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Niffler and Where to Find Them

von

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Der junge Mann verharrte regungslos auf dem Gehsteig gegenüber des Flatiron Building und atmete einmal tief ein und wieder aus. Die Morgenluft, noch feucht von den Schauern der vergangenen Nacht, belebte ihn, erfüllte ihn regelrecht mit Tatendrang.

Percival Graves war früh aufgestanden an diesem 1. September 1904. Früher, als seine Familie es von ihm gewohnt war, denn heute war ein wichtiger Tag für ihn. An diesem Donnerstag sollte also seine Karriere als Auror beginnen.

Vergangene Nacht hatte er eher schlecht geschlafen, was er achselzuckend auf seine Nervosität geschoben hatte. Zwar wusste er bestens Bescheid über den Beruf, den er gewählt hatte. Schließlich waren sowohl seine Eltern, Richard und Violet Graves, als auch sein älterer Bruder Raymund, Auroren. Trotzdem war es ein ihm unbekanntes Gefühl, plötzlich in solch große Fußstapfen treten zu müssen. Weshalb er irgendwann um drei Uhr morgens aufgestanden und auf leisen Sohlen durch das elterliche Anwesen geschlichen war, um sich für seinen ersten Arbeitstag fertig zu machen.

Percivals Vater hatte das Haus in Kings Point erworben, als der MACUSA von Washington nach New York umgesiedelt war. Damals hatte Percival sechs Lenze gezählt. Über die Jahre entwickelte es sich zu einer ansehnlichen Villa mit beachtlichem Garten, die zwar verglichen mit dem Herrenhaus eines J. P. Morgan wie eine Hundehütte wirkte, die ihre Bewohner jedoch trotzdem als Mitglieder der gehobenen Klasse New Yorks auswies.

Die Bodendielen hatten bei jedem seiner Schritte geknarzt, gerade so, als ob sie ihn an seine Eltern hatten verraten wollen. Erst in der Küche, die er zu selten aufsuchte, um sie wie seine Westentasche zu kennen, hatte Percival sich sicher gefühlt. Der Korkboden dämpfte seine Schritte so weit, dass die Bohlen darunter kein Geräusch von sich gaben.

Der angehende Auror hatte etwas suchen müssen, ehe er einen Kochtopf, seine Lieblingstasse und den Tee gefunden hatte. Mit einem plumpen Incendio-Zauber hatte er im Handumdrehen Wasser zum Kochen gebracht. Etwas zu Essen zu finden, war da schon schwieriger. Percival hatte es vorgezogen, wie ein Dieb nach Brot, Eiern und Speck zu suchen, statt alles aus den Schränken hervor zu zaubern und dabei vielleicht seine Eltern aufzuwecken. Sie würden ihn nicht mehr in Ruhe lassen. Eine halbe Stunde später saß er am Arbeitstisch und versuchte, verkrüppeltes Rührei und verbrannten Speck so gut es ging hinunter zu würgen. Nur das Brot mit Butter drauf war essbar.

Percival schauderte, als er daran zurückdachte und beschloss, den elterlichen Hauselfen einmal über die Schulter zu schauen, wenn sie kochten. Vorausgesetzt natürlich, er konnte sie dazu bringen, ihn in der Küche zu dulden. Über das Chaos, das er dort hinterlassen hatte, waren sie bestimmt schon gestolpert.

Er atmete noch einmal tief ein und überquerte dann die 5th Avenue, auf der noch Pfützen zwischen einzelnen Pferdeäpfeln schimmerten. Am Zentraleingang des markanten Flatiron Building stand ein als NoMaj-Polizist verkleideter Zauberer. Percival ging sicheren Schrittes auf den Mann zu und zeigte ihm seinen Ausweis.

„Guten Morgen, Mister Graves. Sie kommen schon so früh am Morgen?“

„Der frühe Vogel fängt den Wurm, hab ich mal gehört.“

Der Zauberer-Türsteher sah ihn verwirrt an.

„Ich hatte ja erwartet, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder kommen ...“

Percival erwiderte den Blick seines Gegenübers gelassen. Er hatte eine solche Frage kommen sehen. Vermutlich würden noch so einige seiner neuen Kollegen diese Frage stellen.

„Wir leben getrennt.“

Der Auror machte sich in Gedanken eine Notiz, sich noch einmal wegen einer eigenen Wohnung oder vielleicht sogar einem Haus umzuhören. Die neuen Kollegen mussten ja nicht wissen, dass er derzeit noch zu Hause residierte. Zu Hause wohnen war allenfalls noch etwas für seinen kleinen Bruder, Edric, der derzeit aber an der Zauberschule Ilvermorny lebte.

„Wollen Sie mich nicht rein lassen?“, fragte Percival, bevor der Mann eine weitere Frage stellen konnte.

„Entschuldigen Sie!“

Der Zauberer beeilte sich, ihm die Pforte zu öffnen. Aus den Augenwinkeln nahm Percival wahr, dass der Daumen des Mannes sanft über das Gelenk des Türgriffs glitt, an dem sich ein magischer Mechanismus befand. NoMajs würden weiterhin zu den Restaurants und Läden im Erdgeschoss oder den Firmenbüros in den oberen Stockwerken gelangen. Doch betätigte der Portier den kaum sichtbaren Knopf, betraten Hexen und Zauberer das Hauptquartier des Magischen Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika, oder kurz MACUSA.

Percival trat über die Schwelle. Wie schon auf den Straßen New Yorks war das Treiben überschaubar. Die Rezeption war mit zwei jungen Hexen besetzt, wovon ihn eine misstrauisch anstarrte. Der Auror starrte einen Moment lang zurück und wandte sich dann ab. Percival wusste genau, wo er hinmusste. Zielsicher ging er auf die Aufzüge zu und hörte dann eilige Schritte, die ihm folgten. Gelangweilt drückte er auf den Knopf.

„Mister! Wo wollen Sie denn hin?“, meint eine Frauenstimme hinter ihm.

Er drehte sich gemächlich um. Die Hexe, die ihn eben gemustert hatte, stand vor ihm. Sie reichte ihm gerade bis zu den Schultern und sah ihn aufgebracht an.

„Zur Abteilung für Magische Strafverfolgung!“

„Na hören Sie mal, Sie müssen sich vorher bei uns anmelden!“

Percival zückte erneut seinen Ausweis. Jeder weitere Protest blieb der Hexe im Hals stecken. Der Auror beachtete sie nicht weiter und drehte sich wieder um, als ein melodischer Glockenton die Ankunft des Aufzugs verkündete. Jemand im Inneren der Kabine schob die beiden Aufzuggitter auseinander.

„Guten Morgen, Sir!“

„Guten Morgen!“, erwiderte Percival den Gruß des Aufzugswärters höflich.

Der Mann, der den wohl einfachsten Job beim MACUSA hatte, war bisher der Einzige, der seine Anwesenheit nicht in Frage stellte.

„Zum Büro der Abteilung für Magische Strafverfolgung, bitte.“

„Sehr wohl!“

Der Aufzugwärter verschloss die Gittertüren wieder. Percival grinste der Empfangshexe, die immer noch auf dem Gang stand und ihn erschrocken anschaute, selbstsicher zu. Zugegeben, mit seinen knapp 20 Jahren wirkte Percival nicht wie ein Vollblutauror. Eher noch wie jemand, der noch mitten in der Ausbildung zum Auror steckte. Viel harte Arbeit und Fleiß, auch während der Wochenenden, und sicher auch der Einfluss seiner Familie hatten ihm ermöglicht, die Ausbildung in Rekordzeit und mit dem besten Ergebnis des Jahrgangs abzuschließen.

Die Aufzugskabine glitt in die Tiefe. Der Wärter ignorierte ihn höflich, Percival ignorierte seinerseits höflich den Aufzugwärter und blickte stattdessen an die Stockwerksanzeige. Der einem Zauberstab nachempfundene Zeiger schob sich von der Null gemächlich nach links. Sie fuhren in den Keller.

Der Auror hoffte, dass der MACUSA nicht mehr lange im Flatiron untergebracht sein würde. Das Gebäude bot inzwischen einfach viel zu wenig Platz für die zahlreichen Abgeordneten, die Verwaltung und die Abteilung für Magische Strafverfolgung, der die Auroren angehörten. Andere wichtige Abteilungen des Kongresses waren gar in ganz anderen Städten der Vereinigten Staaten von Amerika beheimatet. Eine Folge des Sasquatch-Aufstands von 1892.

Von seinem Vater wusste Percival, dass MACUSA-Präsident Peyton Jefferson eine Baufirma hat infiltrieren lassen, die derzeit an einem Wolkenkratzer arbeitete. Doch Graves senior hatte nicht mehr erzählt, als Percival nachgefragt hatte, und ihn aus seinem Studierzimmer gescheucht.

Die Glocke erklang, der Aufzug war im dritten Untergeschoss angekommen.

„Abteilung für Magische Strafverfolgung“, verkündete der Aufzugswärter überflüssigerweise und schob die Gittertüren auf. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sir.“

„Ebenso.“

Percival trat auf den Gang hinaus, während sich der Aufzug hinter ihm wieder rumpelnd in Bewegung setzte. Die Luft hier unten war stickig und trocken, was nicht zuletzt an dem nur rudimentär vom ersten Kellergeschoss kopierten Lüftungssystem lag. Die Stockwerke darunter waren seinerzeit eiligst mit einem Raumausdehnungszauber angelegt worden. Percival wusste, dass der Präsident des MACUSA sein Büro im obersten Stockwerk hatte.

„Was für eine Verschwendung ...“

Er wandte sich nach rechts und ging den Gang entlang. Die Abteilung der Auroren lag am hintersten Ende, genau dort, wo das Gebäude sein markantestes Merkmal hatte. Percival hatte sich immer gefragt, warum man den Grundriss auch für die Kellergeschosse übernommen hatte. Vermutlich hatte sich hier ein kreativ angehauchter Magier ausgetobt.

Percival legte die wenigen Schritte zur Flügeltür zurück, die den Eingang in einen neuen Lebensabschnitt markierte, und blieb davor stehen. Endlich war er am Ziel. Sobald er die Schwelle überschritt, würde er ein vollwertiger Auror sein. Percival seufzte und trat ein. Und stockte.

An einem der Schreibtische brannte Licht, davor erhob sich ein dunkler Schatten, der sich nun erhob.

„Du bist früh dran ...“, kommentierte der Schatten.

„Raymund!“

Sein Bruder kam gemächlich auf ihn zu.

„Hat dich die Nervosität aus dem Bett getrieben?“, fragte der Ältere.

„Ich bin nicht nervös!“

„Nein, natürlich nicht. Du siehst nur so aus, als hättest du einen Geist gesehen. Hast du?“

„... Vielleicht“, konterte Percival.

Er fühlte sich tatsächlich so, als hätte er einen Geist gesehen. Einen, der zufälligerweise genauso wie sein Bruder aussah.

„Was machst du schon um diese Zeit hier?“, fragte er lahm.

„Arbeiten, was dachtest du denn? Und auf meinen kleinen Bruder warten.“

Percival runzelte die Stirn.

„Krieg dich wieder ein, es war doch klar, dass du an deinem ersten Arbeitstag überpünktlich erscheinst. Ich frage mich nur ...“

Raymund griff in seine Westentasche und förderte einen kleinen, goldenen Gegenstand zu Tage.

„... warum du schon um sechs Uhr morgens da bist. Die ersten kommen um sieben Uhr. Darüber hinaus meine ich mich zu erinnern, dass Commissioner Shoemaker dich erst um acht Uhr sehen wollte ...“

Der Jüngere sah ihn missmutig an, erwiderte jedoch nichts.

„Percy, Percy“, tadelte Raymund. „Pass auf, dass du vor Tatendrang und Eifer nicht über deine eigenen Füße fällst.“

Percivals Gesicht verfinsterte sich schlagartig. Sein Bruder riss abwehrend die Arme hoch.

„Kein Grund, gleich wütend zu werden. Also, möchtest du zuerst die Abteilung kennen lernen oder soll ich dir deinen Schreibtisch zeigen?“, fragte er versöhnlich.

Percival ließ es auf sich beruhen.

„Meinen Schreibtisch“, antwortete er knapp.

„Hab ich mir schon gedacht. Dann komm mal mit.“

Raymund führte ihn tiefer in den Raum hinein, der sich als eine Kombination aus Großraumbüro und Registratur herausstellte.

„Der Schreibtisch da drüben ist das Amt für Zauberstabzulassung.“

Percival starrte auf einen kleinen Schreibtisch, der zwischen zwei Regalen stand und unter den Aktenbergen kaum zu erkennen war.

„Sei nett zu Mrs. Fuller, wenn du sie triffst. Sie ist furchtbar kurzsichtig und trägt deshalb eine dicke Hornbrille.“

„Kurzsichtig?“

„Ja. Aber eine wahre Koryphäe auf dem Gebiet der Zauberstabkunde. Solltest du also einmal einen herrenlosen Zauberstab finden, solltest du als erstes Mrs. Fuller aufsuchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie seinen Besitzer identifizieren kann, ist sehr hoch.“

Percival nickte und sie gingen weiter.

„Da hinten ist unsere Kaffeeküche. Deinen Tee solltest du sicherheitshalber in deinem Schreibtisch verschließen.“

Raymund zeigte auf einen kleinen Durchgang. Percival sah seinen großen Bruder schief an.

„Diebstahl in der Abteilung für Magische Strafverfolgung? Ernsthaft?“

„Wohl eher Feinschmecker in der Abteilung für Magische Strafverfolgung. An meinen Sachen hat sich noch nie jemand vergriffen, aber ich trinke auch nicht so ein Gourmet wie du.“

„Und du meinst, ein Feinschmecker lässt sich von einer abgeschlossenen Schreibtischschublade aufhalten?“

Sein Bruder ignorierte die sarkastische Note.

„Da hinten ist übrigens Vaters Büro. Auch wenn wir Familie sind, solltest du nicht einfach bei ihm reinstürmen ...“

„... weil er dann ausrastet? Danke, die Information hab ich dringend gebraucht. Wolltest du mir nicht eigentlich meinen eigenen Schreibtisch zeigen?“, entgegnete Percival.

„Oh, stimmt, du hast recht! Wo bin ich nur mit meinen Gedanken?“

Der Jüngere verdrehte die Augen. Raymund führte ihn in die Richtung des Commissionerbüros. Davor standen zwei Schreibtische. Auf einem von ihnen, demjenigen, der näher am Büro des Abteilungsleiters stand, konnte Percival eine Schreibunterlage, ein Lampe, eines dieser mechanischen NoMaj-Schreibgeräte und einige Kladden erkennen. Der andere Schreibtisch war noch komplett jungfräulich.

„Soll das ein Witz sein? Das ist ja der reinste Durchgangsverkehr hier!“, beschwerte sich Percival, als er realisierte, dass der zweite Platz wohl für ihn gedacht war.

Raymund musterte ihn geringschätzig.

„Weißt du, vielleicht war es doch gar keine so schlechte Idee von dir, so früh zu kommen. So kriegt wenigstens niemand deine mit Arroganz garnierte Idiotie mit.“

Percival funkelte seinen Bruder wütend an. Der seufzte nur.

„Sieh es doch mal so, so nah am Commissioner und seiner Sekretärin hast du immer den vollen Überblick, wer bei ihm ein und aus geht.“

„War das Vaters Idee?“, fragte Percival stutzig. 

„Nein, meine. Vater wollte dich erst direkt neben mir platzieren, aber ich habe es ihm ausgeredet.“

Nun war Percival doch überrascht.

„Ehrlich?“

„Ja. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du dich in meiner unmittelbaren Nähe nach einem halben Tag unwohl fühlen würdest. Meinst du nicht auch?“

Der Jüngere nickte.

„Aber findest du nicht, dass das so nah am Commissioner verdächtig wirkt?“

„Keine Sorge, so häufig wirst du eh nicht im Büro sein. Also, willst du dich erst einmal räumlich einrichten?“

Der Nachwuchsauror sah auf seinen kleinen Schreibtisch.

„Ja.“

„Gut, dann lass ich dich mal allein. Falls du mich suchst, ich bin in der Küche, Wasser für Tee aufkochen.“

Percival wandte sich seinem Platz zu.

„Und Percy, stell nichts an, während ich in der Küche bin.“

Er sah Raymund wütend hinterher, als dieser in dem Kämmerlein verschwand, stellte dann seine lederne Aktentasche auf den Tisch. Ehe er seinem Platz seine vollkommene Aufmerksamkeit schenkte, machte er das Licht auf dem benachbarten Tisch an. Bei Licht sah es schon gar nicht mehr so negativ aus.

Der zu seinem Platz gehörende Stuhl war in halbwegs brauchbarem Zustand, sogar mit Polsterung, die nicht zu sehr abgewetzt war. Jedoch hatte sein Tisch nur zwei kleine Schubladen auf der linken Seite, von denen sich nur die oberste abschließen ließ. Nachdem er seinen Mantel ausgezogen und ihn achtlos über den Tisch geworfen hatte, setzte er sich. Beide Schubladen waren bis auf einen kleinen kupfernen Schlüssel leer. Beiläufig steckte er ihn in das Schlüsselloch der oberen Schublade. Er passte.

Percival griff nach seiner Aktentasche. Sie war komplett neu und aus hochwertigem Gnuleder. Eine sündhaft teure, britische Marke. Selbst einfache Brillenetuis kosteten dort ein kleines Vermögen. Sein Vater hatte nicht richtig hingeschaut, als Percival sie sich in dem Laden ausgesucht hatte. Nur hinterher beim Bezahlen hatte er seinen zweitältesten Sohn streng angeschaut, sich jedoch eines Kommentars enthalten.

Zu Tage förderte er einen großen Block. Den Kleinen beließ er vorerst in der Aktentasche. Oder sollte er ihn doch direkt in die Innentasche seines Mantels stecken? Unschlüssig sah Percival sich um und entdeckte einen Garderobenständer, der hinter dem Sekretärenplatz an der Wand stand.

„Dort wird schon kein Mantel verschwinden“, hoffte er laut und hängte sein Kleidungsstück auf.

Er hörte ein Pfeifen aus der kleinen Küche, danach Geschirrgeklapper und beschloss, seinen Tee hervorzuholen.

„Oh!“, war alles, was er zur Küche zu sagen hatte.

„Ja. Ich hab schon vermutet, dass du kommst, sobald das Teewasser fertig ist. Hier, verbrüh dich nicht.“

Raymund reichte ihm eine Teekanne und ein Teeei.

„Mehr als zwei Leute passen da aber auch nicht rein“, kommentierte Percival.

Sein Bruder folgte ihm mit einer weiteren Teekanne und zwei Tassen zu seinem Schreibtisch.

„Na ja, wir müssen alle zusammen rücken. Der erste, der morgens kommt, macht in der Regel einen großen Topf heißen Wassers für Tee und für Kaffee. An dem können sich alle bedienen. Vergiss das nicht, wenn du morgen wieder so früh kommst. Also, lass mal sehen.“

Raymund stellte seine Fracht auf Percivals Tisch ab.

„Was du noch brauchst, ist auf jeden Fall eine Lampe. Und vielleicht eine Schreibmaschine.“

„Schreibmaschine?“, fragte Percival und deutete auf den Tisch neben sich. „Das Ding da?“

„Ja.“

„Wofür brauche ich eine Schreibmaschine?“, hakte er nach.

„Um deine Berichte zu schreiben, natürlich. Der Commissioner will die nicht mehr in Handschrift haben. Keine Sorge, die Dinger lassen sich auch gut verzaubern, sodass sie von selber schreiben. Ich kann dir das zeigen, wenn du willst. Du wirst aber trotzdem alles noch einmal Korrekturlesen müssen.“

Percival nickte, während er etwas Tee in das Ei gab und es dann in seine Kanne hängte.

„Also, womit fangen wir an?“, fragte er dann und linste auf die Akten am Nachbartisch.

„Wie, womit fangen wir an? Du wirst warten, bis der Commissioner dich offiziell in der Abteilung begrüßt hat. Vorher wirst du keine Akten in die Finger bekommen.“

„Ach komm, das kann doch nicht dein Ernst sein.“

„Doch. Percy, du wirst genauso wie jeder andere Neuling hier behandelt.“

„Aber ich gehör doch quasi schon zur Familie.“

„Percy, auch für uns Graves gelten dieselben Spielregeln wie für alle anderen. Du wirst dich entsprechend verhalten und uns keine Schande machen.“

Percival sah Raymund angriffslustig an, gab dann aber trotzdem nach.

„Also eine Stunde warten?“

„Eine Stunde warten. Oder du lernst deine neuen Kollegen kennen. Da hinten kommt Miss Meyers.“

Der junge Auror drehte sich um und sah eine adrette Hexe mit blonder Lockenpracht auf sich zukommen.

„Guten Morgen Mister und Mister Graves“, begrüßte sie die beiden höflich.

Percival reichte ihr die Hand zur Begrüßung.

„Guten Morgen, Michelle. Sei bloß nicht zu nett zu meinem Bruder, das bekommt ihm nicht.“

Die Hexe lachte aufgeweckt und schüttelte Percival die Hand.

„Freut mich, Mr. Graves. Auf gute Zusammenarbeit!“

„Ebenso.“

Percival schaute ihr hinterher, wie sie ihren Schreibtisch umrundete, den Regenmantel auszog und zu seinem Mantel an den Garderobenständer hing.

„Mach den Mund zu. Es ist furchtbar unhöflich von dir, sie so anzustarren“, flüsterte Raymund ihm ins Ohr.

Percival wandte sich wieder von Michelle ab, die gerade schnurstracks auf die Kaffeeküche zueilte. Er sah seinen Bruder ertappt an.

„Schlag sie dir lieber aus dem Kopf. Da ist ein anderer im Spiel.“

„Ich hab nicht ...“

„Nein gar nicht. Also hör zu. Ich muss jetzt weiter arbeiten und kann mich vorerst nicht weiter mit dir beschäftigen.“

„Kann ich mich wenigstens umsehen?“

Raymund überlegte.

„Ja, aber nur hier im Raum.“

„Wo ihr mich beobachten könnt.“

„Genau! Versuch einfach, deinen Tee so lange wie möglich zu genießen. Der Commissioner sollte bald kommen, aber so lange wirst du dich noch gedulden müssen.“

„Kann ich nicht mal eine Akte von den bereits erledigten Fällen lesen?“

„Nein.“

Percival grummelte.

„Du kannst stattdessen meine Zeitung haben, wenn du unbedingt etwas lesen möchtest.“

„Eine NoMaj-Zeitung? Nein Danke!“

„Na dann nicht. Also sei brav, ja?“

Raymund wartete keine Antwort ab. Er drehte sich um und ging zu seinem Arbeitsplatz zurück, während Michelle aus der Küche zurückkam. Sie lächelte Percival aufmunternd zu und setzte sich dann an ihren Platz, um mit ihrer Arbeit zu beginnen. Percival beschloss, ihr heimlich zuzuschauen, auch, um den Umgang mit dem Schreibgerät besser zu verstehen.

‚Schreibmaschine nennen die NoMajs es ...‘, dachte er und setzte sich.

Percival war gerade über die Zeitung seines Bruders gebeugt, als sich ein Schatten über ihn beugte. Er hob den Kopf und sah in das schrumpelige Gesicht des Commissioners. Wie eine Feder sprang er auf.

„Guten Morgen, Sir!“, begrüßte er den Alten hastig.

Ein schneller Blick zur Seite verriet ihm, dass Michelle nicht an ihrem Platz saß. Er hatte sich gehen lassen und nicht bemerkt, dass sie gegangen war. Ein Fehler, den Percival kein zweites Mal machen wollte.

„Sie sind früh dran, Graves!“

„Sir, ist der erste Tag nicht bei jedem so?“, fragte er zurückhaltend.

Der Alte lachte dröhnend.

„Dann kommen Sie mal mit!“

Percival folgte dem Commissioner eiligen Schrittes in dessen Büro. Dort empfing ihn ein beißender Gestank.

„Tür zu!“

Percival gehorchte, und trat dann näher. Shoemaker warf seinen Regenmantel über einen der Besucherstühle und setzte sich an seinen Schreibtisch.

„Nehmen Sie ruhig Platz, Graves. Ab heute gehören Sie ja zur Familie ...“

Der Commissioner fing an, in einer seiner Schubladen zu kramen, fand dort jedoch nicht, was er suchte. Percival trat näher und setzte sich dann auf den zweiten Besucherstuhl. Still beobachtete er den Leiter der Abteilung für Magische Strafverfolgung dabei, wie er nun die Papierstapel auf dem Tisch durchsuchte. Shoemaker förderte eine Pfeife zutage und steckte sie sich in den Mundwinkel.

‚Daher der Gestank‘, dachte Percival angewidert.

Rauchen war ihm seit jeher suspekt. Er hatte sich einmal an der Billigvariante, Zigaretten, versucht und einen fürchterlichen Hustenanfall bekommen. Seitdem hatte er die Finger von Tabakerzeugnissen jedweder Art gelassen. Der Commissioner hingegen schien seiner Sucht notorisch zu frönen. Selbst ein NoMaj-Belüftungssystem der neuesten Bauart würde es nicht schaffen, den Geruch, der sich mit Sicherheit in den Wänden und Möbeln festgesetzt hatte, zu vertreiben. Percival bezweifelte, dass er ein gutes Verhältnis zu Shoemaker aufbauen könnte. Jedenfalls nicht unter diesen Umständen.

„Und schon aufgeregt?“, fragte der Alte.

Er hatte aufgegeben, seinen Tabak zu suchen.

„Ja, Sir“, bestätigte Percival pflichtschuldig.

„Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Fall, damals“, fing Shoemaker an.

Percival seufzte innerlich. Er wollte endlich seinen ersten Fall bearbeiten. Stattdessen drohte ihm jetzt ein Monolog über die früheren Zeiten. Als ob früher alles besser gewesen wäre. Der junge Mann sah den Commissioner schmallippig an, während dieser mit seiner Geschichte fortfuhr.

„... Die NoMajs waren damals mitten in ihrem Sezessionskrieg, wenn Sie sich erinnern. Damals war ich so alt wie Sie. Lincoln steckte mitten im Wahlkampf für seine zweite Amtszeit. Fast wäre er nicht nominiert worden, da die Abolitionisten einen radikaleren Republikaner als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken wollten ... Graham, der damalige MACUSA-Präsident, hat nachhelfen lassen, damit Lincoln gewinnt.“

Percival unterdrückte ein Gähnen. Natürlich erinnerte er sich nicht an den Bürgerkrieg. Wie auch? Und was Shoemaker ihm hier so enthusiastisch erzählte, lernte jeder Erstklässler an Ilvermorny in Geschichte der Magie. Obwohl Rappaports Gesetz der Trennung von magisch Begabten und NoMajs von 1790 nach wie vor in Kraft war, hatte der MACUSA hin und wieder zum eigenen Nutzen in die NoMaj-Politik eingegriffen.

„Ich war dabei, als Dafoe loszog, um den Gegenkandidaten der Abolitionisten mit einem Imperius-Fluch von seinem Vorhaben abzubringen“, erklärte Shoemaker gerade voller Stolz.

‚Ja, dein Beitrag bestand darin, gerade einen Bericht zu schreiben, während Dafoe das Büro verließ‘, dachte Percival sarkastisch.

„Wo hab ich denn nur ...“

Shoemaker begann wieder, auf seinem Schreibtisch zu wühlen. Percival sah ihm geduldig dabei zu und ahnte, dass es wieder um den Tabak ging. Der kalte Rauch, der in dem Raum herrschte, brannte ihm mittlerweile unangenehm in den Augen. Und der Commissioner wollte sein Befinden noch verschlimmern, indem er sich seine Pfeife ansteckte. Der Alte griff nach seinem Trenchcoat.

„Ach da ist es ja!“

Shoemaker förderte ein Emaille-Döschen zu Tage und streute sich etwas von dem Inhalt auf den rechten Handrücken. Geräuschvoll zog er den Tabak in die Nase.

„Wollen Sie auch?“, meinte der Commissioner dann und reichte ihm die Schnupftabakdose über den Schreibtisch.

„Nein danke, das ist wirklich nichts für mich!“, wehrte Percival schnell ab.

„Ach kommen Sie, Graves! Sie haben’s ja noch nicht mal probiert!“

„Mir sind damals die Zigaretten schon nicht bekommen ...“

Percival sah zurückhaltend auf seine Knie. Der überraschte Blick, den Shoemaker ihm zuwarf, entging ihm. Er packte seine Dose wieder weg.

„Also wo war ich?“

„Sie wollten mir meinen ersten Fall geben, Sir.“

„Ach, wollte ich das?“

Shoemaker wirkte unschlüssig. Percival konnte von seiner Nasenspitze ablesen, dass er ihm nicht so recht glaubte, andererseits aber auch den Faden verloren zu haben schien.

„Wieso wollten Sie Auror werden?“, fragte der Commissioner dann.

„Sir?“

„Sie haben mich schon verstanden, Graves. Warum wollten Sie Auror werden?“

„Sir, in meiner Familie stand es nicht wirklich zur Debatte, ob ...“

„Ach, papperlapapp! Ihr Bruder ist schon in die Fußstapfen Ihres Vaters getreten. Erzählen Sie mir nicht, dass Dickie von Ihnen auch wollte, dass Sie Auror werden.“

Percival zuckte zusammen. Dass jemand seinen Vater „Dickie“ nannte, hätte er sich im Traum nicht vorgestellt. Nicht einmal Mutter nannte ihn so.

„Also raus mit der Sprache, Graves!“

„Sir, Vater wollte eigentlich, dass ich in die Politik gehe. Aber ich bin eher der praktisch veranlagte Typ, da erschien mir der Beruf des Auroren die geeignetere Wahl.“

Shoemaker lehnte sich auf seinem Sessel zurück und sah Percival interessiert an. Er verschränkte seine Hände auf dem Bauch.

„So nah an Ihrem Vater und Ihrem Bruder dran? Mutig mutig, sag ich da nur. Aber kommen Sie mir hinterher nicht mit irgendwelchen Beschwerden.“

Percival nickte.

Der Commissioner beugte sich wieder nach vorne und begann, die Kladden auf seinem Schreibtisch durchzugehen.

„Hm, wo hat Michelle bloß ...“, flüsterte er.

„Sir?“

„Hm?“

Der Nachwuchsauror betete innerlich dafür, diesen Raum so bald wie möglich verlassen zu können. Raymund hatte ihm hin und wieder davon erzählt, wie chaotisch der derzeitige Commissioner war. Aber die Beschreibungen seines Bruders waren untertrieben. Shoemaker hatte den Überblick über seinen Schreibtisch verloren. Warum die Sekretärin nicht für Ordnung sorgte, war ihm ein Rätsel. Aber vielleicht hatte der Alte ihr auch verboten, klar Schiff in dem Büro zu machen.

„Ah, da ist es ja!“

Percival riss den Kopf hoch. Shoemaker hatte zum Glück nicht bemerkt, dass Percival ihn gedankenversunken beobachtete. Stattdessen reichte er ihm jetzt eine Kladde über den Tisch. Percival nahm sie entgegen. „Steen National Bank“ stand auf dem Aktendeckel.

„Ist das nicht eine NoMaj-Bank, Sir? Die mit den Banküberfällen?“

„Sie sind gut informiert, Graves!“

Was er nicht war. Percival hatte nur vor einer halben Stunde in der Zeitung seines Bruders über das Geldinstitut gelesen. Doch das musste Shoemaker nicht wissen. Der Auror öffnete die Akte und überflog den Bericht.

„Sir, ist das nicht eigentlich ein Fall für die New Yorker Polizei?“

„Wäre es, wenn die Tresorräume auf herkömmlichem Wege ausgeraubt würden. Aber die Goldbarren scheinen sich einfach in Nichts aufzulösen. Wir vermuten inzwischen einen Zauberer oder eine Hexe hinter den Diebstählen.“

„Verstehe ... Und wie kommen wir an die Unterlagen, Sir?“

„Wir haben unsere Quellen, Graves. Das werden Sie die nächsten paar Wochen lernen. Und jetzt ab mit Ihnen! Machen Sie uns keine Schande! Wenn Sie weitere Fragen haben, gehen Sie zu Ihrem Bruder.“

Perplex schloss Percival die Mappe und stand auf.

„Sir!“, verabschiedete er sich und verließ das Büro.

Michelle sah nicht einmal auf, als er an ihr vorbei zu seinem eigenen Platz ging. Er seinerseits nahm sie auch gar nicht wahr. Zu froh war er, nicht mehr in dem stickigen Raum sitzen und Shoemakers wirren Gedankengängen folgen zu müssen.

In dem Großraumbüro herrschte inzwischen reges Treiben. Percival trat an seinen Schreibtisch und stutzte dann. Während seiner Abwesenheit hatte jemand eine Tischlampe und eine dieser Schreibmaschinen für ihn organisiert. Sein Blick wanderte flüchtig in die Richtung seines Bruders, dann durch den Raum, aber Raymund war nicht aufzufinden. Achselzuckend wandte er sich wieder um.

Percival wollte sich gerade setzen, als etwas Großes an ihm vorbeiflog, oder viel mehr mit einem überdimensionierten Flügel gegen seinen Hinterkopf stieß. Er zuckte zusammen und ließ vor Schreck die Akte fallen.

„Hoppla!“, meinte Michelle.

Ein Uhu war unsanft auf ihrem Tisch gelandet, hüpfte einmal mit flatternden Flügeln und stand dann aufrecht. Der Vogel hielt einen dicken Umschlag im Schnabel. Percivals Missgeschick war der Hexe völlig entgangen. Der Auror war nicht sicher, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Er sammelte die Unterlagen vom Boden auf. Eine Böe verriet ihm, dass der Uhu wieder davongeflogen war.

„Ist das hier die Euleneinflugschneise?“, fragte er.

„Hn.“

Michelle war voll auf die Lieferung konzentriert, die sie erhalten hatte.

‚Danke für’s Gespräch ... Was zum ...?!‘

Der Uhu hatte doch tatsächlich ein Häufchen auf seinem Stuhl hinterlassen. Ungehalten packte Percival die Akte auf den Tisch, holte seinen Zauberstab hervor und machte das Missgeschick mit einem Ratzeputz-Zauber weg.

‚Denen werd‘ ich’s austreiben, über meinen Platz zu fliegen ...‘, dachte er wütend.

Percival zauberte mit einem Protego ein unsichtbares Schutzschild, das hoffentlich jede weitere Eule abhalten sollte, ihm zu nahe zu kommen. Er packte seinen Zauberstab weg, setzte sich und griff in Richtung Teetasse.

‚Leer ...‘

Auch die Kanne war leer. Ergeben stand er auf und ging zur Teeküche. Wenigstens auf den Samowar traf dies nicht zu. Percival füllte die Teekanne bis zum Rand und ging wieder zurück.

‚Okay, neuer Versuch ...‘

Die Steen-Bank-Akte war bei seinem Malheur etwas durcheinandergeraten. Neben dem polizeilichen Untersuchungsbericht waren noch einige handschriftlich gekritzelte Zeugenaussagen beigefügt, die sich eher schlecht als recht entziffern ließen. Jemand hatte sogar ein Foto des Tresorraums angefertigt, doch ob es sich dabei um den Zeitpunkt unmittelbar nach der Tat handelte oder es nur eine Referenzfotografie war, blieb im Verborgenen.

„Hm, keine Zeugen zum Zeitpunkt des Diebstahls ...“, murmelte er. „War auch zu erwarten.“

Er blätterte weiter durch die Unterlagen.

„Diebstahl nur bemerkt, weil Bankdirektor Peter Bingley einmal abends den Tresorraum kontrolliert, nett. Er scheint seinen eigenen Mitarbeitern nicht zu vertrauen.“

Percival goss sich etwas Tee nach und überlegte. Es war ihm nach wie vor ein Rätsel, wie dieser Fall bei den Auroren landen konnte. Nach allem, was er bis jetzt wusste, war es sehr viel wahrscheinlicher, dass einer der Mitarbeiter in den Diebstahl verstrickt war. Das konnten auch NoMaj-Ermittler lösen.

‚Oder ist das ein Test?‘

Shoemaker hatte ihn damals selbst interviewt. Seinen Praxistest und die körperliche Untersuchung hatten freilich andere hochrangige Auroren geleitet, aber das Einstellungsgespräch hatte der Commissioner mit ihm geführt. War es tatsächlich möglich, dass es sich bei dem NoMaj-Fall nur um einen weiteren, finalen Test seiner Fähigkeiten handelte? Er trank einen Schluck Tee.

Percival dachte über die Frage nach und zuckte schließlich mit den Schultern.

„Es hilft ja alles nichts“, murmelte er.

Je eher er den Fall löste, desto schneller würde er eine Antwort auf seine Vermutung erhalten. Schnell hatte der Auror die Ermittlungsakte sortiert und geschlossen und stand auf. Er beschloss, sich vorher über die Bank zu informieren, bevor er den Tatort inspizierte.

„Bin in der Bibliothek, wenn mich wer sucht“, meinte er zu Michelle.

Die Hexe ignorierte ihn geflissentlich. Sie war auf ihre Schreibmaschine fixiert, deren Tasten sich von selbst bewegten und Zeile um Zeile herunter ratterten. Percival griff sich seinen Regenmantel vom Kleiderständer, legte ihn über seinen linken Arm und nahm die Akte an sich. Sein Bruder Raymund saß nach wie vor nicht am Tisch.

Percival verließ das Auroren-Büro. Obwohl es inzwischen halb 10 Uhr morgens war, kamen ihm hier unten kaum Leute entgegen.

„Die Katakomben ...“

In der Eingangshalle des Flatiron Building herrschte jedoch geschäftiges Treiben. Hoch erhobenen Hauptes schritt er in Richtung Ausgang. Die MACUSA-Bibliothek befand sich in der Lenox Library in der 5th Avenue direkt neben dem Central Park. Zu Fuß würde Percival fast eine Stunde benötigen, um dorthin zu kommen. Nach dem stickigen Auroren-Büro eine willkommene Abwechslung, denn mittlerweile zogen weiße Schäfchenwolken über den Himmel dahin. Aber er konnte es sich nicht leisten, Zeit zu vertrödeln.

„Hallo, Sohn!“, sagte jemand hinter ihm.

Percival zuckte leicht zusammen.

„Vater!“

Graves senior musterte seinen Spross. Der Alte trug seinen dunkelblauen Chesterfield und seine Melone. Den aus Ebenholz gefertigten Spazierstock hatte er sich unter den rechten Oberarm geklemmt.

„Hast du nicht mehr zu sagen, Sohn?“

Percival sah sich schnell um. Von den Passanten auf dem Gehsteig kam ihm niemand bekannt vor. Trotzdem war nicht ausgeschlossen, dass andere Ministeriumsarbeiter die Standpauke mitbekommen würden, die er zweifelsohne gleich erhalten würde. Auch wenn er noch nicht wusste, wofür genau. Doch Percival kannte seinen Vater mittlerweile gut genug um zu wissen, wann Ärger drohte.

„Guten Morgen, Vater“, murmelte er.

„Schleicht sich einfach mitten in der Nacht hinaus“, meinte Graves senior. „Wir waren krank vor Sorge!“

„Vater ...“

„Weißt du, deine Mutter hat geglaubt, du seist entführt worden.“

„Vater ...!“, erwiderte Percival nachdrücklicher. „Es war schon fünf Uhr morgens, als ich das Haus verließ. Nicht Mitten in der Nacht ...“

Er verstummte, als er den strengen Blick seines Vaters sah. Der Alte schien es sich aber inzwischen anders überlegt zu haben.

„Darüber sprechen wir heute Abend noch mal, Sohn!“, sagte er und wandte sich um.

Percival sah ihm hinterher. Niemand schien von ihrem kleinen Disput Notiz genommen zu haben. Er zog seinen Mantel enger um sich. Trotz des schönen Wetters war es immer noch frisch. Er sah einmal die 5th Avenue auf und ab und lief dann auf die Straße, um eine öffentliche Kutsche anzuhalten. Der Kutscher fluchte und sah ihn finster an. Percival ignorierte es.

„Ecke 5th Siebzigste“, meinte er nur und lehnte sich zurück, um die Fahrt zu genießen.

„Sir, ich hatte nicht erwartet, dass die Polizei den Tatort noch einmal in Augenschein nehmen will“, meinte der Bankangestellte verwirrt.

Percival hatte in der NoMaj-Bibliothek nicht viel über die Steen National Bank erfahren. Lediglich Zeitungsberichte über die Gründung vor mehreren Jahrzehnten durch den jüdischen Einwanderer Nathan Bingley sowie Eröffnungen weiterer Filialen in Boston und Philly waren enthalten. Nichts über unvorhergesehene Ereignisse oder dergleichen. Danach hatte er sich einen kleinen Mittagssnack gegönnt und war in die Bank gefahren, wo er sich nun einem blond gelockten Sommersprossengesicht gegenübersah.

Der Angestellte war einige Jahre älter als Percival und trug einen dunkelbraunen, tadellose Anzug, der aber von geringer Qualität war. Das war Percival sofort aufgefallen. Er hatte ihm lediglich seinen gefälschten Ermittlerausweis unter die Nase gehalten und gesagt, dass er wegen der Einbrüche noch einmal mit dem Bankdirektor sprechen wolle. Der Angestellte, dessen Namensschild ihn als Mister Smith auswies, hatte eine Kollegin losgeschickt und mühte sich nun ab, höflichen Smalltalk mit Percival zu führen.

„Ermittlungsgeheimnis, Sie verstehen?“, wiegelte Percival ab.

Der Lockenkopf schüttelte verwirrt den Kopf.

„Das heißt, dass ich Ihnen nichts erzählen kann, was den aktuellen Stand der Ermittlungen betrifft.“

„Oh, ach so. Aber Sie haben den Dieb doch bald gefasst, oder?“

Percival nickte ergeben.

„Der Direktor ist nämlich ziemlich außer sich, wegen der Sache.“

„Das wären Sie an seiner Stelle auch, wenn Sie Ihren Kunden versprechen, die sicherste Bank New Yorks zu sein und dann passiert ein Diebstahl.“

„Hm. Da haben Sie wohl recht. Wie ist es eigentlich, Chefermittler in einem solch wichtigen Fall zu sein? Mit Verlaub, Sir, Sie wirken noch ziemlich jung.“

Percival starrte den Bankangestellten entgeistert an. Hatte er da gerade richtig gehört? Smith bezeichnete ihn als „jung“? Der Auror spürte, wie sich seine Mimik versteinerte.

„Ich habe nie behauptet, der Chefermittler in dem Fall zu sein“, erwiderte er lapidar.

Was der Wahrheit entsprach. Aber da er bei der Abteilung für Magische Strafverfolgung derzeit wohl der Einzige war, der an dem Fall arbeitete, konnte man ihn vielleicht tatsächlich als den Chefermittler ansehen. Doch das konnte er diesem Smith schlecht erzählen.

„Entschuldigen Sie, Sir. Ich wollte Sie nicht beleidigen“, stammelte Smith. „Es ist nur so, ich habe selten mit der Polizei zu tun, und ...“

„Wie sind Sie eigentlich an Ihren Job gekommen?“, fuhr ihm Percival dazwischen.

„Oh. Also das war eigentlich nicht schwer ...“, fing Smith an.

Der Auror schluckte. Was eigentlich als dezente Beleidigung gedacht war, ermunterte den Angestellten stattdessen, ihm seinen beruflichen Werdegang darzulegen. Percival hörte ernüchtert zu und kämpfte gegen ein Gähnen.

„... Law School abgeschlossen. Aber Sie wissen ja sicher, wie das so läuft. Mein Vater hat seit jeher mein Gespür für Zahlen gelobt. Und da er den Bankdirektor persönlich kennt, kam eines zum anderen und ich habe diese Stelle angenommen.“

„Und sehen Sie es heute auch immer noch als richtige Entscheidung an? Als Bankangestellter zu arbeiten statt als Anwalt?“

Smith zögerte kurz. Percival hatte offenbar einen wunden Punkt getroffen.

„Nun, ich kann ja immer noch in die Kanzlei meintes Vaters wechseln, wenn mir der Sinn danach steht“, wicht Smith aus.

„Natürlich“, zwinkerte Percival.

Und dachte, dass dies frühestens der Fall sein würde, wenn der Alte starb. Percival hatte erreicht, was er erreichen wollte. Der Blondschopf schwieg.

Der Auror ging zur Seite, damit Smith sich um die nächsten Kunden kümmern konnte, und sah sich in der Bank um. Er war noch nie in einer NoMaj-Bank gewesen. Sie unterschied sich stark von ihrem magischen Äquivalent. Wie der Zufall es wollte, befand sich diese einige Blöcke weiter südlich. Hier in der National Steen Bank herrschte ein hektisches Treiben, wie Percival es allenfalls von NoMaj-Bahnhöfen kannte.

„Verzeihung“, meinte jemand und huschte an ihm vorbei.

„Verzeihung“, murmelte Percival zurück, obwohl der Mann ihn nicht einmal angerempelt hatte.

Er sah ihm hinterher, wie er den Kragen hochzog und dann in Richtung Ausgang eilte. Percivals Nackenhaare zitterten etwas, aber er ignorierte es, verschränkte die Arme und lehnte sich an eine der Säulen aus rotem Marmor. Er hoffte, dass er nicht mehr all zu lange warten musste, als er wieder ein „Verzeihung“ hinter sich hörte.

Percival drehte sich um und sah sich einer grauhaarigen Matrone gegenüber, die ihre besten Jahre hinter sich hatte.

„Guten Tag“, grüßte er die Dame höflich.

„Mr. Graves?“

„Ja.“

Zum Beweis hielt er ihr seinen Ausweis unter die Nase.

„Und Sie sind?“

„Ms. Walsh. Kommen Sie mit.“

Er folgte ihr durch eine kleine Schwingtür in den hinteren Bereich der Bank, in dem sich nur Angestellte aufhielten.

„Der Direktor hat mir gesagt, dass ich Sie herumführen und Ihnen alles zeigen soll, was Sie sehen wollen.“

„Er hat nicht selbst Zeit für mich?“, vergewisserte Percival sich.

„Nein, er ist vielbeschäftigt. Ich im Übrigen auch, Mr. Graves. Können wir dann?“

Er nickte ergeben.

„Also kommen Sie.“

Percival schlurfte ihr hinterher eine unscheinbare Treppe hinab und sah ihr dabei zu, wie sie einen schweren Schlüssel hervorzog und in das Türschloss steckte. Danach führte die Treppe weiter in die Tiefe. Sie geleitete ihn einmal um die Ecke und sie standen vor schweren Messingstäben, in die eine Tür eingelassen war. Dahinter befand sich der Safe. Zwei Wachmänner waren links und rechts der Messingtür postiert und musterten Percival aus den Augenwinkeln heraus. Der Auror seinerseits nahm zunächst die Stäbe in Augenschein.

„Keinerlei Einbruchsspuren zu erkennen“, meinte er, nachdem er sie ausgiebig untersucht hatte. „Sagen Sie, sind die Stäbe zwischenzeitlich ausgebessert oder poliert worden?“

„Nein, Mr. Graves“, antwortete Walsh.

Unschlüssig starrte er sie weiter an, ließ es dann aber erst einmal auf sich beruhen.

„Kann ich den Safe sehen?“, fragte er, nachdem die Matrone sich nicht gerührt hatte.

Sie sah ihn abschätzig an, gehorchte dann aber und schloss die Tür in den Messingstäben auf.

„Wer hat alles einen Schlüssel für diese Tür?“, fragte Percival.

Er trat hindurch und besah sich die Stäbe noch einmal von innerhalb des Tresorraums, doch auch hier konnte er keine Unstimmigkeiten feststellen.

„Nur der Direktor, Mr. Graves.“

„Ich nehme an, er trägt ihn immer bei sich?“

Sie nickte.

„Hmpf.“

Graves wandte sich dem Tresor zu. Er sah genauso aus wie auf der Fotografie, die in der polizeilichen Ermittlungsakte enthalten war. Bei näherer Betrachtung war nicht eine Schramme an der schweren, rund geformten Tür zu erkennen.

„Auch hier ist nichts verändert worden.“

Percival hatte die Frage gar nicht zu stellen brauchen. Er stand etwa einen halben Meter vor dem Tresor, stemmte die Hände in die Hüften und starrte auf die Geldkammer.

„Wurde das Innere des Safes auch überprüft?“

„Natürlich, Mr. Graves. Wenn etwas übersehen wurde, liegt das ausschließlich in der Verantwortung der New Yorker Polizei.“

‚So wird das nichts‘, dachte Percival.

Er drehte sich zu der Matrone um und inspizierte sie mit ausdruckslosem Gesicht.

„Und in welchem Arbeitsverhältnis stehen Sie zu Mr. Bingley?“, fragte er.

Die Alte verschluckte sich fast.

„Wie bitte?“

„Sie verstehen mich schon richtig, Ms. Walsh. In welcher Position sind Sie hier tätig?“

„Ich bin die persönliche Sekretärin von Mr. Bingley.“

„Und er vertraut Ihnen einfach so die wichtigsten Schlüssel in dieser Bank an? Um einen einfachen Ermittler herumzuführen?“, fragte der Auror skeptisch.

„Ich arbeite an diesem Vertrauen seit über 15 Jahren, Mr. Graves. Worauf wollen Sie hinaus, wenn ich fragen darf?“

Mittlerweile war sie puterrot angelaufen. Percival blieb ernst.

„Es ist schon seltsam, dass die sicherste Bank dieser Stadt ausgeraubt wird und sich keine Einbruchsspuren finden lassen.“

Die Matrone sah ihn empört an.

„Meine Loyalität steht außer Frage!“, erklärte sie vehement.

„Mhm. Kann ich den Safe von innen sehen?“

„Nein! Ausdrückliche Anweisung von Mr. Bingley.“

Graves glaubte ihr nicht, wollte sie aber vorerst nicht weiter bedrängen.

„Gut, kann ich stattdessen mit Mr. Bingley direkt sprechen?“

„Worüber wollen Sie mit ihm sprechen?“

Percivals Gesichtsmuskeln zuckten. Ihm war klar, dass sie mehr Informationen von ihm haben wollte. Informationen, die ihr nicht zustanden. Selbst ein Polizist hätte einer einfachen Sekretärin nicht einfach so Ermittlungsansätze mitgeteilt.

‚Zumindest kein Professioneller.‘

Er war sich nicht sicher, ob Ms. Walsh tatsächlich etwas zu verbergen hatte oder nur aus reiner Neugier fragte. Vorsichtshalber setzte er sie auf seine Liste der Verdächtigen.

Percival seufzte leise. Zu gerne hätte er die Alte mit einem Imperio Fluch dazu gezwungen, ihn direkt zum Bankdirektor zu bringen. Doch dann hätte er die beiden Wachmänner noch oblivieren müssen, was ihm als zu riskant erschien. So blieb ihm nur, sein Charisma an der Matrone zu erproben. Er setzte das charmanteste Lächeln auf, das er unter den gegebenen Umständen zustande brachte.

„Miss Walsh, Sie als Vertraute von Mr. Bingley können doch sicher nachvollziehen, in welcher prekären Lage sich Ihr Chef gerade befindet. Ich versuche hier nur, hinter des Rätsels Lösung zu kommen“, sagte er und zwinkerte ihr vertraulich zu.

Sie erwiderte seinen Blick zurückhaltend und schwieg.

„Sicher honoriert Mr. Bingley Ihr vorbildliches Verhalten, wenn es zur Lösung des Falls beiträgt?“

Aus den Augenwinkeln nahm Percival wahr, wie einer der Wachmänner den Kopf drehte und in ihre Richtung blickte, Unglauben und Ekel im Gesicht. Es war wahrlich ein schwieriges Unterfangen, einer über 50 Jahre alten Bankangestellten Honig um die Lippen zu schmieren. Graves glaubte, dass sie nicht einmal in ihrer Jugend eine Augenweide war. Jedenfalls nicht, wenn sie damals schon so streng geschaut hat, wie sie es bisher getan hatte. Langsam weichten ihre Gesichtszüge auf und die Matrone nickte verhalten.

„Finden Sie nicht auch, dass wir daher alles dafür tun sollten, damit Mr. Bingley das Geld zurückerhält, welches der Bank gestohlen wurde?“, fragte er zuckersüß und trat einen forschen Schritt auf sie zu.

Er lächelte noch einmal, etwas schelmisch wie ein Bengel, als ob sie gemeinsam etwas aushecken würden. Der Wachmann im Hintergrund verzog angewidert das Gesicht. Percival ignorierte ihn.

„Also, wollen Sie mich nun bitte mit Mr. Bingley sprechen lassen?“

„Ich kann ihn ja mal fragen, ob er Zeit für Sie hat, Mr. Graves“, antwortete sie zögerlich.

Sie drehte sich um und wollte auf den Gang hinaustreten. Schnell griff der Auror nach ihrem Unterarm und hielt sie sanft zurück.

„Miss Walsh, vergessen Sie nicht, die Türen zuzusperren“, wies er sie höflich auf ihren Faux-Pas hin.

Graves verließ den Tresorraum und wartete an der Treppe auf die Sekretärin. Auch der zweite Wachmann sah ihn ungläubig an. Beide schwiegen zum Glück. Ms. Walsh kam ihm nach und sie gingen die Treppe hinauf, die sie zuvor schon hinab gekommen waren.

„Mr. Bingleys Büro liegt in der obersten Etage“, erzählte die Matrone auf dem Weg nach oben.

„Wie es einem Mann seines Ranges zusteht“, schleimte Percival.

„Der Aufzug ist leider kaputt.“

„Das ist ärgerlich.“

Drei Stockwerke weiter oben hatte Ms. Walsh zahlreiche Schweißperlen auf der Stirn und atmete schwer. Sie hielt inne, um Luft zu holen. Der Auror nutzte die Gelegenheit, um sich umzusehen. Sie standen in einem langgestreckten Vorraum, dessen Wände mit Nussbaumholz vertäfelt waren. Percival hätte erwartet, dass auch hier oben alles mit sündhaft teurem Marmor ausgestattet war, aber allem Anschein nach ging es der Bank finanziell doch nicht so gut.

„Guten Tag“, grüßte er einen älteren Herrn, der es sich auf der Ledergarnitur an der linken Wandseite gemütlich gemacht hatte. Der Herr grüßte zurück und wandte sich wieder seiner Zeitung zu.

Am hinteren Ende konnte Percival einen Schreibtisch und diverse Aktenschränke ausmachen, begleitet von einer überdimensionalen Zimmerpflanze.

„Das muss Ihr Platz sein, nicht wahr?“

Ms. Walsh war wieder etwas zu Atem gekommen. Sie nickte.

„Ich fürchte, der Termin von Mr. Bingley ist noch nicht zu Ende“, meinte Sie mit Blick auf den Fremden. „Warten Sie bitte hier.“

„Natürlich!“

Percival trat zu den Ledersesseln und nahm Platz.

„Sir.“

Der andere ignorierte ihn geflissentlich. Neidisch blickte der Auror auf die leere Tasse, die auf dem Anrichtetisch stand. Zu gerne hätte er jetzt eine Tasse Tee genossen, doch darauf würde er wohl warten müssen, bis er wieder ins Büro kam.

‚Wenn es hier nicht zu lange dauert‘, dachte er.

Percival fing an, die Überschriften auf der Rückseite zu lesen. Einer der Berichte handelte von einer Zuglinie, die sich gerade noch in der Fertigstellung befand und deren Eröffnung für Oktober angekündigt wurde. Gerne hätte der Auror mehr darüber gelesen, doch dann hätte er dem Fremden taktlos zu Leibe rücken müssen. Seine Augen wanderten gerade zur nächsten Schlagzeile, als die Tür zum Büro des Bankdirektors aufgerissen wurde.

Graves stand auf. Der Fremde, der mit ihm in den Sesseln saß, klappte seine Zeitung zu und erhob sich ebenfalls.

„... in New Yorks Banken kann nicht sein“, hörte Percival den Mann sagen, der als erstes aus dem Zimmer trat.

„Selbstverständlich, Mr. McClellan, Sir. Sie können versichert sein, dass wir alle nötigen Vorkehrungen treffen werden“, sagte ein zweiter Mann, bei dem es sich zweifellos um Mr. Bingley handeln musste.

McClellan sah den Bankier noch einmal an und verabschiedete sich. Der Fremde trat auf ihn zu und folgte ihm wie ein Schatten. Graves hätte nicht gedacht, hier auf New Yorks Bürgermeister zu treffen. Jetzt war ihm auch klar, warum sie ihn mit Ms. Walsh abgewimmelt hatten.

„Und wer ist das?“, fragte Mr. Bingley, als er Graves entdeckt hatte.

Der Auror drehte sich zu ihm um und kam ihm einige Schritte entgegen.

„Der Chefermittler in dem Fall, Sir“, erklärte Ms. Walsh. „Ich dachte, nach Ihrem Termin möchten Sie vielleicht hören, welche neuen Erkenntnisse die Polizei hat?“

Bingley musterte ihn von oben nach unten und wieder nach oben. Seine Mimik änderte sich von besorgt zu verwirrt.

„Sie sind der Chefermittler?“

„Ja, Sir.“

„Der Direktor musterte ihn erneut.“

„Stimmt etwas nicht?“

„Nein, es ist nur ... Kommen Sie, erzählen Sie mir, was Sie wissen.“

Bingley bedeutete ihm, ihm ins Büro zu folgen. Graves zwinkerte der Sekretärin noch einmal zu und verscheuchte sie dann aus seinen Gedanken. Die Tür schloss sich hinter den beiden Männern.

„Wollen Sie einen Kaffee?“, fragte der Direktor, nachdem Graves sich gesetzt hatte.

„Nein danke.“

Wer trank schon Kaffee? Sein Gegenüber nahm nun ebenfalls Platz.

„Und wissen Sie schon, wer der Täter ist?“

Percival seufzte innerlich.

„Sir, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie eine falsche Vorstellung von polizeilicher Ermittlungsarbeit haben. Der Einbruch wurde von Ihnen am Freitag letzte Woche bemerkt, muss also am selben Tag stattgefunden haben, wenn am Vortag noch alles normal war. Es gibt so gut wie keine Spuren, welche auf einen Verdächtigen schließen lassen. Heute ist Donnerstag, und ...“

„Soll das heißen, Sie haben keine Ahnung, wer der Täter ist?“

„Nein, bedaure, Sir“, gab Percival unumwunden zu.

Ihm war es herzlich egal, wenn der Bankdirektor die New Yorker Polizei nun für unfähig hielt. Den Fall würde er trotzdem lösen.

„Warum sind Sie dann überhaupt hier?“, polterte Bingley los.

„Um mit Ihnen noch einmal über mögliche Verdächtige zu sprechen. In der Ermittlungsakte war angegeben, dass Sie abends den Tresor immer kontrollieren. Warum?“

„Ja warum wohl? Was für eine dämliche Frage.“

Percival blieb ruhig.

„Sir, ich möchte nur nachvollziehen können, wie jemand, der täglich abends den Safe kontrolliert, gleichzeitig die Schlüssel zum Safe einer einfachen Sekretärin anvertraut. Sie verstehen sicher, dass das für einen Außenstehenden wie mich auf den ersten Blick befremdlich wirkt.“

Die Gesichtszüge des Bankdirektors glätteten sich etwas.

„Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Mr. Graves. Seien Sie versichert, dass die Loyalität von Ms. Walsh außer Frage steht.“

Percival zog eine Augenbraue nach oben. Wie sich die Matrone dieses Vertrauen erarbeitet hatte, war ihm nach wie vor ein Rätsel.

„Trotzdem muss es einen Grund für Ihre Vorsicht geben. Oder täusche ich mich da?“

„Nein. Ich bin nur vorsichtig. Und die Erfahrung gibt mir ja Recht, oder nicht?“, erwiderte Bingley.

„Es gab also bisher nie Auffälligkeiten? Auch nicht im Hinblick auf andere Ihrer Mitarbeiter?“

„Nein, Mr. Graves. Die Steen National Bank trägt nicht umsonst das Prädikat, New Yorks sicherste Bank zu sein.“

„Ein Prädikat, das jetzt auf dem Spiel steht.“

Zu gerne hätte Percival gewusst, wie der Bürgermeister mit dem ganzen Fall in Zusammenhang stand, hütete sich aber, danach zu fragen. Sinnvoller war es wohl, wenn er zuerst mit seinem Vater darüber sprach.

‚Vorausgesetzt, ich überlebe den Einlauf heute Abend‘, dachte er verdrießlich.

„Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Bingley gereizt.

„Gibt es möglicherweise jemanden, der Ihnen absichtlich schaden will? Oder vielmehr eher dem Ruf der Bank?“

Der Bankdirektor überlegte, schüttelte aber schließlich den Kopf.

„Natürlich konkurrieren die New Yorker Banken um die Kunden.“

Percival bemerkte das Zögern seines Gegenübers.

„Und weiter?“, hakte er nach.

„Was ‚Und weiter‘?“

„Sir. Ihr Verhalten wirkt nur so, als ob Sie Ihre Konkurrenten eigentlich in Schutz nehmen wollen, sich aber selbst unsicher dabei fühlen.“

Bingley starrte ihn an.

„Sie haben eine gute Auffassungsgabe, Mr. Graves.“

Der Auror verzog keine Miene.

„Und haben Sie eine Vermutung?“

„Nein. Es würde sich um ein Novum in der Bankenwelt handeln. Außerdem kenne ich die Direktoren der anderen Banken alle persönlich vom Gentleman’s Club. Wenn einer was zu verbergen hätte, würde es mir auffallen.“

„Gentleman’s Club?“, fragte Percival neugierig.

„Ja. Der müsste Ihnen doch bekannt sein oder nicht? Oder wenigstens Ihrem Vater?“

Der Auror bemerkte, wie Bingley ihn erneut begutachtete.

„Sie scheinen ja auch aus gehobenem Hause zu kommen. Kenne ich Ihren Vater?“

„Ich glaube nicht.“

„Hm. Na ja, Graves ist ja auch kein allzu gängiger Name.“

„Nein, ist er nicht. Könnten wir uns wieder auf den Fall konzentrieren, Sir?“

„Natürlich.“

„Ich hätte gerne eine Liste aller Kunden, die am Tattag in Ihrem Institut waren. Und auch eine Liste aller Mitarbeiter, die an dem Tag Dienst hatten.“

„Nun, Ms. Walsh kann Ihnen Kopien anfertigen, aber das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“

„Selbstverständlich. Das wäre es dann vorerst.“

„Schon?“

Bingley wirkte überrascht.

„Ja, Sir. Ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht noch weiter beanspruchen“, antwortete Percival und erhob sich.

Er hatte eh alles erfahren, was er wissen wollte. Nun würde er auf die Listen warten müssen, was er genauso gut bei einer Tasse Tee im Büro tun könne. Der Bankdirektor stand ebenfalls auf und begleitete ihn zur Tür.

„Vielen Dank für Ihre Zeit, Mr. Bingley“, sagte Percival höflich.

„Aber selbstverständlich. Sie sollten mal vorbeischauen, wenn Sie etwas Luft haben und geistige Zerstreuung suchen?“

Der Auror blieb überrascht an der Tür stehen. Bingley hielt ihm eine kleine Karte hin.

„Was ist das?“

„Eine Einladungskarte. Ohne die erhält man keinen Zutritt zum Club. Verlieren Sie sie nicht, Graves!“

Percival blickte ungläubig auf das kleine schwarze Kärtchen, auf dem in goldenen Lettern eine Adresse stand.

„Ich werde es mir überlegen“, stammelte er und steckte die Karte ein. „Ich wünsche einen guten Tag, Sir.“

„Wiedersehen. Und lösen Sie mir den Fall!“

„Ja.“

Percival trat in den Vorraum. Ms. Walsh saß immer noch an ihrem Platz und sah zu ihm hoch. Gedankenverloren schlurfte er an ihr vorbei und bekam nicht mehr mit, was Mr. Bingley seiner Sekretärin erzählte. Zu sehr verwirrte ihn die Einladung zu dem NoMaj-Club, die er eben erhalten hatte. Nicht, dass er dort hätte hingehen dürfen. Rappaports Gesetz verbot den Kontakt zwischen NoMajs und Zauberern.

Im Treppenhaus angekommen vergewisserte er sich, dass kein NoMaj anwesend war und disapparierte zum Flatiron Building.

 

Percival schluckte. Aber es half alles nichts, er konnte nicht noch länger in der Finsternis auf dem Gehweg verweilen und zu Graves Manor hochblicken. Seine Mutter war mit Sicherheit jetzt schon krank vor Sorge und sein Vater würde nur noch wütender auf ihn werden, wenn er sich nicht beeilte. Der Auror atmete noch einmal tief ein und aus und durchschritt dann die Gittertür, die in der Steinmauer eingelassen war, die das familiäre Anwesen vor der Öffentlichkeit verbarg.

Der Rasen war frisch geschnitten worden. Percival roch es mehr, als dass er es sah. Auch der Rest des Gartens machte einen erbaulichen Eindruck, soweit dies bei dem einsetzenden Vollmond erkennbar war. Die Blätter, die um diese Jahreszeit schon von den Bäumen fielen, waren säuberlich zu Haufen um den Apfelbaum herum gruppiert, den Graves senior in ihrem ersten Jahr hier gepflanzt hatte.

Percival schlenderte zur Terrasse. Trutzig stand das Anwesen vor ihm und machte keinen allzu einladenden Eindruck. Hinter den Fenstern im Erdgeschoss konnte er Licht sehen. Er stieg die wenigen Stufen zur Terrasse hoch, die an das großzügige Esszimmer angrenzte und klopfte gegen die Scheibe. Die Gardine wurde zur Seite geschoben. Percival senkte den Blick und sah einen ihrer Hauselfen, der ihm nun die Tür öffnete.

„Mr. Graves, guten Abend“, meinte der Elf höflich und trat zurück, um ihn rein zu lassen.

„Weazle, ich hoffe, ich komme nicht zu spät.“

Ein Blick auf den Tisch verriet Percival, dass ihm das Abendessen noch bevorstand. Er zog eine Augenbraue hoch.

„Vier Leute?“, fragte er verwundert.

„Ihr Bruder Raymund beehrt uns heute, Mr. Graves“, erklärte Weazle respektvoll und schloss die Terrassentür wieder.

Percival verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, sagte aber nichts. Der Hauself ging an ihm vorbei in Richtung Küche. So leise wie möglich schlich der Auror zur großen Schwingtür hinüber, die ins Vestibül führte. Er sah durch den Türspalt. Der Schachbrettboden aus Marmor und Granit war auf Hochglanz poliert, doch der Auror achtete nicht darauf. Er linste zu dem Zimmer gegenüber hinüber, dessen Tür ebenfalls einen Spalt offenstand. Dort befand sich das Arbeitszimmer seines Vaters und Percival konnte ihn und seinen Bruder reden hören.

Er schlich hinaus und zur Treppe, die ins Obergeschoss zu den Schlafzimmern führte. Als er bei der dritten Stufe angekommen war, riss jemand die Tür vom Arbeitszimmer auf.

„Percival Graves, du undankbares Exemplar von einem Sohn! Was fällt dir ein, einfach so hier herumzuschleichen?“

Er schrak zusammen, als seine Mutter aus dem Arbeitszimmer rauschte.

„Ma ...“, stammelte er und stand wie angewurzelt auf der Treppe.

„Weißt du eigentlich, wie viele Sorgen ich mir gemacht habe?!“

„Ma ...“

„Schleicht sich einfach mitten in der Nacht aus dem Haus!“

„Ma ...“

Violet Graves kam in Windeseile auf ihn zu, zog seinen Kopf zu sich herab und drückte ihm einen Begrüßungsschmatz auf die Backe. Nur schwach schaffte er es, sich dagegen zu wehren.

„Ma ...!“

„Komm mir nicht so, du Bengel!“

„Ma ... Kannst du mich bitte loslassen?“

Gequält machte er sich von ihrem Griff frei und sah betreten zu ihr hinab. Violet Graves war eine zierliche Frau, die ihm gerade einmal bis zur Brust reichte. Ihre schwarzen Haare waren mit einzelnen weißen Strähnen durchzogen und zu einem strengen Dutt zusammengebunden.

„Sagst deiner Mutter nicht mal im Büro guten Morgen! Schämst du dich gar nicht?“, zeterte sie weiter.

„Doch, Ma ... Hör zu ...!“

Statt ihm zuzuhören, drückte sie ihm nur noch mal einen Kuss auf die Backe. Percival versuchte, so gut wie möglich den Kopf wegzudrehen.

„Ma ...“

„Hast du nichts zu mir zu sagen?“

„Doch, Ma ...“

Weiter kam er nicht. Wie sollte er ihr begreiflich machen, dass ihr Verhalten für ihn hochpeinlich war, ohne sie zu kränken? Sein Bruder und Graves senior beobachteten die Szene vom Arbeitszimmer aus. Raymund hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Sein Vater sah weniger erfreut aus.

„Ma ...“

Sie sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich bin müde ...“

„Ja ja, du willst wohl, dass ich irgendwann an einem Herzinfarkt sterbe, krank vor Sorge!“

„Ma, darf ich mich wenigstens umziehen und frisch machen?“, fragte er niedergeschlagen.

Erst damit schien sie sich zufriedenzugeben. Violet Graves musterte ihren zweitältesten Spross noch einmal eindringlich, sagte aber nichts mehr. Percival schlurfte hinauf ins Obergeschoss und in sein Zimmer, das auf die Hofseite hinaus zeigte. Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen und starrte an die mit Stuck verzierte Zimmerdecke.

Seine Mutter raubte ihm mit ihrer überfürsorglichen Zuneigung die Luft zum Atmen. Immer dann, wenn sein jüngerer Bruder Edric in Ilvermorny war und Percival dann quasi der jüngste, anwesende Sohn der Familie war. Und das mit Anfang 20.

‚Und sie wundert sich, dass ich mich aus dem Haus schleiche‘, dachte er und rollte sich auf dem Bett herum.

Am liebsten hätte er sich bis zum nächsten Tag unter der Bettdecke verkrochen. Das hätte aber bedeutet, dass er auf das Abendessen verzichten konnte. Und aus der Küche war ihm ein verführerischer Duft von Hummer in die Nase gedrungen. Auch wenn Percival nicht ganz wusste, warum, denn die teuren Schalentiere kamen üblicherweise nur zu feierlichen Anlässen auf den Tisch.

„Ob die meinen ersten Arbeitstag feiern wollen?“

Der Auror starrte aus dem Fenster, dachte darüber nach und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass dem definitiv nicht so war. Er hustete einmal vernehmlich und richtete sich dann auf. Schnell hatte Percival sich aus seinen Klamotten geschält, sich notdürftig gewaschen und ein frisches Hemd, Weste und einen gemusterten Seidenschal angelegt. Ein dunkelblaues Sakko komplettierte sein Erscheinungsbild. Ohne durfte er es sich nicht erlauben, seinem Vater unter die Augen zu treten.

Percival steckte seinen Zauberstab in die Innenseite des Sakkos und verließ sein Zimmer. Er ging wieder nach unten. Inzwischen standen seine Eltern und sein Bruder am unteren Ende der Treppe und unterhielten sich. Er sammelte sich und ging dann nach unten.

„Vater, Mutter“, grüßte er seine Eltern höflich.

Violet Graves fuhr auf dem Absatz herum.

„Lass dich anschauen!“

Sie begutachtete ihn von oben nach unten und schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Gottergeben ließ er sich einen dritten Schmatz auf die Backe geben und küsste seinerseits irgendwo neben ihrem Ohrring in die Luft. Dann sah er seine Mutter neugierig an.

„Wird etwas gefeiert?“

„Mein Sohn wird endlich erwachsen!“, meinte sie theatralisch.

Violet hakte sich bei ihm unter und führte ihn ins Esszimmer.

„Ist das kein Grund zu feiern?“

Percival war leicht rot um die Nase. Statt einer Antwort hielt er auf den Platz zu, der am entferntesten von der Stirnseite der Tafel war. Seine Mutter schob ihn jedoch genau auf den Platz zur Rechten seines Vaters.

„Du sitzt heute Abend da.“

Percival schluckte, sagte aber nichts. Sie warteten, bis Graves senior und Raymund aufgeschlossen hatten und setzten sich dann. Mutter saß ihm gegenüber, sein Bruder rechts von ihm.

„Nun erzähl, Sohn, wie war dein erster Arbeitstag?“

Richard Graves schien für den Augenblick vergessen zu haben, dass er mit seinem Zweitgeborenen wegen heute Morgen noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Interessiert hatte sich der Alte nach vorne gebeugt und ließ Percival nicht aus den Augen.

„Anders als erwartet“, erklärte dieser.

Raymund unterdrückte ein Prusten. Die Tür zur Küche wurde aufgestoßen und zwei Hauselfen kamen mit einem Servierwagen herein. Sein Vater sah ihn immer noch neugierig an.

„Ich hatte nicht erwartet, dass es im Büro so stickig ist.“

Sein Vater brummte zustimmend.

„Das haben wir in ein paar Jahren hoffentlich bald hinter uns. Und sonst? Was hat Shoemaker dir erzählt?“

Percival durchfuhr ein Schauer, als ihm wieder einfiel, dass der oberste Auror seinen Vater „Dickie“ genannt hatte. Richard schien es nicht bemerkt zu haben.

„Er hat mir von seinem ersten Fall erzählt ...“

„Dafoe?“, fragte Richard.

Percival nickte.

„Der arme Junge“, murmelte seine Mutter und breitete eine Stoffserviette auf ihrem Schoß aus.

Einer der Hauselfen schnippte mit dem Finger und vier Suppenteller flogen auf die Gedecke vor den Graves. Danach zogen sich die Hauselfen wieder in die Küche zurück. Percival breitete ebenfalls eine Serviette aus und nahm dann den Löffel zur Hand. Weiter kam er nicht, denn sein Vater richtete gerade die nächste Frage an ihn.

„Und wie ist dein erster Fall?“

„Interessant“, antwortete er und beobachtete seinen Vater dabei, wie er genüsslich einen Löffel Kürbiscremésuppe aß. „Ich hätte nicht gedacht, dass man mir einen NoMaj-Fall zum Bearbeiten gibt.“

Schnell schob sich Percival ebenfalls einen Löffel in den Mund.

„Ah, NoMaj? Welcher denn?“, fragte nun Raymund.

Percival biss sich fast auf die Zunge. Schnell würgte er die wenigen Stückchen vom Kürbis hinunter.

„Den mit der Bank.“

„Oh, den?“

Der junge Auror sah seinen Vater abschätzig an. Er war sich nach wie vor nicht sicher, ob es sich lediglich um einen Fall zum Test für ihn handelte. Nach all seinen Erkenntnissen war ein NoMaj für den Diebstahl verantwortlich. Wie sehr Graves senior darin verstrickt war, dass sein zweitältester Sohn diesen Fall zum Bearbeiten bekam, oder ob nicht in Wahrheit sein Bruder damit zu tun hatte, wusste er nicht.

„Willst du uns nicht davon erzählen?“, fragte nun seine Mutter.

Percival aß zwei weitere Löffel Suppe, ehe er auf die Frage antwortete. Es gab keinen Grund, seinen Aurorenkollegen nicht davon zu erzählen. Und genau das waren alle Anwesenden.

„Der Bankdirektor erscheint mir etwas nachlässig mit seinen Schlüsseln umzugehen“, erklärte er.

„Oh.“

Mehr hatte Graves senior dazu nicht zu sagen. Die Familie beendete die Vorspeise. Wie auf einen unsichtbaren Befehl hin kamen die Hauselfen wieder herein, trugen das Geschirr ab und servierten den Hummer. Percival hatte das Krustentier über die letzten Jahre lieben gelernt. Er hoffte, dass er es sich auch dann und wann leisten könne, wenn er eine eigene Wohnung gefunden hatte und beschloss, die Hauselfen über die richtige Zubereitung zu befragen.

„Und weißt du schon, wer der Täter ist?“

„Nein, Mutter. Dafür ist es noch etwas zu früh.“

„Aber einen Verdacht hast du doch, oder?“

„Ja, einer der Angestellten.“

Innerlich verdrehte er die Augen. Manchmal war sie echt schwer von Begriff.

„Ich will nur sichergehen, dass es tatsächlich kein Magier war“, fügte er hinzu und beugte sich über seinen Anteil des Hummers.

„Und wie willst du das machen?“, fragte Raymund.

Percival seufzte.

„Mich in die Bank schleichen und ein Appare Vestigium wirken“, erklärte er und ließ die Gabel im Mund verschwinden.

„Du willst in eine NoMaj-Bank einbrechen?“, fragte Graves senior interessiert.

„Mhm.“

„Dann lass dich bloß nicht erwischen“, kommentierte Raymund.

„Vielen Dank auch für den Tipp.“

„Und was machst du, wenn du nichts findest?“, fragte das Familienoberhaupt.

„Den Fall an Shoemaker zurückgeben und ihm sagen, dass dafür die New Yorker Polizei zuständig ist“, erwiderte Percival rundheraus.

Schweigen kehrte ein am Esstisch. Percival war es ganz recht, so konnte er sich endlich einmal auf sein Essen konzentrieren. Der Hummer schmeckte leicht salzig und war butterzart zubereitet. Eher lustlos stocherte Percival in den Blattsalaten herum, die es als Beilage gab, sein Anteil des Krustentiers war hingegen schon fast von seinem Teller verschwunden. Mit einem Stück Brot tunkte er die Salatsoße auf.

„Das solltest du lassen“, meinte Richard Graves plötzlich.

Percival realisierte zunächst nicht, dass er gemeint war. Unbeirrbar aß er weiter.

„Pst, Percy, du bist gemeint“, flüsterte sein Bruder.

„Hm?“

Mit vollem Mund sah er erst seinen Bruder, dann seinen Vater an.

„Du solltest den Fall auf jeden Fall lösen“, erklärte Graves senior.

Schnell hatte er das Brot geschluckt.

„Ist das nicht nur ein Test-Fall für mich?“, fragte er lustlos.

Der Appetit war ihm vergangen. Sein Vater warf Raymund einen überraschten Blick zu.

„Das ist kein Test-Fall für dich, Percival Graves. Und du wirst ihn bis zum Ende bearbeiten, haben wir uns verstanden?“, ermahnte sein Vater ihn.

Percival legte das Besteck auf den Tisch und wischte sich mit der Serviette über den Mund. Er wollte gerade etwas erwidern, als er den warnenden Blick seiner Mutter sah.

„Ja, Vater.“

Er ließ den Kopf hängen. Den Biscuit-Kuchen, den es als Dessert gab, aß er nur zur Hälfte. Graves senior schien nichts von der Lethargie seines Zweitgeborenen zu bemerken. Als er sein Dessert beendet hatte, tupfte er sich die Lippen mit seiner Serviette ab und legte sie auf den Tisch.

„Also? Wie willst du in die Bank reinkommen?“

„Apparieren“, antwortete Percival und fuhr fort, in seinem Kuchenstück zu stochern.

„Und weiter?“

„Wie ‚und weiter‘? Das hab ich doch schon gesagt. Appare Vestigium sollte mir sagen können, ob ein Magier beteiligt ist oder nicht.“

„Und was unternimmst du gegen die Wachleute?“

Percival ließ die Kuchengabel fallen.

„Stupor und bei Bedarf Obliviate. Was sollen all die Fragen zu meiner Taktik?“, fragte er aufgebracht.

„Ich will mich nur vergewissern, dass du es nicht vermasselst.“

Violet Graves hielt hörbar den Atem an. Percival schob abrupt den Stuhl zurück, stand auf und verließ das Esszimmer.

„Wo willst du hin?!“, rief Graves senior ihm hinterher.

„Ins Bett! Ich will noch ein paar Stunden schlafen, ehe ich in eine NoMaj-Bank einbreche!“

Er schrie schon fast, stürmte aus dem Esszimmer und zur Treppe im Vestibül.

„Percy! Percy, jetzt warte doch!“

Seine Mutter eilte ihm hinterher, aber er war gut darin, sie abzuhängen. Percival war im Obergeschoss bereits um die Ecke verschwunden, als sie die unterste Treppenstufe erreicht hatte. Er eilte den Gang entlang, stürmte in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Da ein Schließzauber seine Mutter nicht davon abhalten würde, in sein Zimmer zu kommen, klemmte er seinen Schreibtischstuhl unter die Klinke. Danach trat sich der junge Auror die Schuhe von den Füßen, riss sich die schicken Klamotten vom Leib und verkroch sich mit seinem Zauberstab unter der Bettdecke. An der Spitze des Zauberstabs pulsierte ein fahles Licht.

Fünf Minuten später hörte er seine Mutter gegen die Tür klopfen.

„Lass mich in Ruhe!“, brüllte er durch das Kissen.

„Ich will nur mit dir reden.“

„Aber ich nicht mit dir. Mit keinem von euch.“

„Percival!“

„Nein!“

„Percival Graves! Zwing mich nicht dazu, in dein Zimmer zu apparieren.“

Frustriert kämpfte er sich aus seinem Bett und stapfte in Unterhosen zur Tür hinüber. Keine zwei Sekunden später stand seine Mutter im Zimmer und wollte ihm über die Wange streichen, was er geflissentlich abwehrte.

„Ma, ich bin kein Kind mehr!“, erklärte er.

„Du wirst immer mein Kind bleiben. Also, magst du deiner Mutter nicht erzählen, was los ist?“

„Was los ist? Du weißt sehr wohl, was los ist!“, echauffierte er sich. „Vater behandelt mich nach wie vor wie ein Kind!“

„Aber Percy ...“

„Nichts ‚aber Percy‘! Ich hab’s satt, dass ihr mich alle wie ein Kind behandelt. Mein Name ist Percival und nicht ‚Percy‘!“

Er stapfte zum Fenster hinüber und starrte mit verschränkten Armen hinaus. Violet Graves seufzte.

„Vater wird mit nie als gleichwertig betrachten, hab ich Recht?“, fragte er einige Augenblicke später.

Seine Mutter trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Ihre Finger waren angenehm kühl.

„Wie kommst du darauf?“

„Er hat es mir nicht verziehen, dass ich nicht in die Politik gegangen bin, so wie er wollte, oder?“

„Aber Percival. Dein Vater akzeptiert dich genau so, wie du bist.“

Er sah seine Mutter schief an. Manchmal war sie im Lügen so schlecht wie ein dreijähriges Kind.

„Und warum fragt er mich nach Dingen, die man in Ilvermorny in der dritten Klasse lernt? Grundlagenwissen aus der Aurorenausbildung?“, konterte er. „Nein Mutter, für Vater werde ich immer nur der Sohn zweiter Klasse sein.“

Sie wollte ihm erneut über den Kopf streichen, aber er wich ihr aus.

„Dein Vater liebt dich.“

Percival knurrte verächtlich.

„Kannst du mich jetzt bitte allein lassen? Ich will mich auf morgen vorbereiten.“

Violet Graves seufzte.

„Soll ich dir einen der Hauselfen mit einem Schlaftrunk hochschicken?“

Er überlegte kurz, nickte dann. Seine Mutter verließ daraufhin das Schlafzimmer. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Percival starrte wütend in die Nacht hinaus. Der Wind trieb Wolkenfetzen vor dem Vollmond her.

„Mr. Graves. Mr. Graves, Sir”, flüsterte jemand neben ihm. „Mr. Graves.“

Schlaftrunken rollte er sich herum. Der Störenfried ließ nicht von ihm ab und stupste ihn an der Schulter.

„Mr. Graves, Sir. Sie baten mich, Sie um halb drei zu wecken.“

Percival riss die Augen auf.

„Stimmt“, murmelte er Weazle ins Gesicht. „Nun, wie spät ist es?“

„Halb drei, Sir.“

Er rollte sich wieder auf den Rücken und streckte sich. Die Wirkung des Schlaftrunks ließ nur zögerlich nach.

„Sir, ich habe es mir erlaubt, Ihnen ein Frühstück zuzubereiten. Wollen Sie eine Tasse Tee, Sir?“

Percival sprang aus dem Bett. Tatsächlich, dort stand ein relativ gut gefüllter Anrichtewagen mit Rollen. Schnell hatte er die wenigen Meter überwunden und goss sich Tee in seine Lieblingstasse.

„Wie komme ich zu der Ehre?“, fragte er und trank einen Schluck.

„Sir, wenn Sie sich in der Zukunft von der Küche fernhalten könnten ...“

Percival drehte sich zu dem Hauselfen um und sah ihn pikiert an.

„Entschuldige. Ich hätte hinter mir aufräumen sollen, aber ich hatte Angst, dass meine Eltern wach werden.“

„Benötigen Sie noch etwas, Sir?“

Weazle schien das Thema äußerst peinlich zu sein.

„Nein, du kannst gehen. Vielen Dank.“

Der Hauself entschuldigte sich höflich und hatte das Zimmer schneller verlassen, als Percival bis drei zählen konnte. Er machte sich über sein Frühstück her, das um Welten besser aussah und schmeckte, als sein jämmerlicher Versuch vom Vortag. Beiläufig schwang er seinen Zauberstab in Richtung Schrank. Frische Kleidung kam daraus hervor geflogen und drapierte sich auf seinem Bett. Ein neuerliches Schwingen des Zauberstabs förderte seinen Kamm zu Tage, der ihm nun durch die wirren schwarzen Haare strich.

Percival musste sich beeilen. Wollte er die Bank untersuchen, noch ehe die Dämmerung einsetzte, hatte er nicht mehr sehr viel Zeit. Maximal zwei Stunden würden ihm zur Verfügung stehen, wenn er pünktlich loskam.

Schnell schob er sich die karamellisierten Apfelscheiben in den Mund. Weazle wollte ihn wohl wirklich nicht mehr in der Küche haben, wenn er ihm solche Gaumenfreuden bereitete. Percival beendete sein Frühstück, wusch sich Gesicht und Zähne und sah sich im Spiegel an. Er war nicht gewohnt, so früh aus den Federn zu steigen. Entsprechend verschlafen sah sein Spiegelbild aus. Trotzdem fühlte er sich einigermaßen erholt.

Percival zog seinen schwarzen Mantel an und schlich dann auf den Gang hinaus. Mit einem einfachen Lumos leuchtete er seinen Weg vorbei am elterlichen Schlafzimmer, der Familienbibliothek und hinab ins Vestibül. Der Auror wollte gerade zur großen Eingangstür gehen, als es rechts von ihm raschelte. Er wandte den Kopf um. Weazle stand dort und winkte ihn verlegen zu sich. Er trat zu ihm ins Esszimmer.

„Was gibt’s?“, flüsterte Percival.

„Sir, vielleicht sollten Sie den Weg nehmen, den Sie gestern Abend gekommen sind?“

„Wieso?“

Der Hauself sah verlegen auf den Boden.

„Der Haupteingang knarzt etwas.“

Percival sah ihn perplex an.

„Habt ihr die Angeln noch immer nicht geölt? Vater hat euch das doch schon vorgestern aufgetragen.“

„Doch, aber das Schmieröl hat leider nicht für alle Angeln gereicht und Ihr wisst doch, dass wir nicht raus dürfen.“

Weazle schwieg peinlich berührt und versuchte, mit seinem Fuß ein Loch in den Boden zu bohren. Percival seufzte ergeben.

„Na gut, ich sag Vater nichts davon. Und ich besorg euch auch das Schmieröl. Und ich nehm auch den Seiteneingang, aber wenn ich zurückkomme, wird als erstes die Tür geölt.“

„Ja, Sir.“

„Und ich darf weiterhin in die Küche“, fügte Percival hinzu.

Weazle wurde blass, doch der Hauself traute sich nicht, Widerstand anzumelden. Nicht, nachdem Percival ihm bereits zugesagt hatte, ihn und die anderen gegenüber seinem Vater zu decken. Er sah ihm noch einmal streng ins Gesicht und wandte sich dann der Terrassentür zu. Weazle kam ihm nach.

„Du musst mir bei Gelegenheit zeigen, wie man Apfelscheiben karamellisiert“, meinte Percival versöhnlich.

Er trat auf die Terrasse hinaus.

„Ja, Sir.“

„Also haltet euch bedeckt und warte, bis ich zurück bin.“

„Ja, Sir. Passen Sie bitte auf sich auf, Sir.“

Der Auror überquerte den Rasen und trat auf den Gehsteig hinaus. Von dort würde er endlich zur Bank disapparieren können. Graves Manor selbst war mit einem mächtigen Apparierschutzzauber versehen. Ministeriumsdirektive von höchster Ebene, an die sich alle Auroren zu halten hatten. Percival hatte damals mit seinen sechs Jahren fasziniert zugesehen, als seine Eltern und einige ihrer Kollegen den Schutzwall um das Anwesen errichtet hatten. Inzwischen war es zu einer lästigen Selbstverständlichkeit verkommen.

Percival zuckte nicht mit der Wimper und war verschwunden ...

... um im gleichen Augenblick irgendwo unweit der José Martí Statue im südlichen Central Park aufzutauchen. Einige Vögel flogen schnatternd auf, ansonsten blieb alles ruhig. Der Auror eilte zum Ende des Parks und blieb dort in den Schatten verborgen. Neugierig linste er zur Steen National Bank hinüber. Wie er vermutet hatte, lief dort ein Wachmann vor dem Haupteingang auf und ab. Ein Weiterer war vermutlich in der 6th Avenue postiert. Percival beschloss, sich erst einmal um den einen zu kümmern. Er wartete, bis der Mann am Ende seiner Bahn ankam und sich umdrehte, um wieder in die andere Richtung zu laufen.

Der Auror apparierte hinter ihn und setzte ihn mit einem Stupor außer Gefecht. Danach schlich er zur Hausecke und sah in die 6th Avenue. Der zweite Wachmann war gerade einmal zwei Meter von ihm entfernt und sah ihm direkt ins Gesicht, erst Schrecken, dann Verwunderung, dann Besorgnis im Gesicht. Der Mann packte seinen Schlagstock etwas fester, zückte ihn aber nicht. Entschlossen trat Percival um die Ecke und setzte auch ihn mit einem Stupor außer Gefecht. Danach wandte er Obliviate an, um die Erinnerung des Mannes an diesen kleinen Überfall zu löschen.

Percival vergewisserte sich, dass er alle Wachmänner auf der Straße erwischt hatte und zog seine beiden bisherigen Opfer dann in den rechten Flügelhof der Bank. Dort würde man sie nur sehen, wenn man die Treppe zum Haupteingang hinaufstieg oder herabkam. Die Zeit des Aurors lief. Ohne weiter zu trödeln, apparierte er ins Vorzimmer des Bankdirektors und leuchtete mit Lumos herum. Ms. Walshs Schreibtisch war feinsäuberlich aufgeräumt. Die Tür zu Bingleys Büro war abgeschlossen.

Auf leisen Sohlen schlich der Auror zum Treppenhaus und sah hinab. Am Vortag war ihm hier oben kein Wachmann aufgefallen. Ausschließen wollte er aber noch nicht, dass sich gelegentlich einer hierher verirrte. Percival eilte die Treppe hinab und wäre fast erneut in einen Wachmann hineingelaufen, hätte ein Schatten an der Wand ihn nicht abrupt abbremsen lassen.

So arbeitete er sich vor, bis er nach mehreren Stupors, Obliviates und Apparieren im Tresorvorraum angekommen war. Ein schlichtes Alohomora öffnete das Allerheiligste der Bank.

„Wenn Bingley wüsste ...“, murmelte Percival halb vergnügt, halb besorgt, und trat ein.

Für ihn war es bisher ein Leichtes gewesen, in die heilige Kammer der Bank einzudringen. Er war zwar ein ausgebildeter Vollblutauror, dessen Linie bis auf einen der Gründer dieser Einheit zurückreicht. Aber jemand, der eine normale Ausbildung an Ilvermorny genossen hatte, würde hier genauso leicht reinkommen, wie er.

„Und verstößt damit wohl wissentlich gegen Rappaports Gesetz ...“

Je nachdem, was er hier herausfand, würde sich die ganze Geschichte wohl doch ziemlich heikel entwickeln. 

Percival sah sich um. Der Tresor war kleiner, als er erwartet hatte. An der linken und rückwärtigen Seite waren zahlreiche kleine Fächer eingelassen. Mehrere große Schließfächer zu seiner Rechten beinhalteten wohl das bankeigene Vermögen. Appare Vestigium musste er zweimal wirken, da es ihm beim ersten Mal nicht gelang. Frustriert brummte er und versuchte, in dem goldenen Nebel etwas zu erkennen. Und grummelte dann erneut. Eine magisch begabte Person hatte sich hier in letzter Zeit nicht aufgehalten.

„Wie ich’s mir dachte ...“

Für den Diebstahl war offensichtlich ein NoMaj verantwortlich. Appare Vestigium würde ihm dabei nicht helfen können. Der Auror wollte sich gerade abwenden, als der Zauber plötzlich doch Informationen preisgab. An der rechten Seite ploppten magische Abdrücke von Goldbarren aus den Fächern und fielen zu Boden. Percival traute seinen Augen nicht recht. Das dazu gehörige Fach stand sperrangelweit offen. Fußspuren eines Zauberers konnte er aber nach wie vor nicht erkennen.

„Was in Mercy Lewis Namen geht hier vor?“, fragte er sich verwirrt.

Ein zweites Schließfach öffnete sich und weitere Goldbarren kamen daraus hervor. Percival reckte den Hals, um in die Fächer blicken zu können, sah aber, dass sie leer waren.

„Huh?!“

Die Goldbarren, die aus dem ersten Fach gefallen waren, begannen zu verschwinden. Der Auror sah es zunächst nicht, weil er viel zu sehr auf das dritte Schließfach fixiert war, das sich mittlerweile geöffnet hatte. Dahinter befanden sich jedoch nur NoMaj-Geldscheine, Dollar in Hülle und Fülle, an denen der Täter kein Interesse zu haben schien.

„Hä?“

Percival sah wieder auf den Haufen aus Goldbarren und zuckte dann zusammen. Dort saß eine flauschige Kugel und schob sich mit einer pelzigen Pfote die Goldbarren in den Bauch. Er trat zur Seite und beugte sich hinab, um die Kreatur besser erkennen zu können.

„Pelziges Ding.“

Fasziniert sah er dabei zu, wie die Fellkugel einen Goldbarren nach dem anderen in seinem Bauch versenkte. Offensichtlich waren Goldbarren aus zwei Fächern genug, denn es machte sich an den Rückweg. Percival stolperte dem kleinen Geschöpf hinterher.

„AUTSCH!“

Er war zu euphorisch, um auf seine Umgebung zu achten, und war prompt gegen die Messingstäbe gelaufen. Jetzt rieb er sich die Stirn und sah dem mysteriösen Wesen dabei zu, wie es glatt durch die Stäbe hindurch verschwand und den Wirkungsbereich des Appare Vestigium Zaubers verließ.

„Verdammt!“

Schnell überwand er die Absperrung. Im Vorraum verweilte er gar nicht länger. Percival konnte sich auch so denken, wohin das Wesen wollte. Im Erdgeschoss angekommen wirkte er den Aufspürzauber erneut, stärker dieses Mal, sodass er sich auf die komplette Etage ausdehnte. Hier war es gar nicht so leicht, den pelzigen Dieb wieder aufzuspüren. Zumal Percival hier nun auch über mehrere Fußspuren von Hexen und Magiern stolperte. Mindestens fünf von ihnen hatten sich hier kürzlich aufgehalten.

„Scheiße!“

Erst hatte er nichts, dann auf einmal viel zu viele Verdächtige. Percival bog um die Ecke und sah die Gänge entlang. Dort bei dem Wachmann, den er eine halbe Stunde zuvor betäubt hatte, hüpfte es auf dem Boden in Richtung Ausgang. Er hetzte dem Geschöpf hinterher, sprang über den Bewusstlosen und lief ebenfalls Richtung Ausgang. Und verharrte. Würde er die magische Verfolgungsjagd in den Straßen New Yorks fortsetzen, würden unweigerlich einige NoMajs auf ihn aufmerksam werden.

Das kleine Wesen, das offensichtlich der Dieb war, mochte auf die Entfernung auch wie eine Ratte wirken. Kein seltener Anblick in New York. Zu gerne hätte er gewusst, um was für ein Geschöpf es sich handelte. Percival hatte von nichts dergleichen gehört. Trotzdem musste er sich davor hüten, durch seine Neugier die Welt der Hexen und Zauberer den NoMajs preiszugeben.

„Scheiße!“, wiederholte er.

Percival machte auf dem Absatz kehrt. Es erschien ihm sinnvoller, sich noch einmal in der Bank umzusehen. Vielleicht hatte er bisher etwas übersehen? Drei NoMajs hatte er im Erdgeschoss des Geldinstituts betäubt. Er durfte nicht vergessen, sie noch einmal zu oblivieren, bevor er ging. Die Fußspuren der anderen Hexen und Magier, die sich kürzlich hier aufgehalten hatten, führten alle ziemlich kollektiv zu den Schaltern, an denen er tags zuvor auch gewartet hatte. Bei genauem Hinsehen erkannte er sogar seine eigenen Fußabdrücke, wie er an der Säule aus rotem Marmor gewartet hatte. Eine der Spuren führte um ihn herum, aber die konnte auch schon älter sein. Zwei der Spuren führten die Treppe nach oben, eine davon war seine. Eine weitere Spur führte direkt zum Aufzug und war somit schon älter. Trotzdem war es nicht ausgeschlossen, dass diese etwas mit dem pelzigen Dieb zu tun hatte. Keine der Spuren führte in den Tresorraum, was ihn wunderte. Die restlichen Fußabdrücke führten allesamt wieder aus der Bank hinaus.

Der Auror war in einer Sackgasse angekommen. Um jede der Spuren vom Betreten der Bank bis zum Verlassen zweifelsfrei zurückzuverfolgen, würde er einen ganzen Vormittag benötigen. Zeit, die er nicht hatte. Selbst wenn er in der nächsten Nacht wiederkehrte, würde sich das Bild morgen verändert haben. Und die Wachleute würden auf der Hut sein. Percival hatte sie heute überrumpelt. Er ging davon aus, dass sie kollektiv über den Vorfall Stillschweigen bewahren würden. Schließlich hing ihr Job davon ab. Aber ein zweites Mal wollte er sie nicht betäuben und oblivieren müssen.

Percival brummte verdrießlich und sah sich um. Hier würde er nichts Neues erfahren. Er wusste zwar nun, wer das Gold genommen hatte. Aber wie er den pelzigen kleinen Gesellen aufspüren konnte, ohne dabei halb NoMaj-New York aufzuscheuchen, war ihm noch nicht klar. Percival beschloss, es für diese Nacht gut sein zu lassen, zumal es draußen bereits hell wurde. Er hielt sich schon viel zu lange in der Steen National Bank auf. Eilig ging er die Wachleute ab, die im Erdgeschoss verteilt herumlagen und oblivierte sie sicherheitshalber noch einmal.

Er wollte die Bank gerade verlassen, als ihm etwas ins Auge blitze. Percival machte einen Satz und sprang zur Seite. Was hatte ihn erschreckt? Zunächst hatte er geglaubt, ein grelles Licht von außerhalb der Bank hätte ihn geblendet. Er stand reglos hinter einer der Säulen und blickte in Richtung Eingangstür. Nichts regte sich. War es möglich, dass die Wachen draußen schon wieder wach waren? Ein schneller Blick auf seine Taschenuhr verriet ihm, dass er noch mindestens eine viertel Stunde seine Ruhe haben sollte. Was war es dann?

Percival trat von der Säule hervor und sah sich noch einmal um. Schwang den Zauberstab mit seinem Lumos. Und wurde erneut geblendet. Er sah genauer hin und entdeckte etwas Glitzerndes unter einer der Sitzbänke. Dort lag ein Diamantohrring. Percival nahm das Schmuckstück in die Hand. Seine Trägerin kam zweifelsohne aus gehobenem Hause. Der Auror war jedoch mehr auf das Stückchen Haare fixiert, das an dem Ohrring hing. Es sah dem Fell des pelzigen Diebs zum Verwechseln ähnlich. Und wenn er ehrlich war, eine andere Spur hatte er momentan nicht.

Die Fellprobe steckte er ein, den Ohrring brachte er zum nächsten Schalter. Die Dame, die ihn verloren hatte, würde sicher hocherfreut sein, ihn wieder zu bekommen. Dann oblivierte er die Wachmänner ein drittes Mal und disapparierte.

Triumphierend starrte Percival auf die Federn vor seinem Schreibtisch. Er erkannte drei verschiedene Eulenarten, darunter auch einen der Uhus, der ihn tags zuvor gerammt hatte. Häufchen waren keine zu sehen. Er beschloss, die Federn als Mahnmal liegen zu lassen, wo sie waren, und setzte sich. Er schob die Schreibmaschine beiseite und räumte seine Unterlagen aus der Aktentasche. Den Fellfetzen platzierte er mitten auf dem Tisch und stellte seine Tischlampe an.

Michelle war nirgends zu sehen, die Tür zum Commissioner geschlossen und Raymund unauffindbar. Nur die Tür ins Büro seines Vaters stand sperrangelweit offen, Licht brannte in dem Zimmer. Gut möglich, dass sein Bruder bei Graves senior war, aber herausfinden wollte Percival es nicht. Stattdessen nahm er seinen Notizblock und einen Stift zur Hand und begann, das Wesen, das er in dem Appare Vestigium gesehen hatte, grob zu skizieren.

Zuerst malte er zwei Kugeln, die den Körperbau des Diebs bilden sollten. Die Patschepfoten mit den Krallen und der Schnabel waren schwieriger zu zeichnen.

„Oder war es doch ein Rüssel?“

„Morgen“, meinte eine helle Frauenstimme hinter ihm.

Percival zuckte zusammen. Michelle war hinter ihm lang geschlichen, ohne dass er es gemerkt hatte. Diese Nachlässigkeit würde ihn früher oder später ins Grab bringen, wenn er sie sich nicht schleunigst abgewöhnte. Seine Kollegin legte drei Akten auf ihrem Tisch ab und setzte sich.

„Guten Morgen“, stammelte er.

„Ihr Vater bat mich, Sie zu ihm zu schicken, sobald Sie da sind“, erzählte sie gut gelaunt.

„Oh, hat er das?“

Die Hexe nickte und fing dann an, ihre erste Kladde zu bearbeiten. Percival schluckte. Vermutlich würde sein Vater das Gespräch vom Vorabend fortsetzen wollen. Vor den Augen aller anderen Auroren. Warum nur war er so dumm gewesen, beim Nachtisch einfach aufzustehen und zu gehen? Hätte er sich den Vortrag seines Alten bis zum Schluss angehört, hätte er jetzt seine Ruhe gehabt. Abwesend fuhr Percival fort, auf seinem Blatt Papier herumzukritzeln.

„Wollen Sie nicht zu ihm gehen?“, fragte Michelle irgendwann.

„Ich muss das hier erst fertigkriegen.“

Was nicht mal gelogen war. Die Erinnerung an das kleine Wesen war jetzt noch am frischsten. Es erst zu Papier zu bringen, nachdem er sich einen Einlauf bei seinem Vater abgeholt hatte und entsprechend durch den Wind war, würde keinen Sinn machen.

„Lassen Sie mich mal sehen!“

Michelle rutschte mit ihrem Stuhl zu ihm. Percival erstarrte verlegen und ließ sie einen Blick auf seine Zeichnung werfen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt einer attraktiven Hexe so nah gekommen war. Überfordert mit der Situation lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück.

„Ist das ein Maulwurf?“, fragte Michelle.

„Huh? Err ... nein ...“

Sie sah ihn skeptisch an.

„Na ja, eigentlich schon, irgendwie“, gab er schließlich zu.

Die Ähnlichkeit zu dem Wühltier war ihm bisher nicht aufgefallen.

„Hat das was mit Ihrem Fall zu tun?“

Percival nickte. Sie grinste ihm dezent ins Gesicht.

„Dann stör ich Sie mal lieber nicht weiter.“

Michelle rutschte wieder an ihren eigenen Schreibtisch. Percival brauchte einige Minuten, um seine Nerven und vor allem seinen Herzschlag zu beruhigen. Er legte den Stift auf den Tisch und ging zum Büro seines Vaters. Die Abreibung würde ihm helfen, auf andere Gedanken zu kommen. Höflich klopfte er an den Türrahmen, um auf sich aufmerksam zu machen. Sein Bruder stand mit dem Rücken zu ihm im Zimmer.

„Percy!“, rief sein Vater überrascht. „Komm rein! Und mach bitte die Tür zu.“

Percival gehorchte. Raymund sah ihm aufmunternd ins Gesicht.

„Nanu, warum bist du denn so rot im Gesicht?“

„Äh ... Du wolltest mich sehen, Vater?“

„Setz dich!“

Er nahm Platz, während sein Bruder sich an das Regal lehnte und die Arme verschränkte.

„Nun, wie kommst du mit deinem Fall voran?“

„Äh, gut. Warum?“

„Nur so. Wie war dein Ausflug in die Bank?“

Percival sah verwirrt zu Raymund. Wollte sein Vater das Gespräch vom Vortag tatsächlich fortführen, als hätte ihr kleiner Zwist gar nicht stattgefunden? Sein Bruder zuckte nur mit den Schultern. Er schien gleichermaßen ratlos zu sein.

„Ohne Komplikationen, warum fragst du?“

„Und hast du schon einen Anhaltspunkt, wer der Täter sein könnte? Irgendeine Spur?“

Percival starrte Graves senior mit offenem Mund ins Gesicht, klappte ihn dann zu.

„Nun, eigentlich weiß ich schon, wer der Täter ist.“

In der nun folgenden Stille konnte man eine Stecknadel fallen hören.

„Wie, du weißt schon, wer der Täter ist?“, hakte Raymund nach.

Percival nickte verlegen und schaute auf seine Knie.

„Vater, warum hast du mich rufen lassen?“, fragte er dann, um vom Thema abzulenken.

„Nun, eigentlich, um sicherzugehen, dass du gut vorankommst. In einer NoMaj-Institution zu ermitteln, ist auch für uns nicht alltäglich, weißt du?“

„Mit anderen Worten, du wolltest wissen, ob ich eure Unterstützung bei dem Fall brauche?“, vergewisserte er sich.

Sein Vater machte einen ertappten Eindruck.

„War das Mutters Idee?“

Richard Graves sah hilflos zu seinem Ältesten.

„Momentan komme ich noch gut ohne Hilfe zurecht“, erklärte Percival prompt. „Sagt das bitte auch Mutter, wenn ihr sie seht.“

Beide nickten.

„Und wer ist nun der Täter?“, hakte der Alte nach.

„Vater! Ich möchte den Fall erst gelöst und den Täter hinter Gitter gebracht haben, bevor ich euch davon erzähle.“

Percival bekam ein Brummen zur Antwort. Dann fiel ihm etwas ein.

„Vater, darf ich dich etwas fragen?“

„Nur zu.“

„Hast du eine Ahnung, warum dem Bürgermeister daran gelegen sein könnte, dass der Fall aufgeklärt wird?“, fragte er.

„Dem Bürgermeister? McClellan?“

Percival nickte.

„Wo hast du den denn getroffen?“

„Er war bei Bingley, während ich im Vorzimmer gewartet habe. Kam aus dem Büro und wirkte nicht sehr erfreut über den Diebstahl.“

Graves senior brummte erneut.

„Vielleicht ist er auch einfach nur persönlich davon betroffen? Percy, ich weiß auch nicht, wo New Yorks Oberklasse ihre Bankschließfächer hat. Vielleicht will er auch einfach nur sichergehen, dass es ein einmaliger Vorfall bleibt?“

„Ach so. Brauchst du sonst noch etwas von mir?“

„Ja.“

Percival schluckte.

„Michelle hat sich bei mir über deinen Schutzschild beschwert.“

„Michelle hat sich bei dir über meinen Schutzschild beschwert?“, echote Percival.

„Ja. Mach ihn gefälligst wieder weg. Eine der Eulen hat sich den Flügel gebrochen deswegen.“

Percival machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

„Hat Michelle auch erzählt, dass mir gestern ein Uhu an den Kopf geflogen ist?“

Graves senior schüttelte gleichgültig den Kopf, gerade so, als ob es ihn nicht interessierte, ob sich sein zweitältester Sohn dabei verletzt haben könnte.

„Und dass sie ein Häufchen auf meinem Stuhl hinterlassen hat?“

Der Alte verneinte erneut.

„Vater!“

„Was erwartest du, Sohn? Jeder muss hier klein anfangen und sich hocharbeiten. Das galt seinerzeit für mich, das gilt für deinen Bruder und für dich gilt es genauso. So ein Häufchen lässt sich doch mit Links beseitigen!“

Percival sah seinen Vater angriffslustig an. Wie es der Alte einfach immer wieder schaffte, sein Blut zum Kochen zu bringen.

„Und musste Raymund sich auch auf den Kopf machen lassen von den Viechern?“

Endlich einmal sah Vater ihn besorgt und erschrocken an. Wenn Percival sich verletzte, war es in Ordnung. Wenn er nicht mit tadellosem Äußeren auftrat und so dem Ruf der Familie möglicherweise Schande bereitete, war der Teufel los.

„Ist dir das denn passiert?“, fragte Graves senior entgeistert.

„Nein, aber es könnte passieren. Ich sitze schließlich mitten in der Einflugschneise.“

„Hmpf. Ich werde mit Michelle reden. Ich bin mir sicher, dass sich eine adäquate Lösung für das Problem finden lässt.“

„Oder ich bekomme einen anderen Platz.“

Graves senior setzte wieder seinen gewohnt strengen Blick auf.

„Sohn, strapazier meine Geduld nicht! Und jetzt raus mit dir!“

Percival verließ das Büro seines Vaters. Raymund kam ihm nach und hielt ihn an der Schulter zurück.

„Hey, was hältst du davon, wenn wir heute gemeinsam Mittag essen gehen?“

„Du und ich?“

„Ja. Wer denn sonst?“

„Jetzt gleich?“

„Wenn du willst?“

Percival hatte Kohldampf. Seit seinem Frühstück mitten in der Nacht hatte er nichts mehr zu Essen gehabt und es war schon 11 Uhr morgens. Sein Bruder folgte ihm zu seinem Platz. Michelle saß dort und ließ die Schreibmaschine vor sich hintippen. Sie blickte nicht auf. Trotzdem warf Percival ihr einen eisigen Blick zu. Ihre Attraktivität war für ihn mit einem Mal verflogen. Er ging um seinen Tisch herum und sammelte die Zeichnung und die Fellprobe ein. Das Stück Papier steckte er zusammengefaltet in die Innentasche seines Mantels.

„Weißt du, ob es hier irgendwo verschließbare Gläser gibt?“

Als Percival keine Antwort bekam, sah er auf und bemerkte, dass Raymunds Augen auf Michelle geheftet waren. Percival räusperte sich.

„Wie meinst du?“

„Ob man hier irgendwo verschließbare Gläser bekommt. Ich hab eine ... einen Hinweis, den ich nachher untersuchen möchte.“

„Schau doch mal in der Küche, dort steht immer etwas herum ...“

Percival ging zu dem Verschlag und sah sich um. Inzwischen standen hier zahlreiche benutzte Tassen herum. Mit spitzen Fingern öffnete er die Schränke und wurde tatsächlich fündig. Der Auror schnappte sich ein Einweckglas und ging wieder zurück. Und blieb stehen. Raymund und Michelle saßen dort und tuschelten. Percival spitzte die Ohren, konnte aber aus der Ferne nichts hören. Er setzte seinen Weg fort und ließ die beiden nicht aus den Augen. Fast wäre er einem seiner Kollegen hinein gelaufen.

„Entschuldigung ...“, murmelte dieser und stolperte an ihm vorbei.

Percival ignorierte es, trat an seinen Schreibtisch und griff nach dem Fellstück, ohne den Blick von beiden Turteltäubchen abzuwenden. Er packte die Probe in das Glas und verstaute dieses in seiner Aktentasche. Nahm seinen Mantel. Räusperte sich.

„Lasst euch bloß nicht von mir aufhalten“, säuselte er zuckersüß und drehte sich um.

Er war bereits bei den Aufzügen angekommen, als Raymund ihn einholte.

„Percy! Percival, jetzt warte doch!“

„Was läuft denn zwischen euch?“, fragte dieser rundheraus.

„Was soll da laufen?“

Percival sah seinen Bruder kritisch an.

„Es ist ja nicht zu übersehen, wie sie dich anhimmelt.“

Raymund wirkte ertappt.

„Weiß Vater über euch Bescheid?“

„Sei bloß still!“

Percival grinste verschmitzt.

„Percival, ich warne dich! Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlierst ...“

„Reg dich ab! Wenn du mir hilfst, einen anderen Sitzplatz zu bekommen, der weder in deiner noch in Michelles Nähe ist, werde ich schweigen wie ein Grab.“

„Wollen Sie nun einsteigen oder kann ich wieder fahren?“, fragte derweil der Aufzugwärter.

Raymund schob seinen kleinen Bruder in die Kabine und bedeutete dem Wärter, dass sie ins Erdgeschoss wollten.

„Das will ich dir auch geraten haben“, raunte Raymund Percival dann ins Ohr.

„Wie lange läuft das schon zwischen euch?“

„Sei still!“

„Ich hab nur gefragt.“

„Ja ja. Manchmal bist du schlimmer als Mutter.“

Percival verschränkte die Arme. Schweigend fuhren sie ins Erdgeschoss, stiegen dort aus und verließen das Flatiron.

„Also? Welches Restaurant empfiehlst du?“

„Kein Restaurant.“

Raymund zog seinen Bruder am Oberarm die 5th Avenue hinauf und deutete auf eine Menschentraube, die sich mehrere Meter weiter auf der anderen Straßenseite gesammelt hatte. Dahinter war eine kleine Parkanlage zu sehen.

„Wir holen uns Hotdogs.“

„... Hotdogs ...“

„Schau nicht so angeekelt. So schlecht schmecken sie nicht. Außerdem wirst du es dir nicht leisten können, mittags jeden Tag fein Essen zu gehen.“

Die Brüder überquerten die Straße und stellten sich dann in die Schlange.

„Du bist wirklich verwöhnt, weißt du?“

Percival sah ihn pikiert an.

„Stimmt doch gar nicht. Hast du schon vergessen, wie Mutter Edric betüdelt, wenn er zuhause ist?“

„Edric ist auch das Nesthäkchen, da ist das normal.“

„Was willst du damit sagen?“

„Nichts. Du solltest Mutter nur nicht immer so viel Kummer bereiten.“

„Tu ich nicht. Sie macht sich meistens umsonst Sorgen.“

„Aber wenigstens Bescheid sagen kannst du ja, wenn du das Haus verlässt, oder nicht?“

Die beiden waren einige Meter weiter vor gerutscht. Nur noch zwei andere Kunden standen vor ihnen in der Schlange. Percival sah seinen Bruder an.

„Hat sie mit dir geredet?“

„Nur das Übliche. Dass ich ein Auge auf dich haben soll. Du kennst sie ja.“

„Ja. Ich kenne sie. Meinst du, mir hätte es gefallen, vor meinen neuen Kollegen von meiner Mutter abgeschmatzt zu werden?“

Raymund grinste.

„Nein. Das würde wohl keinem gefallen.“

„Und Vater?“

„Wie Vater?“

„Der Nächste!“

„Zwei Mal mit allem.“

Percival sah dabei zu, wie ihr Essen zubereitet wurde. Sein Bruder hatte wenigstens den Anstand, ihn einzuladen. Vorsichtig nahm er seinen Hotdog entgegen, schleckte einmal über das Würstchen an der Stelle, wo ihm der Senf bereits auf die Hand zu tropfen drohte, und verzog das Gesicht.

„Du gewöhnst dich dran“, meinte Raymund und biss herzhaft ab. „Komm, lass uns in den Park gehen.“

Percival biss nun ebenfalls in seinen Hotdog hinein und begann zu kauen. Mit Würstchen und Brötchen schmeckte der Senf gar nicht mehr so schlimm. Trotzdem war es kein Vergleich zu dem, was er sich sonst so kredenzen ließ. Er folgte seinem Bruder den Weg entlang und sie setzten sich auf eine schattige Parkbank. Raymund hatte seinen Hotdog schon fast aufgegessen. Er schien sie wirklich zu mögen.

„Also erzähl mal“ meinte er, als Percival ebenfalls fertig war. „Was hast du für eine Spur?“

Percival sah sich um, ob jemand in der Nähe war.

„Einen kleinen ... Maulwurf, der sich Goldbarren in den Bauch schiebt“, antwortete er vertraulich.

„Häh? Einen Maulwurf?“

„Frag mich nicht, war Michelles Gedanke. Für mich sah es eher wie eine Ratte aus.“

„Michelle?“

Percival holte seine Zeichnung hervor und zeigte sie Raymund. Er nahm sie interessiert entgegen.

„Das ist tatsächlich eher ein Maulwurf, weißt du?“

„Ja, ist ja gut.“

„Hm, das sollen wohl Goldbarren darstellen?“

„Ich will keinen Malwettbewerb damit gewinnen.“

„Verstehe. Und was ist mit den Geldscheinen?“

„Oh, die? Der kleine Kerl gibt sich nur mit Gold zufrieden, wie es scheint. Dollar-Scheine lässt er links liegen.“

„Da kenn ich noch jemanden ...“, murmelte Raymund.

„Huh?“

„Ach nichts.“

Percival sah ihn skeptisch an, nahm die Zeichnung wieder an sich und lehnte sich zurück.

„Ich hab auch ein Stückchen Fell gefunden, das an einem Diamantohrring hing und im Wartebereich der Bank lag. Das möchte ich nachher untersuchen lassen.“

„Einen Diamantohrring?“

„Den hab ich an den Schalter gelegt“, erwiderte Percival schnell.

„Könnte auch von einem Fellkragen oder so stammen.“

„Möglich. Wissen werde ich es erst, wenn die von der Abteilung zum Schutz Magischer Geschöpfe das Fell untersucht haben.“

„Und sonst? Was hast du sonst herausgefunden?“

„Die Bank scheint tatsächlich einige Hexen und Magier als Kunden zu haben. Mindestens fünf haben das Institut aufgesucht.“

„Da hast du ja einiges vor dir.“

Percival nickte.

„Ich möchte nachher noch mal hingehen. Der Direktor hat mir eine Liste aller Kunden zugesagt, die am Tattag in der Bank waren.“

„Und diese mit Mrs. Fuller abgleichen? Ich bin stolz auf dich, Percy!“, entgegnete Raymund erfreut.

„Nenn mich nicht so!“

„Entschuldige!“

Percival neigte den Kopf nach hinten und sah in das Blätterdach über sich. Wenn so das Aurorenleben war, hatte er definitiv den richtigen Beruf gewählt. Er kam halbwegs gut mit seinem Fall voran, sein Vater hatte sich scheinbar auch wieder beruhigt, Mutter war er im Büro bisher auch nicht über den Weg gelaufen. Insgeheim sträubte er sich davor, sie in der Aurorenzentrale zu treffen. Er traute ihr zu, ihn vor versammelte Mannschaft genauso zu hätscheln, wie sie es zuhause tat. Da war ihm Vaters strenge Art um Welten lieber. Und Raymund schien auch mit ihm zufrieden zu sein. Wobei er auf Letzteres nicht so viel Wert legte.

Nur auf Michelle musste er acht geben. Die Hexe, die sich am ersten Tag auf gute Zusammenarbeit mit ihm gefreut und ihn am zweiten Tag an seinen Vater verpfiffen hatte. Anstatt ihn direkt selbst darauf anzusprechen. Dann hätte er es selbst mit ihr klären können.

‚Die falsche Schlange ...‘

„Also, wollen wir zurück?“, meinte Raymund und stand auf.

„Nee lass mal. Ich muss noch zur Bank, die Liste abholen.“

„Okay. Sehen wir uns nachher noch?“

„Weiß nicht. Vielleicht. ... Wenn Michelle nicht mehr da ist ...“

Raymund rollte mit den Augen und ließ ihn dann auf der Parkbank sitzen.

Percival nahm alles zurück, was er bisher Negatives über das Aurorenbüro gedacht hatte. Verglichen mit den Räumlichkeiten, in denen das Amt zum Schutz Magischer Geschöpfe untergebracht war, war das Aurorenbüro der reinste Palast. Seit einer halben Stunde wartete er in dem Kabuff nun darauf, dass einer der Mitarbeiter der Abteilung hier aufkreuzte.

Der Auror hatte sich nicht getraut, weiter als unbedingt nötig in das Büro hinein zu treten. Hier herrschte das reinste Chaos. Warum sie die Knuddelmuffs in einem Käfig neben der Deckenleuchte eingesperrt hatten, war Percival ein Rätsel. Die kleinen Fellknäuel versuchten, mit ihren Zungen die Gegenstände unter ihnen zu erreichen, aber dafür waren sie nicht lang genug. Er selbst befand sich gerade außer Reichweite, um von ihnen abgeschleckt werden zu können.

Vorsichtig schob sich der Auror die Wand entlang.

„Wer sind Sie?“, fragte jemand.

Percival zuckte zusammen und hätte um ein Haar seine Aktentasche fallen gelassen. Der Stuhl rechts von ihm begann, sich zu bewegen. Oder wohl eher das Lumpenknäuel, das sich auf ihm befand.

„Äh ...“

„Bringt mich um meinen wohlverdienten Mittagsschlaf.“

Das Knäuel erhob sich und fischte einen labbrigen Zauberhut vom Kopf. Zum Vorschein kam eine rot angelaufene Halbglatze. Das Gesicht darunter war durch einen zotteligen Rauschebart und buschige Augenbrauen fast nicht auszumachen. Nur ein Monokel verriet, wo die Augen waren. Der Hut wanderte wieder auf den Kopf, nachdem sein Besitzer ihn in Form gebracht hatte. Die Spitze reichte nun fast bis an den Käfig der Knuddelmuffs heran.

„Und mit wem hab ich das zweifelhafte Vergnügen?“

„Äh, Percival Graves, Sir. Ich komm aus der Aurorenabteilung.“

„Ah! Nun, ich bin Oscar Biberfeldt.“

Percival schüttelte vorsichtig die schrumpelige Hand des Alten.

„Also? Was treibt Sie zu mir?“

„Sir. Ich bräuchte Ihre Hilfe bei der Identifizierung einer Fellprobe.“

„Einer Fellprobe?“

„Ja. Ich habe auch noch eine Zeichnung angefertigt, Sir.“

Percival holte seinen Zettel hervor und reichte ihn Oscar.

„Sieht aus wie eine Ratte, wenn Sie mich fragen.“

„Ich hab mir sagen lassen, dass es wohl eher einem Maulwurf ähnelt. Kommt es Ihnen bekannt vor?“

„Nein. So ein Wesen hab ich noch nie in meinem Leben gesehen, wenn ich ehrlich sein soll. Was ist das?“

„Ein Goldbarren. Das Tierchen schiebt sich alles, was glitzert, in den Bauch.“

Oscar raufte sich den Bart.

„Sagt Ihnen das auch nichts?“

„Nein. Zeigen Sie mir mal die Fellprobe.“

Percival holte das Einweckglas aus seiner Aktentasche und hielt es ihm hin.

„Das ist das gute Stück?“

Der Auror nickte verdrießlich.

„Dann wollen wir es mal untersuchen, nich‘?“

Der Zauberer nahm das Glas entgegen und ging zu einem chaotischen Untersuchungstisch. Er nahm Platz und bedeutete Percival, sich ebenfalls zu setzen.

Dann wühlte Oscar auf dem Tisch herum und zog einen dicken Wälzer hervor, der dem Auror vorher nicht aufgefallen war. Die Knuddelmuffs schlabberten derweil eifrig an Oscars Zauberhut herum.

„Also wollen mal sehen ... Maulwurf, Maulwurf ...“

Oscar ging das Buch systematisch durch. Percival zog überrascht die Augenbrauen nach oben, als er nach etwa einem Drittel nur noch leere Seiten sah.

„Hm, nun ja. Das kann schon mal vorkommen“, meinte Oscar.

„Was kann vorkommen?“

„Dass es keine Eintragungen gibt. Wissen Sie, nicht alle Arten sind bisher literarisch erfasst, geschweige denn erforscht.“

Oscar schob den Schinken von sich und rückte sein Monokel zurecht.

„Aber Sie können doch herausfinden, um was für ein Wesen es sich handelt, oder nicht?“, fragte Percival besorgt.

„Nun, zumindest kann ich herausfinden, ob Ihre Probe tatsächlich von einem magischen Tier stammt. Oder ob es nur ein Nerz ist, der sein Dasein nun als Fellmantel fristet. ... Schauen Sie mich nicht so an. Das Büro zum Schutz Magischer Wesen ist seit jeher chronisch unterfinanziert, da schaffen wir es leider nicht, uns neben dem Schutz der bekannten Wesen auch noch um die Klassifizierung der bisher unbekannten magischen Wesen zu kümmern“, erklärte Oscar.

Percival erinnerte sich wage daran, dass sein Vater einmal ein ähnliches Argument über die Aurorenabteilung fallen gelassen hatte. Damals, als er ihm dazu geraten hatte, in die Politik zu gehen. Inzwischen war er sich sicher, dass ein magisch begabter Politiker Ähnliches von sich geben würde.

„Das wird dann wohl reichen müssen“, meinte Percival säuerlich.

Oscar ignorierte ihn, nahm stattdessen die Fellprobe aus dem Glas und legte sie vor sich auf den Tisch. Nachdem er es noch einmal feindselig betrachtet hatte, zog er seinen Zauberstab hervor und sprach einen simplen Analyse-Zauber. Percival beobachtete entsetzt, wie die Fellprobe in Flammen aufging. 

„Gut, das ist ein ziemlich offensichtliches Ergebnis.“

Percival bekam fast einen Hustenanfall.

„Ich verstehe nicht, wie das ein offensichtliches Ergebnis sein kann. Sie haben mein einziges Beweismittel vernichtet!“, warf der Auror Oscar vor.

Letzterer erwiderte seinen Blick gelassen.

„Bei einem magischen Tierwesen wäre das nicht passiert. Scheinbar haben Sie doch nur ein paar Hundehaare vom Boden aufgesammelt.“

Percival starrte Oscar wütend ins Gesicht. Er konnte fühlen, wie ihm das Blut in die Wangen stieg.

„Nehmen Sie es nicht so wild, das passiert den Besten aus Ihrer Abteilung auch.“

Percivals Blut kochte immer noch. Erst jetzt schien Oscar zu bemerken, dass der Kollege aus der anderen Abteilung wirklich aufgebracht war.

„Hey, schauen Sie mich nicht so an!“

Der Auror verzog noch einmal die Nase, atmete dann aber einmal tief durch, um seine Nerven zu beruhigen.

„Und jetzt?“, fragte er.

„Wie ‚und jetzt‘? Jetzt sollten Sie vielleicht in andere Richtungen ermitteln. Sie scheinen ja felsenfest davon überzeugt zu sein, dass ein magisches Tierwesen in Ihren Fall verwickelt ist.“

„Natürlich ist es das!“

„Dann beschaffen Sie eines. Dann haben Sie auch wieder ein Beweisstück.“

Percival sah Oscar säuerlich an. Er war schon wieder kurz vorm Platzen, gerade so, als ob der andere es darauf anlegte, ihn in Wallung zu versetzen. Ohne ein weiteres Wort stand der Auror auf und verließ die Abteilung zum Schutz Magischer Wesen.

‚Der hat gut reden! Wie soll ich eines fangen, wenn ich keinerlei Anhaltspunkt habe‘, dachte er.

Er stapfte den Gang entlang zu den Aufzügen, und wartete etwa fünf Minuten, ehe sich die Türen der Aufzugkabine vor ihm öffneten. Ohne den Wärter eines Blickes zu würdigen, trat er ein.

„Abteilung für Magische Strafverfolgung!“

Auf dem Weg drei Stockwerke nach oben dachte Percival nach. Das Einzige, was ihm jetzt noch blieb, war die Liste mit den Kunden, die die Steen National Bank am Tattag aufgesucht hatten. Er konnte nur hoffen, dass Mrs. Fuller, die Zauberstab-Beauftragte, an ihrem Platz saß. Bei den seltenen Gelegenheiten, die er selbst bisher im Büro verbracht hatte, hatte er die Dame nicht zu Gesicht bekommen.

Sie fuhren ins dritte Kellergeschoss und Percival schlüpfte aus der Kabine. Auf dem Weg in die Abteilung kam ihm Michelle eiligen Schrittes entgegen, die blonden Haare leicht zerzaust. Ihr Blick war auf den Boden fixiert und sie rempelte ihn an.

„Sag mal ...!“

Michelle sah ihm nur kurz ins Gesicht und stürmte dann davon. Percival blickte ihr verwundert hinterher, zuckte schließlich mit den Schultern und betrat das Büro.

„Oh!“

Bisher hatte er das Auroren-Büro eher ausgestorben erlebt. Jetzt ging es zu wie auf dem Wochenmarkt.

„Ist etwas passiert?“, fragte er einen vorbeieilenden Kollegen.

Percival bekam keine Antwort. Er beschloss, zuerst seinen Mantel abzulegen, und ging zu seinem Platz.

Und blieb irritiert stehen. Dort standen nach wie vor zwei Schreibtische. Nur war einer davon von seinem Bruder Raymund besetzt.

„Was wird das hier?“, fragte er.

Raymund blickte auf.

„Da bist du ja endlich. Du wolltest doch einen neuen Platz. Fortan kannst du meinen Tisch nutzen. Bis der MACUSA umzieht, versteht sich ...“

„Und du sitzt jetzt hier?“

„Ja.“

Langsam schälte Percival sich aus seinem Mantel.

„Die Sachen hast du schon umgeräumt, wie ich sehe?“

„Ja. Außer deinen Tee und was du sonst noch in der Schublade hast.“

„Oh. Das hol ich gleich.“

Percival wandte sich um und versuchte, in dem Gedränge seinen neuen Arbeitsplatz auszumachen. Ab sofort würde er mitten im Geschehen sitzen. Zwei seiner unmittelbaren Sitznachbarn nahmen nicht Notiz von ihm, während er Mantel und Aktentasche ablegte. Und dann stutzig einen mit Hand beschriebenen Zettel von seinem Tisch aufnahm.

„Ich hasse dich!“, stand dort in krakeligen Buchstaben.

Percival kannte sie nicht. Und bezweifelte, dass Michelle so eine hässliche Handschrift hatte. Jedoch war sie die Einzige, der er in letzter Zeit auf die Füße getreten war.

Der Auror sah sich um. Raymund hatte sich wieder gesetzt und hielt den Kopf gesenkt. Percival ging zu ihm.

„Weißt du, von wem das ist?“, fragte er und hielt seinem Bruder die Notiz hin.

Raymund nahm sie, las sie und sah Percival besorgt an.

„Was hast du angestellt?“

„Ich? Gar nichts!“

„Und woher hast du die Notiz?“

„Lag auf meinem Tisch.“

Sein Bruder sah ihn skeptisch an.

„Sicher, dass sie nicht von Michelle ist?“, hakte Percival nach.

„Sei nicht albern. Frauen haben keine solche hässliche Schreibschrift!“

Percival verschränkte die Arme.

„Und warum ist sie heulend rausgelaufen?“

„Michelle ist heulend rausgelaufen?!“, fragte Raymund entsetzt.

„Ja, ich ...“

Weiter kam Percival nicht. Sein älterer Bruder sprang eilig von seinem Stuhl auf und hetzte aus dem Büro.

„Du mich auch ...“

Er ließ seinen Blick erneut wandern. Und entdeckte eine pummelige kleine Dame mit drahtiger Grauhaarfrisur und Hornbrille auf der Nase, die gerade in der Teeküche verschwand. Percival ging seine Bankkunden-Liste holen und wartete, bis die Alte wieder zum Vorschein kam. Mit einem großen Becher bewaffnet schlurfte sie zum Schreibtisch, der für die Zauberstabzulassung vorgesehen war. Und setzte sich.

„Ah, also doch!“

Er ging zu ihr, setzte ein charmantes Lächeln auf, das nicht zu aufdringlich wirkte, und wartete. Nach einigen Minuten räusperte er sich dezent. Mrs. Fuller zuckte erschrocken zusammen.

„Wie lange stehen Sie schon da?!“, wollte sie von ihm wissen.

Percival blieb freundlich.

„Noch nicht so lange. Ich wollte mich vorstellen, da wir ...“

„Graves, Sie Spaßvogel! Tun Sie nicht so, als würden wir uns heute das erste Mal sehen!“, meinte Sie ungehalten.

„Ich, ähm ...“

„Sie Flegel! Michelle hat mir alles erzählt!“

„Michelle?“, fragte er verunsichert. „Was hat sie denn erzählt?“

„Das wissen Sie ganz genau!“

Percival wich verwirrt zurück.

„Mrs. Fuller, ich glaube, Sie verwechseln mich ...“

„Ach papperlapapp!“

Hilflos sah er sich um.

„Raymund ist mein älterer Bruder“, versuchte er es erneut.

Die Alte musterte ihn. Rümpfte die Nase und schob die Brille zurecht. Legte den Kopf schief. Stand auf und ging einen Schritt auf ihn zu. Nahm die Brille ab.

„Sicher, dass Sie nicht Raymund sind?“, fragte sie.

Mrs. Fullers rechte Hand näherte sich langsam seiner Stirn, als ob sie seine Temperatur erfühlen wollte. Er wich ihr aus.

„Ich muss doch sehr bitten, Mrs. Fuller.“

Höflich wehrte Percival sie ab.

„Na schön. Wenn Sie wirklich nicht Raymund sind, sehen Sie ihm aber ziemlich ähnlich.“

‚Eigentlich nicht‘, dachte Percival ernüchtert.

„Und was wollen Sie?“, fragte Mrs. Fuller.

„Mich bei Ihnen vorstellen.“

Percival setzte wieder sein charmantes Lächeln auf.

„Ich bin Percival“, meinte er und reichte ihr die Hand.

Mrs. Fuller ignorierte sie, setzte stattdessen wieder ihre Brille auf.

„Agnes Fuller“, stellte sie sich vor. „Für Sie ‚Mrs. Fuller‘, junger Mann!“

„Selbstverständlich.“

Sie setzte sich wieder.

„Brauchen Sie noch was?“, fragte sie dann.

„Err, ich bräuchte in meinem aktuellen Fall Ihre Hilfe.“

„Und was wollen Sie genau?“

Percival zog seine Unterlagen hervor.

„Ich habe hier eine Liste mit Personen, die ich gern mit der Zauberstab-Registratur überprüft bräuchte.“

Mrs. Fuller sah ihn streng an.

“Mr. Graves, damit wir uns richtig verstehen. Ich bin nicht Ihre Sekretärin.“

„Das hab ich auch nicht ...“

„Sie können die Registratur unter meiner Aufsicht durchgehen“, fuhr sie dazwischen. „Aber ich werde sicher nicht Ihre Arbeit machen.“

Er nickte ergeben. Drei Seiten mit je 20 Namen in ungeordneter Reihenfolge. Ihm stand ein langer Nachmittag bevor.

„Sie können sich gerne einen Stuhl holen und meinen Tisch mitbenutzen. Aber breiten Sie sich nicht zu sehr aus“, erklärte Mrs. Fuller, ohne aufzublicken.

„Vielen Dank!“

„Die Listen finden Sie alle in den Regalen. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie mit dem Sortierverfahren nicht klarkommen.“

Percival nickte und legte seine Listen auf eine Ecke des Schreibtischs. Ein hölzerner Stuhl war schnell gefunden. Den von seinem Schreibtisch durch das Büro zu tragen, geschweige denn zu zaubern, traute er sich nicht. 

Der Auror nahm das erste Blatt in die Hand und näherte sich respektvoll dem Registraturschrank. Insgesamt hatte der Kasten acht Fächer, auf die mehr oder minder gleichmäßig die Buchstaben des Alphabets verteilt waren. Percival überflog sein Papier und blieb dann bei einem gewissen Wilhelm Zimmer hängen.

„Kein sehr häufiger Name“, murmelte er.

Percival wandte sich dem Schuber rechts unten zu. Wie er vermutet hatte, war das Fach von X bis Z nicht besonders gut gefüllt. Schnell hatte er den entsprechenden Hefter heraus geholt und ging die Zulassungen durch. Er musste genau hinschauen, denn nur wenige waren mit Schreibmaschine geschrieben. Die meisten der Zettel stammten noch aus der Zeit von davor, und waren zum Teil verblasst. Er fand zwei Zimmermann, aber keinen Wilhelm Zimmer.

„Hmpf, also nicht.“

Percival schob das Fach wieder in den Schrank. Dann ging er zu Mrs. Fuller.

„Entschuldigen Sie bitte?“

„Hm? Was gibt es denn?“

„Werden die Zulassungsbescheide noch an einem zweiten Ort verwahrt?“

Mrs. Fuller sah ihn verwirrt an.

„Nein, wie kommen Sie darauf?“

„Nun, einige der schon älteren Bescheide sind schon stark ausgeblichen. Möglicherweise wird man die handschriftlichen Notizen in ein paar Jahren nicht mehr erkennen können“, erklärte er.

„Ah, Sie haben wohl ganz hinten angefangen?“

Percival nickte.

„Ich, wir, sind uns des Problems durchaus bewusst, Mr. Graves. Seien Sie versichert, dass uns nichts wegen Unachtsamkeit entgeht.“

Er sah der Alten durch die Hornbrille in die Augen. Und schwieg. Als sie sich wieder ihrer Arbeit zugewandt hatte, stibitzte Percival ihr einen Bleistift vom Tisch und strich den Namen Wilhelm Zimmer durch.

So fuhr er fort, bis Mrs. Fuller Feierabend machte und ihn dazu nötigte, ebenfalls Schluss zu machen. Obwohl ihm von seinem letzten Blatt nur noch zehn Namen fehlten, die er noch nicht überprüft hatte.

Ganze drei magisch Begabte hatten sich bisher auf der Liste der Bankkunden wiedergefunden. Zu wenige, als dass sie sich mit den fünf verschiedenen Fußspuren deckten, die er durch das Appare Vestigium als magisch identifiziert hatte.

Percival brummte frustriert und beschloss, ebenfalls Feierabend zu machen. Den Zetteln mit den Ergebnissen seiner bisherigen Recherche nahm er mit.

„Das ist aber das letzte Mal, Weazle“, meinte Percival gespielt streng.

Er reichte dem Hauselfen eine Papiertüte. Darin befand sich das dringend benötigte Schmieröl, das er zwischen mehreren Dosen Schuhcreme versteckt hatte, die er ebenfalls gekauft hatte.

„Vielen Dank, Sir! Das werde ich Ihnen nie vergessen!“

„Lass dich nur nicht von Vater erwischen, wie du die Türangeln noch mal schmierst. Sonst hänge ich genauso mit drin.“

„Ja, Sir.“

Percival hatte sich wieder über die Terrasse ins Haus geschlichen und war dann umgehend in der Küche verschwunden. Neben Weazle waren noch Hazel und Cha Cha in der Küche zugange. Der junge Mann war mitten in die Vorbereitung des Abendessens gestolpert und hatte von Cha Cha einen grimmigen Blick geerntet. Trotzdem wussten die Hauselfen um ihre Stellung und hielten respektvoll den Mund. Percival hatte sich an den Arbeitstisch gesetzt und Weazle die Papiertüte samt Inhalt zugeschoben.

„Was gibt’s denn heute Abend?“, fragte er dann neugierig.

„Ihre Frau Mutter hat Lammpastete geordert.“

„Mit Pilzen?!“, fragte Percival entsetzt.

Weazle versuchte, ein mitleidiges Grinsen zu unterdrücken.

„Sir, ich werde Ihnen ein besonders kleines Stück servieren. Und mehr von den Butterkartoffeln ...“

Percival ließ immer noch die Schultern hängen.

„Mutter weiß doch, dass ich keine Pilze mag ...“

„Wollen Sie auch Cookies in Ihren Pudding, Sir?“

Der Auror hörte Weazle nicht mehr richtig zu. Zu sehr graute ihm vor dem heutigen Abendessen und Percival überlegte fieberhaft, wie er darum herum kommen könnte. Obwohl er liebend gerne etwas richtiges zu Essen gehabt hätte. Der Hotdog von heute Mittag hatte ihn nur ungefähr zwei Stunden lang satt gemacht. Was würde er jetzt für einen Hotdog geben. Aber es war unwahrscheinlich, dass am Abend noch eine der Straßenbuden geöffnet hatte.

„Wieso habt ihr mir nicht eine Extrapastete ganz ohne Pilze gemacht?“

Weazle lief puterrot an und entschuldigte sich dann damit, Hazel und Cha Cha helfen zu müssen. Percival sah ihm hinterher, seufzte und stand schließlich auf, um sich für das Abendessen frisch zu machen. Er verließ die Küche in Richtung Esszimmer, wo seine Mutter Violet gerade dabei war, ein Poliertuch über die Kristallbecher zu zaubern.

„Mutter!“

„Da bist du ja endlich, mein Junge!“

Violet Graves ließ das Poliertuch Poliertuch sein und rauschte auf ihren zweitältesten Sohn zu, um ihn zu umarmen. Percival ließ es über sich ergehen und erwiderte ihre Begrüßung mit einem trägen Kuss an ihr Ohrläppchen.

„Mein Junge!“, wiederholte Violet voller Stolz. „Sag, hast du dich schon etwas eingelebt im Büro?“

„Ja.“

Seine Mutter legte den Kopf schief.

„Das klingt wenig überzeugt. Sag, was bedrückt dich?“

Violet nahm ihn beim Ellbogen und führte ihn um den gedeckten Esstisch herum zum Fenster. Percival blickte hinaus und wunderte sich. Draußen war es stockfinster und in der Stunde, in der er nun zuhause war, war sehr dichter Nebel aufgekommen. Die elektrischen Straßenlaternen ließen sich nur erahnen.

„Es ist noch sehr ungewohnt, mit so vielen fremden Leuten in einem Büro zu sitzen und zu arbeiten“, erklärte er.

„Ach? Aber du weißt doch, dass du jederzeit zu mir kommen kannst, wenn du Kummer hast. Oder zu deinem Vater.“

„Mutter“, erwiderte Percival eindringlich. „Ich habe keinen Kummer. Es ist nur, die Situation ist noch neu für mich. Ich habe gestern angefangen und gleich einen Fall zu Bearbeiten bekommen, der nicht gerade leicht ist.“

„Ach? Du weißt aber, dass du dich auch jederzeit an uns wenden kannst, wenn du Unterstützung brauchst? Oder an Raymund?“

Fast hätte Percival erwidert, dass er auf Hilfe nicht angewiesen war. Aber er biss sich noch rechtzeitig auf die Zunge. Wenn er recht darüber nachdachte, befand er sich momentan in einer Sackgasse. Mit Ausnahme von drei Wohnadressen von zwei Zauberern und einer Hexe und seiner Zeichnung eines maulwurfartigen, magischen Geschöpfs, hatte er bisher nicht viel herausgefunden. Und es war Freitagabend, was bedeutete, dass er entweder auf sein Wochenende verzichten musste, wenn er den Fall so schnell wie möglich lösen wollte. Oder dass er den Fall doch nicht innerhalb der Zeitfrist gelöst bekommen würde, die er sich selbst gesetzt hatte.

‚Vielleicht waren zweieinhalb Tage doch zu streng bemessen‘, dachte er niedergeschlagen.

„Percival?“

„Hm? Oh, entschuldige. Was hast du eben gesagt, Mutter?“

„Dass du jederzeit zu uns kommen kannst, wenn du Hilfe brauchst.“

„Ja, ich weiß. Es ist nur ...“

Percival wandte sich vom Fenster ab und setzte sich an die Tafel.

„Hattest du jemals das Gefühl, in einer Sackgasse zu sein, Mutter?“

„Ständig!“

Percival sah erstaunt auf. Violet Graves grinste ihrem Sohn verschmitzt ins Gesicht.

„Mit deinem Vater lande ich ständig in einer Sackgasse!“, fügte sie hinzu.

„Ich meinte eigentlich eher ...“

„Ich weiß, wie du es meintest.“

Seine Mutter setzte sich ihm gegenüber und nahm Percivals Hände in die ihren. Sie wirkten so gebrechlich. Verglichen mit ihren zarten Fingern hatte er die schwieligen Finger seines Vaters geerbt. Obwohl die männlichen Vertreter der Familie nicht dafür bekannt waren, schwere, körperliche Arbeit zu leisten.

„Magst du mir nicht erzählen, wo du festhängst?“

Percival ließ erschöpft die Schultern hängen. Würde er es wirklich fertig bringen, seinen Ermittlungsstand ein drittes Mal zu erzählen? Aber er kam wohl nicht umhin. Seine Mutter hielt seine Hände fest umschlossen. Solange er nicht mit der Sprache rausrückte, würde sie ihn festhalten. So war sie schon immer, wenn sie etwas wissen wollte.

„Ich weiß, dass ein Tierwesen das Gold gemopst hat, denke aber, dass es jemand darauf angesetzt haben muss. Und ich hab drei Adressen, die aber nicht mit den fünf magischen Spuren des Tatorts zusammenpassen.“

Violet Graves zog eine Augenbraue hoch.

„Ein Tierwesen? Welches denn?“, fragte sie interessiert.

Percival sah niedergeschlagen auf die Hände seiner Mutter.

„Weiß ich nicht. Wusste Oscar auch nicht.“

„Oscar? Vom Amt zum Schutz Magischer Geschöpfe?“

Er nickte.

„Der weiß auch nicht alles“, meinte sie abfällig.

Percival sah sie überrascht an.

„Wie meinst du das, Mutter?“

„Ach, ist egal“, wiegelte sie ab. „Jedenfalls, du solltest dich bei den drei Verdächtigen umschauen. Hast du ihre Wohnadressen?“

„Natürlich. Aber Mutter!“

„Was denn?“, fragte sie unschuldig.

„Ich kann doch nicht einfach bei Zauberern zuhause einbrechen.“

Violet Graves legte den Kopf schief.

„Kannst du schon, Percy! Du bist schließlich Auror und mitten in einer Ermittlung.“

Sie sah ihn streng an. Dann hellte sich ihr Gesicht auf.

„Willst du, dass ich mitkomme?“

„Mutter!“, empörte er sich.

„Dann nicht. Hätte ja sein können, dass du bei möglichen Abwehrzaubern Hilfe benötigst.“

„Mutter! Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, werde ich die Wohnungen nicht betreten.“

Violet sah ihren Sohn skeptisch an.

„Ich kann mich schließlich auch erst einmal von außerhalb erkundigen, ob der Verdächtige eine nähere Überprüfung lohnt.“

„Ah. Und wann willst du los?“

Percival grummelte.

„Ich werde mir nach dem Abendessen einen Überblick bei den Herrschaften verschaffen.“

„Du willst schon wieder nachts arbeiten?“, fragte sie erstaunt.

„Was bleibt mir anderes übrig?“

„Percy!“, mahnte sie streng. „Das ist kein Wettrennen! Es geht nicht darum, die Fälle so schnell wie möglich zu lösen.“

„Ach!?“, meinte er gespielt verwundert. „Ich denke, wir sollen sie lösen, bevor sie sich wiederholen?“

Violet sah ihren Spross pikiert an.

„Trotzdem solltest du eine eingehende Prüfung nicht von vornherein ausschließen“, ermahnte sie ihn dann.

Percival schüttelte innerlich den Kopf.

„Denk dran, dass man mit Vielsafttrank seine Spur vervielfältigen kann. ... Percival, das kam doch in der Auroren-Ausbildung dran, oder etwa nicht?“

„Err ...“

„Percival? Sag mir nicht, dass du das vergessen hast?“

„Err ...“

„Also hast du es vergessen?“

„Nein, natürlich nicht! Aber daran denkt man nicht unbedingt, wenn ...“

Ihr Griff wurde fester.

„Wenn was?“

„Nichts.“

„Percival?!“

„Ma ...!“

„Komm mir nicht so!“

„Ma!“

„Percy!“

„Ma, lass gut sein. Ich hab einfach viel um die Ohren!“

„Ach?“

„Und nein, ich möchte nicht unbedingt über alles mit dir reden.“

„Percy!“

Er befreite seine Hände aus ihrem Griff.

„Percival Graves!“

„Entschuldige, Ma. Ich bin mittlerweile erwachsen, das hast du gestern selbst gesagt!“

Er flüchtete aus dem Esszimmer, ehe sie ihren Zauberstab zücken und ihm einen Klaps auf den Hinterkopf zaubern konnte. Schnell war er die Treppe hinauf und in sein Zimmer gestürmt. Erst in seinen eigenen vier Wänden konnte Percival den angehaltenen Atem entweichen lassen. Nie zuvor hatte er seine Mutter so unwirsch abgekanzelt und er fühlte sich schlecht deswegen. Vor allem, nachdem sie ihm eine so wichtige Information wieder in Erinnerung gerufen hatte.

Die Multiplikation der magischen Spur, sobald man Vielsafttrank anwandte. Dass er selbst nicht darauf gekommen war, war ihm ein Rätsel. Eine eingehende Untersuchung der bisherigen drei Verdächtigen – auch wenn er die Bankkundenliste noch nicht komplett durchgearbeitet hatte – erschien ihm jetzt als der aussichtsreichste Ermittlungsansatz. Die Fußabdrücke, die einem Zauberer mit Schuhgröße zwölf gehörten, konnte dieser mittels Vielsafttrank problemlos zu einer Hexe mit Schuhgröße siebeneinhalb wandeln. Die magische Spur würde vervielfältigt, selbst dann, wenn die Person, deren Identität man sich lieh, nur ein NoMaj war. Und keiner würde es bemerken.

„Percy, du Idiot“, giftete er sein Spiegelbild an.

Wenn sich bei einem der drei Kandidaten Hinweise auf Vielsafttrank finden ließen, würde dieser um ein Vielfaches verdächtiger erscheinen.

Percival zog seinen Zauberstab und seine Adressliste hervor und warf beides auf sein Bett. Danach wühlte er noch einmal in den Taschen seines Mantels, seines Sakkos und den Hosentaschen, konnte die Zeichnung des Tierwesens aber nicht finden. Auch seine Aktentasche war leer.

„Hmpf.“

Er wusste auch so, wie der kleine Geselle aussah. Als Erstes würde er bei der Hexe anfangen. Olivia Davis. Dem Zauberstabregister nach lebte sie auf Staten Island und war um die 45 Jahre alt. Percival bezweifelte, dass sie sich in ihrem Alter noch die Mühe machte, eine NoMaj-Bank auszurauben. Die Inspektion würde sich daher im Rahmen bewegen. Um die zwei anderen Zauberer würde er sich danach kümmern.

Percival schälte sich aus seinem Sakko. Weste und Hemd legte er ebenfalls ab. Für eine Observation von einem Garten oder gar einem Baum aus wollte er bequemer gekleidet sein. Schnell hatte er sich umgezogen und die Liste und seinen Zauberstab wieder an sich genommen. Beides steckte Percival in den schwarzen Wintermantel, den er aus seinem Schrank hervorgekramt hatte.

‚Sicher ist sicher‘, dachte er.

Er besah sich im Spiegel. Und bemerkte, dass das Modell mittlerweile auch schon wieder zwei Jahre alt sein dürfte.

„Längst aus der Mode ... Aber bei Nacht und Nebel sieht mich ja keiner.“

Percival sah sich noch einmal in seinem Zimmer um, ob er etwas vergessen hatte, und verließ es dann. Inzwischen konnte er die Pilze bis ins Obergeschoss hoch riechen. Ihm drehte sich der Magen um. Er ging wieder nach unten.

„Du Bengel!“, kam es aufgebracht vom Esszimmer.

„Ma ...“

„Willst du dich schon wieder aus dem Haus schleichen?“

„Ich schleiche doch gar nicht, siehst du? Ich gehe ganz offiziell.“

„Wo willst du überhaupt hin um diese Zeit?“

„Ermitteln.“

„Um diese Uhrzeit?“

„Warum denn nicht? Mutter, jetzt erzähl mir nicht, dass du noch nie mitten in der Nacht an einem Fall gearbeitet hast. Ich erinnere mich noch genau, wie du ...“

„Was?!“, fuhr sie ihm dazwischen.

Violet Graves stürmte auf ihren Sohn zu, blieb eine Handbreit vor ihm stehen und sah mit funkelnden Augen zu ihm hoch.

„Ma ...“

„Willst du nicht mal was essen?“

Percivals Magen grummelte trotz des Pilzgeruchs, bevor er eine Antwort geben konnte. Seine Mutter zog eine Augenbraue hoch.

„Ma“, meinte er leidlich.

„Na schön, ich seh ein, dass ich dir mit den Morcheln keinen Gefallen getan habe. Aber lass dir von den Hauselfen wenigstens was anderes geben, wenn du schon nicht zum Essen bleiben willst“, erwiderte sie versöhnlich. „Bevor du vor Hunger umkippst.“

Er nickte und ging mit ihr in die Küche.

„Hazel! Mein Sohn braucht ein Sandwich!“

Violet Graves war nicht für ihre Geduld mit den Hauselfen bekannt. Percival sah Hazel entschuldigend an, der vor Schreck zusammengezuckt und ein Messer fallen gelassen hatte. Nur durch ein schnelles Fingerschnippen von Cha Cha war das Messer nicht auf dem Boden gelandet.

„Sehr wohl, Ma’am!“

Hazel machte sich an die Arbeit. Violet wandte sich wieder ihrem Sohn zu und strich ihm sanft über die linke Wange. Ihre kühlen Finger verharrten an den auffälligen Muttermalen.

„Ma ...“

„Und versprich mir, nicht zu häufig mit Raymund Hotdogs essen zu gehen.“

„Ma! Spionierst du mir etwa nach?“

„Nein, natürlich nicht. Dein Vater hat euch nur gesehen, wie ihr heute um die Mittagszeit das Büro verlassen habt und eins und eins kombiniert.“

„‚Zusammengezählt‘.“

„Huh? Jedenfalls will ich nicht, dass du wie Raymund wirst.“

Percival spitzte interessiert die Ohren.

„Wieso? Wie ist Raymund denn?“

„Er isst jeden Tag Hotdogs. Ist dir nicht aufgefallen, dass er etwas zugelegt hat?“

„Nein. So genau schau ich ihn nicht an, wenn ich ehrlich sein soll.“

Violet musterte ihn.

„Aber ich freue mich, dass ihr euch versteht. Ich hatte etwas Sorge, weil ihr doch beide so gerne im Mittelpunkt steht.“

„Stimmt doch gar nicht!“, ereiferte sich Percival. „Ma, jetzt übertreibst du aber.“

„Percival. Ich kenne meine Söhne.“

Er grummelte.

„Ma’am, Sir.“

„Na endlich, warum hat das so lange gedauert?“, fragte Violet den Hauselfen.

„Ma.“

„Was ist?“

„Sei etwas netter zu ihnen. Hazel steht schon seit einiger Zeit da und wartet auf einen Moment, mir ein Sandwich zu geben.“

„Ach, tatsächlich?“

„Ja.“

„Und musst du sie immer in Schutz nehmen?“

„Ma. Jetzt übertreibst du schon wieder. Wann hab ich sie zuletzt in Schutz genommen?“

„Als du ihnen heute Schmieröl für die Tür besorgt hast!“

„Ma! Das hast du mitbekommen?“, fragte er entgeistert.

Hazel drückte Percival respektvoll das Sandwich in die Hand und flitzte von dannen. Auch Weazle und Cha Cha setzten alles daran, unsichtbar zu werden und trotzdem die Küchenarbeit zu erledigen.

„Natürlich hab ich es mitbekommen! Vater hätte es im übrigen auch mitbekomme, dass sie keine ordentliche Arbeit geleistet haben, hätte ich die Scharniere nicht mit winzigen Muffliato-Zaubern umgeben.“

„Ma! Das geht?“, fragte er erstaunt. „Das musst du mir unbedingt zeigen!“

„Sicher, aber nicht heute. Jetzt iss erst einmal dein Sandwich und dann lös den Fall. Damit du wieder etwas ruhiger wirst.“

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, noch bevor er sich wehren konnte.

„Ma!“

„Was denn?“

„Du weißt, wie peinlich mir das ist!“

„Vor den Hauselfen?“

„Wer garantiert mir, dass du es nicht auch im Büro machst?“

„Ich! Percival. Ich sagte dir schon vorher, dass ich meine Söhne kenne. Jeden einzelnen von ihnen, ihre Tugenden und auch ihre Laster.“

Er starrte seine Mutter an.

„Was?“

„Nichts“, meinte er und biss in sein Sandwich.

Violet Graves sah ihren Sohn noch einmal kopfschüttelnd an und verließ dann die Küche.

Staten Island war eine verschlafene Gegend, die noch eher ländlich geprägt war. Percival sein Sandwich gegessen, und sich dann eine Karte von Staten Island aus dem Arbeitszimmer seines Vaters geborgt in der Hoffnung, dass sie noch nicht veraltet war. Danach hatte er das elterliche Anwesen verlassen, und war direkt in den südlichsten Stadtbezirk von New York City appariert. Und wäre dabei versehentlich fast in einem Teich gelandet. Einige Enten hatten schnatternd ihren Unmut über sein plötzliches Erscheinen kundgetan, in der Ferne hatte ein Hund gebellt. Ansonsten blieb es ruhig. Zu ruhig, wie Percival feststellte, denn auch auf Staten Island war es heute sehr nebelig. Der bellende Hund mochte sich auch gleich im nächsten Garten befinden.

Er trat vom Teich auf den Weg hinauf, ein flach getrampelter Pfad mit leichten Rillen von Kutschen. Gegenüber tauchte ein Schatten aus dem Nebel auf. Percival sah sich um und ging zu dem Gebäude hinüber und stellte fest, dass es sich um die Kissel Avenue handelte.

Mrs. Davis wohnte in 1 Walnut Street, direkt an der Kreuzung Kissel Avenue neben einer Parkanlage. Percival hatte beim Apparieren zielsicher den Park angesteuert, war aber einige Schritt weiter als gedacht heraus gekommen. Der Auror musste ein paar Minuten laufen, ehe er die gesuchte Adresse fand.

Die betagte Hexe wohnte in einem kleinen, zweistöckigen Holzhäuschen mit einem steinernen Kamin auf der Percival zugewandten Seite. In einem der Fenster brannte ein fahles Licht. Percival wandte einen Desillusionierungszauber auf sich selbst an, schob seinen Zauberstab wieder in sein Holster am Gürtel und schlich näher. Interessiert blickte er durch das erleuchtete Fenster in den Salon. Mrs. Davis wippte in einem Schaukelstuhl, hatte eine Patchwork-Decke über ihre Knie gebreitet und las in einem Buch. Auf einem Tischchen neben ihr standen einige Kerzen zusammen, die für Licht sorgten. Daneben eine unförmige Tasse, die schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Percival sah genauer ins Zimmer. In unmittelbarer Umgebung von Mrs. Davis konnte er keinen Zauberstab ausmachen, aber das mochte nichts heißen. Die Zaubererschaft in den USA war angewiesen, ihr Dasein vor den NoMajs geheim zu halten. Einen Zauberstab daher nicht auf dem Küchentisch liegen zu lassen, wenn NoMajs möglicherweise durch ein Fenster spionierten, war nur normal. Percival schätzte, dass Mrs. Davis ihren irgendwo direkt am Körper trug, vielleicht versteckt unter der Decke.

Auch ansonsten gab es auf den ersten Blick keine Anzeichen von Magie in dem kleinen Zimmer. Keine verräterischen Pflanzen, keine sich selbst bewegenden Gegenstände und vor allem auch keine Tierwesen, weder magischer Natur, noch Hund oder Katze.

„Nicht sehr verdächtig.“

Percival trat von dem Fenster zurück und tauchte wieder in die neblige Dunkelheit ein. Er dachte über seine nächsten Schritte nach. Natürlich sagte ein Blick in den Salon einer alten Dame nichts über ihre kriminellen Energien aus. Gut möglich, dass Mrs. Davis eine schlitzohrige Hexe war, die nur nach außen hin eine schrullige Oma spielte. Er würde nicht umhinkommen, die anderen Zimmer des Hauses zu inspizieren. Vielleicht gab es sogar einen Keller? Dies aber während der Anwesenheit der Bewohnerin zu tun, unwissend über eventuelle magische Sicherungen und noch dazu ohne Durchsuchungsbeschluss konnte das Ende seiner Karriere bedeuten, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte.

Percival brummte, spitzte dann die Ohren. Im Nachbarhaus knallte etwas. Der Auror trat auf die Straße zurück und ging in die Richtung, aus der der Lärm kam. Das Anwesen lag komplett im Dunkeln, seine Bewohner schienen also bereits zu schlafen. Es krachte erneut.

„Was zum ...?“

Percival trat näher. Ratlos sah er zu dem Anwesen und wurde dann misstrauisch. Er konnte keine Stimmen hören. Auch schien sich niemand darum zu bemühen, eine Kerze oder eine Öllampe zu entzünden, um nachzusehen, was passiert war. Der Auror mutmaßte, dass sich ein Bewohner mittlerweile bemerkbar gemacht hätte.

„Außer natürlich, er ist die Treppe hinab gestürzt und hat sich das Genick gebrochen.“

Aber warum dann der zweite Knall? Der Auror beschloss, sicherheitshalber nachzusehen, auch wenn es eigentlich nicht zu seinen Aufgaben gehörte, sich um NoMaj-Angelegenheiten zu kümmern. Andererseits hatte er den Diebstahl in der Bank auch für eine NoMaj-Sache gehalten.

„Und einen NoMaj-Dieb auf frischer Tat zu ertappen, wird mir sicher auch die Anerkennung meiner Kollegen einbringen“, murmelte er.

Noch immer unter dem Eindruck des Desillusionierungszaubers schlich Percival näher. Er bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend, warum, konnte er sich nicht erklären. Etwas klingelte in dem Gebäude, dann war es wieder still. Geschlagene fünf Minuten wartete er auf Anzeichen von NoMaj-Aktivität. Es klapperte erneut, sehr leise dieses Mal, sodass ihm das Geräusch beinahe entgangen wäre.

Percival zog seinen Zauberstab wieder hervor, nahm sich ein Herz und schlich um das Gebäude herum. Er hatte vermutet, dass ein Einbrecher zweifelsohne über die Rückseite des Hauses einsteigen würde. Doch alle Fenster und auch die kleine Holztür wirkten fest verschlossen. Es raschelte, dieses Mal deutlich hörbar für ihn. Percival sah durch die Tür in eine einfache Küche. Hörte Besteck klappern, sah aber nichts.

„Bei Mercy Lewis, ich bilde mir das doch nicht ein!“

Das Geklapper war nun sehr deutlich für ihn zu hören, bevor es wie aus dem nichts erstarb. Danach quietschte etwas im Nebenzimmer.

„Himmel!“

Der Auror war hin- und hergerissen. Einerseits nagte sein Rechtsbewusstsein an ihm, etwas dagegen zu unternehmen, wenn er Zeuge einer Straftat wurde. Dass sich ein ungebetener Gast in dem Gebäude befand, stand fest. Die Bewohner müssten den Radau mittlerweile auch gehört haben. Da niemand kam, um nach der Ursache zu sehen, ging Percival davon aus, dass sie außer Haus waren.

Andererseits würde Percival selbst eine Straftat begehen, wenn er sich mit Alohomora Zugang verschaffte und den Dieb stellte.

„Ich werde wohl mit Gefahr im Verzug argumentieren müssen“, murmelte er und hielt seinen Zauberstab auf das Schlüsselloch der Hintertür gerichtet. „Alohomora.“

Es klickte und die Tür schwang leicht auf.

‚Hundertmal besser geölt als unsere ...‘, dachte Percival und trat ein.

Es war stockfinster. Die Tür führte ihn direkt in die Küche. Percival konnte nicht erkennen, um was für eine Art Raum es sich bei dem Nebenzimmer handelte. Er meinte, ein Schnüffeln zu hören, aber das konnte auch durch seine eigene Aufregung sein. Trotz der Kälte draußen spürte er, dass seine Stirn feucht wurde. Einige Tapser im Nebenzimmer. Percival hielt den Atem an und linste durch den Durchgang. Und erstarrte. Zwei Glubschaugen schauten ihn neugierig vom Boden an. Sie gehörten zu einem Fellknäuel. Percival richtete seine Zauberstabspitze auf das Wesen.

„Lumos!“

Tatsächlich! Es war das maulwurfähnliche Tierwesen, welches er in der NoMaj-Bank gesehen hatte. In dem fahlen Lichtschein fiel ihm jetzt der Schwanz auf, der mindestens halb so lang wie das Tier selber war. Ein kupferner Griff ragte aus seinem Bauch. Der Rüssel des Geschöpfs schnüffelte in seine Richtung. Percival überriss seine Möglichkeiten. Er ging in die Knie.

„Ja komm, du kleiner Gauner, du ...“, säuselte er liebenswürdig, um das Vertrauen des Geschöpfs zu gewinnen.

Es hatte den Griff in seinem Bauch scheinbar vergessen. Stattdessen kam es ihm mit zwei tapsigen Schrittchen entgegen und schnüffelte erneut. Der Griff scharrte über den Fließenboden.

„Nicht so laut“, flüsterte der Auror.

Percival senkte seinen Zauberstab und hielt ihn in eine andere Richtung, sodass es möglichst ungefährlich für den kleinen Gesellen wirkte. Es schnüffelte erneut.

„Na komm“, lockte Percival es erneut.

Der Auror überlegte fieberhaft, wie er es dazu bringen konnte, in die Reichweite seiner Hand zu kommen. Dann fiel ihm etwas ein. Rasch glitt seine andere Hand in die Manteltasche und wühlte darin herum. Das kleine Wesen sah ihn immer noch mit seinen Knopfaugen an. Percival hatte den Eindruck, dass es ihn geradezu anbettelte.

„Mist.“

Er hatte nichts Glitzerndes im Mantel. Wie dumm von ihm, den Wintermantel statt seinen Regenmantel anzuziehen. In Letzterem hatte er einige Münzen gehabt. Percival sah sich von seiner kauernden Position aus in der Küche um, ob es etwas anderes gab, das den Gesellen anlocken würde. 

Diese Gelegenheit nutzte das Wesen, um zu verschwinden. Als es bemerkte, dass der Zweibeiner sich abwandte, drehte es sich ebenfalls um und kroch in die Dunkelheit des Nebenraums zurück. Der Kupfergriff scharrte erneut über den Boden. Percival drehte sich schnell herum.

„He! Bleib hier!“, rief er aufgebracht.

Vergessen waren mögliche Hausbewohner und Glitzerkram als Lockmittel. Der Auror stand auf und ging in das andere Zimmer. Percival intensivierte sein Lumos und hielt es auf den Boden gerichtet. Das Pelztier kroch gerade unter einen Schrank.

Percival versuchte, es mit einem Stupor außer Gefecht zu setzen, aber der rote Lichtstrahl verfehlte es. Oder das Wesen war einfach zu flink und klein. Immerhin hatte der Auror es in dem kleinen Zimmer eingekesselt. Der Durchgang in die Küche war der einzige Ausgang, wenn er das Fenster nicht mitzählte. Percival warf sich auf den Boden, um unter den Schrank sehen zu können.

„Was zum ...“

Es war nicht mehr zu sehen. Auch in der unmittelbaren Umgebung des Möbelstücks ließ es sich nicht finden. Hatte es sich etwa in Luft aufgelöst? Percival erinnerte sich an die Vision aus dem Appare Vestigium und dass es durch die Messingstäbe gehen konnte, als wären sie Luft. Ob das auch mit einer massiven Steinwand funktionierte?

Ein Schaben auf Holz schreckte ihn auf und er riss den Kopf hoch. Das Tierchen saß oben auf dem Schrank und hatte die Lampe fixiert, die in der Mitte des Raumes hing. Percival folgte dem Blick des Tieres. Im Licht seines Lumos glänzten die Kerzenarme. Fasziniert verfolgte er dann, wie das kleine Geschöpf die Entfernung zu der Lampe abzumessen schien. Und dann sprang. Es bekam die Verglasung des einen Lampenarms geradeso zu fassen und hangelte sich zum Arm selbst. Verzweifelt versuchte es, diesen von der Lampe zu ziehen.

Unauffällig trat Percival näher und pflückte das Tier von der Lampe.

„Hab ich dich!“, meinte er triumphierend.

Der Geselle sah ihn Mitleid heischend an.

„Wenn du brav bist, bekommst du zu Hause was“, fügte Percival hinzu.

Das Wesen begann in seiner Hand zu zappeln.

„Na schön.“

Der Auror sprach beim Verlassen durch die Hintertür einen Aufräumzauber. Viel Unordnung hatte er nicht hinterlassen, aber Percival schätzte, dass sein Gefangener den ein oder anderen Gegenstand im Bauch hatte. Danach verschloss er die Tür der NoMajs uns sah zu Mrs. Davis‘ Haus hinüber. Schließlich disapparierte er.

Und tauchte auf dem Gehsteig vor Graves Manor wieder auf. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet. Percival steckte seinen Zauberstab weg. Er hatte inzwischen alle Hände voll damit zu kämpfen, dass ihm das Pelzwesen nicht entwischte. Der Auror rannte regelrecht quer über die Einfahrt, die zum Haupteingang führte, und betätigte mehrmals den Gong. Es dauerte eine Ewigkeit, bis einer der Hauselfen ihm öffnete. Cha Cha.

„Master Graves!“, meinte sie erstaunt.

Percival schob sich an ihr vorbei.

„Sag sofort meinen Eltern Bescheid!“

Cha Cha teleportierte sich an eine andere Stelle im Haus. Währenddessen kämpfte der Auror mit seinem Gefangenen.

„Hör sofort auf!“, herrschte er das kleine Wesen an.

Es versuchte, ihm in die Finger zu beißen. Beinah hätte es das geschafft, wenn Percival nicht eiligst seine Hand weggezogen hätte. Jetzt hielt er es mit der Linken unter den pelzigen Vorderpfoten. Es zappelte frenetisch. Percival sah es angriffslustig an und packte es dann am Schwanz. Das Wesen plumpste kopfüber und baumelte in seiner Hand. Dabei purzelte das ein oder andere aus seinem Bauch hervor.

„Percival Graves, was ...“

„Vater! Ich brauche einen Durchsuchungsbeschluss!“, fuhr Percival ihm dazwischen.

Richard Graves kam gerade in einen Morgenmantel gehüllt die Treppe herunter und blieb dann angewurzelt stehen, als er das kleine Pelztier sah, das sein Sohn am Schwanz hielt.

„Was ist das?“, fragte Percivals Vater dann.

„Der Dieb!“

Percival schüttelte es sachte und weitere Gegenstände fielen aus dem Bauch des Geschöpfs. Der Kupfergriff, den er zuvor in dem NoMaj-Anwesen gesehen hatte, entpuppte sich als Schöpfkelle. Zudem lagen auf dem Boden vor ihm eine silberne Taschenuhr, einige Dollar Geldstücke und ein Diamantohrring, der Percival verdächtig bekannt vorkam. Eine Brille mit dünnem Goldrand war ebenfalls unter dem Diebesgut.

„Und jemand muss überprüfen, wer in 186 Kissel Avenue wohnt. Auf Staten Island.“

Sein Vater sah ihm immer noch dabei zu, wie er das Wesen am Schwanz hielt. Inzwischen waren auch die Hauselfen ins Vestibül gekommen, seine Mutter sah vom Erdgeschoss herab, ebenfalls in einen Morgenmantel gehüllt.

„Und wie soll ich jetzt um die Zeit einen Durchsuchungsbeschluss herbekommen? Percy, das wird bis Montag warten müssen.“

Percival ließ das Geschöpf fast fallen.

„Aber das kann nicht warten! Wenn Mrs. Davis in den Diebstahl verwickelt ist, oder die Besitzer des Hauses, in dem ich diesen kleinen Gesellen gefunden habe, werden sie durch sein Verschwinden gewarnt. Das kann nicht bis Montag warten.“

„Und wo genau hast du es gefunden?“, fragte Richard Graves seinen Sohn ungerührt.

„Äh. Im Nachbarhaus“, gab Percival zu.

„Du bist bei NoMajs eingebrochen?“

„Es war niemand zu Hause! Außerdem dachte ich, es sei ein richtiger Dieb, also ein Mensch und kein Tierwesen. Dass ich den Kleinen hier erwischt habe, war reiner Zufall.“

Graves senior betrachtete seinen Zweitältesten immer noch mit strengem Blick.

„Und hast du wenigstens hinter dir aufgeräumt? Hat dich vielleicht jemand gesehen?“

„Natürlich habe ich aufgeräumt. Und auch die Tür wieder verschlossen. Und der Desillusionierungszauber, den ich angewandt habe, müsste auch noch gewirkt haben, bis ich auf unser Grundstück kam. Vater, also wirklich!“, ereiferte sich Percival.

Richard Graves brummte. Indes traten die Hauselfen näher und sahen sich das Wesen an.

„Weazle“, meinte Graves senior und deutete auf das Tier in Percivals Hand. „Hat einer von euch schon mal so eines gesehen?“

„Nein, Sir.“

Die drei blickten neugierig auf das Pelztierchen, das sich inzwischen nur noch mit Mühe wehrte.

„Sei nicht so gemein zu ihm, Percival.“

Violet Graves war nun ebenfalls näher gekommen, um einen Blick auf den Übeltäter zu werfen.

„Mutter! Es hat mich gebissen!“

„Oh. Trotzdem solltest du es nicht am Schwanz halten. Sieh nur die großen Augen.“

Graves senior verdrehte die Augen.

„Okay, ihr drei sammelt die Sachen ein, die am Boden verstreut liegen. Wir werden die Sachen sobald wie möglich ins Fundbüro geben.“

Die Hauselfen nahmen die Gegenstände vom Boden auf und brachten sie weg.

„Weazle, kannst du mir zwei gleichgroße Weidenkörbe bringen?“, rief Percival ihnen hinterher.

„Sehr wohl, Sir.“

Die drei verschwanden im hinteren Gebäudeteil. Zurück blieben Percival, seine Eltern und das kleine Pelztier.

„Lass mich mal den Biss sehen“, meinte Violet.

Ungefragt nahm sie Percivals freie Hand in die ihren und sah sich die Finger an. Drehte die Hand um und inspizierte sie erneut, bevor Percival sie wegzog und seine Mutter verschämt ansah.

„Es hat dich gar nicht gebissen! Percival, du bist manchmal ganz schön durchtrieben“, befand Violet.

Percival starrte den kleinen Übeltäter an.

„So, bist du jetzt zufrieden?“, fragte er es und nahm es wieder respektvoll auf den Arm.

„Sieh mal, es schnauft ganz erschöpft“, sagte Violet.

Sie trat noch näher und hielt dem Kleinen ihre Finger hin, damit es sie beschnuppern konnte.

„Mutter!“, empörte sich Percival. „Das ist kein Haustier, sondern ein krimineller Dieb.“

„Sei nicht albern. Elstern stehlen auch glizernde Gegenstände und verstauen sie in ihren Nestern. Deswegen kommt auch niemand auf die Idee, ihnen den Prozess zu machen.“

„Mutter! Wer weiß, wo es die ganzen Goldbarren aus der Bank verstaut hat?“

„Wer weiß, ob der kleine Geselle überhaupt dafür verantwortlich ist und nicht eines seiner Artgenossen.“

Graves senior hatte seine Brille aufgesetzt und sah sich das Geschöpf nun ebenfalls an. Percival sah seinem Vater entgeistert dabei zu. Er mochte sich gar nicht vorstellen, das falsche Pelztier gefangen zu haben. Es passte einfach zu gut. Mrs. Davis war Kundin der Steen National Bank. Die Bank wurde durch ein magisches Tierwesen ausgeraubt. Das Tierwesen fand er zufälligerweise in direkter Nachbarschaft von Mrs. Davis.

„Trotzdem muss ich Percival Recht geben. Eine große Menge Gold aus einem Bankschließfach zu stehlen, ist etwas anderes, als eine Elster, die ein verloren gegangenes Geldstück vom Boden aufsammelt.“

„Unglaublich“, erwiderte Violet. „Dass ihr zwei mal einer Meinung seid!“

Violet sah sowohl ihren Gatten als auch ihren zweitältesten Sohn tiefsinnig an.

„Ma!“

„Na ja, ich geh wieder ins Bett. Ihr zwei macht das schon. Und vergiss nicht, den Kleinen zu füttern!“

„Violet!“

„Ma!“

Violet Graves beachtete Gatten und Sohn nicht weiter und verschwand wieder im ersten Stock.

„Unglaublich, deine Mutter“, bemerkte Graves senior.

Percival sagte lieber nichts dazu. Der Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, hätte unweigerlich zu seiner Enterbung geführt. Und das wollte Percival nicht riskieren.

„Vater, würdest du dich bitte um den Durchsuchungsbeschluss kümmern?“, fragte er stattdessen.

Graves senior brummte ergeben.

„Na schön, ich werde schauen, was ich machen kann. Der Commissioner wollte dieses Wochenende Angeln gehen. Zum Glück weiß ich, wo. Dass er den Beschluss unterschreibt, sollte eigentlich kein Problem sein. Trotzdem wirst du bis morgen warten müssen, Sohn.“

„Ja, Vater.“

„Und pass gut auf, dass der Kleine nicht ausbüchst und was klaut. Deine Mutter zieht mir sonst die Ohren lang.“

„Ja, Vater.“

Percival sah auf das Tierchen.

„Hast du ihm schon einen Namen gegeben?“

„Err ...“

„Du solltest ihm einen Namen geben. Zumindest, solange wir seine Art noch nicht bestimmen konnten.“

„Err ... wenn du meinst, Vater.“

„Gute Nacht, Sohn.“

„Gute Nacht.“

Percival sah seinem Vater hinterher. Dann blickte er auf den kleinen Dieb, der mittlerweile auf seinem Arm eingeschlafen war.

Percival streckte sich. Er lag seit etwa einer halben Stunde wach im Bett und genoss es, einfach mal seine Ruhe zu haben. Nichts war zu hören, weder von den Hauselfen, noch von seiner Familie. Und auch aus dem Weidenkorbgefängnis, das er dem kleinen Dieb am Vorabend noch gebaut hatte, war nichts zu hören. Zumindest hoffte er, dass Coffee nicht ausgebüchst war. Nicht auszudenken, wenn der kleine Strolch das Haus ausgeräumt hätte und dann verschwunden wäre.

Percival rollte sich auf die Seite, sah zu dem Korbgefängnis und dann aus dem Fenster. Es war ein strahlendschöner Samstagmorgen. Eigentlich viel zu schade, um ihn mit einem Verhör zu verschwenden. Aber Percival wollte herausfinden, ob Coffee tatsächlich die Bank ausgeräumt hatte. Und wenn ja, wo sich das Gold nun befand. Ob er ein Einzeltäter war oder ob ihn jemand bewusst in der Bank hat laufen lassen. Ob Mrs. Davis etwas damit zu tun hatte.

Der Auror fläzte sich zwischen Matratze und Daunendecke. Eigentlich wusste er gar nicht, womit er anfangen sollte. Die Hausdurchsuchung bei Mrs. Graves und das anschließende Verhör der Dame waren die wichtigsten Punkte auf seiner Liste, die er abarbeiten musste. Andererseits war er viel zu neugierig, um was für ein Wesen es sich bei Coffee handelte. Das Tier war nicht mehr aufgewacht, selbst dann nicht, als Percival es auf ein weiches Kissen aus seinem Bett in den Korb legte und diesen und den anderen Korb fest mit einem Zauberspruch verband.

„Ob es sich von dem Gold ernährt?“

In dem Fall hoffte er für die Steen National Bank, gut versichert zu sein. Trotzdem müsste er die fachgerechte Untersuchung und Klassifizierung des Tiers wohl Oscar überlassen. Der Zauberer von der Abteilung zum Schutz Magischer Wesen würde sicher außer sich sein vor Freude. Percival grummelte. Aber er würde Coffee zumindest einigen Tests direkt selbst unterziehen.

„Hm, wie viel er sich wohl in den Bauch schieben kann, bevor er platzt?“, überlegte Percival.

Unbewusst sah er zu dem Korbgefängnis. Den Test würde er nur in der Theorie durchspielen können. In Graves Manor befand sich nicht annähernd so viel wertvoller Glitzerkram, wie sich der Kleine in der Bank einverleibt hatte.

„Schade eigentlich.“

Zu gerne hätte er eine Antwort auf diese Frage gehabt.

Jemand klopfte an seine Tür.

„Herein?“

Die Tür ging auf.

„Guten Morgen, Master Graves.“

„Hazel! Wie steht’s, wie geht’s?“

„Gut, Master Graves. Ich soll Ihnen von Ihrem Vater ausrichten, dass er jetzt im Ministerium ist und Ihr schleunigst zu ihm kommen sollt, sobald Ihr wach seid.“

„Hazel, du musst nicht jedes seiner Worte eins zu eins wiedergeben, verstehst du?“

Der Hauself schüttelte den Kopf.

„Master Graves! Außerdem wartet Ihr Bruder unten auf Sie, Sir.“

„Raymund, was will der denn hier?“

Percival setzte sich im Bett hoch. Er fröstelte, was aber angesichts der kühlen Temperaturen nicht verwunderlich war. Außerdem hatte er fast nichts an.

„Er hat eine Eule von Ihrem Vater bekommen, Sir.“

„Tze, war ja klar. Sobald es interessant wird, mischen sie sich ein.“

„Sir?“

„Ach nichts. Hazel, würdest du bitte unten warten? Und kannst du schauen, ob wir ein Hundehalsband und eine Leine im Haus haben? Aber nur eines aus Leder, nichts mit Metall dran.“

„Natürlich, Sir. Aber Familie Graves hatte nie Hunde.“

„Schon gut, schau einfach nach.“

Der Hauself entschuldigte sich und ging. Percival verließ sein Bett, wusch sich und zog sich an. Nachdem er sich mit seinem Zauberstab bewaffnet hatte, näherte er sich dem Korbgefängnis und löste den Zauber, den es umschloss. Und schon konnte er das neugierige Schnüffeln hören. Percival hob den oberen Korb ab.

„Na, mein Kleiner?“

Coffee saß auf dem Kissen und blickte mit neugierigen Glubschaugen zu ihm hoch. Dann versuchte es, davon zu huschen, wie Percival erwartet hatte.

„Oh nein, du wirst schön hierbleiben.“

Percival packte Coffee und hielt ihn so, dass er ihn nicht beißen konnte. Dann ging er mit ihm nach unten und durch das Esszimmer in die Küche.

„Mr. Graves, Sir!“, begrüßte ihn Weazle.

„Guten Morgen, Weazle. Na? Wie sieht es mit Frühstück aus?“

„Jederzeit, Sir.“

Percival setzte sich mit Coffee an den Arbeitstisch.

„Sir, wollen Sie nicht lieber draußen essen?“

„Nein. Die Gefahr ist zu groß, dass Coffee etwas klaut.“

„Coffee, Sir?“

Weazle schnippte mit dem Finger und ein Frühstücksgedeck flog an den Tisch.

„Der kleine Rabauke hier.“

Percival hielt das Fellknäuel hoch, sodass Weazle es sehen konnte.

„Du hast es Coffee getauft?“

Percival zuckte zusammen. Sein Bruder war unbemerkt in die Küche gekommen und schräg hinter ihn getreten.

„Musst du mich so erschrecken?“, fuhr er ihn an.

„Entschuldige.“

Raymund setzte sich ebenfalls und sah Percivals Gefangenen neugierig an.

„Sir? Darf es für Sie auch ein Frühstück sein?“, fragte der Hauself.

„Nein danke. Also, was ist Coffee für einer?“

„Siehst du doch.“

Der Kleine versuchte, sich aus Percivals Griff zu befreien und auf den Küchentisch zu klettern.

„Na na! Benimm dich!“

„Und was hast du jetzt mit ihm vor, wenn ich fragen darf?“

„Rausfinden, wo er das Gold gelassen hat. Und vielleicht den ein oder anderen Test.“

„Welchen Test?“

„Sei nicht so neugierig.“

„Och Mensch, Percy!“

„Nenn mich nicht so.“

Percival zog Coffee von der Tischkante und platzierte ihn wieder auf seinem Schoss.

„Du bekommst ja gleich was!“

„Ich hätte aber nicht gedacht, dass deine Zeichnung der Realität so nahe kommt“, stellte Raymund dann fest.

„Meine Zeichnung? Hast du sie gesehen?“

„Nein, warum?“

„Hmpf.“

Sein Bruder sah ihn verwundert an.

„Du lässt doch sonst nichts liegen.“

„Ja. Wahrscheinlich ist sie in den Untiefen von Oscars Schreibtisch verschwunden.“

„Dann wirst du sie nicht wieder sehen. Aber hey, jetzt hast du das Original. Vielleicht kann es dir Model sitzen?“

„Sei nicht albern.“

Coffee versuchte indes erneut, auf den Tisch zu krabbeln. Percival fischte ein Arbeitsmesser mit Holzgriff von der Tischplatte und hielt es dem kleinen Gesellen hin.

„Was hast du vor?“, fragte Raymund.

„Wirst du schon sehen.“

Percival hielt Coffee das Messer hin. Sofort beruhigte sich das Tierchen und griff mit seinen Pfoten danach. Angestrengt untersuchte es die Stelle, an der der Holzgriff an der Klinge befestigt war.

„Das gefällt dir nicht, was?“, fragte Percival.

Coffee betrachtete das Messer noch einmal und fing dann an, es sich mit der Klinge voraus soweit in den Bauch zu schieben, bis der Griff anstieß.

„Das ist brutal, weißt du das?“, kommentierte Raymund.

„Ach was! Er hat sich kein bisschen verletzt.“

Wie um sein Argument zu unterstützen, zog Percival das Messer vorsichtig wieder aus dem Bauch. Coffee nahm es gelassen hin. Danach drehte der Auror den Kleinen mit dem Bauch nach oben.

„Siehst du? Nicht ein Blutspritzer.“

„Sir?“

„Ah, na endlich.“

Weazle kam mit dem Frühstück und trollte sich dann wieder. Coffee schnüffelte in die Luft und wurde unruhig.

„Und jetzt?“, fragte Raymund.

„Jetzt esse ich erst einmal was.“

Raymund seufzte. Percival griff indes in den Brotkorb und riss ein Stück ab. Anstatt es sich selbst in den Mund zu schieben, hielt er es Coffee hin. Der Kleine griff nach dem Brot und fing an zu fressen. Danach pickte Percival mit der Gabel nach einem Streifen Bacon und aß selbst. Coffee krümelte auf seinem Schoß herum und fixierte dann die Gabel.

„Nein!“, mahnte Percival und legte die Gabel weg.

„Du liebes bisschen. Was willst du noch testen?“, fragte Raymund.

„Ich wollte wissen, ob das Metall, das er sich einverleibt, Nahrung für ihn ist. Aber offensichtlich nicht.“

Danach gab er dem Kleinen eine Weintraube aus seinem Obstsalat, aber diese erweckte nur mäßig Coffees Interesse.

„Versuch’s mal mit Rührei.“

„Hah.“

Percival schob sich selbst eine Gabel voll in den Mund. Mit Glubschaugen verfolgte Coffee, wie sich das Besteck seinen Lippen näherte und dann wieder auf dem Tisch verschwand. Danach bekam er selbst ein paar Brocken Rührei vorgesetzt. Diese verschwanden in seinem Inneren.

„Weazle, kannst du mir bitte einen von den Eierbechern aus Porzellan bringen?“

„Sir?“

„Nein, nicht die aus Silber!“

„Ja, Sir.“

Zwei Augenblicke später hatte Percival das gewünschte Geschirrstück auf dem Tisch vor sich stehen.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Raymund.

„Ich will wissen, ob er auch Tee trinkt.“

„Coffee?“

„Es ist nur ein Name.“

„Warum hast du ihn denn nicht Earl Grey genannt?“

Percival sah seinen Bruder pikiert an.

„Sieht er für dich etwa wie ein Earl Grey aus?“

„Na ja.“

„Er hat viel mehr Ähnlichkeit mit einem schwarzen Kaffee, wenn du mich fragst.“

„Ach, und deswegen hast du ihn so genannt?“

Percival ignorierte Raymund und goss vorsichtig etwas von seiner Teekanne in den Eierbecher. Danach pustete er mehrmals darüber und hielt es Coffee hin. Dieser schnupperte daran, tauchte zum Test sogar seinen Rüssel hinein, schob den Eierbecher dann aber weg. Percival glaubte, so etwas wie einen angewiderten Gesichtsausdruck bei Coffee zu erkennen. Raymund lachte.

„Vielleicht solltest du es doch mit einem schwarzen Kaffee versuchen.“

„Hmpf.“

Percival kippte den Tee vom Eierbecher in seine eigene Tasse.

„Weazle, kannst du mir etwas Milch bringen?“

Der Hauself schnippte mit dem Finger.

„Wollen doch mal sehen, ob er damit zufrieden ist.“

Percival wiederholte die Prozedur des Tees mit der Milch. Gierig begann Coffee, die Milch zu trinken.

„Siehst du?“, triumphierte Percival. „Man muss nur verschiedene Möglichkeiten ausprobieren.“

Raymund kicherte.

„Und warum hast du ihm nichts von deinem Bacon gegeben?“

„Weil es meiner ist!“

Percival schob sich mit der Gabel den zweiten Streifen in den Mund, der mittlerweile jedoch erkaltet war. Genüsslich verspeiste er ihn und wartete dann, bis Coffee den Eierbecher leergetrunken hatte.

„Na? Magst du noch was?“, fragte er ihn dann.

Coffee sah mit großen Augen zu ihm hoch. Percival nahm ihn und setzte ihn zwischen die Teller und Schüsseln seines Frühstücks.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Raymund besorgt.

„Ich will nur wissen, was er sich als erstes nehmen würde.“

Coffee sah sich zwischen den Tellern und Schüsseln um. Er nippte noch einmal beim Rührei, schnupperte an dem Korb mit den Brotscheiben. Den Obstsalat ließ er links liegen. Dann sah der Kleine die Gabel, die Percival zuvor benutzt hatte, und hielt zielsicher auf sie zu. Innerhalb weniger Sekunden war sie in seinem Bauch verschwunden.

„Grundgütiger“, kommentierte Raymund.

Percival starrte Coffee in die Augen. Der Kleine sah motiviert zu ihm zurück, wandte sich dann dem silbernen Teelöffel zu, der aus Percivals Tasse ragte.

„Nein, den nicht!“

Percival schnappte sich den kleinen Dieb und fixierte ihn wieder auf seinem Schoß. Raymund sah ihm skeptisch zu.

„Und wie bekommst du die Gabel jetzt wieder aus ihm raus?“

„Indem ich ihn am Schwanz halte.“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Und warum machst du es dann nicht?“

„Weil es grausam ist. Hat Mutter gesagt.“

Raymund schlug sich mit der flachen Hand ins Gesicht. Percival trank genüsslich von seinem Tee.

„Mr. Graves, darf ich den Tisch abräumen?“, fragte Weazle.

„Natürlich, bis auf den Tee. Kannst du mir einen sauberen Kochtopf bringen?“

„Äh …“

„Frag nicht, mach es einfach.“

„Selbstverständlich.“

Der Hauself schnippte mit dem Finger, einmal, zweimal, und die Reste von Percivals Frühstück schwebten vom Tisch. Percival glaubte, ein Grummeln des Hauselfen zu hören, vermutlich darüber, dass er seinen Obstsalat nicht angerührt hatte.

„Was willst du mit dem Kochtopf?“

„Schauen, wie leicht Coffee hindurch kommt.“

„Hä?“

Percival ignorierte seinen Bruder. Er steckte sich den Silberlöffel seiner Teetasse in den Mund. Sofort versuchte Coffee, an seiner Brust hochzukrabbeln, aber er hielt ihn davon ab. Stattdessen setzte er ihn in den Kochtopf und stand auf. Coffees Augen fixierten den Silberlöffel, als Percival sich etwas vom Küchentisch entfernte und auf den Boden hockte. Raymund verfolgte interessiert das Geschehen. Selbst Weazle hatte in seinem Tun innegehalten. Coffee atmete ganz angestrengt.

‚Bekommst du jetzt Schnappatmung?‘, dachte Percival.

Er nahm Coffee aus dem Kochtopf und setzte ihn auf den Boden. Sofort machte er Anstalten, dem Silberlöffel näher zu kommen. Percival hielt ihn auf den Boden gedrückt, blickte ihm tief in die Augen, und stülpte den Kochtopf über ihn. Danach nahm er den Silberlöffel aus dem Mund.

„Wollen doch mal sehen, wie lange es dauert.“

„Du bist gemein“, befand Raymund.

„Ach was. Sei still und lerne“, konterte Percival.

Coffee schob den Kochtopf hin und her und fing schließlich an, sich durch das Metall hindurch zu schieben.

„Ist nicht wahr?!“, rief Raymund erstaunt.

Es hatte keine zehn Sekunden gedauert, die Coffee brauchte, um den Kochtopf zu überwinden. Er krabbelte auf den Silberlöffel zu. Percival ließ den Kleinen gewähren, der sich nun zufrieden den Löffel in den Bauch schob.

„Spinnst du? Der ist von Mutters teurem Silberbesteck.“

„Ich weiß. Ich glaube, er geht danach, was am wertvollsten ist.“

Coffee sah sich nun in seiner Umgebung um, ob er etwas vergleichbar Hochwertiges fand.

„Hast du nicht eine goldene Taschenuhr?“, fragte Percival seinen Bruder.

Dieser funkelte ihn nur an.

„Ich frag mich, wo Hazel mit dem Halsband bleibt.“

„Halsband?“

„Ja, ich hab ihn losgeschickt, um ein Lederhalsband für Coffee zu suchen.“

„Willst du mit ihm Gassi gehen?“

„Wenn es sich anbietet? Ich will ihn eigentlich eher an der Leine haben, damit er mir nicht davon läuft, ich ihn aber nicht ständig herumtragen muss.“

Coffee versuchte mittlerweile, die vergoldeten Knöpfe zu erreichen, die Percival am Kragen trug. Warum sie dem Kleinen nicht schon aufgefallen waren, als er ihn in die Küche getragen hatte, war ihm ein Rätsel.

„Warst wohl doch zu hungrig.“

„Was ist?“

„Ach nichts. Kommst du mit ins Büro?“

Percival pflückte Coffee von seiner Weste und kraulte ihn dann am Hinterkopf, als ob es eine Katze wäre.

„Klar. Hab ja sonst nichts vor, heute.“

Die Brüder verließen Graves Manor und disapparierten auf dem Gehweg.

„Aber Vater!“, empörte sich Percival. „Das ist mein Fall!“

„Sohn! Treib es nicht auf die Spitze!“

Raymund stand peinlich berührt daneben und verdammte sich dafür, ins Büro gekommen zu sein. Coffee, der sich mittlerweile daran gewöhnt zu haben schien, auf Percivals Arm zu sitzen, war ebenso erstarrt vor Schreck.

„Du bist noch viel zu unerfahren, um ein Verhör zu führen. Deshalb wird Raymund das machen. Und du schaust zu und lernst, Percival Graves.“

Percival sah seinen Vater mit hochrotem Kopf an und schwieg. Die Situation war für ihn auch so schon peinlich genug. Nicht nur, dass sein Vater ihm in seinem Fall das Heft aus der Hand genommen hatte. Nein, sogar Commissioner Shoemaker war aus seinem wohlverdienten Angelwochenende zurückgekommen, um den Verlauf des Falls zu begleiten. Derzeit saß er gerade in seinem Büro, die Tür offen, sodass er alles hören konnte, was Richard Graves seinem Sohn sagte. Percival sah verzweifelt zu Raymund, aber der schüttelte nur warnend den Kopf.

„Und kann ich wenigstens erfahren, was ihr bei der Hausdurchsuchung gefunden habt?“, fragte er dann.

„Geduld, Percy! Du wirst es noch früh genug erfahren.“

Percival sah seinen Vater giftig an.

„Und pass auf dein Haustier auf“, fügte Graves senior hinzu.

Percival zog den Kopf ein und stapfte hinaus. Wie blind steuerte er auf den Schreibtisch zu, der neben dem von Michelle stand. Nur, um sich dann daran zu erinnern, dass er seinen mit Raymund getauscht hatte.

‚Ironie des Schicksals‘, dachte er und machte kehrt.

Coffee sah sich neugierig um, während Percival ihn zu seinem neuen Platz trug. Er hatte immer noch kein Halsband mit Leine für den Kleinen gefunden. Frustriert setzte er sich und sah Coffee dann ins Gesicht.

„Da hast du mich ja in einen schönen Schlamassel geritten.“

Coffee legte den Kopf schief. Percival seufzte und sah auf seinen Schreibtisch. Bisher hatte er nur sehr selten an ihm gearbeitet, obwohl er gerade einmal seit zwei Tagen als Auror beschäftigt war. Gerade wirkten Schreibmaschine, Tischlampe und Notizblock wenig einladend auf ihn. Zu gerne hätte er sie heute benutzt, um einen Bericht über das Verhör von Mrs. Davis zu verfassen.

„Percival?“, sagte jemand hinter ihm.

Er zuckte zusammen und hätte Coffee beinahe gegen die Tischkante geschlagen. Dann drehte er sich um. Raymund stand hinter ihm.

„Bitte entschuldige. Ich habe nicht gewusst, dass Vater dir den Fall aus der Hand nehmen will. Ehrlich.“

Percival sah ihn missmutig an.

„Ach schon gut. Wärst du nicht hier gewesen, würde er das Verhör sicher selber führen.“

Raymund kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Was ist?“

„Kannst du mir bitte kurz einen Überblick geben, was du über Mrs. Davis herausgefunden hast?“, fragte Raymund.

Percival drehte seinen Stuhl um.

„Setz dich.“

Raymund nahm auf dem Stuhl eines Kollegen Platz.

„Mrs. Davis ist Kundin der Steen National Bank. Sie war am Tattag in der Bank, ist Mitte Vierzig und wohnt auf Staten Island in einem bescheidenen Holzhäuschen in 1 Walnut Street. Sie hat bis vor einigen Jahren für die Magic Times gearbeitet, als was, kann ich dir leider auch nicht sagen“, erzählte Percival. „Sie war die erste Kandidatin einer kurzen Liste von drei Verdächtigen, die zum fraglichen Zeitpunkt in der Bank waren. Gut möglich, dass sie Coffee in einer Handtasche mitgeführt hat, und ihn dann in der Bank freigelassen hat, als sie sich unbeobachtet fühlte.“

„Verstehe. Und warum hast du sie als erstes überprüft?“, hakte Raymund nach.

Percival drehte Coffee auf den Rücken und kraulte ihm den Bauch. Der Kleine begann zu quengeln, als er auf Percivals Gürtelschnalle aufmerksam wurde.

„Wenn ich ehrlich sein soll, war es ein reiner Glückstreffer, dass ich Coffee im Nachbarhaus gefunden habe. Ich hatte eigentlich nicht vermutet, dass eine betagte Hexe in irgendeiner Weise kriminelle Energien entfalten könnte.“

„Wenn du wüsstest ...“, brummte Raymund.

„Was?“

„Ach nichts. Vielen Dank für die Informationen.“

„Weißt du etwas über die Hausdurchsuchung?“

Raymund schüttelte den Kopf und stand dann auf.

„Es sieht übrigens komisch aus, wenn Coffee dir an die Hose geht“, raunte er Percival zu.

Raymund ließ ihn sitzen, wo er war, und ging in Richtung Verhörräumlichkeiten. Trotzdem war Percival nicht entgangen, dass es kurz aufgeblitzt hatte in den Augen seines Bruders. Er schien wohl doch mehr zu wissen, als er zugab.

‚Die Eule, die Vater ihm geschickt hatte ...‘, erinnerte er sich dann niedergeschlagen.

„Und du hörst jetzt mal auf.“

Percival schob Coffee zu seinen Knien und stellte dann mit Entsetzen fest, dass der kleine Ganove seine Gürtelschnalle geöffnet hatte. Er schloss sie mit einer Hand, so gut er konnte.

„Du kleines Biest.“

Coffee schaute verwirrt zu ihm hoch und wollte dann auf seinen Schreibtisch klettern.

„Oh nein, du bleibst schön hier! Sonst sage ich Oscar nachher, dass er dich sezieren soll.“

Gerade so, als hätte er ihn genauestens verstanden, hielt Coffee in seinem Tun inne.

„Percy, wo bleibst du?!“, rief sein Vater quer durch das Büro.

Er zuckte erneut zusammen. Wie froh war er, dass die Aurorenzentrale Samstagvormittag eher schlecht besetzt war. Pflichtschuldig stand er auf, nahm Coffee auf den Arm und folgte Raymund zu den Verhörräumen. Sein Vater wartete vor dem Nebenzimmer auf ihn. Graves senior warf einen Blick auf Coffee, sagte aber nichts. Percival ging kommentarlos an ihm vorbei in das Beobachtungszimmer.

Und bekam umgehend ein schlechtes Gewissen. Mrs. Davis saß in sich zusammengesunken auf einem harten Holzstuhl und hatte die Hände in ihren Schoß gelegt. Ihr Blick war nach unten gerichtet. Ihre grauen, leicht gewellten Haare waren im Nacken zusammen gesteckt. Eine Brille hing an einer Kette um ihren Hals. Ein Gegenstand, der eigentlich sofort Coffees Aufmerksamkeit auf sich hätte ziehen müssen, doch er schien es noch nicht bemerkt zu haben.

Die Tür ins Verhörzimmer wurde aufgestoßen und Raymund trat ein. Mrs. Davis zuckte zusammen und sah den Neuankömmling verängstigt an. Erst jetzt bemerkte Percival ihre geröteten Augen.

„Vater, was habt ihr mit ihr gemacht?“, fragte er leise.

„Nichts, worum du gestern Abend nicht selbst gebeten hast.“

„Sie hat geweint“, warf Percival ihm vor.

Richard Graves‘ Mine blieb ausdruckslos.

„Sohn. Das wirst du in deiner Laufbahn noch viele Male erleben. Also gewöhne dich besser daran.“

Percival schwieg. Raymund hatte sich mittlerweile vorgestellt und Mrs. Davis, soweit es ermittlungstaktisch sinnvoll war, über die Situation und ihre Recht aufgeklärt. Percival musste zugeben, dass sein Bruder dabei sehr behutsam vorgegangen war. Trotzdem konnte er das Glitzern in Mrs. Davis Augen erkennen. Die betagte Dame war wieder kurz davor, in Tränen auszubrechen.

„... versichere Ihnen, dass wir Sie nur als Zeugin vernehmen“, konnte er seinen Bruder dumpf durch die Scheibe hören.

Mrs. Davis schluchzte. Raymund ging nicht darauf ein und schlug stattdessen die Akte auf, die er mitgebracht hatte. Er überflog sie kurz und verschränkte dann seine Arme auf der Tischplatte.

„Sie haben ein Konto bei der Steen National Bank. Warum?“, fragte Raymund.

Percival konnte die Antwort von Mrs. Davis kaum durch die Scheibe hören.

„Nein, selbstverständlich ist es nicht verboten, als Hexe ein Konto bei einer NoMaj-Bank zu haben. Es kommt nur selten vor, verstehen Sie?“

Mrs. Davis ließ den Kopf noch tiefer hängen.

„Mrs. Davis, darf ich Ihnen ein Glas Wasser oder etwas anderes zu Trinken anbieten?“

Einen Augenblick später nickte Raymund. Er stand auf, öffnete die Tür und schwang den Zauberstab. Das Glas Wasser schien er vorbereitet zu haben. Höflich stellte er es vor Mrs. Davis auf den Tisch und setzte sich dann wieder. Sie nahm einen großen Schluck.

„Mrs. Davis, erinnern Sie sich noch an Ihren Besuch in der Bank am Morgen des 25. September? Ist Ihnen vielleicht etwas Merkwürdiges aufgefallen?“

Percival sah, wie sie einmal tief durchatmete. Die Bank sei an dem Tag gut besucht gewesen, erzählte sie. Sie habe fast 20 Minuten gewartet, ehe sie von einem Angestellten des Instituts bedient wurde. Raymund fragte sie nach dem Grund für ihren Besuch. Etwas Geld habe sie auf ihr Konto einzahlen wollen, das sie von ihrer Nichte erhalten hatte. Ob die Nichte eine NoMaj sei. 

Mrs. Davis nickte kaum merklich. Raymund erinnerte sie noch einmal an Rappaports Gesetz von 1790, ging aber ansonsten nicht weiter auf ihre NoMaj-Beziehungen ein. NoMajs kamen in den Verwandtschaftsverhältnissen der meisten magischen Familien der USA vor. Selbst in Reinblut-Familien gab es alle paar Generationen einen Angehörigen, der aus der Reihe tanzte und als NoMaj auf die Welt kam. In der Regel wurden bei allen betroffenen Familienangehörigen das Gedächtnis gelöscht und das Kind zur Adoption freigegeben.

In welchem Verhältnis Mrs. Davis tatsächlich zu ihrer Nichte stand und wie es entstanden war, würde eine andere Ermittlung ergeben. Dessen war sich Percival sicher.

Etwa eine viertel Stunde hatte es gedauert, bis Mrs. Davis ihre Angelegenheiten in der Bank geregelt hatte. Ob sie danach noch länger im Gebäude geblieben sei. Nein, sie habe noch Gemüse auf einem Markt kaufen wollen.

Mittlerweile hatte sie das Glas Wasser komplett geleert. Aber aber ihre Nerven schienen sich inzwischen auch wieder etwas beruhigt zu haben, stellte Percival erleichtert fest. Eine schwere Hand legte sich auf seine rechte Schulter.

„Percival“, raunte sein Vater. „Dein Bruder wird das Verhör gleich beenden. Geh raus und warte mit dem Kleinen auf dem Gang. Achte darauf, wie Mrs. Davis auf ihn reagiert.“

Percival nickte und verließ das Nebenzimmer. Coffee war mittlerweile wieder auf seinem Arm eingeschlafen. Er weckte den kleinen, der sich verschlafen umzuschauen schien und dann wieder seine Kragenknöpfe ins Visier nahm. Percival ließ ihn gewähren und wartete gegenüber der Tür zum Verhörzimmer. Graves senior hatte die Tür zum Nebenraum hinter seinem Sohn geschlossen. 

Coffee hing gerade an seiner Krawatte, als Raymund die Tür für Mrs. Davis öffnete. Percival versuchte, die alte Dame anzulächeln. Sie sah im traurig ins Gesicht, sah irritiert auf Coffee und ging dann in die Richtung, in die Raymund sie wies. Sein Bruder begleitete sie hinaus und kam erst fünfzehn Minuten später wieder.

„Sie ist unschuldig“, konstatierte Percival.

„Ja. Scheint so.“

Raymund stemmte die Hände in die Hüften und sah nachdenklich auf Coffee, der sich an Percivals Kragenknopf zu schaffen machte. Schließlich kam auch ihr Vater aus dem Nebenraum.

„Und? Was habt ihr bei der Hausdurchsuchung gefunden?“

Graves senior sah zu Raymund.

„Einen verschließbaren Weidenkorb. Im Keller von Mrs. Davis, aus dem der kleine Kerl ausgebrochen zu sein scheint“, antwortete der Alte dann und deutete auf Coffee.

Percival zog ihn von seinem Kragen und sah auf ihn hinab. 

„Habt Ihr ihr den Weidenkorb gezeigt?“, fragte er.

„Natürlich, als du eben auf dem Gang gewartet hast. Sie hat ihn nicht wiedererkannt.“

Percival sah wütend zwischen seinem Vater und seinem Bruder hin und her. Dann drehte er sich um und stapfte davon.

„Wo willst du hin?!“, rief sein Vater ihm aufgebracht hinterher.

„Meinen Ärger vertreiben, bevor ich etwas Falsches sage!“, rief Percival zurück.

Der Auror ging zu den Aufzügen und wäre beinahe daran vorbei gelaufen, so aufgebracht war er. Vater hatte von Anfang an gewusst, dass die Dame unschuldig war. Für ihre Aussage hätte man sie nicht ins Aurorenbüro zerren müssen, das wäre auch problemlos bei ihr zu Hause möglich gewesen. In ihrer gewohnten Umgebung, wo sie sich wohl fühlte. Und wo sie vermutlich viel überraschter auf den Weidenkorb reagiert hätte, den wohl jemand in ihrem Keller platziert hatte.

Percival drückte auf den Knopf für die Aufzüge. Es wurde höchste Zeit, dass er noch einmal in der Abteilung zum Schutz Magischer Wesen vorbei schaute.

„Beziehungsweise, dass du vorstellig wirst.“

Coffee sah die ganze Zeit zu ihm hoch. Percival bildete sich ein, dass der kleine Geselle inzwischen gerne auf seinem Arm saß. Er wurde ganz ruhig, wenn er ihn am Kopf kraulte. Auf den Rücken gedreht werden mochte er stattdessen nicht so. Percival konnte es ihm nicht verübeln. Auch er hätte sich nicht wohl gefühlt, hätte man ihn mit dem Bauch, der verwundbarsten Stelle, nach oben fixiert.

Percival fuhr mit ihm drei Stockwerke nach unten. Als er unten auf den Gang trat, musste er schnell zur Seite springen, um nicht aus Versehen auf ein vorbei hoppsendes Knuddelmuff zu treten.

„Wo kommst du denn her?“

Etwas krachte. Dann ein saftiger Fluch.

„Du liebes bisschen“, murmelte er. „Was ihm wohl entwischt ist?“

Der Auror ging langsam in Richtung des Lärms. Die Tür zur Abteilung zum Schutz Magischer Wesen stand sperrangelweit offen. Oscar Biberfeldt fuchtelte mit seinem knorrigen Zauberstab herum.

„Wenn ich dich in die Finger kriege!“, schimpfte er.

Percival trat in den Türrahmen und räusperte sich.

„Ja?!“, fauchte Oscar in seine Richtung.

„Kann ich behilflich sein?“

„Ach, Sie sind es. Ach, dieser verfluchte Wichtel ist mir wieder entkommen.“

‚Nicht nur der‘, dachte Percival.

Er trat ein und sah sich um. Es herrschte ein noch größeres Chaos als am Vortag, wenn dies überhaupt möglich war. Coffee fing zu Zappeln an. Er wollte auf den Boden gelassen werden, aber Percival hielt ihn fest. Hernach ging er ihm auch noch verloren. Oscar seinerseits bekam leuchtende Augen.

„Wo haben Sie den Niffler her?“, fragte er begeistert.

„Err, Niffler?“

Oscar deutete auf Coffee. Percival sah auf ihn hinab, ein großes Fragezeichen im Gesicht. Oscar kam näher.

„Hatten Sie nicht gesagt, Sie wüssten nicht, um was für ein Wesen es sich handelt?“

„Habe ich das?“

Percival nickte verwirrt.

„Hm, na ja.“

‚Chaos auf dem Arbeitstisch, Chaos im Kopf‘, dachte Percival.

„Darf ich ihn mal halten?“, fragte Biberfeldt dann.

Nach kurzem Zögern reichte Percival Coffee an den Zauberer. Der Alte hielt ihn auf Augenhöhe, um ihn genau betrachten zu können. Sofort versuchte Coffee, mit seinen kleinen Pfoten an das Monokel von Oscar zu kommen.

„Wirklich ein Prachtexemplar haben Sie da gefangen“, schwärmte Oscar begeistert.

„Wirklich?“

„Aber ja, voll ausgewachsen und noch keine weißen Haare im Fell. Sattes schwarz und so schön samtig! Und sehen Sie nur, die tiefschwarzen Augen.“

Oscar drehte Coffee begeistert herum. Dann hielt er ihn mit einer Hand am Bauch in die Höhe, kramte mit der anderen in den Taschen seines Zaubererumhangs und förderte ein paar Goldstücke zu Tage. Er hielt sie dem Niffler vor den Rüssel, der sie sich umgehend in den Bauch schob.

„Einfach fantastisch!“

Percival beobachtete amüsiert, wie Oscar noch einige weitere Tests machte.

„Wissen Sie, wie viel sich so ein Niffler in den Bauch schieben kann, bevor er platzt?“

„Wie gemein! Also wirklich!“, empörte sich der Alte. „Schämen Sie sich denn nicht, über so etwas auch nur nachzudenken?“

Percival versuchte, ein beschämtes Gesicht aufzusetzen. Trotzdem interessierte ihn die Antwort auf die Frage immer noch.

„Hat es nie jemand getestet?“

„Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht die Kobolde? Aber ob die ihr Wissen teilen?“

„Warum gerade die Kobolde? Oscar, was wissen Sie über Niffler?“

Der Alte sah Percival ins Gesicht und setzte Coffee dann auf den großen Arbeitstisch.

„Nicht! Was machen Sie denn da?“, warnte Percival.

„Ach, soweit wird er nicht kommen.“

Coffee begann umgehend, in dem Chaos nach Kostbarkeiten zu wühlen. Oscar zog sich einen Stuhl heran und sah ihm dabei zu.

„Ursprünglich sind sie auf den Britischen Inseln heimisch und wühlen nach allem, was glänzt. Es erscheint daher wenig verwunderlich, dass sich Kobolde Niffler halten, um sie nach Schätzen graben zu lassen.“

„Dann scheinen sie tatsächlich mit Maulwürfen verwandt zu sein?“

Oscar nickte.

„Sehr entfernt natürlich nur. Niffler sind auf unserem Kontinent nicht sehr verbreitet, müssen Sie wissen. Ihr Exemplar hat zwei, vielleicht drei Jahre auf dem Buckel.“

„Also im besten Alter“, schätzte Percival.

„Wohl eher kurz vorm Zenit“, führte Oscar aus.

Coffee war mittlerweile unter einem Berg Papiere verschwunden. Die beiden konnten genau sehen, an welcher Stelle des Tisches er gerade nach Kostbarkeiten suchte.

„Oh.“

„Na ja, Sie sollten sich von Ihrem Exemplar nicht zu sehr um den Rüssel wickeln lassen. Auch wenn er jetzt putzmunter erscheint, in vier, fünf Jahren, wird er vermutlich an Altersschwäche eingehen.“

„Oh.“

Percival sah betroffen zu dem sich bewegenden Häufchen Blätter.

„Jedenfalls, Experten gehen davon aus, dass ihr Bauch ähnlich einem Ausdehnungszauber funktioniert. Die Kapazität nimmt zwar mit den Jahren zu, ist aber endlich.“

„Also doch!“

„Wie gesagt, ich weiß nichts davon, dass es mal jemand getestet hat.“

Coffee hatte das Ende des Tisches erreicht und kletterte am Tischbein hinab. Percival hob ihn vom Boden auf.

„Geben Sie ihn mir bitte.“

Er reichte ihn an Oscar weiter. Dieser nahm ihn nun bei den Hinterpfoten und ließ ihn kopfüber baumeln.

„Ich hab ihn immer am Schwanz gehalten“, meinte Percival.

„Wie gemein! Der Schwanz ist eine sensible Stelle! Wie können Sie nur?“

Oscar schüttelte den Niffler.

‚Als ob das jetzt weniger bedenklich ist.‘

Trotzdem sah Percival interessiert dabei zu, wie allerlei Gegenstände aus dem Bauch des Nifflers heraus fielen. Auch Gabel und Teelöffel vom Silber seiner Mutter kamen wieder zum Vorschein. Dazu die Goldmünzen von Oscar und ein goldener Füllfederhalter mit einem geschliffenen Rubin auf der Kappe.

„Hoppla, wo kommt der denn her?“

Oscar erschrak regelrecht über das Schreibgerät. Percival hob die Gegenstände vom Boden auf, steckte sich das Besteck in die Tasche seines Sakkos, legte Oscars Goldstücke auf den Tisch und inspizierte dann interessiert den Füllfederhalter.

„So einen hätte ich auch gerne“, befand er.

„Ja? Denn sollten Sie trotzdem lieber zurückgeben?“

„Wieso? Wem gehört er denn?“

„Ich habe gehört, dass Jefferson so einen hat. Aber ob es genau dieser ist?“

Percival wurde blass.

„Coffee, wo hast du den aufgesammelt?“, schimpfte er den Niffler, der immer noch kopfüber hing und ihn flehentlich anschaute.

„Coffee?“

„So hab ich ihn genannt.“

Oscar brummte.

„Wie ich schon sagte, Sie sollten keine zu enge, emotionale Bindung zu ihm aufbauen. Andererseits ...“

„‚Andererseits‘ was?“

Oscar drehte den Niffler wieder um und sah ihn abschätzig an.

„Niffler können ihrerseits eine emotionale Bindung zu ihren Besitzern aufbauen.“

Percival zuckte nicht mit der Wimper, als er Oscar auffordernd die Hand hinhielt. Er nahm Coffee wieder an sich. Wie zur Bestätigung kuschelte sich der Niffler in seine Armbeuge.

„Was machen Sie mit dem Füllfederhalter?“, fragte Oscar.

„Ihm dem Präsidenten per Brief zurückschicken.“

„Hm, clever! Passen Sie gut auf Coffee auf! Er ist vermutlich eines von nur sehr wenigen Exemplaren in Nordamerika und damit eine richtige Besonderheit. Und besuchen Sie mich mal wieder mit ihm. Ich würde gerne sehen, wie er sich entwickelt.“

Percival nickte und verließ das Amt zum Schutz Magischer Wesen. Er fuhr ins Aurorenbüro zurück und stakste mit schlackernden Knien schnurstracks ins Büro seines Vaters, blind für alles andere, was sich um ihn herum zutrug. Richard Graves sah auf.

„Percival, nanu“, meinte er besorgt. „Bist du krank?“

Percival schüttelte den Kopf.

„Hast du einen Geist gesehen?“

Zur Antwort legte Percival ihm den goldenen Füllfederhalter vor die Nase. Coffee bettelte, um auf den Tisch gelassen zu werden. Graves senior wurde ebenfalls leichenblass.

„Wo hast du den her?“

„Den hat Coffee im Amt zum Schutz Magischer Wesen gefunden.“

Er hielt den Niffler hoch.

„Tatsächlich?“

„Ja. Biberfeldt meinte, er gehört Präsident Jefferson.“

Sein Vater hüstelte.

„Das ist richtig. Wenn ich mich recht erinnere, hat er ihn vor drei Jahren verloren.“

Percival stand in einem mehrstöckigen Wohnhaus in Brooklyn. Coffee, der mittlerweile ein provisorisches Lederhalsband mit Leine trug und darüber wenig erfreut war, saß auf seinem Arm. Percival hatte den Niffler und sich selbst mit einem Desillusionierungszauber umgeben und wartete seit einigen Minuten darauf, dass es in dem Gebäude etwas ruhiger wurde. Mehrere Arbeiterfamilien schienen hier zu leben, weshalb das Treppenhaus mit Kindern regelrecht überfüllt war. Keine sehr gute Ausgangssituation, aber es half nichts.

Nach dem Hinweis, den Percival von Oscar bekommen hatte, war er die Bankkundenliste noch einmal durchgegangen. Mrs. Fuller würde ihm am Montag vermutlich die Ohren langziehen, da er es in ihrer Abwesenheit gewagt hatte, an die Schränke zu gehen, aber damit konnte er leben. Die Liste hatte keinen magisch begabten Bankkunden mehr hervorgebracht. Also war Percival mit Raymunds Hilfe die Registratur der alten Fälle durchgegangen und hatte wider Erwarten doch einen Treffer gelandet.

Raymund hatte sich auf Percivals Bitte hin bei der Feuertreppe an der Rückseite des Wohnhauses postiert und sperrte so einen möglichen Fluchtweg für ihren Verdächtigen ab. Percival glaubte zwar nicht, dass diese Vorsichtsmaßnahme nötig war, aber man konnte schließlich nie wissen. Gut möglich, dass ihr Verdächtiger disapparierte, sobald Percival sich zu Erkennen gab. Sein Plan sah vor, dass er wartete, bis der Verdächtige heraus kam und dann schaute, wie Coffee auf ihn reagierte. Falls der Niffler ihn überhaupt kannte. Percival seinerseits hatte keine Ahnung, wie Stephen MacKinley aussah.

Ihr Verdächtiger war vor einigen Jahren durch eine Falschaussage in einer anderen Ermittlung aufgefallen, in der er als Zeuge geladen war. Falschaussagen kamen immer wieder vor, sowohl bei NoMaj-, als auch bei Aurorenermittlungen, wie Percival wusste. Stutzig war er geworden, als er sich die damaligen Lebensbedingungen von MacKinley durchgelesen hatte. Kaum Vermögen, trotzdem war er viel auf Reisen. Percival hatte seinen Vater gefragt, ob er wusste, warum das seinerzeit nicht weiterverfolgt wurde. Der hatte nur abgewinkt und gemeint, dass finanzielle Verhältnisse einen nicht per se zum Verdächtigen machten, nur weil sie ungewöhnlich waren. Percival hatte gegrummelt.

„Autsch!“, fluchte er dafür jetzt.

Coffee hatte ihn gebissen und kletterte eiligst seine Hose hinab.

„Du kleines Biest“, fauchte der Auror.

Der Niffler achtete nicht auf ihn, sondern machte sich auf die Reise. Zum Glück hatte Percival noch die Leine in der Hand, sodass er ihm nicht entkommen konnte.

„Wo willst du hin?“

Coffee steuerte auf die Treppe zu und begann mühselig, die Stufen zu erklimmen. Nachdem er sich auf die zweite Stufe gekämpft hatte, seufzte Percival resigniert und hob ihn vom Boden auf. Im ersten Stock angekommen, setzte er den Niffler wieder ab. Coffee begann umgehend, auf dem Boden zu schnüffeln.

„Hast wohl die Fährte von Gold aufgenommen?“

Percival musste ihn kurz an der Leine halten und einige Dehnübungen vollziehen, um am Ende des langen Gangs anzukommen, ohne versehentlich einem der NoMaj-Kinder hinein zu laufen, das ihm rennend entgegenkam. Die kitschige Blumentapete im ersten Stock sah noch heruntergekommener aus, als unten. An einigen Stellen war sie stark vergilbt und Percival glaubte, auch so etwas wie einen Brandfleck zu erkennen.

Er stolperte Coffee hinterher und blieb dann vor einer abgewetzten Holztür stehen, die in eine der Wohnungen führte. Der Niffler fing an, an der Türschwelle zu Kratzen. Percival hob ihn wieder hoch.

„Wir sind nicht hier, um Leute auszurauben, weißt du?“, flüsterte er ihm zu.

Coffee war inzwischen ziemlich gut darin, ihn flehend anzuschauen. Sinnvoller wäre es gewesen, eines der Kinder zu fragen, ob es wusste, welche Wohnung MacKinley gehörte. Aber dann wäre seine Tarnung hin. Stattdessen wandte er sich der kleinen Tür links von sich zu, öffnete sie und blickte hinaus. Raymund, der sich ebenfalls mit einem Desillusionierungszauber getarnt hatte, stand zwei Stockwerke über ihm auf der Feuertreppe.

„Hast du was?“, rief sein Bruder zu ihm runter.

„Coffee ist ganz verrückt danach, in eine der Wohnungen zu kommen.“

Raymund kam die Treppe herab.

„Und? Wie willst du vorgehen?“

Percival wich zur Seite, damit Raymund auf den Gang blicken konnte. Er runzelte die Stirn, als er die spielenden Kinder sah.

„Falls er wirklich der Täter ist, hat er sich einen guten Unterschlupf gesucht.“

„Und wenn er besonders intelligent ist, hat er seine Wohnung mit Schutzzaubern versehen“, stellte Percival fest.

„Wir hätten doch einen Besen mitbringen sollen. Dann hätte einer über ein Fenster zur Hinterseite reinkommen können.“

„Du kannst ja immer noch einen holen.“

Raymund sah seinen kleinen Bruder streng an, disapparierte und kam zehn Minuten später mit einem Flugbesen zurück.

„Lass dir gesagt sein, dass Vater wenig begeistert ist, dass ich einen der Abteilungsbesen geborgt habe.“

„Es war deine Idee. Außerdem warst du mir das schuldig.“

„Wie das?“

Percival sah ihn vielsagend an. Dann zog er die Augenbrauen hoch, als Raymund ihm den Besen hinhielt.

„Zum Fenster fliegen kannst du schön selbst!“

„Spinnst du? Wie soll ich das machen mit Zauberstab in der einen Hand und Coffee in der anderen.“

„Dann gib ihn halt mir.“

Percival funkelte Raymund wütend an, hielt ihm dann aber den Niffler samt Leine hin.

„Ich warne dich!“

„Hey, ich tu ihm schon nichts!“

Coffee fing zu zappeln an, aber Raymund hielt ihn fest. Er hatte sich die Schlaufe der Leine über den Arm geschoben und sie dann noch mal zur Sicherheit zweimal darum gewickelt.

„Lass ihn nur nicht zu lange warten.“

„Oder ich warte so lange, bis er dich beißt“, konterte Percival.

Er setzte sich ungelenk auf den Besen und flog langsam die Fenster ab, die er der fraglichen Wohnung zuordnete. Besenfliegen war nie seine Stärke gewesen. In Ilvermorny hatte er sich seinerzeit den Ruf einer flugunfähigen Eule erworben, eine Bezeichnung für all jene, die in ihrer allerersten Flugstunde vom Besen gefallen und sich dabei etwas gebrochen hatte. Viele waren es nicht gewesen in der ehrwürdigen Geschichte Ilvermornys. Bei Percival war es der linke Arm gewesen.

Sein linker Arm steuerte jetzt den Besen zum ersten Fenster, seine rechte Hand hielt den Zauberstab fest. Das Fenster gewährte Einblick in eine kleine Rumpelkammer, deren Inhalt kein sonderlich großes Interesse bei dem Auror erzeugte. Percival flog langsam zum zweiten Fenster an dieser Wandseite. 

Und sah einen Mann, dessen Alter er wegen einer ausgewachsenen Halbglatze nicht richtig einschätzen konnte. Er mochte Ende Dreißig sein, genausogut konnte er aber auch gerade einmal ein paar Jahre älter sein als Percival. Der Mann war gerade dabei, mithilfe eines Zauberstabs ein Messer Gemüse schälen und schneiden zu lassen.

MacKinley, so er es denn war, hatte Percival nicht bemerkt. Trotzdem war es ein gefährliches Unterfangen, in seiner Situation einem möglichen Kriminellen gegenüber zu treten, der noch dazu einen Zauberstab in der Hand hielt und indirekt mit einem Küchenmesser bewaffnet war. Percival beschloss, sein Überraschungsmoment dann zu nutzen, wenn MacKinley sich vom Fenster abwandte.

Was eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Inzwischen hatte sein Bruder Raymund dem Kopf aus der Fluchttür geschoben und sah zu ihm rüber. Percival ignorierte ihn. Er ließ den Mann im Zimmer vor ihm nicht aus den Augen. Nachdem das Gemüse endlich geschnitten war, wanderte es in einen großen Kochtopf. MacKinley verzauberte einen großen Holzlöffel, der darin umrührte. An dem Messer hatte der Mann das Interesse verloren. Percival sah kurz zu seinem Bruder und nickte ihm zu. Raymunds Kopf verschwand wieder.

Der Auror hob seinen Zauberstab und musste dann den Besen ausbalancieren.

‚Teufel noch eins, ich sollte vielleicht mal wieder üben‘, dachte er frustriert.

MacKinley drehte sich gerade wieder in seine Richtung. Mit einem Reductio pulverisierte Percival das Fensterglas und schickte dann ein Stupor hinterher. Doch MacKinley war flinker als gedacht. Das sich auflösende Glas hatte ihn gewarnt. MacKinley feuerte ein Impedimenta auf Percival ab, dem der Auror gerade so ausweichen konnte. Der Lichtblitz schlug stattdessen im Gebäude hinter ihm ein.

„Ergeben Sie sich!“, rief er in das Zimmer hinein.

MacKinley dachte nicht daran und fuhr auf den Absätzen herum.

„Bei Mercy Lewis!“

Percival hoffte, dass Raymund seinen Zauberstab gezückt hatte. Um eine ausgedehnte Übung im Oblivieren von NoMajs würden sie trotzdem nicht herumkommen. Er versuchte, durch das zerstörte Fenster zu fliegen, und rammte dabei den Rahmen. Sein Sakko riss am linken Oberarm ein. Von nebenan konnte er einen Knall und einen dumpfen Aufschlag hören. Dann war es still. Nicht einmal erschrockenes Kinderweinen drang an Percivals Ohr. Er stieg vom Besen und hielt den Zauberstab aufrecht. Vorsichtig schob er die Tür auf und seufzte dann. MacKinley lag bewusstlos am Boden, Coffee auf seinem Bauch und enthusiastisch an ihm schnuppernd. Raymund hatte MacKinleys Zauberstab an sich genommen.

„Warum er nicht disappariert ist?“, fragte Raymund in die Stille hinein.

„Hatte wohl zu sehr Angst“, folgerte Percival.

Er steckte seinen Zauberstab ins Holster und griff dann nach der Leine, an der Coffee hing. Der Niffler wollte sich gar nicht von MacKinley trennen. Erst, als Percival seufzend einen seiner glitzernden Hemdknöpfe abnahm und ihn Coffee hinhielt, wandte sich dieser ab. Der Niffler tapste dem Knopf hinterher, bis er unbewusst auf Percivals Arm geklettert war. Erst dann ließ der Auror ihm den Knopf, der sogleich in seinem Bauch verschwand.

„Das solltest du nicht zur Gewohnheit werden lassen.“

„Ja“, antwortete Percival abwesend. „Bringst du ihn ins Ministerium?“

„Was machst du?“

„Ich möchte mich umschauen. Ich bin mir sicher, dass Coffee das gestohlene Gold findet, wenn MacKinley es hier versteckt hat.“

„Falls er es hier versteckt hat. Beeil dich aber. Sonst muss ich MacKinley auch noch verhören.“

Percival nickte. Raymund steckte nun ebenfalls seinen Zauberstab weg, und ließ sich von Percival dabei helfen, MacKinley über seine Schulter zu wuchten.

„Ist der schwer ...“

Einen Augenblick später war Raymund weg.

„So, und du gehst jetzt und suchst das Gold.“

Percival sah Coffee streng in die Augen. Der Niffler schien zu spüren, dass er eine wichtige Aufgabe bekommen hatte. Der Auror setzte ihn wieder auf den Boden und nahm die Leine dann bei der Schlaufe. Sofort fing der Kleine das Schnüffeln an.

„Nicht das!“

Coffee schob sich alles Glitzernde in den Bauch, was er finden konnte. Viel war es indes nicht, weshalb er seine Ansprüche zurückschrauben musste. Ein verbogener Löffel aus Eisen war sofort verschwunden.

„Du sollst das Gold suchen“, raunte Percival ihm zu. „Nicht das Eisen.“

Er ging in Richtung Küche und hoffte, dass Coffee ihm folgte. Der Niffler kroch in Schlangenlinien über den Boden hinweg in die Richtung, in der Percival ihn haben wollte. Trotzdem fluchte der Auror. Coffee war mehrmals unter einem Stuhl und dem Tisch hindurch gekrochen, sodass sich die Leine um die Möbelbeine verhedderte. Mühselig entwirrte Percival sie.

„Du kleines Monster.“

Coffee beachtete ihn nicht weiter. Wenigstens kroch er inzwischen nicht mehr, sondern tapste auf allen vieren durch die Küche. Blieb stehen, streckte den Rüssel in die Luft. Tappte weiter mehr oder minder zielgerichtet auf die Innenwand zu. Percival blickte irritiert auf die Wand, an der nur ein kleines Regal mit Tellern und Tassen hing. Doch der Niffler schien felsenfest davon überzeugt zu sein, dass dort etwas war.

„Hm, das Schlafzimmer fehlt auch“, überlegte Percival.

Er holte seinen Zauberstab hervor und richtete ihn auf die leere Wand rechts von dem Regal.

„Was sind Sie denn für einer?“

Percival zuckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass er nicht mehr alleine war. Im Eingangsbereich stand ein rothaariges Mädchen, das er auf zehn Jahre schätzte, und starrte ihn mit großen, grünen Augen an. Das Kleid des Mädchens, obwohl ordentlich gewaschen, wies schon einige Spuren der Abnutzung auf. Der Auror wandte sich der Kleinen zu und bedeutete ihr mit dem Zeigefinger seiner Linken, den Mund zu halten.

„Mister, sind Sie ein Dieb?“, fragte das Mädchen.

„Colloportus!“, sprach er.

Das Mädchen riss erschrocken die Augen auf, als sich die Eingangstür hinter ihr verriegelte. Ein Stupor ließ sie betäubt zu Boden fallen. Mit schlechtem Gewissen schaute Percival auf das Mädchen. Dass sie jetzt bewusstlos vor ihm lag, hatte er seiner eigenen Schlampigkeit zuzuschreiben. Hätte er die Tür verriegelt, nachdem Raymund weg war und erst dann den Niffler losgelassen, wäre ihm dieser kleine Faux-Pas nicht passiert. Zum Glück gab es außer Coffee keine Zeugen.

Der Niffler kratzte immer noch am Boden vor der Küchenwand. Percival wandte sich ihm wieder zu. Dann zauberte er ein „Conclave Revelio“ auf die Wand. Ein Durchgang erschien auf magische Weise, dahinter kam ein desolates Bett zum Vorschein. Als sich der Zauber komplett aufgelöst hatte, musste Percival würgen.

„Du liebes bisschen, was ist das für ein Gestank?“

Er hielt sich die Rechte ins Gesicht, um Mund und Nase so gut es ging, abzuschirmen. Er wollte gar nicht so genau wissen, woher der Mief kam, schätzte aber, dass irgendwo in diesem Raum ein totes Tier lag.

‚Oder eine Leiche.‘

Coffee schien es weniger zu stören. Der Niffler zog ihn an der Leine in das kleine Zimmer und zu einem Schrank hin. Percival hockte sich vor das Möbelstück und öffnete es. Und hätte frohlockt, wäre ihm nicht immer noch übel gewesen. In dem Schränkchen, das mit einem Ausdehnungszauber versehen war, reihten sich Goldbarren an Goldbarren an Goldbarren.

„Braves Kerlchen“, würgte Percival hervor.

Er hob Coffee sehr zu dessen Ungemach auf den Arm und wollte sich dann abwenden, als ihm ein schwarzgraues, ziemlich modriges Häufchen auffiel. Percival warf einen Blick darauf und drehte Coffee dann so, dass er seinen toten Artgenossen nicht sehen konnte. Der Auror verließ das Schlafzimmer, reparierte das Fenster, das er zuvor zerstört hatte, oblivierte das Mädchen, brachte sie in einem anderen Teil des Gebäudes in Sicherheit und verschwand. Den Flugbesen, das Gold und den toten Niffler ließ er zurück.

Epilog

„Percival Graves, du missratener Sohn!“

„Ma...“

„Wie kannst du es nur wagen, diesem Monster mein Silberbesteck zu geben?“

„Ma, ich hab es doch zurückgebracht.“

Violet Graves sah ihren Sohn aufgebracht an.

„Bist du nicht stolz auf mich, Ma, dass ich den Fall so schnell gelöst habe?“

„Nein, bin ich nicht! Ich bin sehr wütend auf dich!“

Violet Graves ignorierte den Teller mit Bœuf à la mode, der vor ihr auf dem Esstisch stand, völlig. Richard und Raymund Graves ihrerseits konzentrierten sich vollends auf das Essen.

„Ma ... Das ist gemein. Mit Edric hast du nicht so geschimpft, als er deine kostbare China-Vase zerbrochen hat. Außerdem benutzen wir das Besteck tagtäglich.“

„Die Vase ließ sich auch problemlos reparieren. Und Edric hat es nicht absichtlich getan. Du jedoch ...“

Percival sah zu Raymund hinüber, vermutete aber eher, dass Weazle ihn verpfiffen hat. Und das nach allem, was er für ihn getan hat.

‚Dieser Verräter!‘

Coffee hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und schlief friedlich. Violet Graves sah ihren Zweitältesten immer noch wütend an. Percival traute sich gar nicht, den Blick von ihr zu nehmen, aus Angst, dass sie ihn in irgendetwas verzauberte.

„Vater, sag doch auch mal was“, bat er.

Graves senior verschluckte sich fast. Schnell schaufelte Percival sich einige Schmorkarotten in den Mund, als seine Mutter abgelenkt war. Als Richard sich wieder beruhigt hatte, fixierten ihre Pupillen wieder ihren zweitältesten Sohn.

„Wenn ich nicht wüsste, dass ...“

Gekränkt schaute Percival auf seinen Teller. Seine Mutter war wirklich wütend. Das hatte er in der Sekunde gemerkt, als er zur Tür reinsparziert war und sie ihm keinen Begrüßungskuss auf die Wange gezwungen hatte. Warum sie mit ihrer Standpauke bis zum Essen gewartet hatte, war ihm jedoch ein Rätsel. Vermutlich, um Raymund vor Augen zu führen, was passierte, wenn man mit dem Erbsilber nicht vernünftig umging.

„Dass du es sogar wagst, mit dem Monster am Esstisch aufzutauchen, hätte ich nicht geglaubt“, fügte Violet hinzu.

„Ma, jetzt ist aber mal gut. Erstens heißt er ‚Coffee‘ und nicht ‚Monster‘, und zweitens schläft er ganz friedlich auf meinem Schoß.“

„Violet, lass gut sein“, versuchte Graves senior, seine Frau zu beschwichtigen.

„Jetzt hilf du ihm nicht auch noch!“, rastete sie aus.

Richard Graves zog den Kopf ein.

„Mutter ...“

Violets Augen funkelten Raymund an.

„Coffee hat geholfen, den Fall aufzuklären, weißt du?“

Percival nickte eifrig.

„Außerdem hat er Jeffersons goldenen Füllfederhalter gefunden“, erwähnte sein Vater beiläufig.

Percival nickte noch eifriger.

„Was interessiert mich ein Füllfederhalter? Hier geht es schließlich um unser Familiensilber, das schon seit Generationen in unserem Besitz ist.“

„Ma, es tut mir leid.“

Violet starrte ihn noch einen Moment lang streng an und begann schließlich, ihre Portion Bœuf à la mode zu verspeisen. Die Männer am Tisch ignorierte sie geflissentlich. Coffee war inzwischen wach geworden und krabbelte unruhig auf Percivals Schoß herum. Entweder hatte er Hunger oder er wollte sich wieder etwas Glitzerndes einverleiben. Percival zerteilte ein Karottenstück mit der kostbaren Gabel vom Erbsilber, pikste es auf und hielt es dem Niffler hin.

„Sohn. Wagst du wirklich, ihn mit meinem Silber direkt vom Tisch zu füttern? Von unserem Abendessen?“

„Ma! Er muss schließlich auch was essen! Außerdem weiß ich noch nicht, was er am liebsten frisst. Ich muss ihm verschiedene Dinge anbieten, und ...“

Coffee leckte nur einmal über die Karotte und fixierte dann die Gabel. Percival legte sie schnell wieder weg.

„Es ist ja nur bis Montag. Dann wird Percival ihn bei Biberfeldt abgeben und hier wird wieder Ruhe einkehren“, beschwichtige Graves senior.

Percival sah gekränkt zu seinem Vater.

„Eigentlich will ich ihn behalten ...“

Jetzt war es an Richard Graves, aus der Haut zu fahren. Seine Gattin hatte resigniert das Besteck gesenkt.

„Percival Graves, wenn du in diesem Haus wohnen willst, wirst du die Hausregeln befolgen. Keine Monster im Hause Graves.“

„Wir haben Hauselfen ...“, konterte er.

„Das kannst du nicht vergleichen!“

„Wie willst du das überhaupt machen?“, mischte sich nun auch noch sein Bruder ein. „Du kannst ihn nicht mit in die Arbeit nehmen. Ihn alleine zu Hause lassen, geht auch nicht.“

„Ich überleg mir was.“

„Percy, das ist doch kein Leben für Coffee“, versuchte Raymund es erneut. „Stell dir nur vor, er sitzt die ganze Zeit angelein an deinem Schreibtisch im Büro. Jemand könnte aus Versehen auf ihn treten.“

„Hast du schon vergessen, was mit dem anderen ... Niffler bei MacKinley passiert ist?“

„Vater! So verantwortungslos bin ich nicht.“

„Trotzdem ist er bei Biberfeldt im Amt zum Schutz Magischer Wesen besser aufgehofen. Percival, du wolltest doch Auror werden und nicht Hüter magischer Spezies, oder nicht?“

„Doch. Es ist nur ...“

Pikiert sah er auf Coffee. Percival hatte sich immer ein Haustier gewünscht, aber nie eines bekommen. Nicht einmal eine Katze.

„Sieh es doch mal so, Oscar gestattet dir bestimmt, ihn zu besuchen. Dann musst du dich nicht um seine artgerechte Haltung kümmern, kannst aber trotzdem Zeit mit ihm verbringen“, schlug Raymund vor.

Percival nickte abwesend, sah schließlich seinem Vater ins Gesicht, dann seiner Mutter, und zuletzt seinen Bruder.

„Ihr entschuldigt mich.“

Er stand auf und ging. Zum Glück kam keiner von ihnen auf die Idee, ihm zu folgen. Coffee quengelte auf seinem Arm. Als er in seinem Zimmer war, ließ er den Niffler auf den Boden und leinte ihn ab. Sofort machte sich Coffee auf die Suche nach Kostbarkeiten.

Percival warf sich frustriert auf sein Bett. Er hatte es kommen sehen, dass es wegen Coffee Streit geben würde. Dass er den Niffler nicht behalten konnte, war ihm im Unterbewusstsein klar gewesen. Doch zu sehr hatte er sich inzwischen an die dunklen Kulleraugen und das samtige Fell von Coffee gewöhnt.

Coffee lief auf dem Boden hin und her. Percival setzte sich auf sein Bett und nahm dann den zweiten Kragenknopf ab. Der Erste befand sich nach wie vor in dem Niffler. Der Auror warf den Knopf etwa einen Meter weit und beobachtete dann, wie Coffee sich darauf stürzte.

„Das gefällt dir, was?“

Der Knopf war in Windeseile verschwunden. Danach kam Coffee zu ihm gehopst und bettelte um mehr. Percival nahm ihn hoch und kraulte ihn am Kopf.

„Und das nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben.“

Er würde Coffee sehr vermissen.

 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von:  _Delacroix_
2019-10-22T13:17:43+00:00 22.10.2019 15:17
Und da ist Mama wieder und nachdem sie zuletzt ja eigentlich sehr angetan von dem Niffler war, scheint sie ihre Meinung nun spontan um 180° gedreht zu haben. (Wegen einem Löffel) Wieder meckert sie was das Zeug hält, macht Vorwürfe und ist selbst von Papa nur schwer von ihrem Kurs abzubringen. Aber das macht auch nichts, denn die Familie hat ja eh schon wieder Pläne geschmiedet und muss Percy nur noch zwingen, die gefälligst auch umzusetzen.
 
Ehrlich gesagt, ich bin mit dem Ende mehr als unglücklich. Ich hätte doch erwartet, dass Percy sich jetzt endlich mal gegen seine Familie durchsetzt, und aus diesem Haus, das ihm ja offensichtlich nicht gut tut, auszieht. Stattdessen gibt er lieber den einzigen Freund auf, den er hat und lässt sich weiter herumkommandieren.
Das ist wirklich mehr als deprimierend. Und ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, wieso du mir so eine Geschichte schreibst. Ich mag keine Bad-Ends, das steht auch ganz deutlich in meiner Wunschliste und ich mag auch keine Dramen. Die machen mich traurig, vor allem wenn sie ausgerechnet meine Lieblingscharas betreffen.
Entsprechend muss ich leider sagen, Freude hatte ich an der Geschichte gar keine und das obwohl du dir wirklich ganz viel Mühe damit gegeben hast. Ich meine, sie ist wirklich gut recherchiert und verdammt lang, aber leider beinhaltet sie viel zu viel Familiendrama für Jemanden wie mich, der es eigentlich eher positiv mag und der die Familie auch als sehr positiv im Umgang miteinander charakterisiert. 
Von:  _Delacroix_
2019-10-22T13:03:53+00:00 22.10.2019 15:03
Und jetzt haben sie den Schuldigen ausgemacht. Natürlich schaffen die Brüder es nicht, die Festnahme über die Bühne zu bekommen, ohne sich - wieder - zu streiten. Aber wenigstens erweist sich Coffee als nützliche Unterstützung. (Auch wenn er vermutlich einfach nur das Gold haben will. Ist schon traurig, dass ihn genau das anzieht, was seinem Artgenossen zum Verhängnis geworden zu sein scheint. Aber so ist das manchmal mit der Sucht.)
Von:  _Delacroix_
2019-10-22T12:59:24+00:00 22.10.2019 14:59
Und schon hängt der Haussegen wieder schief, denn jetzt mischt sich Papa ein und nimmt seinem Sohn prompt den Fall aus der Hand. Das dass auf Widerstand und Unverständnis stößt, ist eigentlich offensichtlich, aber ihn interessiert das natürlich kein Stück. Dafür wirkt Raymund das erste Mal in der Geschichte zumindest ein bisschen sympathisch, denn er entschuldigt sich zumindest dafür.
Trotzdem tut er natürlich brav was Papa von ihm will und verhört die alte Frau, die sich aber als weitere Sackgasse zu entpuppen scheint. Danach versucht es Percy noch einmal in der Tierwesenabteilung und Überraschung, jetzt wo er das Tier leibhaftig präsentieren kann, scheint auch der zuständige Mitarbeiter ein bisschen was über den Niffler sagen zu können. Komisch, dass ihm das nicht schon möglich war, als ihm das Bild gezeigt wurde. Aber gut, scheinbar hat sein Gedächtnis einen lebenden Anstoß gebraucht und der Niffler eine weitere Schüttelrunde. 
Denn jetzt hat er einen ungewohnt großen Schatz verloren.
Von:  _Delacroix_
2019-10-22T12:50:01+00:00 22.10.2019 14:50
In diesem Kapitel beginnt Percy ein wenig mit dem Tier zu experimentieren. (Sehr zum Leidwesen des guten Geschirrs.) Der Niffler ist und bleibt dabei wirklich herzig und Raymund, der sitzt daneben und findet das Ganze scheinbar ein wenig sonderbar. Auch in diesem Kapitel bleibt die Beziehung der Brüder ziemlich kühl, aber wenigstens schaffen sie es, ähnlich wie Mama in der letzten Szene, mal ein normales Gespräch miteinander zu führen.
Zu verdanken ist das vermutlich dem Niffler, der sie mit seiner Suche nach Gold, Silber und Futter erfolgreich ablenkt.
Von:  _Delacroix_
2019-10-22T12:42:38+00:00 22.10.2019 14:42
Das Mrs. Davis nicht wie 45, sondern eher wie 75 wirkt, hatte ich glaube ich schon mal nebenbei erwähnt. Ich glaube die Diskrepanz ließe sich am besten lösen, indem du ihr Alter einfach ein bisschen anhebst. Weil ganz ehrlich, auch um 1900 war man mit 45 noch keine alte Oma. Also vielleicht war man schon Oma im Sinne von Großmutter, das kann ich jetzt nicht ausschließen, aber gerade in dieser Zeit nahm die Lebenserwartung eigentlich langsam zu. 
Wenn du da nicht als Kind verstorben bist, oder bei der Entbindung eines Kindes, oder bei einem Unfall in der Fabrik, konntest du gut und gerne wirklich alt werden. Und dann haben Magier und Hexen laut Rowling ja eh ne höhere Lebenserwartung, die da auch mit reinspielen müsste. Also irgendwie krieg ich da den Bogen nicht.

Was ich wirklich niedlich fand, war der Niffler und die allgemeine Verwirrung, die mit ihm einhergeht, weil keiner weiß, was zum Geier das eigentlich für ein Tier ist. 
Von:  _Delacroix_
2019-10-22T12:31:59+00:00 22.10.2019 14:31
In diesem Kapitel tritt wieder Percys Mutter auf und wieder macht sie ein Fass um Dinge auf, die eigentlich kein Problem darstellen sollten. Aber wenigstens führt sie dieses Mal sowas wie einen Dialog mit ihrem Sohn. Ich finde es zwar immer noch reichlich unmöglich, schon wieder mit Vorwürfen um die Ecke zu kommen, aber man bekommt wenigstens ein bisschen das Gefühl, dass sie sowas wie Interesse an ihm (und den Hauselfen) hat. 
Wobei ich sagen muss: Hätte der Elf ihr einfach gemeldet, dass das Öl ausgegangen ist und er keines nachkaufen darf, hätte sich die Sache ganz schnell klären lassen. Dann hätte sie das Öl erworben und die Sache wäre gegessen gewesen. Immerhin ist es die Aufgabe der Dame des Hauses über die Vorräte zu wachen, wenn es keine Haushälterin gibt, die ihr das abnimmt. 
Insofern war das Ganze eh eigentlich ihr Versäumnis.
 
Von:  _Delacroix_
2019-10-22T12:21:48+00:00 22.10.2019 14:21
Ich gebe ja zu, ich bin mir nicht sicher, ob Mrs. Fuller wirklich so blind ist, wie alle glauben, oder ob sie vielleicht nur eine sehr kluge, alte Dame ist, die einfach jeden glauben lässt, es stünde so schlecht um ihr Augenlicht. Weil sein wir ehrlich, einen Zauberstab sollte sie nicht identifizieren können, wenn man ihn ihr unter die Nase hält, wenn sie schon nicht richtig erkennen kann, wer mit dem Ding gerade vor ihr steht. Wenn sie das aber nicht kann, reicht es dann noch für Papierkram? Und wenn nein, was macht die Frau dann überhaupt den ganzen Tag?
Alles sehr mysteriös. 
Bestimmt hat sie eigentlich Adleraugen und die ganze Zentrale fest im Blick, was wegen der Brille nur keiner bemerkt. XD
Von:  _Delacroix_
2019-10-17T11:16:20+00:00 17.10.2019 13:16
In diesem Kapitel geht es mit der trauten Familie weiter und sie wird mir an dieser Stelle wenn möglich noch unsympathischer. Ich kann weder Percys Vater noch seinem Bruder abnehmen, dass sie nicht wussten, das sich der Schreibtisch mitten in der Euleneinflugschneise befindet. Und mit Verlaub, eigentlich kann man es niemandem zumuten, mitten in der Schneise arbeiten zu müssen. Und das nicht nur wegen der erhöhten Gefahr, dass da regelmäßig was von oben kommt.
Außerdem zeigt Michelle ihr wahres Gesicht und ich muss sagen: Sie und Raymund, das sind zwei, die sich wirklich verdient haben.
Interessant ist allerdings, dass Raymund scheinbar genauso unter seinen Eltern zu leiden scheint, wie Percy es tut, weil sonst hätte er es nicht nötig, seine Freundin vor ihnen zu verheimlichen.
Ich meine, es scheint sich bei ihr ja um eine junge Dame aus ähnlichen Kreisen zu handeln. Da ist für ihn also nicht viel dabei. Insofern lässt sich vermuten, dass Mama und Papa sich auch da massiv einmischen und jedes „Nein“ in den Wind schießen würden. - Da frage ich mich lieber nicht, wie es dem Jüngsten in der Runde ergeht, wenn er mal aus der Schule heimkommt.
Von:  _Delacroix_
2019-10-17T11:15:53+00:00 17.10.2019 13:15
Jetzt ist es also so weit und Percy bricht in die Bank ein. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass er sich das hätte sparen können, wenn er bezüglich des Tresors ein bisschen hartnäckiger geblieben wäre, aber da er das ja nicht bedacht hat, bleibt ihm so wirklich keine Wahl, wenn er da drinnen nach Spuren suchen will.
Glücklicherweise lässt er sich bei der Nummer nicht erwischen und schafft es sogar einen Blick auf den „Täter“ zu werfen. Blöde nur, dass er mit dem dank der mangelnden Tierwesenausbildung auf Ilvermorny nicht wirklich etwas anfangen kann. Da hilft jetzt wohl nur recherchieren und hoffen, dass irgendjemand weiß, was es mit diesem „Maulwurf“ auf sich hat.
Von:  _Delacroix_
2019-10-17T11:15:27+00:00 17.10.2019 13:15
In diesem Kapitel tritt Percys Mutter auf und wirft mit Red Flags leider nur so um sich. Nicht nur, dass auch sie scheinbar gar kein Verständnis für das Verhalten ihres Sohnes hat, sie missachtet auch noch massivst seine Privatsphäre und drängt sich ihm aufs ärgste auf, egal ob und wie laut er protestiert, während sie schimpft und zetert, dass man sich fragen muss, ob ihr überhaupt bewusst ist, dass sie mit einem Erwachsenen spricht. - Ich würde ja fast die Diagnose „Hysterie“ in den Raum stellen, aber für eine Dame ihrer Zeit wäre das natürlich ein absolutes No-Go.
Traurig ist auch, dass sich in dem Kapitel sehr gut zeigt, dass Percys Verhältnis zu seinem Vater ebenfalls völlig zerrüttet ist. Wie schlimm muss es sein, wenn sich ein Kind schon für einen „Sohn zweiter Klasse“ hält?


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