dass es nicht mehr absolut langweilig war, gegen ihn zu fahren.)

 

Issei gewann die Runde, mit deutlichem Abstand. Er gab seinen Platz vor der Maschine auf und ließ einen der Losverlierer ran. Sie würden rotieren, bis sie eine volle Runde hinter sich hatten, und danach sehen, ob sie essen oder weiterspielen wollten, und wer am Ende des Tages die meisten Siege hatte… ja. Gewann nichts.

Normalerweise sah Issei anderen Leuten nicht beim Spielen zu. Aber es war überraschend unterhaltend. Hanamaki, der seinen Platz eingenommen hatte, war mit Abstand der Souveränste, aber schon die zweite Runde meisterte Sawauchi deutlich besser. Iwaizumi schien nur schlechter zu werden – wobei das wahrscheinlich nur daran lag, dass Oikawa immer penetranter auf ihm klebte. Als das Rennen vorbei war, sprang er geradezu von seinem Platz auf und schubste Oikawa grob in den Sitz.

„Mach es besser, Trashykawa!“

Oikawa blinzelte verdutzt, dann lächelte er extra liebenswürdig, was bei Iwaizumi wie immer für extra tiefe Falten zwischen den Augenbrauen sorgte.

„Aber immer doch, Iwa-Chan. Lehn dich zurück und sieh zu, wie ein Profi das macht~“

 

Fünf Sekunden, und der Profi fuhr das erste Mal in einen Kaktus.

 

„Waaaaaah, Mattsun! Wieso ist das so schwer?!“ – „Oi, Oikawa. Tritt doch mal auf die Bremse.“

Iwaizumi klang überhaupt nicht schadenfroh, nein. Issei grinste völlig unverhohlen. Einige der Jungs lachten, und das völlig zu Recht, während Oikawa sich weiterhin zum Idioten machte.

Leider musste man ihm lassen, dass er beneidenswert schnell doch noch den Dreh fürs Spiel herausbekam. Anders als Shido, der auch nach fünf Runden noch schlich, oder Iwaizumi, der immer noch in jedes Hindernis bretterte und dann verärgerte Kriegsschreie ausstieß. Aber Isseis Liebling war Yuda. Er fuhr weder schnell, noch langsam, und trotz der eigentlich gut kontrollierbaren Geschwindigkeit eierte sein Wagen über die Strecke, als hätte der Fahrer ein paar Liter Sake zu viel intus. Das alleine war unterhaltend, aber was Issei wirklich dazu brachte, immer wieder aufzulachen, sobald Yuda am Steuer saß, war die Tatsache, wie laut er spielte – fast ständig gab er irgendeinen Laut von sich. Meist klang es nach Entsetzen oder Hilflosigkeit, meist nicht unbedingt kohärent, aber immer wieder mischten sich Dinge wie „Oh Gott!“ und „Hilfe!“ und „Nimm doch jemand das Lenkrad!!!“ mit hinein.

Sein Gesicht mit den entsprechenden Grimassen war auch einfach nur herrlich.

Issei sah mehr nebenbei, dass Shido begann, Fotos zu machen, wann immer er nicht selbst fuhr.

 

 

Ihre endgültige Bilanz belief sich darauf, dass Issei mit Abstand gewonnen hatte. Hanamaki erreichte den zweiten Platz, und den dritten teilten sich Oikawa und Sawauchi, die als einzige geschafft hatten, halbwegs funktional zu fahren. Issei hätte nicht einmal sagen können, wer die größte Katastrophe war. Shido mit seiner Schleicherei, Iwaizumis aggressives Hindernisrennen, oder Yudas panischer Fahrstil.

Sie waren einfach alle drei unglaublich lustig.

„Keine Sorge, Hajime. Du bist der Sieger unserer Herzen!“

Dass Yuda keinen Schlag bekam für seine Worte lag wohl in erster Linie daran, dass Oikawa Iwaizumi sofort mit einem dummen Spruch ablenkte, für den er schließlich einen Klaps auf den Hinterkopf kassierte.

 

Es war der dicke Kugelfisch in einem der Greifautomaten, der Issei von dem Gespräch seiner Freunde ablenkte. Er hatte riesige Glubschaugen, war schreiend pink und peinlich, und Issei fand, er war perfekt.

Er musste dieses Vieh haben.

„Könnt ihr kurz warten?“

„Mattsun, was machst du?“

Noch ehe er eine erste Münze in den Automat hatte werfen können, hatte sich die ganze Gruppe neugierig um ihn geschart. Issei störte es nicht. In jahrelanger Routine steuerte er den Greifarm, bis er über seinem glubschenden Fund hing, betätigte dann den Knopf, der den Arm hinabsinken ließ. Völlig ruhig sah er zu, wie der Greifer sich öffnete und schließlich um den Fisch herum wieder schloss. Quälend langsam hob er sich wieder, der Fisch baumelte in seinem Griff. Nicht ganz so sicher, wie Issei es gern gehabt hätte, aber – es reichte. Der Kugelfisch purzelte in die Gewinnöffnung und Issei grinste, als er sich bückte, um das Vieh aus dem Automaten zu ziehen. Er grinste immer noch, als er sich zu Oikawa umwandte und ihm das pinke Ungetüm in die Hände drückte.

„Für dich.“ – „Die Ähnlichkeit ist verblüffend“, spottete Iwaizumi, und Hanamaki lachte, ehe er Oikawa auf die Schulter klopfte, „Pink ist total deine Farbe, Mann.“

 

M-Mattsun!!!“

 

Fishykawa II, wie Iwaizumi den Plüschfisch taufte, blieb nicht das einzige Plüschtier. Er bekam bald Gesellschaft von einer ziemlich verheulten Qualle, die natürlich an Yuda ging. Shido bekam ein Stoff-Onigiri, das penetrant rote Wangen hatte. Iwaizumi blieb auf einem ausgesprochen grimmig guckenden Oktopus hängen, dessen Gesichtsausdruck und Pose ihm den Eindruck gab, als wäre jeder seiner acht Arme bereit dazu, einen Oikawa zu erdrosseln. In Erinnerung an seinen Survival-Trip angelte Issei für Sawauchi ein undefinierbares, humanoides Etwas aus dem Automaten, das einen Anglerhut trug. Hanamaki bekam ein Sahnehäubchen. Das eine Vieh, das er versehentlich herausgeangelt hatte, behielt Issei selbst. Es war ein kleines Äffchen mit einem ausgesprochen deutlichen Schlafzimmerblick.

„Ich finde, es passt zu dir“, kommentierte Hanamaki den Affen amüsiert. Issei fand, er sah weitaus cooler aus, aber das Ding brauchte eben ein Zuhause, und er war nun wirklich nicht der Typ dafür, seine Gewinne wegzuwerfen oder an irgendwelche Leute zu verschenken, die er nicht kannte.

 

 

Es war schon längst dunkel, als sie zurück zur Herberge trotteten. Und es war kalt. Issei hatte sein Gesicht in seinem Schal verbuddelt. Es roch nach einer Mischung aus Waschmittel und kalter Spätwinterluft. Hanamaki ging neben ihm, genauso in seinem Schal vergraben, dazu hatte er noch Ohrenschützer auf den Ohren. Sie waren schon vor einer ganzen Weile von der Gruppe zurückgefallen und beobachteten schweigend die Rücken ihrer Freunde. Oikawa und Iwaizumi schienen wieder zu kabbeln, Sawauchi und Shido schienen ebenso in ein Gespräch vertieft.

Yuda drehte sich um und winkte ihnen grinsend, ehe er sich todesmutig zwischen Oikawa und Iwaizumi stürzte.

„Wird still werden“, bemerkte Hanamaki abwesend. Issei nickte gedankenverloren. Ein paar Minuten schwieg er, ehe er mit einem Seufzen die Schultern zuckte und erwiderte: „Ich bin froh, dass ich hier bleibe.“

Hanamaki gab einen leisen, bestätigenden Laut von sich und sah ihn mit einem schiefen Grinsen an, das größtenteils in seinem Schal unterging. Wär mir auch lieber. Er seufzte ebenfalls, doch dann wurde sein Grinsen breiter, beinahe eine Spur schadenfroh, und noch unauffälliger eine Spur wehmütig.

„Es wird peinlich werden, wenn die Erst- und Zweitklässler aus dem Club erst anfangen, nächstes Jahr bei euch im Laden vorbeizuschneien, um dich zu besuchen.“

Issei lachte. Die Vorstellung, wie Kindaichi und Yahaba und Kyoutani und Kunimi und all die anderen nach dem Training extra den Umweg auf sich nahmen, nur um im Laden der Familie Matsukawa einzukaufen, weil Issei nun ebenfalls eingespannt war, war einfach herrlich.

„Wird es“, stimmte er brummend zu. Hanamaki hob die Augenbrauen, „Aber?“

Issei grinste zufrieden, als er den Blick wieder nach vorne wandte. Iwaizumi hatte Yuda in den Schwitzkasten genommen. Issei konnte die Proteste des Dummkopfs bis nach hier hinten hören.

 

„Aber laut.“

Symphonies In A World Without Sound

„Eigentlich hat es mir ja ganz gut gefallen da draußen in der Pampa“, kommentierte Shido, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und den Kopf schief gelegt, während er die Autos betrachtete, die vor seiner Nase vorbeifuhren. Neben ihm lachte Sawauchi barsch auf, „Abgesehen vom Essen zumindest.“

Eigentlich, dachte Takahiro sich, während er zusah, wie die Fußgängerampel umsprang und die Menschen sich in Bewegung setzten, um über die Straße zu strömen, gefällt es mir hier besser.

Trotz Landeileben war Takahiro immer jemand gewesen, der sich eher von der Stadt angezogen fühlte. Natürlich hatte Käfersammeln im Sommer seinen Reiz, genauso wie Baden im nächsten Bach oder Versteckspielen zwischen den Feldern. Oder all die anderen tollen Dinge, die Landeier eben so machen konnten, aber im Endeffekt hatte er, einmal alt genug gewesen, um alleine unterwegs sein zu dürfen, lieber den Bus oder die Bahn in die nächste größere Stadt genommen und hatte seine Freizeit dort verbracht.

„Mir ist es hier lieber“, unterbrach Oikawa naserümpfend seine Gedanken, „Hier gibt es ordentliche Betten.“

Takahiro grinste. Er erinnerte sich an ein Märchen, das er als Kind gelesen hatte, von einer Prinzessin, die auf viel zu vielen Matratzen schlief.

„Prinzessin auf der Erbse“, murmelte Matsukawa ihm ins Ohr und Takahiro schnaubte heiter.

 

Schade, dass sie nie in Verlegenheit gekommen waren, ein peinliches Theaterstück aufzuführen. Das würde doch wunderbar zu Oikawa passen. Wobei jedes peinliche Märchen zu Oikawa passen würde.

 

„Makkiiiiiii, was machen wir eigentlich?“ – „Stadtbummel. Und heut Abend Karaoke.“

So richtig, richtig angetan schien kaum jemand zu sein, aber Oikawa strahlte wie eine frisch gekaufte Glühbirne und verkündete lautstark, er könne es kaum erwarten, bis endlich Abend war.

Takahiro war sich jetzt schon nicht mehr sicher, ob das eine gute Idee gewesen war.

Mit Sicherheit konnte Oikawa singen.

Und mit Sicherheit war sein Ego absolut unerträglich dabei.

Dann erinnerte er sich wieder daran, dass Oikawa vermutlich der einzige war, der hier großartig singen konnte, und dass Iwaizumi sich wahrscheinlich genauso gut anstellen würde wie beim Autorennen, und er konnte es selbst kaum noch erwarten, bis der Abend kam.

 

 

Als er sich im Vorfeld mit Matsukawa darüber unterhalten hatte, was sie tun wollten, hatten sie natürlich spekuliert, wie es laufen würde. Eigentlich hatten sie mit mehr Protest der Spielhalle gegenüber gerechnet. Und natürlich hatten sie auch überlegt, wie sich ein Shoppingtrip mit dieser Truppe realisieren ließe. Ihnen war einiges in den Sinn gekommen, das passieren und nicht passieren konnte, angefangen dabei, dass Oikawa mit Sicherheit schon im ersten Klamottenladen von einer Mädchentraube umringt sein würde.

Was das anging behielten sie Recht.

Sie kamen nicht einmal bis in die Herrenabteilung eines trendigen Modekaufhauses, das Oikawa unbedingt von Innen sehen wollte, da standen schon die Mädchen um ihn herum und redeten aufgeregt auf ihn ein, während er sein typisches Oikawa-Schmierlächeln lächelte und in seiner anstrengenden Singsangstimme mit ihnen säuselte.

In ihrer Spekulation war es darauf hinausgelaufen, dass Iwaizumi den Tag rettete, indem er die Mädchen vertrieb, und dafür irgendein armer Idiot Iwaizumi davon abhalten musste, Oikawa der Länge nach in zwei Teile zu reißen. Was das anging, behielten sie auch Recht – auch wenn Iwaizumi nicht aussah, als würde er Oikawa in zwei Teile reißen wollen, festgehalten wurde er vorsorglich trotzdem von Shido und Yuda.

 

Das erste Mal, dass sie an diesem Tag mit ihren Spekulationen falsch lagen, war bei der Erkenntnis, dass Yuda ein überraschendes Modegespür hatte – das sie übrigens eigentlich eher bei Sawauchi gesucht hätten, der sich aber lieber mit Holzfällerhemden und groben Jeans herumschlug.

„Iwa-Chan würde der Holzfällerlook sicher auch stehen.“

Das Schlimme daran war, dass Oikawa ernsthaft so aussah, als würde er das glauben. Er rieb sich nachdenklich über das Kinn und maß Iwaizumi mit einem Blick von oben bis unten.

„Also. Noch besser wäre es natürlich, wenn Iwa-Chan sich einen stattlichen Bart dazu wachsen ließe, aber Iwa-Chan kriegt ja nicht einmal ordentliche Stoppeln zustan–“ – „Shittykawa, halt die Klappe!“

Und schon ging es wieder los.

 

Es dauerte keine halbe Stunde, bis ein Mitarbeiter des Ladens sie freundlich darum bat, doch bitte zu gehen, wo sie doch scheinbar nur gekommen waren, um Radau zu machen.

 

Takahiro fand es lustig. Shido meckerte, was er geflissentlich ignorierte, Oikawa jammerte, denn „das ist alles Iwa-Chans Schuld!“, Iwaizumi zeterte. Matsukawa grinste, Sawauchi schüttelte den Kopf und Yuda sah trotz allem Ärger ausgesprochen zufrieden aus und schlug völlig unbekümmert vor, sie könnten sich doch den nächsten Laden ansehen und eben ein bisschen besser aufpassen.

 

 

Takahiro hatte ganz verdrängt, was für ein Chaos es war, nicht alleine – oder in sehr kleiner Gruppe – shoppen zu gehen. Er war es gewöhnt, mit Matsukawa durch die Straßen zu streifen, und der war zufrieden, wenn sie nach einigen Läden eine Spielhalle ansteuerten und eine Pause machten. Wenn man ihm noch ein bisschen ungesundes Fastfood entgegenwarf, dann war Matsukawa absolut glücklich und Takahiro konnte ihn problemlos durch dreißig verschiedene Läden schleifen, ohne auch nur ein einziges Murren zu hören. Das war einfach.

 

Leider stellte sich heraus, dass Matsukawa so ziemlich der einzige in der Gruppe war, der ernsthaft einfach war.

 

Es fing an mit Oikawa. Schuhe. Klamotten. Accessoires. Sobald er einen Laden sah, der wahlweise nach furchtbar trendy und modisch aussah, oder nach gehobener Preisklasse, musste er unbedingt hinein. Nach dem ersten Dämpfer, den sie bekommen hatten, flogen sie immerhin nicht mehr aus den Läden raus. (Auch wenn Takahiro es sich wünschte, wenn Oikawa das dreißigste Kleidungsstück in Iwaizumis Arme drückte mit dem Kommentar „Probier das noch an, Iwa-Chan!“, dann war es einfach genug. Zumal Iwaizumi einfach nichts von dem Zeug haben wollte und Oikawa am Ende dann jedes Mal nur klagte, dass es ja kein Wunder sei, dass „Iwa-Chan nie eine Freundin bekommt, wenn du rumläufst wie der letzte Langweiler.“)

Takahiro musste ihm ja lassen, dass er tatsächlich ein Händchen für Mode hatte, und dass es Spaß machte, vor allem die modischen Katastrophen mal in etwas vorteilhafteren Outfits zu bewundern, aber trotzdem war es anstrengend. Oikawa kannte einfach keine Grenzen. Er war genauso unermüdlich hier wie beim Volleyballtraining.

(Hinzu kamen natürlich noch all die Mädchen, die ständig im Weg standen wegen Oikawa. Dank Iwaizumis beherztem und griesgrämigem Eingreifen waren die aber schnell wieder beiseite geschafft.)

 

Iwaizumi war genau das Gegenteil von Oikawas Shoppingverhalten – aber darin mindestens genauso anstrengend. Er schien eine absolute Abneigung gegen Shopping zu haben, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit brummte und meckerte er. Es dauerte nicht lange, bis Yuda anfing, alle Nase lang zu kommentieren, dass die Falte zwischen seinen Augenbrauen wieder einmal da war.

Das einzige, das Takahiro an Iwaizumis Verhalten als wirklich positiv verbuchte war die Tatsache, dass sie ohne ihn noch wesentlich länger durch Oikawas Läden geschlurft wären.

 

Sawauchi hatte es mit Buchläden. Wann immer sie an einem vorbeikamen, musste er unbedingt hinein. Es waren immer die gleichen Ecken – Historienromane, Geschichtsbücher, Fremdsprachen, und die Do-it-yourself-Abteilung. Es wäre kein Problem gewesen, wäre er schnell dabei. Aber er war nicht schnell. Er stand gefühlte Ewigkeiten vor einem Regal, ignorierte jedes Jammern von Oikawa und jedes Meckern von anderer Seite aus, und obwohl sich Takahiro sicher war, dass die Auswahl eigentlich in allen Buchläden gleich war, an denen sie vorbeikamen, schaffte Sawauchi es immer wieder, neue Bücher zu finden, die er unbedingt durchblättern musste.

 

Bei Shido war es Musik. Seien das Geschäfte, die Instrumente verkauften, oder simple Plattenläden, aber er musste sich das unbedingt näher ansehen – und er war nicht nur unglaublich ausdauernd darin, durch CDs zu blättern, von deren Interpreten Takahiro noch nie gehört hatte, er war auch genauso wortreich darin. Er redete und redete und redete, bis ihm auffiel, wie viel er redete – dann wurde er rot und hielt den Mund, ungefähr so lange, bis seine Gesichtsfarbe sich wieder eingependelt hatte, und dann ging der Spaß wieder von vorne los.

Das einzig Gute an der ganzen Sache war, dass sie an so wenigen Läden vorbeikamen, die Shido interessierten, dass es verschmerzbar war, wenn sie sich eine halbe Stunde am Stück seine Vorträge über Indiebands und alte Klassiker anhören mussten.

 

Der Schlimmste, mit Abstand, war Yuda.

Zuerst war Takahiro noch absolut sicher gewesen, dass er der Harmloseste neben Matsukawa war, denn er war der einzige, der nicht plötzlich vermeldete, dringend in irgendeinen Laden zu wollen. Das hielt ungefähr so lange, bis sie an einem Laden für Sportlerbedarf vorbeikamen und ihm mit einem Mal einfiel, dass Kindaichi sich doch letztens beschwert hatte, dass seine Knieschoner langsam ziemlich alt wurden. Es endete darin, dass er sich völlig irrsinnig in den Kopf setzte, er musste Abschiedsgeschenke für ihre jüngeren Teammitglieder besorgen, und plötzlich schleifte Yuda sie durch die verschiedensten Läden.

Takahiro war sich bei mindestens dreiviertel der Geschenke sicher, dass sie danebengegriffen waren, aber andererseits war Yuda gar nicht schlecht darin, das Team zu kennen, also vielleicht…? Auch wenn die Backformen für Watari genauso seltsam gewesen waren wie das Hörbuch für Yahaba, und wie Yuda darauf kam, dass Kyoutani sich über einen Plüschhund freuen würde, wollte Takahiro wirklich nicht mehr wissen.

Es war nicht einmal der Zeitaufwand, der schlimm war. Im Gegensatz zu den Anderen, die eigentlich mehr um des Bummelns Willen durch die Läden streiften, wusste Yuda immerhin jedes Mal genau, was er wollte.

 

Es war die Tatsache, dass es sie jedes Mal daran erinnerte, dass das Schuljahr bald vorbei war.

 

 

Sie waren mit Ladenöffnung in die Stadtmitte gekommen, und sie blieben bis Ladenschluss. Abgesehen von ein paar Pausen zwischendurch, um etwas zu futtern – „Schon wieder Süßkram?“, beklagte Oikawa sich jammernd, als sie die dritte Bäckerei des Tages ansteuerten, „Davon kriegt man doch Pickel! Makki! Willst du wirklich verantworten, dass Iwa-Chan noch unattraktiver wird?!“ – „Shittykawa…!!!“ –, verbrachten sie die ganze Zeit in irgendwelchen Geschäften, obwohl sie am Ende des Tages abgesehen von Yuda und seinen Bergen an Abschiedsgeschenken kaum etwas gekauft hatten. Takahiro hatte sich einen neuen Hut gekauft, der ihm ausgesprochen gut gefallen hatte, und den sogar Modepolizei Oikawa guthieß.

Schlussendlich war er froh darum, dass sie nicht schwer bepackt waren, als sie am Abend in die Karaokebar stolperten, in der Yuda ihnen schon einen Platz reserviert hatte. Takahiro war beeindruckt, wie ernst er seine Planungsaufgaben eigentlich nahm.

 

Der Raum, den sie von der Karaokebar bekamen, war gerade so groß, dass sie gut hineinpassten, ohne direkt kuscheln zu müssen. Hätten sie noch zig Tüten bei sich gehabt, wäre Kuscheln vermutlich unausweichlich geworden, und Takahiro war nun weit davon entfernt, ein kuscheliger Typ zu sein. (Matsukawa auch, das wusste er, und Iwaizumi oder Sawauchi sahen nun auch nicht so aus, als wären sie große Schmusetierchen. Yuda würde er es zutrauen. Oikawa auch. Aber nein.)

Ein paar Minuten saßen sie einfach auf den Sofas verteilt, die Beine ausgestreckt. Nicht, dass sie nicht anstrengenderes gewöhnt wären, aber Takahiro war nach einem ganzen Tag, den sie durch die Stadt gelaufen waren, erschöpft genug, dass er es als Wohltat empfand, seine Beine einfach mal ausruhen zu können.

„Gibt’s hier eigentlich Ohrenstöpsel?“, fragte Matsukawa völlig aus dem Nichts, so unverhofft, dass es sogar Takahiro überraschte. Er warf seinem Freund einen verwirrten Blick zu, der mit einem trägen Grinsen und einem Schulterzucken beantwortet wurde.

„Na. Wenn hier irgendjemand allzu schlecht ist…“

Takahiro grinste amüsiert.

Das sagt genau der Richtige.

 

„Ich hoffe, wir brauchen keine Ohrenstöpsel. Allerdings muss ich zugeben, seit der Grundschule hab ich auch nicht mehr gesungen – außer unter der Dusche.“

Shido grinste, und obwohl an seiner Enthüllung nichts wirklich Peinliches war, lief er – oh Wunder! – rot an.

„Du wirst rot!“, foppte Yuda lachend (Shido wurde noch dunkler). Er lehnte sich zur Seite, bis er seine Schulter gegen Shidos stoßen konnte, dann grinste er herzlich in die Runde, „Ich kann nicht singen! Wenn ihr also Ohrenstöpsel wollt, wäre mein Einsatz genau der richtige Zeitpunkt dafür!“

„Zu dumm, dass wir hier keine haben, Yudacchi. Du wirst wohl einfach leise singen müssen.“

Yudas Protest, dass das doch gar keinen Spaß machte, war vollkommen richtig. Man musste schon laut sein beim Karaoke.

 

Dass laut dabei ganz schön relativ war, realisierte Takahiro erst, als Iwaizumi zum Mikrofon griff.

 

Er war nicht schlecht. Takahiro war richtig beeindruckt davon, dass Iwaizumi sogar ein verblüffendes Talent darin hatte, Töne zu treffen. Aber er war laut. Vielleicht machte er es auch mit Absicht, um Oikawa zu nerven, der sich demonstrativ die Ohren zuhielt und das Gesicht zu einem empörten Schmollen verzogen hatte, die Wangen kugelfischmäßig aufgebläht. Ob Oikawa sich wirklich an der Lautstärke störte allerdings… Takahiro vermutete, es lag viel mehr daran, dass er vorher noch so selbstbewusst verkündet hatte, „Iwa-Chan trifft sowieso keinen einzigen Ton!“

Dass es noch Dinge gab, die Oikawa über Iwaizumi nicht wusste, war selbst für Takahiro überraschend, aber für Oikawa selbst musste das doch schon einer Lebenskrise gleichen.

 

 

Es glich einer Lebenskrise. Oikawa schmollte noch gefühlte Stunden, während Yuda mit Bravour unter Beweis stellte, dass er tatsächlich nicht singen konnte, Shido eine erstaunlich hübsche Singstimme preisgab und Sawauchi zeigte, dass man ihn niemals ein Duett mit Iwaizumi singen lassen durfte.

Oikawa selbst lehnte mehrfach das Mikrofon ab.

Takahiro fand, so konnte es nicht weitergehen. Ein Blick zu Matsukawa zeigte, der war ganz seiner Meinung, und nach einem stummen Meinungsaustausch nickte er dem Schwarzhaarigen zu. Zur Antwort reichte Matsukawa ihm sein Mikrofon, und zusammen mit seinem eigenen lief Takahiro zu Iwaizumi hinüber, der gerade in einer Ecke stand und den ausgedruckten Songkatalog studierte, der dort lag. Takahiro machte sich nicht die Mühe, allzu viel zu erklären, als er Iwaizumi beide Mikrofone in die Hand drückte.

„Ihr seid dran.“

Er musste nicht einmal spezifizieren, wer ihr eigentlich war. Iwaizumi runzelte die Stirn, sah auf die Mikrofone hinunter, dann zum schmollenden Oikawa hinüber, dann wieder zu Takahiro. Die Falte war wieder da, und sie war ganz schön steil, als Iwaizumi den Kopf schüttelte.

„Aber–“ – „Kein aber. Beweg dich, wir wollen auch nochmal dran.“

Iwaizumi sah alles andere als überzeugt aus, aber mit noch enger zusammengezogenen Augenbrauen nickte er schließlich und trottete zu Oikawa hinüber, der immer noch den Kugelfisch mimte. Er sah albern aus. Er benahm sich albern, und es war eindeutig genug von dem Drama, fand Takahiro.

 

Das Mikrofon, das Iwaizumi ihm schließlich vors Gesicht hielt, bedachte Oikawa mit einem Blick, der an Abscheu und Feindseligkeit glatt mit dem mithalten konnte, den Kageyama in der Regel abbekam. Dann wandte er den Blick ab und rümpfte die vorgereckte Nase.

„Wieso hat Iwa-Chan mir nie erzählt, dass er singen kann?“ – „Was?“

Es war beinahe lustig, wie völlig verdattert Iwaizumi war. Er blinzelte, dann hob er die Augenbrauen, wobei sich seine Falte wieder glättete.

„Bist du deshalb so beleidigt?“ – „Du hast doch keine Ahnung, Iwa-Chan.“

Offensichtlich.

Matsukawa grinste müde. Er ließ sich aufs Sofa plumpsen, neben Takahiro, und verschränkte abwartend die Arme hinter dem Kopf.

„War halt nicht wichtig.“

Stille. Oikawa sah immer noch so beleidigt aus, dass selbst ein wortwörtlicher Klotz es gemerkt hätte. Der Anblick sorgte dafür, dass Iwaizumi resigniert seufzte, bevor er Oikawas Hand packte und das Mikrofon einfach hineindrückte.

„Sei doch einfach froh, dass ich deine atemberaubend schöne Stimme in einem Duett nicht mit meinem grausigen Krächzen ruiniere.“

Oikawa sah groß zu ihm auf, die Augen weit und rund und Takahiro hörte neben sich ein heimlich gehustetes Fishykawa, das ihn selbst erstickt lachen ließ. Es schien zu helfen, obwohl Iwaizumis Stimme vor Ironie nur so troff. Aber Oikawa war schon immer gut darin gewesen, die Dinge auszublenden, die ihm nicht in den Kram passten, und Takahiro vermutete, dass das in diesem speziellen Fall auch gar nicht so verkehrt war.

„Iwa-Chan…“

 

Er musste zugeben, zusammen klangen die beiden wirklich hübsch – Iwaizumi hatte es sogar geschafft, seine Stimme auf humane Lautstärke runterzuschrauben.

 

 

Sie kehrten zur Herberge zurück, als Shido einschlief und auf seinem Platz zur Seite kippte, bis sein Kopf mit Sawauchis Oberschenkel kollidierte. Weil sie zu müde zum Laufen waren und die letzten Bahnen längst verpasst hatten, teilten sie sich auf zwei Taxis auf. Takahiro war selbst todmüde und wäre am liebsten einfach ins Bett gefallen, als sie zurück waren, doch am Ende stand er noch vor der Tür zu seinem Zimmer, Matsukawa ihm gegenüber.

„Und das willst du zukünftig echt jeden Tag haben?“

Takahiro zuckte mit den Schultern.

„Hab nie gesagt, dass ich täglich Party machen werde.“

Aber ja. Er mochte es, das Stadtleben, und er freute sich am Ende auch darauf.

„Fukuoka, huh?“ – „Hm.“

„Mein Vater hat nen Bruder da“, erzählte Matsukawa weiter, völlig nebensächlich scheinbar. Takahiro blinzelte nicht einmal, „Echt?“

„Er will eh schon seit Jahren, dass ich ihn besuche, statt dass er immer zu uns ins Kuhkaff kommen muss. Ist besser, als in ner kleinen Studentenbude unterzukommen, oder?“

Ein Grinsen zupfte an Takahiros Mundwinkeln. Er schlug Matsukawa gegen den Oberarm.

 

„Da würdest du eh nicht reinpassen.“

 

Matsukawa lachte.

 

„Also, wir sehen uns in den Ferien.“ – „Verlauf dich nur nicht in der großen Stadt, Landei.“

The Times The Two Of Us Lay Here

Das astronomische Observatorium Sendai hatte sich nicht verändert, seit Tooru das letzte Mal hier gewesen war. Wie lange war es her? Vier, fünf Jahre. Irgendwann hatte er einfach aufgehört.

Ein Blick durch die Reihe seiner Freunde zeigte weitgehend verblüffte Gesichter, soweit überhaupt Regung auf ihnen zu sehen war; Makki und Mattsun waren nach wie vor einfach Meister des Pokerface. Kurz blieb sein Blick an Iwa-Chan hängen. Er sah nicht wirklich verblüfft aus, eher irritiert, so als wisse er selbst nicht genau, wieso er sich eigentlich hierüber wunderte.

„Ich hab mit Volleyball gerechnet“, gestand Ucchi schließlich in einem Anflug von Amüsement. Tooru lachte. Die Wahrheit war, es war sein erster Impuls gewesen. Volleyball, weil es immer Volleyball war. Aber Volleyball, so sehr Tooru es liebte, war verbunden mit Dingen, an die er nicht denken wollte, wenn er das Zusammensein mit seinen Freunden feierte.

In den Sternen gab es keinen Ushiwaka. Keinen Tobio.

„Ich bin eben immer für eine Überraschung gut, Ucchi~!“

Er klatschte in die Hände, grinste dann noch einmal breit in die Runde.

„Und nun hört auf, hier Löcher in den Boden zu stehen und kommt! Die nächste Vorstellung fängt bald an!“

 

Es waren zu guten Teilen die gleichen Vorstellungen wie damals, als Tooru das ein oder andere Mal hier gewesen war. Die wissenschaftlichen hatten sich natürlich verändert, aber gerade die, die nur auf Unterhaltung abzielten, würden vermutlich in zwanzig Jahren noch die gleichen sein. (Der Gedanke war tröstlich.)

Sie hatten Tageskarten, die Yudacchi im Vorfeld schon besorgt hatte. Wenn es nach Tooru ging – und das ging es heute! – würden sie bis auf eine Pause zum Mittagessen die Zeit in den verschiedenen Vorstellungen totschlagen bis zum Abend, und sobald es dunkel war, die Sternwarte aufsuchen. Es war spannender, selbst in den Himmel hinaufzusehen, als nur Projektionen in einer Kuppel zu bewundern, selbst wenn die theoretisch um einiges eindrucksvoller waren dank der technischen Möglichkeiten.

„Ich bin erstaunt“, kommentierte Makki, während sie durch die Eingangshalle liefen. Langsam, denn auch wenn Tooru sie kannte, die Modelle und Ausstellungsstücke und Bilder an der Wand waren immer noch interessant für ihn. Er drehte sich zu Makki herum. Das Grinsen auf dem sonst meist nichtssagenden Gesicht verhieß nichts Gutes und Tooru schob schon einmal vorsorglich die Unterlippe zu einem Schmollen vor, „Erstaunt?“ – „Ja. So ein Observatorium klingt harmlos.“

Er tauschte einen Blick mit Mattsun aus, dessen bisher undurchsichtiges Gesicht sich nun auch zu einem Grinsen verzog, als er ergänzte: „Wir haben mit größeren Oikatastrophen gerechnet.“

Tooru war einen langen Moment lang sprachlos. Einen langen Moment, der eindeutig zu lang war, denn er bot dem Rest der Gruppe die Zeit, das schlechte Wortspiel zu verstehen und in lautes Gelächter auszubrechen.

„M-Mattsun! Makki! Das ist nicht okay von euch! Ihr müsst euch kein Beispiel an Iwa-Chan nehmen, sonst findet ihr auch nie eine Freundin!“ – „Oikawa…“, knurrte es wie auf Kommando in sein Ohr und Tooru grinste zufrieden, blinzelte Iwa-Chan völlig arglos an. Er sagte nur die Wahrheit, dafür konnte Iwa-Chan ihm keinen Ärger machen!

 

Natürlich machte Iwa-Chan wie immer, was er wollte, und natürlich endete es darin, dass sie sich doch wieder kabbelten, den ganzen Weg bis zum Veranstaltungssaal, aber das war Tooru egal – immerhin hatten die Anderen längst wieder aufgehört, über ihn zu lachen, und dafür konnte er nun darüber lachen, wie furchtbar einfach sich Iwa-Chan immer aufregen ließ. (Auch wenn ihm der Schlag auf den Hinterkopf leider gar nichts zum Lachen brachte und ihm eher die Tränen in die Augen trieb. Iwa-Chan war ein Barbar!)

 

 

Die Kuppel hatte größer gewirkt, als Tooru selbst noch kleiner gewesen war, doch trotz alledem war sie immer noch unglaublich eindrucksvoll. Und das, wie Tooru beinahe selbstzufrieden feststellte, nicht nur für ihn. Yudacchis „Oooh“ und „Aaah“ waren nun wirklich nicht fehlinterpretierbar, Shicchi sah auch unglaublich begeistert aus, und die Art, wie die anderen die Köpfe in den Nacken legten, um einen möglichst guten Blick nach oben zu haben, wo gerade nur ein Begrüßungsbildschirm projiziert war, der in regelmäßigen Abständen neue Werbe- und Begrüßungsnachrichten einblendete, sprach doch auch Bände.

„Wow“, murmelte Ucchi beeindruckt und Yudacchi lachte herzlich, „Nicht wahr? Das ist total cool! Hätte ich nicht gedacht.“

„Könnte wirklich schlimmer sein“, sagte Iwa-Chan brummig, und was er meinte, war es gefällt mir.

 

Tooru grinste zufrieden, während sie sich Plätze suchten, von denen aus sie sich idealerweise die Hälse nicht zu sehr verrenken mussten. Der Saal war nicht besonders voll, aber sie waren auch beim Einlass ganz vorn mit dabei gewesen – vermutlich würde er sich noch weiter füllen, ehe die Vorstellung begann. Die Uhrzeit war gerade genau richtig für Schulklassen auf Tagesausflügen. Heute Abend würde wohl wieder weniger los sein.

Eigentlich war es egal; Tooru war sehr gut darin, die Welt um sich herum auszublenden, wenn er das wollte. Und gerade wollte er die Welt ausblenden.

„Wusstet ihr, dass es einen Asteroiden gibt, der nach Sendai benannt ist?“

Natürlich nicht, und das wusste Tooru, aber er genoss die verblüfften Blicke, die er für sein Wissen erntete. Und ganz wie er vermutet hatte, war Yudacchi interessiert genug, um nachzufragen. Entspannt lehnte Tooru sich auf seinem Sitz zurück und schlug die Beine übereinander. Er hob belehrend einen Finger, ehe er zu dozieren begann:

„3133 Sendai ist ein Asteroid, der sich im inneren Bereich des Asteroidengürtels befindet – was das ist, das wird sicher gleich noch erklärt werden, also spar ich mir das einfach. Er braucht drei Jahre und drei Monate, um die Sonne einmal zu umkreisen. Er gehört zur Familie der Flora-Asteroiden. Es wird übrigens spekuliert, dass ein Asteroid aus der Familie Schuld am Aussterben der Dinosaurier ist. Oh! Und entdeckt wurde er in Heidelberg in Deutschland.“

Iwa-Chan schüttelte den Kopf, Makki und Mattsun tauschten Blicke, ehe Makki sich grinsend an Tooru wandte.

„Es ist schockierend, wie viel Platz in deinem Schädel noch ist. Wir haben immer gedacht, hinter Volleyball und Schule und schlechten Anmachsprüchen ist Schluss.“

Von wegen schlecht! Tooru blies die Wangen auf und schob die Lippen beleidigt vor. Erstens, er machte gar niemanden an, weil er das nicht nötig hatte, die Mädchen liefen ihm trotzdem nach, und zweitens, würde er jemanden anflirten, es wäre sicher nicht mit billigen Anmachsprüchen, das war deutlich unter seiner Würde! Mattsun beugte sich zu Makki hinüber, wisperte ihm etwas ins Ohr, und im nächsten Moment lachten beide. Tooru war sich sicher, er wollte nicht hören, was sie getuschelt hatten.

„Wer flüstert, der lügt!“, meckerte er trotzdem. Shicchi bekräftigte, dass es unhöflich war, in einer Gruppe zu tuscheln. Makki sah ihn nicht einmal an, als er weiter machte und Mattsun irgendeinen neuen geheimen Witz entgegenflüsterte.
 

Das Licht verdunkelte sich und verbarg, dass Shicchi längst wieder rot angelaufen war.

 

 

Die Vorstellung war eine allgemeine Präsentation des Weltalls und wurde geleitet von einem angestellten Astronomen, der bereits etwas älter war und diesen typischen Charme versprühte, der mit grauen Haaren und Lachfalten einherging. Während er eine Begrüßungsrede hielt, die ihn nicht interessierte, schweiften Toorus Gedanken ab und er stellte sich vor, wie Iwa-Chan aussehen würde, ergraut und mit Lachfalten. Aber nicht einmal sein Fantasie-Iwa-Chan tat ihm den Gefallen, ein heiterer, fröhlicher, und nicht gemeiner Mensch zu sein; die Falte zwischen seinen Augenbrauen glich einer Schlucht und natürlich malten seine Falten vor allem die immerzu grimmige Mimik nach. Lachfalten gab es trotzdem, und Tooru lachte leise, weil Iwa-Chan das Älterwerden stand. Mattsun traf es in seiner Vorstellung weit weniger gut, Ucchi auch nicht. Makki konnte noch Glück haben, aber ansonsten sah Tooru hier keine attraktiven Mittfünfziger sitzen – außer sich selbst natürlich, das stand außer Frage.

Wie beruhigend, dass er auch in vierzig Jahren noch alle mit seiner Schönheit überstrahlen würde. Tooru würde den Tag nicht überleben, an dem Iwa-Chan legitim attraktiver wurde als er. Wirklich nicht.

„Woran denkst du, Oikawa?“ – „Du sollest mehr lachen, Iwa-Chan. In vierzig Jahren wird es sich auszahlen!“

Iwa-Chan sah ihn an, als wäre er ein verrückter Spinner. Tooru grinste nur, weil er ein Geheimnis hatte, das Iwa-Chan niemals kennen würde, und Iwa-Chan funkelte ihn an, ehe er den Blick wieder abwandte und hinauf zu der Kuppel sah, auf der sich langsam etwas zu regen begann.

 

Es begann mit einer Abbildung des Himmels draußen. Entsprechend der Uhrzeit war es taghell. Eine vage Mondsichel war zu erkennen. Tooru betrachtete die Struktur der Kuppel, statt dem Vortrag zu lauschen, denn er wusste, wie der Himmel funktionierte, und dahingehend konnte ihm der nette ältere Herr einfach nichts neues erzählen. Die Simulation bewegte sich bald – es wurde dunkler und dunkler, bis sie einen tintenschwarzen Nachthimmel vor sich hatten, an dem nur spärliche Sterne standen. Lichtverschmutzung, die wie eine Glocke über der Stadt lag und das schwache Licht der Sterne überwiegend übertünchte.

Die Projektion veränderte sich, und wo bis gerade noch am unteren Rand der Kuppel die Dächer von Sendai gewesen waren, war nun ein felsiges Gebirge mit einigen wenigen Nadelbäumen dargestellt. Der Himmel war mit einem Schlag von Sternen übersät. Neben sich hörte Tooru aus Yudacchis Richtung ein ungläubiges „Oh wow“ und Shicchi murmelte ganz fasziniert „sind das wirklich so viele?“ – „Kann ich bestätigen“, war Ucchis Antwort darauf. Tooru sah kurz zu ihm hinüber, und trotz des diesigen Restlichts konnte er sehen, dass er grinste, „Damals beim Campen hat meine Mutter mich immer zum Sternezählen mitgenommen. Wir sind nie fertig geworden.“

Tooru schmunzelte heiter. Ein kleiner Ucchi unter freiem Himmel, der versuchte, Sterne zu zählen und fünf Mal denselben zählte, weil er keinen Überblick hatte, war eine lustige Vorstellung.

 

Obwohl er sich seit Jahren nicht mehr damit befasst hatte, fand Tooru nach einem schmerzhaft langen Moment, den er zur Orientierung brauchte, alle Sternbilder noch, die er damals nächtelang gelernt hatte. Es war vertraut auf eine Art, die sein Herz krampfen ließ, und mit einem Mal war er völlig überspült von seiner Nostalgie. Nochmal Kind sein. Nächtelang draußen im Gras liegen, Iwa-Chan neben sich, und ihm wieder und wieder die gleichen Fakten zu predigen, weil er nie zuhörte.

Jetzt im Nachhinein bereute er, damit aufgehört zu haben.
 

Die Welt war so viel schöner, wenn man den Blick in den Himmel richtete statt zu Boden.

 

„Das da drüben“, unterbrach Iwa-Chans Stimme seine Gedanken. Er lehnte sich näher, bis ihre Schultern gegeneinanderdrückten. Mit ausgestrecktem Finger deutete er auf die Kuppel, und weil Tooru die Bewegung noch von früher kannte, konnte er ihr zumindest halbwegs folgen.

„Ein gutes Stück rechts vom Mond, aber noch vor den ganz hell leuchtenden Sternen.“

Tooru folgte seiner Wegbeschreibung.

 

Was er fand, war sein Lieblingssternbild, das er Iwa-Chan wieder und wieder und wieder gezeigt und erklärt hatte, und wieder und wieder und wieder hatte Iwa-Chan es alleine trotzdem nicht gefunden.

„Woher…?“ – „Pff. Glaub mir, das Trauma deiner nervigen Erklärungen wird mich bis ans Ende meines Lebens verfolgen, Shittykawa.“ – „Iwa-Chan!!!“

Aber Tooru strahlte, obwohl er empört sein wollte. Er war froh, dass Iwa-Chan es nicht sah, aber das kaum sichtbare Lächeln, das er in Iwa-Chans Mundwinkel entdeckte, erzählte ihm, dass er es trotzdem wusste.

 

 

Sie blieben nicht bis Sonnenuntergang. Nach dem Mittagessen – das sie am Nachmittag erst einnahmen – warf Tooru alle Pläne wieder um.

„Ich will heute Nacht einen ordentlichen Sternenhimmel sehen!“

Natürlich hatte Iwa-Chan gemeckert, und Makki und Mattsun hatten gleich einen Blick getauscht, der in dem Kommentar „Und da sind die Oikatastrophen“ endete, doch immerhin hatten sie damit jede möglicherweise nicht gute Stimmung entzerrt.

„Warum nicht? Wenn wir uns beeilen, kommen wir noch nach Hause! In der Gegend gibt es genug Ecken, wo man Straßenlaternen vergebens sucht. Reicht das?“ – „Nachdem ich auch darauf verzichten kann, irgendwo in den Bergen auf dem Boden zu kampieren, Yudacchi, reicht es.“

 

Also packten sie ihre Rucksäcke, stiegen aufs Fahrrad, und dann rasten sie mit der Sonne um die Wette, begleitet von Gelächter und Geschrei, und Tooru fand, die Fahrt hätte ruhig ewig dauern können.

 

 

Tat sie nicht, und am Ende gewann außerdem die Sonne ihr Wettrennen.

Es war schon stockfinster, als sie schließlich verschwitzt und außer Atem zuhause ankamen. Und dann erst einmal gar nicht wussten, wohin mit sich.

„Nachher allesamt nach Hause zu gehen fühlt sich falsch an“, verkündete Yudacchi völlig überzeugt, und allein bei dem Gedanken begannen seine Augen gefährlich feucht zu schimmern. Tooru verdrehte die Augen. Shicchi war da netter, legte eine Hand auf die Schulter des Jammerlappens und lächelte ihn aufmunternd an.

„Wir können alle bei mir übernachten? Pyjamaparty! Außerdem wohn ich am Ende der Welt und wir müssen einmal mitten durch die Pampa, um hinzukommen, also können wir gleich auf dem Weg Sternezählen.“

Yudacchi strahlte, Tooru strahlte, jetzt verdrehte Iwa-Chan die Augen, aber es war schon längst beschlossene Sache, also zogen sie los.

 

Shicchi hatte nicht übertrieben damit, mitten in der Pampa zu leben. Sie überquerten eine riesige Fläche an Feldern und Grünflächen, ohne auch nur eine einzige Straßenlaterne zu finden. In der Dunkelheit sah der Sternenhimmel wirklich viel heller aus. Toorus Blick war aufs Firmament gerichtet, er achtete gar nicht darauf, wohin er lief, aber das musste er auch nicht, denn Iwa-Chan schubste ihn jedes Mal grob in die richtige Richtung, wenn er irgendetwas verpasste.

Früher, wenn Tooru nachts draußen gewesen war, nur mit Iwa-Chan, war es still gewesen. Nach einem langen Tag, den sie sowieso schon nur draußen herumgetobt waren, war Iwa-Chan der Frühaufsteher meist einfach viel müder gewesen als Tooru, der am Liebsten lange ausschlief, wenn er konnte. Immerhin war Schönheitsschlaf wichtig! Iwa-Chan hatte das nie verstanden und verstand es immer noch nicht.

Entsprechend seiner Müdigkeit war er immer still gewesen. Tooru kannte es nicht anders, als dass es still war unter dem Sternenhimmel.

 

Heute war es nicht still.

 

Heute hörte er Yudacchi und Shicchi miteinander reden, laut in der Stille der Nacht. Beide versuchten lautstark, die Sternbilder wiederzufinden, die ihnen im Zuge der Vorstellungen im Planetarium mehrfach gezeigt worden waren, und beide scheiterten auf so glorreiche Art, dass nicht nur Tooru immer wieder erstickt auflachte. Sawauchis Lachen hallte in der Dunkelheit wider, und ab und zu hörte Tooru auch Makki und Mattsun tuscheln. Iwa-Chan war still, außer in den Momenten, in denen er irgendjemanden ermahnen musste, der nicht auf den Weg achtete und beinahe in irgendetwas hineintrat, das nicht schön geendet wäre.

Ihre Stimmen vermischten sich mehr und mehr zu einem bunten Potpourri, das mit den Sternen um die Wette funkelte. Was Tooru im ersten Moment noch als irritierend und störend empfunden hatte, wurde schnell genug Gewohnheit und Vertrautheit, dass er sich sicher war, dass er künftig mit dem Blick in den Sternenhimmel all diese belanglosen Kleinigkeiten verbinden würde: Ucchis barsches Lachen, Yudacchis viel zu kreative und falsche Art, Sternbilder zu benennen, deren Namen er sich nicht ordentlich gemerkt hatte (Toorus Lieblingsbegriff war vermutlich die Bratpfanne für den großen Wagen), Shicchis Talent darin, jedes Sternbild am völlig falschen Platz zu suchen, Mattsuns und Makkis Geheimniskrämertuscheln und –gelächter und ihre beißenden Kommentare, und Iwa-Chans empörtes Meckern.

 

Die Vorstellung war gleichzeitig tröstlich und deprimierend.

 

 

Ihre Reise endete noch vor Shicchis Haus auf einem grasigen Hügel. Sie stiegen hinauf, um oben im feuchten Gras liegen zu bleiben, hinauf in den Himmel starrend und die Sterne ansehend. Natürlich hatte Tooru es selbst angezettelt. Der Anblick des Hügelchens, das sich da in den tintenschwarzen Nachthimmel erhob, hatte ihn an seine Kindheit erinnert, an den kleinen Hügel, der Iwa-Chans und sein Lieblingsplatz zum Sternegucken gewesen war.

Und jetzt, wo Iwa-Chan hier neben ihm lag, schweigend in den Himmel hinaufsah, und auch die anderen so viel stiller als vor ein paar Minuten noch waren, fühlte sich Tooru viel mehr, als wäre er wieder zehn Jahre alt statt immer noch achtzehn.

„Es ist faszinierend“, durchbrach Yudacchi die Stille nach einer Weile leise, fast andächtig, „dass da oben so viele Planeten und Sonnensysteme und Galaxien sein sollen…“ – „Man kann gar nicht glauben, dass wir wirklich alleine hier sind, nicht wahr?“

Tooru musste nicht einmal hinsehen; er spürte das Augenrollen, das seine Worte bei Iwa-Chan ausgelöst hatten.

 

„Da draußen ist nichts“, brummte er, eine uralte Diskussion neu entfacht, und Tooru grinste nur, „Ich weiß, ich weiß, Iwa-Chan~ Und selbst wenn da etwas wäre, dann würde es nicht zu uns kommen!“

Er kannte die alten Argumente doch noch. Er grinste Iwa-Chan breit zu, dessen grimmige Miene in der Dunkelheit noch grimmiger als sowieso schon immer aussah und spürte, wie sein Freund ihm gegen die Schulter boxte.

„Zugegeben finde ich den Gedanken auch nicht abwegig“, kommentierte Ucchi geistesabwesend, „Aber mir wäre es lieber, wenn welche Außerirdischen auch immer uns einfach in Ruhe lassen.“

Natürlich war das Ucchi lieber. Alles andere bedeutete viel zu viele unbekannte Variablen, und Tooru wusste nur zur Genüge, wie sehr Ucchi Überraschungen hasste. Deshalb machte es ja so viel Spaß, ihm jedes Jahr zum Geburtstag eine Überraschungsfeier zu organisieren. Ucchi, wenn er keinen Plan hatte, wurde einfach immer so herrlich unruhig.

Die Diskussion über Außerirdische ging einfach weiter und weiter. Tooru musste nicht einmal viel dazu beitragen, auch wenn er natürlich eine ganze Menge an Theorien und Wissen und Möglichkeiten hätte in den Raum werfen können, aber die ganz unwissenschaftliche Begeisterung seiner Freunde, über das Thema zu reden, war einfach zu lustig mit anzuhören. Yudacchi hatte eine blühende Fantasie, Makki und Mattsun hatten eindeutig zu viele schlechte Filme gesehen, und Tooru konnte nicht anders als zu lachen, weil Iwa-Chan immer und immer wieder die alten, griesgrämigen Argumente auspackte und damit auf taube Ohren stieß – und das neuerdings nicht mehr nur von ihm.

 

Irgendwann klinkte Iwa-Chan sich doch aus der Diskussion aus und Tooru spürte, wie eine Schulter mit seiner zusammenstieß.

„Was ist los, Iwa-Chan?“ – „Ich sollte dich verprügeln dafür, dass du ihnen diesen Mist in den Kopf gesetzt hast, Trashykawa.“ – „Awww. Aber Iwa-Chan. Schau dir nur an, wie glücklich sie sind!“

Es war ein Scherz gewesen, ein paar lapidare Worte, um Iwa-Chan noch weiter zu triezen, weil das einfach schon selbstverständliche Gewohnheit war, doch als Tooru selbst den Blick hob und zu der Gruppe hinübersah, die sich inzwischen in einem Kreis aufgesetzt hatte und heftig gestikulierend immer noch redete und scherzte und lachte, stellte er fest, das mehr Wahrheit darin steckte, als er eigentlich geglaubt hätte.

Iwa-Chan neben ihm schüttelte den Kopf und schnaubte bei dem Anblick. Yudacchi hob gerade den Blick in den Himmel, und ganz plötzlich rief er laut sein Erstaunen heraus und zeigte hektisch hinauf.

 

 

„Da, eine Sternschnuppe!“

 

 

Tooru sah gerade noch den letzten Rest des Schweifs verblassen, als er aufsah, und wahrscheinlich ging es keinem anders als ihm, und trotzdem starrten sie alle einen langen, viel zu langen Moment in den Himmel hinauf.

„Habt ihr euch etwas gewünscht?“, fragte Shicchi nach einer Weile so leise und behutsam, dass Tooru Mühe hatte, ihn zu verstehen. Seine Mundwinkel zuckten. Natürlich hatte er sich etwas gewünscht, aber was, das würde ewig sein Geheimnis bleiben – sonst würde es doch auch nicht in Erfüllung gehen!

„Natürlich“, brummte Iwa-Chan, „Ich habe mir gewünscht, dass Oikawa endlich erwachsen wird.“

„Iwa-Chan, das ist gemein!“

Und das, fand Tooru, bedeutete Rache. Das bedeutete sehr, sehr bittere Rache. Ein Blick in Richtung ihrer Fahrräder und Rucksäcke lieferte ihm in Form eines herausragenden Kescherstiels die perfekte Erleuchtung.

 

„Nein.“

 

Iwa-Chans Antwort kam schon, ehe Tooru seine Frage hätte stellen können. Sein Freund war seinem Blick offensichtlich gefolgt und sah jetzt stirnrunzelnd auf Tooru hinunter, der als einziger immer noch entspannt im Gras lümmelte. Wie oft hatten sie diese Unterhaltung schon geführt, und das mit dem immer gleichen Ausgang? Es musste doch auch Iwa-Chan klar sein, dass sich nichts geändert hatte.

„Iwa-Chaaan!“

Ehe ein weiteres Nein kommen konnte, hatte Toorus Quengeln die Aufmerksamkeit der anderen geweckt.

„Was habt ihr denn wieder?“, fragte Ucchi. Er sah skeptisch aus. Misstrauisch, die Augenbrauen hochgezogen, und er erwartete ganz eindeutig schon wieder etwas, das Makki und Mattsun wieder liebevoll Oikatastrophe tauften. (Es war wirklich gemein, wie gemein die beiden waren!) Iwa-Chan seufzte, warf Tooru noch einen vernichtenden Blick zu, ehe er sich an Ucchi wandte.

„Oikawa will Aliens jagen gehen.“ – „Was.“

Tooru lachte, weil Ucchis erste Reaktion ihn so sehr daran erinnerte, wie entgeistert Iwa-Chan ihn angesehen hatte, das erste Mal, dass sie losgezogen waren. Und obwohl er immer und immer wieder darüber gezetert hatte, hatte Iwa-Chan eigentlich immer jede Dummheit mitgemacht, die Tooru in den Sinn gekommen war, damals wie heute, und Tooru hatte keinen Grund, zu erwarten, dass es jetzt anders sein würde.

„Ich finde, es klingt lustig.“

 

Und mit Yudacchis Zustimmung war es dann beschlossene Sache, fand Tooru, und obwohl Iwa-Chan nur noch grimmiger aussah, sah Tooru vor allem die Niederlage in seinem Blick und er grinste noch breiter, als er aufsprang und zu ihren Rucksäcken hinüberlief.

„Los, beeilt euch! Sonst laufen die Aliens uns alle davon!“

 

„Warum haben wir eigentlich etwas anderes erwartet?“ – „Es war doch eigentlich klar, dass wir den Tag nicht ohne größere Oikatastrophen beenden.“

 

 

Das letzte Mal, dass Tooru auf Alienjagd gegangen war, war er keine zehn Jahre alt gewesen. Sie hatten keine Aliens gefunden, natürlich. Dafür hatte Iwa-Chan Glühwürmchen gefangen.

Zu dieser Jahreszeit gab es nicht einmal die zu finden.

Dafür fingen Ucchi und Shicchi an, sich gegenseitig zu fangen, während Makki und Mattsun Dinge taten, die Tooru nicht einmal verstehen wollte, und Yudacchis verrücktes Rumgehopse aussah, als versuche er, die Sterne vom Himmel zu pflücken.

 

Iwa-Chan trottete griesgrämig neben Tooru her, wie er es immer getan hatte.

 

„Hey, Iwa-Chan“, begann er nach einer Weile spontan, drehte sich grinsend zu seiner Begleitung hin. Iwa-Chans Blick war unfreundlich, als er den Kopf zu Tooru wandte, „Was?“

Toorus Grinsen wurde breiter. Er deutete über seine Schulter.

„Schau mal da, ich hab was gefangen!“ – „Was?“

Obwohl in Iwa-Chans Gesicht Misstrauen bis zum Umfallen geschrieben stand, folgte sein Blick Toorus Fingerzeig. Der nutzte die Gelegenheit dazu, den Kescher, den er bei sich trug, über Iwa-Chans Kopf zu stülpen. Iwa-Chan sah aus, als wollte er ihn umbringen. Tooru lachte zufrieden.

Was?!“

 

„Ich hab einen besten Freund gefangen!“

 

Iwa-Chans Blick war die Prügel, die er zweifelsohne noch bezog, sobald er sich vom Kescher befreit hatte, völlig wert.

 

 

Es war schon viel zu nah am Morgen, als sie endlich bei Shicchi ankamen und sich einquartiert hatten. Seine Eltern waren im Urlaub, das Haus hatten sie also immerhin für sich. War wohl auch gut so, sonst hätten die ganz schön dumm geschaut ob des Mattenlagers in Shicchis Zimmer, das eigentlich die gesamte freie Bodenfläche einnahm und trotzdem noch kuschlig eng war.

Tooru wollte einerseits schlafen, weil er todmüde war, und weil er es nicht riskieren konnte, Augenringe oder andere Schrecklichkeiten zu bekommen, andererseits konnte er den Blick nicht vom Sternenhimmel lösen. Von hier draußen auf dem Balkon hatte er immer noch einen wundervollen Ausblick.

Er war völlig versunken.

„Kaneo hat Recht; Shibata ist wirklich nicht weit entfernt.“

So versunken, dass er erst merkte, dass Iwa-Chan auf den Balkon herausgetreten war, als er schon sprechend neben ihm stand, die Arme auf die Brüstung gestützt und den Blick hinauf in den Himmel gerichtet. Tooru schwieg, während er selbst den Blick wieder abwandte. Er mochte das Thema nicht.

„Wir werden uns trotzdem selten sehen“, fuhr Iwa-Chan fort, als Tooru einfach still blieb. Das hatten sie vorher gewusst. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber sie hatten es gewusst, und das war eine dieser Sachen gewesen, die man einfach schweigend akzeptierte, weil sie war, wie sie war, und man sie nicht ändern konnte.

Tooru hasste Dinge, die man nicht ändern konnte.

 

„Du musst dich sowieso beeilen, Iwa-Chan.“

„Bitte?“

Tooru grinste, weil das leichter war, und sein Blick grenzte sicher schon an unverschämt, als er zu Iwa-Chan hinübersah. Er hob belehrend den Finger.

„Weil, Iwa-Chan, ich nicht ewig verhindern kann, dass ich mich verletze. Das gehört zum Sport eben dazu.“

Tooru sah, wusste, was in Iwa-Chan vor sich ging. All die Abende, an denen Iwa-Chan viel zu lange mit ihm in der Sporthalle geblieben war, sei das zu Middle oder High School-Zeiten, all die Abende, die Iwa-Chan ihn aus der Halle geschleift hatte, ehe er sich völlig überarbeiten konnte.

Solange Iwa-Chan nicht da war, musste er selbst auf sich aufpassen.

Iwa-Chan lachte. Er sah Tooru nicht mehr an, doch der sah das verdächtige Funkeln in Iwa-Chans Augen trotzdem.

 

„Ich sollte jetzt absichtlich trödeln“, sagte er, doch Tooru hörte nur ich beeile mich in seiner Stimme. Jetzt war es an Tooru, zu lachen.

 

„Es wird so angenehm ruhig werden ohne Iwa-Chan!“

Ich vermisse dich jetzt schon.

 

„Frag mich mal, Shittykawa!“

Ich dich auch.

Time Of Our Lives

Eigentlich hatte er einfach nur einen Tag am Meer verbringen wollen. Heisuke liebte das Meer. Er liebte ewige Strandspaziergänge, er liebte es, nach Muscheln zu suchen und Sandburgen zu bauen – er liebte es, wenn seine Brüder mit ihren Kindern zu Besuch waren, denn das war immer eine wunderbare Ausrede dafür, wieso er lieber mit Eimer und Schäufelchen im Sand saß, als sich an erwachseneren Aktivitäten zu beteiligen. Er hatte schon immer einmal eine Flaschenpost abschicken wollen, ohne dass er wirklich daran glaubte, dass er je Antwort bekommen würde.

Eigentlich hätten sie heute auch noch in Sendai sein sollen.

Zurück zuhause zu sein, warf seinen Plan zumindest halb über den Haufen. Mithilfe von einigen Kleinigkeiten, die er Zuhause mopsen konnte, hatte er am Morgen, als seine Freunde alle noch schliefen, etwas anderes vorbereiten können – und dann hatte sich alles verselbstständigt.

 

Statt am Strand waren sie im Stadtzentrum, das ihm winzig erschien im Vergleich zu Sendai. Es war immerhin groß genug, dass sie Purikura-Automaten fanden.

„Wir sind doch keine Schulmädchen“, brummte Sawauchi mit verschränkten Armen. Matsukawa und Hanamaki tauschten einen Blick, dann sahen sie an Sawauchi hoch und wieder runter und zuckten die Schultern.

„Man hätte sich täuschen können…“

Dass Oikawa sich viel zu wortreich freute, einmal nicht das Opfer der Späße der Beiden zu sein, lenkte Sawauchi lange genug von allen Mordgedanken ab, um die ganze Meute radikal in den Fotoautomaten zu bugsieren – Iwaizumis Verdienst. Heisuke war sich leider viel zu sehr bewusst, dass er da keine Chancen gehabt hätte. Allein die Vorstellung, wie er versuchte, seine Freunde irgendwohin zu bugsieren, ließ ihn peinlich berührt erröten.

Zu siebt war es viel zu eng.

Es dauerte keine fünf Sekunden, bis die ersten Beschwerden kamen: „Du stehst auf meinem Fuß!“ – „Wessen Ellenbogen ist da in meinen Rippen?!“ – „Wieso hab ich da was im Schritt?!“

Heisuke, wenn er ehrlich war, fand es lustig, und er hörte vom anderen Ende des großen Chaoshaufens, dass Kaneo nur noch am Lachen war. Mit ein bisschen Geduld, Liebe und beherztem Eingreifen von Iwaizumi fanden sie sogar irgendwie noch zu Positionen, in denen sich niemand mehr unangenehm belästigt fühlte. Das Fotomachen selbst danach war dann nur noch halb so schwierig – und, wenn Heisuke ehrlich war, auch nur noch halb so lustig.

 

Einmal wieder aus dem Fotoautomaten herausgepurzelt ging es ans Dekorieren der Bilder.

Wobei vermutlich der Begriff Verschandeln weit besser passen würde. Schnurrbärte, peinliche Hüte, lächerliche Sonnenbrillen und Tieröhrchen, extra viel Glitzer und andere Peinlichkeiten… Auf einem Bild schaute Iwaizumi so grimmig drein, dass Oikawa verkündete, sie müssten das dringend zensieren, und er packte irgendeinen dümmlich lachenden Tierchensmilie über Iwaizumis Gesicht. Seine Rache kam prompt – auf dem Bild, auf dem Oikawa sein bestes Schmollen inszenierte, wurden erst einmal rings um ihn Luftbläschen verteilt und er bekam obendrein die verblüffend passende Überschrift Fishykawa. Hanamaki und Matsukawa brachen beinahe ein vor Lachen. Leider nicht so sehr, dass es sie daran gehindert hätte, Heisuke auf jedem einzelnen Bild glühend rote Wangen zu zaubern. (Leider spiegelten sie seine aktuelle Gesichtsfarbe viel zu gut wider.)

 

Als die fertig gedruckten Bilder aus dem Automaten kamen, konnte Heisuke sich gar nicht mehr entscheiden, welches ihm am besten gefallen sollte. Sie waren einfach alle herzerwärmend hässlich und bunt, und darin lag so viel sentimentaler Wert, er war sich ziemlich sicher, Kaneo würde in einem halben Jahr schon in Tränen ausbrechen, wenn er sie dann ansah.

 

 

Heisuke scheuchte noch an zwei weiteren Purikura-Automaten vorbei, außerdem fanden sie noch eine Fotobude am Strand, wo sie sich mit extra kitschigen, maritimen Motiven im Hintergrund ablichten lassen konnten.

Als sie fertig waren mit der Fotojagd hatte Heisuke einen großen Umschlag voll mit Fotos zwischen den anderen Sachen in seiner Tasche, die er am Abend noch brauchen würde.

 

Jetzt aber stand erst einmal der Strandspaziergang an, den er eigentlich hatte haben wollen. Weil es einfach noch viel zu kalt fürs Meer war, waren kaum Menschen unterwegs, und auf Badesachen hatten sie auch verzichtet. Es war schade, und Heisuke trauerte einer ordentlichen Wasserschlacht nach, aber… es war okay. Immerhin konnten sie überhaupt noch so zusammen sein, da war es gut zu verschmerzen, dass die Jahreszeit und Witterung einem guten Teil von ihnen einfach in ihre Planung grätschten.

Und ein bisschen war Heisuke sogar wirklich froh, bedenkend, dass Oikawa schon über den Sand in seinen Schuhen jammerte. Er wäre wahrscheinlich über Meereswasser im Haar in Tränen ausgebrochen oder so, und so viel nervliche Belastung konnte man Iwaizumi doch nicht ständig zumuten.

Fand Heisuke zumindest. Dass Oikawa das eindeutig anders sah, zeigte sein Verhalten ja schon zur Genüge.

„Wisst ihr, was wir lange nicht mehr gemacht haben?“, riss Matsukawa ihn aus seinen Gedanken. Heisuke sah blinzelnd zu ihm hinüber. Er lief rückwärts, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und grinste. Er sah kurz in die ganze Runde, dann blieb sein Blick auf Hanamaki hängen, und Heisukes Blick folgte automatisch – er erwartete jede korrekte Antwort ohnehin aus dessen Richtung.

„Einen Wettkampf“, erwiderte Hanamaki, und Heisuke konnte das Grinsen in seiner Stimme hören.

 

„Wir können Sandburgen bauen!“

 

Heisuke wusste schon, wieso er Kaneo so sehr liebte.

 

„Wir sollten Teams aufstellen“, schlug Sawauchi vor, „Ansonsten sind wir doch ewig beschäftigt. Zu zweit oder dritt geht alles schneller.“ – „Wir könnten unsere Zimmeraufteilung aus Sendai nehmen, oder?“ Sawauchi lachte barsch, klopfte Kaneo auf die Schulter, „Es ist immer wieder gruselig, wenn du mal ne gute Idee hast, Kumpel.“ – „H-hey!“

Es war nett, dass es zur Abwechslung einmal nicht Heisuke war, der rot wurde.

 

 

Ohne jegliche Form von Equipment war es gar nicht so einfach, irgendetwas aus dem Sand zu formen. Hätten sie ihre großen Rucksäcke bei sich, wären sicher einige zweckentfremdete Werkzeuge dabei herumgekommen, aber da sie die nächste Nacht wieder bei Heisuke übernachten würden, hatten sie sich das einfach gespart.

Heisuke bereute es ein bisschen. Aber andererseits war Heisuke auch froh darum, denn mit Iwaizumi und seinen Keschern in der anderen Gruppe hätte sich einfach viel zu viel machen lassen – und die waren sowieso schon in der Überzahl und damit im zahlenmäßigen Vorteil!

Nach einigen Minuten Kriegsrat hatten sie einen halbwegs brauchbaren Schlachtplan und dank Hanamakis edelmütigem Opfer auch bald ein T-Shirt, das er unter seinem Pulli getragen hatte, mit dem sie Wasser aufnehmen und über dem Sand wieder auswringen konnten, um eine brauchbare Sandburgenkonsistenz zu bekommen. Ein paar Steinchen und Muscheln und Stöckchen, die sie noch fanden, konnten als Werkzeuge und Dekoration missbraucht werden, und Heisuke hatte immerhin genug Papier in seiner Tasche, dass er ein bisschen davon auch zum Sandburgformen opfern konnte.

Ein Blick nach rechts zu ihren Gegnern zeigte, dass irgendwer eine Wasserflasche bei einem nahen Kiosk besorgt hatte, und Oikawas Notfallfrisierset, bestehend aus verschiedenen Bürsten und Kämmen, schien zu Modellierwerkzeugen umfunktioniert worden zu sein – Oikawa beweinte es laut, aber Iwaizumi setzte sich gar nicht unerwartet durch in der Sache.

 

Es würde eine harte Schlacht werden.

 

Bei aller Härte aber, Heisuke hatte einfach nur Spaß. Jahrelange Übung machte es ihm leicht, mit dem feuchten Sand zu arbeiten, während Sawauchi immer ein bisschen zu grob war und ihr Kunstwerk hier und da wieder eindellte und zerdrückte, und Hanamaki gar nicht erst so recht zu wissen schien, wo er überhaupt anpacken sollte. Oikawa klagte über Sand unter den Fingernägeln, und auch wenn Heisuke nicht hinübersah, so klang es mehr als einmal so, als würde Iwaizumi verärgert den gesamten Bau wieder einstampfen, wenn Oikawa zu viel plärrte.

Nach einer Weile fing Matsukawa an zu pfeifen – konnte er besser als singen – und noch einen Augenblick später stimmte Hanamaki singend in das kleine Liedchen ein. Heisuke hätte es gern aufgenommen, als Erinnerung, und – ja, warum eigentlich nicht? Also schnappte er sich sein Smartphone, hoffte, dass das Mikrofon gut genug war, um beide Stimmen aufzufangen und schaltete es ein, als die beiden gerade auf einen anderen Song überwechselten.

 

Er konnte sich eine neue Speicherkarte kaufen.

 

 

Sie waren fast den halben Tag – mit Mittagspause – damit beschäftigt, ihre Sandburgen zu beenden. Am Ende hatte Team Oikawa etwas gebaut, das mehr Ähnlichkeit mit einer Rakete hatte als mit einer Sandburg, und Heisuke war sich sicher, dass es volle Absicht war. Zumindest von Oikawa, der ausgesprochen selbstzufrieden grinste. Heisukes eigenes Team hatte eine recht traditionelle Burg zusammenbekommen, und weil Sawauchi das unbedingt gewollt hatte, hatte sie sogar einen Burggraben und ein paar aus Stöckchen, Steinchen und Muscheln zusammengestapelte Burgwachen.

„Ich finde, wir haben eindeutig gewonnen“, brummte er überzeugt. Oikawa widersprach inbrünstig, weil ihre Rakete doch viel cooler war, und überhaupt viel handwerklich hochwertiger – natürlich fiel ihm Iwaizumi in den Rücken: „Ich stimme Sawauchi zu.“

„Und, was haben wir gewonnen?“

Heisuke kannte die Antwort auf Hanamakis Frage schon, ehe Matsukawa blöde grinsend „Nichts“ erwiderte.

Bevor sie ihre Burgen zurückließen, um von der Flut wieder in die Vergessenheit gespült zu werden, machte Heisuke Fotos mit seinem Handy, dann ließen sie ihre Kunstwerke hinter sich. Es war spät genug, die Sonne schon am Untergehen, und langsam frischte das Wetter so sehr auf, dass es unangenehm hier draußen am Meer wurde.

Ganz davon ab, dass sie noch ein gutes Stück Weg bis zu ihrem letzten Ziel für Heute vor sich hatten. Nur eine Sache fehlte noch.

 

„Was haltet ihr von Flaschenpost?“

Die Antworten waren absehbar gewesen – Kaneo fand es super, Oikawa war auch zu begeistern, Sawauchi und Iwaizumi waren einig darin, dass es nutzloser Kitsch war, während sich Hanamaki enthielt und Matsukawa nur einen Witz über Fishykawa machte, der sie alle zum Lachen und Oikawa zum Schmollen brachte.

Heisuke fand, das war genug Zuspruch, also ließ er sich einfach in den Sand fallen und warf seine Tasche vor sich.

„Wir schreiben eine“, verkündete er, seine Freunde zu sich hinunterwinkend. Obwohl er sich sicher war, dass niemand protestieren würde, und dass das schon okay war, spürte er, wie sein Gesicht heiß wurde. Er hielt es absichtlich über die Tasche gesenkt, während er Stifte und Papier und eine Schreibunterlage hervorkramte.

„Und was schreiben wir, Shicchi?“ – „Einfach nur kleine Nachrichten. Egal was, aber deutlich, damit man sie auch lesen kann! Oder sich übersetzen lassen, je nachdem, ne? Und dann schreib ich meine Adresse drunter, und vielleicht krieg ich in ein paar Jahren ja ne Postkarte!“

Glaubte er selbst nicht wirklich dran, aber er wollte es hoffen. Die Vorstellung war einfach so spannend! So schwer, wie Iwaizumi seufzte, fand er die ganze Sache wohl weniger spannend, trotzdem schwebte kurz darauf eine Hand in Heisukes Blickfeld.

 

„Dann gib mal her.“

 

 

Liebe Grüße und viel Glück aus Miyagi! – Yuda

 

Hütet euch vor Oikatastrophen. – Matsukawa

 

Ich bin mit einem Haufen gemeiner Barbaren befreundet! - Oikawa

 

Und hütet euch vor Fishykawa. – Hanamaki

 

Möge Fishykawa I in Frieden ruhen. – Iwaizumi

 

Sorry an wen auch immer, der das hier lesen muss. – Sawauchi

 

Schick ne Postkarte zurück, lieber Leser! – Shido

 

 

Iwaizumi, weil er den stärksten Wurfarm hatte, durfte die Flasche, nachdem sie sicher verkorkt war, schließlich ins Meer werfen. Sie flog viel weiter, als Heisuke erwartet hätte, und in schweigendem Staunen sah er zu, wie ihre verrückten Grüße durch die Luft segelten und schließlich so weit entfernt von ihnen im Meer landeten, dass sie das Platschen über das Rauschen der Wellen hinweg gar nicht mehr hörten und auch das aufspritzende Wasser ziemlich wenig beeindruckend aussah.

Er blinzelte, presste die Lippen zusammen. Zog die Nase kraus. Neben ihm schniefte Kaneo, während Heisuke das ganze Gesicht verzog. Es dauerte ein paar Sekunden, aber dann hatte er sich wieder gefangen und konnte seine Freunde fröhlich angrinsen.

 

„Ich lasse es euch sofort wissen, wenn eine Antwort kommt!“

 

An die keiner so recht glauben wollte, außer Heisuke und Kaneo, aber das war okay – früher oder später würden sie es schließlich sehen!

Heisuke wollte gar nicht darüber nachdenken, wie viel Zeit bis dahin vergehen würde. Wie sehr sich seine Freunde und er selbst verändern würden. Würden sie heiraten? Kinder kriegen? Heisuke wollte eine Familie, keine Frage. Trotzdem kam ihm der Gedanke gerade viel zu groß und gruselig vor und er schüttelte ihn hastig wieder ab. Heute war es ohnehin egal.

Heute wollte er einfach nur Zeit mit seinen Freunden verbringen und ein paar schöne Erinnerungen machen, ehe sie getrennte Wege gingen, nach langen drei Jahren. Oder sechs, teilweise. Oder sogar noch mehr, in Iwaizumis und Oikawas Fall. Er holte tief Luft, dann sah er ernst in die Runde, die Hände in die Hüften gestemmt und extra streng aussehend – die unbeeindruckten Blicke, die ihm begegneten, waren vertraut, aber einfach immer noch peinlich.

 

„Und jetzt gehen wir zur Schule!“

 

 

Obwohl selbst Oikawa so dreinsah, als hätte Heisuke den Verstand verloren, folgten sie ihm.

Bis sie ankamen, war es stockfinster. Hinten auf dem Schulhof war ein Baum, der laut Heisukes ältestem Bruder schon vor zehn Jahren hier gestanden hatte, und Heisuke war sich sicher, er würde auch in zwanzig und in dreißig Jahren noch hier stehen. Unter der kargen Baumkrone ließ er sich zu Boden plumpsen und begann, seine Tasche auszuräumen – Briefumschläge, Papier, Schreibunterlage, Stifte, eine luftdicht schließende Plastikbox, der Umschlag mit den Fotos, drei kleine Schäufelchen, die er im Gartenschuppen gefunden hatte (und beim Sandburgenbauen völlig vergessen. Ähem). Dazu kam noch die Speicherkarte aus seinem Handy, und dann lehnte er sich zurück, sah erwartungsvoll zu seinen Freunden auf.

„Zeitkapsel“, erklärte er, grinste breit, „Wir schreiben alle ein paar nette Worte an unsere zukünftigen Ichs! Und in… weiß nicht, zehn Jahren oder so holen wir das Ding wieder hoch und schauen mal, was so aus uns geworden ist!“

„Das ist kitschig“, stöhnte Sawauchi kopfschüttelnd. Kaneo klatschte lachend in die Hände – „Ich finde es wunderbar!“

 

Fünf Minuten später saßen sie eng beieinander auf dem kalten Boden, hatten ihre Handys zu Taschenlampen umfunktioniert und schrieben Briefe an ihre Zukunft. Heisuke wollte nur zu gerne, aber er spitzte nicht, was die anderen schrieben, sondern konzentrierte sich ganz auf das, was er seinem eigenen zukünftigen Ich erzählen wollte – das überforderte ihn ohnehin schon genug.

 

Hey, Ich in der Zukunft!

 

Wie geht’s dir? Wie war die Uni in Tokyo? Hast du die Großstadt überlebt? Ich hoffe, du hast deine Freunde und Familie oft besucht! Wart ihr bei Sawauchi in Amerika? Wie ist es dort? Hat er es überhaupt bis dahin geschafft? Ich denke schon, dass er es schaffen wird.

Wenn du Kinder hast, hoffe ich für dich, du hast ihnen keine peinlichen Namen gegeben. Sie müssen doch ihr ganzes Leben damit ertragen!

Sind Oikawa und Iwaizumi immer noch so anstrengend? Hat Seijoh es mal in die Nationalmeisterschaft geschafft? Spielst du noch Volleyball? Wehe wenn nicht!

 

Minutenlang starrte Heisuke auf sein Papier hinunter, ohne recht zu wissen, was er noch schreiben sollte – dann schrieb er einfach alles auf, das ihm einfiel. Jeden dummen Gedanken, jede irre Anekdote, jedes Gefühl, das er nicht vergessen wollte, an das er sich selbst erinnern wollte, wenn er in wie vielen Jahren auch immer diesen Brief wieder lesen würde.

Als er schließlich auf- und sich umsah, sah er, dass auch die anderen noch über ihrem Papier brüteten. Sawauchi kaute auf dem Ende seines Stifts herum, Iwaizumi starrte sein Papier so grimmig an, als erwarte er, es würde sich alleine füllen, obwohl die dunklen Linien, die sich fast bis zum Ende zogen, zeigten, dass er schon einiges geschrieben hatte. Hanamaki und Matsukawa sahen nicht mehr ihre Papiere sondern einander an, und Heisuke fragte sich, wie viel in ihren Briefen sich wohl miteinander decken oder aufeinander beziehen und ergänzen würde. Ob sie in zehn Jahren noch immer so innig sein würden?

Bestimmt.

Kaneo tropfte Tränen auf sein Papier. Oikawas gerümpfte Nase und zusammengezogene Augenbrauen ließen auch ihn aussehen, als wollte er gleich losheulen – ein Drang, den Heisuke viel zu gut verstehen konnte. Der dicke Tränenkloß in seinem Hals ließ sich nur mit Mühe herunterwürgen.

 

 

Schließlich waren alle Briefe in Umschläge gesteckt, die Kiste gefüllt und verschlossen und ein kleines Loch unter dem Baum gegraben. Es war seltsam, sie mit Erde zu bedecken, bis nichts mehr davon übrig war. Es fühlte sich ein bisschen an, als hätten sie gerade ihre Vergangenheit zu Grabe getragen. Oder doch eher ihre Zukunft? Wie kompliziert!

 

„Das nächste Mal, wenn wir alle zusammen sind, sollten wir sie öffnen. Und noch mehr hineintun.“

Kaneos Stimme war so leise, dass Heisuke sie kaum hörte. Er lachte sanft, zog die Schultern hoch.

„Das klingt schön. Am Ende brauchen wir eine größere Kiste!“

Was Heisuke aber auch nur recht war. Er hörte Sawauchi ächzen, doch gleichzeitig legte der Kerl ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn kumpelhaft an sich.

 

„Das würde ja heißen, dass ich noch viel zu lange mit euch geschlagen bin.“

 

„Und du liebst es, Ucchi.“ – „Klappe, Shittykawa. Niemand liebt dich.“ – „Iwa-Chan!!!“

 

Heisuke liebte sie. Jeden einzelnen. Und er würde sie unglaublich vermissen, wenn er erst in Tokyo war. Aber wie sagte man so schön?

 

Die Liebe wuchs mit der Entfernung.

Is It Allright If I Keep Calling Out Your Names?

Es war noch stockdunkel, als Kaneo aufwachte. Leise kroch er unter der Decke hervor und stieg umständlich über die noch schlafenden Jungs auf dem Boden. Bis sie aufwachten, würde noch Zeit vergehen, da war er sich sicher; Kaneo selbst wäre viel zu gerne länger im Bett geblieben, aber er war viel zu aufgeregt, um zu schlafen.

Heute war sein Tag.

Und das war unglaublich gruselig. Er wusste genau, was er machen wollte, und er hatte keine Zweifel daran, dass es eine gute Idee war, und trotzdem konnte er den nervösen Klumpen in seinem Magen einfach nicht zum Verschwinden bringen. Es konnte alles nach hinten losgehen. Das Thema war ein schwieriges, aber es war Kaneo unglaublich wichtig, selbst wenn es nicht sein bezeichnendstes Hobby sein mochte.

Jemand regte sich, eine Decke raschelte. Kurz darauf hob sich Isseis unruhiger Haarschopf gegen den dunklen Himmel hinter dem Fenster ab. Kaneo sah Bewegung, ohne sie recht einordnen zu können, und nach einigen Augenblicken erhob Issei sich und stakste steifbeinig zu ihm hinüber.

„Ist es nicht zu früh, um wach zu sein?“

Isseis Stimme war noch ganz rau vom Schlaf. Es erinnerte Kaneo an ihre Trainingscamps und daran, wie sie immer viel zu früh morgens aus dem Bett gescheucht worden waren und wie schlaftrunkene Zombies durch die Unterkunft geschlurft waren. Besonders Tooru nach dem Aufstehen war unglaublich lustig – ungestylt, mit einem regelrechten Busch auf dem Kopf und schlafverkrusteten Augen, die nicht einmal halboffen bleiben wollten.

„Mh. Konnte nicht mehr schlafen.“

Issei schüttelte den Kopf, dann winkte er Kaneo, ihm zu folgen. Seite an Seite trotteten sie aus dem Zimmer und hinunter in die Küche. Kaneo machte sich aus Gewohnheit daran, Tee zu kochen – so ziemlich das einzige, das er in der Küche vollbrachte, ohne dass er Sorge haben musste, die Feuerwehr zu involvieren. Issei setzte sich an den Küchentisch, das Kinn in die Hände gestützt. Er grinste träge. Trotz drei Jahren, die sie miteinander verbracht hatte, konnte Kaneo in seinem Schlafzimmerblick immer noch viel zu selten lesen.

 

„Sendai, ne?“

Kaneo wusste sofort, worauf Issei hinauswollte. Er nickte und grinste schief.

„Miyakyoudai. Mittelschullehramt.“

„Du kannst immerhin Iwaizumi öfter besuchen.“ – „Vielleicht“, erwiderte Kaneo lachend, „Ich habe das Gefühl, der wird viel zu sehr mit Pauken beschäftigt sein. Glaubst du wirklich, er wird Tooru länger alleine lassen als nötig?“

Jetzt lachte auch Issei. Er schüttelte amüsiert den Kopf. Kaneo reichte ihm einen Teebecher, ehe er sich ihm gegenüber niederließ. Der Küchentisch war viel zu klein für sieben Personen, trotzdem würden sie sich gleich zum Frühstück wieder irgendwie um ihn herum quetschen.

„Und du wirst am Ende einfach keinen von uns in Frieden lassen, oder?“

Kaneo strahlte um seinen Teebecher herum.

 

„Niemals!“

 

 

Es war schon Mittag, bis sie fertig waren mit Frühstücken, Morgenduschen und Aufräumen. Als sie Heisukes Haus hinter sich ließen, hatten sie allesamt ihr Gepäck wieder bei sich – Heisuke ausgeschlossen, der es einfach zuhause ließ. Weil es unbequem war, mit den riesigen Rucksäcken zu radeln, und weil es eine gute Möglichkeit war, sich aufzuwärmen, beschloss Kaneo, dass sie nun bei jedem von ihnen vorbeifahren und Gepäck abladen würden.

Eigentlich hatte Kaneo sich die Zeit vor seinem Termin ein bisschen anders vorgestellt, aber er war völlig zufrieden, wie es war. Diese Radtouren waren lustiger, als er ursprünglich erwartet hatte – und vor allem weit friedlicher, was sie nur noch angenehmer machte.

 

Mit allem Hin und Her kamen sie so im Grunde perfekt pünktlich an ihrem Zielort an: eine kleine, öffentliche Sporthalle in einem der Nachbarkäffer. Sie war winziger, als Kaneo erwartet hatte, kleiner als die Sporthalle, die zu ihrer Schule gehörte, aber sie war mehr als allemal genug für das, was sie vorhatten.

Zufrieden kettete Kaneo sein Rad am Fahrradständer fest, sah zu, wie die anderen Jungs es ihm gleichtaten. Als sie fertig waren, stemmte Tooru die Hände in die Hüften und sah mit einem Stirnrunzeln skeptisch zu ihm hinüber.

„Was wird das, Yudacchi?“

Er sah nicht begeistert aus. Kaneo zog die Schultern hoch und reckte das Kinn vor.

„Volleyball. Ich hab ein Team aus der Gegend gefunden, das sich bereiterklärt hat, gegen uns zu spielen. Weil–“

Er brach ab, spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen, und obwohl es peinlich und dumm war, machte er sich nicht die Mühe, sie zu unterdrücken. Lieber konzentrierte er sich darauf, dass seine Stimme halbwegs tauglich blieb und er nicht über die Worte stolperte, die in seinem Kopf schon wild durcheinander wirbelten.

 

„Weil wir, in diesen drei Jahren, die wir zusammen waren, nie alle zusammen auf dem Spielfeld gestanden haben.“

 

Kaneo machte sich auch gar keine Illusionen, wieso das so war – so sehr er sich angestrengt hatte, er war nie auf das Level gekommen, das es brauchte, um in die Startaufstellung von Seijoh zu kommen. Motomu war, in seiner Position als Mittelblocker, einfach immer von größeren Spielern übertrumpft worden, und Heisuke ging es wohl ähnlich wie Kaneo selbst. Issei und Takahiro waren auch erst in ihrem zweiten Jahr in die Startaufstellung gekommen.

Selbst in teaminternen Trainingsmatches waren sie immer auf beiden Seiten des Spielfelds verteilt gewesen.

Obwohl sie ein Team waren, und enge Freunde obendrein, hatten sie nie alle zusammen gespielt. Und natürlich, das hatte Kaneo nie gestört, schließlich hatte es Priorität, dass das Team sein größtmögliches Potential ausschöpfte, aber jetzt, so kurz davor, dass sich ihre Wege trennen würden… Wieso nicht? Es ging doch auch nicht um Sieg oder Niederlage, es ging einfach nur darum, dass Kaneo einmal mit diesen Jungs, die über die letzten Jahre hinweg seine engsten Freunde geworden waren, auf dem Spielfeld stehen wollte.

 

„Yudacchi…“

 

Tooru sah nicht mehr unbegeistert aus, sondern gerührt. Es war selten, so viel ehrliche Regung auf seinem Gesicht zu sehen, und es trieb Kaneo noch mehr Tränen in die Augen – Heisukes hilflose Grimasse erzählte ebenfalls von ungeweinten Tränen.

„Wir werden in dieser Aufstellung ganz schön verkacken“, kommentierte Takahiro völlig ungeniert, ruinierte die Stimmung damit, doch eigentlich war Kaneo froh darum, dass seine Worte Tooru wieder zur Empörung trieben und damit eigentlich die ganze Gruppe wieder zum Lachen.

„Werden wir nicht, Makki, immerhin habt ihr mich.“ – „Wir haben nicht einmal einen Libero, Oikawa“, gab Hajime völlig unbeeindruckt zurück. Einen langen Moment herrschte Stille nach dem Einwurf. Selbst Tooru blinzelte ratlos. Kaneo hatte natürlich schon darüber nachgedacht. Sie waren zu siebt, die perfekte Anzahl um eine volle Aufstellung samt Libero zusammen zu bekommen – nur, dass keiner von ihnen dazu ausgebildet war.

„Ich mach das“, erklärte er entschlossen.

Auch wenn das hieß, dass seine Zeit auf dem Spielfeld begrenzt sein würde, Kaneo fand, das war fair. Er hatte diese ganze Sache schließlich angezettelt, also war es seine Verantwortung, dass sie funktionierte. Tooru sah ihn forschend an, dann nickte er schließlich.

„Deshalb hast du in letzter Zeit so exzessiv deine Annahmen trainiert.“

 

Kaneo bestätigte ihn nicht, aber das brauchte er auch gar nicht – natürlich hatte Tooru Recht, und natürlich wusste Tooru das auch schon längst.

 

 

Das Team, das Kaneo nach langem Telefonieren und Herumfragen gefunden hatte, war eine Gruppe aus Mittdreißigern, die sich zu einem Nachbarschaftsverein zusammengeschlossen hatten. Sie spielten nicht gut, nach eigener Aussage, weil sie allein durch ihr Berufsleben nicht mehr genug Zeit in den Sport investieren konnten. Aber sie waren nette Menschen, herzlich und voller Begeisterung für Kaneos Anfrage, und als Kaneo ihnen nun gegenüberstand, waren sie ihm auf Anhieb sympathisch.

Ein paar der Herren hatten schon kleine Bäuche angesetzt, und selbst Kaneo konnte nicht davon ausgehen, dass sie wirklich eine Herausforderung sein würden, aber er war völlig zufrieden, dass sie freundlich empfangen wurden.

„Wenn wir hier verlieren, sollten wir uns wirklich alle schämen“, verkündete Motomu grinsend nach allen Begrüßungshöflichkeiten, als sie sich in eine Ecke der Halle zurückzogen, um sich aufzuwärmen.

„Wenn wir verlieren“, fügte Takahiro völlig überzeugt hinzu, „Wird Oikawa uns zum Essen einladen.“ – „Wieso immer ich?!“

„Muss an deinem Gesicht liegen, Fishykawa. Und nun hör auf zu jammern und fang an, dich aufzuwärmen.“

Natürlich hörte Tooru nicht auf zu jammern, und natürlich störte das am Ende auch eigentlich niemanden wirklich. Es war vertraut, und Kaneo, während er darüber lachte, wie Hajime Tooru wieder einmal durch die Mangel nahm, konnte nur daran denken, wie sehr er das alles hier vermissen würde, wenn das Schuljahr erst vorbei war.

 

Obwohl es kein Match war, das irgendeine Wichtigkeit hatte, war die Atmosphäre vor dem Spiel nicht weniger ernst, als würden sie gerade um einen Platz in der Nationalmeisterschaft spielen.

Kaneo würde es niemals laut sagen – wahrscheinlich sah man es ihm sowieso am Gesicht an –, aber er war nervös. Außerhalb von simplen Trainingsspielen hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr auf dem Spielfeld gestanden. Seit dem zweiten Jahr in der Mittelschule, um genau zu sein, wo ihm schließlich ein Erstklässler den Rang abgelaufen und seinen Platz in der Startaufstellung eingenommen hatte.

Sie standen zusammengerottet auf ihrer Seite des Spielfeldes, und Kaneo kannte den Anblick zur Genüge, hatte ihn oft genug von der Bank aus gesehen. Aber jetzt hier zu stehen war einfach anders.

Es war ein bisschen tröstlich, dass Heisuke aussah, als würde er sich gleich übergeben, wenn sie noch länger so hier stehen blieben.

„Also gut.“

Toorus Stimme riss Kaneo aus seinen Gedanken und er wandte den Blick von Heisuke ab und seinem Captain zu. Toorus Gesicht hatte diesen besonderen Ausdruck angenommen, den er immer fürs Volleyballspielen reservierte: Eine Mischung aus Selbstvertrauen und versteckter Drohung. Es war etwas anderes, diesem Blick gegenüberzustehen, wenn man nicht auf der Bank saß.

„Ich verlasse mich auf euch – wie immer.“

Es war Drohung und Sicherheit in einem, und sehr zu Kaneos Erstaunen war es vor allem – hilfreich. Er spürte, wie seine angespannten Schultern sich lockerten und Ruhe die vorherige Nervosität ablöste. Heisukes Gesicht sah nicht mehr halb so grün aus. Hajime grinste, als er sich dem Spielfeld zuwandte.

 

„Machen wir sie fertig.“

 

 

Sie gewannen.

Mit Abstand, und obwohl von vornherein feststand, dass sie gewinnen würden, gab es keine Sekunde, die sie nicht ernsthaft spielten. Es war ein dummer Gedanke, aber Kaneo kam es so vor, als hätte er selten ein intensiveres Spiel gesehen.

„Aaaah, wir sind einfach die Besten!“, verkündete Tooru herzlich lachend. Er kassierte einen Schlag auf den Hinterkopf von Hajime, „Komm runter von deinem hohen Ross. Das war keine herausragende Leistung!“

Spaß gemacht hatte es trotzdem, und Kaneo war stolz auf ihre Leistung. Hajime, im Stillen, war es wahrscheinlich auch, zumindest sah er nicht halb so verärgert aus, wie er es hätte sein können – nicht einmal die Falte zwischen seinen Augenbrauen war sichtbar. Während sie zu ihrer Bank zurücktrotteten, um etwas zu trinken, lief Tooru zu ihren Gegnern hinüber. Einen Moment überlegte Kaneo, ob er wohl nur hinüberlief, um sie zu verspotten, aber im Gegensatz zu so manch anderer Situation sah Tooru nicht im Geringsten schadenfroh aus. Einfach nur glücklich.

Es war ein schöner Anblick, der in den letzten Jahren viel zu selten geworden war.

 

„Ich war skeptisch“, brummte Hajime. Kaneo blickte verdutzt zu ihm. Er hatte gar nicht gemerkt, wie der Andere neben ihn getreten war. Sein Blick lag auf Tooru, als er blindlings eine Wasserflasche zu Kaneo herüberreichte.

„Mh. Ich auch. Aber… Ich wollte. Einmal. Es war die letzte Chance hier.“

Er hatte Mühe, die Tränen wieder runterzuschlucken, aber irgendwie klappte es und es blieb bei einem einzigen, kümmerlichen Schniefen. Neben ihm blieb es still. Tooru und Volleyball, das war ein schwieriges Thema, schon seit viel zu langer Zeit, und es hatte Kaneo hadern lassen, ob er seinem ersten Impuls wirklich folgen sollte. Er hatte natürlich Sorge gehabt, dass es die Stimmung ruinieren würde, dass es all die bitteren Gefühle zurückbringen würde, die von den Vorrunden der Frühlingsmeisterschaft zurückgeblieben waren, aber am Ende war es ihm wichtiger gewesen, mit seinen Freunden gemeinsam diese Erfahrung zu machen, als krampfhaft auf Toorus Seelenheil zu achten.

Es war doch nur gut, wenn er positive Volleyballerinnerungen machte, um die bitteren zu übertünchen, nicht wahr?

Tooru lachte, während er gestikulierend mit ihren Gegnern sprach. Auf der Bank saßen Issei und Takahiro nebeneinander und grinsten still in sich hinein, niemanden und nichts so recht anblickend und beide in ihrer eigenen Welt versunken, aber beide unübersehbar zufrieden. Motomu und Heisuke scherzten, zogen sich gegenseitig damit auf, was für peinliche Fehler ihnen während des Spiels passiert waren, und Heisukes Gesicht leuchtete schon längst in grellstem Tomatenrot.

„Wir sollten das öfter machen.“

Kaneos Mundwinkel zuckten. Als er zur Seite blickte, sah er, dass Hajime lächelte, kaum ein Heben seiner Mundwinkel, aber es lag so viel Glück und Liebe darin, während er Tooru beobachtete, dass es Kaneo den Hals zuschnürte und neue Tränen in seine Augen schossen.

 

„Iwa-Chan! Yudacchi!“

 

Ehe Kaneo etwas erwidern konnte, kam Tooru angelaufen, seine Augen strahlten in kindlicher Begeisterung.

„Kanejima-San sagt, wir können jederzeit wiederkommen, um gegen sie zu spielen! Sei das morgen oder in zehn Jahren!“

Für einen viel zu langen Augenblick konnte Kaneo ihn nur anstarren. Dann lachte Hajime bellend und schlug ihm kumpelhaft – und viel zu fest! – zwischen die Schultern. Er strauchelte, doch ehe er auf die Nase fallen konnte, hatte Hajime ihn am Unterarm gepackt und wieder in einen geraden Stand gezogen.

 

„Es war eine gute Idee, Kaneo.“

 

 

Ein paar Minuten später hatte Tooru seine großen Neuigkeiten dem ganzen Team berichtet. Es verwunderte Kaneo nicht, dass zur Abwechslung einmal niemand meckerte. Stattdessen wurden Pläne geschmiedet – bessere Taktik, was man bis dahin gezielter trainieren wollte, und alles in einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es sich so anfühlte, als würden sie einfach ewig so weitermachen können.

 

Und auch, wenn Kaneo wusste, dass es nicht so war, für den Moment wollte er sich der Illusion hingeben, dass bis Montag! ein für immer wirksamer Zauberspruch bleiben würde.

Curtain Call

Als sie schließlich, spät am Abend, fahrradschiebend durch die dunklen Straßen liefen, spürte Kaneo schon, wie der Alltagstrott langsam wieder Einzug hielt.

 

Schule. Lernen. Clubaktivitäten. Tooru jammerte, weil er so viel Training verpasst hatte, aber er klang genauso halbherzig dabei wie Motomus Klage über die verpassten Hausaufgaben. Issei verkündete ganz unbekümmert, dass ihn weder das eine, noch das andere wirklich störe. Und die Abschlussprüfungen konnten ihm sowieso gestohlen bleiben, er brauchte sie immerhin nicht. Er kassierte dafür einen Schlag von Takahiro.

Es war alles wie immer, aber es hatte sich trotzdem alles verändert.

Das Thema Zukunft blieb nicht totgeschwiegen. Obwohl es schwer wog, und obwohl Kaneos Herz davon krampfte, er fühlte sich trotzdem viel, viel leichter, weil Takahiro und Issei jetzt Pläne schmiedeten, einander zu besuchen, und weil Tooru lautstark klagte, weil „Iwa-Chan mich viel zu selten besuchen wird!“, und weil Heisuke versprach, bei jeder sich bietenden Gelegenheit E-Mails und Nachrichten und Briefe zu schicken. Motomu lachte und kommentierte, dass Heisuke sich benahm wie ein altes Großväterchen, wenn er Briefe verschicken würde und brachte ihn damit zum unzähligsten Mal an diesem Tag zum Erröten.

 

Gleich würden sie die Ecke erreicht haben, an der sie sich in verschiedene Richtungen trennen würden. Takahiro und Issei gemeinsam, Tooru und Hajime gemeinsam, Heisuke, der arme Kerl, würde alleine weitergehen müssen, während Motomu noch ein gutes Stück Weg gemeinsam mit Kaneo zurücklegen würde. Gleich würden sie stehen bleiben, sich lachend und voll guter Laune voneinander verabschieden.

„Bis Montag!“

Montag würde kommen. Noch einmal. Noch zweimal. Irgendwann würde es vorbei sein, und inzwischen war Kaneo sich sicher, dass ihr Abschied am Ende des Schuljahres keine reflexartige Lüge von gewohntem Alltagstrott mehr sein würde, sondern ein viel schwerer wiegendes, unbestimmtes „Bis bald!“, aber es war okay.

 

Es war kein Abschied für immer.

 

Sie würden sich wiedersehen, vielleicht nicht morgen, vielleicht nicht in ein paar Wochen, aber sie würden in Kontakt bleiben, und irgendwann wieder auf einem Haufen stehen. Und dann würden sie weitermachen, wie sie aufgehört hatten. Würden wieder scherzen und blödeln, und auch wenn dann lange nicht mehr alles so sein würde wie früher, sie wären immer noch Freunde und würden immer noch zusammengehören.

Und immerhin. So verstreut, wie sie endeten, würden ihnen die Gesprächsthemen nie ausgehen. Es würde doch immer etwas zu erzählen geben. Selbst wenn sie sich wöchentlich sehen würden, und nachdem sie sich absehbar höchstens alle Monate mal zusammenfinden würden, brauchten sie sich wohl nie Sorgen darum zu machen, dass sie sich mal nichts mehr zu erzählen hatten.

 

 

„In sieben Jahren machen wir das wieder“, beschloss Kaneo, als sie schließlich endgültig an der Kreuzung standen, die das Ende ihres Sieben-Tage-Abenteuertrips markierte – und den Anfang ihrer auseinanderführenden Wege.

Sechs Gesichter blickten ihn in einer Mischung aus Skepsis und Neugier an. Sechs Gesichter, die in den letzten Jahren so vertraut für Kaneo geworden waren, und unwillkürlich fragte er sich, ob sie das nächste Mal, das sie sich sahen, wenn das Schuljahr erst vorbei war, noch immer so vertraut sein würden. Er schluckte, schluckte Tränen und alle dummen Gedanken herunter, dann grinste er wacklig.

„Und dann sieben Jahre später wieder. Und sieben Jahre später–“ – „Wir haben verstanden“, unterbrach Takahiro, und er grinste, dreist und vertraut. Er warf einen Blick zu Issei, der genauso dreist grinsend neben ihn trat und ihm lose einen Arm um die Schultern legte, „Und irgendwann sind wir alt und grau und alles, was uns noch einfällt, sind atemberaubend spannende Bingo-Spiele in der Altenheim-Mensa.“

Takahiro lachte, und es dauerte keine Sekunde, bis Motomu einstimmte, während Tooru lieber lautstark darüber jammerte, dass er nicht alt und grau werden wollte – „Aber immerhin werde ich immer schöner bleiben als Iwa-Chan!“

Seine Worte brachten ihm einen Schlag auf den Hinterkopf ein. Es war so vertraut wie verrückt, und Kaneo spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen, obwohl er lachte, vielleicht gerade weil er lachte, und kurze Zeit später war die Stille des späten Abends durchbrochen von siebenstimmigem Lachen und Schluchzen, nur beleuchtet von einer einsamen Straßenlaterne, die ewig Zeuge ihres albernen Versprechens bleiben sollte.

 

 
 

„Bis Montag!“
 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (26)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-17T16:25:25+00:00 17.04.2017 18:25
*schnief*
All these feels. 
Es war bittersüß und traurig und doch schön! Ich habe eine jede Zeile genossen und ich hoffe doch, dass sie den 7 Jahresplan einhalten und immer wieder diese Tradition aufleben lassen! Auch wenn man das vielleicht nicht bei dir hier lesen wird. Aber ich stelle es mir nun in meinem Kopf so vor! Basta!
Alles in allem wirklich ein gelungenes Meisterwerk!
*lässt ganz viel Aoba Johsai Liebe da*
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-17T16:20:40+00:00 17.04.2017 18:20
Hach! Es geht auf das Ende zu. Aber da hatte Yuda wirklich eine tolle Idee! Es war schön zu lesen wie sie nun doch noch einmal alle zusammen auf dem Spielfeld gestanden haben und es bricht einem nun fast das Herz, dass es vorerst das letzte Mal in dieser Konstellation war. Aber ich hoffe wirklich, dass sie Jahre später noch mal zusammen kommen und gemeinsam spielen werden!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-17T15:14:38+00:00 17.04.2017 17:14
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es zu siebt im Purikura Automaten sehr eng ist. Aber mal eine Frage: Wer hat wo was im Schritt?! | D
 
Heisuke wusste schon, wieso er Kaneo so sehr liebte.!!!!!!
 
 
Das mit dem Sandburgen bauen war einfach herrlich! Es war echt schön wie du so viele kleine Details eingebaut hast. Die zweckentfremdeten Utensilien, das Singen/ Pfeifen von Mattsun und Makki…
Und dann auch noch die Zeitkapsel! Das war auch wunderschön! Und du musst eine Fortsetzung machen, wo die dann de Zeitkapsel hoch holen und man sehen kann, wer seine Ziele erreicht hat und wer nicht! Einfach weil Liebe! <3
 
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-17T14:47:29+00:00 17.04.2017 16:47
Oikastrophen!
 
Herrlich! Dass Oikawa in das Observatorium wollte, war wenig überraschend! Es passt einfach zu ihm und hat mir sehr gut gefallen! Und ich fand es herrlich wie er mit seinem astronomischen Wissen glänzen durfte (Und ich etwas von ihm lernen durfte <3)
Es war auch total süß wie sie dann nun die Pläne über Bord geworfen haben um dann Nachts richtige Sterne anzuschauen und mit Oikawa Aliens jagen gegangen sind. ( Soviel dazu, dass er das ja nicht mehr macht! )
 
„Ich hab einen besten Freund gefangen!“
 
So rührend! Und dann noch die letzte Konversation zwischen den Beiden. *schnief*
Bis dato ist das mein Lieblingskapitel! >o<
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-16T15:20:57+00:00 16.04.2017 17:20
QWQ
MAKKI!!! MATTSUUUUN!!! 
Das Ende bringt mich um...
Aber weiter im Text.

*räusper*
My inner Makki approves of this chapter!
 
Es passt voll gut zu Makki und ich freue mich wirklich, dass du den Vorschlag mit dem Karaoke umgesetzt hast <3
Und dann auch noch für Hanamaki =D
Es war schön zu sehen wie sich jeder beim Shoppen für etwas anderes begeistern konnte - ich persönlich wäre wahrscheinlich mit Sawauchi zusammen in einem Buchladen gelandet. Und wieder sind mir die besonderen  Yuda und Shido Interaktionen aufgefallen! *gg*
Besonders hat mir auch die Szene mit dem Karaoke gefallen. Und oh Schock! Iwa-chan kann ja doch singen! Das Ende hingegen war Schmerzhaft. Weil bevorstehende räumliche Trennung von Mattsun und Makki. Es tut mir in der Seele weh zu sehen, dass sie nicht mehr in einer Stadt sein werden!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-16T15:11:31+00:00 16.04.2017 17:11
Muss ich mir Sorgen machen, wie das dann wird, wenn die sieben erst wirklich mit dem Autofahren angfangen? XD
Weil nachdem, was du hier beschrieben hast, sind ja einige sehr hoffnungslose Fälle vorhanden! 
Auf jeden Fall hat die Arkade sehr gut zu Mattsun gepasst und die Auswahl von den Plüschis war einfach hinreißend! Bekommt dann jeder der kleinen Kuscheltiere denn auch einen eigenen Namen?
 
Und die Vorstellung, dass Mattsun dann bald schon Besuch von den Jüngeren bekommt. Wird er dann zu einem Coach Ukai 2.0? Zukünftiger Coach von der Aoba Johsai?=D
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-16T11:06:31+00:00 16.04.2017 13:06
Und hallo zu Iwa-chans POV! 
Das mit dem Käfersammeln hat so gut zu ihm gepasst. Weil er hat das in der Kindheit sicher oft getan. Zumindest sieht man das ja auch immer oft genug Fanarts. Und dass Oikawa davon auch nicht begeistert ist... Es wundert mich nicht! Die kleine Anekdote über ihre Kindheit fand ich auch perfekt eingearbeitet! Besonders dass Oikawa den Käfer mit dem Volleyball zermatscht hat! XD Man merkt sehr gut, dass er vom Käfer Sammeln keine Ahnung hat! Deswegen kann er ja auch nur ein Stück Rinde als Käfer finden XDD
 
Auch die Szene mit dem ach war sehr amüsant und während dem erneuten Lesen ist mir nun gerade immer mehr aufgefallen, dass du Yuda und Kaneo sehr oft im Doppelpack genannt hast! Gib zu! Da steckt mehr hinter ;P
 
Das Ende mit dem Schlafen / bzw Nicht - Schlafen fand ich auch sehr süß! Und dass Iwa-chan für Oikawa Sportmedizin studieren wird war voll niedlich! Einfach toll!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-16T10:40:48+00:00 16.04.2017 12:40
Ich finde es besonders gut, wie du in jedem Kapitel den Fokus auf einen anderen der sieben Third Years setzt! Auch wenn ich natürlich immer noch Probleme mit den Namen hatte. Aber inzwischen ist das beim zweiten Durchgang wesentlich besser geworden! 
Die Idee mit dem Survival Camp fand ich sehr gut! Und die Umsetzung erst! Dass Oikawa nicht begeistert von Campen ist, kann ich nur allzu gut verstehen! Es ginge mir sicherlich nicht anders! Aber dass keiner von den Jungs dazu in der Lage ist ordentliches Essen ist genau so zu erwarten wie amüsant. (Zumindest für den Leser!)
Und was ich an diesem Kapitel auch besonder lustig fand, ist war der Anfang - wie Ucchi einfach mal die Hausaufgaben macht, die er eigentlich nicht machen müsste. Dieser kleine Hinweis war einfach köstlich. Es ist immer wieder toll, wie du mit so kleinen Randbemerkungen eine Geschichte ausfüllst und zum Leben erweckst!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-16T10:03:42+00:00 16.04.2017 12:03
Es ist ja schon ein weilchen her, dass ich dieses Kapitel zum ersten Mal am Tablet gelesen habe...
*hust*
Hier endlich die Rückmeldung =3
 
Ich mag es wie du die Dynamik zwischen den sieben beschreibst! Auch wenn ich am Anfang echt Probleme hatte die 3 Babies auseinander zu halten. Ich musste regelmäßig im Internet nach den dazugehörigen Bildern suchen um einen Überblick zu haben, wer denn wer ist. Ein Überblick in den Charakteren wäre praktisch gewesen XD
Und nach dem raschen Lesen ging es schnell zu dem ersten Katastrophentag von der Woche. Zumindest bei mir Lesetechnisch. ='D
Also hat der Prolog schlichtweg nach weiterlesen geschrien!
Von:  Kim_Seokjin
2017-04-07T19:42:51+00:00 07.04.2017 21:42
Damit der arme Yuda nicht ohne Kommentar bleibt, kommt er endlich. <3

Ich kann ihn wirklich sehr, sehr gut verstehen, dass er aus Aufregung schon wach ist. Es ist nun endlich sein Tag. Er hatte die Idee zu dem Ganzen, hatte alles organisiert und Co.
Das ist Issei als Nächstes wach geworden ist, hat mich gefreut. Ich stelle mir einen verschlafenen Issei irgendwie sehr sympathisch vor. <3
Und Yuda wird sie niemals in Ruhe lassen und DAS ist verdammt gut so. Nachher würden sie noch den Kontakt verlieren und so etwas sollte nicht passieren!
Ich weiß noch genau, als ich das Kapitel beim ersten Mal gelesen habe, war ich mega skeptisch. Ich hatte Angst, dass das Spiel vielleicht nach hinten losgehen würde. Hätte ja dank Oikawa passieren können. Umso mehr habe ich mich natürlich gefreut, dass es nicht so war. Und noch mehr, dass sie endlich einmal alle zusammen auf dem Platz spielen können. <3
Ich hoffe, dass sie das Angebot von Kanejima-San irgendwann annehmen und wirklich noch mindestens einmal wahr nehmen! <3


Zurück