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The Balance of Creation

TYKA u. a.
von

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So long ago...

Tja....Ich habe zwar schon mal was zu Beyblade geschrieben (nicht hier), aber ich habe noch nie eine längere Story versucht. Jetzt spukt aber selbige in meinem Kopf herum und sagt ständig "Schreib mich! Schreib mich!" - wie soll man da wiederstehen? *smile* Es ist nur der Prolog, Kapitel 1 kommt aber auch bald.

Hoffentlich interessiert es überhaupt jemanden....*sich versteck*
 

THE BALANCE OF CREATION
 

Prolog: So long ago...
 

Die Sonne warf ihre ersten Strahlen voraus, als sie an diesem strahlend schönen Morgen aufging. Ihr noch rötliches Licht brach durch das hohe Fenster eines Palastes und tanzte über die seidigen Laken eines Bettes, in dem zwei junge Männer eng aneinander geschmiegt lagen und selig träumten. Sie mochten etwa 24 Jahre alt sein und ihre muskulösen Körper waren nackt, auch wenn die Decke das Nötigste versteckte. Langsam wurde einer der beiden unruhig und begann zu blinzeln, bis er gähnen musste. Er betrachtete seinen Liebsten mit einem zärtlichen Lächeln und musterte dessen Gestalt mit einer Bewunderung, die sich immer wieder aufs neue einstellte, obwohl er eigentlich schon jeden Aspekt an diesem berückenden Wesen kannte. Die weiche Haut, die von makellosem gebräunten Teint war, spannte sich vollendet über die langen schlanken Beinen, die schmalen und doch kräftigen Hüften, den festen durchtrainierten Bauch, die wohlgeformte Brust und die breiten Schultern. Das Gesicht, edel geschnitten und sehr attraktiv, wies eine kecke Nase und unvergleichliche, geradezu sündige Lippen auf. Die Augen waren noch geschlossen; aber er wusste ja, dass sie von einer tiefen, haselnussbraunen Färbung waren, in der man versinken konnte. Das gesunde, schimmernde Haar war Meerblau und verteilte sich im Moment höchst verführerisch in sanften Kaskaden auf den Kissen. Er neigte sich hinunter und küsste den rosigen Mund, der die Liebkosung wie in stummer Einladung zu erwarten schien. Zuerst ein Krausziehen der Nase, dann ein Gähnen und schließlich erwachte er richtig.

"Guten Morgen, Suzaku...." flüsterte er warm und der andere erwiderte das Lächeln.

"Guten Morgen, Seiryuu....hast du gut geschlafen?"

"In deinen Armen doch immer, Geliebter." antwortete Seiryuu und drückte seinem Gegenüber erneut einen süßen, sinnlichen Kuss auf die Lippen. Dann erhob er sich, warf sich seinen blauen Mantel über und band ihn sorgsam zu, bevor er ans Fenster trat. Eine Landschaft von harmonischer, ewiger Schönheit breitete sich vor ihm aus, man hörte das Singen der Vögel, die aus voller Kehle jubilierten und konnte das Gleichgewicht spüren, das dieser Welt innewohnte.

Ihre wunderbare Heimat....Er wandte sich um und betrachtete Suzaku, der sich ebenfalls in seinen roten Mantel gehüllt hatte und ihn glücklich ansah. Welch strahlende Erscheinung er doch war, mit seinem silberblauen Haar, das ihm immer wieder neckisch ins Gesicht fiel, den feinen, fast aristokratischen Zügen, den unergründlichen rubinroten Augen, in denen heimliche Flammen loderten und dem perfekten Körper, der von großem Wuchs war, athletisch und dynamisch gebaut, dass man sich an die kämpferische Eleganz und Anmut einer Raubkatze erinnert fühlte. Plötzlich musste er grinsen.

"Weißt du, woran ich gerade denke, mein Phönix?"

"Lass mich raten: An Genbu und Byakko, nicht wahr? Du hast recht. Ich würde mir wünschen, dass die beiden endlich zu ihrer Liebe stehen würden. Sogar dem Zaubermeister ist es aufgefallen, und das will was heißen. Die einzigen, die offensichtlich noch nicht gemerkt haben, was los ist, sind sie selbst!"

"Das ist schade. Sie sind wie füreinander geschaffen....genau wie wir. Sicher wären sie ein schönes Paar - wenn sie endlich über ihren jeweiligen Schatten springen könnten!"

Suzaku schmunzelte leicht und schlang von hinten seine Arme um die Taille seines Liebsten. "Gräme dich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass sie zueinander finden werden....wir haben uns auch gefunden, obwohl es nicht einfach war....aber schließlich musste ich einsehen, dass du mir mein Herz gestohlen hattest, mein Drache....und ich möchte es gar nicht mehr zurück! Du vermittelst mir Geborgenheit, Wärme, Frieden und Liebe....könnte ich mehr verlangen als das?"

Seiryuu drehte sich in der Umklammerung und legte seine Hände an die elfenbeinfarbenen Wangen des anderen Mannes.

"Ich danke dir...."

Dann trafen sich ihre Lippen in einem langen, innigen und leidenschaftlichen Kuss und die Welt um sie herum versank. Noch ahnten sie nicht, dass das Gleichgewicht der Schöpfung in Gefahr war....
 

PROLOG ENDE

Die Tätowierung des Drachen

Kapitel 1: Die Tätowierung des Drachen
 

"Tyson!! Es ist Zeit für das Training! Warum schläfst du denn noch?!"

Kenny rang verzweifelt die Hände und raufte sich die Haare. War denn das die Möglichkeit? Er hatte seinen Teamkollegen schon ungefähr vier Mal gerufen, aber dieser zog es offenbar vor, ihn geflissentlich zu ignorieren und weiter zu schnarchen.

"Tyson! Allmählich reicht es! In letzter Zeit schläfst du ständig ein! Was soll das? Dazu ist die Nacht da!!"

".....Hm?? Ich weiß, Chef, ich weiß....aber seit einigen Tagen kriege ich nachts kein Auge mehr zu....und irgendwann muss ich doch mal schlafen??"

"Aber nicht bei Trainingbeginn! Komm jetzt mit!"

"Du bist manchmal ein regelrechter Sklaventreiber, verdammt! Hat Kai dir das beigebracht? Ich bin gleich soweit, ich dusche nur schnell und ziehe mich an!"

"In Ordnung! Und tu was gegen deine nächtliche Schlaflosigkeit, damit du nicht ständig bis mittags im Bett liegst!"

"Wie der Chef befehlen!"

Kenny trollte sich davon und Tyson blieb unschlüssig zurück. Es war nicht seine Schuld, dass er kaum mehr zur Ruhe kam, denn seit ein paar Wochen plagten ihn seltsame Träume, die ihm sehr real zu sein schienen und jedesmal einen starken Eindruck bei ihm hinterließen. Missmutig schlüpfte er aus seinem Pyjama und trottete in die Dusche. Zuerst kaltes Wasser, um den Kreislauf auf Touren zu bringen und danach warmes Wasser für die Entspannung....Er entledigte sich seiner Kleidung und kurierte seine anhaltende Müdigkeit mit einem Schock. Ganze drei Minuten ertrug er es, dann sah er sich gezwungen, die Temperatur zu wechseln. Er strich sein nasses Haar zurück und lehnte sich gegen die gekachelte Wand. Die Bilder, die ihn in seinen Träumen verfolgten, waren düster, bedrohlich und traurig....Irgend jemand starb....und ein verzweifelter Schrei ertönte, der Schrei eines fremden Namens....
 

Puh, er sollte lieber an die kommenden Turniere denken! Seit die BBA durch die BEGA alles verloren und es einen scheußlichen Skandal aufgrund von Boris' Machenschaften gegeben hatte, waren sechs Jahre vergangen....Es war der Vereinigung gelungen, einen neuen Anfang zu machen und endlich war es soweit: Die erste Weltmeisterschaft seit damals wurde veranstaltet! Mr. Dickenson hatte darauf bestanden, die Bladebreakers von einst wieder zusammenzuführen und nun wohnten sie wie einst als Team gemeinsam im Kinomiya-Dojo, denn die ersten Ausscheidungskämpfe fanden in Japan statt. Während Tyson noch grübelte, warteten seine Freunde ungeduldig darauf, dass er sie endlich mit seiner Anwesenheit beehrte, aber nichts dergleichen geschah.

"Wo bleibt er? Hattest du nicht gesagt, er würde sich beeilen?" erkundigte sich Kai mit schneidender Stimme und schleuderte rote Blitze auf den armen Kenny.

"Na-natürlich! Aber was heißt bei Tyson schon ,beeilen'??"

"Fabelhaft!" bemerkte der gebürtige Russe sarkastisch und erklärte: "Ich gehe ihn jetzt holen und wenn ich ihn die Treppe herunter zerren muss!" Damit verschwand er im Inneren des Dojos und eilte nach oben zu den Zimmern. Er betrat ohne anzuklopfen Tysons Privatreich und stutzte für einen Moment. Wo war der Kleine bloß? Da ging die Tür, die zum Badezimmer führte und der Gesuchte erschien auf der Bildfläche.

"....Eh?! Ka-Kai....?! Was....was machst du hier?!"
 

Kai wollte zu einer spitzen Antwort ansetzen oder sonst irgendetwas tun, das typisch für ihn war, aber unglücklicherweise misslang es ihm, denn seine Augen sogen sich an dem Anblick fest, den Tyson bot, der nur mit einem Handtuch bekleidet war. Silberne Wassertropfen perlten von der gedunkelten Haut und rannen verlockend über den muskulösen Oberkörper des mittlerweile 19jährigen; sein Haar wallte gelöst und gleich einer Flut reiner Seide über seine Schultern, seine Lippen waren feucht und glänzten verheißungsvoll. Jegliche Stichelei oder unfreundliche Bemerkung erstickte in einem heiseren Krächzen und ließ nur noch Raum für einen einzigen Gedanken in Kai: >>Oh Gott....er ist so....schön....!<<

Tyson wurde heiß und kalt gleichzeitig, als er sich des durchdringenden Blicks bewusst wurde, den der Ältere auf ihm ruhen ließ und er bemühte sich um einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck, er hatte aber keinen Erfolg damit. Seine Wangen röteten sich leicht und er sah beschämt zu Boden.

"Sollst....sollst du mich holen? Ich komme sofort, ehrlich!"

Kai blinzelte und sein Verstand knallte unbarmherzig in die Realität zurück. Er nickte nur knapp und brach ein wenig überstürzt auf, was zweifelsohne daran lag, dass der Blauhaarige Anstalten machte, das Handtuch herunterzunehmen. Zehn Minuten später stand er endlich fix und fertig angezogen im Garten des Dojos und das Training konnte beginnen. Er hatte eine enge Jeans ausgewählt und ein weites, schlabbriges T-Shirt, von denen er wohl einen ganzen Schrank voll besass, denn seit Kai den Japaner anlässlich der neuen Weltmeisterschaften wiedergesehen hatte, war dieser nur in solchen Hemden aufgekreuzt. Wie konnte man sein Licht nur so unter den Scheffel stellen?! Dass Tyson einen knackigen Hintern hatte, erkannte man ja dank den Hosen (und wenn Kai ehrlich war, gehörte der süße Po bereits zur Ausstattung des damals noch 13jährigen Tyson!) deutlich genug, aber er hätte nie geahnt, dass der Kleine auch obenrum so umwerfend gebaut war. Wobei die Bezeichnung "der Kleine" irgendwie gar nicht mehr so recht auf ihn passen wollte, seit er herangewachsen und zum Mann gereift war. Aus dem nervenden - und eigentlich auch irgendwo niedlichen - Energiebündel mit dem riesigen Appetit war ein nervendes, VERDAMMT SEXY Energiebündel mit riesigem Appetit geworden! Wo hatte der bloß das gigantische Frühstück, das Mittagessen, den Nachmittagssnack, die drei Eis und die Abendmahlzeit von gestern gelassen?!
 

Kai grummelte missmutig vor sich hin, während Max und Ray sich ein hartes Duell lieferten. Er war ärgerlich auf sich selbst, weil er, anstatt den Kampf zu verfolgen, mit verschränkten Armen in der Gegend herumstand und Tyson begutachtete! Wann hatte die Entwicklung des Blauhaarigen zu einem so unglaublich schönen Wesen eingesetzt? Jedenfalls hätte man selbige verhindern müssen, denn es konnte ja wohl nicht angehen, dass ausgerechnet Mr. Kinomiya sich die Fähigkeit erworben hatte, die Hormone von Mr. Hiwatari durcheinander zu wirbeln.

Indessen war Max nicht recht bei der Sache (ach, auch nicht? Neues Hobby, oder was?) und seine Konzentration ließ stark zu wünschen übrig. Seinen alten Freunden nach sechs Jahren wieder zu begegnen, war für ihn großartig und wundervoll, aber im Bezug auf Ray gestaltete es sich ein wenig schwieriger. Als vorpubertärer Junge von zwölf Jahren hatte er den Chinesen schon ziemlich hübsch und absolut cool gefunden, aber zu diesem Zeitpunkt hatte er keine tieferen Gründe dahinter vermutet. Später, mit dem Älterwerden, hatte er dann erkannt, dass er sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte und kam im Nachhinein zu dem Schluss, dass Ray wohl so etwas wie sein erster Schwarm gewesen war. Und heute? Er war sich nicht ganz sicher, denn sein momentaner Gegner sah einfach nur fantastisch aus: Das reiche schwarze Haar, das fast bis zum Boden fiel und das er zu einem strengen Zopf geflochten hatte, seine Wahnsinns-Augen in diesem warmen Goldton, die endlos scheinenden Beine, die herrlich geschwungenen Hüften und....und überhaupt ALLES an ihm....war schlicht und ergreifend.... göttlich! Max beobachtete hingerissen, wie Rays geschmeidiger Körper eins wurde mit der nächsten Attacke, die er startete und starrte gebannt auf die stählernen Muskeln, die sich in der Anspannung zusammenzogen und dem Chinesen zu anmutigen Bewegungen verhalfen. Es machte Peng! und das Beyblade des Amerikaners flog in hohem Bogen aus dem Ring.
 

"Sieger: Ray Kon!" verkündete Kenny, der mit Dizzy auf den Knien auf der Veranda hockte und die einzelnen Techniken analysierte. "Sag mal, was war denn mit dir los, Max? Ich hatte den Eindruck, du wärest mit deinen Gedanken weit fort!"

Der Blonde grinste den Braunhaarigen schief an und zuckte die Achseln, aber er fühlte sich irgendwie ertappt. Tatsächlich wollte er nämlich nicht trainieren, sondern lieber mit Ray spazieren gehen, etwas essen, sich mit ihm unterhalten, vielleicht tanzen, kurz: Er wollte ein Date! Aber wie sollte er das anstellen? "He, Ray, ich bin schwul und würde gern mal mit dir ausgehen!" Klar, das war der Weisheit letzter Schluss!! So machte man das!! Max brummte. Sein Hirn war auf Sarkasmus eingestellt, um ihm die Hoffnungslosigkeit seiner Situation aufzuzeigen. Wie standen seine Chancen denn schon, dass der Chinese 1.) homosexuell und 2.) an ihm interessiert war? 0,01 zu 1000? Herrgott, er war schon statistikenverseucht dank seiner Mutter, die ihm eine fürchterliche Szene gemacht hatte, von wegen, es habe gefälligst die PPB Allstars zu unterstützen! Das war eine schlechte Idee....vor allem, wenn er an Michael dachte, der ihn regelmäßig mit den Blicken auszog!! Verdammt, manchmal war das Leben wirklich nicht fair!!
 

Anderenorts hatte sich das ehemalige Team der BEGA eingefunden, das sich jetzt den Namen "BBA Warriors" zugelegt hatte. Ming Ming war hauptberuflich zwar immer noch als Sängerin tätig, trotzdem hatte es sich die 18jährige nicht nehmen lassen, anlässlich der neuen Weltmeisterschaften erneut die Beyblade-Bühne zu betreten. Ihre Kampfweise war die alte geblieben, denn ihrer Ansicht nach funktionierte mit Musik alles besser - das einzige, was wegfiel, war die Verwandlung in ein Kind. Mystel, der nun 19 Lenze zählte, trug wie gehabt sein orientalisch angehauchtes Outfit, allerdings wies die Toga einen Brustausschnitt auf, der seinen wohlgeformten Torso entblößte. Der blonde Zopf reichte jetzt bis zu den Oberschenkeln und zum allgemeinen Entzücken seiner meist weiblichen Fans verzichtete er auf seine Maske. Ming Ming war damit beschäftigt, die armen Jungs mit einer weitschweifigen Schilderung ihrer letzten Tournee zu malträtieren, doch Mystel schenkte ihr keinerlei Beachtung. Seine Augen ruhten auf dem dritten Mitglied ihrer Mannschaft: Garland. Er hatte ja von jeher einen tollen Körper besessen, aber jetzt, mit dreiundzwanzig, war er heißer als Lava. Das hautenge schwarze Top, das seine sehnigen Muskeln markant abzeichnete und die ebenfalls eng sitzende schwarze Hose ließen ihn schlicht und ergreifend anbetungswürdig aussehen. Das rückenlange türkisblaue Haar, das er im Nacken zusammengebunden trug, und die herrlichen blauen Augen vervollkommneten seine Erscheinung. Am Flughafen, wo er den älteren Blader wiedergesehen hatte, hatte es ihn getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel - alles, woran er sich im Bezug auf Garland erinnerte, war auf ihn eingeströmt: Seine Schönheit, sein Talent, sein Charme, seine Führungsqualitäten, seine sportliche Fairness, sein Ehrgeiz....Kurz und gut, er hatte sich Hals über Kopf in ihn verknallt!
 

Während er also Garland förmlich mit seinen Blicken verschlang, sass Brooklyn ein wenig abseits, mit übergeschlagenen Beinen, lauschte dem Zwitschern der Vögel und träumte in den Sonnenschein....bis....

"Hallo, Team!"

Er blinzelte irritiert und wandte wie die anderen seinen Kopf in die Richtung, aus der die weiche und vertraute Stimme gekommen war. Ihn dort zu sehen, von goldenem Licht umstrahlt, modisch und zugleich ungemein sexy gekleidet, mit der typischen Sonnenbrille im Gesicht, die seine wundervollen braunen Augen verbarg; diese Tatsache allein warf Brooklyn fast aus den Schuhen. Seine Lippen bewegten sich, ohne einen Ton zu formen.

"Hiro?!" rief Garland erstaunt aus und trat an seinen einstigen Trainer heran, als könne er es nicht glauben. Der Angesprochene lüftete die Brille und zwinkerte ihm kameradschaftlich zu. "Ganz genau! Crusher ist ja nicht mehr wiedergekommen, sondern bei seiner Schwester geblieben, um sich um sie zu kümmern! Er hat keine Zeit, um an den Weltmeisterschaften teilzunehmen. Deshalb bin ich sein Ersatz für die BBA Warriors!"

"Aber....dein Bruder ist doch Mitglied bei den Bladebreakers? Willst du nicht lieber zu seinem Team stoßen?"

"Nein. Tyson kennt meine Gründe...." Er warf einen raschen Seitenblick auf einen gewissen Blader mit orangen Haaren, "....und er akzeptiert sie. Er hat sogar gesagt, dass er sich auf eine Konfrontation mit mir freut, und sein Bestes geben wird, wenn wir uns gegenüberstehen. Mr. Dickenson hat mich zum neuen Kapitän ernannt. Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen?"

"Wa-?! Ach komm, spinnst du? Ich weiß doch, dass du einen guten Anführer abgibst. Außerdem besitzt du viel mehr Erfahrung in diesem Sport als ich. Schön, dich wieder bei uns zu haben!"

Man schüttelte sich die Hände und Hiro lächelte zufrieden, glücklich über die positive Aufnahme. Ming Ming betrachtete den Anlass als Möglichkeit, einen ihrer aktuellen Songs zum Besten zu geben, stieß damit aber auf wenig Gegenliebe. Ungeachtet dessen legte sie los und Mystel wünschte ihr automatisch eine kräftige Erkältung an den Hals.
 

Ein anstrengender Trainingstag neigte sich seinem Ende zu. Tyson lag bereits in einem blauen Pyjama auf seinem Bett und sinnierte wieder einmal über seine eigenartigen Träume nach. Keine der Personen, die darin auftauchten, konnte er konkret erkennen, aber er spürte in sich ein seltsames Gefühl der Vertrautheit, wenn er ihre Silhouetten sah. Auch die darin vermittelten Emotionen - Schmerz, Trauer, Wut - waren sehr real und veranlassten ihn zum Grübeln. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und während er noch nachdachte, fielen ihm die Augen zu und er schlief ein.
 

~~ TRAUMSEQUENZ ~~
 

Kalter Nebel stieg auf und hüllte den Kampfplatz in tiefes Schweigen. Ein junger Mann in einem roten Waffenrock, der Oberkörper geschützt durch einen vergoldeten Brust- und Rückenpanzer, kniete auf dem aufgerissenen Boden und hatte seine Arme um einen fast leblosen zweiten Mann geschlungen. Sein Gewand schien blau zu sein und auch er trug eine Art Panzer. Seine linke Hand presste sich gegen die klaffende, blutende Wunde in seiner Magengegend. Schritte näherten sich und schließlich verharrten drei weitere Personen neben dem Paar. Der Rotgewandete schluckte schwer und kämpfte gegen die Schluchzer an, die sich seine Kehle hinauf würgten. Tränen rannen über seine elfenbeinfarbenen Wangen, als der andere leise sagte: "Lass mich gehen, Liebster....Ich werde es nicht schaffen...."

"Das ist unmöglich! Ich kann dich nicht gehen lassen! Ich kann nicht!! Oh bitte, bleib bei mir....! Verlass mich nicht....nicht so!"

Der Blaugewandete antwortete ihm sanft: "So gern ich bleiben möchte....ich bin zu schwach. Versprich mir, dass unsere Freunde und du das Gleichgewicht der Schöpfung bewahren werdet...."

"Ich....verspreche es...."

"Gut. Und weine nicht, mein Phönix. Eines Tages....werden wir uns wiedersehen...."

Ein letztes Aufbäumen lief durch den anmutigen Körper, ein letztes, verzweifeltes Zucken, dann lag er still. Seine Hand erschlaffte und der Lebensatem verließ ihn.

"Nein....nein!!! Seiryuu....!! SEIRYUU!!!!!"
 

~~ ENDE DER TRAUMSEQUENZ ~~
 

"AH!!"

Der 19jährige schreckte auf, schweißgebadet. Schon wieder! Warum zum Teufel hörte das nicht auf?! Plötzlich griff er sich an die Brust, denn ein stechender Schmerz breitete sich in ihm aus. Die linke Hälfte seines Oberkörpers wurde heiß und Tyson biss stöhnend die Zähne zusammen. Was war das?! Erst langsam ließen die Pein und die Hitze nach und der Japaner knöpfte das Pyjamahemd auf, um zu sehen, was da gerade passiert war. Verstört riss er die Augen auf, als er seinen Torso zu Gesicht bekam. Er stand auf und trat an den Spiegel, wie um sich zu vergewissern, dass er nicht das Opfer einer Halluzination geworden war. Über seine Haut zog sich an jenen Stellen, wo er die unangenehme Hitze gespürt hatte, die bläulich schimmernde Gestalt eines Drachen mit mächtigen Schwingen. Tyson wischte darüber hinweg, aber die Zeichnung ließ sich nicht entfernen; es war, als hätte sie sich eingebrannt wie eine Tätowierung. Und erneut hörte er die Stimme in seinem Kopf, die diesen fremden Namen rief: "Seiryuu....!"

Das Feuer der Eifersucht

Und gleich der nächste Teil, weil der schon fertig geworden ist! Viel Spaß!
 

Kapitel 2: Das Feuer der Eifersucht
 

Kai konnte, ähnlich wie Tyson nach seiner erstaunlichen Entdeckung, keinen Schlaf finden. Er dachte an die Vergangenheit, und dieser Umstand reichte aus, um den kühlen Russen zu verstimmen. Sein Prinzip war, niemals zurückzublicken, um keine vergessenen alten Wunden aufzubrechen und doch....doch tat er es genau in diesem Moment! Aber er dachte nicht an seine schrecklichen Erlebnisse in der Abtei, die ihn so stark prägten, dass er glaubte, niemals mehr irgend jemandem vertrauen zu können, nein....er dachte an jene Augenblicke, die er mit seinen Freunden zugebracht hatte, den übrigen Mitgliedern der Bladebreakers. Sie hatten ihm gezeigt, dass es noch so etwas wie Freundschaft und Zusammenhalt gab in jener kalten, grauen, einsamen Welt, die er kennen und hassen gelernt hatte. Er erinnerte sich schweren Herzens an den Tag, da er mitten im Eis stand, davon überzeugt, auch sein Innerstes sei bereits so scharfkantig und erstarrt wie diese schwimmenden Eisblöcke, unfähig zu irgendeiner menschlichen Regung. Er verdiente keine Wärme, keine Zuwendung, kein Glück, keinen Frieden....er konnte nur verletzen und zerstören, denn das war alles, was man ihm je beigebracht hatte. Doch dann hatte Tyson seine Hand nach ihm ausgestreckt....eine einfache, simple Geste, aber beredter als jedes Wort, schöner, großartiger als jede ausgefeilte Phrase.... Ein Zeichen von Vertrauen, Zuversicht, Hilfe....und Zuneigung. Diese eine Sekunde rettete ihn davor, sich endgültig aufzugeben und sich seiner Einsamkeit zu ergeben....Kai stieß einen Seufzer aus. Obwohl er danach noch so manch einen Fehler beging, wiesen sie ihn niemals ab, wenn er zurückkehrte....Besonders ER wies ihn niemals ab, ER wartete einfach auf ihn....ER würde immer warten....Selbst als er sich den Blitzkrieg-Boys anschloss, vergab ER ihm....Sie glaubten an ihn....ER glaubte an ihn....Sogar als er IHN verriet und zu BEGA wechselte, brachte ER es über sich, ihm zu verzeihen....ER verstand ihn, wie niemand sonst....ER war da, wann immer er ihn brauchte....ER fing ihn auf, wenn er fiel....
 

Der Russe schüttelte energisch den Kopf, ein Gefühl unterdrückend, das er schon seit damals mit sich herumtrug. Er vermochte diesem Gefühl keinen Namen zu geben, da er es nicht erfassen, nicht begreifen konnte, aber er wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass es Tyson betraf. Der Jüngere hatte sich verändert, aber nicht zum Negativen. Sein Charakter war derselbe geblieben wie vor sechs Jahren, stürmisch, direkt, aufgeschlossen, optimistisch und stets fröhlich und zu Späßen aufgelegt....gut, Kai musste einräumen, dass er mitunter ein wenig ernster und ruhiger war als früher, aber er hatte sich sein heiteres, temperamentvolles Wesen bewahrt und seinen starken Willen. Gut, er war schon immer ein Angeber gewesen und hatte eine vorlaute Klappe, aber das täuschte nicht darüber hinweg, wie sehr er an den Menschen hing, die ihm etwas bedeuteten und wie viel er für eben diese Menschen zu tun und zu ertragen bereit war....nämlich alles. Trotz seiner Launenhaftigkeit und seinem Hang zum Egosismus konnte er überaus fürsorglich und tapfer sein....Er war nun mal unberechenbar, genau wie der Wind, der einerseits so sanft und warm, in Form einer leichten Brise, über das Land wehen konnte und andererseits fähig war, das Meer zu gefährlichen Wellen aufzutürmen, ganze Städte zu vernichten und unermessliche Schäden anzurichten....

"Tyson!" klopfte sein Herz laut und deutlich. Der 20jährige wälzte sich hin und her, um die drängenden Emotionen, die in ihm nach oben schwappten, zu bändigen. Er konnte nicht leugnen, dass er sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Japaners schätzte, denn sie machten den Mann aus, der Tyson war. Und nun....nun gesellte sich eine gereifte, unglaubliche Schönheit hinzu! Warum bloß? Warum musste sich der Reiz des Fleisches mit dieser einzigartigen, widersprüchlichen und doch so anziehenden Persönlichkeit vereinen? Mit dieser Frage belastet, driftete Kai erst gegen Morgen in einen bleischweren Schlaf über. Er fürchtete sich vor dem Feuer, das in ihm zu brennen begonnen hatte, seit er Tyson wiederbegegnet war, denn der glimmende Funke von einst hatte sich in eine lodernde Flamme verwandelt....
 

Kenny frühstückte auf seine Art und Weise - Daten und Zahlen über die Teams der kommenden Turniere. Max musterte ihn skeptisch aus den Augenwinkeln. Konnte der Bursche seinen Laptop nicht mal fürs Essen weglegen?! Was wollte er werden?! Ein zerstreuter Professor?! Er manschte seine Cornflakes in der Milch zu einem unkenntlichen Brei zusammen und schob sich Löffel um Löffel in den Mund, ohne Ray aus den Augen zu lassen. Der Chinese war selbst in einem schlichten Pyjama umwerfend! Und seine Haare waren offen! Mein Gott, er war....er war....es existierte einfach keine Beschreibung, die Max annähernd gerecht erschien. Er war so vertieft in seine Schwärmereien, dass er Tysons Eintreten gar nicht bemerkte. Erst, als dieser ihm auf die Schulter klopfte, schreckte er auf.

"Na, verlierst du dich gerade in deinen Betrachtungen, Maxie?" neckte der Blauhaarige, dem, da er längst nicht mehr so naiv war wie früher, durchaus nicht entgangen war, wie der Amerikaner Ray anhimmelte.

"Was?! Wie....wie....wie meinst du das?!"

"Wie werde ich das wohl meinen?"

"Shut up!" zischte der Blonde unfein, da er sich durchschaut sah. "Halt die Klappe!"
 

"Gomen nasai....aber ich konnte nicht widerstehen, dich ein bisschen aufzuziehen." erwiderte sein Gegenüber versöhnlich und in leisem Ton, um zu vermeiden, dass der Schwarzhaarige das Thema ihrer Konversation erriet. "Warum sagst du ihm nicht, dass du ihn magst? Er wird dich bestimmt nicht beißen!"

"Sehr witzig....Ich bin nicht sicher, ob Ray meine Art von Mögen akzeptieren kann...."

"Frag ihn."

"Ich bin nicht du, Tyson! Du warst von jeher offen und hattest nie Hemmungen, deine Gefühle zu äußern, aber ich....bin....schüchtern...."

"Du glaubst also, es wäre besser, zu schweigen?"

"Nein, nicht wirklich...."

"Kannst du dich mal entscheiden?"

"Wofür soll er sich entscheiden?" mischte sich der Chinese ein, der Zeitung gelesen und seinen Teamkameraden keine Beachtung geschenkt hatte, bis er mit dem Artikel fertig war. Er sah neugierig von einem zum anderen und beobachtete dabei verwundert Max' Reaktion. Der Blonde errötete bis unter die Haarwurzeln, nur, um gleich darauf in beunruhigendem Maße zu erblassen. War ihm nicht wohl?

"Was hast du, Max? Ist dir nicht gut? Hast du vielleicht Fieber?" Er neigte sich vor und berührte sacht die Stirn des Amerikaners mit seiner Hand. Keine erhöhte Temperatur. Als er seine Hand zurückzog, streiften seine Finger die goldene Haarpracht und er zuckte ein wenig zusammen ob des zarten Kontaktes. Warum wurde er denn jetzt nervös? Um seine Verlegenheit zu vertuschen, nahm er die Zeitung wieder auf und verbarg sein Gesicht hinter den Seiten, während der arme Max inzwischen zu einer ernsthaften Konkurrenz für eine Tomate geworden war. Tyson biss in sein Schinkenbrötchen, kaute, schluckte, wurde sich des knallroten Kopfs seines Freundes bewusst und hustete in seinen Tee.

"Lachst du etwa?"

"Wie kommst du darauf?"
 

Kenny bekam von all dem nichts mit, er arbeitete noch immer. Offensichtlich hatte er Sorgen, denn er tippte wie ein Irrer auf die bedauernswerte Dizzy ein, die ihn erfolglos ermahnte, nicht so schnell zu sein. "Leute", verkündete er schließlich, "....das wird schwierig. Die meisten Teams haben sich enorm weiterentwickelt, seit wir das letzte Mal auf sie getroffen sind! Das wird alles andere als ein Spaziergang!"

"So sollte es auch sein. Ein leicht verdienter Sieg ist wertlos." erklärte eine kühle Stimme und man drehte sich Richtung Küchentür. Kai stand im Rahmen, in dunkelblauen Jeans mit Gürtel, Lederstiefeln, einem schwarzen Muscle-Shirt und fingerlosen Handschuhen. Er trug keine Gesichtsfarbe mehr und sein graublaues Haar war noch ein wenig länger als früher. Tyson verschwand verdächtig eilig hinter dem Sportteil der "Tokyo News" und versuchte, sich auf das Geschriebene zu konzentrieren, aber er scheiterte kläglich. Der Grund dafür war zweifelsohne sein Körper, der gerade Hormonausschüttung im großen Stil betrieb. Auslöser: Mr. Hiwatari in oh-so-verdammt-engen Hosen, dass es enger schon hat nicht mehr möglich war! Kai setzte sich auf den letzten freien Platz - war es Schicksal, dass sich dieser genau neben dem Japaner befand? - und schmierte sich ein Butterbrot.

>>Sieh nicht hin, Tyson, sieh einfach nicht hin....! Ignoriere ihn! Er interessiert dich überhaupt nicht....!....Mein Gott....diese Beine hören gar nicht mehr auf....°erste geistige Ohrfeige°....Nun ist aber Schluss! Was denke ich da eigentlich?! Dass Kai so heiß ist, dass er den Russischen Winter schmelzen könnte?! °Zweite geistige Ohrfeige°....So wird das nichts....<<
 

Irgendwann war das Frühstück beendet (nicht ohne dass Tyson sich drei weitere geistige Ohrfeigen dafür verpasste, Kai gedanklich mit den Worten "sexy", "erotisch" und "sinnlich" zu betiteln) und die Bladebreakers brachen zum Beyblade-Stadion auf, wo die ersten Ausscheidungskämpfe ausgetragen werden sollten. Massen von Fans und Zuschauern drängten sich in den Straßen und Eingangstoren und nur mit Mühe konnten die fünf jungen Männer das Schild mit der Überschrift "Teams" entdecken. Sie ergriffen die Flucht vor ein paar hysterisch kreischenden Groupies, die sie schon seit der letzten Kreuzung verfolgten und atmeten erleichtert auf. Aus irgendeinem Korridor trat Mr. Dickenson zu ihnen heraus und begrüßte sie freundlich.

"Seid ihr....Entschuldigung, sind Sie bereit für das Gefecht?"

"Ehrensache! Aber Sie werden uns doch nicht plötzlich siezen!"

"Nun ja, Max, die Bladebreakers sind jetzt erwachsene junge Gentlemen und haben das Recht, als solche behandelt zu werden!" erklärte der alte Herr würdig.

"Hm, die Neulinge in der Liga vielleicht, aber doch nicht wir, die Alteingesessenen! Tun Sie uns den Gefallen!"

"Na schön. Ist mit euch alles in Ordnung? Zum Beispiel mit dir, Tyson?"

Der Japaner war verwirrt. Weshalb fragte ihn Mr. Dickenson das? Er konnte schließlich nicht das geringste über seine Träume oder die mysteriöse Tätowierung wissen - oder?

"Was meinen Sie? Klar, mir geht es prima....Wieso?"

"Du bist ganz sicher, dass du mir nichts zu erzählen hast?" fuhr Mr. Dickenson unergründlich fort, seine Augen ruhig aber ernst auf seinen Gegenüber richtend. Der Blauhaarige nickte nach einigem Zögern.

"Ich verstehe....also, lasst uns die neuen Weltmeisterschaften eröffnen!"
 

Zehn Minuten später hockten Kenny und Co. auf einer Bank neben dem Turnierfeld und warteten darauf, wie die übrigen Mannschaften auch, aufgerufen und vorgestellt zu werden. Der Chef der BBA postierte sich auf dem Rednerpodest und begann mit seiner Ansprache. Das Publikum und der Rest der Anwesenden schaltete mental ab, als Mr. Dickenson endlich zum entscheidenden Punkt kam: "Jetzt möchte ich Ihnen gerne die diesjährigen Teams vorstellen, die an dieser Weltmeisterschaft teilnehmen werden! Zuerst einmal einen herzlichen Applaus für die Blitzkrieg-Boys!"

Lauter Jubel und Klatschten erfüllten die Halle, als vier großgewachsene Russen in die Arena einmarschierten. Vorneweg lief, wie nicht anders zu erwarten, der Kapitän der Blitzkrieg-Boys, Tala Iwanov. Zwar trug er sein rotes Haar immer noch mit viel Gel zu beiden Seiten spitz zulaufend, nichtsdestotrotz wirkte er reifer und männlicher als früher. Hinter ihm kamen Bryan, Ian und Spencer, die Gesichter kühl und abweisend genau wie vor sechs Jahren.

"Und nun ein Willkommen für unsere Mitstreiter aus Spanien: F-Dynasty!!" Ein blonder Mann und eine hübsche junge Frau, die gerade in eine heftige Diskussion mit ihrem jüngeren Bruder verwickelt war, erschienen auf der Bildfläche: Romero und die Geschwister Julia und Raul. Im Anschluss daran wurden die White Tigers ausgerufen und Ray lächelte, als er seine Freunde ihre Bank verlassen sah. Keiner von ihnen fehlte, und was ihn besonders freute, war die Tatsache, dass Lee und Mariah ihm zuwinkten. Er erwiderte ihre Geste und strich sich dabei eine vorwitzige Strähne seines schwarzen Haares zurück, die sich aus dem Zopf gelöst hatte. Max vergrub sich daraufhin in seiner grünen Jacke, weil er schon wieder errötete. Ray hatte das ganz sicher nicht mit Absicht auf so verführerische Weise getan, zumindest hoffte er das....Er hatte allerdings keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn die BBA Warriors kamen an die Reihe. Mr. Dickenson ersparte es sich und ihnen, die damalige Sache mit BEGA anzusprechen und das Publikum schien es ohnehin vergessen zu haben. Tyson grinste und hob den Daumen, als sein Bruder sich zu ihm umwandte und das Victory-Zeichen machte. Danach gesellten sich die PPB Allstars dazu, was Max ein tiefes Seufzen entrang, denn Michael leckte sich anzüglich über die Lippen, als er "seinen" Blondschopf entdeckt hatte. Er streckte seinem lästigen Verehrer die Zunge heraus und verschränkte die Arme.
 

"Und nicht zu vergessen jenes Team, das ich mit gutem Gewissen als Favoriten bezeichnen darf: Die Bladebreakers!" Ein Lichtkegel hüllte sie ein und sie begaben sich in die ungeteilte Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesender. Tala war ein wenig verblüfft, dass Kai tatsächlich auf den Vorschlag eingegangen war, das ursprüngliche Team noch einmal zu formieren, als er plötzlich innehielt. Seine Augen blieben an dem Mann haften, der neben seinem Freund stand. Er besass ein attraktives, edel geschnittenes Gesicht, in dem jegliche Spur kindlicher Weichheit verschwunden war, umrahmt von einer herrlichen Flut meerblauen Haares, die mit einem Zopfband gezähmt wurde. Die Nase war keck, leitete aber in einer makellosen Linie zu einem Paar ungemein sinnlicher, voller Lippen über, die ein verführerisches Lächeln zeigten. Der schlanke Hals ging über in breite Schultern und einen Torso, um den ihn jedes Model beneidet hätte - unter der zart gebräunten Haut, deren dunklerer Teint reizvoll mit den hellen Farben der Kleidung kontrastierte, malten sich sehnige, feingliedrige Muskeln ab, die wie aus Marmor gemeißelt wirkten. Das gelbe Top lag verflucht nah an seinem Oberkörper und betonte mehr, als das es verdeckte; man konnte sogar den Bauch erkennen....einen durchtrainierten Waschbrettbauch, wenn Tala in seinen Betrachtungen ehrlich war. Der Fremde trug eine weiße Hose, die keinerlei Falten warf und statt dessen den Eindruck einer zweiten Haut erweckte. Die I-Tüpfelchen auf diesem unheimlich heißen Outfit waren die zwei goldenen Ohrringe, die in seinem linken Ohr glitzerten sowie die Lederkette mit dem Kreuzanhänger.
 

OH. MEIN. GOTT. Wer um alles in der Welt war dieser....dieser lebende Adonis???? Der Russe zwang sich, seinen Blick von dem Schönling abzuwenden, aber wie von einer unsichtbaren Macht gelenkt, fixierte er die vollendete Gestalt immer wieder. Er konzentrierte sich. Kai hatte er ohne Probleme erkannt, der Blonde konnte nur Max sein, der mit der Brille war Kenny, der Typ in dem chinesischen Gewand war mit zweihundertprozentiger Wahrscheinlichkeit Ray und das bedeutete....dass nur noch Tyson übrigblieb!!! Aber das konnte doch nie und nimmer Tyson sein!!! Dieses Bild von einem Mann?!?! Unmöglich!! Spencer fiel auf, dass sein Kapitän irgendwie nicht recht bei der Sache war und flüsterte Bryan zu: "Sag mal....was ist denn auf einmal mit Tala los? Hat den der Schlag getroffen, oder was?"

"Nein. Den hat gerade was ganz anderes getroffen!" erwiderte der Gefragte vieldeutig.

"Ach ja? Und was?"

"Amors Pfeil!"

"Hä?" Dieser ungemein intelligente Wortlaut verriet Bryan, dass Spencer nicht kapierte, worauf er hinauswollte. "Aphrodite hat ihren Boten geschickt."

"HÄ?!?!"

"Ich geb's auf...."

Mr. Dickenson entging das Geplänkel; er ordnete seine Papiere und rief: "Ich erkläre die Weltmeisterschaft hiermit für eröffnet!" Das Publikum brauste auf und der Computer wählte die ersten Kontrahenten aus. Das Los entschied sich für die Blitzkrieg-Boys und die Bladebreakers - ein vielversprechender Auftakt. Als erste Gegner dieses Wettkampfs wurden Tala und Tyson ausgewählt und der Rothaarige war sich nicht sicher, ob er sich jetzt darüber freuen oder sein Schicksal verteufeln sollte, da ihm mit einem Mal gar nicht mehr besonders gut war, als der Japaner mit eleganten, geschmeidigen Schritten auf ihn zukam.

>>Okay, reiß dich zusammen! Du hast schon früher gegen den Kleinen gebladet....wenn ich ihn mir so ansehe, ist er natürlich kein Kleiner mehr, aber....Schluss, aus, du hörst sofort damit auf, ihn auch nur irgendwie attraktiv zu finden....auch wenn er Beine bis an die höchste Turmspitze des Kreml hat!!<<
 

Mr. Dickenson eilte zu seinem Platz in den Zuschauerreihen und ließ die beiden Moderatoren den Kommentator bzw. Schiedsrichter ankündigen. "Meine Damen und Herren, es ist wieder soweit! Die Beyblades drehen sich wieder, die Turniere haben begonnen! Begrüßen Sie mit uns zusammen den Mann, der unten im Ring die Entscheidungen fällen wird: DJ Daichi!!"

Der Blauhaarige und die übrigen Mannschaften sogen hörbar die Luft ein, denn dieser Name war ihnen hinreichend bekannt. Man wartete. Und wartete.

"He, ich bin hier oben!" Die erstaunten Blicke wanderten zur Decke des Stadions, wo eine Person auf einem der Scheinwerfer stand und wild winkte. Dann stieß er sich ab und landete saltoschlagend auf seinen zwei Beinen neben der Beyblade-Arena, die aus dem Boden nach oben gefahren wurde. Er hatte eine kurze, abgerissene Jeans an, ein blaues Tank Top und Turnschuhe. Um seine Schultern ringelte sich sein rotes Haar und seine grünen Augen blitzten vergnügt. "So sieht man sich wieder, Leute!"

"Meine Damen und Herren, Applaus für diesen schwungvollen Auftritt von DJ Daichi!" Das Publikum klatschte begeistert und Daichi verneigte sich brav nach allen Seiten. Er war jetzt 15 Jahre alt und dank seines Onkels, der Verbindungen mit der BBA hatte, war er zu diesem Job gekommen. Er schnappte sich das Mikro und sagte: "Das sind unsere ersten Wettkämpfer! Tala Iwanov von den Blitzkrieg-Boys und Tyson Kinomiya >>Süßer Po, Kumpel! He, was denke ich da?!<< von den Bladebreakers!! Legt los, Jungs! Ich will ein schönes, ehrliches Beyblade-Match sehen, klaro?! Beide bereit? LET - IT - RIP!!!"
 

Die Blades schossen in der gleichen Sekunde von ihren Startern und krachten in der Arenamitte aufeinander. Sie war einem Waldgebiet nachempfunden und steckte voller tückischer Unebenheiten. Tala agierte nicht so souverän wie sonst, da er Tysons glühende, entschlossene Augen auf sich ruhen fühlte. Sein Blut geriet in Wallung, als er in diesem schmelzenden Schokoladenbraun versank und er grollte unwillkürlich mit sich selbst und der ganzen Welt, weil ihm die Hormone durchgingen. Der Japaner bemerkte seine Unsicherheit und konzentrierte sich auf eine großangelegte Attacke. Er spürte, wie die Tätowierung unter seinem Hemd pulsierte, als er Dragoon beschwor. Was war nur los?

"Seiryuu!" hallte es in seinen Ohren wider. "Seiryuu!" Ein blaues Leuchten umgab den verwirrten 19jährigen mit einem Mal und bevor er seinen Angriff hinausschreien konnte, brach sein Bit Beast wie von selbst aus seinem Blade hervor und erzeugte die gigantischste Windbö, die Tala je erlebt hatte. Sie fegte über ihn hinweg und schleuderte seinen Kreisel wenigstens fünf Meter weit aus dem Stadion. Fassungslos starrte er hinterdrein. Daichi blinzelte ebenfalls und benötigte eine Weile, um die Situation zu realisieren.

"Äh....äh, ja! Ein unglaublicher Move von Tyson, meine Damen und Herren! Tala war klar unterlegen! Der erste Sieg geht an die Bladebreakers!"

Als nächstes war Kai an der Reihe, sein Gegner war Bryan. Der Japaner schritt an ihm vorbei, als könne er noch gar nicht glauben, dass es so schnell gegangen war. Die seltsam sanfte Stimme des anderen riss ihn aber aus seiner Trance, denn der Russe meinte: "Gut gemacht." Der Jüngere errötete verlegen und stolperte in Richtung Kabine davon. Tala sah es und lief hinterher - was auch Kai nicht verborgen blieb. Misstrauisch zog er die Brauen zusammen, doch da fing sein Fight schon an.
 

Tyson lehnte an der Wand neben der Garderobentür und atmete schwer. Was war gerade passiert? Er hatte den Angriff doch noch gar nicht richtig vorbereitet, und trotzdem verfügte er über eine Wahninnspower! Wie war das möglich? Und dann dieses Licht! Er presste stöhnend eine Hand auf seine linke schmerzende Brusthälfte. Stammte die Kraft von der Tätowierung?! "Tyson!"

Er hob den Kopf und drehte sich zu demjenigen um, der ihn gerufen hatte.

"Tala! Du?"

"Ich....ich wollte dir gratulieren! Das war erste Sahne da draußen, wirklich! Ich fand deinen Stil ja schon immer klasse, aber das....! Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit, überhaupt an Wolborg zu denken!"

"Danke...."

"Was ist? Tut dir was weh?"

"....Meine Brust...."

"Soll ich einen Arzt rufen?"

"Nein, lass nur!" widersprach der Blauhaarige heftig, der vermeiden wollte, dass irgend jemand seine Körperzeichnung zu Gesicht bekam. Die verschiedensten Bilder jagten durch seinen Geist: Eine wunderschöne Landschaft, ein Palast, die Silhouette eines Mannes, über dem eine Art Vogel aufragte, ein eisiger, dunkler Schatten, Wind, Feuer....und der ewig wiederkehrende Name: "Seiryuu!!!" Der Blauhaarige sank auf den Boden und umklammerte mit beiden Händen seinen Kopf. Was geschah bloß mit ihm?! Drehte er durch?!

Tala war nun tatsächlich besorgt. Er half dem Japaner auf die Beine, stützte ihn und schob ihn behutsam in den Mannschaftsraum.

"Lass mich mal sehen, was du hast." bot er freundlich an, was so gar nicht zu seiner üblichen kalten und brüsken Art passen wollte. Er schob das Hemd nach oben, um den Brustkasten abzutasten und pfiff durch die Zähne. Aber hallo, eine Tätowierung! Der Drache schlängelte sich zart über die straffen Muskeln und Tala konnte nicht widerstehen, einmal darüber zu streicheln. Wie weich seine Haut war! Da schlug ihm Tyson auf die Hand. "Pfoten weg!" blaffte er gereizt, peinlich berührt, weil der andere Blader "es" gesehen hatte.

"He, ich will dir doch nur helfen!"

"....Das....ist nett. Aber ich habe den Eindruck, das ist eine Sache, die ich nur alleine bewältigen kann...."

"Wie meinst du das?"

"...."
 

Unterdessen fand der Kampf in der Halle sein Ende. Kai hatte keine nennenswerten Probleme damit, Bryan in seine Schranken zu verweisen und so folgte er Tyson in die Kabine nach. Nicht, dass er sich Sorgen wegen Tala machte, er war lediglich ein wenig beunruhigt (aber klar....). Er öffnete die Tür....und versteinerte. Auf der Bank sass der Blauhaarige mit hochgezogenem Oberteil - und Tala stand dicht bei ihm!! Viel ZU dicht!!! Erst schien es ihm, als fahre ein Schwert durch ihn hindurch, dann explodierte irgendetwas in ihm, das einem Feuer gleich hochschlug und ihn zu verbrennen drohte. Seine emotionslose Maske zerbröckelte unter dem Drang dieser Flamme und Zorn malte sich auf seinem Antlitz ab.

"Ka....Kai?!" brachte Tyson mühsam heraus, während Tala die schreckliche Gewissheit plagte, soeben seinem Henker begegnet zu sein.

"DU!!!" zischte der 20jährige und packte seinen Landsmann hart am Arm. Der Rothaarige zuckte zusammen und stieß einen Schrei aus. Kai ließ ihn automatisch los und wurde sich urplötzlich klar darüber, dass er sich hatte gehen lassen.

"Bist du verrückt?! Deine Hand ist ja heißer als eine Herdplatte!! Scheiße, tut das weh!!" Der Teamchef der Blitzkrieg-Boys untersuchte genau sein Gelenk und entdeckte eine Brandblase. Das war doch nicht normal! Tyson, der den Drachen mittlerweile wieder bedeckt hatte, schubste Kai zur Seite und zog Tala zum Waschbecken. Dort drehte er den Wasserhahn auf und hielt den Arm des Älteren unter den kalten Strahl. Der Russe erzitterte leicht unter der umsichtigen Berührung; er roch Tysons frischen, prickelnden Duft - sein Aftershave vermutlich - und war sich dessen körperlicher Nähe nur zu deutlich bewusst. Er wurde rot, ohne es verhindern zu können und Kais Hände ballten sich angesichts der gesamten Szene zu Fäusten. Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon als wäre ein Rudel Wölfe hinter ihm her.
 

>>Warum....ist das so ein Schock für mich?! Es kann mir doch egal sein, was zwischen Tala und Tyson abgeht!! Wieso trifft es mich so?! Irgendwie....schmerzt mein Herz....Was ist los mit mir?! Tyson ist doch....<<

Er hielt an, erschöpft und gequält. Wie wollte er diesen Satz beenden? "Tyson ist doch nur mein Teamkamerad!" Wirklich? War das so? Nein, er war sein Freund....sein bester Freund, um genau zu sein....aber weshalb zog sich sein Innerstes zusammen, wenn er sich das Bild der beiden jungen Männer nebeneinander in Erinnerung rief? Sein bester Freund....den er in jenen sechs Jahren nie hatte vergessen können....sein bester Freund, mit dem er endlich wieder zusammengetroffen war....>>Ich wusste ihn schön....aber jetzt ist er viel schöner! Durch welches Wunder? Meine Gefühle überrollen mich! Warum tut es so....furchtbar weh?! Tyson ist mein Freund, ja....aber nicht mehr! Nicht mehr! Es kann nicht mehr sein! Er ist ein Mann, genau wie ich! Es kann....nicht mehr sein....<<

Und dennoch.

So sehr er es auch drehte und wendete, es verleugnete oder als Laune abtat....

Kai Hiwatari war eifersüchtig.

Der Ruf des Tigers

Vielen Dank für die lieben Kommis! *Leser umknuddelt* Hier ist also der nächste Teil!
 

Kapitel 3: Der Ruf des Tigers
 

Ray lag fix und fertig auf seinem Bett und gähnte. Der erste Turniertag war vorbei und die Bladebreakers waren eine Runde weiter. Ebenso die Blitzkrieg-Boys, die BBA Warriors, die White Tigers und die PPB Allstars. F-Dynasty war schmählich untergegangen, trotz Kennys Vorhersagen. Böse Zungen mochten behaupten, dass der Hauptgrund dafür das ewige Gezanke zwischen Julia und Raul war, die abgesehen mal vom Bladen nichts anderes zu tun hatten, als sich gegenseitig anzuschreien. Zumindest hatte Romero ziemlich resigniert gewirkt....bei so einer Mannschaft musste ihm ja irgendwann der Spaß vergehen! Der Chinese erhob sich und dröselte seine Frisur auf, während er sich missmutig an die Blicke erinnerte, die Michael auf Max geheftet hatte. Was für ein notgeiler Volltrottel! Sein Hirn sass aus Prinzip in der Hose, oder?! Na schön, eigentlich konnte ihm das egal sein, aber dass es sich bei dem Objekt der Begierde ausgerechnet um seinen Max handelte, war doch nun wirklich....!!

Moment.

SEIN Max?!?!?!

>>Ray, wo hast du deinen Verstand?! Ich meine, hallo???? Okay, mein Gott, ich bin schwul, Lee war mein erster Freund und....hm, und jetzt? Max war schon immer niedlich....das gebe ich zu. Er ist es nach wie vor....na ja, nicht ganz. Sagen wir: nicht mehr nur niedlich, schließlich hat er einen total sportlichen Körper und wirkt einfach wie ein junger Mann....er ist....anziehend, das räume ich ein. Aber ich will nichts von ihm!! Glaube ich....<<
 

Der Schwarzhaarige runzelte die Stirn und warf sein Zopfband auf das Nachtkästchen. Fakt war, er hatte den Amerikaner schon als Junge gemocht, mit dreizehn. Sollte nun, sechs Jahre später, mehr daraus werden? "Lächerlich!" schnaufte er durch die Nase, löschte das Licht und wickelte sich ins Laken. Es gelang ihm aber nicht, einzuschlafen, denn plötzlich hörte er ein eigenartiges Geräusch. Erst meinte er, es sich lediglich eingebildet zu haben, doch als es sich wiederholte, warf er die Decke zurück und schlich sich aus seinem Zimmer. Über allem lag tiefe Ruhe....sah man von diesem Fauchen ab. Es war zweifellos ein Fauchen wie Katzen es ausstoßen, egal ob Haustiere oder Räuber. Ray tapste auf nackten Füßen durch die dunklen Korridore und schlüpfte in der Diele in ein Paar getas (Sandalen) und seinen Mantel. Wieder erklang das Fauchen. Neugierig marschierte er in die Nacht hinaus, in die Richtung, aus der der Laut kam. Er bog um eine Straßenecke und ein helles Licht empfing ihn. Es schwächte sich nach und nach ab und der Chinese konnte seine Arme wieder absenken, die er sich schützend vor die Augen gehalten hatte. Vor ihm ragte majestätisch ein riesiger weißer Tiger auf, dessen Zähne im silbernen Schein des Mondes bleich schimmerten.

"Dri....Drigger?!"

**Mein Hüter.**

Das Geschöpf verneigte sich und betrachtete den 19jährigen wohlwollend. In seinem Gesicht zeigte sich so etwas wie ein Lächeln. **Du hast meinen Ruf vernommen. Das ist gut. Höre! Schon bald werden schlimme Dinge geschehen, die dich und deine Freunde betreffen! Das Böse ist zurückgekehrt und hat seine volle Macht wiedererlangt. Ich hätte es vorgezogen, hättet ihr für immer weiterschlafen können, doch das ist nicht mehr möglich, denn das Gleichgewicht der Schöpfung muss wiederhergestellt werden! Wenn nicht....wird dieser Planet es büßen!**

"Was redest du da, Drigger? Und seit wann kannst du überhaupt sprechen?"

**Das konnte ich von jeher. Es war bisher nur nicht notwendig, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen. Doch nun....ist es an der Zeit, dass du dich erinnerst....Byakko!**

....es ist an der Zeit, dass du dich erinnerst....Byakko....!
 

Ray schlug die Augen auf und sah sich irritiert um. Wo war Drigger? Wieso befand er sich in seinem Bett? Weshalb klingelte sein Wecker? Hatte er geträumt? Aber das alles war ihm so echt, so real vorgekommen....Wieder dieses Fauchen! Er sprang auf und stürzte zu seiner Sporttasche, in der er sein Blade aufbewahrte. Er konnte nichts Verdächtiges daran feststellen, aber das Fauchen kam eindeutig von dort! Wo gab es denn sowas - ein Beyblade, das sich wie eine Katze benahm! Ray schüttelte ungläubig den Kopf. Bit Beast hin oder her, hier handelte es sich immer noch um einen leblosen Gegenstand!

**Byakko!** tönte Driggers Stimme wie ein Echo in seinen Gedanken und er stopfte das Blade in einer raschen Bewegung in die Tasche zurück, als hätte es ihn gebissen.

"Guten Morgen, Ray! Gut geschla....?"

Der Rest seiner Begrüßung ging in einem peinlichen Schweigen unter, als Max begriff, wie er seinen heimlichen Schwarm gerade antraf. Der Chinese trug nämlich nichts außer roten Pyjamashorts, sein makelloser, muskulöser Torso war komplett nackt und das lange seidige Haar umschmeichelte seine schlanke Gestalt hervorragend.

>>Holy Jesus....wie kann ein Mann bloß so schön sein?! Sowas sollte verboten werden!!<<

"Morgen, Max. Nein, ich habe schlecht geschlafen....ich hatte einen merkwürdigen Traum...." Keine Antwort. Ray wandte sich dem Amerikaner zu und stutzte. Was war denn los? Er wurde ja schon wieder rot? Okay, mit Fieber hatte das nichts zu tun, wie er sich gestern überzeugt hatte. Woran lag es dann? Etwa an ihm?! Er spürte auf einmal, dass Max' intensiver Blick an ihm hinaufkroch und ein angenehmes Kribbeln breitete sich von seiner Bauchgegend in seinem gesamten Körper aus.

>>Ihm gefällt, was er sieht! Ihm gefällt, was er sieht!<< dachte er beglückt, wobei er sich gleichzeitig fragte, warum er so erfreut darüber war. Dem Blonden fiel indessen endlich auf, dass er seinen Kollegen anstarrte und abermals wechselte er die Gesichtsfarbe.

"Äh, ich....ich gehe wohl besser....Bis gleich!" Damit nahm er die Beine in die Hand und floh, als hätte Ray sich vor seinen Augen in eine Eidechse verwandelt. Der Schwarzhaarige blieb verblüfft und ein wenig enttäuscht zurück, zuckte die Schultern und wollte ins Bad eilen, stieß sich aber dabei sein Knie am Bettpfosten, da er sich mental offensichtlich woanders aufhielt und fluchte in feinstem Gossenchinesisch vor sich hin.

>>Autsch, verdammte Scheiße! Und alles bloß, weil ich mich in diesen blauen Augen verloren habe, die so klar sind wie ein See....!<<
 

Kai stand unter der Dusche und ließ das heiße Wasser seinen Körper verwöhnen. Er hatte Tala nicht verletzen wollen, aber wer rechnete denn auch damit, Hände zu besitzen, die heißer waren als Herdplatten?! Jetzt hatten sie eine normale Temperatur, aber die Brandblase auf der Haut seines Freundes kam sicher nicht von irgendwoher....War das....seine Eifersucht? Hatte sie diese Gabe in ihm entfesselt? Nein, es musste etwas anderes sein - nur was? Der Graublauhaarige lehnte seine Stirn gegen die nassen Fliesen und grübelte. Plötzlich stieg eine unbeschreibliche Hitze in seiner linken Brusthälfte nach oben und sie begann zu schmerzen. Kai stöhnte verhalten und blickte verstört an sich hinunter. Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu können: Von seinem Schlüsselbein abwärts erschienen rötliche Streifen, die sich bis zu seinem Lendenansatz fortsetzten und sich zu einem Bild verdichteten, bis der Schmerz und auch die Hitze nachließen. Nun breitete ein Phönix seine flammenden Flügel über seiner perlgleichen Haut aus, der ihn an Dranzer erinnerte. Kai seifte sich ein und probierte, ob er die Zeichnung nicht entfernen könnte, doch der gewünschte Erfolg blieb aus.

"Suzaku!"
 

Er schoss herum und schob die Tür der Dusche auf, doch niemand hatte das Bad betreten und diesen Namen gesagt. Seltsamerweise hatte Kai den Eindruck, dass dieser Name nicht einfach nur ausgesprochen worden war, sondern dass man ihn gerufen hatte. Ihn! Aber weshalb sollte er auf einen fremden Namen reagieren? Der Russe berührte die Tätowierung und entschied sich, niemandem davon zu erzählen. Also trocknete er sich ab, zog seine Boxershorts an und kehrte in sein Zimmer zurück. Da klopfte es. "Kai? Ich bin's, Tyson! Bist du da? Ich komme rein!" Das war mal wieder typisch für den Japaner, ließ einem nicht einmal Zeit, sich auf seine Anwesenheit vorzubereiten! In Ermangelung ausreichender Minuten warf sich der 20jährige auf sein Bett, um den Phönix zu verstecken und im Bruchteil der nächsten Sekunde stand der Jüngere im Raum. Mr. Kinomiya in einem weiten Oberteil und den knappsten und kürzesten Pyjamahosen der Weltgeschichte!! Der blaue Stoff lag wirklich verfluch eng und man konnte anhand dessen Tysons Ausstattung in tiefergelegten Regionen erahnen.

>>Nicht übel, Ty....sogar ziemlich gut....<<

Während Kai sich geistig eine herunterhaute, hockte der Blauhaarige sich auf das Bett und schlug seine grazilen Beine übereinander.

"Weißt du....wegen gestern....Zwischen mir und Tala ist nichts passiert....mir war nur ein wenig schlecht und er wollte sich um mich kümmern...."

>>Sich kümmern? He, wir reden hier von TALA!!!<<

"....Aber dass du gleich so wütend geworden bist....Musstest du unbedingt handgreiflich werden?"

>>Ich habe nicht nachgedacht....Ich sah dich mit ihm und wollte diesen Kerl nur noch zum Mond schießen! Klingt kindisch, ich weiß....doch ich kann es nicht ändern....<<

"Diese Sache mit der Verbrennung war aber schon merkwürdig....welcher Mensch hat denn Hände, die glühend heiß sind?"

>>Offensichtlich ich.<<
 

"Kai? Warum sagst du denn gar nichts?"

Der Ältere betrachtete seinen Gegenüber genau. Es stimmte. Tyson verfügte über das, was man im allgemeinen Schönheit nannte. Es war eine reine, gefährliche Schönheit. Sein Teint war perfekt, sein Gesicht wirkte stets wie gemalt. Eben dieser gesunde Teint, der ihn hätte entstellen können, war seine Stärke und passte wunderbar zu seinen bestechenden braunen Augen. Sein Haar war nachgedunkelt und seine natürliche, fließende Beschaffenheit, die reiche und lebendige Tönung mussten jeden, der diesen meerblauen Schmuck sah, das Bedürfnis verspüren lassen, es zu streicheln.

"Ich war eifersüchtig." antwortete er schlicht. Es war eigentümlich und fast nicht zu erklären, aber mit Tyson allein zu sein und sich in so ungezwungener Atmosphäre mit ihm zu unterhalten, hatte Kais Abwehr eingeschläfert und ihn empfänglicher gemacht für seine Gefühle. Der einstige Weltmeister zog die Stirne kraus.

"....Eifersüchtig....?"

"Ja."

Der Japaner verkrampfte beschämt seine Finger ineinander und schwieg. Er wagte nicht, Blickkontakt mit dem Russen aufzunehmen, so überrascht war er. Es war ganz still im Zimmer, doch es handelte sich um eine schöne und bedeutsame Stille. Sie erfüllte die beiden Menschen und brachte sie einander näher, denn sie erkannten, dass sie keiner Worte bedurften, um sich zu verständigen.

>>Kai mag mich!<< lächelte Tyson in Gedanken. >>Nie hätte ich das zu hoffen gewagt....<<

"Ich wollte nicht zornig werden....aber ich konnte mich nicht beherrschen. Ich habe dich gern, weißt du....wenn ich es mir recht überlege, dann hätte ich dir das schon längst sagen sollen...." Er strich zärtlich über die Wange des anderen und der Japaner seufzte leise. Diese Hände verströmten eine herrliche Wärme, die so viel Geborgenheit und Schutz vermittelte und erinnerte ihn an etwas Bestimmtes....Hatte er nicht schon einmal so mit Kai zusammengesessen und mit ihm geplaudert? Da fiel sein Blick auf den Oberkörper des 20jährigen.
 

"Ein....ein Phönix?"

"Eh? Oh nein....!" Der Russe verwünschte sich. Wie hatte er das vergessen können?! Jetzt hatte er sich aufgerichtet, ohne daran zu denken, dass dieses Ding seinen Torso zierte!

"Du also auch?"

"Was soll das heißen: ,Du auch'?"

Der Blauhaarige knöpfte sein Pyjamahemd auf und entblößte den Drachen. Kai hob die Augenbrauen und fuhr die Konturen der detaillierten Zeichnung nach.

"Wie ist das möglich? Hast du dir diese Tätowierung machen lassen?"

"Nein. Sie ist einfach aufgetaucht! Es schmerzte und brannte auf meiner Haut, als würde ich tatsächlich mit einer Nadel bearbeitet. War es bei dir genauso?"

"Ja. Als ich vorhin unter der Dusche war, ist es passiert. Außerdem....du wirst mir vermutlich nicht glauben, aber....jemand hat einen fremden Namen gerufen, obwohl keiner außer mir da war...."

"Was für einen Namen?"

"Suzaku."

"Hm. Das ist nicht der Name, den ich gehört habe. Seit einiger Zeit habe ich intensive Träume, die mich fast Nacht für Nacht verfolgen. Ein Mann stirbt....und ein zweiter Mann, der....nun ja, der Geliebte des Sterbenden....schreit seinen Namen....Seiryuu...."

Seiryuu.

Der Phönix schien mit einem Mal zu pulsieren, zumindest merkte Kai, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Sein Herzschlag beschleunigte sich und ein Gefühl der Trauer rauschte durch ihn hindurch. Eine Flut von Bildern, Eindrücken und Empfindungen raste durch seinen Kopf, regiert von der Gestalt eines blaugewandeten Kriegers, der ihm den Rücken zudrehte. Endlich wandte er sich um, doch ein Schatten verbarg seine Züge. Nur seine Lippen formten ein Wort. Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber sanft und liebevoll.

"Suzaku."
 

Heiße Lippen glitten über seine bebende Brust. Brooklyn unterdrückte ein Keuchen und gab sich genussvoll den geschickten Berührungen hin. Weiche Finger liebkosten jeden Millimeter nackter Haut, den er darbot und umspielten behutsam seine erhärteten Brustwarzen. Der Blader wand sich geschmeidig unter diesen wissenden Händen, stützte sich mit dem linken Arm im Kissen ab und zog mit dem rechten jenen an sich, den er begehrte. Er suchte den sinnlichen Mund und hauchte zaghafte Küsse darauf, ehe er zu einer leidenschaftlicheren Inbesitznahme überging. Als sich ihre Zungen in einem innigen Kampf verflochten, drang die Lust bis tief in Brooklyns Lenden und ein heiseres Stöhnen entfloh seiner Kehle.

"Aahh....hmmm....Hiroooo...."
 

"BROOKLYN!!!!"
 

Der Orangehaarige schreckte hoch und bemühte sich verzweifelt, sich daran zu erinnern, wo er sich befand. Er lag in seinem Bett, aber kein Hiro war bei ihm - statt dessen stand ein ungeduldiger Garland vor ihm, der für den Weckdienst verantwortlich war.

"....Hast du mich gerade gehört?!?!" erkundigte sich Brooklyn mit einem Anflug von Panik. Sein Gegenüber grinste anzüglich.

"Jedes Wort....bzw. jeden Ton! Unser guter Hiro hat es dir ganz schön angetan, was?"

Was nun geschah, war ein Anblick, den man in der Tat nicht jeden Tag hatte, zumal es sich bei der betreffenden Person um den für gewöhnlich ruhigen und unerschütterlichen Brooklyn handelte. Selbiger lief knallrot an und war nicht mehr weit von dem Vergleich mit einer Warnsignallampe entfernt. Garland brach in schallendes Gelächter aus, was Mystel, Ming Ming und zuletzt auch Hiro dazu veranlasste, ihre Hotelzimmer zu verlassen und nachzuschauen, was denn eigentlich los sei.

"Ah, Hiro!" rief der Spross der berühmten Zetwald-Sportlerfamilie und schlug ihm derb auf die Schulter. "Du hast ein ausgezeichnetes Timing! Brooklyn, möchtest du unserem Teamkapitän nicht sagen, was du so von ihm hältst?"

Der Angesprochene warf einen eiskalten Blick auf Garland. Wenn Blicke töten könnten, der arme Bursche wäre auf der Stelle mausetot umgefallen. Schließlich wollte er dem verdutzten Hiro eine Erklärung anbieten, aber er scheiterte, denn sein heimlicher Angebeteter trug nichts weiter - die Betonung liegt auf nichts - als seine schwarzen Schlafanzughosen, sein Oberkörper war komplett frei. Das silbergraue Haar war nicht zusammengebunden und wallte wie ein Umhang auf seine breiten sehnigen Schultern. Der Orangehaarige starrte sich an seiner makellosen, kräftigen Brust fest und musste schlucken. Was für ein betörendes Bild männlicher Schönheit!

>>Ich DANKE dir, Gott!!<<
 

"Was ist nun? Sollen wir hier die ganze Zeit rumstehen? Ich geh jetzt frühstücken! Wer kommt mit?" ließ Ming Ming verlauten und Mystel folgte ihr. Garland zwinkerte seinem Kameraden zu und eilte hinterdrein, den immer noch ein wenig verwirrten Hiro und den schweigenden Brooklyn zurücklassend.

"Was hat er eigentlich damit gemeint: Mir sagen, was du von mir hältst?"

"Überhaupt nichts, vergiss es einfach!" wehrte der Jüngere ab und komplimentierte den anderen höflich hinaus. Als Hiro verschwunden war, lehnte sich die ehemalige Geheimwaffe von BEGA an die Tür und schloss die Augen, wie um sein aufgeregt pochendes Herz zu beruhigen. So bemerkte er auch nicht, wie eine dunkle Gestalt auf seinem Balkon erschien, deren Schatten über die Bodendielen bis in den Raum zu kriechen schienen. Der 23jährige fröstelte und wollte das Fenster verriegeln, als er der Schwärze gewahr wurde, die sich überall ausbreitete.

"Was....was ist das?!"

Das merkwürdige Gebilde packte Brooklyn an den Armen und fing an, seine Beine, seine Hüfte und seinen Hals zu umschlingen. Während er sich hilflos in den Fesseln wand, säuselte eine eisige Stimme in sein Ohr: "Ich bin sehr enttäuscht, dass du mich vergessen hast, mein treuer Diener! Aber die Zeit deines Erwachsen ist gekommen! Du kannst nicht vor deinem Schicksal davonlaufen! Einmal schon wäre dein wahres Ich vollends hervorgebrochen, aber du hast es in letzter Sekunde zu verhindern gewusst! Dabei bist du dir doch klar darüber, dass man niemandem vertrauen kann! Auch nicht dem hübschen Hiro, du dummer Kerl! Aber keine Sorge: Du wirst zu deiner alten Stärke zurückfinden, wenn du erst wieder du selbst bist! Lass den Hass in deiner Seele wachsen....Deimos....!"

"....Argh....Wer....sind Sie?? Warum sagen Sie mir solche Dinge?!"

"Weil sie die Wahrheit sind! Du warst immer allein, Deimos - in deinem vergangenen Leben und in diesem! So etwas wie Liebe wird es nie für dich geben, das musst du einsehen! Deine Welt besteht nur aus Einsamkeit! Du warst immer allein und brauchst niemand anderen! Vergiss diesen Hiro, der es gewagt hat, sich in dein Herz zu schleichen! Vertreibe ihn! Vernichte ihn!"

"NEIN!!!!"

Ein Lichtschein brach aus der Brust des Orangehaarigen hervor und schlug die abscheulichen Schatten in die Flucht. Er sackte in die Knie und atmete schwer. Sein Pyjamahemd war verrutscht und entblößte seinen Nacken und einen Teil seines Rückens. Unter der hellen Haut leuchtete ein schwarzes Zeichen auf, verblasste, tauchte erneut auf, verblasste wieder, bis nichts mehr davon zu entdecken war. Es erinnerte an drei gezackte Blitze und bei jedem Erscheinen erklang die grausige Botschaft: "Du kannst niemandem vertrauen....du kannst niemandem vertrauen....du kannst niemandem vertrauen...."

Der Weg des Wassers

Hallihallo, da bin ich wieder! Es geht weiter!!!
 

Kapitel 4: Der Weg des Wassers
 

Mystel hätte zu gerne gewusst, was es mit Garlands Bemerkungen gegenüber Brooklyn auf sich hatte, aber er wagte es nicht, zu fragen. Er lauschte mit halbem Ohr Ming Ming, die von irgendeinem Song-Contest erzählte und verrührte den Zucker in seinem Kaffee. Bevor Hiro die gesammelte Mannschaft wieder zum morgendlichen Training antraben ließ, wollte er gerne noch ein paar Runden im Pool drehen, der zur Frühstückszeit selten bis nie besucht war. So trank er die Tasse aus und verzichtete darauf, etwas zu essen. Das konnte er auch später noch nachholen.

"Hast du keinen Hunger?" erkundigte sich der Blauhaarige, der sich in diesem Moment an den Tisch setzte.

"Ich gehe erst noch schwimmen, um mich auf den Tag einzustimmen. Kannst du mir Bescheid sagen, wenn das Training anfängt?"

"Klar doch."

Mit dieser Zusicherung im Gepäck kehrte der Blonde in sein Zimmer zurück, zog sich eine Badehose an, warf sich den Bademantel über, packte etwas zu Lesen, eine Hose zum Wechseln, ein Handtuch und eine Bürste ein und begab sich nach draußen zum Poolbereich. Obwohl die Sonne schien, war das Wasser noch kühl und frisch und der 19jährige benötigte eine Weile, um sich an die Temperatur zu gewöhnen. Dann begannen seine kräftigen braungebrannten Arme, die Wellen zu teilen und er spürte, wie alle seine Probleme und Sorgen von ihm abzufallen schienen, während er sich treiben ließ oder in das kristallklare Nass eintauchte. Der Himmel über ihm strahlte in einem reinen, wolkenlosen Blau....so blau wie Garlands wunderschöne Augen....Der besagte junge Mann beendete indessen sein Frühstück - Müsli, ein Apfel und zwei Vollkornbötchen mit etwas magerem Schinken, dazu Orangensaft - und lief auf halbem Weg zum Pool Hiro in die Arme.
 

"Das Training fängt wie gehabt in zehn Minuten an, richtig?"

"Richtig. War Brooklyn schon unten?"

"Nein. Seit dem Vorfall von vorhin habe ich ihn nicht mehr gesehen. Vielleicht lässt er das Frühstück ausfallen."

"Hm."

"Machst du dir Sorgen?"

Hiro wurde ein bisschen rot, doch er verwehrte sich gegen diesen Verdacht. "Unsinn! Um einen wie Brooklyn muss man sich keine Sorgen machen!"

Garland lächelte rätselhaft und suchte seinen Teamkameraden auf. Er erreichte das großzügige Becken und begutachtete Mystels Schwimmkünste. Der Kleine war ausgezeichnet, das musste er zugeben - sein schlanker, agiler Körper glitt wie ein Fisch dahin, es war, als wäre er praktisch eins mit dem Wasser. Er winkte ihn heraus und der Jüngere kraulte zur Treppe. Er hievte sich hoch, hielt aber plötzlich inne, als er sich bewusst wurde, dass sein Gegenüber ihn betrachtete. Genau genommen betrachtete er ihn sehr intensiv, als sähe er ihn zum ersten Mal. Im weitesten Sinne traf dies tatsächlich zu, denn Garland hatte Mystel wirklich noch nie so erlebt. Als sie sich kennenlernten, war der Blonde dreizehn und er selbst bereits siebzehn. Seiner Meinung nach war der Kleine noch ein Kind und es war ihm trotz ihres Wiedersehens nicht gelungen, sich von dieser alten Vorstellung zu lösen. Stets hatte er den Jungen von damals vor Augen, wenn er mit dem anderen sprach und insgeheim ärgerte er sich darüber, denn er ahnte, dass dies seinen Kollegen verstimmen musste. Nun aber, da er mit seiner erblühten Männlichkeit konfrontiert wurde, hatte Garland das untrügliche Gefühl, weiche Knie zu bekommen. Der Blonde wich seinem musternden Blick aus und überspielte seine Verlegenheit, indem er seinen Zopf aufzudröseln begann.
 

Die zartgoldene Flut des feuchten Haares, das seine braunen Schultern bedeckte, verstärkte jedoch nur seine verführerische Ausstrahlung. Die Wassertropfen netzten seine makellose Haut und den herrlichen, formvollenden Oberkörper, der zierlich und doch zugleich muskulös war. Das Sonnenlicht ließ sie hell glitzern und dies goss einen irisierenden Schimmer über sein fein geschnittenes Antlitz und die athletische Erscheinung. Die schwarze Badehose sass aufreizend tief auf den anmutigen Hüften, die in lange geschmeidige Beine hinüber leiteten. Die sanften hellblauen Augen taten das übrige, um Garland zu verzaubern.

>>Wow....Warum ist mir bisher nicht aufgefallen, was für ein schöner Mann aus ihm geworden ist? Er wirkt ein wenig verlegen....wie süß....<<

Plötzlich aber türmte sich das Wasser im Pool zu einer gigantischen Schlange auf, die den entsetzten Mystel umklammerte und mit sich riss. Der 19jährige rang mit der verderblichen Nässe und kämpfte verzweifelt gegen den Strudel an, bis seine Kräfte ihn verließen. In einem Zustand von halber Ohnmacht und halbem Bewusstsein erklang eine eisige Stimme in seinem Kopf: "Dies als kleine Lektion, um dich daran zu erinnern, zu wem du gehörst! Du hast mir die Treue geschworen, wie die anderen! Und niemand wagt es, mich zu verraten! Vergiss niemals, dass du mein bist, ebenso wie deine Freunde! Deine Magie steht in meinen Diensten! Denke daran! Es ist Zeit, zurückzukehren! Du wirst...."

Da wurde Mystel von zwei starken Armen gepackt und an die Wasseroberfläche transportiert. Der Sog des Strudels nahm zu und Garland hatte alle Mühe, dagegen anzukommen. Er hatte keine Sekunde gezögert, als der Blonde in den blauen Tiefen verschwand und war sofort hineingesprungen, um den Jüngeren zu retten. Er spürte, dass eine fremde, seltsame Kraft dort unten am Werke war und ihn bedrohte, doch er würde auf keinen Fall aufgeben. Hier ging es um Mystels Leben und sonst um gar nichts!! In seinen Gedanken blitzte die Silhouette eines Mannes auf, mit einem Schwert und einem wehenden Umhang versehen. Wie hypnotisiert wandte er sich zu dem Strudel um, richtete seine rechte Hand auf ihn und ein Lichtstrahl brach daraus hervor. Er traf den gefährlichen Sog und neutralisierte ihn, sodass Garland endlich nach oben schwimmen konnte. Erschöpft rang er nach Luft und bettete den Blonden auf einer der Liegen. Er rührte sich nicht, seine Lippen waren bläulich angelaufen und sein Brustkorb bewegte sich nicht. Den älteren Blader durchzuckte ein namenloser Schreck. Was sollte er tun? Er musste ihn wiederbeleben! Beide Hände auf die Brust des anderen pressend und dessen Herz reanimierend, begann er sich zu fragen, was genau er da vorhin eigentlich vollbracht hatte. Es schien ihm, als hätte das Bild des Unbekannten in seinem Geist irgendeinen Mechanismus in ihm ausgelöst und eine übernatürliche Macht in ihm entfesselt. Schnappte er über?! Mystel reagierte noch immer nicht. Instinktiv heftete Garland seinen Mund auf den seinen, um ihn zu beatmen und nach einer Weile keuchte der Jüngere auf und spuckte einen Schwall Wasser aus.
 

"Mystel! Bist du in Ordnung?"

Der Angesprochene zitterte und blickte sich verwirrt um, als wüsste er nicht, wo er sich befand. Erst nach und nach dämmerte ihm, was gerade geschehen war und er warf sich unendlich dankbar in Garlands Arme, wo er seinen Tränen der Erleichterung freien Lauf ließ. Die unerwartete Nähe des makellosen Körpers, die Zartheit der Wange, die an der seinen lag und die leise Stimme des Blonden, die flüsterte: "Du hast mir das Leben gerettet! Ich danke dir!" - all diese Faktoren führten dazu, dass der normalerweise so besonnene Sportler errötete und die Umarmung beinahe schüchtern erwiderte. Irgendwie war er sehr angenehm, Mystel umschlungen zu halten....eine Geste der Vertrautheit, die verschwommene Eindrücke in ihm wachrief....
 

~~ GEDANKENSEQUENZ ~~
 

Zwei Männer erhoben sich vor einem grandiosen Sonnenuntergang. Sie waren nur als Silhouetten erkennbar und der eine von ihnen kniete vor dem anderen auf dem Boden. Er sagte mit warmer und ruhiger Stimme: "Meister....Ihr habt mich gelehrt, mit dem Schwert zu kämpfen und meine Zaubergabe zu gebrauchen. Aber was viel wichtiger ist, Ihr habt mich Eure Tugenden gelehrt: Mut, Ehrlichkeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Loyalität. Und schon lange wollte ich es Euch gestehen....ich....Ich liebe Euch!"
 

~~ ENDE DER GEDANKENSEQUENZ ~~
 

Garland schüttelte den Kopf. Träumte er jetzt schon am helllichten Tage? Es galt, Mystel ins Hotel zurückzubringen, damit er sich von seinem Abenteuer erholen konnte. Ob Hiro ihm gestattete, trotz des Trainings ab und zu nach dem Blonden zu sehen? Er biss sich verstohlen auf die Lippen. Du meine Güte, was fiel ihm denn ein? Machte er sich etwa Sorgen?
 

Kenny sass auf der Veranda des Kinomiya-Dojo und kündigte den ersten Kampf an: "Trainingsrunde Eins! Tyson gegen Kai! Seid ihr soweit? LET - IT - RIP!!"

"Los, Dragoon!"

"Auf geht's, Dranzer!"

Die beiden Beyblades erzeugten Funken bei ihrem Zusammenstoß und fingen an, sich kreuz und quer durch die Arena zu jagen. Kai spürte, wie die alte Atmosphäre von ihm Besitz ergriff. Keine Kämpfe hatte er je so geliebt wie jene gegen Tyson! Er gab niemals auf und ging stets bis zum Äußersten, um das meiste aus seinem Blade herauszuholen, er duellierte sich mit Leidenschaft, mit purer Energie, mit Geschick, mit Freude - er war wie ein Sturm, wild, unbezähmbar und frei, der beste Gegner, dem er sich je gegenübersah. Gegen ihn anzutreten, forderte jeden dazu auf, sein Bestes mit einzubringen und seine eigenen Grenzen auszutesten. Oh ja, er genoss es, mit ihm zu bladen....denn diese Kämpfe offenbarten, wie stark sie aneinander gebunden waren, dass sie zusammengehörten....Er erinnerte sich noch gut an jenen Tag vor sechs Jahren, als er ohnmächtig wurde und Tyson und er auf einmal unter einem Sternenhimmel aufwachten....Es war geradezu....romantisch gewesen, mit ihm allein zu sein, in dieser Umgebung, die wie losgelöst von der Realität schien....Sein Gegenüber wälzte ähnliche Gedanken hin und her. Das Gefecht war einfach nur gigantisch gewesen....und das Finale.... zwar wusste er bis heute nicht, wer oder was diese Welt geschaffen hatte, die um sie herum war, aber die Sterne, Kais Nähe, die ganze Stimmung....und nun? Nun stand er hier und bladete wieder gegen ihn....gegen den einzigen, der ihm wirklich ebenbürtig war und ihn immer wieder in seinen Bann schlagen würde....in den Bann zweier tiefer, rubinfarbener Augen, die zu brennen fähig waren, obwohl sie die meiste Zeit kalt und verächtlich waren....Er kannte, liebte diese Augen, die sich gleich glühendes Metall in seine eigenen schmolzen....
 

Kenny analysierte den Fight und schob seine Brille erstaunt in seinen braunen Haarschopf. Woran immer die beiden im Moment dachten, es musste ziemlich gut sein, denn ihre Blades zerbarsten regelrecht vor Power! Der 18jährige fühlte eine machtvolle Aura dahinter. Starke Emotionen mussten im Spiel sein! Er musterte die Kontrahenten genauer und grinste plötzlich. Man traute es ihm vielleicht nicht zu, aber er ahnte durchaus, welcher Art die Beziehung zwischen Kai und Tyson eigentlich war. Anstatt Statistiken auszuwerten, sollte er eventuell lieber ins Fachgebiet eines Kupplers wechseln - zumindest vorläufig, denn die gesamte Angelegenheit versprach, sehr interessant zu werden....

Ray beachtete überhaupt nichts von dem, was vor seinen Augen passierte. Er hatte sein Beyblade in der Hand und ließ seinen "Traum" - von dem er nach wie vor annahm, dass er sich tatsächlich ereignet hatte - wiederholt vor sich abspulen. Drigger, der sprechen konnte und ihn mit "Mein Hüter" anredete. Die Warnung vor etwas Bösem. Das Gleichgewicht der Schöpfung, das er erwähnte. Der Name. Er hatte ihn "Byakko" genannt. Er strich sich hektisch durch sein schwarzes Haar und seufzte. Sein Instinkt sagte ihm, dass er da auf eine enorm bedeutsame Sache gestoßen war, aber er konnte wohl schlecht jemandem erzählen, dass sein Bit Beast sich mit ihm unterhalten hatte! Was würden seine Freunde dazu sagen? Vermutlich so etwas wie: "Aber klar doch, Ray! Und morgen kaufen wir dir ein schönes weißes Jäckchen, so eins mit ganz langen Ärmeln, die man so hübsch zubinden kann...."

Hm.

Wo steckte eigentlich Max?

Ach richtig....der hatte ein Treffen mit Michael. Er wollte ihm endlich klarmachen, dass es zwischen ihnen nicht klappen würde. Ob dieser Idiot das auch kapierte? Klar, er sah gut aus, aber Max betrachtete ihn bloß als lästigen Verehrer! Glaubte Michael ernsthaft, darauf ließe sich eine Beziehung aufbauen?! Wie blöd konnte man sein?! Und was kümmerte das IHN?! Michael war an sich ein netter Kerl, und er zog über ihn her als wäre er eifersüchtig! Ray grummelte missmutig vor sich hin. Okay. Möglicherweise WAR er eifersüchtig, geringfügig natürlich (soso....), aber immerhin....Schluss, aus! Er würde jetzt Max suchen, das war allemal besser, als sich hier alleine weiter zu foppen! Er stand auf.

"Ich komme gleich wieder!"

"Was? He, du kannst doch nicht einfach abhauen, wo wir mitten im Training sind! Ray!! Dreh sofort um!! Hast du nicht gehört?!?!"

"Lass ihn gehen, er hat sicher einen ernsten Grund dafür." schaltete sich Dizzy ein, um ihren aufgeregt gestikulierenden Besitzer zu beruhigen.

"Ich hoffe für ihn, dass er nachher eine gute Entschuldigung hat! So wird das mit dem Training ja nie was!"

"Du bist ja heute so energisch?"

"Claude hat angerufen. Du weißt, er ist im selben Literaturclub wie ich, daher haben wir uns ein bisschen näher kennen gelernt. Er hat Stress mit Miguel und ich darf's ausbaden!"

"Fühlst du dich nicht geehrt, dass er mit dir über seine Beziehungsprobleme spricht?"

"Verarschen kann ich mich selber, Dizzy...."
 

Max war an der Brücke angelangt, wo er sich mit Michael treffen wollte. Unter ihm schlängelte sich ein Fluss in die Landschaft, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte wie Tausende von Edelsteinen. Er sah dem munteren Spiel der Wellen zu und beobachtete die Fische und anderen Tiere, die sich darin tummelten. Schon als kleines Kind hatte ihn Wasser stets wie magisch angezogen, es gab keinen Brunnen, keinen See, keinen Teich, zu dem er nicht hingelaufen wäre, um seine Hände hinein zu tauchen, kein Meer, dessen Fluten er nicht zu bezwingen versucht hätte. Er liebte es, zu schwimmen und eins mit dem kühlen Nass zu werden. Nichts denken zu müssen, für eine Weile vergessen zu können, einfach nur zu entspannen....das war einfach wundervoll. Und außerdem konnte er, aus was für biologischen Gründen auch immer, stundenlang in der Badewanne weichen, ohne eine schrumpelige Haut davon zu bekommen.

"Hallo Max."
 

Der Angesprochene wandte sich um und Michael grinste ihn herzlich an. Er hatte einen Strauß Rosen dabei und hatte sich ziemlich in Schale geworfen. Sogar sein langes Haar war zu einem ordentlichen Zopf zusammengebunden.

"Hier, die sind für dich."

Was war hier plötzlich los? Er schenkte ihm Blumen? Das war ja richtig romantisch....dabei hatte er Michael bisher als notgeil eingeschätzt. Sollte er sich geirrt haben? Aber jetzt konnte er doch nicht einfach so knallhart sagen, dass er seine Gefühle nicht erwiderte?

"Äh, danke schön....das ist wirklich lieb von dir. >>Was mache ich jetzt nur? Ich meine, ich habe mich nicht mit ihm verabredet, um mit ihm auszugehen....aber das denkt Michael vermutlich....<< Diese Rosen sind wunderschön....aber weißt du, ich habe dich eigentlich hergebeten, weil....weil ich mit dir reden muss....>>Klasse, Max! Du willst ihm also das Herz brechen, ja?<< Es handelt sich um folgendes: Du bist ein netter Kerl, Michael....etwas aufdringlich manchmal und ein wenig zu direkt in deinen Annäherungsversuchen....>>Sehr elegant umschrieben, wow! Und nun rammst du ihm ein Messer in die Brust, oder was?! Ich bin doch wirklich unmöglich!<<....und ich mag dich auch....allerdings nicht so, wie du es dir wünschen würdest....Ich glaube nicht....dass....dass eine Beziehung zwischen uns funktionieren könnte...." Da, es war heraus! Max wagte nicht, seinen Teamkameraden anzusehen, der nach diesen Worten sicherlich wie vor den Kopf geschlagen war.

"Sei nicht traurig oder sauer, ich bitte dich. Ich meine....es hätte keinen Sinn, wenn ich dir etwas vorlügen würde, oder? Wenn man eine Beziehung eingeht, müssen doch beide das gleiche empfinden, denkst du nicht auch?"
 

Nach einer längeren Pause, die mit unangenehmem Schweigen erfüllt war, fragte Michael monoton: "Liebst du....einen anderen?"

"Ich will ehrlich sein. Nein, ich liebe keinen anderen. Aber es gibt da einen Mann, der mir sehr gut gefällt und dem ich näherkommen möchte. Ich wäre glücklich, wenn daraus Liebe werden könnte...."

"....Ist er ein guter Kerl?"

"Ja, das ist er."

"Glaubst du, dass er ganz und gar lieben kann, nicht nur halbherzig?"

"Ja. Ich bin davon überzeugt. Er legt sein Herz in alles, was er tut. Wenn aufrichtige Gefühle da sind, würde er alles erdulden, um mich zu beschützen. Ich kenne ihn."

"Wenn das wahr ist....dann kann ich wohl nur hoffen, dass ihr zueinander findet, was? Ich habe dich unheimlich gern, Max....und ich will, dass du glücklich wirst. Wenn du dir das an meiner Seite nicht vorstellen kannst, ist es besser so. Bleiben wir wenigstens Freunde?"

"Ist das ein Trost für dich?"

"Ein bisschen. Schlimmer wäre es, wenn du dich gänzlich von mir abwenden würdest."

"Danke, Michael. Vielen Dank. Ja, wir bleiben Freunde."

Max umarmte seinen Mannschaftskollegen und wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augenwinkeln. Er musste zugeben, sich in Michael getäuscht zu haben. Tatsächlich war dieser ein weitaus reiferer und erwachsenerer Bursche, als er angenommen hatte. Sein Verzicht war ein Beweis für die Ehrlichkeit seiner Gefühle....und das bedeutete ihm sehr viel. Sie trennten sich in Zuversicht und aller Freundschaft. Danach schlenderte der Blonde am Ufer des Flusses entlang, sog den Duft nach Gras und Wind ein und....stieg Platsch! in eine Pfütze. Max wollte schon losschimpfen, als ihm auffiel, dass da nicht nur eine Pfütze war, sondern sich vor ihm ein kompletter Weg aus Wasserlachen erstreckte.
 

>>Das Wasser weist mir den Weg, eh? Warum nicht? Ich bin Zeit meines Lebens durch den Regen spaziert oder durch Pfützen gesprungen....Ich folge der Spur. Wer weiß schon, wohin sie mich führt?<<

Der Amerikaner schlenderte gemütlich den markierten Weg entlang, als eine der Pfützen vor ihm sich schwarz färbte, in die Höhe schoss und eine menschliche Form annahm. Er wich in abergläubischer Scheu zurück, als die Gestalt sich manifestierte und bekannte Züge entwickelte. Max vergass vor Schreck, zu atmen.

Boris!

"Hallo, mein junger Freund aus den United States! So sieht man sich wieder."

"Wie....wie kann das....?"

"....sein? Oh, ich bin weitaus mehr als man auf den ersten Blick erkennen kann. Mr. Dickenson, dieser alte Trottel, war offenbar der Ansicht, ich hätte aufgegeben....Ha! Ich hätte ihn für klüger gehalten! Meine Macht ist nun so stark wie einst! Das Gleichgewicht der Schöpfung ist bereits vernichtet - meiner Herrschaft steht nur noch eins im Wege: Die Kraft der Heiligen Kreaturen, von denen du eine bewachst! Also beuge dich deinem Schicksal und stirb!!"

Damit schleuderte Boris eine Kugel dunkler Energie auf den völlig verwirrten und entsetzen Max, der kaum wusste wie ihm geschah. Die Attacke traf ihn frontal und er wäre gewiss brutal auf dem harten Boden aufgeschlagen und hätte sich sämtliche Knochen gebrochen, wenn ihn nicht jemand aufgefangen hätte.

"Alles in Ordnung mit dir, Max?"

Starke Arme lagen wie ein Gürtel um die schmale Taille geschlungen und der Blonde spürte das harmonische Spiel der Muskeln dieses Oberkörpers unter dem dünnen Stoff, der sich gegen seinen Rücken drückte. Er hob den Kopf und versank in einem Paar goldener Augen.

"Ra-Ray?!"
 

Der Chinese ließ ihn los und presste dabei eine Hand auf seine linke Brusthälfte, die, seit er Boris' ansichtig geworden war, schmerzhaft zog und brannte.

"Sie!" stieß er angewidert hervor. "Haben Sie nicht damals schon genug Ärger gemacht? Was wollen Sie hier?! Und wovon reden Sie überhaupt?!"

"So vergesslich, Byakko?"

Ray zuckte unmerklich zusammen. Was bei allen Göttern ging hier bloß vor?! Woher wusste Boris von diesem Namen? Seine Brust meldete sich noch stärker und er sackte ungewollt in die Knie. Max legte ihm besorgt einen Arm um die Schulter.

"Was hast du, Ray? Tut dir was weh?"

"Du kannst es fühlen, nicht wahr? Die Kraft der Erde, die dir einstmals gehörte, kehrt zu dir zurück! Und genau deswegen muss ich euch eliminieren!"

Er erschuf ein neues Geschoss und schickte es in die Richtung seiner Feinde. In diesem Moment ertönte ein lautes Fauchen und Rays Beyblade rollte aus seiner Tasche. Es leuchtete in einer lebensspendenden Erdfarbe und schließlich brach Drigger in seiner ganzen raubtierhaften Majestät daraus hervor. Mit einem Prankenhieb wehrte er die Energiekugel ab, die zu Boris zurück raste. Dieser errichtete ein Schutzschild und blieb davon unberührt.

**Verflucht seist du, Hades! Wage es nicht noch einmal, zwei der Hüter anzugreifen!**

"Sonst was? Ich hatte niemals Angst vor Euch, ehrenwerte Gottheit! Dennoch ist Euer Erscheinen ungünstig für mich! Aber verlasst Euch darauf: Ihr habt mich nicht das letzte Mal gesehen!" Er lachte boshaft und löste sich in schwarzen Rauch auf.

Drigger knurrte und wandte sich zu den beiden jungen Männern um, die ihn immer noch fassungslos anstarrten. **Öffne dein Hemd!** befahl er dem Schwarzhaarigen, der widerspruchslos gehorchte. Er runzelte die Stirn, als er die Zeichnung sah, die sich über seinen Brustkorb erstreckte: Ein Tiger mit großen Krallen und aufgerissenem Rachen.

"Heute morgen hattest du diese Tätowierung aber noch nicht!" erklärte Max verblüfft und nach wie vor nicht ganz sicher, ob er gerade nicht einfach nur einen fantastischen Traum hatte. Ray strich über die feinen Linien hinweg und knöpfte das chinesische Hemd wieder zu.

"Drigger, sag mir eines....Was geht hier vor?"

Die Geschichte der vier Hüter

So, da bin ich wieder! Und warum ich nicht alle Teile gleich hochlade: Animexx hat doch diesen Freischaltstau und man soll nach Möglichkeit keinen Massenupload veranstalten, deswegen....Ich werde mich trotzdem bemühen, die bisherigen Teile auch hier schnell reinzustellen, versprochen! In diesem Kapitel habe ich einen Song eingebaut, der sozusagen als Soundtrack in der entsprechenden Szene fungieren soll. Die erste Strophe betrifft Talas Gefühle, die zweite die von Kai. Und nun viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 5: Die Geschichte der vier Hüter
 

Der Angriff von Boris - oder Hades, wie Drigger ihn genannt hatte - lag nun schon zwei Tage zurück. Im Büro von Mr. Dickenson hatten sich die Bladebreakers versammelt, alle, auch Kenny, denn Tyson hatte gefordert, dass der Chef ebenfalls ins Vertrauen gezogen werden sollte. Der Vorstand der BBA hatte dem Drängen Rays nachgegeben, nachdem dieser von seinen merkwürdigen Erlebnissen berichtet hatte, was Kai und Tyson dazu veranlasste, selbiges zu tun. So hatte man sich in den altehrwürdigen Mauern der BBA zusammengesetzt und wartete darauf, dass der alte Mann mit der Wahrheit herausrückte. Mr. Dickenson marschierte vor dem Panoramafenster auf und ab, die Hände im Rücken verschränkt, mit sorgenvoller Miene.

"Drei von euch haben also diese Tätowierungen bereits bekommen?"

Allgemeines Nicken der betreffenden Personen war die Antwort. "Nun....auch du wirst bald eine solche Zeichnung tragen, Max. Sie sind das Symbol eurer Kräfte, die nun dabei sind, in vollem Umfang zu erwachen. Habt ihr eure Beyblades dabei? Legt sie bitte auf den Tisch!"

Eine Minute später zierten Dranzer, Dragoon, Drigger und Draciel den wuchtigen Schreibtisch aus Zedernholz und der in Ehren ergraute Herr betrachtete die Blades eine Weile schweigend, wie in tiefes Nachdenken gehüllt.

"Wo....soll ich anfangen?"

"Beim Anfang." meinte Kenny schlicht und sein Gegenüber seufzte. Er legte die Hände wie im Gebet zusammen und bunte Lichtfunken erschienen um sie herum. Langsam bauten sie eine Art magischen Spiegel vor den Anwesenden auf und zeigten eine herrliche, unberührte Landschaft. "Was ist das?" fragte Kai ungeduldig.

"Das....das ist Eden."

"Pardon? Sie meinen den Garten Eden? Den aus der Bibel?"

"Nicht doch. Eden ist der Name meiner Heimat, der Name des Ortes, an dem ich geboren wurde. Damals hieß ich noch Diomedes."

"Damals?"
 

"Ja. Damals vor zehntausend Jahren, als die Menschen gerade damit begannen, diese Welt für sich zu entdecken. Damals, als das Gleichgewicht der Schöpfung noch nicht zerstört war. Ihr habt recht - ich hätte euch gleich die Wahrheit sagen sollen, als ihr hier wieder zusammen-getroffen seid. Aber ich glaubte, es wäre noch Zeit....ich habe mich getäuscht. Kai, Tyson, Ray, Max....ich will euch also eine Geschichte erzählen....eure Geschichte!" Das Bild des magischen Spiegels flackerte und man sah die Gestalten von vier Tieren: Einen Drachen, einen Phönix, einen Tiger und eine Schildkröte.

"Der Planet Erde ist die Welt, die ihr als die eure kennt, aber ihr habt nicht immer hier gelebt. Vor zehntausend Jahren wart ihr Bewohner von Eden, der Welt der Wächter. Sie baut sich in sieben Sphären über der Erde auf und ihre Aufgabe ist es, diesen Planeten vor allem Bösen zu beschützen und sein Gleichgewicht - das Gleichgewicht der Schöpfung - zu bewahren. Eden wurde verteidigt und behütet von vier mächtigen Schutzgöttern: von Dranzer dem Phönix, Repräsentant des Südens; von Dragoon dem Drachen, Repräsentant des Ostens; von Drigger dem Tiger, Repräsentant des Nordens und schließlich von Draciel der Schildkröte, Repräsentant des Westens. Jede dieser Gottheiten wählte einen eigenen Hüter aus, der sich die Kraft des zugehörigen Elements zunutze machen sollte, um das Gleichgewicht der Schöpfung aufrechtzuerhalten und gegen dunkle Einflüsse abzuschirmen. Dranzer erwählte für diese Aufgabe den jungen Suzaku, dem die Kontrolle über das Feuer oblag, während Dragoon sich für Seiryuu entschied, der den Wind beherrschte. Drigger ernannte Byakko zu seinem Wächter und übertrug ihm die Macht der Erde, wohingegen Draciel sich Genbu aussuchte, dessen Element das Wasser war. In ganz Eden waren sie als die besten Kämpfer und stärksten Magier bekannt und niemand war sonderlich erstaunt über die Wahl der vier Götter. Ich selbst, als Zaubermeister Diomedes, hatte sie ausgebildet und hatte allen Grund, stolz auf meine ehemaligen Schüler zu sein. Sie übten ihre Pflicht mit großer Ernsthaftigkeit und Disziplin aus und sicherten den Frieden im Reich. Auf diese Weise konnten sie und die anderen Wächter ein Auge auf die Erde und vor allem die Menschen haben. Unser Volk war glücklich. Doch dann...."
 

Mr. Dickenson unterbrach sich und vergrub sein Gesicht in der rechten Hand, als quäle ihn der Gedanke, weitersprechen zu müssen. "Fahren Sie fort." bat Max in sanftem Ton.

"....dann suchte eine finstere Macht aus den Tiefen der Unterwelt unser Paradies heim. Ich weiß nicht, wann oder wie er sich dort eingenistet hatte, aber er war das personifizierte Böse, ein Wesen, das wohl aus den Weiten des Alls stammte und sich die Erde untertan machen wollte. Die Unterwelt, die sich in sieben Sphären unter der Erde erstreckte, hieß einst Elysium. Es war ein wunderschöner Ort für all jene, die gestorben waren und deren Seelen die ewige Ruhe gefunden hatten, ein Platz für Menschen, Wächter und Kreaturen. Doch als sich die schwarze Präsenz dort ausbreitete wie eine Seuche, wurde Elysium vollkommen vernichtet und von Grund auf vergiftet. Es verwandelte sich in den dunklen Hades....und das war auch der Name des neuen Regenten dieser kranken, gefährlichen Welt: Hades, der Herr der Zerstörung. Er manipulierte die Seelen der Verstorbenen und schuf sich ein Heer loyaler Dämonen, Schwarzer Ritter und Krieger, um Eden angreifen zu können. Viele verzweifelte Schlachten wurden geschlagen, bis beide Seiten sich dazu entschlossen, ihre Elitekämpfer ins Gefecht zu schicken. Für Eden waren das Suzaku, Seiryuu, Byakko und Genbu. Und für Hades waren das seine Ritter der Verdammnis, Deimos, Iras, Sol und Leviathan, wobei Deimos aus der Welt der Menschen stammte und Iras, Sol und Leviathan einst treue Verfechter für den Sieg Edens gewesen waren, ehemalige Wächter. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass keiner von ihnen wirklich aus freien Stücken zu Hades übergelaufen ist. Vermutlich hat er sie mit seinen finsteren Kräften manipuliert, ihr Gedächtnis gelöscht, ihre Erinnerungen zu Halbwahrheiten oder Lügen verdreht, sie erpresst oder sonst irgendetwas in dieser Art....Dinge eben, die typisch für ihn sind. Jedenfalls....kam es zu einer ersten großen Auseinandersetzung zwischen den acht Kriegern und Hades, in deren Verlauf Seiryuu von Hades umgebracht wurde....Es gelang mir noch, Dragoons Seele in ein Medaillon einzuschließen, als sein Körper vernichtet wurde. Suzaku war danach noch tagelang halb wahnsinnig vor Schmerz, denn er hatte Seiryuu sehr geliebt....Endlich stand die Entscheidungsschlacht an, das grausamste und schlimmste Gefecht, das ich je erlebt habe. Genbu und Byakko wurden getötet und auch Suzaku erlag wenig später seinen schweren Verletzungen. Aufgrund der Verbindung zwischen den Schutzgöttern und ihren Hütern wurden die Körper von Dranzer, Draciel und Drigger gleichfall zerstört und ich musste ihre Seelen in magischen Amuletten versiegeln. Jene tödliche Explosion, die sich ereignete, als die gesammelten Mächte aller Beteiligten aufeinander trafen, schleuderte Deimos und sein Gefolge lebensgefährlich verwundet auf die Erde, wo sie letzten Endes starben.
 

Hades' Energie war auf den Nullpunkt herabgesunken und er würde viel Zeit brauchen, um seine Wunden zu lecken.... sehr viel Zeit....Zumindest hatte er sein Ziel erreicht: Ohne die vier Götter und ihre Wächter konnte das Gleichgewicht der Schöpfung nicht aufrechterhalten werden und zerbrach. Eden ging daran zugrunde und die Auswirkungen wurden auch in der Welt der Menschen spürbar, denn das Gleichgewicht der Schöpfung hatte dafür gesorgt, dass die Natur sich selbst wieder regenerierte, wenn die Menschen in ihrer Dummheit und Unwissenheit einen Fehler begingen. Als das Gleichgewicht noch intakt war, war dieser Heilungsprozess innerhalb kürzester Zeit vonstatten gegangen, doch nun konnte die Natur nicht mehr mit der Geschwindigkeit mithalten, mit der die Menschen ihre eigene Heimat zerstörten. Luftverschmutzung, Ölpest, Müll, Chemikalien, Waldrodungen....was weiß ich noch alles! Aus dem Gleichgewicht geraten, konnte die Schöpfung sich nicht mehr selbst helfen....der Planet wurde krank, seine natürliche Schutzbarriere gegen schädliche Einflüsse fiel in sich zusammen und machte ihn angreifbar. In diesem Zustand würde es für Hades ein Leichtes sein, die Erde einzunehmen, sobald er wieder seine volle Macht zurückgewonnen hatte....Zehntausend Jahre hat er sich nicht gerührt und ich dachte, er hätte aufgegeben....bis ich ihn wiedersah und er nichts anderes zu tun hatte, als meine Organisation in einen Skandal zu verwickeln...."

"Boris?!"

"Ja, Boris. Er ist Hades. Deswegen musste er alles daran setzen, euch in die Knie zu zwingen, denn er wusste, wer ihr wart. Die einzigen, die ihn stoppen könnten, nachdem er zehntausend Jahre auf seine Chance gewartet hatte....Ihr, die ihr die Reinkarnationen der vier legendären Wächter seid. Eure Kräfte erwachen, denn die Tragödie von damals darf sich nicht wiederholen! Das Gleichgewicht der Schöpfung muss wiederhergestellt werden! Diesmal müssen wir Hades ausschalten, oder dieser Planet wird es büßen!"
 

Stille.

Was hätte man auch auf eine solche Geschichte erwidern sollen? Kenny spielte mit seiner Brille, Max starrte zum Fenster hinaus, Ray zwirbelte eine seiner Haarsträhnen, Tyson untersuchte die Maserung des Fußbodens....und Kai? "Mr. Dickenson....nein, Diomedes....Sie sagten, Suzaku hat....Seiryuu....geliebt?"

Ein gewisser blauhaariger Beyblader hielt bei diesen Worten die Luft an und seine Aufmerksamkeit richtete sich vom Bodenbelag auf den 20jährigen Russen. Irgendwie beschlich ihn mit einem Mal das seltsame Gefühl, mit dem Älteren ganz allein im Zimmer zu sein.

"....Ja. Es war eine tiefe und leidenschaftliche Liebe, die....die euch stark machte und euch gemeinsam den schlimmsten Gefahren trotzen ließ. Suzaku starb mit Rachegedanken an Hades im Herzen....er konnte ihm nicht verzeihen. Wie auch? Aber ihr werdet noch Zeit genug haben, euch mit den Geschehnissen von damals zu beschäftigen. Eure Erinnerungen werden langsam zurückkommen, ebenso das Wissen um eure Macht und wie ihr sie einsetzen könnt. Hades hat sich mit dem Angriff auf Max vor zwei Tagen....nun ja, offiziell vorgestellt. Er wird abwarten, sich auf die Lauer legen und eine neue Attacke starten, wenn ihr am wenigsten damit rechnet - dennoch, seid vorbereitet! Die Meisterschaften werden weiterlaufen, als wenn sich nichts geändert hätte! Wir müssen den Schein der Normalität wahren, verstanden?"

Damit war das Treffen beendet und fünf sehr schweigsame junge Männer kehrten in den Kinomiya-Dojo zurück. Kenny, dessen einzige Religion bisher die Technik gewesen war, fühlte sich ein wenig überfordert von dem ganzen Gerede über Magie, Krieger, Wächter, andere Dimensionen, dunkle Kräfte und Wiedergeburt.
 

Seinen Freunden erging es aber ähnlich, zumal sie diese Sache zu allem Überfluss direkt betraf. Ob Mr. Dickenson wirklich annahm, dass sie das alles so einfach schluckten? Man trennte sich und verteilte sich auf die jeweiligen Zimmer, denn jeder von ihnen hatte das Bedürfnis, mit sich allein zu sein. Tyson blieb diese Möglichkeit jedoch verwehrt, da das Telefon in der Diele zu klingeln anfing. Kai wollte gerade die Treppe hinaufeilen, als er zufällig ein paar Gesprächsfetzen aufschnappte.

"He? Hallo Tala, du bist es!" - "Ich? Du bittest mich zu einem gemeinsame Training?" - "Doch, doch, ich habe Zeit! Es ist nur....ach, das würdest du ohnehin nicht verstehen!" - "Nein, es ist nichts passiert, ehrlich! Ich glaube sogar, eine Runde Beybladen täte mir jetzt gut! Bis gleich!"

Tyson angelte nach einer Jeansjacke, schlüpfte zurück in seine Turnschuhe und sprintete zur Bushaltestelle. Er wusste, dass die einzelnen Teams im "Tokyo Palace"-Hotel untergebracht waren und er hoffte, sich durch seinen Lieblingssport etwas von dem ablenken zu können, was Mr. Dickenson ihnen anvertraut hatte. Als er das Gefährt verließ, frischte der Wind auf und spielte mit seinem meerblauen Haar. Er atmete tief durch und legte den Kopf in den Nacken, um die angenehme Brise zu genießen. Ein Schwarm Raben flog wie ein langer schwarzer Schleier über ihn hinweg, frei von allen Regeln und Zwängen, unabhängig und ungebunden wie der Wind selbst. Sein Element, wie er jetzt wusste. Er sah den Vögeln gedankenverloren nach und fragte sich, womit das Schicksal seine Freunde und ihn noch konfrontieren würde. Er war so versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie jemand auf ihn zukam.
 

Es war Tala, denn das "Tokyo Palace" war nicht weit von der Haltestelle entfernt und der Russe wollte den Jüngeren abholen, aus reiner Höflichkeit natürlich (aha....). Der ernste Ausdruck in dem schönen Antlitz machte ihn stutzen und so wagte er es nicht, den Japaner anzusprechen. Er musste sich eingestehen, dass er den anderen, den er als quirlig, aufgedreht und hyperaktiv kennen gelernt hatte, noch nie so....beunruhigend erwachsen erlebt hatte. Es war eine merkwürdige Aura von Reife und einer gewissen kühlen Eleganz um ihn herum, die ihm völlig fremd schien, ihn aber nichtsdestotrotz faszinierte und insgeheim begeisterte. Er räusperte sich und Tyson wandte sich ihm zu. Als er Tala erkannt hatte, lächelte er charmant und ungemein anziehend. Dem Russen wurde ein wenig flau im Magen, und seine Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln, mehr gestattete er sich nicht. Bei sich dachte er: >>Umwerfend, schlicht und ergreifend umwerfend! Ich habe noch nie zuvor so ein einzigartiges Lächeln gesehen, das einem bis ins Herz dringt....vielleicht weil es so offen und natürlich ist? So ohne jede Falsch, ohne Argwohn, ganz ungezwungen? Ich kenne nicht viele, die so lächeln können.... seine Augen strahlen dabei....Verflixt Tyson, was machst du nur mit mir?<<

Die Wangen des 22jährigen röteten sich ein bisschen und er straffte die Schultern, um sich Haltung zu geben. "Ich wollte dich abholen! Komm, lass uns gehen!"

Tala ergriff - ob unbeabsichtigt oder nicht, konnte er selbst nicht genau sagen - die Hand des Japaners und geleitete ihn zum Hotel. Normalerweise wäre es ihm peinlich gewesen, mit irgend jemandem händchenhaltend durch die Straßen zu flanieren, aber bei Tyson war es anders, er empfand es sogar als schön, ärgerte sich aber auch gleich über diese Feststellung. Sie betraten das Foyer und der 19jährige winkte den übrigen Mitgliedern der Blitzkrieg-Boys zu. Bryan grinste keck und sein Blick fiel auf die zwei ineinander verschränkten Hände. Er blinzelte kurz, sein Grinsen verkrampfte sich einen knappen Moment, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. "Hallo Tyson! Toll, dass du die Einladung angenommen hast! Komm, wir bringen dich zur Liegewiese vom Hotel, da hat man Beyblade-Arenen aufgestellt für die Dauer der Weltmeisterschaft. Du bist Tala noch eine Revanche schuldig!"

"In Ordnung!"
 

Kurz darauf hatten sich Tyson und das russische Team auf der Liegewiese versammelt. Spencer gab den Schiedsrichter und es konnte losgehen. Die beiden Blades bzw. Wolborg und Dragoon trafen frontal aufeinander und schlugen unbarmherzig aufeinander ein.

"Du warst schon immer zäh, Tyson! Aber diesmal werde ich es dir nicht mehr so leicht machen!"

"Das wird sich noch zeigen, Tala!" Der Blauhaarige schloss die Augen, um sich auf seine große Attacke zu konzentrieren. Er spürte, dass die Tätowierung pulsierte, und eine neue, ungekannte Kraft stieg in ihm auf. Ihm war, als könne er sich jede Sekunde in den Himmel erheben und durch die Lüfte gleiten, leicht und unbeschwert. Es stimmte also, dass die Zeichnung auf seiner Brust das Symbol seiner Macht war und immer dann in Aktion trat, wenn er sich darauf vorbereitete, seine Magie einzusetzen. Der Japaner hatte mit einem Mal das Gefühl, völlig ohne Gewicht zu sein, wie eine Feder. Eine zarte Brise umwehte seinen Körper, die stärker und stärker wurde, bis ein Windwirbel ihn einhüllte, ohne ihn jedoch von den Füßen zu reißen. Spencer und Ian wichen zurück und hielten sich ungläubig am nächstbesten Baum fest, während Tala wie gebannt auf die tosende Säule starrte, die seinen Gegner eingeschlossen hatte. So entging ihm auch, dass Bryan auf die Knie sank, als verneige er sich respektvoll. Endlich fegte die Bö über die Arena hinweg. Tysons Blade schien vergnügt in dem Wind herum zu tanzen, ohne sonderlich davon berührt zu sein, Wolborg allerdings wurde meterweit aus dem Ring an die Hauswand geschleudert, wo er steckenblieb. Der Wirbel legte sich und der 19jährige tauchte wieder auf, die Augen immer noch geschlossen. Erst langsam sah er sich um und begriff, dass er das Match gewonnen hatte. Sein Blick verweilte erstaunt auf Bryan, der nach wie vor auf dem Boden kniete. Schließlich hob er den Kopf.

"Ihr wisst es also." stellte er fest. Das war alles, was er sagte. Tyson verstand nicht recht. Er wandte sich zu seinem Kontrahenten und erschrak, als ihm bewusst wurde, dass der Angriff Tala nach hinten geworfen hatte. Seine beiden anderen Teamkameraden klebten immer noch wie ein paar fluguntaugliche Hähne an zwei Baumstämmen. Bryan erhob sich.
 

"Ihr könnt jetzt loslassen, ihr Helden! Wenn ihr keinen Zugwind vertragt, solltet ihr lieber drin bleiben!"

"Zugwind nennst du das?! Bist du verrückt?! Das hat uns förmlich umgeblasen!"

"Euch, ja. Mich nicht."

"Das stimmt. Wieso eigentlich?"

"Das hat euch nicht zu interessieren."

Der Japaner indessen war zu dem Rothaarigen geeilt und half ihm auf die Beine. "Du bist doch hoffentlich nicht verletzt?" erkundigte er sich besorgt, einen Arm stützend um Tala schlingend. Diese Berührung brachte den Älteren erneut in Verlegenheit und so schüttelte er den Kopf.

"Nein, mir geht es gut. Eine unglaubliche Power, so etwas habe ich noch nie erlebt. Ich wusste ja, dass du ein ausgezeichneter Blader bist....aber dass du so stark geworden bist....Das ringt sogar mir Respekt ab."

"Vielen Dank. Du kannst ja richtig charmant sein, wenn du willst."

Tala, der an eine solch neckende Redeweise nicht gewöhnt war, wurde noch ein Stück röter und ließ sich gehorsam von Tyson auf einen Stuhl bugsieren. Bald darauf drückte er ihm sein Beyblade wieder in die Hand.

"Wolborg sieht ein bisschen mitgenommen aus, aber das lässt sich reparieren. Du bist doch nicht wütend auf mich, dass ich ihn gegen die Mauer gedonnert habe?"

"Nein, schließlich war das ein Wettkampf. Du hast gewonnen. Ich habe mittlerweile gelernt, Niederlagen zu akzeptieren."

"Außer in der Liebe, nicht wahr?" bohrte eine Stimme in seinem Kopf nach. Es war eine kalte, harte Stimme, die Tala zu hassen gelernt hatte - die Stimme von Boris. Er zuckte zusammen. "Hast du das auch gehört?"

"Was meinst du?"

"....Ach, nichts. Vergiss es einfach."

Tyson zog die Stirn in Falten und streichelte dem anderen sanft über die Wange, was den 22jährigen erbeben ließ. "Du siehst plötzlich so blass aus. Vielleicht bist du doch angeschlagener, als du glaubst. Du solltest dich hinlegen."

"Es ist nichts, wirklich!"

"Ist er nicht süß?" erklang wieder die verachtenswerte Stimme. "Wie besorgt er ist! Aber so ist er nun einmal, unser Tyson! Stets will er sich um seine Freunde kümmern, ohne auf sich selbst zu achten! Es tut dir wohl, dass er so freundlich zu dir ist, nicht wahr, Tala? Aber du weißt ganz genau, dass du ihn nie haben kannst! Er wird nie DICH lieben! Schmerzt dieser Gedanke?"
 

Der Russe fuhr herum, als eine eisige Präsenz seinen Rücken streifte. Hatte er jetzt schon Halluzinationen? Hörte und fühlte er Dinge, die gar nicht existierten? Boris war weit fort und würde sich nie wieder in sein und das Leben seiner Freunde einmischen! Er drehte sich zu dem Blauhaarigen und wurde von den schokoladenbraunen Seelenspiegeln, deren Tiefe und Wärme ihn durchdrangen bis ins Innerste, eingesogen wie von der unwiderstehlichen Kraft eines Tornados, der sich nichts in den Weg zu stellen vermochte. Talas Herz begann wie rasend zu pochen.

"Guten Tag!"

Der Rothaarige schoss pfeilschnell herum, als hätte ihn etwas gebissen. Vor dem Japaner und den Blitzkrieg-Boys stand Kai mit verschränkten Armen und er wirkte alles andere als gut gelaunt. Seine rubinfarbenen Augen schickten feurige Blitze in Richtung Tala und dieser schürzte missmutig die Lippen. Was sollte das? Wofür hielt Kai sich eigentlich? Für Tysons Besitzer oder was?! Verärgert erwiderte er den feindseligen Blick. In der angespannten Atmosphäre starben Ian und Spencer bereits tausend Tode, wohingegen Bryan das Ganze ziemlich gleichgültig verfolgte, so kam es ihnen zumindest vor. Tyson bemerkte, dass die Umgebung deutlich unterkühlt war, obwohl er sich den Grund dafür nicht erklären konnte. Er verstaute Dragoon in seiner Oberarmtasche, lächelte ein "Hallo" zu Kai, verabschiedete sich vom Team und trat mit dem 20jährigen den Nachhauseweg an. Sie marschierten fünf Minuten schweigend nebeneinander her, bis der Jüngere es nicht mehr aushielt.

"Warum bist du gekommen? Hast du das Telefongespräch mit angehört? Du wolltest mich doch nicht etwa abholen, oder doch?"
 

Kai antwortete nicht, auf irgendeine Art beschämt, obgleich er nicht genau wusste worüber. Die vergangenen fünf Minuten hatte er nämlich damit zugebracht, Tysons makelloses Profil zu studieren, als wolle er sich jede einzelne Nuance dieses Gesichts ganz genau einprägen. Er konnte nicht richtig beschreiben, was ihn daran so faszinierte. Er verfügte über einen Sinn für Schönheit und war es gewohnt, selbige zu zergliedern, aber bei dem Japaner versagte er. Vielleicht, weil er keinen Fehler entdecken konnte? Vielleicht, weil allein der Anblick des herrlichen Haares genügte, um ihn ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit verspüren zu lassen, die er dem andern schenken wollte? Vielleicht, weil Begehren in seinen Lenden aufkeimte, betrachtete er die vollen, sinnlichen Lippen, denen die Macht der Verführung innewohnte? Wie mochten sie schmecken? Und dann die Tatsache, dass er Tyson gefolgt war! Was für ein dummes, albernes, für ihn völlig untypisches Benehmen! Er hatte über die Hecke hinweg, welche die Liegewiese umfasste, hinein gelugt und alles mit angesehen. Tala, der von Tyson gestützt wurde, Tala, um den Tyson sich sorgte, Tala, den Tyson liebevoll berührte....das hatte ihm den Rest gegeben. Ohne noch wirklich klar denken zu können, war er in die Idylle hineingeplatzt, von Zorn und Eifersucht getrieben. Was war geschehen, dass er so abrupt die Kontrolle über seine Gefühle verlor? Das passte nicht zu ihm! Tyson war der Auslöser für diese seltsame Schwäche....und obwohl Kai es nur ungern zugab, empfand er sie als eine süße Schwäche, die man ruhig zulassen, die man erlauben konnte....Ob das mit seiner Vergangenheit zusammenhing, seinem früheren Leben? Mr. Dickenson hatte berichtet, dass Suzaku Seiryuu geliebt habe....aber wie stand es mit ihm? Konnte er überhaupt lieben?
 

Tala war in das Doppelzimmer zurückgekehrt, das er sich mit Bryan teilte. Er war sehr verstimmt über Kais Erscheinen. Musste der unbedingt aufkreuzen?! Er trat auf den Balkon hinaus und seine Augen folgten Tyson und dem Graublauhaarigen, als sie zur Haltestelle gingen. Etwas in ihm krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er sich an das Lächeln erinnerte, mit dem der Japaner seinen Teamkollegen begrüßt hatte. Wieder meinte er, eine eisige Aura wahrzunehmen, doch er schüttelte den Verdacht entschieden ab. Wie anmutig sich Tyson bewegte....und dabei sehr natürlich, ohne dass es gekünstelt wirkte. Und der Zauber seiner wunderbaren Augen, der ihn vorhin in seinen Bann geschlagen hatte....Wieder beschleunigte sich sein Herzschlag und er rief sich Bilder des ersten Gefechts ins Gedächtnis, das er gegen den Japaner bestritten hatte.
 

Baby, I'm so into you

You got that something

What can I do?

Baby, you spin me around

The earth is moving

But I can't feel the ground
 

Everytime you look at me

My heart is jumping

It's easy to see
 

You drive me crazy

I just can't sleep

I'm so excited

I'm into deep

Crazy, but it feels alright

Baby, thinking of you

Keeps me up all night
 

Tala seufzte tief. Das willensstarke, tapfere Brennen in diesen berückenden Augen, die Dynamik der geschmeidigen Bewegungen, dieses Gefühl von Unbezähmbarkeit....

....das auch Kai gerade einfiel. Wie oft hatte er schon gegen jenen gekämpft, der auf wundersame Weise zu seinem besten Freund geworden war. Er spazierte in diesem Moment neben ihm, hätte nur die Hand auszustrecken brauchen, um die andere zu umschließen....Soweit er zurückdenken konnte, hatte er immerfort stark und unbesiegbar sein müssen, weil es niemanden gab, bei dem er sich hätte anlehnen können, niemanden, der seine Schwäche als solche akzeptiert und ihn dennoch geliebt hätte....Geborgenheit und Verständnis hatte er nie kennen gelernt, bis er Tyson traf und langsam anfing, dessen Freundschaft anzunehmen.... Damals war er ein lauter und mitunter sehr nervenaufreibender Angeber gewesen mit einer verborgenen, sanften, einfühlsamen und empfindsamen Seite, die er selten zeigte. Er war kein umwerfender Denker oder Taktiker, aber er kannte die Bedeutung einer tröstenden Hand, wusste, wie wertvoll ein freundliches Wort oder ein aufmunterndes Lächeln sein konnten....Ja, er konnte großspurig und arrogant sein, aber wenn ihn jemand wirklich brauchte, war er da, und wenn die gesamte Welt sich gegen ihn verschworen hätte....Wer konnte so ein Menschenkind nicht gern haben?
 

Tell me you're so into me

That I'm the only one you will see

Tell me I'm not in the blue

That I'm not wasting my feelings on you
 

Everytime I look at you

My heart is jumping

What can I do?
 

You drive me crazy

I just can't sleep

I'm so excited

I'm into deep

Crazy, but it feels alright

Baby, thinking of you

Keeps me up all night
 

Tyson war sich der zwei intensiven Blicke (einer direkt von der Seite, einer von einem Balkon), die auf ihm ruhten, gar nicht bewusst. Da Kai keinerlei Anstalten machte, seine Fragen zu beantworten, verblieb er still, denn er wusste aus Erfahrung, dass es keinen Sinn hatte, den Russen zu einer Erwiderung zu bewegen, wenn er absolut nicht wollte. Der Wind spielte mit seinem langen Haar und kitzelte ein bisschen seine Haut, sodass er lachen musste. Der melodiöse Klang dieses kristallklaren Lachens wurde von den beiden heimlichen Verehrern eingesogen wie das Wasser von einer Blume, die einer monatelangen Dürre getrotzt hat.
 

You drive me crazy

(Sing it)

Crazy

(Stop)
 

You drive me crazy, Baby

Excited

I'm into deep

Oh but it feels alright

Baby, thinking of you

Keeps me up all night
 

You drive me crazy

I just can't sleep

I'm so excited

I'm into deep

Crazy, but it feels alright

Baby, thinking of you

Keeps me up all night
 

Die Haltestelle war erreicht und die Blader setzten sich nebeneinander in das Wartehäuschen. Sie waren nun Talas Augen entzogen, dafür aber verwirrte Kai Tysons Nähe immer mehr. Er machte sich eindeutig zu viele Gedanken um seinen Kameraden!! Im Grunde hatte es ihn doch gar nicht zu kümmern, mit wem der Japaner abhing oder mit wem er sich anfreundete!

>>Verdammt....aber es ist mir nicht egal! Schon in den letzten sechs Jahren hatte ich mitunter ein so starkes Verlangen danach, ihn wiederzusehen, dass es mir geradezu unheimlich war.... und nun? Nun, da ich ihn wiedergesehen habe, ist alles noch komplizierter geworden! Nicht nur wegen der Sache mit unserer Wiedergeburt und diesem Unsinn....sondern weil wir beide erwachsen sind....Die Zeit der Schwärmerei ist vorüber....ernstere Gefühle könnten sich entwickeln....oh Tyson....was machst du bloß mit mir?<<
 

Crazy

Crazy
 

You drive me crazy

But it feels alright

Baby, thinking of you

Keeps me up all night

Die Zusammenkunft des 9. Saeculum

So, es geht weiter!! Dieses Kapitel wird wieder einmal beweisen, dass ich eine Vorliebe für seltene bzw. ungewöhnliche oder noch nie dagewesene Pairings habe...*erstaunt ist, dass noch kein Leser die Flucht ergriffen hat* Egal! Jedenfalls wünsche ich Euch viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 6: Die Zusammenkunft des 9. Saeculum
 

Tyson und Kai verschwanden und Tala trollte sich in sein Hotelzimmer davon. Bryan blickte ihm beunruhigt nach, denn er hatte die Eifersucht des Rothaarigen deutlich gespürt. Sollte sich das Drama von damals wiederholen? Musste das sein? Wie sehr wünschte er sich, das Herz seines Mannschaftskapitäns vor den dunklen Kräften von Hades bewahren zu können, doch er ahnte, dass es ihm nicht gelingen würde. Tala war einst ein Ritter der Verdammnis....er würde diesem Schicksal auch jetzt nicht entfliehen können. Er seufzte und sah Spencer und Ian eine Weile bei ihrem Training zu, bis er in das Foyer des Hotels eilte und in eine der drei Telefonkabinen schlüpfte. Er wählte eine bestimmte Nummer und war erleichtert, als eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung antwortete.

"Hallo Raul? Bist du es? Gut. Wir müssen die übrigen Mitglieder verständigen. Ja, ich bin sicher. Tyson hat seine Kräfte eingesetzt, und ich vermute, dass es diesmal bewusst geschah. Ich glaube, dass Diomedes ihnen die Wahrheit offenbart hat! Sag Romero Bescheid, wir müssen ein Treffen einberufen! Und beeil dich!"

Damit war das Gespräch beendet und Bryan warf den Hörer auf die Gabel.
 

Max hatte nicht mitbekommen, dass Tyson zum Training mit den Blitzkrieg-Boys eingeladen worden war und lag in seinem Zimmer auf dem Bett und starrte teilnahmslos an die Decke. Dank seiner Mutter, die versierte Wissenschaftlerin war, war er nicht unbedingt der Typ, der an Magie und böse Mächte glaubte und hatte immer noch das Gefühl, in einen merkwürdigen Traum hineingeraten zu sein, auch wenn es ein ziemlich realer Traum war. Er konnte einfach nicht fassen, dass sich eine solche Geschichte hinter den Beyblades verbarg. Mr. Dickenson hatte tief bewegt gewirkt, als er ihnen alles erzählte und sein Instinkt sagte ihm, dass er nicht das Opfer einer Lüge geworden war - dennoch fiel es ihm schwer, das Gesagte zu akzeptieren. Er, Max Tate, die Wiedergeburt eines legendären Kriegers?! Das kam ihm sehr unwirklich, ja geradezu lächerlich vor. Zwar musste er zugeben, dass der Angriff von Boris und die Tätowierungen seiner Freunde für diese ganze Angelegenheit sprachen, aber deswegen konnte er wohl schlecht von einer Sekunde zur anderen zu einem Weltenretter mutieren?! Er war hierher gekommen, um Turniere zu bestreiten und mit seinen Kumpels Spaß zu haben, und nicht, um irgendwelchen Phantombildern aus einer zweifelhaften Vergangenheit nachzujagen! Er drehte sich auf den Bauch und musterte sein Blade, das er neben sich auf das Nachtkästchen geworfen hatte. Draciel, sein Bit Beast, eine alte Schutzgottheit? Ha! Der Blonde richtete sich auf und schob die Tür zur Seite, die ihn von dem Balkon trennte. Im allgemeinen hielt man ihn für einen fröhlichen und sehr optimistischen Menschen, den nichts erschüttern konnte und der sich durch nichts seine gute Laune verderben ließ....allerdings konnte er auch sehr pragmatisch sein, was Dinge anbelangte, die nicht in seine Weltanschauung passten. Zauberei war eines davon. Was würde seine Mutter dazu sagen, wenn er ihr davon berichtete? "Humbug!" Hm, also behielt er es lieber für sich und versuchte, alleine damit umzugehen. Was für eine verrückte Story! Und dann waren da ja auch noch seine schwärmerischen Gefühle für Ray.... großartig! Es kam mal wieder alles zusammen! Missmutig trat er an seinen Schrank und holte seine Badesachen heraus. Er musste unbedingt raus aus diesem Dojo und weit weg sein von den anderen, um seine aufgewühlten Gedanken sammeln zu können. Er packte das Nötigste fein säuberlich in seine Sporttasche ein, schnappte sich Draciel und joggte Richtung Freibad davon. Schwimmen war jetzt genau das Richtige....
 

Der Chinese indessen war ein paar Minuten unschlüssig in seinen eigenen vier Wänden auf und ab marschiert, bis es ihm zu bunt wurde und er die Trainingshalle des Dojo aufsuchte. Es war kein Unterricht und Großvater Kinomiya machte seit einer halben Stunde Besorgungen in der Innenstadt. Ray streifte sich sein chinesisches Hemd über den Kopf, dröselte seinen langen geflochtenen Zopf auf und übte Selbstverteidigung. Er visierte an, teilte Tritte und Faustschläge in die Luft aus, wirbelte um die eigene Achse und wiederholte mehrere Angriffsstellungen, wobei er seinen Körper in eine extreme Anspannung versetzte. Seine Bewegungen waren schnell und aggressiv, bis er außer Atem geriet und der Schweiß ihm in Strömen über den muskulösen Oberleib und die Tätowierung rann. Sein schwarzes Haar war ineinander verwirrt und die dunklen Strähnen klebten ihm in der feuchten Stirn. Es folgten Kniebeugen, Sit-Ups und Liegestützen, bis Ray endlich mit sich zufrieden war. Er band seine Haarflut im Nacken zusammen und ging auf die Veranda hinaus, die sich an den Trainingsraum anschloss. Die leicht kühle Brise erfrischte seine erhitzte Haut und der 19jährige wanderte durch den hübschen Ziergarten mit den herrlichen Kirsch- und Pfirsichbäumen, dem Goldfischteich und dem kleinen Pavillon, der sich unter den hängenden Zweigen einer Trauerweide verbarg. Ray nahm in dem beschaulichen kleinen Gebäude platz und roch den Duft der Pflanzen um sich herum. Irgendwie hatte die Natur eine entspannende Wirkung auf ihn....Jetzt, da er erschöpft war, konnte er das, was er vorhin erfahren hatte, endlich verarbeiten. Anders als Max, der mit Mythologie und Übernatürlichem nicht besonders viel zu tun hatte, war Ray in eine Kultur hineingeboren worden, in der es viele Götter gegeben hatte und in der es von Sagen, Legenden und Wundererzählungen nur so wimmelte. Im modernen China waren über 70% der Bevölkerung konfessionslos bzw. Atheisten, was Ray im Grunde bedauerte. Als kleiner Junge hatten ihm seine Großeltern und auch seine Mutter noch viele alte Geschichten über Geister, Magier, heilige Kämpfer, verwunschene Kreaturen und ähnliches erzählt, sodass er als Kind stets einen Zauber oder ein geheimnisvolles Wesen hinter den verschiedenartigen Erscheinungen der Natur vermutet hatte: Eine Elfe hinter einem seltsam geformten Blatt, einen Wasserkobold in einem Bach, Luftgeister im Regenbogen....Vielleicht hatte er auch deshalb ein Gespür dafür, weil er in einer ländlichen Gegend aufgewachsen war und nicht in einer der großen Städte wie Peking oder Schanghai. Die neue Verantwortung, die so plötzlich auf seinen Schultern lastete, erschreckte ihn einerseits, andererseits aber wollte er diese, von seinem Schicksal für ihn bestimmte Aufgabe, annehmen und erfüllen....
 

"Tagebuch Kai Hiwatari" stand in russischen Buchstaben auf dem roten Einband. Der 20jährige hatte das Buch soeben zugeklappt und legte den Füller beiseite. Er schrieb aus Prinzip in seiner Muttersprache, damit ein ungebetener Besucher den Inhalt nicht lesen konnte. Schon während der furchtbaren Zeit in der Abtei, als das Projekt Biovolt noch lief und man danach trachtete, den perfekten Blader zu kreieren, hatte er alles niedergeschrieben, was ihn bewegte und bedrückte, denn es lag nicht in seiner Natur, etwas so Persönliches einem anderen Menschen anzuvertrauen. Im dem kargen Zimmer, das er damals bewohnte hatte, hatte er es stets in der Schublade seines wurmstichigen Schreibtisches eingeschlossen, damit niemand, insbesondere nicht Boris, dahinter kam. Angesichts der Phönixzeichnung auf seiner Brust und der Bilder, die durch seinen Kopf geströmt waren, konnte er die Existenz eines früheren Lebens nicht leugnen, klar - aber sollte er deswegen gleich ein hochedler Streiter für Gerechtigkeit werden, für eine Welt, die ihm nur Kummer, Schmerz und Einsamkeit gebracht hatte? Na schön, bei den Bladebreakers hatte er Freundschaft gefunden, das musste er sich eingestehen....und diese Freundschaft, vor allem jene zu Tyson, hatte sein erkaltetes Herz ein wenig erwärmt und ihn anderen gegenüber wieder ein wenig zugänglicher werden lassen. Trotzdem hegte er immer noch sein altes Misstrauen gegenüber Fremden; er sah sich außerstande, auf Unbekannte zuzugehen und sie mit offenen Armen zu empfangen wie das ein gewisser Japaner tat; sein Gesicht verriet so gut wie nie seine Emotionen und aus allen sozialen Geselligkeiten hielt er sich für gewöhnlich heraus. Sein Leben war hart und entbehrungsreich gewesen, Verachtung, Hass und höhnisches Mitleid waren die Prinzipien gewesen, die man wie eine religiöse Doktrin in ihn hineingepresst hatte. Keine Wärme. Keine Hilfe. Keine Zuneigung. Kein Trost. Kein Schutz. Keine Liebe.
 

Wie konnte er lieben, wenn er nicht einmal wusste, wie sich so etwas anfühlte? Wenn Liebe für ihn nicht mehr war als ein Wort, dessen Bedeutung er nicht verstand? Vor zehntausend Jahren, als Suzaku, hatte er offensichtlich geliebt, wie Mr. Dickenson behauptete....Suzaku musste glücklich gewesen sein, offen, lebenslustig, anders als er.

Warum aber war er dann eifersüchtig? Der Besitzanspruch, den er wegen Tyson an den Tag legte, war einfach albern....genauso wie seine eigentlich ungerechtfertigte Wut auf Tala! Ja, er wollte nicht, dass ein anderer als er das Herz des blauhaarigen Schönlings erschütterte....Ging es ihm wirklich nur um den Freund und Kameraden Tyson oder um den Mann Tyson? Kai erhob sich energisch von seinem Stuhl und verstaute das Tagebuch im Schrank unter seinen Pullovern. "Das Gleichgewicht der Schöpfung wiederherstellen" - tse! Warum zum Teufel war Mr. Dickenson so davon überzeugt, dass er in dieser Helden-Farce mitspielen würde?!

Eine plötzliche, unerwartet scharfe Windbö blähte die Vorhänge und der Russe schloss das Fenster. Wind....Wind, der sanft durch dunkelblaue Strähnen tanzte....Wind, der das Feuer anfachte, es noch heller brennen ließ....ein mächtiger Sturm aus Entschlossenheit und Temperament, versiegelt in tiefbraunen Augen....Wind, der ihn umwehte, sein eigenes Haar zerzauste....Er schlug gegen die Scheibe, wütend und zugleich verstört, weil seine Gedanken schon wieder zu Tyson zurückgekehrt waren. Wieso konnte er ihn nicht aus seinem Geist verdrängen?! "Scheiße! Lass mich doch endlich zufrieden!"
 

Der Auslöser des russischen Problems stand unter der Dusche, wie meistens, wenn er über irgendetwas nachgrübelte. Ursprünglich hatte er ein bisschen Kendo machen wollen, doch als er durch die Tür zur Trainingshalle spitzte, hatte er Ray entdeckt und sich daraufhin diskret zurückgezogen. Unter anderen Umständen hätte er sich dem Chinesen vermutlich angeschlossen, aber so....Hm. Kais Verhalten gab ihm Rätsel auf. Nicht, dass das nicht schon immer so gewesen wäre, aber in den Zeiten, wo sie noch gemeinsam gebladet hatten, mit dreizehn, vierzehn Jahren, war zwischen ihm und dem abweisenden Jüngling so etwas wie eine Freundschaft entstanden, über die er sehr glücklich gewesen war. Anfangs hatte er ihn als arroganten Kotzbrocken eingeschätzt, bis er erkennen musste, dass Kai einfach nur an Herz und Seele verletzt und nicht mehr fähig dazu war, jemand anderem außer sich selbst zu vertrauen. Als Junge hatte er in diese eisigen, rubinroten Augen geblickt und Angst, Ablehnung und Einsamkeit darin vorgefunden....eine schreckliche Einsamkeit. Rot war so eine wunderschöne, warme Farbe....die Farbe des Feuers, die Farbe reifer Kirschen, die Farbe von Rosen, die Farbe der Liebe....eine Farbe, die Schönheit und Leben verkörperte. Mit einer seltsamen Gewissheit ahnte Tyson, dass in diesem Menschen, dem diese Augen gehörten, eine Flamme lodern konnte, die, einmal entfacht, stetig und heiß brennen würde, mit verzehrender Inbrunst, für den einen Mann, den sein Herz erwählt hatte....oh wenn er doch dieser Mann sein könnte! Der Japaner donnerte seine rechte Faust gegen die Kacheln, während Dampf um ihn herum aufstieg. Schon damals hatte es ihn tief getroffen, dass es einen Jugendlichen, fast noch ein Kind, geben konnte, einen Jungen wie ihn selbst, der solche Augen hatte, in denen nichts lag außer einem kalten, stummen Schmerz....Schon damals war der Wunsch in ihm erwacht, Kai davon zu befreien und ihm wieder Vertrauen in die Menschen und das Leben einzuflößen....Sechs Jahre war das nun her und er hatte ihn nie vergessen können, in all der Zeit....manchmal hatte er sogar von ihm geträumt, sich gefragt, wie es ihm in seiner Heimat ergehen mochte, die der Russe mit so vielen traurigen Erinnerungen verband....Am Flugplatz hatten sie sich schließlich wiedergesehen....und es war ihm durch Mark und Bein gegangen. Kai war mit der Acht-Uhr-Maschine gekommen und die Sonne versank gerade am Horizont, als er die Gangway herunter schritt. Das rot-goldene Glühen umgab ihn mit einem weichen Leuchten und zauberte einen Schimmer in jene feurigen Edelsteine, durch die er seine Welt sah. Er trug einen schwarzen Ledermantel und gleichfarbige Hosen, darüber ein elegantes rotes Hemd, das nicht ganz zugeknöpft war, weshalb man einen Blick auf seine wohlgestaltete Brust erhaschen konnte. Sein graublaues Haar hatte in dem Licht fast schwarz gewirkt....Tyson umschlang seine Schultern mit den Armen, als sein Herz wie wahnsinnig zu klopfen begann.
 

>>Kai....du hast zugegeben, eifersüchtig gewesen zu sein....du hast gesagt, dass du mich magst....und trotzdem distanzierst du dich wieder von mir....wieso? Werde ich dich denn nie begreifen? Ich möchte dich so gerne verstehen, um dir helfen zu können....Ich möchte dich festhalten, für dich da sein, dein Lächeln sehen....Vor zehntausend Jahren hast du mich geliebt. So sagt zumindest Mr. Dickenson. Warst du früher ein anderer? Wenn dein Element das Feuer ist, warum ließ das Schicksal dich in diesem Leben so kalt und unversöhnlich werden? Und der Kampf gegen Hades, der uns bevorsteht....ein Kampf gegen das Böse. Ich bin in traditioneller japanischer Weise erzogen worden, im Sinne eines Kriegers, wie es die Urahnen der Kinomiya-Familie gewesen sind. Ich bin sehr stolz darauf, dass unsere Ahnenreihe auf einen ruhmreichen Samurai der Edo-Epoche zurückgeht. Großvater hat sich viel Mühe damit gegeben, mir ritterliche Tugenden beizubringen, obwohl ich sicher nicht in allen Belangen erfolgreich war und bin....Aber ich glaube an das Karma, das Schicksal. Wenn es mein Karma ist, Hades zu besiegen und Seiryuus Erbe anzutreten, so will ich es tun....und vielleicht kann ich bis zu deinem Herzen vordringen, mein schöner Kai....du bedeutest mir so viel....<<
 

Die Nacht neigte sich über die japanische Hauptstadt und die Uhr im Kinomiya-Wohnzimmer schlug zwölf. Im Dojo und auch im "Tokyo Palace" war tiefe Ruhe eingekehrt. Alle schliefen. Wirklich alle? Die Tür von Raum 24 wurde leise geöffnet und Bryan tapste nach draußen, gekleidet in einen schwarzen Umhang. Er überprüfte noch einmal kurz, ob Tala fest schlummerte und eilte den Korridor entlang zu den Zimmern der White Tigers. Er schickte sich gerade an, zu klopfen, als Lee heraustrat und den Finger auf die Lippen legte. Wie der Russe war er in einen schwarzen Mantel gewandet und schien es in keiner Weise merkwürdig zu finden, dass dieser um Mitternacht vor seiner Tür stand. Mariah kam hinterdrein und zu dritt schlich diese eigenartige Gruppe weiter zu den Unterkünften von F-Dynasty. Das Team hatte zwar den Aufstieg in die nächste Runde nicht geschafft, war aber dennoch im Hotel geblieben und hatte seine Reservierung auf "unbestimmte Zeit" verlängern lassen. Die Geschwister Julia und Raul begrüßten sie flüsternd und Romero geleitete die jungen Erwachsenen hinter sich her aus dem Hotel hinaus. Der Nachtportier warf ihnen ob ihres außergewöhnlichen Aufzugs einen pikierten Blick zu, aber er wurde völlig ignoriert. Sie erreichten den Tokyo Tower und Romero befahl den anderen, sich im Kreis um ihn herum unter dem Turm aufzustellen. So geschah es auch und der Spanier richtete seine Hände gen Boden. Wie durch Zauberei erschien eine Öffnung und eine Treppe wand sich vor ihnen in die Tiefe. Ein gegenseitiges ermunterndes Nicken und die schwarzgekleideten Gestalten tauchten ab in unterirdische Gefilde. Als das magische Einstiegsloch sich wieder schloss, erleuchteten Fackeln ihnen den Weg. Der sechsköpfige Zug durchmaß in raschen Schritten den Gang, der rechts und links von steinernen Wänden gesäumt war und gelangte schließlich zu einem großen imposanten Tor aus Eisen, das mit kunstvollen Verzierungen geschmückt war: Zwischen Wasserperlen, Blumenranken, Flammen und Wolken waren eine Schildkröte, ein Tiger, ein Phönix und ein Drache abgebildet. Romero berührte den Buchstaben "E", der in der Mitte des Tores prangte und er begann zu glühen. Das Licht verbreitete sich über sämtliche Muster, bis selbst die Tiere hell erstrahlten und endlich ächzten die schweren Torflügel zur Seite. Dahinter kam eine Höhle von gigantischen Ausmaßen zum Vorschein, die diesmal allerdings mit Elektrizität ausgestattet war. In die steilen Felswände waren Sitzränge eingelassen, die mit verschiedenen Farben ausgelegt waren: Rot, Blau, Grün und Braun. Verbunden waren diese im Halbkreis um ein Rondell angeordneten Plätze durch Treppen, die, wo es nötig war, auch über ein Geländer verfügten. Romero sprang die Stufen hinunter wie ein Zehnjähriger und postierte sich auf dem Rondell, in das die Ränge mündeten, die sich vor dem Blonden in die Höhe erhoben. Bryan und Co. wurden in der Zwischenzeit von ein paar alten Freunden begrüßt.
 

"Schön, dass man euch auch mal wieder sieht!" meinte ein weißhaariger Hüne gerade zu dem grinsenden Raul. Der gebürtige Spanier musterte seinen Gegenüber. Sein silbernes Haar fiel glatt und lang auf seine breiten Schultern, ansonsten aber hatte sich Rick nicht besonders verändert. Er hatte seinen dunklen Mantel schon ausgezogen und sein eigentliches Gewand war sichtbar - hellbraune kniehohe Stiefel, eine schwarze, gut sitzende Hose und darüber ein seidig glänzender Überwurf im gleichen Braunton, mit weiten Ärmeln und goldenen Stickereien, zusammengehalten durch eine ebenfalls goldene Schärpe.

"Ich freue mich auch, dich wiederzusehen! Ich bin überrascht, dass du überhaupt die Gelegenheit hattest, nach Japan zu kommen. Hast du dir freigenommen?"

"Als ich die mail bekommen habe, habe ich alle Termine gestrichen und mich sofort in den nächsten Flieger gesetzt. Es gibt Dinge, die wichtiger sind als nicht verkaufte Immobilien!"

"Immobilienmakler - ausgerechnet du!"

"Tja, Familienbetrieb! Was hätte ich machen sollen? Ich stamme aus einem wenig begüterten Viertel und mein Vater musste sich alles hart erarbeiten. Wie hätte ich es ablehnen können, seine Nachfolge anzutreten?"

"Wie geht es ihm?"

"Zur Zeit sonnt er sich mit meiner Mutter auf Hawaii!"

"Und deine Frau?"

"Sheila denkt, ich bin auf einer Konferenz. Nun ja, in gewissem Sinne stimmt das sogar....Ich hoffe nur, dass diese Sache, die sich dank Hades über uns zusammenbraut, ein gutes Ende nimmt....Seit Rock Bison an mich übergegangen ist, hat mein Vater seinem Wächter-Dasein den Rücken gekehrt....Auf meinen Schultern ruht sein Erbe, wie er gesagt hat. Und du? Was ist mit dir, Raul?"

"Ach, nichts besonderes....Julia und ich haben unsere Meinungsverschiedenheiten, wie immer. Aber im Grunde verstehen wir uns prima, wenn wir Romero auch manchmal zur Verzweiflung treiben mit unserem zweifachen Temperament...."

Rick lächelte und besah sich den Jüngeren genauer. Raul war um einiges gewachsen, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte, das rotbraune Haar wurde jetzt mit einem Zopfband gebändigt und er hatte sich ein Oberlippenbärtchen stehen lassen. Irgendwie erinnerte er an eine Film-Version von Casanova....wem wollte er wohl gefallen? Der Spanier entledigte sich nun auch seines Mantels, sein darunter befindliches Gewand glich dem von Rick in fast allen Details, einzig die Farbe und die prachtvolle Stickerei auf dem Rücken waren anders - weinrot, und statt des Bisons zierte ein geflügeltes Pferd Rauls Rückansicht. Julia, in blaue Seide gehüllt, tippte ihren Bruder an und sagte: "Der Kaffeeklatsch muss verschoben werden! Das Treffen fängt an!"
 

Die drei trennten sich und suchten die Ränge auf, die zu ihrer jeweiligen Kennfarbe gehörten. Romero wartete, bis Ruhe eingekehrt war und räusperte sich einmal vernehmlich, bevor er zu sprechen begann. "Meine Freunde - ich denke, jeder von euch weiß, warum wir uns heute hier versammelt haben! Was wir befürchtet haben, ist eingetreten: Hades ist zurückgekehrt, so mächtig wie und je! Und der ehrenwerte Diomedes hat den Prinzen die Wahrheit mitgeteilt! Es ist nun also uns, ihnen beizustehen im Kampf gegen das Böse! Seid ihr bereit?"

Vielstimmige Rufe und lautes Klatschen waren die Antwort auf diese Frage und Romero nickte zufrieden. "Wir stammen aus allen Teilen der Welt und die meisten von euch werden in ihre jeweiligen Heimatländer zurückkehren müssen, um eventuellen Angriffen von Hades vorzubeugen. Auch wenn seine Operationen sich momentan auf Japan beschränken, wird das mit Sicherheit nicht so bleiben. Wir werden also ein Zwölfer-Team bilden, das zum Teil aus jenen besteht, die aufgrund der Meisterschaft ohnehin bleiben müssen und jenen, die den Prinzen bereits bekannt sind und denen sie ein gewisses Vertrauen entgegenbringen. Ich selbst werde dazugehören und als Kontaktperson fungieren. Ich verlese jetzt die Auswahl: Lee, Wächter von Galeon, Feuerkrieger. Mariah, Wächterin von Galux, Erdkriegerin. Julia, Wächterin von Thunder Pegasus, Windkriegerin. Raul, Wächter von Torch Pegasus, Feuerkrieger. Rick, Wächter von Rock Bison, Erdkrieger. Claude, Wächter von Rapid Eagle, Windkrieger. Miguel, Wächter von Dark Gargoyle, Feuerkrieger. Mathilda, Wächterin von Pierce Hedgehog, Erdkriegerin. Mariam, Wächterin von Shark Rash, Wasserkriegerin. Carlos, Wächter von Unda, Wasserkrieger. Und zu guter Letzt: Bryan, Wächter von Falborg, Windkrieger. Alle sind Hüter des 9. Saeculum!" (Lateinisch: Jahrhundert)
 

Die Genannten begaben sich zum Rondell hinunter und verneigten sich vor dem blonden Trainer. "Ich muss euch nicht erklären, wie wichtig eure Mission ist. Solange die gesamte Angelegenheit noch im Anfangsstadium steckt, werdet ihr sie unterstützen ohne euch zu erkennen zu geben. Ich wünsche euch viel Glück!"

Die Menge applaudierte und Lee lächelte in die Runde. Romero hatte eine perfekte Auswahl für die Zwölf getroffen....nun ja, eine fast perfekte.

"Es würde mich interessieren, warum er einen so zerbrechlichen Schönling wie dich dafür ausgesucht hat! Das wird nämlich kein Kinderspiel! Wenn's erst einmal in der Schlacht heiß hergeht, schreist du vermutlich nach deinem Schwesterchen!"

Raul streckte ihm die Zunge heraus und erwiderte patzig: "Halt doch deine vorlaute Klappe, du chinesischer Zottelkopf!" Das war zweifellos eine Anspielung auf Lees mittlerweile rückenlange schwarze Mähne, die er nur noch in seltenen Fällen zusammenband. Sein dichtes Pony war nach vorne gekämmt und verdeckte sein rechtes Auge.

"Oh, fühlt sich das Kleinkind auf den Schlips getreten?"

"Schnauze!"

"Du bist schlecht erzogen, Kleiner!"

"Hör auf, mich wie ein Baby zu behandeln! Ich bin ein Wächter, genau wie du!"

"Du Pomadenjüngling schaffst es ja nicht einmal zur Wächter-Anwärter-Hilfskraft!"

"Das reicht!"

Raul platzte der Kragen. Er baute sich drohend vor Lee auf - was leider auch nicht viel nützte, da dieser ein Stück größer war als er - und funkelte ihn mit seinen grünen Augen erbost an. Der Chinese sah ohne Scheu zurück und fixierte den Spanier mit einem dezent spöttischen Grinsen.

>>Gold....reines Gold....<< durchzuckte es den Rothaarigen und seine Wut verpuffte schlagartig im Nichts. Er wusste nicht recht, ob der andere seine Beleidigungen boshaft meinte oder ihn nur ein bisschen triezen wollte. Aus dem Konzept gebracht, irrte sein Blick eine Weile umher und verblieb schließlich auf Lees Brust, denn der Überwurf für die Männer war so geschnitten, dass der Torso bis zur Hälfte entblößt war. Hmmm....wie durchtrainiert er war....!

>>EH?!?!?! Jetzt reiß dich gefälligst am Riemen, Raul!!! Du kannst den Kerl doch gar nicht leiden!!!<<
 

Julia verfolgte die Konfrontation mit sichtlichem Vergnügen und flüsterte Mariah etwas ins Ohr. Dann deutete sie auf ihren Bruder und Lee und setzte dabei eine vielsagende Miene auf. Die Rosahaarige nickte kaum merklich und grinste hinterhältig.

Nach und nach löste sich die Versammlung auf und man kehrte wieder in die jeweiligen Unterkünfte zurück. Während Miguel aus seinem Gewand in seinen Pyjama schlüpfte, stand Claude draußen auf dem Balkon ihrer Hotelsuite und betrachtete den Sternenhimmel. Er reagierte gar nicht auf die Zurufe des anderen, bis dieser ihn von hinten umarmte.

"Was ist? Bist du immer noch wütend auf mich? Es tut mir leid, dass ich so heftig gewesen bin. Aber ich dachte wirklich, zwischen dir und diesem Kellner würde was laufen....Es tut mir leid, dass ich so eifersüchtig war...."

"Lass gut sein, ich habe dir schon verziehen. Eifersucht ist eine der Untugenden der Feuer-Geborenen. Mach dir nichts draus. Ich bin nur ein wenig beunruhigt wegen unserer Aufgabe. Es wird nicht einfach...."

"Das bedrückt dich? Sei unbesorgt, wir werden Erfolg haben! Wozu gäbe es sonst unsere Verbindung, wozu sonst wären die vier Prinzen wiedergeboren worden? Sei zuversichtlich! Wenn wir gemeinsam kämpfen, kann niemand uns besiegen, nicht einmal Hades!"

"Du findest doch immer die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Ich liebe dich, Miguel." Er küsste den jungen Mann mit dem platinblonden Haar sanft auf die Lippen.

"Ich liebe dich auch, Claude. Aber warum stehst du eigentlich hier draußen? Es ist kalt!"

"Ich habe die Stimme des Windes vernommen."

"Und was sagt sie?"

"Sie warnt mich vor einem neuen Angriff....wir müssen auf der Hut sein."

"Du hast recht...."

Deimos' Erwachen (Teil 1)

Der neue Teil! Vielen Dank für die Kommis! Und ein besonders dickes Dankeschön an Yami-Nadine bzw. Orchidee, die mir nachträglich noch so schöne Kommis geschrieben hat und so eine treue Leserin auf yaoi.de ist! *knuddel*
 

Kapitel 7: Deimos' Erwachen (Teil 1)
 

"Bryan!"

Tala rüttelte seinen Bettnachbarn und Teamkollegen, aber dieser machte keinerlei Anstalten, aufzuwachen. Der Lilahaarige drehte sich statt dessen auf die Seite, rollte sich wie ein Kätzchen zusammen und schlief weiter.

"Bryan! Warum zum Teufel bist du denn so müde?! Es ist schon nach zehn! Steh endlich auf, verflixt! HALLO!!! ERDE AN BRYAN!!! JEMAND ZU HAUSE?!?!?!"

Ein ärgerliches Grummeln war zu hören und der andere murmelte: "Ne nerwirui menia!", was auf Russisch so viel wie "Nerv mich nicht" bedeutete. Tala runzelte die Stirn und zog seinem Freund kurzerhand die Decke weg.

"Jetzt mach hin, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! Ich komme nach fünfzehn Minuten aus der Dusche und was muss ich sehen? Du pennst immer noch! Dabei bist du nun wirklich kein Langschläfer! Was ist denn los?"

Bryan blinzelte und gähnte herzhaft, ehe er richtig die Augen öffnete. Im Anschluss daran, nach etwa ein paar Sekunden, die er benötigte, um die Situation zu erfassen, schoss ihm das Blut in die Wangen und er wandte hochrot den Kopf ab. Wie kam Tala dazu, direkt vor seiner Nase aufzutauchen und ihn zu wecken - mit nichts anderem als einem Handtuch um die Hüften?!?!

>>Verdammt....diese ellenlangen Beine....und diese Taille....und dieser Oberkörper....so sehnig und kraftvoll....und sein rotes Haar ist völlig durchnässt und fällt bis auf seine perlfarbenen Schultern....denk an etwas anderes, Bryan, aber bloß nicht daran, wie schön er ist! Oh Gott.... und diese atemberaubenden Augen....aber für wen hegst du romantische Zuneigung? Für Tyson! Es ist alles genau wie damals! Wird es mir denn nur vergönnt sein, dich aus der Ferne zu lieben, Tala, obwohl wir uns stets so nah sind? Was für eine Ironie! Wir schlafen sogar im selben Zimmer und dennoch ist es, als trenne uns eine Schlucht! Könnte ich nur dein Halt sein, deine Zuflucht....dürfte ich dich nur berühren, deine Lippen küssen....<<

"Abmarsch mit dir ins Badezimmer! Und trödele nicht wieder!" wurden seine Gedankengänge rüde von jenem unterbrochen, für den er so viel empfand. Bryan zwang sich zu einem Lächeln, um Tala zu beschwichtigen und erklärte: "Ist ja gut, ich habe kapiert! Kein Wunder, dass sämtliche Kerle vor dir reißausnehmen, bei deinem miesen Charakter!"

"Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen! Als wenn dein Charakter besser wäre als meiner!"

>>Du hast recht. Wir beide geben uns kalt und unerschütterlich. Wir tun beide so, als ginge uns nichts nahe und als wäre uns alles andere gleichgültig außer uns selbst. Aber ich kenne dich - und du kennst mich. Wir wissen, dass wir unsere Ängste und unsere Menschenscheu unter herablassenden, eisigen Fassaden verstecken....nur voreinander zeigen wir, wie wir wirklich sind, wie wir wirklich fühlen....Du magst sie alle täuschen, Tala....aber nicht mich.<<
 

Hiro sass bedrückt in der Hotellobby und nippte an einer Tasse Tee. Seit dem Tag, da Brooklyn nicht zum Frühstück erschienen war, ging etwas mit dem Blader aus den USA vor sich. Er veränderte sich und Hiro fand keine Erklärung dafür. Es war nicht nur die Tatsache, dass der Orangehaarige immer häufiger Schwarz trug, sondern auch sein Wesen wandelte sich Stunde um Stunde, so schien es jedenfalls. Brooklyn gab unverschämte Antworten, seine "Scherze" waren ausnahmslos boshafter Natur, er beteiligte sich nicht am gemeinsamen Training und streunte ewiglange in den Innenstadt herum, wo er nicht selten Prügeleien anzettelte, wie an manch einer Schramme oder einem Bluterguss zu erkennen war. Was um alles in der Welt war in diesen Mann gefahren?! Das war nicht mehr sein Brooklyn, der freundliche, höfliche 23jährige mit dem gewinnenden, sanften Lächeln und dem wehmütigen, einsamen Herzen, der so glücklich über seine Freundschaft mit den anderen war. Was war an jenem Tag nur in seinem Zimmer geschehen? Hiro strich sich eine Haarsträhne zurück und erhob sich, als derjenige, der ihn so beschäftigte, auf ihn zukam - in schwarzen Hosen, schwarzem Hemd und Stiefeln. Er hatte einen verbitterten Zug um den Mund und das versetzte dem Älteren erneut einen schmerzhaften Stich. Auch seine Augen wirkten dunkler und hatten viel von ihrem früheren Strahlen verloren.

"Warum hast du mich herbestellt, verdammt nochmal?!" fuhr Brooklyn ihn an und stellte sich mit verschränkten Armen vor ihm auf.

"Ich muss mit dir reden!"

"Ach? Aber ich nicht mit dir! Deine Meinung ist mir sowas von scheißegal! Nur eines: Halt dich aus meinem Leben raus, dann passiert dir auch nichts! Und jetzt mach dich dünn, ich hab was zu erledigen!"

"Punkt 1: Ich dulde es nicht, wenn irgend jemand in diesem Ton mit mir spricht! Also wirst du das ab sofort unterlassen! Punkt 2: So extrem, wie du dich in letzter Zeit verändert hast, geht es mich dein Leben sehr wohl etwas an! Dein Benehmen zwingt einen ja gerade dazu, sich einmischen zu wollen! Punkt 3: Mich würde interessieren, was du so Wichtiges zu erledigen hast! Willst du dich schon wieder prügeln? Oder jemanden bestehlen?"

"Warum nicht gleich jemanden töten, wo wir schon dabei sind, du Klugscheißer?!"

"Darüber macht man keine Witze, Brook!" erklärte Hiro mit Nachdruck, den anderen bei seinem Spitznamen nennend.

"Ich mache auch keine Witze, du Weichei! Und sag nicht ,Brook' zu mir oder ich krieg das Kotzen! Was wäre so schlimm daran, wenn ich jemanden umbrächte? Das wäre kein Töten. Ich würde lediglich den natürlichen Lauf der Dinge ein wenig beschleunigen...."
 

Er lächelte grausam und auf groteske Weise amüsiert und das Türkisgrün seiner Augen verdunkelte sich noch mehr. Ein eiskalter Schauer durchrann den Silberhaarigen; er wich ängstlich zurück und musste schlucken.

"Flöße ich dir Angst ein, du bemitleidenswerter Schwachkopf? Umso besser! Ein von der Furcht gehetztes Tier ist immer eine interessante Beute...." Damit verließ er das Hotel und Hiro sank auf zitternden Knien in seinen Sessel zurück. Was war nur mit ihm passiert?! Er war ein völlig anderer Mensch! Dafür musste es doch eine Erklärung geben! Auch Ming Ming, Garland und Mystel war diese drastische Wandlung aufgefallen, doch besonders die letzteren Beiden waren davon auf eigentümliche Weise sehr stark betroffen. Mystel hatten sogar Tränen in den Wimpern gehangen, als Brooklyn die Sängerin zusammenstauchte. Obwohl Ming Ming ihnen mit ihren Starallüren auch oft auf die Nerven ging, Brooklyn hatte Grenzen überschritten, die selbst einen Straßenrowdy empört hätten.

>>Was ist dir widerfahren, mein Schöner? Ich erkenne dich einfach nicht wieder! Ich vermisse dein herrliches Lächeln, deine Zuvorkommenheit, deine Hilfsbereitschaft, deine Wärme, deine schüchternen Blicke in meine Richtung, wenn du glaubst, ich bemerke sie nicht....Ich vermisse die kleinen Gesten, mit denen du mir zeigst, dass du mich magst....eine flüchtige Berührung, ein zurechtgerückter Stuhl, eine galant offengehaltene Tür, ein Lachen, ein Blinzeln....Es ist vielleicht anmaßend von mir, aber ich hatte gehofft, wir könnten uns während dieser Weltmeisterschaft ein wenig näherkommen, wo wir doch im selben Team sind....Und nun stirbt der Brooklyn, den ich kannte, vor meinen Augen dahin und verwandelt sich in einen hartherzigen, brutalen Fremden....Wieso? Warum? Ist es, weil ich zu lange gezögert habe? Mein kleiner Bruder hatte vielleicht recht....Ich hätte es ihm schon vor sechs Jahren sagen sollen....ich hätte ihm schon damals meine Liebe gestehen sollen....Jetzt ist es offensichtlich zu spät! Wenn ich nur wüsste, was in ihn gefahren ist!! Ich ertrage es nicht, ihn so zu erleben!! Wo ist der Mann geblieben, in den ich mich verliebt habe? Ich habe den Eindruck, in einem Alptraum gefangen zu sein, aus dem es kein Entkommen mehr gibt....Tyson ist seit gestern auch irgendwie stiller und manchmal starrt er so gedankenverloren in den Himmel....<<

Er nahm einen tiefen Schluck Tee und seufzte. Das einzige, was seine trübe Laune und seine Besorgnis ein bisschen dämpfte, war die sich langsam entwickelnde Zuneigung zwischen Garland und Mystel. Hatte er zunächst nur das Interesse des Ägypters an Garland bemerkt, war ihm seit dem Unfall des Blonden im Swimmingpool, von dem die zwei ihm erzählt hatten, ins Auge gesprungen, dass der Blauhaarige immer häufiger seine trainingsfreien Nachmittage mit Mystel verbrachte. Ob sich da etwas anbahnte?
 

Ein junger Mann mir braungebrannter Haut stand am Ufer eines Sees, das lange goldene Haar mit einem Band nach hinten gebunden. Er trug eine kurze weiße Toga, die seinen königlichen Beinen sehr schmeichelte und ein Paar glitzernde Ohrringe. Er lächelte seinen Gegenüber zärtlich an, schlang seine schlanken Arme um dessen Nacken und näherte sich seinen Lippen. Der andere spürte seinen heißen Atem auf seiner Haut und....

....kollidierte mit der Hoteltür. Das hatte er nun davon, dass er am helllichten Tag vor sich hin träumte!! Garland rieb sich die schmerzende Wange, wütend auf sich selbst und die ganze Welt. Mystel belegte seine Gedanken seit einiger Zeit mit Beschlag, was ihn sichtlich verwirrte. Er mochte den Jüngeren und hatte unlängst damit begonnen, sich nicht in der Gesellschaft des "Kleinen", sondern in der eines Mannes wohl zu fühlen. Dabei waren andere Dinge so viel wichtiger! Zum Beispiel Brooklyn und seine rätselhafte Veränderung! Er war ein richtiges Ekelpaket geworden und er stand hier in der Gegend herum und fantasierte!

"Garland?"

Der Angesprochene fuhr herum, nur um den 19jährigen Ägypter vor sich zu erblicken, der fast genauso aussah wie in seinem imaginären Bild. Narrte ihn ein Spuk oder ein Luftgebilde? Ließ man die Sandalen und die weiße Leggins außeracht, war der feingliedrige Körper tatsächlich in eine Art orientalischen Überwurf gehüllt, der einen Teil der dunkel getönten Haut zeigte. Die sanfte Brise spielte mit dem fließenden Schmuck honigfarbenen Haares und ließ es matt aufleuchten, während die blauen Augen unergründlich und dennoch anziehend und liebreizend wirkten. Die anmutig, beinahe graziös geformten Lippen, die leicht feucht schimmerten, verbreiterten sich zu einem koketten, betörenden Lächeln. Garland wich in ein lautes Räuspern aus, als sich ihm die Stimme versagte, erstaunt, ja fast erschüttert von so viel Schönheit.

"Hallo Mystel" brachte er schließlich heraus. "Was gibt es?"

"Ich habe gerade vorhin Brooklyn davongehen sehen. Was meinst du? Ob Hiro ihn zur Rede gestellt hat? Ich mache mir große Sorgen um ihn, er ist einfach nicht mehr er selbst. Er....er erschreckt mich. Es ist, als ginge eine Art dunkle Aura von ihm aus...."

"Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Ich bedauere das, nicht nur wegen Brooklyn, sondern auch wegen Hiro. Ich glaube, dass unser Teamkapitän eine Menge für ihn empfindet und es wäre schön gewesen, wenn mehr daraus geworden wäre als nur versteckte Blicke und ein paar kleine Gesten. Was mag bloß passiert sein?"
 

Die beiden kehrten in das Foyer zurück, ohne zu bemerken, dass Lee in der Nähe stand und ihre Unterhaltung belauscht hatte. Ihm schwante nichts Gutes, denn er wusste, wer Brooklyn einmal gewesen war - und er befürchtete, dass Hades den Amerikaner bereits manipulierte. Natürlich musste er ihn regelmäßig mit einer nach und nach stärker werdenden Dosis seiner finsteren Kräfte versorgen, aber wenn ein gewisser Punkt erreicht war, würde Brooklyn mit genug böser Energie erfüllt sein, um als Deimos zu erwachen....und dann hatten sie ein Problem mehr, denn Deimos' Wiederkehr würde eine Kettenreaktion auslösen und auch die drei anderen Ritter der Verdammnis auf den Plan rufen....wie wenn man einen Dominostein antippte, der alle übrigen mit sich riss....Wohin mochte der Ältere unterwegs sein? Ob er sich mit Hades traf? Möglich war es, denn einmal von der Dunkelheit verseucht, gierte man nach mehr und mehr Macht, wie bei einer Droge....Lee senkte den Kopf, betrübt und traurig. Sie konnten das Rad des Schicksals nicht aufhalten, sondern einzig gegen das ankämpfen, was ihnen bevorstand....außerdem....wer konnte sicher sein, dass die Auserwählten ihre Mission annahmen? Am ehesten waren dazu vielleicht noch Ray und Tyson bereit, aber Max, zwar ein lieber und süßer Bursche, aber im Bezug auf Zauberei und derlei Dinge komplett ernüchtert? Von Kai gar nicht erst zu reden! Es war schon seltsam, dass der Russe mit seinem Alter Ego Suzaku überhaupt nichts gemeinsam hatte. Aus den Erzählungen seines Vaters wusste er, dass der Hüter des Heiligen Phönix ein ziemlich hitziger und draufgängerischer Typ gewesen war, mit einer ausgeprägten Vorliebe für das Feiern ausgelassener Feste, heiße Tänze, schmackhaften Wein und schöne Männer. Und Mr. Hiwatari war, gelinde ausgedrückt, die Inkarnation eines Gletschers! Aber ohne die vier legendären Hüter - welche Chance hatten sie dann gegen Hades?

"Schlecht geschlafen, mein Freund?"

Der Chinese brauchte sich nicht einmal umzudrehen, denn er kannte die Person, die hinter ihm stand. Auch das anfangs so laue Lüftchen nahm an Intensität zu, ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Windkrieger die Szene betreten hatte.

"Wenn es nur das wäre. Du hast Brooklyn gesehen. Ich habe die Befürchtung, dass er bald erwachen wird....was die Rückkehr der anderen drei Ritter zur Folge haben wird. Wirst du.... seine Verwandlung ertragen können?"

"Du sprichst von Tala, oder?"

"Ja. Ich weiß, wie sehr du ihn liebst. Obwohl ich glaube, dass du sein Herz erreichen könntest, wird es eine schwere Prüfung sein....für euch beide."

Bryan wandte den Kopf gen Himmel, ein verzweifelter Zug zierte seinen Mund. "Es gibt Dinge, die man nicht verhindern kann, Lee....aber ich werde Tala nicht einfach aufgeben. Noch ist der Kampf zwischen Licht und Schatten nicht entschieden!"
 

Ray war zusammen mit Max zum Schwimmen gegangen. Der Blonde war auch gestern im Freibad gewesen, um seine Gedanken zu ordnen und schien heute mit einem Freund darüber sprechen zu wollen. Warum gerade mit ihm, konnte der Chinese allerdings nur vermuten....Ray döste träge vor sich hin, als er beim Namen gerufen wurde. Er nahm die Sonnebrille ab und sah, wie Max sich aus dem Wasser zog. Es war ein Bild für Götter: Das korngelbe Haar klatschnass und gedunkelt, helle Tropfen, die sich einen Weg über elfenbeinfarbene, gesunde Haut bahnten, lange Beine, die in eleganten Bewegungen auf die Bodenkacheln gesetzt wurden, und ein sportlicher, geschmeidiger Körper, den Max gerade unter der Dusche platzierte, um sich das Meersalz aus dem wuscheligen Schopf zu waschen. Ihn unter dem Wasserstrahl zu erleben, mit geschlossenen Augen und leicht geöffneten Lippen, ließ Rays Atem stoßweise gehen. Er war so daran gewohnt, den Amerikaner als niedlich zu betrachten, dass diese Präsentation von Sex-Appeal ihn bis in die Grundfesten erschütterte.

"Ray!" wiederholte Max, indem er die Dusche abstellte und sich auf sein Handtuch setzte, "Ich habe eine Frage an dich und ich möchte, dass du mir eine ehrliche Antwort gibst."

"Natürlich. Was....was möchtest du wissen?" erwiderte der Schwarzhaarige freundlich, kurz den Blick abwendend, da selbiger etwas zu lange auf Max' Schritt verblieben war. Er schalt sich selbst einen Spanner und konzentrierte sich auf die blauen Tiefen vor sich, die ihn vertrauensvoll musterten. Oh Gott....was für wunderschöne Augen....

"Ich würde gerne wissen....was du von der ganzen Sache mit Eden und Hades und so weiter hältst....Ich meine....wirst du kämpfen?"

Der Chinese streckte sich auf seinem Handtuch aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Mr. Dickenson war sehr ernst, als er uns davon erzählte. Er hat nicht gelogen, dazu ist schon zu viel passiert; Dinge, die alles andere als normal sind. Er hofft sicher mit aller Inbrunst auf unsere Hilfe....wie könnte ich sie ihm verweigern? Nur weil wir uns nicht konkret an damals erinnern, heißt das nicht, dass wir vor unserem Schicksal davonlaufen dürfen....Wenn ich ehrlich bin, es wäre mir lieber, ich würde nicht zu den Hütern gehören, aber da dem nicht so ist, will ich wenigstens mein Bestes tun....Was ist mit dir, Max? Wirst du dich anschließen oder wofür entscheidest du dich?"

"....Ich weiß es nicht. Fakt ist, dass Magie wohl tatsächlich existiert....so verrückt ich das auch finde. Aber sie benutzen, als Krieger, der ich in einem früheren Leben mal gewesen bin? Ich habe doch keinerlei Bezug dazu und die damalige Vernichtung Edens bedeutet mir nichts! Klar, Boris ist ein Verbrecher, und dafür verurteile ich ihn, aber nicht wegen einer Geschichte, die sich vor zehntausend Jahren zugetragen haben soll! Könnte ich mit dieser Haltung kämpfen?"

"Das nicht, das ist richtig. Wenn du nicht daran glaubst, hat es keinen Sinn. Aber willst du wirklich, dass Hades - oder Boris - diesen Planeten übernimmt und die Menschen unter seine Schreckensherrschaft fallen? Das dürfte ja passieren, wenn wir ihn nicht stoppen."

"Das ist mir alles zu hoch....Ich frage mich, ob Mr. Dickenson aus diesem Grund eine neue Weltmeisterschaft veranstaltet....weil er uns alle an einem Ort haben wollte...."

Er schwieg und beobachtete die Wolkenformationen am Himmel. Eine Kette von undeutlichen Eindrücken floss durch seinen Geist, als er ein Gebilde entdeckte, das ihn an eine Schildkröte erinnerte. Vier Männer, mit Schwertern in Händen....die Klingen nach oben gerichtet....Wind.... Flammen....umher wirbelnde Blüten und Blätter....Wellen....zwei Soldaten in vergoldeten Rüstungen, die einander umschlungen hielten....wilde Schreie, zerstöre Gebäude, fliehende Menschen....und ein schwarzer Schatten, der darüber thronte....Max blinzelte verwirrt und er sog zischend die Luft ein, als seine Brust unangenehm zu ziehen und zu brennen begann. Der Chinese legte ihm eine Hand auf die Schulter.

"Es ist gleich vorbei, keine Sorge."

Die Gestalt einer meergrünen Schildkröte zeichnete sich auf dem Torso des Blonden ab und Max keuchte erschrocken, als er Draciel darin erkannte.

"Jetzt....habe ich also auch eine Tätowierung...." stellte er in bitterem Ton fest.

"Ja. Vielleicht....vielleicht haben wir gar kein Recht dazu, etwas anderes als den Kampf zu wählen. Ich werde heute noch einmal mit Mr. Dickenson reden."

"Was? Warum?"

"Weil ich mich entschieden habe."

Deimos' Erwachen (Teil 2)

So also, es geht weiter! Ich habe übrigens mal eine Frage, sorry, wenn es zu unverschämt ist, aber könnte sich nicht vielleicht mal jemand erbarmen und eine Fanart zu der Story zeichnen? *keinen eigenen Scanner hab* Würde mich sehr darüber freuen! Es würde mich auch einfach interessieren, wie Ihr Euch das so vorstellt.

@Yami-Nadine: Ich habe bei yaoi.de ein neues Kapitel hochgeladen!
 

Kapitel 8: Deimos' Erwachen (Teil 2)
 

Der Chef der BBA musterte den jungen Mann vor sich voller Dankbarkeit. "Ray, mein Junge.... ich weiß durchaus, dass ich euch mit etwas Unglaublichem konfrontiert habe....Ich war auch gar nicht sicher, ob überhaupt einer von euch seine Mission annehmen würde....Du bist wirklich bereit?"

"Ich habe lange über alles nachgedacht....die Natur hat uns diese Kräfte gegeben, damit wir sie für das Gute einsetzen und Hades besiegen. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, einfach untätig herumzusitzen, wenn ich weiß, ich besitze die Macht, etwas gegen ihn zu unternehmen! Wenn Sie mir dabei helfen, diese Macht zu nutzen...."

Mr. Dickenson nickte und erschuf zwischen seinen Händen eine Lichtwolke. Nach und nach verwandelte sich das formlose Etwas in ein Schwert. Die Schneide war mit feinen Ziselierungen geschmückt, die Blumenranken glichen, der Griff war erdbraun lackiert und glänzte; vom Knauf abwärts ringelten sich ebenfalls goldene Ranken bis zum Klingenansatz. Der alte Herr berührte die schwebende Waffe nicht, sondern ließ auf magische Weise die Scheide darum herum erscheinen, aus Gold und braunem Leder, mit der typischen gestreiften Fellzeichnung eines Tigers versehen.

"Ich übergebe dir hiermit das Schwert von Byakko. Ich darf es nicht anfassen, denn es ist nicht mein Eigentum. Diese Klinge, Ray, wurde für Byakko geschmiedet und für niemanden sonst. Nur du kannst es benutzen. Sollte jemand anderes als du es wagen, diese geheiligte Waffe anzutasten, werden Dornen aus dem Griff sprießen und dem Frevler die Hand blutig stechen! Vergiss das nicht! Jetzt zur Entfaltung deiner vollen Kraft. Drigger ist in deinem Beyblade eingeschlossen und folgt jedem deiner Befehle, denn du bist sein Hüter und er vertraut dir. Von ihm bekommst du deine Rüstung, wenn du folgende Worte aussprichst: Für die Ehre von Eden. Dadurch erhältst du uneingeschränkten Zugriff auf deine Magie und kannst kämpfen. Und eins noch: Das Äußere der Rüstung basiert auf den Aspekten deines Elements und deiner Kreatur, das heißt, sie hat auch Schwachstellen! Werde nicht leichtsinnig, verstehst du mich?"

"Ich habe verstanden. Danke....Diomedes."
 

Der dieser Art Angesprochene lächelte sanft und wiegte den Kopf als dankende Geste. Plötzlich wurde an die Tür seines Büros geklopft und seine Sekretärin trat ein.

"Mr. Dickenson? Ein Mr. Kinomiya möchte Sie sprechen!"

"Wie? Ah, sehr gut! Herein mit ihm, Catherine!"

Eine Minute später schob sich Tyson in den Raum und er begriff anhand der Waffe in Rays Hand, dass sein Freund offenbar mit derselben Absicht hierher gekommen war wie er. Er begrüßte die beiden Anwesenden und kam ohne Umschweife zum Punkt.

"Ich....ich werde kämpfen. Ich habe an all die Menschen gedacht, die mir viel bedeuten....und was mit ihnen passieren könnte, würde ich Hades den Sieg überlassen....nein! Außerdem stamme ich aus einer Familie, deren Wurzeln bis zu den Samurai zurückgehen! Wir haben uns diesen Stolz von einst bewahrt....und wenn es mein Karma ist, diese Welt zu verteidigen, so füge ich mich! Ich...." Seine Lippen pressten sich zu einer harten Linie zusammen. "Ich bin noch nie in meinem Leben....vor einer Herausforderung davongelaufen....!"

Sein Gegenüber wiederholte die Prozedur von vorhin und vor dem ungläubigen Japaner schwebte nach einer Weile ein prachtvolles Schwert. In die Ränder der Klinge waren Federn eingraviert, der blaue Griff war geformt wie ein Drache mit weit geöffneten Flügeln, dessen Schwanz sich einmal um den Schwertansatz wickelte. Die dazugehörige Scheide ähnelte der Rays, Gold und dunkelblaues Leder, bemalt mit duftigen Wolken.

"Das ist die geheiligte Klinge von Seiryuu. Sie wurde einzig und allein für dich angefertigt, also kann auch niemand anderer sie benutzen. Sollte es dennoch jemand versuchen, wird das Schwert in seinen Händen das Gewicht von hunderttausend Tonnen annehmen. Keiner sonst wird es auch nur einen Millimeter vom Boden heben können! Dragoon wird dir deine Rüstung verleihen, wenn du diese Worte sagst: Für die Ehre von Eden. Der Heilige Drache ist stets in deinem Beyblade zugegen, also lege es nicht weg!"

"Das brauchen Sie mir nicht extra aufzutragen - ohne Blade gehe ich nie aus dem Haus!"

"Warum überrascht mich das nicht, mein junger Freund? Aber denkt daran: Haltet euch nicht für unverwundbar! Ihr seid Menschen unter euren Rüstungen und auch eine metallne Haut schützt euch nicht vor heftigen Angriffen! Ich wünsche euch viel Glück!"

Die beiden 19jährigen verneigten sich respektvoll und verließen den ehemaligen Zaubermeister. Dieser sank in seinen Sessel zurück und griff schließlich nach dem Telefon. Er wählte eine Nummer und als eine Stimme sich meldete, erklärte er: "Es ist soweit....zwei der legendären Wächter sind zurückgekehrt! - Was heißt hier: Ich hätte mich schon früher mit euch in Verbindung setzen können? Sie haben doch bereits alles in die Wege geleitet, oder nicht, Romero? Die Zwölf sind doch in der Nähe der vier Prinzen? - Na also. Was sagen Sie? - WAS?! Nein, das....Sie....Sie glauben wirklich, dass Deimos' Erwachen bevorsteht?! Aber das....das....-

Er hat sich schon drastisch verändert? Dann muss Ihre Vermutung richtig sein....und das wiederum bedeutet, dass eine neue Attacke erfolgen wird....Die Wächter in den übrigen Teilen der Welt sind vorerst außer Gefahr, aber für die Zwölf gilt Alarmstufe Eins! Ich danke Ihnen, Romero - und geben Sie auf sich und Ihre Gruppe acht!"

Ein Klicken in der Leitung.
 

Brooklyn stand in einer dunklen Gasse, neben ihm befand sich Hades. "Du bist wiedergekommen, Deimos. Ich wusste, dass du es nicht lange ohne mein schwarzes Gift aushalten würdest, denn es schenkt dir Macht und Stärke....Du bist auf niemanden mehr angewiesen - aber dafür erwarte ich, dass du mir gute Dienste leistest."

"Sehr wohl, Herr."

Boris warf einen grausamen Blick auf den Nacken des Orangehaarigen und grinste boshaft. Das Symbol der drei gezackten Blitze war nun klar auf der weißen Haut zu erkennen....es würde nicht mehr lange dauern, bis auch der letzte Rest von Brooklyns Persönlichkeit ausgelöscht war und dann würde Deimos zurückkehren....und ihm dabei helfen, seine Herrschaft der Finsternis zu errichten! Er selbst hatte ja schon dafür gesorgt, dass die Hüter der vier Schutzgottheiten in diesem Leben um vieles schwächer waren als damals, insbesondere Seiryuu und Suzaku, die als Team ziemlich gefährlich werden konnten....Ein kaltes Lachen erscholl und ließ selbst den Amerikaner zusammenzucken.

Das Echo des Gelächters hallte in der Gasse wider und der Wind trug es mit sich fort. Er schwang sich an Häuserecken und Autos vorbei, die Vögel erhoben sich bei seiner Berührung hinauf in den Himmel und seine klagende Stimme drang bis an Claudes Ohren. Der Franzose schloss die Augen und lauschte auf die geheime Botschaft, während Miguel ihn neugierig und ein wenig beunruhigt beobachtete. Es traf ihn tief, als Claudes Antlitz immer verstörter wurde.

"Liebster! Sag mir doch, was ist los?"

"Hades! Er....er hat Brooklyns Herz mit seiner dunklen Macht vergiftet! Sein Zeichen ist in seinen Nacken gebrannt!"

"Was?!"

"Das Rad des Schicksals hat sich erneut gedreht, mon amour. Wir werden Deimos' Erwachen nicht verhindern können. Aber wir können Seiryuu-sama und Suzaku-sama beschützen, wenn Hades angreift. Wir müssen uns beeilen!"
 

Miguel nickte ernst und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum "Tokyo Palace". Dort sassen Hiro, Garland und Mystel draußen auf der Kaffeeterrasse in trauter Runde beisammen und beratschlagten sich, was sie mit ihrem abtrünnigen Teamkameraden tun sollten, denn noch ahnten sie nicht, welches Unheil sich über ihren Köpfen zusammenbraute. Die Blitzkrieg-Boys, die soeben ihr Training absolviert hatten, gesellten sich dazu, da auch ihnen Brooklyns Veränderung aufgefallen war. Doch noch während man sich unterhielt, wurde das strahlende Blau dieses sonnigen Tages von düsteren Wolken überzogen, es donnerte bedrohlich in der Ferne und die Gäste flüchteten ins Innere des Hauses. Die Beyblader wären diesem Beispiel gerne gefolgt, wenn nicht plötzlich ein Strudel aus schwarzen Blitzen vor ihnen aufgetaucht wäre. Aus diesem heraus erschien Boris und Tala, Ian und Spencer stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Bryans Augen verengten sich zu Schlitzen und er griff langsam hinter sich zum Tisch, auf dem er sein Blade abgelegt hatte. Eine Peitsche traf seinen Handrücken und hinterließ einen blutigen Striemen. "Ah, verdammt!"

"Wer war das?! Zeige dich!" rief Hiro aus - nur, um sich gleich darauf fassungslos die Hand vor den Mund zu schlagen. Ähnlich wie Boris zuvor, zeigte sich der unsichtbare Angreifer durch einen dunklen Wirbel, der schließlich die Gestalt Brooklyns freigab.

"Gut, mein treuer Krieger! Es ist an der Zeit, ihnen zu zeigen, wem dieser Planet wirklich gehört! Es ist soweit! Kehre zu mir zurück, Deimos! Ich befehle es dir!" Mit diesen Worten richtete er seine beiden Hände nach oben und aus dem finsteren Wolkenmeer brach ein zweiter schwarzer Strudel böser Magie hervor, der den 23jährigen einhüllte. Bryans Finger krampften sich verzweifelt um Falborg. Alleine hatte er gegen diese hohe Konzentration von tödlicher Energie keine Chance! Was sollte er tun? Einschreiten? Welchen Sinn hätte das? Er wusste auch so, dass er die Erweckung nicht mehr stoppen konnte....sein Blick glitt hinüber zu Tala, der das Geschehen ungläubig, verwirrt und erschrocken verfolgte. >>Auch wenn Hades dich jetzt mit sich nimmt....ich werde für dich kämpfen....und dich zurückholen! Ich werde dich nicht im Stich lassen! Niemals!<<

Endlich löste das Gebilde um den Orangehaarigen sich auf und Hiro wollte schon erleichtert aufatmen, als er Brooklyns Augen sah. Sie waren schwarz - und seine Kleidung hatte sich in ein komplett aus schwarzem Leder bestehendes Outfit verwandelt: enge Hose, Handschuhe und ein langer Mantel, der den muskulösen Oberkörper entblößte. Das Lächeln in seinem Gesicht war nicht gutartig, sondern von gehässiger Natur. In seiner Hand hielt er immer noch die Peitsche, mit der er Bryan verletzt hatte. Sein Anblick hatte aber noch eine weitere Konsequenz. Tala packte sich an die Brust und stöhnte auf vor Schmerz. Spencer drehte sich zu ihm um.

"He, was ist denn mit dir?!"
 

In derselben Sekunde sackten Mystel und Garland in die Knie und pressten ihre Hände ebenfalls auf ihr Herz. Hiro, der überhaupt nicht verstand, was hier eigentlich vor sich ging, wollte seinen beiden Freunden zu Hilfe eilen, als sich ihre Augen öffneten, seltsam leer und von einem unheimlichen Glühen ausgehöhlt, wie die Talas. Blitze zuckten um sie herum und die drei ließen fast gleichzeitig einen Schrei hören, als ginge ein Schwert durch ihre Körper. Donner grollte und Boris brach in sein fanatisches Gelächter aus.

"Nun, ihr armseligen Wichte! Begrüßt sie mit mir....meine Ritter der Verdammnis!!"

Mystel und Garland erhoben sich langsam, doch ihr Mannschaftskapitän erkannte sie nicht mehr wieder. Der Blauhaarige trug wie der Blonde eine schwarze Hose und Stiefel, aber sein Nabelbereich war frei, der Torso unter einer hautengen gleichfarbigen Jacke verborgen. Der Ägypter war mit einem Cape ausgestattet, darunter war seine braune Haut sichtbar. Tala steckte in einer ähnlichen Kombination, nur waren seine Stiefel mit Nieten versehen, über der Hose kam ein knappes Hemd, darüber eine Lederweste und schließlich mittellange schwarze Handschuhe. Die Nasen- und Kinnpartie seines Antlitzes war auch verdeckt, einzig seine blauen Augen schimmerten so klar wie eh und je - doch nun lag Hass in ihnen und eine Eiseskälte, das allen das Blut in den Adern gefror. Bryan unterdrückte einen Fluch. Oh, er kannte diese verachtungsvollen, herrischen Augen....Das war Iras, sein Iras....der Wächter von Wolborg, einst ein Krieger des Wassers....und nun Hades' Ritter des Zorns! Er kannte sie....er kannte sie alle! Sol, der Wächter von Apollon, ein Krieger des Feuers, jetzt der Repräsentant des Hochmuts....Leviathan, ebenfalls ein Krieger des Wassers und Wächter von Poseidon....er stand für Neid. Und schließlich Deimos, der Wächter von Zeus, die Verkörperung von Hass!

"Was ist denn hier bloß los?" vernahm er Ians irritierte Frage. Hades schwebte in die Höhe und sammelte seine Energie für eine Attacke. Das Geschoss raste mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit auf Hiro und die beiden anderen ahnungslosen Blader zu, aber es traf frontal auf eine bläulich leuchtende Schwertklinge, die Bryan in Händen hielt und die eine Windbarriere erschuf. "Falborg, dein Hüter ruft dich!" brüllte der Russe gegen das Tosen an und der Falke brach aus dem Beyblade hervor. Seine riesigen Schwingen erzeugten eine sturmähnliche Bö, die Hades aus dem Gleichgewicht brachte und seine Konzentration störte, so dass der Angriff verpuffte. Der verärgerte Fürst der Unterwelt spuckte einen Namen aus: "Boreas! Du lebst noch!"

"Ich wurde wieder ins Leben gerufen, das wäre wohl treffender!" entgegnete Bryan und senkte seine Waffe. "Du konntest Eden zerstören, aber nicht seine Wächter! Auch heute noch gibt es sie, jene, in denen das Blut dieser vergessenen Zeit fließt! Es ist ihre Aufgabe, die vier Prinzen zu schützen, und genau das werden sie auch tun! Ich werde niemals zulassen, dass du dir diese Welt einverleibst, wie du es mit Elysium getan hast! Viele sind deinetwegen gestorben....Hüter ....Kreaturen....Menschen....du hast es gewagt, meinen Prinzen zu töten, meinen Herrn, dem ich die Treue geschworen habe! Du hast es gewagt, Hand an Seiryuu-sama zu legen! Du hast Iras in einen deiner Gefolgsleute verwandelt! Erwarte....keine Gnade von mir....!!"

"Ich erwarte von niemandem Gnade, da ich sie selbst niemandem gewähren würde, du Narr!! Aber wer sagt dir denn, dass dein nobler Seiryuu-sama und seine törichten Freunde ihre Aufgabe, ihr Schicksal akzeptieren werden?! Was ist, wenn sie es ablehnen, ihr Blut für diesen Planeten zu vergießen?!"

"Das werden sie nicht tun....ich weiß es...."
 

Ray und Tyson hatten Mr. Dickenson verlassen und waren auf dem Weg zum Kinomiya-Dojo. Als der Wind auffrischte und der Himmel sich zuzog, wurde der Blauhaarige misstrauisch, denn er fühlte deutlich, dass irgendetwas nicht stimmte.

~~ Gefahr, mein Gebieter....~~

"Warte mal kurz, Ray. Hast du das auch gehört?"

"Was meinst du?"

"Diese Stimme! Ein sanfter Singsang, wie ein Säuseln...."

"Wovon sprichst du? Wir sollten jetzt lieber sehen, dass wir unter ein Dach kommen, es scheint, dass ein Gewitter sich nähert...."

"Aber...."

~~ Gefahr, mein Gebieter. Hades hat die vier Ritter der Verdammnis geweckt. Euer Bruder befindet sich dort. ~~

"Hiro?!" stieß er hervor und der Chinese begann sich zu fragen, was plötzlich in den anderen gefahren sein mochte. Er starrte vor sich hin und bewegte tonlos die Lippen, als antworte er auf etwas. "Tyson? Was hast du?"

"Das....war der Wind, Ray. Er hat zu mir gesprochen....Er hat gesagt, Hades sei aufgetaucht und hätte seine Elitekämpfer wiedererweckt...."

"Wie bitte?!"

"Ich ahne Furchtbares, mein Freund! Lass uns gehen! Ich glaube, mein Bruder ist in Schwierigkeiten - und wer weiß, wer noch alles! Los!"

So schnell sie ihre Beine trugen, eilten sie zum "Tokyo Palace", wo gerade ein heftiger Kampf zwischen Bryan und Hades tobte, bis es dem Russen gelang, diesem eine Schnittwunde am Arm beizubringen. Er machte sich dabei ein Phänomen der Windmagie zunutze, die man "Kamaitachi" nannte und bei dem aufgrund eines Luftvakuums ohne direkte Berührung Schlitze in der Haut auftreten.

"Genug jetzt!" mischte Tala bzw. Iras sich ein und in seiner Hand erschien ein zu einem Schwert geschliffener Eiszapfen. "Ich werde nicht weiter dabei zusehen, wie du Seine Hoheit verletzt! Stell dich mir, wenn du dich traust!"

"Verdammt! Sei doch vernünftig, du Idiot! Hast du vergessen, was er uns in diesem Leben angetan hat und in unserem letzten?! Wehre dich gegen sein Gift, ich bitte dich!!"

"Schweig!"
 

Damit formte er mehrere messerscharfe Eissplitter und schickte sie in Richtung Bryan. Der 22jährige duckte sich unter dem auf ihn hernieder prasselnden Regen aus gefrorenen Spießen und schrie auf, als einige davon seine schutzlose Haut ritzten.

"FIRE EXECUTION!!!"

Ein Schwall Lava ergoss sich über die Eisspeere und schmolz sie zu kleinen Wasserpfützen. Fast im selben Moment wurde der Lilahaarige von vier helfenden Armen gepackt und aufgerichtet. "Miguel! Claude!"

"Wer denn sonst? Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass wir dich hier hängen lassen?"

Iras knurrte wie ein Wolf, erbost über die unliebsame Rettungsaktion. Wer hatte diesen Wächter-Anfängern gestattet, sich einzumischen?! Er beschwor einen Schneesturm herauf und die weiße Kälte tanzte in dicken Flocken um die sechs jungen Männer herum, die auf der Terrasse standen. Miguel faltete die Hände und aus einem Bodenspalt zu seinen Füßen brach Magma in einer Fontäne hervor, die dem Schneetreiben rasch ein Ende bereitete, ohne jemanden dabei zu versengen, denn darauf achtete der Feuerkrieger sehr penibel. Der Rothaarige verlor die Geduld und mit einem wütenden Kampfschrei schloss er seine Gegner in meterdickes Eis ein, bis nur noch ihre Köpfe frei waren.

"Soll ich sie komplett einfrieren, mein Fürst?" erkundigte er sich bei Hades, der dem Schauspiel mit sichtlichem Vergnügen beiwohnte.

"Nein, das wird nicht nötig sein. Deimos kann ihnen mit einer seiner Attacken der Reihe nach den Schädel spalten, das ist amüsanter. Zeig, was du kannst, mein Soldat des Hasses!"

"Wie Ihr befehlt, Herr." Der Orangehaarige erzeugte zwischen seinen Fingern Kugeln aus schwarzen Blitzen und näherte sich seinen Opfern mit einem arroganten, teuflischen Grinsen, das zusammen mit seinen dunklen Augen einen gelungenen Entwurf für ein dämonisches Antlitz darstellte. Er holte aus.

"NEIN!!"

Deimos hielt unweigerlich inne. Hiro hatte sich vor Bryan, Miguel und Claude aufgebaut und streckte seine Arme schützend vor ihnen aus. "Das reicht jetzt! Auch wenn ich keine Ahnung habe, was hier eigentlich los ist, werde ich nicht zulassen, dass du sie tötest!! Ich will nicht, dass Blut an deinen Händen klebt, Brook!!"

"Falls du es noch nicht begriffen hast, du armseliges Stück Dreck!! Brooklyn existiert nicht mehr!! Sein Körper gehört mir!! Seine lächerliche Seele ist längst verdaut!! Und was mich, Deimos, angeht, da kann ich dich beruhigen: Ich töte nicht zum ersten Mal!"

Hiro schluckte schwer, rührte sich aber keinen Zentimeter vom Fleck. Das Herz hämmerte ihm wild in der Brust, Schweiß rann ihm über die Stirn und Furcht, Entsetzen und ein scharfer Schmerz über die Verwandlung seines Liebsten schnürten ihm die Kehle zu, doch seine braunen Augen brannten vor Entschlossenheit, nicht zu weichen und zu wanken. Sein Atem war keuchend und seine Anspannung übertrug sich auf seine stählernen Muskeln, die abwechselnd von einem harmonischen Spiel in eine raubtierhaft dynamische Verkrampfung verfielen, als setze er zum Sprung auf seine Beute an. Deimos starrte sich an diesem Mann fest und spürte heißes Begehren in sich aufsteigen. Er leckte sich gierig über die Lippen. Nein, diesen da würde er tatsächlich nicht umbringen....er würde seinen Geist und sein sinnliches Fleisch unterjochen!

Oh ja....dieser Gedanke gefiel ihm....

"Onii-san!!"
 

Der Silberhaarige wandte sich um und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die beiden Beyblader, die in das Geschehen stürzten: Tyson und Ray. Die zwei Freunde benötigten den Bruchteil einer Sekunde, um die Situation zu erfassen. Durch ihre Köpfe rauschten unangenehme Erinnerungsfetzen und sie erkannten die vier Ritter der Verdammnis. Der Chinese musterte Mystel und Garland mit einer Mischung aus Wut und Verständnis, denn sein Instinkt sagte ihm, dass sie Eden nicht freiwillig verraten hatten.

"Hades!" stieß der Japaner zischend zwischen den Zähnen hervor, "Ich werde dich nicht so weitermachen lassen! Nicht nur wegen der Ereignisse vor zehntausend Jahren, sondern auch wegen dem, was du Kai und den anderen Blitzkrieg-Boys angetan hast! Ich werde dich in deine Schranken weisen!" Er zog sein Blade hervor und Ray tat es ihm nach. Hades' anfangs spöttisches, triumphales Lächeln erlosch schlagartig. Die Freunde tauschten einen letzten, vertrauensvollen Blick, bevor sie gleichzeitig riefen: "FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!"

Der Schwarzhaarige verschwand in einem Wirbel aus Blüten und seine Kleidung löste sich auf. Die Tätowierung auf seiner Brust leuchtete auf und Blätter und Gräser gesellten sich dazu; die Pflanzen hüllten ihn ein und schließlich fand die Transformation ihr Ende - Ray landete mit beiden Beinen fest auf der Erde, die gleich darauf ein Beben durchlief. Ein Fauchen war zu hören und Drigger erschien unter lautem Gebrüll. "Ra-Ray????" quiekte Ian perplex.

"Nein. Ich bin Byakko!" erklärte er bestimmt und zog sein Schwert. Dunkelbraune kniehohe Lederstiefel mit Fellbesatz und eine rötlichbraune Hose, darüber trug er eine vergoldete Rüstung, die alle wichtigen Körperteile bedeckte; die Schulterplatten glichen Tigerkrallen und über den Brustpanzer verlief eine Zeichnung, die an einen Prankenhieb erinnerte. Unter der Rüstung befand sich augenscheinlich noch eine Art Gewand, dessen lange dunkelbraune Ärmel sichtbar waren, die eng an Byakkos Muskeln anlagen. Sie mündeten in vergoldete Armschützer, die wiederum in künstlichen Handkrallen endeten, sodass er wirklich mit Klauen bewaffnet war, die je nach Bedarf ein- oder ausgefahren werden konnten. Um seine Stirn war ein farblich passendes Stirnband geschlungen, das mit einer Blattborte verziert war. Sein fast bis zum Boden reichendes schwarzes Haar war offen und seine goldenen Augen visierten Hades herausfordernd an. Tyson war indessen in die Gewalt eines Tornados geraten, seine Tätowierung erglühte blau und Federn wirbelten um ihn herum, als der Sturm ihn endlich freigab und Dragoon hinter ihm aufragte. Er postierte sich neben Byakko und sein Schwert schnellte aus der Scheide. Dunkelblaue Stiefel, die aber von vergoldeten Beinschützern umgeben waren, mit einer Zacke am Knie; dann folgte eine hellblaue Hose und die Rüstung, deren Schulterplatten flügelartig gestaltet waren. Sie verbarg den dunkelblauen Überwurf, dessen langes Tuch unter dem Lendenpanzer bis zum Knie herabfiel, sowohl vorne als auch hinten. Die Handschuhe mit dem Metallbeschlag vervollkommneten das Bild von Seiryuu, ebenso wie das blaue Haar und die leidenschaftlichen Augen. Hades war über das Auftauchen von zwei der legendären Hüter alles andere als beglückt, zumal er angenommen hatte, dass es gar nicht erst stattfinden würde.

"Deimos! Du vernichtest diese Möchtegern-Wächter! Und ihr, Iras, Sol und Leviathan, haltet mir diese verfluchten Prinzen vom Leib!"
 

Sol bzw. Garland, dessen Haar nun auch offen war, erschuf Lichtscheiben über seinem Kopf und schleuderte sie in Richtung Seiryuu. Sie krachten mit der geheiligten Klinge zusammen, doch es gelang dem Kämpfer, sie abzuwehren. Leviathan attackierte Byakko mit Flutwellen, die der Erdbeherrscher jedesmal in Schlick verwandelte, sodass sie ihm nicht gefährlich werden konnten. Iras schlich sich von hinten an den Mann heran, den er begehrte und legte seine starken Arme um die geschmeidige Taille.

"Sei...." flüsterte er ihm ins Ohr, die Stimme heiser vor Sehnsucht.

Tyson zuckte zusammen, als er Talas eiskalten Atem auf seiner Haut spürte. Nie hätte er gedacht, dass ausgerechnet er zu Hades gehören würde, wobei er über Garland und Mystel ähnlich erschüttert war, von Brooklyn erst gar nicht zu reden, da er ganz genau wusste, was sein Bruder für ihn empfand. Aber noch etwas erregte seinen Unwillen: Tala hatte ihn "Sei" genannt! Er fühlte instinktiv, dass niemand ihn damals so hätte ansprechen dürfen....außer einem....Suzaku, sein Geliebter.

"Lass. Mich. Los!!!" Eine mächtige Windbö packte Iras und schleuderte ihn gegen die Hauswand. Währendessen hatte das Spiel des Willens zwischen Deimos und Hiro seinen Fortgang genommen und noch immer stand dieser tapfer vor dem anderen und schirmte die drei Eingefrorenen von ihm ab. "Wage es nicht....!" drohte er in hartem Ton.

"Sonst was, du Schönling? Was könntest du mir schon anhaben! Aber ich muss sagen, dein Zorn steht dir außerordentlich gut....er macht dich noch um einiges verführerischer....hm...." Deimos berührte den 24jährigen am Kinn und drückte ihm ohne jede Vorwarnung einen Kuss auf. Im nächsten Augenblick knallte eine Ohrfeige und der Orangehaarige wich zurück, schäumend vor Wut. "Was maßt du dir an, du verdammter Mistkerl?! Ich gebe dir das, was du willst, und dennoch weist du mich ab?!"

"Was ich will? Was ich will?!?! Denkst du, bloß, weil du in Brooklyns Körper herumläufst, würde ich mich dir hingeben?!?! Ich will nicht einfach nur seinen Körper, sondern sein Herz und seinen Geist, den Menschen, der er ist!!! Du bist nicht er!!! Selbst wenn man einen Bastard in einen maßgeschneiderten Anzug steckt, bleibt er immer noch ein Bastard!!!"

Deimos' Hände ballten sich zu Fäusten und er wollte bereits einen Angriff starten, doch nach wie vor verhinderte irgendetwas in ihm diese Aktion. Auch sein Verlangen wallte stärker auf, denn dieser Wiederstand schürte seinen Wunsch, diesen stolzen Burschen zu zähmen.

**Aus dem Weg, Menschlein!** knurrte hinter ihm Drigger und seine Pranke fuhr hernieder. Deimos sprang geschickt zur Seite, musste jedoch erkennen, dass er gar nicht das Ziel war - der Hieb zersprengte die Eiswände und Bryan, Miguel und Claude taumelten zitternd aus ihren Gefängnissen. Leviathan und Sol waren in ein hektisches Gefecht vertieft, Welle um Welle, Baumranke um Baumranke, Lichtmesser um Lichtmesser und Bö um Bö wurden über das Schlachtfeld gejagt und erfolgreich geblockt. Schließlich kollidierten die Schwertklingen, denn auch damit waren die Ritter der Verdammnis ausgestattet. Sol besass eine größere Statur und einen muskulöseren Körper als Seiryuu und dieser überlebte die ersten zehn Minuten nur, weil er schnell und flink im Angriff war.
 

>>Ich danke dir für all das Kendo-Training, Großvater!<< dachte er im Stillen. Byakko und Leviathan waren sich weitgehend ebenbürtig, wobei der Wasserkrieger etwas zierlicher war und sich dementsprechend rascher bewegen konnte. Hades besah sich das Ganze mit gemischten Gefühlen. Ein Rückzug schien ihm jetzt die beste Lösung zu sein und er rief seine Soldaten zurück. Der ohnmächtige Iras wurde von Sol hochgehoben und zu fünft verschwanden sie in einem dunklen Tunnel. Die Wolken machten der Sonne Platz und der Himmel klarte wieder auf. Die Terrasse und der davor liegende Garten des Hotels sahen aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Ray und Tyson seufzten synchron auf und liefen zu den anderen. Sie bemerkten erst jetzt, dass es sich bei zwei der ehemals Gefangenen um Claude und Miguel handelte.

"Was macht ihr denn hier? Und....was ist das für ein Schwert, Bryan??"

"Später, Ray, bitte. Wir möchten uns gerne etwas aufwärmen, wenn du erlaubst....dann können wir reden." meinte der Russe fröstelnd. Der Japaner achtete nicht auf diese Konversation, sein Blick ruhte auf seinem älteren Bruder, der wie versteinert in dem Chaos stand.

"Onii-san?" fragte er vorsichtig. Die Schultern des Angesprochenen fingen an zu beben und ein Schluchzer würgte sich seine Kehle hinauf. Tyson war sofort bei ihm und umarmte ihn, als Hiro auf den Boden sank. "Warum nur....?" stieß der Silberhaarige hervor, unfähig, seine Tränen länger zurückzudrängen. Der Schock entfaltete seine Wirkung und die gesamte Situation forderte ihren Tribut. "Wieso musste das geschehen? Warum ausgerechnet Brooklyn? Sag es mir, Ototo....Ich liebe ihn....warum er?!"

Der 19jährige streichelte ihm hilflos über den Rücken, während Hiros Tränen auf seine Rüstung tropften. "Ich weiß es nicht....ich weiß es nicht...."

Die Träne aus Eis

*Tusch* So, da bin ich wieder! Vielen Dank für die Kommis!!! *lächel* Hier ist also der neue Teil! Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen! ^_______^
 

Kapitel 9: Die Träne aus Eis
 

Der Lethe, der Fluss des Vergessens, einer der Ströme der Unterwelt, beschrieb seine Bahn durch eine dunkle, vor sich hin vegetierende Landschaft. Kein schöner Ort für verstorbene Seelen, aber für Hades sein Herrschaftsgebiet. Cerberus zermalmte irgendwo die Knochen eines unglücklichen Wesens, das in seine Höhle geraten war, während Seine Hoheit auf seinem Thron sass, flankiert von Iras und Deimos, jenen Rittern, von deren "Ergebenheit" er am meisten überzeugt war. Was Sol und Leviathan betraf, so war er sich nicht ganz sicher, denn seine Schwarze Magie konnte nur dort greifen und gedeihen, wo es etwas gab, bei dem er einhaken konnte. Wo kein Samen ist, kann man nichts zum Wachsen bringen und Deimos bot damals wie heute mit seiner schweren Kindheit und seiner Einsamkeit einen perfekten Nährboden, genau wie Iras mit seinen unerwiderten Gefühlen für Seiryuu/Tyson. Sol und Leviathan hingegen hatten ein glückliches Wächterdasein geführt....und er war auch eigentlich nur auf sie aufmerksam geworden, weil sie die persönlichen Berater von Suzaku und Genbu gewesen waren und außerdem über bemerkenswerte Kräfte verfügten. Nicht zu vergessen die mächtigen Kreaturen, die sie behüteten: Einen Greif und einen Meerdrachen, seltene und ehrwürdige Geschöpfe. Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als Garland zu sprechen begann: "Hört zu, Hades, wir sind mit Euch gekommen, aber wir werden uns aus diesem Kampf heraushalten! Ihr habt zwei Krieger, die Euch bedingungslos gehorchen, das muss Euch genügen! Leviathan und ich wollen mit Euren Welteroberungsplänen nichts zu tun haben! Wir werden nicht weiter für Euch kämpfen, auch wenn wir nun erwacht sind!"
 

Er wandte sich zum Gehen, doch Hades' folgende Worte hielten ihn zurück. "Du bist immer noch so einfältig wie damals, Sol! Weißt du denn nicht mehr, was es dich kosten könnte, deine Macht nicht in meine Dienste zu stellen?"

"Was soll das heißen?!"

"Denk an deine Familie! An deine Eltern....und deine vielen Geschwister, die du so sehr liebst! Sie sind im Sport alle äußerst erfolgreich, nicht wahr? Einer deiner Brüder ist Formel-Eins-Fahrer! Wäre es nicht tragisch, wenn er auf der Rennstrecke einen tödlichen Unfall erleiden würde?"

"Das würdet Ihr nicht wagen!!"

"Oh doch, das würde ich....und das weißt du auch, habe ich nicht recht? Sei kein Dummkopf! Ich habe die Macht, deine gesamte Familie auszulöschen! In deinem früheren Leben musstest du bereits mit dem Tod einer deiner Schwestern dafür büßen, dass du dich mir widersetzt hast! Willst du das unbedingt wiederholen?"

Der Blauhaarige biss sich wütend auf die Lippen, bis es blutete. Von einem Moment auf den anderen hatte sich sein gesamtes Leben verändert....er hatte auf einen Schlag sämtliche Erinnerungen an eine Existenz zurückerhalten, die zehntausend Jahre in der Vergangenheit lag....er war verwirrt, entsetzt, traurig und zornig zugleich....und er hatte Angst, denn er wusste genau, dass sein Gegenüber Ernst machen würde, wenn er ihm nicht Folge leistete.... Schmerzvolle Bilder blitzten in seinem Kopf auf....
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Sol hielt den blutenden Körper einer jungen Frau im Arm. Ihr blaues Haar war zerzaust, das Gesicht zerkratzt und ihr zarter Leib völlig zerschunden. "Aurora!" flüsterte er verzweifelt ihren Namen, Tränen liefen ihm über die Wangen.

"Es tut so weh, großer Bruder....es tut so weh....! Ich weiß gar nicht mehr....was passiert ist.... Plötzlich tauchte dieser fremde Mann vor mir auf....und...."

"Sprich nicht....du bist zu schwer verwundet....aber sei ohne Sorge! Mutter ist Heilerin, sie wird dich rasch wieder gesund machen!"

"Mutter....ja....sie ist schon eine wunderbare Frau, nicht wahr? Immer habe ich ihr Ärger gemacht, weil ich auf Bäume geklettert bin und ihr Streiche gespielt habe und mich zu ihrem Kummer stets viel zu jungenhaft benommen habe....aber trotzdem wusste ich immer, dass sie mich liebte....Und auch Vater, Helios, Hephaistos, Phöbus und Vesta....und du, Sol....meine Geschwister....wir haben oft gestritten, aber es war eine schöne Zeit...."

"Rede nicht so, als wäre das alles vorbei, Aurora! Du...."

"Aber ich spüre, dass es vorbei ist....es tut mir leid....großer....Bruder...."

Ein letztes Zucken rann durch den Körper, dann verblieb er leblos in Sols Armen. Er vergrub sein Gesicht im Haar seiner Schwester und schluchzte zermürbt.

"Begreifst du nun, dass du mir nicht entgehen kannst? Hättest du von Anfang an mit mir kooperiert, hätte die Kleine nicht sterben müssen! Aber du wolltest ja nicht hören! Was ist jetzt? Wirst du an meiner Seite kämpfen oder soll ich noch jemanden aus deiner Familie umbringen?"

"Sei verflucht, du grausamer Teufel!!"

"Hüte deine Zunge! Du bist nicht in der Situation, um es dir mit mir zu verscherzen! Außerdem hast du mich mit ,Ihr' anzureden, verstanden? Also? Ich warte immer noch auf deine Antwort, Wächter von Apollon! Kämpfst du für mich oder willst du einen weiteren Mord auf dein Gewissen laden?"

"Du hast das getan, nicht ich!! Wie kannst du das behaupten, du ruchloser....!!"

"Du Narr! Ich habe es getan, um ein Exempel zu statuieren!! Wärest du nicht so stur und rechtsschaffen gewesen, würde sie noch leben!"

Sol wand sich und krallte seine Finger in den trockenen Boden zu seinen Füßen. Seine Tränen nässten die Erde und hinterließen feuchte Punkte darauf.

"Ich frage dich noch ein allerletztes Mal: Wirst du mir dienen? Ja oder Nein?"

"....Ihr....lasst mir keine Wahl....Ich....werde....Euch gehorchen...."
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Garland schloss die Augen, um den schrecklichen Moment zu verdrängen. Hades hatte bewiesen, dass sein Arm lang war....er würde das nicht noch einmal durchstehen...."Ihr habt gewonnen!" presste er zwischen den Zähnen hervor. "Aber seid versichert....eines Tages.... werde ich Euch dafür bezahlen lassen....!"

Er drehte sich um und Leviathan eilte ihm hinterher. Das siegreiche Gelächter des Fürsten hallte in ihren Ohren wider als grausiges Echo. Der 23jährige musterte Mystel scheu von der Seite. "Warum....folgst du ihm? Was hat er....was hatte er überhaupt je gegen dich in der Hand?"

"Nichts."

"Nichts?! Weshalb hast du dann eingewilligt, einer seiner Ritter zu werden?!"

"Erinnert Ihr Euch nicht mehr, Meister?"

"Sprich mich nicht so an, verflixt! Damals bist du mein Schüler gewesen, ich habe dich im Schwertkampf ausgebildet und dich gelehrt, wie man Magie benutzt, ja....doch jetzt ist das etwas anderes! Nenn mich also nicht ,Meister'!"

Mystel schwieg. In seinem Geist befanden sich mit einem Mal viel zu viele Informationen, zu viele Gefühle, zu viel Chaos....Es gelang ihm kaum, Ordnung darin zu schaffen, aber eines hatte er klar erkannt: Als Leviathan hatte er sich in Sol verliebt....und um ihm beizustehen und ihn zu unterstützen und zu verteidigen, hätte er alles getan, alles ertragen....sogar Hochverrat....Der Blonde fröstelte und zog sein Cape enger um seinen nackten Oberkörper.

>>Alles hätte ich für dich erduldet....und um mich ihm gefügig zu machen, drohte Hades mir damit, dich zu töten, wenn ich ihm nicht die Treue schwor....Ich wusste, wozu er fähig war.... Ich konnte das einfach nicht riskieren....!<<

"Habt Ihr....entschuldige, hast du etwa vergessen....wie ich dir....meine Liebe gestand?" fragte er sanft, wobei er errötete. Garland atmete geräuschvoll durch die Nase und wäre fast über einen Stein gestolpert, wenn der 19jährige ihn nicht aufgefangen hätte. Weiche braune Hände berührten Leder und Haut und der Ältere erzitterte.

"Ich....nein, das habe ich nicht vergessen....aber....du willst doch damit nicht sagen, du....hättest es meinetwegen getan?"

"Weswegen denn sonst? Du warst der wichtigste Mensch in meinem Leben....Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dich zu verlieren...." Er sprach mit viel Wärme und Ernsthaftigkeit, sodass der Blauhaarige aus Verlegenheit schlucken musste, um seine ausgedörrte Kehle zu befeuchten. Leviathans Liebeserklärung! Das war es, woran er sich erinnert hatte, als er Mystel aus dem Swimmingpool zog! (siehe Kapitel 4)

"....Verstehe....aber....heute, in dieser Zeit....da musst du doch einen anderen Grund haben?"

"Muss ich das?" erwiderte der Ägypter mit einem atemberaubenden Lächeln, das gleichsam liebevoll und traurig war und Garland ein wenig erschütterte. Sein Herz begann zu rasen und der betrübte und dennoch so starke und tapfere Blick aus diesen herrlichen hellblauen Augen traf ihn bis ins Mark. Er verspürte plötzlich das Bedürfnis, den Blonden in seine Arme zu reißen und niemals wieder loszulassen....
 

Hades hatte offensichtlich noch etwas mit Deimos zu besprechen, da dieser der Anführer der Ritter der Verdammnis war, also verzog Tala sich nach einer Weile, da er es leid war, nur von geplanten Kämpfen zu hören, anstatt an der Unterhaltung selbst beteiligt zu sein. Es schien ihm, als wäre es erst gestern gewesen, dass er durch die Felder der Unterwelt wandelte und an Eden dachte....und den Schmerz, den er dort zurückgelassen hatte. Der Russe sah sich unvorbereitet mit einer Vergangenheit konfrontiert, die eine alte Wunde in seinem Herzen aufgerissen hatte - jene Wunde seiner unerwiderten Liebe zu Seiryuu-sama, dem Prinzen des Windes. Er vermutete, dass diese Gefühle von einst der anfängliche Auslöser für seine Zuneigung zu Tyson gewesen waren, bis er den Jüngeren näher an sich herangelassen hatte und ernsthaftere zärtliche Empfindungen für ihn zu hegen begann. Er wusste jetzt auch, wer Bryan war....und es stieß ihm seltsamerweise auf wie ein Verrat, dass dieser ihm nie die Wahrheit über sich, die Welt der Wächter und die Person von Iras erzählt hatte. Andererseits....hätte er ihm geglaubt?

"He, Tala, wusstest du schon, dass ich die Wiedergeburt eines Kriegers bin, der aus einer anderen Welt stammt? Du übrigens auch - bis du unser Volk hintergangen und dich dem Bösen angeschlossen hast!"

Hm....das hätte er ihm bestimmt abgekauft! Sogesehen hatte Bryan wohl gar keine andere Wahl gehabt, als den Mund zu halten....Trotzdem. Warum hatte er sich ihm nicht anvertraut? Er musste doch geahnt haben, dass diese Sache hier in Tokyo ihren Anfang nehmen würde! Aber nein, lieber schwieg er sich aus, bis der liebe Tala selbst dahinter gekommen war und sein ganzes Leben im Bruchteil einer Sekunde auf den Kopf gestellt wurde! Vielen Dank auch, Bryan! "Na schön, Hades ist Boris....aber dank ihm besitze ich jetzt die Macht, Suzaku zu besiegen! Ich könnte ihn endlich zu Staub zermahlen und er stünde mir nicht mehr im Weg! Seiryuu wäre mein - endlich, nach zehntausend Jahren! Ich....kann nichts dagegen tun! Dieser spitze, scharfgeschliffene Stachel aus Kummer dringt immer tiefer in mein Herz! Ich habe endlich die Möglichkeit, mich an Suzaku zu rächen, dafür, dass er mir den Mann gestohlen hat, den ich wollte! Allein der Gedanke, dass er und Seiryuu sich geküsst, sich geliebt haben....lässt Übelkeit in mir aufsteigen! Diesmal....werde....ich....ihm....den Hüter des Heiligen Drachen nicht überlassen....!!"
 

Ja, wo kein Samen ist, kann man nichts zum Wachsen bringen....aber einmal von der giftigen Pflanze der Finsternis verseucht, wucherte sie immer weiter und überdeckte alles Gute in der Seele, in die sie hineingesetzt worden war....und so war es auch bei Tala. Er hatte sich in Zorn geredet und die tobende Schwarze Magie in seinem Inneren schöpfte daraus ihre Nahrung, um stärker zu werden. Sein Herz krampfte sich für einen Moment zusammen, als er diesem Dämon in sich Raum gab und seine vormals noch blauen Augen wurden schwarz, wie bei Deimos. Wolborg, der die immer tiefergehende Verwandlung seines Herrn spürte, verließ das Beyblade am Gürtel des Rothaarigen und erschien in seiner vollen Größe. Der Wolf registrierte mit Schrecken die schwarzen Augen und den boshaften Zug um die Lippen des Russen. Er bleckte die Zähne und stieß ein lautes, unglückliches Heulen aus. Er begriff genau, dass Talas Persönlichkeit nun endgültig erfolgreich unterdrückt worden war. In einer letzten, verzweifelten Anstrengung versuchte der wirkliche Tala, sich gegen die dunklen Kräfte zu wehren, doch verbittert durch die Entbehrungen und den Mangel an Liebe und Wärme, die er in seinem bisherigen Leben erfahren hatte, dauerte es nicht lange....bis sein Wille brach. Bevor seine Seele erlosch, entfloh ihm eine Träne, die langsam über seine Wange rann. Wolborg verneigte sich angesichts dieses abschließenden, wenn auch sinnlosen Aufbäumens, denn das bewies ihm, dass sein Hüter bis zum Schluss mutig gegen die Schatten in sich selbst angetreten war. Die Träne erstarrte am Kinn zu einem Tropfen Eis und fiel zu Boden, wo sie zersplitterte. Der Mann, der nun vor dem majestätischen Wolf stand, war nicht mehr Tala.

Das war Iras.
 

Der Hoteldirektor war einer Ohnmacht nahe, als er auf die Terrasse hinaustrat und die Zerstörungen sah. Er fing an zu zetern und zu brüllen und verlangte nach dem Verantwortlichen, aber Tyson und die anderen bekamen das schon nicht mehr mit, sie waren unterwegs zum Kinomiya-Dojo. Bryan, Claude und Miguel begleiteten sie, ebenso wie Spencer und Ian, die darauf bestanden hatten, die Wahrheit zu erfahren. Hiro war immer noch wie betäubt, als befände er sich in einem Alptraum und hoffe nach wie vor auf ein erlösendes Erwachen. Max kam ihnen entgegen und staunte mit offenem Mund, als er den einstigen Weltmeister und den Chinesen in ihren Rüstungen erblickte.

"Frag nichts. Wir werden euch nachher alles berichten - und dann haben uns unsere Gäste etwas zu sagen!"

Der Amerikaner nickte stumm zu Rays entschiedenen Worten, tief beeindruckt von seiner noblen, schönen Erscheinung. >>Ihr beiden habt also gekämpft....ihr habt angenommen, was Mr. Dickenson als unser Schicksal bezeichnet. Aber da ihr nicht allein gekommen seid....Diese Geschichte scheint weitere Kreise zu ziehen, als ich glauben wollte.<<

Man rief Kai zu der eigentümlichen Versammlung und er runzelte missbilligend die Stirn, als er dem ungewöhnlichen Äußeren seiner Freunde gewahr wurde. "Was soll das?" fragte er kalt. "Habt ihr etwa gekämpft? Dann hat Mr. Dickenson euch also wirklich herumgekriegt und ihr opfert euch edelmütig und idiotisch für die Rettung dieser Welt?! Erwartet nicht von mir, dass ich mich daran beteilige! Das Schicksal der Erde kümmert mich nicht!"

Seiryuu berührte das Bild von Dragoon auf seinem Beyblade und verwandelte sich zurück in Tyson. Er warf dem Russen einen harten Blick zu, der ein schweigender Vorwurf, eine Anklage war. Schließlich meinte er spitz: "Es ist dir offenbar entgangen, dass du auch auf diesem Planeten lebst! Wenn du es vorziehst, unter Hades' Herrschaft zu fallen, tu dir keinen Zwang an! Mir ist durchaus bewusst, dass ich von dir keine heroische Einstellung erhoffen darf - aber etwas weniger Egoismus wäre ganz nett!"

Seine Worte trieften vor Sarkasmus und Kai konnte den Jüngeren eine geraume Weile nur sprachlos anstarren. Woher nahm Tyson die Unverschämtheit, so mit ihm zu reden?! "Erzähl du mir nichts über Egoismus! Du bist oft genug auch selbstsüchtig gewesen!"

"Das weiß ich! Genau deswegen erkenne ich ihn bei anderen! Aber das hier ist kein Spiel, Kai! Es geht hier nicht um einen Sieg in einer Bey-Arena, sondern um die gesamte Welt! Ich würde das auch gerne ignorieren, aber da ich bin, wer ich bin, kann ich nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und nichts tun, wenn andere Menschen um mich herum leiden! Dir mag das vielleicht gleichgültig sein, aber mir nicht!" Der Blauhaarige warf sein Schwert zur Seite und baute sich vor dem Älteren auf, Schokoladenbraun traf Rubinrot. "Was schlägt eigentlich in deiner Brust, verdammt?! Ein Eisklumpen?! Kannst du so etwas Wichtiges nicht wenigstens ein einziges Mal mit dem Herzen entscheiden, anstatt mit dem Kopf?! Vor deinen Gefühlen davonlaufen, das ist es, was du kannst! Ich weiß, dass dein Leben von schweren Prüfungen geprägt ist - aber hast du denn wirklich gar nichts, dass du beschützen möchtest?! Gibt es nichts, was dir wertvoll und wichtig genug ist, um verteidigt zu werden?! Ich will kämpfen, um meine Familie und meine Freunde zu schützen! Auch ich hatte es nicht leicht und auch ich weiß, was Einsamkeit ist....aber im Gegensatz zu dir habe ich nicht aufgegeben!"

Kenny, der eben hinzutrat und schon auf dem Korridor Tysons stürmische Ansprache gehört hatte, war bestürzt, dass sein Kamerad dem Russen all diese Dinge direkt ins Gesicht sagte.
 

Kai war indessen noch ein Stück blasser geworden als er es ohnehin schon war und seine Stimme klang eisig und schneidend, als er erwiderte: "Du willst wissen, was Einsamkeit ist? Mach dich nicht lächerlich! Du wirst mich nie begreifen können! Ein kleiner, hyperaktiver Bengel mit Fresssucht und null Manieren, dem im Leben alles geschenkt wurde und der es immer schön heil und glücklich hatte, obwohl er es weder verdiente noch zu würdigen wusste, kann jemanden wie mich wohl kaum verstehen!!"

In diesem Moment geschah eine Art Wandlung mit Tyson. Es war, als würde die sonst so heitere, sorglose Maske zerbrechen und einem anderen weichen. Die Augen des Japaners tönten sich eine Spur dunkler, er straffte die Schultern und umfasste Kais Kinn in einer gebieterischen Geste. "Dem im Leben alles geschenkt wurde? Der es immer schön heil und glücklich hatte? Ha! Du kennst mich kein bisschen, mein Freund. Und du unterschätzt mich auch. Wir werden euch jetzt erzählen, was sich zugetragen hat und dann werden unsere Gäste sich erklären....und du wirst hier bleiben und zuhören. Keine. Widerrede."

Die Anwesenden, Hiro ausgenommen, waren sehr überrascht von diesem so ernsten, erwachsenen Tyson und Kai erging es nicht anders. Diese Seite an dem 19jährigen war völlig neu für ihn und er gehorchte stumm der Anordnung, während der ältere Kinomiya die Arme verschränkte und leise seufzte.

>>Ototo....ich hoffe, dass dieses Beisammensein irgendein Licht in mein Dunkel bringt. Ich will wissen, was mit Brooklyn geschehen ist....und mit Garland, Mystel und Tala....und mit dir und Ray. Hm....du bist in der Tat erwachsen geworden. Ich wusste schon immer um jenen ruhigeren, reiferen Wesenszug deiner Selbst....Ich bin vor meiner Einsamkeit geflohen, du hast dich ihr gestellt....Ich bin fortgegangen, aber du hast mir das nie übelgenommen....Du bist stärker als ich, kleiner Bruder....und möglicherweise ist es an der Zeit, dass nicht ich dir, sondern du mir etwas beibringst....<<
 

Ray, der sich ebenfalls zurücktransformiert hatte, setzte sich neben Tyson und packte die erstaunliche Geschichte um Eden, Hades, die vier Schutzgottheiten, deren Hüter und die Ritter der Verdammnis aus. Man lauschte ihm mit großer Aufmerksamkeit, bis er ans Ende kam: "Das ist alles, was wir bisher wissen, da wir noch keine Erinnerungen an damals besitzen. Doch nun zu euch, Bryan, Miguel und Claude: Was habt ihr mit dieser Sache zu tun?"

Ein paar Minuten Stille senkten sich auf alle herab, bis der Franzose sie von sich aus brach. Er konnte von dem Russen nicht verlangen, dass er darüber sprach, da die "Rekrutierung" seines Liebsten noch zu kurz zurücklag. "Versetzen wir uns zu jenem Augenblick zurück, in dem die legendären Wächter bereits ihr Leben gelassen hatten....Hades hatte sich in die Unterwelt zurückgezogen, nachdem er seine Elitekrieger verloren hatte....Eden war vernichtet. Aber entgegen all seiner Versuche war es Hades nicht gelungen, sämtliche Wächter zu töten. Viele von ihnen flohen in die Menschenwelt und nahmen die ihnen anvertrauten Kreaturen mit sich. Sie suchten die unterschiedlichsten Länder der Erde auf, um eine neue Existenz zu beginnen. Man verliebte sich, Familien wurden gegründet....und das jeweilige magische Geschöpf sowie die Aufgabe des Wächters wurde in diesen Familien von Nachkomme zu Nachkomme weitervererbt. Um miteinander in Kontakt zu bleiben, rief man den ,Orden von Eden' ins Leben, eine geheime Verbindung der Wächter mit Stützpunkten in so gut wie jeder Hauptstadt der Welt. Die Verbindung sollte über die Erde wachen und auf den Tag warten, da die vier legendären Hüter zurückkehren würden, um Hades endgültig zu besiegen. Dieser Tag ist nach zehntausend Jahren endlich eingetreten! Miguel und ich gehören zum ,Orden von Eden' und sind die Wächter des 9. Saeculum, des 9. Jahrhunderts nach Eden. Das ist unsere Zeitrechnung. Wir sind....wir sind die 900. Generation, die sog. ,Letzten Erben'. Wir sind mit der Geschichte von Eden aufgewachsen und zu Wächtern erzogen worden, denn dieses Wissen um die Wahrheit wurde von Generation zu Generation weitergereicht. Es ist unsere Pflicht, Hades aufzuhalten....und die vier Prinzen zu beschützen."

"Die vier Prinzen? Wen meinst du?" erkundigte sich Max, der diese neuen Informationen erst einmal verdauen musste.
 

"Euch natürlich. Eden wurde in vier einzelne Reiche aufgeteilt: Das Reich des Feuers, das Reich des Windes, das Reich des Wassers und das Reich der Erde. Regiert wurden diese Reiche von den Prinzen der vier Elemente, den Auserwählten der Schutzgottheiten, Suzaku, Seiryuu, Genbu und Byakko. Der Titel des Prinzen war nicht vererbbar, sondern wenn einer der Heiligen Hüter starb, suchte die Gottheit sich einen neuen Wächter aus, der würdig war, dessen Nachfolge anzutreten."

"Ich verstehe." meinte Ray nachdenklich. "Ihr drei seid also keine wiedergeborenen Wächter, sondern Bluterben von damals, Angehörige der Verbindung."

"Richtig. Das heißt....nicht ganz", mischte sich Miguel ein und strich sich eine widerspenstige Strähne seines platinblonden Haares aus der Stirn. "Sofern es Bryan betrifft....Als er starb, rettete seine Familie wenigstens Falborg, seine Kreatur, und vertraute sie ihren nachfolgenden Nachkommen an....Bis Boreas, der eigentliche Hüter des Falken, in Bryan Kuznetzov reinkarniert wurde....Da er aus einer Familie stammte, die dem ,Orden von Eden' angehörte, unterwies man ihn - wie auch uns - von frühester Kindheit an im Gebrauch von Magie und der Geschichte der Vergangenheit. Dann....bekam Boris ihn zu fassen....und von da an...."

"....und von da an war mein Dasein voller Entbehrungen und Schmerz...." fiel der Lilahaarige dazwischen, mit monotoner Stimme. "Aber dank meiner Erinnerungen, die schon so früh durch meine Erziehung in mir geweckt worden waren, erkannte ich, wer Boris in Wirklichkeit war.... Ich setzte mich mit dem Orden in Verbindung und hielt den Kontakt zu ihm aufrecht, soweit mir das in der Abtei möglich war....und hier bin ich nun...."

"Da gibt es aber noch etwas, das ich nicht kapiere", meldete sich Ian zu Wort. "Spencer und ich und auch andere Blader befehligen Bit Beasts, aber wir haben keine Ahnung von diesem ganzen Zeug! Wieso?!"

"Eden hatte in den letzten zehntausend Jahren Gelegenheit, sich zu regenerieren. Es wird nie wieder dasselbe unberührte Paradies sein wie vor Hades' Angriff, aber es ist nicht mehr tot....Vor ca. zehn Jahren hat auch der Heilige Baum wieder zu blühen angefangen....an diesem Baum wachsen die Eier, aus denen die magischen Kreaturen schlüpfen, die wir behüten. Früher wurden Wächter und Geschöpf in einer Zeremonie zusammengeführt, aber da die Wächter Eden verlassen haben, ist das nicht mehr möglich. Eure Kreaturen, Ian und Spencer, sind Wesen der ersten Blüte seit damals, junge und unerfahrene Wesen, die mit der Vergangenheit nichts zu tun haben, denn sie waren nicht dabei. Nur jene Kreaturen, die damals zugegen waren, konnten über Generationen hinweg vererbt werden....und mit ihnen ihre Geschichte. Demzufolge fließt in euren Adern kein Wächterblut....keine Magie. Eure Geschöpfe haben Eden verlassen, mit dem Bestreben, einen ,Hüter' zu finden. Diese Konzeption ist in ihrem Instinkt verankert, aber sie wissen nicht um die größeren Zusammenhänge ihrer Existenz, weil sie dazu einfach zu jung sind, kaum älter als der Beyblade-Sport."
 

"Und was ist mit mir?" wandte Hiro ein. "Tyson ist ja ganz offensichtlich ein Wächter. Warum nicht ich auch?"

"Tyson ist eine Reinkarnation. Es gibt keinen Wächter in der Ahnenreihe der Kinomiyas, als Wiedergeburt ist er kein Bluterbe im eigentlichen Sinne und das gilt für dich in gleichem Maße. In Bryans Fall sieht das anders aus, er ist beides zugleich."

"Darf ich fragen, wer noch alles in unserer näheren Umgebung zum Orden gehört?"

"Natürlich, Ray." antwortete Claude mit einem Lächeln. "Außer uns drei sind da noch Mathilda, Romero, Julia und Raul, Mariah, Lee, Rick, Mariam und Carlos."

"Mariah und Lee?!" entfuhr es dem Chinesen.

"Rick?!" brachte Max fassungslos hervor.

"Carlos?!" ließ Kai sich ungläubig vernehmen. Das konnte doch nicht sein! Carlos, sein ehemaliger Kumpane und Mitglied der Blade Sharks?! Dieser rücksichtslose, ungehobelte Frechdachs mit dem vorlauten Mundwerk, Nachkomme einer Wächter-Familie, ein Bluterbe?!

"Das ist ausgeschlossen! Er besitzt nicht einmal ein Bit Beast!"

"Du täuschst dich. Er bekam es am Tag seines 13. Geburtstages, so wie das auch in Eden üblich war, in diesem Alter durchlief man die Initiation zum vollwertigen Wächter und der Bund zu dem eigenen Geschöpf wurde hergestellt. Zu diesem Zeitpunkt warst du schon längst mit den Bladebreakers unterwegs." erklärte Miguel sanft, ohne sich von Kais funkelnden Augen aus der Ruhe bringen zu lassen. Immerhin war er selbst ein Feuerkrieger und war bestens vertraut mit solch hitzigen Blicken. "Heute wird das allerdings nicht mehr so genau ausgeführt, das Alter für die Initiation schwankt von Region zu Region - in China zum Beispiel erfolgt sie bereits mit zehn, in Spanien mit zwölf, in Schweden erst mit sechzehn....aber das sind Kleinigkeiten, die euch nicht interessieren dürften. Viel wichtiger ist jetzt die Frage, ob auch Genbu-sama und Suzaku-sama zurückkehren werden!" Und er musterte den Amerikaner und den Russen abwartend, doch der Blonde schwieg sich unsicher aus und der Graublauhaarige verschwand mit einem verächtlichen Schnaufen in Richtung seines Zimmers.
 

Während diesen Enthüllungen war Daichi unterwegs in der Tokyoter Innenstadt, um sich ein schickes Käppi für seine nächste Moderation zu kaufen. Er klebte an mehreren Schaufenstern von Sportgeschäften, musste aber feststellen, dass er entweder zu wenig Geld oder einen zu teuren Geschmack hatte. Als er um eine Ecke bog und dabei mit den Augen an einem "Ausverkauf"-Schild hängenblieb, stieß er mit jemandem zusammen.

"Aua! He, kannst du nicht aufpassen, Kleiner?!"

"Autsch! Wie? Oh, Entschuldigung...." Der 15jährige hob den Kopf und sah sich einem ca. vier Jahre älteren jungen Mann gegenüber, dessen langes schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden war und das sogar zu beiden Seiten seines Gesichts an den Schläfen bis auf die Brust fiel. Um den Kopf war ein blaues Tuch geschlungen, das hinten im Nacken verknotet war wie bei einem Piraten. Im linken Ohr glitzerte ein Ohrring und er steckte in abgewetzten Jeans und einem engen Tank Top. Daichi wurde unwillkürlich rot.

"Verzeihung, das war keine Absicht! Ich habe nicht aufgepasst!"

"Na, na, ist schon okay, schau mich nicht so geknickt an mit deinen hübschen grünen Augen! Da wird man ja richtig weich! Also....ciao, Kleiner! Halt die Ohren steif!" Damit verschwand er im dichten Straßengewimmel und ließ den perplexen Daichi hinter sich zurück.

>>Oh wow....was für ein cooler Typ....!<<

Erinnerungen (1)

So, da bin ich wieder! Danke für die Kommis! ^_______^ In diesem Kapitel geht es also um das frühere Leben der Jungs in Eden. Das (1) im Titel meint nicht den ersten Teil, sondern einfach, dass ich noch mal irgendwann ein Erinnerungskapitel schreiben werde, zwischen beiden können aber mehrere andere Teile liegen! Und nun viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 10: Erinnerungen (1)
 

Ein aufregender und ereignisreicher Tag neigte sich seinem Ende zu. Ian, Spencer und Bryan waren ins Hotel zurückgekehrt, während Hiro bei seinem Bruderherz im Dojo geblieben war. Claude und Miguel hatten ihre eigene Unterkunft aufgesucht, Kai hatte sich in seinem Zimmer verschanzt und Max in seinem Bett eingegraben. Ray und die beiden Geschwister blieben im Gegensatz dazu noch bis ca. elf Uhr wach und gingen erst danach schlafen.

"Ototo....ich weiß nicht, ob ich dir eine Hilfe sein kann, aber ich will es wenigstens versuchen. Wenn es irgend möglich ist, möchte ich derjenige sein, der Brooklyn zurückholt. Mir ist klar, dass das verrückt ist, da ich keinerlei magische Kräfte besitze, aber wenn du mich unterstützt, kann ich ihn vielleicht durch meine Liebe erreichen....Klingt das albern?"

"Nein, Hiro. Es klingt vielmehr nach einer mutigen Entscheidung, die typisch für meinen großen Bruder ist. Wenn sich etwas dem Gift des Hasses in Brooklyns Herz entgegenstellen kann, dann sind es aufrichtige und tief empfundene Gefühle. Was immer noch auf uns zukommt, es wird nicht einfach sein - aber wir haben ein Ziel vor Augen, nämlich, Hades zu vernichten und unsere Freunde zurückzugewinnen. Wir schaffen das!"

"Diese Zuversicht ist typisch für dich! Aber darf ich dich etwas fragen?"

"Ja?"

"Warum....bist du mit Kai so hart umgesprungen?"

"Du hast es hart gefunden?"

"Hm....eigentlich eher ungewöhnlich für dich. Natürlich kenne ich diese Seite an dir, aber ich hätte nie gedacht, dass du sie auch einmal vor anderen als mir durchblicken lässt."

"Ich erzähle dir sicher nichts Neues, wenn ich dir sage, dass Kai mir viel bedeutet, nicht wahr? Aber auch Kai ist nicht unfehlbar - und dass er sich bei dieser Angelegenheit so gleichgültig verhält, geht mir einfach gegen den Strich! Es kann ihm doch nicht egal sein, was mit Tala passiert ist, der immerhin sein Freund ist! Es kann ihm nicht egal sein, was mit Ray und mir ist, wenn wir kämpfen! Vielleicht...." Hier wurde seine Stimme leise und zögernd. "....vielleicht bin ich wirklich nicht wichtig für ihn....aber selbst wenn er mich nur als Kollegen betrachtet, könnte man doch ein bisschen menschliche Regung erwarten? Während einem Beyblade-Turnier ist er auch anders, freier, offener, leidenschaftlicher....in solchen Momenten spürt man das verborgene Feuer in ihm....Ich wünschte....ich könnte dieses Feuer weiter schüren....bis...."

"....bis sein Herz für dich entflammt ist?"

Tyson errötete und drehte sich verlegen weg. "Vor dir kann man einfach nichts verheimlichen! Das ist wirklich furchtbar!"

"Ich bin dein älterer Bruder. Es gehört zu meinem Job, alles herauszufinden!"

"Ach du meine Güte...."

Sie trennten sich lachend und der 19jährige kuschelte sich nach einer ausgiebigen Dusche genüsslich unter die Decke. Er war erschöpft und schlummerte bald ein, doch seine Gedanken waren alles andere als untätig. Diese Nacht brachte allen vier Auserwählten ein und denselben Traum....einen Traum über ihr früheres Leben....
 

~~ TRAUMRÜCKBLENDE ~~
 

Zaubermeister Diomedes schlüpfte in seine festlichste Robe, in seiner Hand hielt er seinen vergoldeten Schamanenstab und sein wallendes weißes Haupthaar fiel einer Mähne gleich auf seine Schultern hinab (ein bisschen wie bei Albus Dumbledore aus "Harry Potter"). Er schritt die Stufen zu seinem Gemach hinunter und betrat von dort den sog. Dritten Innenhof des Tempels von Eden, wo er das Amt des Hohepriesters ausübte. Im Sand und Staub des Hofes trainierten seine vier besten Schüler gerade den Schwertkampf, allerdings nur mit Holzwaffen, um die Verletzungsgefahr zu verringern. Sie waren dreizehn Jahre alt und heute war ein besonderer Tag für die Jungen: Die Schutzgottheiten der Welt der Wächter hatten sie zu den Nachfolgern der verstorbenen Prinzen der vier Elemente bestimmt und die Zeremonie der Verbindung zwischen Hüter und Geschöpf sollte in dieser Stunde stattfinden.

"Schluss mit dem Training! Es ist Zeit, dass ihr euch für das Fest umzieht! Götter warten nicht gern - und ich auch nicht! Hopphopp, nicht trödeln!"

Diomedes trieb die "Meute" vollzählig ins Innere des Tempels zurück, wo ein paar andere Priester darauf warteten, die rituellen Waschungen vorzunehmen und die Burschen in die Zeremoniegewänder zu kleiden. Wenig später standen Suzaku, Seiryuu, Byakko und Genbu in goldbestickten Seidenroben vor ihrem weisen Lehrmeister, verbeugten sich artig und ließen sich von ihm zu den Sänften führen, mit denen man sich zur Geweihten Lichtung bringen lassen würde, dem Knotenpunkt Edens, an dem die Grenzen der vier Königreiche zusammenliefen und wo der Heilige Baum seine Zweige gen Himmel streckte. Diomedes ging bescheiden zu Fuß, seine Schützlinge kletterten in die Sänften, die jeweils von sechs Männern getragen wurden, alle aus dem entsprechenden Land, das die Jungen eines Tages regieren würden. Der Zug setzte sich in Bewegung und erreichte schließlich die Geweihte Lichtung. Links und rechts wurde der Weg von allen Wächtern Edens flankiert, Alte und Junge, Männer, Frauen und Kinder, selbst Welpen, Küken, Fohlen und andere Altersstufen von den verschiedensten magischen Kreaturen hatten sich hier versammelt. Vor dem Heiligen Baum ragten majestätisch, stolz und respekteinflößend die vier Schutzgottheiten auf: Dranzer der Phönix, der Repräsentant des Südens und Herrscher des Feuers; Dragoon der Drache, der Repräsentant des Ostens und Herrscher des Windes; Drigger der Tiger, der Repräsentant des Nordens und Herrscher der Erde und Draciel die Schildkröte, der Repräsentant des Westens und Herrscher des Wassers. Die zukünftigen Prinzen näherten sich umsichtig und versanken in ehrerbietigen Reverenzen, als sie sich diesen mächtigen und weisen Geschöpfen gegenübersahen.
 

**Suzaku**, wandte sich Dranzer an den Dreizehnjährigen, **Lege deine Hand in meine Kralle. Hab Vertrauen, dir geschieht nichts. Ich stelle lediglich die Verbindung zwischen uns her. Dieses Band zwischen uns wird erst aufgelöst werden, wenn du stirbst. Wird die Verbindung nicht rechtzeitig durchtrennt, wird bei deinem Tod auch mein Körper vernichtet. Vergiss das bitte nicht und begib dich niemals leichtsinnig in Gefahr.**

"Jawohl, Dranzer." Er umfasste vorsichtig eine der riesigen Krallen und Flammen hüllten die beiden ein. Dragoon nickte und drehte sich zu seinem Auserwählten.

**Seiryuu....ich habe Dranzers Worten nichts hinzuzufügen. Was für Suzaku gilt, gilt für euch alle. Wir haben uns für euch entschieden, da wir in euch das nötige Potential erkannt haben. In euch steckt die Kraft, zu jungen Männern heranzureifen, die schöner, stärker und klüger sind als alle anderen. Ihr werdet gute Herrscher sein, wenn ihr unsere Gebote achtet und das Gleichgewicht der Schöpfung bewahrt, die all das zusammenhält was lebt und atmet. Gib mir deine Hand.**

Seiryuu gehorchte und auch Byakko und Genbu mussten den Pakt mit ihren Göttern eingehen. Danach übergab jede Kreatur ihrem Hüter ein wunderschönes Schwert. Diomedes trat hinzu, verbeugte sich und segnete die Waffen mit geheimnisvollen Zauberformeln. Anschließend rief er der aufgeregt und gespannt wartenden Menge zu: "Es ist vollbracht! Dies sind die neuen Prinzen der vier Elemente!"

Das Volk applaudierte und die Tiere ließen zustimmende Schreie oder Brüllen hören. Als nächstes wurden die frischgebackenen Regenten zu ihren Palästen geleitet, wo sie von nun an mit ihren Familien leben und arbeiten sollten. Die Vögel huben an zu singen, das Rauschen eines Baches vermischte sich mit ihrem Frohlocken, der Wind säuselte in den Zweigen der Bäume und die warmen Strahlen der Sonne schienen wohlwollend auf alle herab. Diomedes lächelte zufrieden. "Ich bin stolz auf euch, meine Schüler....sehr stolz."
 

°oOo° Zehn Jahre später °oOo°
 

Wächter Sol, seines Zeichens der Hüter des Greifs Apollon, Feuermagier und die rechte Hand von Prinz Suzaku, eilte mit ausgreifenden Schritten durch den Palast seines Gebieters. Er gelangte rasch zum Schlafgemach, scheuchte die beiden diensthabenden Wachposten zur Seite und stürmte voller Missbilligung in das Zimmer seines Herrn. Wie erwartet schlief er noch.

"Euer Gnaden! Wacht sofort auf, das ist kein Tag zum Verschlafen!" Er zog dem Träumenden die Decke weg und als dieser gähnend danach tastete, schrie er aus Leibeskräften: "EUER HOHEIT MÖGEN ENDLICH ZU SICH KOMMEN!!!!"

Suzaku fuhr auf und musterte seinen Obersten Berater in höchstem Grade verärgert. Sol baute sich mit verschränkten Armen vor ihm auf und wollte den Grund seines Eindringens erklären, als seinem Gegenüber der Kragen platzte.

"HAST DU SIE NOCH ALLE?!?!?! ES IST BESSER WAS WICHTIGES ODER DU BIST TOT!!!!!"

"Ich erbitte Eure Verzeihung", erwiderte der Blauhaarige ungerührt von diesem Wutausbruch, "....aber Eure Freunde sind eingetroffen. Ihr erinnert Euch doch gewiss daran, dass heute das alljährliche Sonnenwendfest stattfindet, das in Eurem Reich gefeiert wird?"

"....Natürlich, was für eine Frage! Meine Freunde sind also hier, sagst du? Ist....ist Seiryuu dabei?"

"Gehört er nicht auch zu Euren Freunden, Herr?" erkundigte sich Sol mit einem scheinheiligen Grinsen, wusste er doch, dass Suzaku romantische Gefühle für den Hüter Dragoons hegte. Der Prinz warf ihm einen niederschmetternden Blick zu und antwortete nicht. Er schickte den anderen hinaus und schlüpfte in die traditionelle Wächterrobe. Die seine unterschied sich von der gewöhnlicher Hüter eigentlich nur darin, dass die dazugehörige Hose nicht schwarz sondern weiß und der Überwurf außerdem etwas aufwändiger bestickt war. Er band sein langes graublaues Haar, das ihm bis zu den Hüften fiel, zu einem festen Zopf zusammen und lief zur Treppe, um seine Gäste zu begrüßen. Schon von weitem vernahm er die fröhlich klingende Stimme Genbus, die wie eine Quelle munter vor sich hin plätscherte. Byakkos ruhiger, sanfter Ton gesellte sich hinzu und alsbald auch die lebhafte, charmante Stimme Seiryuus, bei deren Klang der 23jährige ein starkes Herzklopfen verspürte. Als er die drei erreicht hatte, winkte er ihnen zu und lächelte erfreut. Der Prinz des Windes klopfte ihm derb auf die Schulter und grinste ihn an wie ein Honigkuchenpferd.

"Und? Musste Sol dich erst aufwecken? Du hast noch geschlafen, nicht wahr??"

Suzaku verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen gen Himmel. "Hätte ich doch bloß nie diese dämliche Wette mit dir abgeschlossen!"

"Wovon sprecht ihr?" wollte der Blonde wissen und sah neugierig von einem zum anderen. Der Wächter von Drigger ließ es sich angelegen sein, seinen Kameraden aufzuklären.
 

"Seiryuu hat mit Suzaku gewettet, dass er am Tag des Sonnenwendfestes wieder nicht aus den Federn kommt - und offensichtlich ist dem so!"

"Jetzt schmoll nicht, Phönix! Jedenfalls wirst du mir diesen Abend nicht entkommen! Jeder Tanz gehört diesmal mir!"

"Und was glaubst du, werden meine Verehrerinnen und Verehrer dazu sagen?"

"Denen bleibt nichts anderes übrig, als es hinzunehmen. Während der letzten Festlichkeiten bist du mir immer wieder entwischt, aber heute...." Er blickte Suzaku tief in die rubinroten Augen und seine nächsten Worte waren nicht mehr als ein Flüstern - ein sinnliches, verführerisches Flüstern: "....aber heute werde ich der einzige sein....den du in deinen Armen hältst!"

Der Angesprochene schluckte seine Nervosität hinunter und trotz seiner leicht rosigen Wangen fand er rasch wieder zu seiner Selbstbeherrschung und seinem berühmt-berüchtigten Charme zurück, mit dem er so gut wie alles und jeden um den kleinen Finger wickeln konnte. Er vollführte einen eleganten Diener, ergriff die schöne Hand des Blauhaarigen und hauchte einen süßen Kuss darauf. "Ich gebe zu, dass ich die Wette verloren habe. Ich verneige mich gern vor so viel Anmut."

Der andere errötete sichtbar und folgte verlegen dem Hüter von Draciel, der seinen Begleitern schon zum Schlossgarten vorausgeeilt war, nachdem er über den Inhalt der Wette Bescheid wusste. Byakko musterte den neben ihm einherschreitenden Feuerkrieger mit hochgezogenen Augenbrauen und einem amüsierten Schmunzeln.

"WAS IST?!?!?!"

"Gar nichts. Absolut gar nichts....wenn man davon absieht, dass du der größte Süßholzraspler von ganz Eden bist!"

"Na und? Noch habe ich damit beachtlichen Erfolg! Ich bin noch keiner Frau begegnet, die mir hätte widerstehen können....und bei den Männern ist es genau das gleiche!"

"Du interessierst dich doch ohnehin nicht für Frauen, warum also legst du so viel Wert darauf, auch ihnen zu gefallen?"

"Wenn man versucht, den Männern zu gefallen, kann es eben passieren, dass man auch den Frauen gefällt. Wo liegt das Problem? Man soll die Liebe genießen und sich nicht für ein ganzes Leben binden! Mein Motto lautet: Tu, was du willst, und mit wem du willst, solange alle damit einverstanden sind!"
 

"Casanova!"

"Du bist nur sauer, weil du in Genbus alleiniger Gegenwart keinen vernünftigen Satz mehr herausbringst!"

"Das ist überhaupt nicht wahr!"

"Das ist wohl wahr! Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie verträumt und gedankenverloren du ihn manchmal ansiehst? Allein dein Gang verrät, dass du auf Wolke Sieben schwebst!"

"Was?? Wie gehe ich denn??"

"Schwingend, vergnügt, als würdest du durch ein Blumenmeer wandeln. Aber mach dir nichts draus. Die Liebe ist immer noch der beste Schmuck für einen attraktiven Mann. Beim Tanz heute abend werde ich jedenfalls wieder zahlreiche Herzen brechen!"

"Halt mal die Luft an, du Don Juan! Du gehörst diesmal nur Seiryuu! Hast du denn bereits vergessen, dass du die Wette verloren hast, du Langschläfer? Das kommt davon, wenn man immer so spät ins Bett geht und auch noch ein Gläschen Wein trinkt!"

"Willst du mir jetzt Vorträge über meinen Lebenswandel halten?"

"Du meine Güte, nein! Es ist ein offenkundiger Charakterzug von Feuerwächtern, dass sie fast jeden Tag so leben als wäre es ihr letzter! Man preist eure Tugenden und man mokiert sich über eure Schwächen."

"Jedes Element steht für bestimmte positive Eigenschaften wie auch für negative, denn niemand ist perfekt. Die Erdwächter, heißt es bei uns, sind furchtbar pedantisch, brauchen einen geregelten Tagesablauf und sind nicht sehr flexibel."

Byakko musste lachen. "Ja - und die Feuerwächter sind hitzköpfige Temperamentsbolzen, die erst reden und dann denken. Was sagt man noch so? Ah....ihr seid stur und aggressiv."

"Gibt es auch etwas Nettes?"

"Hm....Feuerwächter sind leidenschaftlich, aufopferungsbereit und angeblich heißblütige Liebhaber!"

"Angeblich?"

"Ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen, dies in der Praxis festzustellen!"

"Verstehe. Nun, da du mehr zum Wasser tendierst, wird das wohl auch nie passieren!"

Der Schwarzhaarige wurde ein wenig rot, begriff er doch, dass Suzaku damit erneut auf seine zärtliche Schwäche für Genbu anspielte und er musste den Drang niederkämpfen, seinen Freund für sein wissendes Grinsen zu erwürgen.
 

Sie hatten die beiden anderen Prinzen eingeholt und mischten sich unter die übrigen Gäste, die bereits von Sol empfangen worden waren. Der Schlossgarten war mit Girlanden in den verschiedensten Rottönen geschmückt, man hatte eine lange Tafel mit raffinierten Speisen aufgebaut und eine Gruppe Musiker spielte ohne Unterlass beschwingte Melodien.

"Wenn es dunkel wird, werden die Lampions und Fackeln angezündet."

"Ja? Das verspricht eine romantische Atmosphäre, mein Freund."

"Sicher. Möglicherweise kannst du deinem Schatz bei dieser Gelegenheit ein bisschen näher kommen."

"Würdest du bitte endlich damit aufhören?! Ich gebe zu, dass ich mich zu Genbu hingezogen fühle, aber bei weitem nicht so stark wie du dich zu Seiryuu."

"Soso."

"Wieso habe ich den Eindruck, dass du mir das nicht glaubst?"

"Hm....was erzählt man sich denn so von Wasserwächtern?"

"Positiv ist ihre Ehrlichkeit und ihre Wahrheitsliebe. Man sagt, ihre Seelen seien so rein wie das Wasser selbst - sie können nicht lügen. Und sie sind überaus hilfsbereit und behalten selbst in Gefahrensituationen einen kühlen Kopf. Negativ? Sie können einem nicht zuhören und man hat ständig das Gefühl, der Gesprächspartner rinnt einem pausenlos durch die Finger. Und wenn sie jemanden nicht mögen, kann ihr Verhalten unter den Gefrierpunkt sinken."

"Wie sieht es in der Liebe aus?"

"Zwischen siedend heißem Wasser und Eiszapfen dürfte alles dabei sein."

"Wofür hältst du Genbu?"

"Er ist sehr schüchtern, aber äußerst liebenswert. Ein stilles, ruhiges Wasser."

"Täusch dich bloß nicht!"

"Was meinst du?"

"Stille Wasser sind tief!"
 

Byakko verschluckte sich vor Schreck an dem Stück Lachs, das er sich eben von der Tafel genommen hatte und schleuderte seinen fürchterlichsten Blick auf Suzaku, doch dieser war davon in keiner Weise beeindruckt. Nach und nach vervollständigte sich die Gesellschaft, Diomedes kam als letzter, wie gewöhnlich. Als der Abend sich auf Eden herabsenkte, wurde der herrliche Garten im Nu von Tausenden von leuchtenden Lampions und Fackeln erhellt und viele Paare fanden sich auf der Tanzfläche zusammen. Seiryuu forderte Suzaku auf und dieser ließ sich nicht lange bitten. Es stimmte, dass er seine Gunst im allgemeinen großzügig nach allen Seiten hin verteilte, doch seit sein Kamerad aus Kindertagen zu einem wunderschönen, tapferen und klugen Mann herangereift war, unbezähmbar, wild und frei wie der Wind, hatte er nur noch Augen für ihn. Ein tiefer, durchdringender Blick dieser braunen Topase genügte, um ihm den Schlaf zu rauben; ein Lächeln oder gar ein Lachen entschädigte ihn für die Mühsal des Tages; eine simple Berührung konnte sein Herz in Raserei versetzen und ihm während des Tanzes so nah zu sein, jagte Wellen der Erregung und der Sehnsucht durch ihn hindurch. Der feinsinnige Drachenhüter fühlte deutlich das Feuer in dem gesunden, geschmeidigen Körper, der ihn mit sicherem Griff führte, und es schien ihm, als verbrenne ihn diese leidenschaftliche, wunderbare Flamme von innen, ohne ihn zu verletzen. Er atmete tief ein, um möglichst all die Wärme, die der andere verströmte, in sich aufnehmen zu können und legte seinen Kopf an die kräftige Schulter. Der Wächter des Heiligen Phönix errötete und vergrub sein Gesicht sanft in der meerblauen Pracht. Er roch Seiryuus frischen kühlen Duft und drückte ihn fest an sich. Genbu und Byakko standen, mit Weinkelchen in Händen, ein wenig abseits, flüsterten sich irgendetwas zu und blickten ab und an vielsagend in Richtung des tanzenden Paares. Nach dem vierten Stück legte die Musik eine Pause ein und diese Chance nutzten die beiden Prinzen, um sich unauffällig von der Feierlichkeit zu entfernen - allerdings nicht so unauffällig, dass ihre Freunde es nicht bemerkt hätten. Und noch jemand sah es. Iras, der Hauptmann der Palastgarde des Hüters von Draciel.
 

Er unterhielt sich gerade mit Boreas, der rechten Hand von Seiryuu, als er die zwei Schatten erkannte, die sich still und leise davonschlichen. Seine Miene verfinsterte sich und er nippte verärgert an seinem Wein. Was zum Teufel fand der Prinz des Windes nur an diesem Kerl?! Er verabschiedete sich von seinem Gegenüber und folgte ihnen. Boreas jedoch hatte die Situation erfasst und erwischte Iras noch am Hemdsärmel, bevor er im Dunkel der Bäume verschwand.

"Lasst mich los!"

"Was erdreistet Ihr Euch eigentlich?! Wenn Seiryuu-sama mit Suzaku-sama allein zu sein wünscht, haben wir das zu respektieren! Was ist bloß in Euch gefahren?!"

"Was wisst Ihr denn schon! Ich ertrage es nicht, die beiden zusammen zu sehen!"

Die Verzweiflung in seinen Augen schmetterte eine fürchterliche Erkenntnis in Boreas' Herz und es war ihm, als zerspringe es in tausend Stücke. "Ihr....liebt meinen Herrn?" stieß er mit bebender Stimme hervor. Iras wandte sich ab, doch seine Schultern zitterten.

"Ja." erwiderte er schließlich traurig und presste seine Lippen fest aufeinander, um seine Schluchzer zu unterdrücken. Der Lilahaarige schluckte schwer und umarmte Wolborgs Wächter von hinten. "Es tut mir so leid....Ich hatte keine Ahnung, wie Ihr fühlt....Verzeiht bitte...."

Iras entspannte sich in der Umklammerung ein wenig und er drehte sich wieder zu Boreas um. "Entschuldigt, dass ich Euch so angefahren habe. Ich weiß, dass Ihr Seiryuu-sama treu ergeben seid. Außerdem habt Ihr recht, ich sollte ihnen nicht hinterherlaufen. Setzen wir lieber unsere Unterhaltung fort." Er kehrte zu ihrem Platz zurück und der Windkrieger eilte ihm nach, den eigenen Schmerz ignorierend, nun, da er die schreckliche Wahrheit in Erfahrung gebracht hatte. Iras liebte seinen Gebieter und betrachtete ihn lediglich als Vertrauten! Warum nur? Warum?!
 

Suzaku und Seiryuu wanderten schweigend durch die nächtliche Anlage. Sie sahen sich nicht einmal an, sondern genossen einfach nur die unmittelbare Nähe des anderen. Sie gelangten zu einer kleinen Brücke, die vom Mondschein beschienen war und über einen Bach hinweg führte.

Das leise Rauschen des Wassers, die Gerüche der Blumen um sie herum und das silberne Licht aus dem sternenbehangenen Himmel schufen eine ganz eigene, verzauberte Atmosphäre.
 

Wise men say

Only fools rush in

But I can't help

Falling in love with you
 

Shall I stay?

Would it be a sin

If I can't help

Falling in love with you
 

Der Prinz des Feuers legte seltsam scheu seinen Arm um die Schultern des Blauhaarigen und wagte es immer noch nicht, irgendetwas zu sagen. Er hatte bereits viele Eroberungen gemacht und nie hatte er irgendwelche Schwierigkeiten damit, doch bei Seiryuu war plötzlich alles anders. Er hatte sich einen Rat von Sol erhofft und dieser hatte geantwortet: "Bei anderen Männern kommt Ihr schnell auf den Punkt, Herr, aber nicht beim Regenten des Windes. Weshalb? Nun, weil er der Richtige ist. Wenn man dem Richtigen begegnet ist, lässt einen alles im Stich - die zuverlässige Ruhe, die gewitzten, kühnen Sprüche, alles. Einst konntet Ihr mit charmanter Unaufrichtigkeit lieben. Jetzt, da Ihr wirklich liebt, könnt Ihr nur noch schlucken und stottern. Aber Ihr müsst nicht sprechen, solange Eure Augen Eure Gefühle in sich tragen."

Suzaku ignorierte also seine Unsicherheit und drehte den anderen sacht zu sich herum.

"Ich....möchte dir etwas sagen, Seiryuu....aber ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Es ist so neu für mich, nicht weiterzuwissen und mich in deiner Gegenwart wie ein kleiner Junge zu fühlen....ich...."

Der Wächter des Heiligen Drachen musterte ihn stumm und abwartend. Eine leichte Brise wehte durch sein seidig schimmerndes Haar und der Glanz der Sterne spiegelte sich in seinen unergründlichen Augen wider. Das Licht des Mondes übergoss seine gebräunte Haut mit einem fast überirdischen Leuchten und die makellosen Züge des edlen Antlitzes wirkten wie aus Marmor gemeißelt. Die vollendete, reine, betörende Schönheit einer Statue - und doch tobte das Leben in ihr und ein freier, leidenschaftlicher Geist, stürmisch, widersprüchlich und faszinierend zugleich.
 

Like a river flows

Surely to the sea

Darling so it goes

Some things are meant to be
 

Take my hand

Take my whole life too

For I can't help

Falling in love with you
 

Dem Graublauhaarigen wurden die Knie weich. Sein Herz pochte so stark, dass ihm die Stimme den Dienst versagte und er kein Wort mehr hervorbrachte. Aber Seiryuus Lächeln verriet ihm, dass dies auch gar nicht mehr nötig war, denn in seinen rubinfarbenen brennenden Augen stand, deutlich zu lesen: "Ich liebe dich." Er wollte den in ihm wogenden Emotionen Ausdruck verleihen und öffnete die Lippen, doch zwei Finger, die sich zärtlich darauf legten, geboten ihm Schweigen. "Sag nichts mehr, Suzaku." flüsterte sein Gegenüber sanft. "Wir benötigen keine Worte mehr, mein Phönix. So lange haben wir nebeneinander gelebt, ohne zu dem zu stehen, was uns verbindet. Nun liegt das hinter uns....mein Liebster."

Damit neigte er sich vor und ihre Lippen trafen sich in ihrem ersten, innigen Kuss. Zögernd berührte der sonst so direkte Feuerkrieger den süßen Mund, wagte erst nach und nach eine stärkere Liebkosung, bis er spürte, wie sein eigenes Verlangen rückhaltlos erwidert wurde. Er schlang seine Arme um Seiryuu und zog ihn an sich, überwältigt vom Zauber dieses Augenblicks voller Harmonie und Glück. Sein Herz war ruhelos gewesen, während es vom einen zum anderen sprang, doch jetzt empfand er endlich Frieden, Geborgenheit, Liebe. Als sie sich voneinander lösten, sahen sie einander wie gebannt an, bevor sie erneut in einer endlosen Umarmung versanken.
 

Like a river flows

Surely to the sea

Darling so it goes

Some things are meant to be
 

Take my hand

Take my whole life too

For I can't help

Falling in love with you
 

For I can't help

Falling in love with you
 

Die Musik der Festgesellschaft klang hinaus in den lauen Abend und der Mond und die Sterne waren die einzigen Zeugen dieses langerwarteten Zusammenfindens....
 

~~ ENDE DER TRAUMRÜCKBLENDE ~~
 

Kai schreckte hoch, als hätte er einen Alptraum gehabt. Eine schwere Süße hinderte seinen Verstand daran, logisch zu arbeiten und er versuchte angestrengt, die Erinnerungen in seinem Kopf zurückzudrängen, jedoch ohne Erfolg. Die Szene des Kusses wiederholte sich vor seinem geistigen Auge wie eine Filmsequenz und es war ihm, als könne er den Geschmack von Seiryuus sinnlichen Lippen auf den seinen genau wahrnehmen. Seltsam erschöpft ließ er sich ins Kissen fallen und starrte sich an der Decke fest. Wieder musste er an Tyson und dessen Worte denken: "Was schlägt eigentlich in deiner Brust, verdammt?! Ein Eisklumpen?! Kannst du so etwas Wichtiges nicht wenigstens ein einziges Mal mit dem Herzen entscheiden, anstatt mit dem Kopf?! Vor deinen Gefühlen davonlaufen, das ist es, was du kannst! Ich weiß, dass dein Leben von schweren Prüfungen geprägt ist - aber hast du denn wirklich gar nichts, dass du beschützen möchtest?! Gibt es nichts, was dir wertvoll und wichtig genug ist, um verteidigt zu werden?! Ich will kämpfen, um meine Familie und meine Freunde zu schützen! Auch ich hatte es nicht leicht und auch ich weiß, was Einsamkeit ist....aber im Gegensatz zu dir habe ich nicht aufgegeben!"

Noch nie hatte der Jüngere es gewagt, so direkt mit ihm ins Gericht zu gehen! Nie hatte er ihm gegenüber so einen rüden Ton angeschlagen - und nie, musste er zugeben, hatte er stärker oder schöner gewirkt! Es drängte Kai, mehr über diese Seite von Tyson zu erfahren, die ihm so fremd war. Er hatte gesagt, auch er kenne die Bedeutung von Einsamkeit....Wie mochte seine Vergangenheit aussehen?

Flammendes Inferno

Sodala, da bin ich wieder! Ich bin wirklich froh, dass mich wegen meiner mitunter doch recht ungewöhnlichen Pairings noch keiner gelyncht hat! Besonders bei Lee+Raul, die ja wohl tatsächlich ganz neu sind. Aber bei der Episode "Schlaflos in Madrid", wo Lee seine Blader-Krise hatte und gegen F-Dynasty angetreten ist, sind mir die beiden einfach irgendwie ins Auge gesprungen....in diesem Kapitel ereignet sich ein peinlicher Zwischenfall mit den zweien! Der Titel "Flammendes Inferno" bezieht sich übrigens auf Kais Gefühlszustand am Ende dieses Teils! Und nun viel Spaß!!^^
 

Kapitel 11: Flammendes Inferno
 

Das Frühstück am nächsten Morgen verlief sehr schweigsam. Kenny empfand die merkwürdige Stille zwischen seinen Freunden geradezu wie eine Last, die sich auf die gesamte Atmosphäre gelegt hatte. Er konnte es natürlich nur vermuten, aber vielleicht hing das mit ihrem früheren Leben zusammen? Tyson und Kai, denen beide der Kuss noch zu lebhaft im Gedächtnis haftete, wichen sich selbst mit den Blicken aus, und Ray und Max, die dank des Traums festgestellt hatten, dass auch ihre Beziehung wohl etwas mehr als nur freundschaftlich gewesen war, erröteten jedesmal, wenn sie sich zufällig berührten. Kenny grinste unwillkürlich. Nun, da er ja beschlossen hatte, ins Kupplerfach zu wechseln, boten sich ihm hier durchaus einige Möglichkeiten! Zumindest hatte er schon ein paar nette Ideen! Der Chef nahm einen Schluck Kakao und verbarg sich wieder hinter Dizzy. Hätten Julia und Mariah geahnt, dass das 18jährige Genie sich mit derartigen Themen beschäftigte, sie hätten ihn vermutlich bestürmt, ihnen dabei zu helfen, ihre Brüder zu verkuppeln. Fakt war nämlich, dass Raul und Lee sich bei sich jeder bietenden Gelegenheit angifteten, zumal F-Dynasty aus dem Turnier geflogen war und der Chinese diese unrühmliche Tatsache dem anderen immer wieder genüsslich unter die Nase rieb, was den Spanier jedesmal in Raserei versetzte. Momentan trainierte man im hoteleigenen Beyblade-Raum und zwei gewisse sprühende Temperamente waren gerade dabei, sich gegenseitig in Grund und Boden zu bladen. "Los, Torch Pegasus! Zeig's ihm!"

"Vergiss es! Was kann dein Pferdchen schon gegen die Power eines Löwen ausrichten!?!"

"Er wird deinem Galeon gleich mal in den Hintern treten, Zottelkopf! Warum gibst du nicht gleich auf, bevor ich dir wehtun muss?!"

"Aufgeben?! Hey, wer ist bitte aus dem Wettkampf rausgeflogen, du sogenannter Super-Blader? Ach, entschuldige, Super-Niete wäre natürlich treffender!"

"WAS?!?! Na warte, du arroganter Alptraum eines Friseurs!! Ich werde dich...."

"Warum entspannst du dich nicht lieber und wartest dein Ende geduldig ab, anstatt dich hier so aufzuregen? Aber du willst ja nicht hören! Also dann, Galeon: SPIRAL LIGHTNING!!!!"
 

Aus Lees Blade brach der majestätische Löwe hervor und ein spiralförmig gewundener Blitz raste auf seinen Gegner zu. Ein Krachen, ein Splittern....und Torch Pegasus flog in hohem Bogen aus dem Ring. Raul stand fassungslos daneben.

"Nein....nein! Das kann doch nicht sein....!"

"Meine Güte, du lernst es nie, was? Das ist jetzt die vierte Runde und es steht 4:0 für mich! Ist es denn so schwer für dich, eine Niederlage zu akzeptieren, du Pomadenjüngling?"

"Hör auf, mich so zu nennen, Zottelkopf!"

"Hör auf, Zottelkopf zu sagen, dann hör ich auf mit Pomadenjüngling."

"Auf keinen Fall, Zottelkopf!"

"Dann leb damit, Pomadenjüngling!"

"Soll ich dir ein Veilchen verpassen, du verdammter Katzendompteur?!"

"Soll ich dir das Gesicht zerkratzen, du verängstigtes Fohlen?!"

Sie fixierten sich unheilvoll, grüne Augen trafen auf goldene, und die Spannung zwischen ihnen drohte ins Unerträgliche zu wachsen. Nach Julias Meinung zerlegten sie sich entweder jede Sekunde in ihre Einzelteile oder fielen übereinander her....dreimal dürfen wir raten, was die junge Frau sich erhoffte. Und sie hatte nicht so unrecht, denn während ihres intensiven Blickkontaktes hingen die beiden Kontrahenten ihren ganz eigenen Gedanken nach.

>>Was für eine blöde Situation! Ich kann den Kleinen doch gar nicht leiden....und trotzdem versinke ich in seinen Augen! Aber sie sind auch einfach nur wunderschön....dieses sanfte, helle Grün....wie Blätter....oder Jade....Wenn ich ehrlich bin, hat er schon irgendetwas.... Verführerisches an sich mit diesem rotbraunen Haar und diesem Oberlippenbärtchen....ein richtiger ,heißblütiger Spanier'-Verschnitt! Moment mal, was denke ich da eigentlich?! Halt an dich, Lee, und übernimm sofort wieder die Kontrolle über deine Hormone!!<<

>>Warum muss er nur so schöne Augen haben?! Golden wie die Sonne....oder mehr goldorange, wie Bernstein....Zu dem nachtschwarzen Haar sieht das wirklich unheimlich gut aus....he?! Raul, wo hast du deinen Kopf?!?!<<

Mariah schaltete sich ein und sammelte die Beyblades der zwei Dickschädel auf. Danach meinte sie betont unschuldig: "Ihr seid ganz verschwitzt, Jungs! Ihr könntet eine Dusche vertragen, wenn ihr mich fragt!"

"Du hast recht", erklärte Lee und schnupperte an seinem Hemd. "Bah! Ich muss raus aus diesen Klamotten! Gibst du mir den Schlüssel, Schwesterchen?"

"Was für einen Schlüssel?"

"Den für unser Hotelzimmer! Wo soll ich denn sonst duschen?"

"Na hier! Der Beyblade-Raum gehört zur Fitnessabteilung des ,Tokyo Palace'! Da gibt's auch Duschen! Wäre ja auch umständlich, wenn man jedesmal wieder in sein Zimmer laufen müsste!" Julia nickte eifrig und schlug ihrem Bruder auf die Schulter.

"Genau! Also, schmeißt euch unter das heiße Wasser und macht euch frisch! Hinterher können wir noch ein spätes Frühstück einschieben!"

"Ja, aber...."
 

Es blieb bei dem "Ja, aber". Die beiden Kupplerinnen schoben ihre Opfer, deren Proteste sie geflissentlich ignorierten, in die Garderobe, von der aus man in die Dusche gelangte und postierten sich vor der Tür, um zu verhindern, dass gewisse Personen die Flucht ergriffen. Raul und Lee lugten zwar einmal kurz dahinter hervor, aber als sie ihre Schwestern als unverrückbare Wachen vor der Tür stehen sahen, zogen sie sich resigniert zurück.

"Na, was soll's! Und es stimmt, wir brauchen tatsächlich einen Waschgang! Schau nicht wie ein sterbender Schwan an die Wand, Kleiner! Machen wir das Beste draus!"

Raul, der auffahren wollte, weil der Chinese ihn mit "Kleiner" betitelte, obwohl er nur ein Jahr jünger war als Galeons Hüter, schoss herum, eine scharfe Entgegnung auf den Lippen - doch die Worte erstarben ihm schon auf der Zunge. Lees Überwurf war zu Boden geglitten und entblößte die volle Pracht eines kräftigen, sehnigen Rückens mit herrlich geschmeidigen Muskeln, auch wenn einiges davon durch die lange schwarze Mähne verdeckt wurde. Er wandte sich wieder zu dem Spanier und entledigte sich ungerührt seiner weiten Hose, während sein Gegenüber sichtlich um seine Fassung rang. Lee besass breite Schultern, einen durchtrainierten, gestählten Oberkörper und einen ungemein anziehenden Waschbrettbauch. Jaja, Kampfsport machte sich offenbar bezahlt....! Die schlanken Beine und der knackige Po - für diese Bezeichnung haute sich der Rothaarige geistig eine herunter - wurden durch die engen weißen Shorts sehr vorteilhaft verpackt und die goldenen Augen taten das übrige.

"Was ist jetzt, Kleiner? Willst du vielleicht in deinen Klamotten unter die Dusche steigen?"

"HÄ?!?! Äh, nein, nein, selbstverständlich nicht! Ich mach ja schon...."

Der 19jährige schälte sich aus seiner Jacke mit den für F-Dynasty typischen Schulterplatten und warf sie achtlos auf die Sitzbank vor den Spinden. Er trug ein knappes Top darunter, das seinen Torso hervorragend betonte und jede Kurve markant abzeichnete. Er hörte, wie Lee hinter ihm die Luft einzog und grinste triumphierend. So viel zu Pomadenjüngling, Zottelkopf! Dann fiel ihm ein, dass das Top einen Reißverschluss am Rücken hatte und es zu eng war, um es einfach über den Kopf zu ziehen. Verdammt! Raul fingerte eine Weile erfolglos daran herum, als seine Hände plötzlich gepackt wurden und Lee sich zu seinem Ohr neigte.
 

"Soll ich dir helfen?" fragte er leise und sein heißer Atem streifte die Haut des Jüngeren. Diesem wurde ein wenig schwindelig und seine Wangen röteten sich automatisch.

"Bitte." hauchte er.

Lee lächelte spitzbübisch und öffnete vorsichtig und langsam den Reißverschluss, wobei er insgeheim jeden freigelegten Millimeter Haut bewunderte. So fein....und makellos....Er hielt inne, schalt sich einen Idioten und entfernte sich rasch von dem anderen.

"Danke sehr." sagte Raul und schlüpfte komplett aus seinem Oberteil, sich des musternden Blickes nur zu bewusst, den der Ältere auf ihm ruhen ließ.

"Gut, okay. Du wirst den Rest deiner Kleidung jetzt wohl alleine ausziehen können. Ähm....dreh dich bitte um, ich muss nämlich noch aus meinen Shorts raus...." Der Spanier gehorchte ohne zögern und der Schwarzhaarige eilte geschwind in den Duschraum. Nach fünf Minuten entledigte sich auch Raul des letzten Stück Stoffes und betrat die Dusche. Allerdings überkam ihn ein Gefühl der Ohnmacht, als er feststellte, dass es sich um eine schlichte Gemeinschaftsdusche ohne Trennwände handelte. Damit war ja nun erwiesen, dass er ein Pechvogel war und Fortuna ihn hasste! Außer ihm und Lee war zwar keiner hier, aber genaugenommen verschlimmerte das seine Lage nur. Er wählte die Dusche gegenüber des anderen, um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen, ihn näher zu betrachten und drückte auf "Heiß". Wasser rauschte über den gekachelten Boden, Hitze breitete sich aus und Dampfwolken begannen die Umgebung zu erfüllen. Der Rothaarige wusch sich ziemlich gründlich und der Schaum des Duschgels vermischte sich mit dem heißen Wasser. Lee war etwas früher fertig und da er sich die Hand vor die Augen hielt, um nicht gewisse Details an seinem Gegenüber zu begutachten, stieg er genau in eine große Seifenlache. Das Bein rutschte nach hinten und der Chinese fiel nach vorne - genau auf Raul. Ein erschrockener Aufschrei.... und dann....Stille. Zwei nackte Körper lagen aufeinander und zwei junge Männer starrten sich entsetzt und schwer atmend in rot glühende Gesichter. Wieder verschmolzen Grün und Gold, aber diesmal konnte man Verlegenheit und Scham in ihren Augen lesen....und ein paar weitere nicht zu verleugnende Aspekte: Verlangen und Erregung.
 

Lee spürte wildes Begehren durch sich hindurch rasen, und es kostete ihn ein enormes Aufgebot an Kraft und Selbstbeherrschung, um sich aufzuraffen und die Dusche halbwegs würdevoll zu verlassen. "Es....es tut mir leid!" Die Tür fiel zu und Raul war allein. Seine Haut schien überall dort zu brennen, wo Lee ihn berührt hatte und sein Herz donnerte mit verdreifachtem Tempo gegen seinen Brustkorb. Er riskierte einen Blick tiefer und wurde noch röter. Na toll, sein kleiner Freund musste jetzt unbedingt Stehaufmännchen spielen!!! Verdammt....der bloße Gedanke an diesen kraftvollen, raubtierhaft-eleganten Körper mit der weichen warmen Haut und der durchnässten Flut schwarzen Haares, die sich über anmutige Schultern ergoss, raubte ihm schier den Verstand!! Der Spanier schüttelte unwillig den Kopf. Was lief hier eigentlich ab?! Er konnte sich unmöglich in den Zottelkopf....quatsch, in Lee....verlieben....?!

Mist!!

Und wenn doch....?
 

"Mach ihn fertig, Dragoon!"

Tysons Blade wirbelte herum und krachte mit Getöse auf Rays Drigger. Funken stoben nach allen Seiten davon und die beiden Kreisel lieferten sich einen erbitterten Schlagabtausch. Der Chinese bemerkte, dass er in die Enge getrieben wurde und wich mit einem eleganten Salto aus. Sein Blade landete am Außenrand der Arena und rollte von dort mit verdoppelter Geschwindigkeit Richtung Gegner. Bevor er jedoch einen gezielten Treffer landen konnte, baute sich eine Windschneise um Dragoon auf und die Attacke verpuffte im Nichts. Tyson streckte seine Arme gen Himmel und rief: "GALAXY STORM!!!!"

Sein Gegenüber wurde mitsamt Blade vom Ring fortgeschleudert, als diese gewaltige Sturmbö ihre volle Macht entfaltete. Er wäre hart gegen die Wand gedonnert, die den Dojo umgab, wenn Max ihn nicht aufgefangen hätte. Durch die Wucht des Angriffs wurde der hilfsbereite Amerikaner allerdings zusammen mit Ray zu Boden geworfen und er hielt den männlichen Körper in seinen Armen immer noch umfangen, als alles längst vorbei war. Kenny schob seine Brille nach oben. Wenn die so weitermachten, würden die gar keinen Kuppler mehr brauchen!

Max war die Inkarnation einer Tomate (wieder einmal) - hochrot starrte er in das ebenmäßige, attraktive, mittlerweile auch etwas farbige Gesicht des Schwarzhaarigen, unfähig, seinen Blick von dieser vollendeten Schönheit vor sich zu lösen. Er war Ray für seinen Geschmack entschieden zu nah und hatte den Eindruck, dass sein wild pochendes Herz jede Sekunde aus ihm herausspringen würde. Dem Grund seiner Nervosität erging es aber auch nicht unbedingt besser, jedenfalls befand er sich gerade im Bann von zwei blauen Augen, deren Tiefe und Klarheit ihn zu verschlingen drohten. Das blonde Haar fiel wirr in ein hübsches Antlitz und die Sonne zauberte goldene Reflexe hinein, während sie die angefeuchteten Lippen matt schimmern ließ. Ray schluckte. Max war....er war so....so schön....!
 

Wie mochte dieser süße Mund schmecken?

Wie mochte es sein, durch dieses weiche Gold zu streicheln?

Wie mochte es sein, diese helle zarte Haut zu liebkosen?

"Ehem....ich möchte euch wirklich nicht unterbrechen, aber wie lange wollt ihr eigentlich noch da rumliegen? Auf die Dauer muss das doch unbequem sein!" mischte sich der Japaner ein, der mit Mühe ein Kichern unterdrückte, denn das Bild seiner beiden Freunde, die der Realität offenbar gänzlich entrückt waren, war einfach zu komisch. Im Anschluss an diese Bemerkung fuhren Max und Ray auseinander und in die Höhe, als hätte sie etwas gebissen. Kenny meldete: "Trainingsrunde Zwei, Ergebnis: Sieger ist Tyson Kinomiya! Du trittst gegen den Sieger von Trainingsrunde Eins an! Darf ich bitten, Kai?"

Der Russe holte seinen Shooter mit einer schwundvollen Geste unter dem Gürtel hervor und legte das Blade an. Sein Kontrahent tat es ihm nach und wie schon so viele Male zuvor standen sich der Hüter von Dragoon und der Hüter von Dranzer kampfbereit gegenüber.

"Okay, Jungs, seid ihr soweit? LET - IT - RIP!!!"

Mit einem Peng! kollidierten die zwei Blades und ihre Meister gönnten ihnen keine Verschnaufpause, sondern agierten aggressiv und heftig. Bei jedem Zusammenstoß schien die Erde zu beben und eine Art Schockwelle brandete über den Dojo hinweg. Flammen und Windsäulen türmten sich rings um die leidenschaftlichen Duellanten auf und Tyson zeigte ein siegessicheres Grinsen. Kai erwiderte dies und startete eine Agilitäts-Attacke. In blitzschnellen Sprüngen kam er auf den Blauhaarigen zu und sein Beyblade führte die entsprechenden Moves synchron dazu aus. Er holte mit der Faust aus, doch der 19jährige stoppte sie mit eisernem Griff und schleuderte den Älteren mit Hilfe eines Windstoßes zurück auf die Füße. In der Arena wurde dies dadurch deutlich, dass Dranzer gegen Dragoon prallte, ohne ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen und statt dessen selbst gegen die Ringwand gedrückt wurde. Kai fluchte verhalten und konzentrierte sich auf eine seiner stärksten Attacken. Der Phönix befreite sich aus dem Blade, sein gesamter Körper war eine einzige riesige Flamme. Der Russe schloss die Augen und lächelte dezent, bevor er seine ganze Kraft sammelte.

"BLAZING GIG!!!!"

Tyson schloss ebenfalls die Augen und horchte tief in sich hinein. Seine Ohren vernahmen die Stimme des Windes und die Tätowierung auf seiner Brust begann zu leuchten. Er kreuzte die Arme und wurde von vier Tornadosäulen eingekreist, die mit zunehmender Geschwindigkeit um ihn herum tanzten. Der blaue Drache erschien hinter seinem Herrn.

"GALAXY STORM!!!!"
 

Die beiden Mächte trafen in einer grellen Explosion aufeinander, Risse zogen sich durch den Boden, die Vögel flatterten ängstlich auf und Kenny, Ray und Max mussten sich die Hände vor die Augen halten, um nicht geblendet zu werden. Als das Licht nachließ, sah man die Beyblades hoch in den Himmel hinauf schaukeln, bis kein Speed mehr zur Verfügung stand und sie herunterfielen. Geschickt und lässig wurden sie von ihren jeweiligen Besitzern aufgefangen und Tyson meinte leichthin: "Unentschieden."

"Sieht ganz so aus."

"Das heißt, wir müssen noch einmal gegeneinander antreten!"

"Hm. Warum nicht?"

"Moment, Moment! Jetzt sind erstmal Ray und Max wieder an der Reihe! Trainingsrunde Drei, Ergebnis: Unentschieden. Trainingsrunde Vier: Max Tate vs. Ray Kon! Ach, und übrigens, Ty?"

"Was gibt's, Chef?"

"Dein Großvater will mit dir sprechen! Irgendwas wegen einem Kendo-Turnier oder so."

"Ihr Kami, wann lässt er mich endlich damit in Ruhe?! Ich nehme nur an Beyblade-Wettkämpfen teil, wie oft soll ich ihm das noch sagen?!"

"Und ehe ich es vergesse, Kai - Bryan hat angerufen. Du möchtest dich bitte zurückmelden!"

"Was wollte er?"

"Darüber hat er sich ausgeschwiegen."

"Hn."

Kai und Tyson trollten sich also in den Dojo davon, während Ray und Max Aufstellung nahmen. Kenny machte allerdings keinerlei Anstalten, das Match zu starten, sondern zählte leise von zehn an rückwärts. "Drei....Zwei....Eins...." Im nächsten Augenblick hörte man einen astreinen russischen Fluch und die Freunde stürzten in die Wohnung, um zu erfahren, was geschehen war. Als sie die Diele betraten, fanden sie einen auf dem Teppich hockenden, schimpfenden Kai vor und einen besorgten Tyson, der neben ihm kniete.
 

"Irgendein unordentlicher Chaot hat seinen Rollschuh im Gang herumliegen lassen und Kai ist volle Kanne reingestiegen und prompt den Flur entlang gesegelt!"

"Ich muss mich entschuldigen, das ist meiner!" erklärte das Computergenie beschämt. "Ich arbeite an einem Physikprojekt für die Schule, wo es um Geschwindigkeit und Zeit geht und ich habe den Rollschuh für eines meiner Experimente benutzt. Ich muss vergessen haben, ihn aufzuräumen!"

"Was, du, Kenny? Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich!"

"Niemand ist perfekt, Tyson! Gomen nasai, es tut mir schrecklich leid! Kannst du dich um ihn kümmern, während wir das Training fortsetzen?"

"Klar doch!"

Mit dieser Zusicherung war der Braunhaarige mehr als zufrieden und er komplimentierte den Chinesen und den Amerikaner mit einem breiten Lächeln wieder hinaus. Diese wunderten sich zurecht über Kennys strahlende Laune und in ihnen keimte der Verdacht, ob es sich bei dem Missgeschick wirklich nur um einen Unfall gehandelt hatte. Der Blauhaarige indessen war völlig ahnungslos, für ihn zählte jetzt nur das Wohl seines Freundes.

"Kannst du aufstehen?"

"....Nein....mein Fuß....tut weh...."

"Warte, ich überprüfe es. Welcher ist es?"

"Der rechte."

Vorsichtig und behutsam zog der Jüngere den Turnschuh herunter, entfernte den Strumpf und betastete sanft den Fuß des Russen. Kai verkrampfte sich unwillkürlich, als er die samtweichen Finger spürte, die beinahe zärtlich über seine Haut strichen. Die Berührung war wunderbar angenehm und genau das erregte seinen Unwillen.

"Nicht gebrochen, aber verstaucht. Morgen wird dein Knöchel grün und blau sein. Du benötigst einen festen, aber dennoch elastischen Verband, damit du den Fuß weiterhin ein wenig belasten kannst. Ich habe einen Medizinkasten in meinem Zimmer. Ich bringe dich hin."

"Du scheinst etwas davon zu verstehen...."

"Na ja, ich mache Kendo, und da geht es nicht immer zimperlich zu. Trotz Schutzkleidung verletzt man sich da schon mal. So - halt dich fest, Kai!"

"He....was....was soll das?"
 

Der 20jährige musterte den Japaner ein wenig verwirrt, als dieser einen Arm unter seinen Beinen durchschob und den anderen um seinen Rücken schlang. Als er angehoben wurde, schlossen sich seine Arme automatisch um Tysons Nacken und er registrierte erst, als dieser aufgestanden war und die Treppe hinauf marschierte, in welch peinlicher Lage er sich befand.

Er ließ seinen Träger im Bruchteil der nächsten Sekunde los und zischte kalt: "Lass mich runter! Ich will nicht durch die Gegend geschleppt werden!"

"Du kannst doch nicht laufen! Und außerdem, soll ich dich allen Ernstes im Korridor sitzen lassen? In meinem Zimmer ist es auf jeden Fall gemütlicher und dort habe ich auch die nötigen Utensilien, um dich zu verarzten. Die paar Meter wirst du überleben, ohne vor Demütigung gleich im Erdboden versinken zu müssen!"

Kai schwieg. Normalerweise hätte er Tyson jetzt für diesen unverschämten Ton zurechtgewiesen, denn immerhin war er ja der Teamkapitän und konnte Respekt erwarten, aber aus irgendeinem Grund störte es ihn nicht so sehr, in diesen muskulösen Armen zu liegen, wie er ursprünglich angenommen hatte. Etwas später wurde er auf dem Bett abgesetzt und der Blauhaarige holte ein Kästchen mit dem Roten Kreuz aus einer Schublade hervor. Geschwind hatte er einen Verband zurechtgeschnitten und wickelte ihn fachmännisch um die Verstauchung. "Das war's schon. Kannst du auftreten?"

Der Russe versuchte es und richtete sich langsam auf, aber der Schmerz war noch da und so zuckte er zusammen und sackte in die Knie - oder wäre gesackt, wenn Tyson seinen Fall nicht abgebremst hätte. Zwei Körper hielten sich umschlungen und ihre Augen versanken in einem Moment der Ewigkeit. Kühle Rubine tauchten in warmen Topas, tiefes Braun in glühendes Rot.

Die Zeit fror ein und zwei Herzen schlugen im Gleichklang. Der Jüngere fühlte, dass er dem Feuer dieser Augen nicht entfliehen konnte und sein Atem beschleunigte sich, als er sich klar darüber wurde, wie nah er Kai tatsächlich war. Blut, Hitze, Leben pulsierten unter seinen Fingern, edel geformte Muskeln strafften sich unter dem dünnen Stoff, eine feste Brust lag gegen die seine und hob und senkte sich bei ihren rhythmischen Atemzügen. Eine Welle des Verlangens durchflutete ihn; die Spannung zwischen ihnen erschien ihm fast unerträglich. Doch auch Kai blieb von der elektrisierten Atmosphäre nicht verschont, denn sie schürte eine Flamme in seinem Inneren, von der er nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierte. Es war eine mächtige, verzehrenden Flamme, die nach draußen drängte, hinaus aus ihrem Gefängnis aus Stolz, Einsamkeit und Kälte, die danach trachtete, die Ketten um ihr Dasein, die sich Angst, Zweifel und Misstrauen nannten, zu zerschmettern und sich der Liebe zu öffnen. Seine elfenbeinfarbenen Hände spürten enge Kleidung auf diesem makellosen Körper und das Wissen, dass sich darunter warmes, sinnliches Fleisch verbarg, brachte sein Blut in Wallung. Mechanisch wanderte eine Hand ein Stück den Rücken hinauf und verblieb in dem seidenen Haarschmuck aus fließendem Saphir, um den selbst die Götter Tyson beneidet hätten. Nur mit großer Anstrengung gelang es Kai, seinen Blick von den goldbraunen Juwelen zu lösen, doch schon kurz darauf wurde er erneut von etwas anderem angezogen: Von einem Paar sündiger, verführerischer Lippen von rosiger Farbe und voller Form, die Leidenschaft, Hingabe....Lust.... versprachen....Das Feuer in ihm wuchs zu einem flammenden Inferno an, das damit begann, alles ungute Widerstreben in seinem Herzen zu tilgen. Kai biss die Zähne zusammen, in höchstem Grade irritiert von seinen plötzlichen und so starken Gefühlsregungen. Er fürchtete, schwach zu werden, denn diese schönen Lippen vermittelten nur eine einzige Botschaft: "Küss mich!" Oh Gott....konnte das wahr sein? Nein! Nein, unmöglich!! Er würde der Versuchung nicht erliegen!! Er würde....ihr....nicht erliegen....
 

In der Unterwelt beobachtete Hades die Szene mit einer Kristallkugel. Er war verärgert, denn die Liebe zwischen Seiryuu und Suzaku war mächtig gewesen und hatte ihn beträchtliche Teile seiner Kraft gekostet - sie durfte nicht wiedererwachen!!

"Deimos?"

Ein schwarzes Loch erschien vor dem Thron und aus diesem trat der Orangehaarige heraus. Er verneigte sich und fragte: "Was wünscht Ihr, mein Fürst?"

"Ich möchte dich bitten, Suzakus nutzlose Existenz zu beenden."

"Soll ich Seiryuu nicht auch töten?"

"Nein. Erst, wenn er unter Suzakus Tod genug gelitten hat. Danach kannst du dich um ihn und die anderen Prinzen kümmern. Wenn du Erfolg hast, werde ich dich reich belohnen."

"Herr....ich wüsste eine angemessene Belohnung...."

"Ich höre?"

"Ich hätte gerne einen Liebessklaven."

"Oh? Wie überaus interessant. Und wer schwebt dir da vor?"

Deimos leckte sich gierig über die Lippen und erwiderte, heiser vor Erregung: "Der ältere Bruder des Windbeherrschers....Hiro!"

Hades musterte den Anführer der Ritter der Verdammnis mit einem grausamen Lächeln und nickte schließlich. "Den kannst du haben!"
 


 


 

Ehem....das mit dem Liebessklaven - also, es wird auf keinen Fall rape oder sowas in dieser Story geben, das soll nur zeigen, wie gegensätzlich die Begierde von Deimos zu den ehrlichen Gefühlen von Brooklyn ist. Bis zum nächsten Teil! ^_____^

Die Blume des Vergessens

Ja, da bin ich wieder!! *herumhüpf* So, dieses Kapitel ist nicht so lang, aber ich hoffe trotzdem, dass es Euch gefällt! Viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 12: Die Blume des Vergessens
 

Deimos, versehen mit einem neuen Auftrag, eilte durch die Gefilde der Unterwelt, um zum Hades-Tor zu gelangen, durch das er die Obere Welt betreten konnte. Er spazierte an den Ufern des Lethe entlang und plötzlich hatte er eine Idee. Er beugte sich zu einem trockenen Stück Land hinunter, aus dem erstaunlicherweise Blumen wuchsen - schwarze Blumen. Er pflückte eine von ihnen und drehte sie zwischen seinen Fingern hin und her.

>>So klein und so harmlos....aber deine Wirkung wird groß sein!<< dachte er gehässig und versiegelte die Pflanze in einer Vakuumblase, die in seiner Handfläche verschwand. Dann beehrte er die Ebene der Menschen mit seiner Anwesenheit. Niemandem fiel etwas auf, denn seine Lederkleidung tauschte sich automatisch selbst gegen alltägliche Klamotten aus. Suzaku zu töten, sollte keine große Schwierigkeit darstellen, da dieser dem Wächter-Dasein den Rücken kehrte und keinen Gebrauch von seinen Kräften machte. Seiryuu würde es nicht überstehen, ihn zu verlieren....und für Byakko und Genbu hatte er auch noch ein As im Ärmel....
 

Die beiden Erstgenannten ertranken immer noch in den Augen ihres jeweiligen Gegenübers. Sie waren sich so nah, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten und ihr heißer Atem perlte auf gebräunte und helle Haut. Tysons Herz schlug ihm bis zum Hals und er wusste, wenn nicht gleich etwas geschah, würde er Kai küssen. Der Russe auf der anderen Seite hatte ähnliche Gedanken. Seine Barriere war dabei, nachzugeben, als sein Stolz sich zu Wort meldete und wie in einer Kettenreaktion die alte Abwehrhaltung zurückbrachte. In einem abrupten Aufwallen von Verweigerung und Angst löste er seine Arme von dem männlichen Körper vor sich und stieß den Japaner zur Seite.

"Tu das nie wieder, hörst du?!" zischte er unfreundlich. "Fass....mich nie wieder an!" Damit erhob er sich mühsam und humpelte hinaus. Der Blauhaarige blieb zurück, als hätte man ihm eine Ohrfeige verpasst. Sein Herz krampfte sich infolge dieser rüden Ablehnung zusammen und er fluchte.

>>Verdammt! Warum nur lässt du mich nicht an dich heran, du sturer Esel?! Ich weiß, dass es dir schwer fällt, anderen zu vertrauen....aber damals hast du mir vertraut, Kai....warum sonst hättest du meine Hand genommen, als ich sie dir auf dem Eis-See reichte? Warum wärst du sonst wieder zurückgekommen, selbst, nachdem du dich erst der BEGA angeschlossen hattest? Nur wegen der Revanche gegen Brooklyn? Das ich nicht lache! Ich werde nicht zulassen, dass du dich erneut in von dir eigens auferlegte Einsamkeit flüchtest! Du bist lange genug einsam gewesen! Wie willst du die Kälte und den Schmerz in deinem Herzen bezwingen, wenn du dich meiner Wärme verweigerst? Was hindert dich daran? Wovor hast du so große Angst? Du weißt sehr genau, dass ich dir niemals wehtun würde!!<<

Tyson stand auf und entschied, seinen Großvater anzuhauen, ob er nicht eine kleine Trainingsrunde Kendo mit ihm einschieben könnte. Davon abgesehen - hatte Kenny nicht gesagt, er wolle ihn ohnehin sprechen? Umso erstaunter war er, als sein Opa ihm versicherte, dem Chef nichts dergleichen aufgetragen zu haben.

"Ich habe ihn nicht gebeten, dir irgendetwas auszurichten, Ty! Was weiß ich, wie der Knabe dazu kommt, sowas zu behaupten!"

Der 19jährige schwang sein Bokuto hin und her und murmelte: "Sollte das am Ende ein Verkupplungsversuch gewesen sein....? Kenny, pass bloß auf, dass du mir nicht im Dunkeln begegnest....!"
 

Der ahnungslose Computerfreak, der noch nicht einmal auf die Idee kam, Tyson könne das mit dem Verkuppeln weniger von der humorvollen Seite auffassen, ließ im Moment das letzte Ergebnis verlautbaren: "Trainingsrunde Vier, Ergebnis: Unentschieden!"

Max und Ray schüttelten sich die Hände und dankten einander für ein gelungenes Match.

"Wo wir schon dabei sind....ich habe mich nie dafür bedankt, dass du mich aufgefangen hast, als Hades uns zum ersten Mal angriff...." meinte der Blonde leicht verlegen.

"Ach, vergiss es. Du hast mich vorhin auch aufgefangen, wir sind also quitt. Allerdings....ich würde gerne wissen, was eigentlich mit Michael ist....Hast du ihm gesagt, was Sache ist?"

"Ja. Und wir haben uns in Freundschaft getrennt. Im Grunde ist er ein sehr lieber Kerl und gerade sein Verzicht hat mir bewiesen, dass er ehrliche Absichten hatte....Er hat mir Glück gewünscht....besonders in der Liebe...."

"Gibt es denn jemanden, den du liebst, Max?"

"In meinem früheren Leben oder jetzt?"

"Lass diese alberne Frage! Lässt dir der Traum immer noch keine Ruhe?"

"Wir haben einander auf den Kopf zugesagt, dass wir dasselbe geträumt haben, was? Es war aus unserem Verhalten ersichtlich. Ja. Ich kann nicht vergessen, was ich gesehen habe....was ich empfunden habe....Genbu fühlte Byakkos Blicke während des gesamten Abends auf sich, selbst wenn sie miteinander sprachen, konnte er das Sehnen des anderen spüren....Ich wüsste gerne, ob wir damals doch noch ein Paar geworden sind...."

Der Chinese senkte die Augen und erwiderte ein wenig beschämt: "Mir geht es nicht um die Vergangenheit. Meine Frage bezieht sich auf die Gegenwart!"

"Ach?"

"Max, das ist nicht witzig! Du...."

Da wandte sich der Amerikaner ihm zu und Ray entdeckte die Röte auf seinen Wangen. Er sah süß und verletzlich aus und der Schwarzhaarige hatte plötzlich den Wunsch, ihn in die Arme zu schließen, ihn an sich zu drücken und zu trösten.

"Mir ist klar, dass du es ernst meinst. Hältst du mich für so begriffsstutzig? Ich bin zwar noch nicht verliebt, aber....ich habe eine Schwäche für jemanden...."

"Für wen?"

"Das....möchte ich noch für mich behalten...." antwortete der Jüngere scheu und sein Gegenüber nickte verständnisvoll. Er hatte die vage Hoffnung, Max würde für ihn eine gewisse Zuneigung hegen, die über Freundschaft hinausging, aber wenn er nicht bereit war, darüber zu sprechen, würde er ihn auch nicht drängen. Er wollte Drigger gerade in seiner Hosentasche verstauen, als ein schwarzer Blitz vom Himmel zuckte und instinktiv stieß Ray den Blonden zur Seite. Das strahlende Blau über ihnen verdunkelte sich schlagartig, Donner grollte und mit einem fürchterlichen Krachen betrat Deimos die Szene. Das Getöse veranlasste Kai, Tyson, Hiro und Mr. Kinomiya Senior aus dem Dojo nach draußen zu stürzen, wo der Chinese zornig den hohnlächelnden Orangehaarigen fixierte, während Kenny sich unter der Veranda verkroch und Max automatisch sein Beyblade umklammerte.

"Was....was geht denn hier vor?!"

"Schweig, alter Narr!" zischte Deimos ungehalten und schoss eine Energiekugel auf den Kendo-Meister, sodass er durch die Hauswand in den Übungssaal geschleudert wurde und ohnmächtig liegen blieb. Tyson und Ray nickten sich gegenseitig zu und ihre Blades traten in Aktion. "FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!!"

Staunend verfolgten die restlichen Anwesenden diese Verwandlungen und Max konnte nicht umhin, erneut einen Schauer zu fühlen, der durch sein Innerstes strömte, als er Byakko in seiner vollen Schönheit und kämpferischen Eleganz vor sich sah.

**Du bist also gekommen, um das Leben unserer Hüter zu bedrohen?** ließ Dragoon sich vernehmen und seine Stimme klang kalt und schneidend. **Wage es nicht, Menschlein! Auch wenn die Kräfte der Dunkelheit dir beistehen, man sollte niemals die Macht der Elemente herausfordern!!**
 

"Sonst was, verehrte Gottheit? Glaubt Ihr wirklich, mir mit Euren pathetischen Reden Angst einjagen zu können? Das wird Euch nicht gelingen! Mein Gebieter Hades hat mich mit der Aufgabe betraut, Eure hochgeschätzten Prinzen zu töten und genau das werde ich tun! Wenn sie nicht mehr existieren, wird dieser Planet meinem Fürsten gehören! Er ist der wahre Herrscher dieser Welt und dieses Recht darf ihm nicht länger streitig gemacht werden!"

**Das zu sagen, kannst nur du dir anmaßen, Krieger des Hasses!** mischte sich Drigger ein und fletschte die Zähne. **Hades hat auch dein Leben vernichtet und dich deiner Einsamkeit preisgegeben! Wie kannst du ihm dienen, wo er dein Herz vergiftet hat?!**

"Seid still, Tiger!! Was wisst Ihr schon von meinem Schmerz und meinem Unglück?! Ihr könnt nichts weiter tun als Mitleid zu heucheln, aber wenn ich eines verabscheue, dann ist es Mitleid! Stets hat man gönnerhaft auf mich herabgesehen als wäre ich nicht mehr als eine Made, aber das ist vorbei! Hades-sama hat mir die Macht verliehen, die ich brauche, um all jene bestrafen zu können, die mich verraten haben! Ihr sollt ihn spüren - all meinen Hass!!!"

Mit diesen Worten trafen zwei gigantische Blitzkugeln Seiryuu und Byakko und sie wurden brutal gegen die Außenmauer des Dojo geworfen. Tyson biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, als seine Knochen hart gegen den Stein donnerten und ihn zerbröckelten. Putz und Mörtel fielen mit ihm zusammen zu Boden und jäher Schmerz breitete sich in ihm aus. Ray neben ihm war in die Knie gesackt und atmete schwer, von seiner linken Schläfe tröpfelte Blut. Ohne ihre Rüstungen hätte diese Attacke ihre Körper völlig zerschmettern können. Synchron zogen sie ihre Schwerter, bohrten sie ins Erdreich und richteten sich wieder auf. Deimos holte zu einem neuen Angriff aus, doch in dieser Sekunde beschwor Byakko sein Element und Schlingpflanzen schlossen sich um die Arme und Beine ihres Widersachers. Scharfe Windböen rasten auf ihn zu und schnitten ihm ins Fleisch; dünne rote Rinnsale zeigten sich auf seinen Wangen und seiner Brust. Nachdem der Wind seine Schuldigkeit getan hatte, näherte sich der Japaner dem Ritter der Verdammnis.

"Warum....hast du aufgehört?"

"Ich will dich nicht töten, Deimos. Ich bin nämlich ziemlich sicher, dass ein Teil von Brooklyn immer noch in dir zurückgeblieben ist....und wenn ich diesen Körper umbringe, kann seine Seele nie mehr zurückkehren."

"Das wird sie so oder so nicht!!! Brooklyns Seele ist verdaut, wie oft soll ich es noch sagen?! Es gibt ihn nicht mehr!! Ein letzter, armseliger Rest von ihm vegetiert in mir vor sich hin, ein kleines, verschrecktes Etwas, das bald ganz von der Finsternis verschlungen sein wird!! Ihr könnt ihn nicht retten!!"

!KLATSCH!

Deimos fauchte, als er die unliebsame Bekanntschaft mit Hiros Hand machte. Die Ohrfeige war heftig und brannte auf seiner Haut.

"Onii-san!" rief der Blauhaarige verwundert aus. Sein älterer Bruder betrachtete den Gefesselten mit eisiger Verachtung; seine Augen wirkten kalt und unnachgiebig und seine Lippen waren zu einer harten Linie zusammengepresst.

"Egal, wie kümmerlich der Rest von Brooklyns Seele deiner Meinung nach sein mag, ich werde nicht eher ruhen, bis dein schwarzes Herz für immer aus ihm verschwunden ist und er wieder der Mensch ist, der er einmal war! Ich werde ihn retten, komme was wolle!! Auch du wirst mich nicht davon abhalten!"

"Oho, wie überaus heldenhaft! Es ist bedauerlich, dass du so fest daran glaubst, mein Schönster! Denn ich versichere dir, er wird nie wieder kommen!"
 

Er neigte sich vor und betrachtete grinsend das edle Gesicht vor sich, das ihn zornig und angewidert musterte. Er küsste sanft die wohlgeformten Lippen, bevor er kräftig hineinbiss und Hiro dazu brachte, einen Schmerzensschrei auszustoßen. Der Silberhaarige betastete seine blutenden Lippen und leckte darüber hinweg, um die Wunde zu desinfizieren. Deimos beobachtete ihn dabei und das Erotische dieser Geste steigerte seine Begierde ins schier Unermessliche.

"Hmmm....so hörst du dich also an, wenn du Schmerzen hast, ja? Ich könnte dir lustvolle Schmerzen bereiten, wenn du es nur zuließest! Oh, strafe mich ruhig mit Hass, mit Verachtung! Ich nähre meine Kraft von diesen negativen Gefühlen! Wie gerne würde ich dich besitzen, dein Fleisch mir untertan machen! Aber noch habe ich einen Auftrag zu erfüllen, ehe ich meine Belohnung erhalte!" Er lachte schallend und schwarze Blitze zuckten um ihn herum, wobei sie die pflanzlichen Fesseln auseinander rissen. Er schüttelte die Ketten seiner Gefangenschaft ab und schleuderte ein Geschoss in Richtung Kai. Behindert durch seine Verstauchung konnte er nicht schnell genug ausweichen und gerade in der Sekunde, da er schon glaubte, die dunkle Energie würde ihn treffen, stieß Seiryuu ihn zur Seite und wurde statt dessen von der Attacke getroffen. Er überschlug sich zweimal und kollidierte mit dem Kirschbaum im Garten. Der Aufprall sorgte für einen üblen Bluterguss auf der linken Wange und einer der tiefer hängenden Zweige verpasste ihm einen hässlichen Kratzer auf der Stirn. Seine Knochen knackten und er dankte erneut der Widerstandsfähigkeit seiner Rüstung, die ihn davor bewahrte, sich schlimmere Verletzungen zuzuziehen. Kai, der bei der Rettungsaktion im Gras gelandet war, rappelte sich hoch, verwirrt und durcheinander. Er hatte Tyson doch vorhin erst so rüde abgewiesen....und dennoch hatte er sich zwischen ihn und die Energiekugel geworfen! Er verfolgte atemlos mit, wie der Wächter des Heiligen Drachen sich erhob und sein Schwert auf Deimos richtete. "Du hast meinem Großvater wehgetan....du hast meinen Bruder gebissen.... und jetzt hast du Kai angegriffen! Was zu viel ist, ist zu viel! Stell dich einem Zweikampf, wenn du mehr bist als ein feiger Bastard!!"

Der Orangehaarige verzog beleidigt die Mundwinkel nach unten und erschuf eine Klinge in seiner Hand. Seiryuu knirschte mit den Zähnen und wagte einen Ausfall. Die beiden messerscharfen Schneiden tauschten die ersten Schläge, und ihr Klirren hallte unheimlich in der Umgebung wider. Zentimeter für Zentimeter drängte der Japaner seinen Feind zurück und fassungslos und ungläubig begann Deimos zu begreifen, dass seine Niederlage näher war als die des Windbeherrschers. "Ich....werde dich nicht gewinnen lassen....Höre mich an, meine Kreatur! Ich rufe dich, Zeus!"
 

Ein dumpfes Grollen erscholl und aus dem Boden zu Byakkos Füßen brach Zeus hervor, das Wesen, das unter Deimos' Obhut stand. Der Prinz der Erde sprang gekonnt nach rechts davon und schleuderte spitze Dornen auf das Tier, doch es wehrte sie mit einem Hieb seiner riesigen Pranke ab. Dann setzte es zu einer Attacke an und der Chinese fuhr die Krallen seiner Handschützer aus, um die des hornbewehrten Löwen oder was immer Zeus genau war, abzublocken. Tyson wusste nur zu gut, dass Ray nicht allein gegen eine Kreatur bestehen konnte und so führte er einen gewagten Angriff, der Deimos' Schwerthand verletzte, sodass er seine Waffe loslassen musste. Während sich nun auch Seiryuu dem Kampf gegen Zeus stellte und seinem Freund zu Hilfe eilte, holte der Orangehaarige die Vakuumblase mit der Blume hervor, die er am Ufer des Lethe gepflückt hatte. Er streute ihre Pollen in seine linke Hand, trat auf Max zu, der gebannt und angstvoll das furiose Gefecht seiner Kameraden verfolgte und blies den Blütenstaub in seine Richtung. Der Blonde blinzelte irritiert, wurde an der Nase gekitzelt und musste niesen. Er wollte Deimos einen Kinnhaken verpassen, aber seine Beine gaben nach und plötzlich übermannte ihn die Bewusstlosigkeit.

"Das wäre erledigt. Ich komme ein anderes Mal wieder, um dich zu töten, Suzaku! Bereite dich darauf vor! Lass uns gehen, Zeus!" Der Löwe und sein Hüter verschwanden in einer Schattenspirale und ließen zwei verdutzte Prinzen zurück. "Was soll das? Was hat er mit Max angestellt? He, Max?!" Der Blauhaarige kniete sich neben den Amerikaner und hob ihn sacht an. "Seltsam. Er ist ohnmächtig geworden. Bringen wir ihn erstmal ins Bett, dann sehen wir weiter. Oh je....wie soll ich dieses Chaos hier im Garten bloß meinem Opa erklären?"
 

"Das übernehme ich." bot sich Kenny an, der unter der Veranda hervorkam (die Anwesenden quittierten dies mit dem berühmten Schweißtropfen) und sich den Staub von der Hose klopfte. "Okay. Ray, könntest du bei Max bleiben und uns Bescheid sagen, wenn er aufwacht? Kai, der Chef, Hiro und ich werden in der Zwischenzeit versuchen, aufzuräumen und ein wenig Ordnung zu schaffen. Also los! Wie geht es deiner Lippe, Onii-san?"

"Na ja, sie schmerzt noch, er hat mit voller Wucht zugebissen. Hör zu, Tyson....ich besitze keine magischen Kräfte, aber ich bin ein sehr guter Kendokämpfer. Wenn ich mein Bokuto gegen ein echtes Schwert austausche, könnte ich euch zumindest ein bisschen nützlich sein. Ich verspreche dir auch, euch nicht zur Last zu fallen!"

"Wie könntest du mir je zur Last fallen, he? Ich bin für jede Unterstützung dankbar! Ah, Kai? Was ist mit dir?"

"Alles in Ordnung. Du....du hast mich ja beschützt...."

Er erhob sich schwankend und blickte dem Jüngeren direkt in die Augen. Warum hatte er das bloß getan? Sollte er nicht wütend auf ihn sein, nachdem er ihn so unverschämt abgewiesen hatte? Doch alles, was er im Gesicht seines Gegenübers zu lesen vermochte, waren Besorgnis, Erleichterung und....Zärtlichkeit? Kai wich zurück wie vor einer unversehens auftauchenden Gefahr. Sein Puls begann zu jagen wie unter einem abrupten Fieberanfall und er erzitterte, als Tyson behutsam über seine Wange streichelte.

"Schön, dass dir nichts passiert ist."
 

Indessen lag Max auf seinem Bett und Ray hatte davor platzgenommen. Was konnte Deimos nur mit ihm gemacht haben? Er wies keine Zeichen von Verwundung auf und trotzdem war er bewusstlos geworden. Weshalb? Ein Zauber möglicherweise? Während der Schwarzhaarige grübelte, kam der Blonde langsam wieder zu sich. Er richtete sich auf und sah sich verwirrt um.

Wo war er hier? Was war das für ein Ort?

"Max? Max! Du bist aufgewacht! Wie geht es dir?"

Er wandte sich zu der Stimme, die zu ihm gesprochen hatte und erstarrte beinahe. Vor ihm sass jemand mit langem schwarzen Haar, das wie ein Mantel über seinen Rücken fiel und im Licht, das von draußen herein zwinkerte, sanft schimmerte. Er war in eine prachtvolle Rüstung gekleidet und hatte goldene Augen, die unglaublich viel Wärme und Geborgenheit ausstrahlten. Seine Haut war von rosiger Farbe und seine Lippen waren ungemein sinnlich und anziehend. Er musste schlucken. Wer war das? Er glich einem jungen Gott! Das war der schönste Mann, den er je gesehen hatte! Stumm betrachtete er dieses vollkommene Wesen, unfähig, irgendetwas zu sagen.

"Max! Was ist denn mit dir? Antworte doch!"

Da wurde ihm die Situation bewusst. Er nahm seinen Kopf zwischen beide Hände und suchte nach diesem Namen, mit dem der andere ihn benannte, aber er fand ihn nicht. Er fand gar nichts - in ihm war nur Leere! Anschließend an diese Erkenntnis breitete sich ein solches Entsetzen in seinem Gesicht aus, dass Ray den Impuls unterdrücken musste, den Amerikaner zu umarmen. Endlich erwiderte er etwas.

"Bitte....sagen Sie mir....wer....wer bin ich?"

Suzakus Rückkehr

Sodala, es geht weiter!^^ Viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 13: Suzakus Rückkehr
 

Die Bladebreakers und Hiro hatten sich im Wohnzimmer des Dojo versammelt und betrachteten ihren Freund Max, der offenbar durch einen Zauber von Deimos sein Gedächtnis verloren hatte. Den Blonden, der die Rückverwandlung von Ray mit verfolgt hatte, beschlich das seltsame Gefühl, in eine unglaubliche und fantastische Sache hineingeraten zu sein. Er ärgerte sich und war zugleich traurig, dass er mit diesen Gesichtern vor sich einfach nichts anfangen konnte. Sie hatten ihm zwar gesagt, dass sie seine Freunde seien, aber was nützte ihm das, ohne Erinnerungen?

>>Hm, ob ich alles behalten habe, was sie mir erzählt haben? Der Silberhaarige dort drüben ist Hiro, Tysons älterer Bruder. Tyson selbst ist der attraktive Typ mit dem langen blauen Haar und den braunen Augen, die denen von Hiro sehr ähnlich sind. Sie heißen mit Nachnamen Kinomiya und sind Japaner. Neben Tyson sitzt dieser hübsche Russe, Kai. Kai und wie noch? Genau, Hiwatari. Eine ungewöhnliche Erscheinung - graublaues Haar und rote Augen. Dann dieser Adonis mit dem herrlichen schwarzen Haar und diesen umwerfenden Gold-Augen....Ray, Ray Kon, Chinese. Und der Kleinere da, brünett und grünäugig, mit einer Brille auf der Nase und einem Laptop auf den Knien. Das ist Kenny, der "Chef", wie Tyson ihn nennt. Ich befinde mich im Kinomiya-Dojo, der dem Großvater der Geschwister gehört. Und ich selbst....nun, wenn ich ihnen glauben darf, bin ich Maximilian Tate, Spitzname Max, gebürtiger Amerikaner und normalerweise wohnhaft in Manhattan. Und wie Ray, Tyson und Kai bin ich die Reinkarnation eines legendären Kriegers....okay, hier sollte ich eine Pause machen, mein Kopf dröhnt schon! Und dann dieser Sport, den ich angeblich mit großer Begeisterung ausgeführt habe....Beybladen....Ich würde es gern mal versuchen, aber ich glaube, momentan kicke ich jeden Kreisel gegen den nächstbesten Baum anstatt in die Arena....<<
 

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ den Kopf hängen. Keine sehr optimistische Haltung, aber ihm war auch nicht besonders fröhlich zumute. Sein Leben, seine Existenz, war mit einem Mal aus seinem Gedächtnis verschwunden, gelöscht wie auf einem Tonband.

"Was soll ich jetzt tun?" Seine Stimme klang verzagt und kleinlaut, ganz und gar nicht nach dem heiteren und vergnügten Max, der den anderen so vertraut war. Ray gab es einen schmerzhaften Stich, den süßen Amerikaner so unglücklich und verzweifelt zu erleben, aber was hatte er denn erwartet? Es hatte ihn wirklich geschockt, als der Blonde ihn nach seinem eigenen Namen gefragt hatte und als er begriff, dass Max seine Erinnerungen verloren hatte, wollte es ihm scheinen, als hätte man eine zentnerschwere Last an sein Herz gebunden. Ein Blick in diese herrlichen blauen Augen, die ihn ohne eine Spur von Erkennen, ohne das Aufleuchten gemustert hatten, das sonst bei der Begegnung mit einem seiner Freunde in ihnen schimmerte, hatte eine kalte Hand um sein Innerstes gelegt. Max hatte alles vergessen! Und am schlimmsten war, dass er auch von den entstehenden zarten Banden zwischen ihnen nichts mehr wusste! Ray ertrug das ohrenbetäubende Schweigen nicht mehr. Er straffte die Schultern und schritt majestätisch hinaus aus dem Wohnzimmer. Nachdem er die Schiebetüren hinter sich zugezogen hatte, spürte er, wie ein Schluchzer seine Kehle hinaufkroch und er hielt sich die Hand vor den Mund, um ihn zu dämpfen. Keiner sollte das hören! Wie in Zeitlupe begab er sich zu seinem Zimmer, unfähig, die wirren Emotionen, die ihn durchfluteten, zu ordnen. Er musste an all die Momente denken, die er mit Max geteilt hatte, all die Turniere und Wettkämpfe, all das Training, glückliche wie schwierige Zeiten, Niederlagen, Siege, gemeinsame Tage, gemeinsame Abende, der Beistand zwischen ihnen, das endlose Vertrauen, ihre Freundschaft - und nun? Nun sollte das alles vorbei sein?! Als sie sich vor sechs Jahren getrennt hatten, war ihm der Abschied von Max am schmerzlichsten auf der Seele gelegen. Klar, die anderen hatte er auch sehr gern gehabt, aber der Blonde war ihm immer der Liebste gewesen, mit seinem strahlenden Wesen, seiner freundlichen und hilfsbereiten Art, dem wunderbaren Lächeln, dem bemerkenswert starken Willen und seiner Ernsthaftigkeit in komplizierten Situationen, in denen er stets einen kühlen Kopf bewahrte, egal wie hart es werden mochte; Eigenschaften, die man bei diesem gut gelaunten Sonnenschein nicht unbedingt vermutete. Er hatte sich überaus gefreut, ihn wiederzusehen.
 

Max' Charakter war derselbe geblieben, und eine nicht zu leugnende Reife und Schönheit hatten sich dazugesellt. Er war....er war ein junger Mann geworden, nach dem man sich auf der Straße umdrehte. Doch jetzt....was nützten ihm seine romantischen Gefühle, wo derjenige, dem sie galten, nichts mehr von dem wusste, was sie einst verbunden hatte?! Er war bei seinem Zimmer angelangt und warf sich auf das Bett. Ray vergrub sein Gesicht im Kissen, während ihm heiße Tränen über die Wangen liefen. Seit der Entdeckung der schrecklichen und unumstößlichen Tatsache war etwa eine Stunde vergangen und in dieser Zeit hatte er sich seinen Kummer nicht anmerken lassen, aber nun konnte er es nicht mehr zurückhalten. Der nagende, bohrende Gedanke, dass Max alles vergessen hatte, quälte ihn in einer Weise, wie er es nie erwartet hätte. Für den Amerikaner war er nur noch ein Fremder, und das hieß: Kein Lächeln bei seiner Anwesenheit, kein Vertrauen, sondern Scheu, Unsicherheit, Distanz. Seine sonstige Selbstbeherrschung hatte ihn verlassen, sein Herz kam ihm wund und roh vor, als hätte man es misshandelt. Ray erhob sich, wischte sich über die Augen und trat ans Fenster. Unten im Garten war Kenny damit beschäftigt, dem Blonden ein paar Grundbegriffe des Beybladens beizubringen, während Hiro ihm verschiedene Moves vorführte. Der Traum über ihr früheres Leben floss durch seinen Geist und er biss sich auf die Lippen. Byakko hatte Genbu geliebt, davon war er überzeugt....und jetzt stand er hier, seltsam beklommen und fast verwundert über seine Traurigkeit. Hatte er Angst, sich in Max zu verlieben? Was machte er sich denn vor?! War er nicht schon auf dem besten Wege dazu? Wie sonst war sein Schmerz zu erklären? Seine Freunde waren betroffen, das stimmte, aber sie akzeptierten es, da es momentan nicht zu ändern war. Und er? Ihm war es, als sei eine Welt zusammengebrochen! An Max zu denken, regte zärtliche Empfindungen in ihm, und das nicht erst seit heute, sondern diese kleine Enklave in seinem Inneren, die der Jüngere für sich beanspruchte, existierte schon eine ganze Weile. Ein bitteres Lachen entschlüpfte dem Chinesen. Er ahnte vage, dass der Blondschopf sich mit vergleichbaren Emotionen herumgeschlagen hatte, aber jetzt war alles aus seinem Kopf verschwunden. Und dieser Gedanke tat weh....er tat so furchtbar weh!!

**Mein Hüter?**
 

Er wandte sich um und sah Drigger, der aus seinem Blade hervorkam. Da seine wahre Gestalt den Raum gesprengt hätte, erschien er in einer verkleinerten Form. "Was willst du?"

**Ich spüre deine Trauer, mein Freund. Unsere Herzen sind verbunden, weißt du noch? Sei zuversichtlich! Genbu wird sich deiner erinnern!**

"Was macht dich da so sicher?"

**Er empfindet sehr viel für dich, damals wie heute. Nicht einmal der verderbliche Zauber der Unterwelt vermag es, die Liebe zu zerstören.**

"Aber er hat mich doch vergessen!"

**Ja, aber nicht für immer. Der Bann wird nicht für ewig bestehen, sollten seine Gefühle für dich wachsen. Zwar kennt er dich im Moment nicht mehr, aber die Anziehung ist vorhanden, so wie eh und je. Wenn er sich erst bewusst geworden ist, welcher Natur das Gefühl ist, das er dir entgegenbringt, dann wird auch die schwärzeste Magie nichts dagegen ausrichten können.**

"Das glaubst du?"

**Ich weiß es.**

Diese simple Erwiderung tröstete Ray und er lächelte zögernd. Versonnen streichelte er dem weißen Tiger durch das weiche Fell und Drigger schnurrte ein bisschen. Er würde versuchen, Max weiterhin ein treuer und ehrlicher Freund zu sein, ihm eine helfende Hand zu reichen, wenn er einer bedurfte und auch sonst für ihn da zu sein.

>>Ich werde nicht aufgeben. Ich werde Deimos dafür bezahlen lassen, dass er dir dein Leben, dein ,Ich' genommen hat! Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass meine Entscheidung, mein Schicksal zu akzeptieren, richtig war! Ich wurde wiedergeboren, um das Unheil von diesem Planeten abzuwenden - und ich werde es tun!<<
 

Tyson hielt sich in der Küche auf und bereitete ein paar Nachmittags-Snacks zu. Er war wütend auf Deimos und auf sich selbst, weil er nicht besser achtgegeben hatte. Er schaltete den Radio ein, um seine missmutige Laune ein wenig beiseite zu schieben und horchte auf, als ein ganz bestimmtes Lied gespielt wurde. Er kannte sogar den Text, was vielleicht darauf zurückzuführen war, dass dieser Song sehr gut zu Kai passte. Der besagte Russe, der in einiger Entfernung zu Max trainiert hatte, der momentan sein Blade in unkontrolliertem Zustand durch die Gegend feuerte, betrat gerade die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Da begann Tyson, mitzusingen und der Zwanzigjährige schielte aus den Augenwinkeln zu dem Japaner hinüber, der noch gar nicht bemerkt hatte, dass er nicht mehr allein war.
 

"You only see what your eyes want to see.

How can life be what you want it to be?

You're frozen when your heart's not open."
 

Kai schien es, als beschreibe dieser Text genau seinen Charakter. Auch er sah immer nur das, was er sehen wollte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was sich wirklich dahinter verbarg - wie etwa bei Tyson, der, nach seinen Worten zu urteilen, keine so schöne und herrliche Kindheit gehabt hatte, wie er immer angenommen hatte. Durch seine Weigerung, mehr als das Offensichtliche zu erkennen, gelang es ihm nie, anderen Menschen tatsächlich nahe zu kommen. Auf diese Weise aber würde sein Leben nie so sein, wie er es sich in seinen geheimsten Träumen vorstellte....frei von Schmerz und Angst, glücklich und an der Seite von Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Sein Herz konnte sich nicht öffnen....irgendwann, auf seiner langen, traurigen Reise durch die Finsternis der Einsamkeit, musste es erfroren sein....
 

"You're so concerned with how much you get.

You waste your time with hate and regret.

You're broken when your heart's not open."
 

Für ihn war es immer wichtiger gewesen, sich einen Platz in der Welt zu erkämpfen, sich durchzuboxen, zu überleben. Er hatte nur gelernt, zu nehmen und zu erwarten....geben und schenken hatte ihm niemand beigebracht. Während all der grausamen Zeit in der Abtei hatte nichts ihn aufrechterhalten außer seinem Hass auf Boris....sein Herz hatte seine Zweifel, seinen Zorn, seine Furcht, seine Verzweiflung, in sich hineingefressen. Er konnte nicht weinen, denn Tränen, das war ein Zeichen von Schwäche....einmal, als Boris ihn hatte verprügeln lassen, weil er einen Kampf verloren hatte, hatte er es gewagt, zu weinen....und er hatte es sehr bereut. Offen Schwäche zu zeigen, war falsch!! Aber wenn er ehrlich war....im Grunde war seine Seele daran fast zerbrochen....
 

"Mmmm....If I could melt your heart!

Mmmm...we'd never be apart!

Mmmm....Give yourself to me!

Mmmm....You hold the key!"
 

Diese Zeilen veranlassten Kai, einen genaueren Blick auf Tyson zu werfen, der nach wie vor mit dem Rücken zu ihm stand und sang. Seine Stimme war klar und rein und er hatte die Augen geschlossen, als versinke er völlig in dieser Melodie. Ein fremdes Sehnen schien seine Züge zu verwandeln und der Graublauhaarige fragte sich unweigerlich, ob es am Ende wirklich der Wunsch des Japaners war, sein Herz zu erreichen.
 

"Now there's no point in placing the blame.

And you should know I'd suffer the same.

If I lose you, my heart would be broken.

Love is a bird, she needs to fly!

Let all the hurt inside of you die!

You're frozen when your heart's not open!"
 

Das stimmte. Es hatte keinen Sinn, jemanden dafür zu bestrafen, was in seinem Leben schiefgelaufen war. Aber seine Schroffheit, seine Kaltschnäuzigkeit, sein mangelndes Vertrauen - all das verletzte seine Freunde, obwohl nicht sie schuldig, nicht dafür verantwortlich waren, was man ihm angetan hatte. Boris verdiente es....aber jene Menschen, die um ihn herum waren und die ihm stets geholfen hatten....sie verdienten es nicht. Ob Tyson sich klar darüber war, wie schmerzvoll sein schönes Gesicht soeben wirkte? Meinte er das ernst? Wie sonst konnte so viel Gefühl in diesem Lied liegen, wenn der Jüngere es nicht aus seinem tiefsten Inneren heraus sang?

>>Es würde dir das Herz brechen, wenn du mich verlieren würdest? Bin ich von solcher Wichtigkeit für dich? Ja, du hast immer meine Freundschaft gesucht....und du bist mein Freund geworden....mein Bester, um genau zu sein. Liebe ist ein Vogel, der fliegen muss....ein hübsches Bild! Aber wie kannst du von Liebe sprechen, wenn du an mich denkst? Ist es wegen unserem früheren Leben, in dem wir einander geliebt haben sollen? Du weißt sehr wohl, was ich von diesem ganzen Unsinn halte!! Ich möchte das Leid in mir sterben lassen, aber es gelingt mir nicht....mein Herz wird erfroren bleiben....<<
 

"Mmmm....If I could melt your heart!

Mmmm...we'd never be apart!

Mmmm....Give yourself to me!

Mmmm....You hold the key!
 

Mmmm....If I could melt your heart!

Mmmm...we'd never be apart!

Mmmm....Give yourself to me!

Mmmm....You hold the key!
 

If I could melt your heart."
 

Tyson wischte sich über die Wimpern. Wie idiotisch, nur wegen einem Song losheulen zu müssen! Aber er erinnerte ihn so stark an Kai....und an sein Bestreben, endlich das Eis um dessen Herz zu tauen und der Liebe empfänglich zu machen....Er schalt sich einen Narren und ordnete seine Sandwiches geschmackvoll auf zwei Tellern an. Der Russe hatte ihn als Freund akzeptiert und das war weit mehr, als er sich je hätte erträumen können. Er musste realistisch bleiben! Er wandte sich um....und erschrak, als ihn ein Paar funkelnder Rubine anstarrte.

"Ka-Kai! Du bist es! Wie....wie lange stehst du denn schon da?"

"Lange genug." war die knappe Antwort.

"Ahaaaa....." meinte der Neunzehnjährige gedehnt und grinste schief, um seine Verlegenheit zu vertuschen. "Na, ich geh dann mal raus, vielleicht mögen die Jungs was zum Essen...."

"Tyson."

"Ja? Was ist denn noch?"

"Du....singst nicht schlecht."

Dieses unverhoffte, wenn auch nicht unbedingt überwältigende Kompliment ließ den Blauhaarigen erröten. Oh, es gab elegantere, romantischere, künstlerischere Ausdrücke, Komplimente konnten voller Poesie und dichterischer Perfektion vorgetragen werden, aber ein einfaches "Du singst nicht schlecht" von einem jungen Mann wie Kai Hiwatari war mehr wert als tausend Sonette von Shakespeare!

"Vielen Dank."

"Warum bedankst du dich?"

"Weil du mir gerade ein Kompliment gemacht hast."
 

Dieser erschütternd sachliche Feststellung nahm dem Älteren sämtlichen Wind aus den Segeln. Er spürte, wie eine unbekannte Hitze in seinen Wangen hinaufkroch und er räusperte sich, irritiert und irgendwie beunruhigt. Während er noch schwieg, räumte der Japaner eine Flasche Saft aus dem Kühlschrank und spülte ein paar Gläser aus, als der Strahl aus dem Wasserhahn sich in Sekundenbruchteilen in einen Eiszapfen verwandelte. "Aber was....?!"

Es wurde ungemütlich kalt in der Küche und Kai sah, wie eine dicke Frostschicht sich über die Tür ausbreitete, sodass sie nicht mehr hinaus konnten, und von dort auf den Boden, den Tisch, die Stühle und die Schränke übergriff. Die Quecksilbersäule des Thermometers am Fenster sank unter Null Grad. Schnee türmte sich mitten im Zimmer vor ihnen auf und nahm langsam eine vertraute Gestalt an, mit schwarzen Augen und rotem Haar.

"Tala!" stieß der Graublauhaarige ungläubig hervor, aber Tyson wusste es besser. Seine mittlerweile schon klammen Finger umschlossen das Beyblade an seinem Gürtel und er rief: "FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!"

Seiryuu erschien auf der Bildfläche und er richtete die Klinge seines Schwertes drohend auf den schwarzgekleideten Ritter der Verdammnis. "Iras."

"Ich bin höchst beglückt, dich wiederzusehen, mein Schöner. Hades-sama ist ein wenig unleidlich, weil sein bester Kämpfer seinen Auftrag nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat. Zwar ist es durchaus amüsant, zu sehen, dass Genbu sich an nichts mehr erinnern kann, aber das eigentliche Ziel des letzten Gefechts war es, Suzaku zu töten. Deswegen bin ich hier."
 

"Sei doch vernünftig und komm wieder zu dir! Du wirst doch nicht deinen Freund umbringen wollen?!"

"Diese Reinkarnation bedeutet mir nichts. Und was Suzaku angeht, so habe ich ihn gehasst, weil er etwas hatte, nach dem ich mich verzehrte!" Seine Hand schnellte vor und packte erbarmungslos Kais blassen Hals. "Er hatte dich! Ich konnte es nicht ertragen, euch zusammen zu sehen! Suzaku war wie eine klaffende Wunde in meinem Fleisch, wie ein Messerstich in meine Brust, wie eine Krankheit, die mir das Atmen verwehrte! Erinnerst du dich, Prinz des Feuers? Erinnerst du dich, wie du mich gequält hast?"

Seine Finger drückten zu und der Russe rang röchelnd nach Luft. "Du....wirst von einer fremden Macht kontrolliert, Tala...." krächzte er, "....du bist nicht mehr du selbst! Ich....Suzaku....wusste nichts von deinen Gefühlen für Seiryuu...."

"Das ist wahr! Lass ihn los, Iras! Wenn du kämpfen willst, so bin ich dein Gegner!"

"Gegen dich kämpfen? Das könnte ich niemals. Ich will dich nicht verletzen, Sei."

"Nenn mich nicht so! Niemand außer Suzaku durfte das! Und spar dir deine schönen Worte! Denn genau in diesem Moment verletzt du mich! Du greifst Kai an, willst ihn sogar töten! Was könnte mir mehr weh tun als das?! Ihn in Gefahr zu wissen, Angst um ihn haben zu müssen.... nichts ist schlimmer für mich! Noch einmal: Lass ihn los!!"

"Nein!! Solange er lebt, wirst du nur Augen für IHN haben!! Er muss sterben!!!"
 

Die eiskalte Hand presste die Halsmuskeln seines Opfers noch fester zusammen und der andere versuchte, sich aus diesem brutalen Griff zu entwinden, doch es gelang ihm nicht. Seiryuu wusste nicht, was er tun sollte. Sicher, es war Iras, der handelte, aber er steckte immerhin in Talas Körper! Konnte er diesem Körper eine Wunde zufügen? Aber was geschah mit Kai, wenn er nicht endlich sein Schwert sprechen ließ? Das Bewusstsein des Russen fing an, in eine Ohnmacht hinab zu gleiten, ausgelöst durch den Luftmangel. Aber dafür keimte ein zweites, ihm unbekanntes Bewusstsein auf, das sich langsam in seinem geschwächten Geist ausbreitete und ihn von innen heraus bestärkte. Ein dünnes Flüstern perlte von seinen Lippen, wie Wasser von einem Felsen: "Für....die Ehre von....Eden...."

Eine gewaltige Feuersäule kreiste den Zwanzigjährigen ein und der Wächter von Wolborg sprang zurück. "Wie ist das möglich?! Ich dachte, er würde seine Kräfte nicht nutzen!"

Auch der Hüter des Heiligen Drachen war verwirrt, denn niemand hatte dem Teamkapitän der Bladebreakers die Zauberformel gesagt, mit deren Hilfe sie ihre Magie entfesseln konnten. Natürlich, er hatte sie schon gehört, aber er hatte dem keinerlei Beachtung geschenkt. Flammen züngelten rings um die beiden Krieger hoch und schmolzen das Eis. Es war angenehm warm und überhaupt nicht heiß, als die Transformation endete. Suzaku trat aus dem Feuerkreis heraus, mit einem zufriedenen Grinsen. Er trug Sandalen aus dunkelrotem Leder und einen roten Waffenrock mit einem breiten goldenen Gürtel. Seine muskulöse Brust und sein Rücken waren von einem vergoldeten Panzer verborgen, die Schulterplatten waren geformt wie spitzzulaufende Vogelschnäbel, ähnlich denen eines Falken....oder in diesem Fall ähnlich denen eines Phönix. Ein langer dunkelroter Umhang und passende Armschützer vervollkommneten das Bild, ebenso wie das bis zur Hüfte fallende Haar, das mit einem Zopfband gebändigt wurde und der Ohrring mit einer Feder des mystischen Wesens im linken Ohr. Sein Schwert, dessen in Rot- und Goldtönen lackierter Griff feurig glänzte und die Gestalt eines fliegenden Phönix hatte, dessen Auge ein blutroter Rubin war, hing um seine Taille gegürtet. Noch ruhte es in der prachtvollen Scheide aus farblich dazugehörigem Leder, das aufwändig mit einem verschnörkelten Flammenmuster bestickt war.

"Suzaku!!" Der Ritter der Verdammnis spuckte den Namen aus wie etwas Ekelhaftes und erschuf eine Klinge in seiner Hand.

"So sieht man sich wieder, Iras! Ich kann nicht erlauben, dass du meiner Wiedergeburt Schaden zufügst! Mach dich bereit!!"

Zwei Seelen

So, es geht weiter! Und nein, Kai hat sich noch ganz und gar nicht dazu entschieden, zu kämpfen - was das heißen soll, erfahrt Ihr in diesem Kapitel! Viel Spaß beim Lesen!^^
 

Kapitel 14: Zwei Seelen
 

In der Küche der Kinomiyas standen sich Iras, der Krieger des Zorns, und Suzaku, der Prinz des Feuers, gegenüber. Seiryuu spürte die aggressiven Impulse, die zwischen ihnen hin und her wanderten und er wusste, dass er sich nicht in diesen Kampf einmischen durfte und konnte, denn das Spannungsfeld der Rivalen war geladen mit hochkonzentrierter Magie. Eine falsche Bewegung, und er würde eine Katastrophe auslösen! So hielt er sich zurück und wartete ab. Suzaku hatte indessen sein Schwert gezogen und visierte den Rothaarigen misstrauisch an.

"Wie tief bist du nur gesunken", murmelte er mit einem Hauch von Bitterkeit in seiner Stimme. "Du bist der Hauptmann von Genbus Leibgarde gewesen....und dann lässt du dich von Hades zu seinem Gefolgsmann rekrutieren und wirst zum Verräter!"

"Oh ja, du kannst das natürlich nicht verstehen!! Du hast immer bekommen, was du wolltest!! Du hast mir Seiryuu weggenommen und es hat dich nicht gekümmert!!"

"Ich wusste nichts von deinen Gefühlen für ihn! Und selbst wenn - Seiryuu hat entschieden! Hätte er dich gewählt, so hätte ich das akzeptieren müssen! Ich hatte das unermessliche Glück, dass sein Herz für mich schlug, aber es hätte auch anders sein können! Verdammt, Iras! Mich zu töten, hätte dir nur Seiryuus Hass eingetragen! Hättest du das gewollt?! Hades hat dich lediglich benutzt, genauso wie er es heute tut! Kämpf gegen das schwarze Gift in deiner Seele an, ich bitte dich!"

"Sei still, sage ich! Sei still!!!"

Ein Regen aus spitzen Eissplittern ergoss sich auf Suzaku, der rasch ein Schutzschild aus Flammen um sich herum aufbaute. Im nächsten Moment raste eine bleich schimmernde Klinge heran und brachte ihm eine Schnittwunde am linken Oberarm bei. In einer fließenden Bewegung zog der Prinz sein Schwert und parierte den nachfolgenden Hieb, der auf seinen Kopf gezielt war. Er spürte die animalische Kraft dahinter und unterdrückte einen Fluch. Iras war von jeher ein ausgezeichneter Kämpfer gewesen und nur wenige Wächter hatten das Talent besessen, ihn herauszufordern - Suzaku war einer von ihnen und auch er hatte es nur selten geschafft, den Hauptmann zu besiegen. Die Waffen kreuzten sich mit einem grauenhaften Klirren und ein heftiger Schlagabtausch entspann sich zwischen den beiden.

"Du maßt dir an, mich als Verräter zu bezeichnen! Ha! War ich denn der einzige?!"

"Nein. Aber Sol und Leviathan sind nicht aus freien Stücken gegangen, sondern weil Hades sie erpresst hat! Er hat Sol, meinem Ratgeber, den Auftrag erteilt, mich umzubringen, doch als es soweit war, brachte er es nicht über sich. Das ließ mich erkennen, dass sein Herz noch nicht von der Finsternis verdorben war, sondern dass ihn die Liebe zu seiner Familie dazu getrieben hatte! Hades hat sich das Edelste aller Gefühle zunutze gemacht, um Sol und Leviathan zu unterjochen! Das ist das Letzte, und das sollte dir längst klar geworden sein!"
 

"Die beiden sind schon immer Schwächlinge gewesen! Sie haben überhaupt nicht begriffen, welche Gunst uns Hades-sama erwies, als er uns die Macht der Dunkelheit verlieh!"

Suzaku wich einer Attacke aus und schoss einen Feuerball ab, den der Rothaarige mit einer Barriere aus Eis abwehrte.

"Hörst du dich eigentlich selbst reden?! Das bist nicht mehr du, Iras! Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst! Nichts ist geblieben von dem einst so stolzen Wächter von Wolborg! Du bist zu der willenlosen Marionette eines Tyrannen herabgesunken - und merkst es nicht einmal!!" Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Die Spannung der magischen Aura wuchs noch mehr an und die Klinge des Feuerschwertes begann zu glühen. Seiryuu schluckte, denn mit dem Bewusstsein seiner Vergangenheit erkannte er, was Suzaku vorhatte: Er bereitete sich auf eine sogenannte Meisterattacke vor, die zu Edens Zeiten nur von sehr starken Magiern beherrscht wurde. In der Regel entlud sich in ihr fast die Hälfte der dem Wächter zur Verfügung stehenden Zauberkraft und ihre Auswirkungen waren enorm. Flammen züngelten um Dranzers Hüter empor und die Hitze wurde allmählich unerträglich. Iras wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, ein Schild heraufzubeschwören, um sich zu schützen, denn auch ihn erfasste ein angstvoller Schauer, als ihm aufging, was sein Gegner plante. Die rotorange leuchtende Klinge wurde auf ihn gerichtet und das Feuer türmte sich über Suzaku auf wie ein Inferno, ehe die gesammelte vernichtende Pracht dieser Flammen sich spiralförmig um das Schwert schloss, hervorbrach wie eine Bombe und die Gestalt eines Phönix annahm. Er stürzte sich auf sein Opfer und der Ritter der Verdammnis wurde erbarmungslos gepackt und durch die rückwärtige Küchenwand nach draußen geschleudert. Der Prinz atmete schwer und sackte in die Knie, so erschöpft war er. Bevor der Hüter des Heiligen Drachen nach ihm sah, warf er einen schnellen Blick hinaus, ob Iras noch da war. Der Rothaarige erhob sich unter übermenschlicher Anstrengung aus dem Krater, den der Angriff hinterlassen hatte. Seine Kleidung war zerrissen, verbrannt und zerschlissen, die blasse Haut seines linken Beines und seines linken Armes war mit Brandwunden übersät und selbst seine Haare waren angesengt. Einen normalen Menschen hätte diese Attacke aller Wahrscheinlichkeit nach getötet. Aber da Iras ein Wächter war, hatte er auf seine Magie zurückgegriffen und seine Körpertemperatur so weit herabgesenkt, dass er einem lebendigen Eisblock geglichen haben musste, als die Feuersbrunst ihn frontal traf. Auf diese Weise hatte er das Schlimmste halbwegs glimpflich abwenden können. "Wir sehen uns wieder!" stieß er zischend hervor und löste sich in einen Wirbel von Schneeflocken auf. Seiryuu seufzte erleichtert und verwandelte sich zurück. Mit Bestürzung betrachtete der Japaner die zerstörte Küche, zuckte resigniert die Schultern und kniete sich besorgt neben Suzaku, der immer noch keuchte.

"Wie geht es dir? Komm, steh auf, ich bringe dich ins Wohnzimmer. Dort kannst du dich auf die Couch legen und dich ausruhen."

Er stützte den Prinzen und führte ihn in den Wohnraum, der zur Veranda hin lag. Der Kampflärm hatte auch Ray, Kenny, Hiro und den verwirrten Max angelockt, die zuerst voller Schrecken die Küche untersuchten, die mehr oder weniger auseinander genommen worden war und wandten ihre Aufmerksamkeit schließlich dem halb ohnmächtigen Krieger zu.
 

"Kai hat sich verwandelt?" staunte der Chinese. "Aber ich dachte, die ganze Sache würde ihn nicht interessieren! Hat er seine Meinung geändert?"

"Ich glaube, dass es nicht Kai war, der sich verwandelt hat. Ach, Hiro?"

"Ja, kleiner Bruder?"

"Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du weiter auf Opa aufpassen würdest, während wir für Kai sorgen. Wir hatten heute gleich zwei Schlachten zu bestehen und Deimos hat ihn brutal durch die Dojowand geschleudert. Wie geht es ihm?"

"Er hat einen hübsche Beule am Hinterkopf und einige Schrammen und Prellungen, aber keine gravierenden Verletzungen. Ein Glück, denn diese Abgrenzung des Dojo lag zum Garten und bestand demzufolge nur aus Holz und Leinwand. Großvater hat einen Schutzengel....und einen erstaunlich harten Schädel! Das liegt zweifellos in der Familie!"

"Sieh zu, dass du zu Opa kommst, bevor ich mir überlege, was genau du mit dieser Bemerkung gemeint hast!" drohte Tyson in spielerischem Ton und Hiro trollte sich grinsend davon.

"Was soll das heißen, du glaubst nicht, dass es Kai war?" forschte Kenny und zog skeptisch seine Brille nach unten, wodurch seine grünen Augen sichtbar wurden.

"Weil die Verwandlung für Kai die allerletzte Option gewesen wäre, um sich aus Iras' Würgegriff zu befreien...."

"Iras hat euch also attackiert?"

"Genau. Versteht ihr, Kai hätte die Zauberformel nie ausgesprochen, nicht einmal in dieser Situation. Er benimmt sich so, als ginge ihn unser Kampf nicht das geringste an und deshalb war ich sehr erstaunt, als er seine Kräfte aktivierte. Während des Gefechts benahm er sich allerdings ganz und gar nicht wie Kai - er wusste über viele Details aus unserem früheren Leben Bescheid, von denen wir noch keinerlei Ahnung haben....und er sprach nicht kühl und gefasst, sondern hitzig und emotionsgeladen. Ich glaube, dass der junge Mann hier auf dem Sofa nicht Kai ist, sondern Suzaku."

Ray kratzte sich verlegen am Kopf. "Tyson, ich will nicht den Eindruck erwecken, auf der Leitung zu stehen, aber um ehrlich zu sein, ich kann dir nicht folgen. Wenn wir uns verwandeln, sind wir doch auch Byakko und Seiryuu!"

"Ja, wir legen diese Namen an und erhalten vollen Zugriff auf unsere Mächte. Nach der Transformation verfügen wir auch meist über mehr Wissen, was damals gewesen ist. Es sind zwar nur Bruchstücke und mitunter unbestimmte Gefühlseindrücke, aber immerhin. Doch unter den Rüstungen sind es trotzdem immer noch wir, die Beyblader, die Reinkarnation in dieser Zeit! Aber bei Kai ist es anders....während des Kampfes war er nicht da, sondern Suzaku, der Suzaku von vor zehntausend Jahren!"

"Ist das dein Ernst?!"
 

Der Prinz des Feuers hatte sich indessen erholt und öffnete langsam die Augen. Er blickte sich eine Weile um und entdeckte bald darauf Tyson, der ihm, unbewusst oder nicht, die Hand umklammerte. Er lächelte zärtlich, richtete sich vorsichtig auf und küsste diese schlanke Hand. Der Blauhaarige fuhr herum und errötete irritiert. "Su-Suzaku....??"

Der Angesprochene hob sacht sein Kinn an und flüsterte sanft: "Tyson....Das ist dein Name in dieser Welt, nicht wahr? Kann ich dich trotzdem ,Sei' nennen?"

"Wie? Äh, also....ehem....warum nicht?" brachte der Jüngere hervor, sichtlich nervös angesichts dieses Verhaltens, denn immerhin sah der Prinz ja genauso aus wie Kai, mochte er auch nicht dessen Charakter besitzen.

"Und ihr seid vermutlich Ray und Max, die Wiedergeburten von Byakko und Genbu, richtig? Deimos hat dein Gedächtnis gelöscht, aber keine Sorge, es wird zurückkommen! Und du....du bist Kenny, nicht wahr?"

Ein allgemeines Nicken war die Antwort. Suzaku erhob sich von der Couch, strich sich durch das lange Haar und legte schließlich seinen Arm um die Schultern des Japaners. Der Neunzehnjährige versteifte sich darunter und verschränkte beschämt die Finger ineinander.

"Was ist los? Weshalb bist du so nervös? Ach, ich vergass: Kai ist ja von der Sorte Männer, die jegliche Intimität verabscheuen! Du bist es nicht gewohnt, dass er dir so nahe ist. Aber im Moment ist er nicht hier, sondern ich! Seht mich nicht so entgeistert an, ich weiß auch, dass das ein Schlamassel ist! Könnt ihr den Zaubermeister herholen?"

"Den Zaubermeister? Du meinst...."

"....Diomedes, ja! Ihr kennt ihn als Mr. Dickenson, ich weiß! Jedenfalls muss er mitkriegen, was hier abläuft, denn eines sage ich euch: In dieser Form sollte ich nicht mehr existieren! Aber dieser verdammte Hades hat natürlich wieder seine dreckigen Pfoten in diese Sache hineinhängen müssen und jetzt haben wir den Salat! Kai und ich haben fast nichts gemein - abgesehen von unserem Sturschädel vielleicht, denn dieser Kerl weigert sich immer noch, zuzugeben, dass er eine Schwäche für dich hat, Sei! Es ist zum Aus-der-Haut-fahren!"

"Tatsächlich?" Tyson lief knallrot an, peinlich berührt von der Offenherzigkeit, mit der Suzaku sich über das Gefühlsleben seiner Reinkarnation ausließ. Allein der Gedanke, dass Kai eine Schwäche für ihn haben könnte, war einfach absurd! Der Wächter konnte das nicht ernst meinen! Er stolperte auf wackeligen Beinen zum Telefon und bat Mr. Dickenson, so rasch als möglich im Kinomiya-Dojo zu erscheinen, um diesem seltsamen Fall auf den Grund zu gehen.

Er erklärte in knappen Sätzen, was sich ereignet hatte und der alte Herr versprach, sich zu beeilen. Fünfzehn Minuten später stand er im Wohnzimmer und starrte den freundlich lächelnden Suzaku an, der ihm hoheitsvoll zunickte. Automatisch verneigte er sich und stammelte: "Das....das....wie kann das sein? Ihr....Ihr seid es! Aber wo ist Kai? Das ist....oh ihr geheiligten Schutzgötter....ich ahne es! Hades hat....welch eine Katastrophe!"
 

"Ich stimme Euch zu, alter Freund. Das war ohne Zweifel ein Teil seines Plans, um sich die Herrschaft über diesen Planeten zu sichern. Möge er verflucht sein!"

"Was ist los?" erkundigte sich Tyson energisch und Mr. Dickenson seufzte. Er stellte sich Russland vor, mit seiner prachtvollen Hauptstadt Moskau und seinem harten, unerbittlichen Winter. Er malte sich ein Bild der Abtei aus, in der Hades seinen ersten Versuch gestartet hatte, die Welt zu erobern....indem er das Biovolt-Projekt ins Leben rief, um eine Armee perfekter Blader zu formen - und unter ihnen ehemalige Wächter, deren Herzen er marterte und verletzte, um sie zu schwächen.

"Ich habe mich schon lange darüber gesorgt, wie es mit Kai weitergehen würde, denn es war offensichtlich, dass er gänzlich anders war als sein Alter Ego von früher. Hades wusste nur zu gut, dass die Wiedergeburten der vier Prinzen eine immense Gefahr für sein Vorhaben darstellten. Und er wusste auch, dass die Liebe, die Suzaku und Seiryuu einst verbunden hatte, eine Macht in ihnen entfesseln konnte, die seinen Sieg verhindern würde. Zauberkräfte werden mit dem Herzen gebraucht und ein liebendes Herz verfügt über eine Stärke, die Hades weder begreifen noch sich zu eigen machen kann, weil die Liebe ihm völlig unbekannt ist. Deshalb fürchtet er sie auch so sehr. Also musste er einen Weg finden, die Liebe zwischen diesen beiden im Keim zu ersticken....und was lag da näher, als der Reinkarnation Suzakus, Kai Hiwatari, den ihm das Schicksal in die Hände gespielt hatte, die Liebe aus dem Herzen zu tilgen? Kai erfuhr in seinem Leben nur Härte, Entbehrungen, Demütigung, Hass und Einsamkeit. Um das ertragen zu können, schirmte er seine Seele gegen alles ab; er verbot es sich selbst, sich anderen zu öffnen, anderen zu vertrauen, denn er hatte gelernt, dass das ein Zeichen von Schwäche war. Tränen, ein Lächeln, eine Berührung, Dinge, die für andere so einfach und selbstverständlich sind, hatten für Kai keine Bedeutung....Hades hat ganze Arbeit geleistet. Aber er konnte nicht verhindern, dass Kais Herz sich im Geheimen nach all dem sehnte, nach Liebe, Wärme und Geborgenheit; nach Freundschaft und Akzeptanz. Sein eigentliches Ziel hatte er jedoch erreicht: Er hatte Kais Wesen verändert, ihn in einen Menschen verwandelt, der nur sehr schwer Zugang zum Konzept der Liebe finden würde, vielleicht nie. Und das hat letztendlich zu der Situation geführt, in der wir uns jetzt befinden."

"Ich verstehe nicht." warf Ray ein. "Was hat das damit zu tun, dass Suzaku hier ist?"

"Ihr wurdet mit den Seelen von Seiryuu, Suzaku, Byakko und Genbu geboren. Aber nur drei von euch sind in Familien aufgewachsen. Du hattest es nicht immer leicht, Tyson, aber du hast zumindest erfahren, was Liebe ist, während Kai das verwehrt geblieben ist. Ihr gleicht euren Alter Egos in eurem Charakter, ihr besitzt ihre Stärken und ihre Schwächen. Die Seelen von Ray Kon und Byakko, von Max Tate und Genbu, von Tyson Kinomiya und Seiryuu, sind identisch. Die Seelen von Kai Hiwatari und Suzaku sind es nicht. Indem Hades ihn aus seiner Familie riss und von Kindheit an unter seinen grausamen Fängen hatte, schuf er einen Kai, der sich in sich selbst zurückzog und seine Gefühle unter einer Maske verbarg. Ein anderer Teil von ihm versuchte, dagegen anzukämpfen, aber es misslang ihm - dieser Teil verschloss und bewahrte in sich Suzakus Bewusstsein. Seither....teilen sich zwei Seelen einen Körper. Kais Ich ist äußerst dominant und deswegen konnte Suzaku nie bis an die Oberfläche dringen."

"Das heißt also....während des Kampfes gegen Iras, als Kai ohnmächtig wurde, konnte Suzaku zum ersten Mal hervorbrechen! Und er tat es, um seine Wiedergeburt zu schützen!"
 

Der rotgewandete Krieger nickte ernst und man spürte plötzlich die Flamme großer Autorität und Verantwortung dahinter. Er mochte ein lockerer und aufbrausender Typ sein, aber dennoch besass er Reife und einen scharfen Verstand, die sich in Notlagen offenbarten. Seine Stimme klang gemessen und respekteinflößend, als er sagte: "Unsere Seelen müssen miteinander verschmelzen, sonst wird Kai an dieser inneren Zerrissenheit zugrunde gehen, und das will ich nicht! Das wird unglücklicherweise schwer sein, da er und ich so wenig gemeinsam haben. Dennoch werde ich an ihn appellieren, in der Hoffnung, ihm klarmachen zu können, was uns verbindet, denn er begreift es nicht. Bis es soweit ist, werden unsere Charaktere wechseln, sobald er sich verwandelt oder ich mich zurück transformiere. Zumindest über eines bin ich froh...." Er neigte sich zu Tysons linkem Ohr und flüsterte ihm etwas zu, damit die übrigen Anwesenden es nicht hören konnten. "....du liebst ihn trotzdem, obwohl er sich verändert hat. Und das zeigt, dass Hades wirklich nicht versteht, was die Liebe ausmacht. Sie ist eure Waffe gegen seinen Hass....bewahrt sie euch!"

Feuerzungen hüllten ihn ein und wenig später stand Kai vor ihnen, mit einem kaum zu deutenden Gesichtsausdruck. Mr. Dickenson legte ihm die Hand auf die Schulter.

"Ihr müsst wissen, auch wenn Suzaku die Oberhand inne hat, bekommt Kais Ich alles mit, was um ihn herum vorgeht."

Der Russe glich einer Statue, so regungslos sass er auf dem Sofa. In einer abrupten Bewegung stand er auf, wodurch er von seinem verstauchten Fuß behindert wurde, doch er schluckte den Schmerz hinunter und verließ das Wohnzimmer. Max, der eigentlich nicht richtig durchblickt hatte, worum es ging, schüttelte nur verwirrt den Kopf, doch als Ray ihn fragte, ob er noch ein wenig Beybladen üben wollte, lächelte er. Der Chinese reichte ihm die Hand und scheu nahm der Blonde sie entgegen. Er bedauerte zutiefst, den schwarzhaarigen Schönling vergessen zu haben, denn er fühlte sich sehr zu ihm hingezogen und wurde von einer Welle unbestimmter Zärtlichkeit und Freude überflutet, sobald jener geruhte, ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken. Ray war freundlich und hilfsbereit und gab sich charmant und höflich....und diese herrlichen goldenen Augen, die ihn stets mit einer Mischung aus Trauer und Wärme musterten, erzeugten ein merkwürdig süßes Prickeln in ihm. Kenny eilte ihnen hinterdrein auf die Veranda, um ihren amerikanischen Schüler zu unterstützen....und Tyson?

Der Japaner geleitete Mr. Dickenson zur Tür und bedankte sich bei ihm. Dann sah er sich nach dem Graublauhaarigen um. Wohin mochte er verschwunden sein? Kurzentschlossen marschierte er einen Stock höher zu dem Zimmer des Älteren und trat ein. Tatsächlich war er dort, er stand draußen auf dem Balkon und hatte den Kopf gesenkt. Leise ging er zu ihm hinüber und legte seine Arme über das Geländer.
 

"Hallo Kai."

"Was willst du? Lass mich in Ruhe!"

"Du hast doch gehört, was Suzaku gesagt hat, nicht wahr?"

"Verschone mich mit diesem Geschwätz! Zu erfahren, dass man Zeit seines Lebens ein anderer hätte sein sollen, als der, der man ist, ist nicht gerade eine schöne Botschaft! Willst du mich trösten? Oder mir ein paar leere, gut gemeinte Worte schenken, verpackt in sinnlose Gefühlsduselei? Verschwinde....lass mich allein...."

"Nein, das werde ich nicht. Du bist viel zu lange allein gewesen und das hätte dich fast zerstört. Ich verstehe dich. Ich weiß, wie schmerzhaft die Einsamkeit sein kann...."

"Pah! Woher willst du das wissen?!"

"Weil ich sie am eigenen Leib erfahren habe." erwiderte der Jüngere schlicht. Es klang nüchtern, wie eine Tatsache, mit der man sich abfinden muss. "Ich bestreite nicht, in eine glückliche Familie hineingeboren worden zu sein, denn so war es. Ich hatte meine Eltern, meinen Großvater, meinen Bruder. Aber alles wurde anders, als ich drei Jahre alt war - meine Mutter starb in einem Autounfall. Ich erinnere mich noch, dass ich eine ganze Nacht lang geweint habe, weil ich so verzweifelt war....Mein Vater hat Mutters Tod nie verwunden. Er ist von Beruf Archäologe und schon vor meiner Geburt war er oft im Ausland. Nachdem meine Mutter gestorben war, flüchtete er sich in die Arbeit....anfangs schickte er noch Briefe, rief ab und zu an oder es kamen Päckchen von ihm mit kleinen Geschenken. Manchmal besuchte er uns auch noch, bis er schließlich....bis er schließlich nicht mehr zurückkehrte. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist....vielleicht reist er immer noch durch die Welt....vielleicht ist er aber auch schon tot....Ausgrabungsgebiete sind nicht immer ungefährlich. Dann, als ich zehn war und Hiro fünfzehn, packte er seine persönlichen Habseligkeiten zusammen und ging fort. Über die Zeit bis zu unserem Wiedersehen vermag ich dir nichts über ihn zu erzählen, leider. Ich habe es ihm nie nachgetragen, dass er uns verlassen hat. Er kannte Mutter und Vater viel länger als ich, hatte sich länger in ihrer Mitte geborgen fühlen dürfen. Wahrscheinlich ist er deswegen nie so ganz damit fertiggeworden, wahrscheinlich musste er seinen Kummer und seinen Schmerz hinter sich lassen, um neu anfangen zu können....er konnte sich seiner Einsamkeit nicht stellen, weil sein Herz noch stärker an unseren Eltern hing als das meine. Aber ich hing an ihm....und nun hatte auch er mein Leben verlassen. Du siehst, ich bin also in Wirklichkeit von meinem Großvater aufgezogen worden. Aber er musste seinen Dojo führen und hatte auch nicht immer Zeit für mich. Was blieb mir anderes übrig, als mich alleine zu beschäftigen, alleine Antworten auf meine kindlichen Fragen zu finden? Ich wusste, was Glück und Liebe bedeuteten, denn es hatte sie einmal für mich gegeben. Und es zu verkraften, dass meine gesamte Familie auseinander gebrochen war, war für mich die schwerste Prüfung, die ich je zu meistern hatte. Das Beybladen hat mir dabei geholfen, denn es lehrte mich Ausdauer, Kampfesmut und Willensstärke....und das ist der Hauptgrund, warum mir dieser Sport so wichtig ist. Er hat mir Freunde gebracht, wertvolle Erfahrungen und Erfolge wie Niederlagen, die mich geformt haben. Ich war oft allein, ja....aber ich habe nicht aufgegeben! Ich habe mich meiner Einsamkeit und meiner Trauer gestellt - und ich habe gewonnen! Und was hätte ich nicht alles dafür getan, um dich ebenfalls siegen zu sehen! Aber dein Herz ist so erbarmungslos verletzt worden, dass du keine eigene Kraft in dir entdecken konntest....und deshalb bist du heute, nach sechs Jahren, immer noch der stolze, eigensinnige, einsame Wolf Kai Hiwatari.... obwohl du dich zaghaft zu deinen Gefühlen geäußert hast, hast du dich wieder zurückgezogen. Warum? Flöße ich dir so viel Angst ein?"
 

Der Zwanzigjährige sah ihn nicht an. Er musste erst einmal verdauen, was Tyson ihm soeben anvertraut hatte und er fühlte sich seltsam schuldig. Schuldig, weil er zu blind gewesen war, um den Menschen in dem anderen zu erkennen. Schuldig, weil er vieles getan hatte, was den Japaner getroffen hatte. Schuldig, weil er niemals Verzeihung für seine Rücksichtslosigkeit und seine Kälte erbeten hatte, obwohl Tyson ihm vermutlich alles vergeben hätte. Eine weiche Hand umfasste ihn am Kinn und drehte sein Gesicht herum, sodass er direkt von den braunen Augen seines Gegenübers eingesogen wurde.

"Hades - oder Boris - wollte um jeden Preis verhindern, dass unsere Liebe von damals erneut erblüht. Bei dir ist es ihm gelungen, das mag sein. Aber ich habe die Dinge nie einfach nur mit meinen Augen betrachtet, sondern immer mit meinem Herzen. Und deswegen....hat Suzaku recht mit dem, was er gesagt hat. Du hast es gehört, ich weiß es. Denn ich habe den Menschen gesehen, der du bist, nicht die Fassade, das Ablehnende, Harte, Unversöhnliche. Das spielte für mich nie eine Rolle. Vielleicht wirst du mir nicht glauben - vielleicht glaubst du noch nicht einmal deinem früheren Ich. Aber...."

Der Japaner beugte sich vor und drückte Kai einen süßen, zärtlichen Kuss auf die warmen Lippen. "....ich liebe dich." Damit verschwand er. Der Russe stand wie versteinert, seine Augen waren geweitet vor Fassungslosigkeit. Seine Finger strichen über seinen Mund, als müsse er überprüfen, ob er nicht geträumt habe. Sein Herz raste gegen seinen Brustkorb und unweigerlich schoss ihm das Blut in die Wangen. Er zitterte, denn die Berührung war ihm durch Mark und Bein gefahren wie ein Blitzschlag.

"Tyson...."

Die Liebe eines Wächters

Und das neue Kapitel!^^ Vielen Dank an meine Kommi-Schreiber! *knuddel* *Schokolade verteil*
 

Kapitel 15: Die Liebe eines Wächters
 

Seit Iras' missglücktem Angriff war ein Tag vergangen. Seine Verletzungen mussten ausheilen, sodass er vorläufig nicht mehr einsatzfähig war. Deimos war in weit besserer Verfassung, aber die zahlreichen Schnitte, die Seiryuu ihm zugefügt hatte, waren schmerzhaft und machten es ihm unmöglich, sich auf seine Kräfte zu konzentrieren. Hades war verärgert und rief schließlich Sol und Leviathan zu sich.

"Ich habe die Macht der drei bisher wiedererwachten Prinzen deutlich unterschätzt. Also übertrage ich euch beiden diesmal den Befehl, diese Störenfriede zu eliminieren! Was den Orden von Eden betrifft und die zwölf Gesandten, welche die Hüter der Gottheiten beschützen sollen - tötet sie! Ich will keinen von diesen verdammten Bluterben mehr sehen! Und wehe euch, wenn ihr versagen solltet!"

Die zwei einstigen Wächter tauschten einen verzweifelten Blick, dann verschwanden sie in einer Licht- bzw. Wassersäule. Hades lächelte zufrieden. Er genoss es, andere Menschen in der Hand zu haben und sie nach seinem Willen lenken und manipulieren zu können. Was waren sie doch für armselige Kreaturen, verglichen mit seiner Macht! Während er sich in seinen selbstherrlichen Betrachtungen verlor, trat der Krieger des Hasses an ihn heran.

"Herr, Ihr habt mir unlängst eine Belohnung versprochen."

"Du solltest Suzaku umbringen, wenn ich dich daran erinnern darf, aber es ist dir nicht gelungen. Demzufolge steht dir auch keine Belohnung zu. Falls du allerdings deinen nächsten Auftrag erfolgreich zu Ende bringen solltest, ließe sich darüber reden. Willst du denn diesen nichtswürdigen Menschen immer noch besitzen?"

"Ja, Herr. Er mag nichtswürdig sein....aber er ist begehrenswert! Ich will, dass er mir gehört!!"

"Nun gut. Also hör zu: Dein nächster Auftrag ist...."
 

Mr. Dickensons Politik, was die Beyblade-Weltmeisterschaften anging, verwirrte und verstimmte die Fans, denn die neue Entscheidungsrunde hatte immer noch nicht stattgefunden, sondern wurde wieder und wieder verschoben. Dass er höchst übernatürliche und gefährliche Gründe dafür hatte, konnte er dem Publikum ja leider nicht erklären - sie hätten ihm ohnehin nicht geglaubt. Lee stand stirnrunzelnd vor der Werbewand, auf der verkündet wurde, dass der nächste Kampf voraussichtlich in einer Woche beginnen würde und seufzte. In Anbetracht der furchtbaren Situation, in der sie sich befanden, war an alles andere zu denken, bloß nicht an Beybladen! Er kehrte ins Hotel zurück, betrat das Foyer - und erstarrte. In einer der hübschen geselligen Sitzgruppen im Empfangsbereich sass Raul und unterhielt sich angeregt mit Carlos! Der Chinese spürte einen Stich und ein merkwürdiger Schmerz breitete sich in ihm aus. Es war ganz klar, die beiden verstanden sich gut....sehr gut. Er straffte die Schultern und marschierte erhobenen Hauptes an ihnen vorbei. Raul musterte ihn aus den Augenwinkeln, insgeheim voller Bewunderung für die stolze Haltung, die Lee stets an den Tag legte, als könne nichts seine Ruhe und Gelassenheit erschüttern. Er war so....so....WOW! Der Spanier fluchte unterdrückt in seiner Muttersprache, wütend auf sich selbst. Okay, schön - er entwickelte eine Schwäche für den Kerl, das war eine Tatsache! Aber zu allem Überfluss musste Julia ihn auch noch ständig damit aufziehen! Warum konnte man älteren Schwestern sowas nicht verbieten?! Gab es dafür nicht irgendein Gesetz oder so?! "Na, also ciao, Kumpel! Da kommt meine Verabredung!"
 

Ja, der sonst so harte Carlos, der im Grunde seines Herzens ein lieber und netter junger Mann war, der nur das Image des Raubeins herauskehrte, um sich Leute vom Leib zu halten, die er nicht mochte, hatte tatsächlich ein Date. Und zwar mit Daichi. Seit die beiden im Stadtzentrum ineinander gerasselt waren, konnte der rothaarige DJ den Älteren nicht vergessen und auch Carlos hatte fortwährend an den Burschen mit den schönen grünen Augen denken müssen. Wie der Zufall es wollte, waren sie sich schließlich in der Hotellobby über den Weg gelaufen und hatten sich richtig kennen gelernt. Raul musste grinsen, als er mit verfolgte, wie Daichi den anderen anhimmelte. Wie süß! Wegen ihrer etwas ungehobelten und draufgängerischen Art, die ein Herz aus Gold verbarg, passten die beiden gut zusammen....sie würden wirklich ein hübsches Paar abgeben! Und er und....Der Neunzehnjährige seufzte tief. Warum musste ihm jetzt schon wieder Lee einfallen, verflixt? Er hatte eine Schwäche für ihn, aber er war nicht verliebt in ihn!! (Ach wirklich?) "He, Raul!"

"Ja? Oh, du bist es, Lee! Was kann ich für dich tun?"

"Ist da gerade Carlos mit Daichi abgezogen, oder halluziniere ich?"

"Nein, du hast richtig gesehen. Die zwei verstehen sich prima....und ich glaube, da ist auch romantische Zuneigung im Spiel. Carlos ist sich natürlich dem Ernst unserer Lage bewusst, aber er hat mir erklärt, dass er sich deswegen nicht vor den schönen Seiten des Lebens verschließen möchte. Er meinte, die Zeit unseres Kampfes käme früh genug - und wenn wir ihn brauchen, wird er da sein. Er ist ein Bluterbe und er ist stolz darauf. Wir können uns auf ihn verlassen."

"So....dann....könnte also eventuell Daichi sein Freund werden? Hm...."

"Klar. Was ist los mit dir? Dachtest du, er mag einen anderen?"

"Ich....habe vorhin mitbekommen, wie du dich mit ihm unterhalten hast. Ihr wirktet so vertraut miteinander, ich....ach, vergiss es!"
 

Der Chinese wandte sich ab und strebte Richtung Fahrstuhl. Raul brauchte eine Weile, ehe er begriffen hatte, dass der Zwanzigjährige mehr oder weniger zugegeben hatte, eifersüchtig gewesen zu sein. Bevor er bewusst erfasst hatte, was er tat, hatten sich seine Beine bereits in Bewegung gesetzt und liefen dem Älteren hinterher. Er sprang gerade noch in den Aufzug, ehe die Türen sich schlossen.

"Lee! Puh, nicht so schnell! Soll das heißen, du hast befürchtet, ich könnte mehr für Carlos empfinden als Freundschaft?"

"Was weiß ich?! Immerhin ist er auch Spanier. Aufgewachsen ist er zwar in Japan, aber hey, er hat noch Familie in Spanien. Er ist oft dort, habe ich gehört - und fließend zweisprachig ist er auch! Nein warte, Englisch kann er auch, er ist also dreisprachig. Ihr habt doch vorhin spanische Konversation betrieben, oder?"

"Hm, und du hast angenommen, wir würden in unserer Muttersprache reden, weil niemand sonst den Inhalt unserer Unterhaltung verstehen sollte? Aber Lee! Das klingt ja, als wärst du eifersüchtig!"

Der mit diesem Verdacht Konfrontierte wurde rot und drehte sich verlegen weg. Es stimmte, dieser Stachel, den er gespürt hatte, war jener der Eifersucht gewesen, obgleich er sich das nicht hatte eingestehen wollen. Seit dem peinlichen Vorfall in der Dusche konnte er an fast nichts anderes mehr denken als daran, wie unglaublich gut sich Rauls entblößte Haut angefühlt hatte, heiß und feucht gegen die seine gedrückt. Er konnte es nicht leugnen. Der Jüngere war schön. Temperamentvoll. Elegant. Talentiert. Intelligent. Charmant. Alles Dinge, die er an einem Mann schätzte. Ach verdammt! Er war doch tatsächlich dabei, sich in den Burschen zu verknallen, und das nicht zu knapp! Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und Raul drehte sich errötend weg, da er diese Geste ungemein erregend fand, zumal die Feuchtigkeit auf diesem anmutig geschwungenen Mund ihn äußerst küssenswert aussehen ließ. Plötzlich flackerte das Licht im Fahrstuhl und eine seltsame Aura breitete sich aus. Ehe die beiden reagieren konnten, formte sich aus der Lampe eine Lichtkugel und stieß die zwei jungen Männer mit voller Wucht in den Flur hinaus. Glücklicherweise hatte der Aufzug das richtige Stockwerk gerade erreicht und die Türen schwangen auf - anderenfalls wären sie direkt hindurch gekracht und hätten sich schwer verletzen können. Lee und Raul rappelten sich auf und hielten sich die Arme vor die Augen, als ein gleißendes Leuchten vor ihnen erschien. Langsam ließ es jedoch nach und manifestierte sich in der Gestalt eines schwarzgekleideten Kämpfers. Es war Sol.

"Ich bin gekommen, um euch zu vernichten! Sprecht eure letzten Gebete!"
 

Messerscharfe Sicheln aus Licht flogen auf die Wächter zu und sie sprangen geschickt zur Seite. Die magischen Waffen donnerten in die Wand und hinterließen tiefe Furchen darin. Der Chinese und der Spanier tauschten einen Blick und holten ihre Beyblades hervor.

"Garland", erklärte der Ältere, "....ich tue das wirklich nicht gern, aber du lässt mir leider keine andere Wahl!" Er legte das Blade auf seine flache linke Hand und setzte den Handballen der rechten genau auf dem der linken an, wobei er Zeige- und Mittelfinger abspreizte. "Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Feuers! Zeige dich, Galeon!!!"

Blitze brachen aus dem Kreisel hervor und hüllten Lee ein. Ein lautes Brüllen hallte durch den Hotelkorridor und kurz darauf erhob sich der Löwe Galeon drohend vor dem Ritter der Verdammnis. Der Chinese hatte sich ebenfalls einer Art Transformation unterzogen, denn jetzt trug er das Gewand eines Wächters, die Kombination aus einer schwarzen Hose und dem goldbestickten Überwurf in der Farbe des entsprechenden Elements. Raul folgte dem Beispiel seines Mitstreiters ohne zu zögern.

"Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Feuers! Zeige dich, Torch Pegasus!!!"

Hufe scharrten und ein schönes geflügeltes Pferd mit geblähten Nüstern stellte sich neben dem Löwen auf. Beide Kreaturen musterten ihren Gegner weniger mit Zorn als mit Verzweiflung und Verständnis, denn sie wussten, auf welche Weise Hades Sol dazu gebracht hatte, ihm zu dienen. Der Blauhaarige verneigte sich und sagte: "Es ist nicht mein Auftrag, Euch zu verletzten, werte Geschöpfe. Ich habe mich um Eure Hüter zu kümmern."

**Sol....wende dich ab von dem dunklen Fürsten! Du weißt genau, dass er dich lediglich benutzt, um seine niederträchtigen Ziele zu erreichen! Dein Herz ist gestärkt durch die Liebe und die Freundschaft, all die guten und positiven Erfahrungen, die du in diesem und deinem vergangenen Leben gemacht hast, es ist für Hades nicht angreifbar! Deshalb kann er bei dir sein schwarzes Gift nicht einsetzen und aus diesem Grund missbraucht er deine Gefühle, um dich zu erpressen! Dennoch - stell dich auf unsere Seite! Du gehörst zu uns!** erklärte Galeon eindringlich mit seiner wohlklingenden Bassstimme.

**Er hat recht, Wächter! Du bist nicht glücklich mit der Last deines unfreiwilligen Verrates auf deinen Schultern! Bei Leviathan ist es genau das gleiche! Kehr um, bevor du etwas tust, was du dir selbst nicht verzeihen kannst!** fügte Torch Pegasus hinzu und schüttelte seine Mähne. Ihre Hüter traten vor sie und warteten ab. Was würde Garland darauf erwidern? Ihr Gegenüber hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte. Es rührte tief an seinem Herzen, dass man ihm trotz der Tatsache, dass er sich abgewendet hatte, seine Fehler verzieh und ihn zurückholen wollte. Aber die Gefahr für seine Familie war einfach zu groß....!
 

"Ich....ich kann nicht...." stieß er gepresst hervor. "Versteht doch! Hades hat mir gedroht, meine Geschwister umzubringen, wenn ich ihm nicht gehorche! In meinem früheren Leben habe ich ihm nicht geglaubt und meine Schwester musste es büßen! Ich könnte....diesen Schmerz nicht noch einmal ertragen....! Ich muss....gegen euch kämpfen!!"

Raul erschauerte unter der schrecklichen Verzweiflung, die aus Garlands Stimme tönte und biss sich traurig auf die Lippen. Wie grausam Hades doch war! Obwohl man ihm die Geschichte von Eden schon unzählige Male erzählt hatte, war die Wirklichkeit um ein Vielfaches schlimmer. Sol erzeugte erneut sichelartige Lichtgeschosse und sie näherten sich mit rasender Geschwindigkeit. Lee entsandte einen Hagel aus Blitzen dagegen, während der Spanier einen Kreis von Fackeln um sich herum erschuf, die Feuerkugeln auswarfen wie ein Gewehr seine Salven. Ihre Attacken trafen jedoch auf ein rundes Schutzschild in Form einer Sonne und wurden abgeblockt. Der Kampflärm blieb selbstverständlich nicht unbeachtet. Bryan, der sich gerade in seinem Zimmer aufhielt und las, horchte sofort auf und schnappte sich sein Beyblade. Auf halbem Weg zu dem bewussten Flur, aus dem die Geräusche kamen, schoben Mariah und Julia gleichzeitig ihre Köpfe aus den Türen und ihnen genügte der Anblick des Russen, um zu begreifen, was los war. Zu dritt bogen sie um die nächste Ecke und entdeckten die Kontrahenten, die sich ein heftiges Gefecht lieferten.

"Schluss damit, Garland! Du kannst nicht gegen uns alle gewinnen! Sei vernünftig und kehre zu uns zurück!!"

"Das kann ich nicht!! Ich würde zu viel dabei riskieren!"

"Dann haben wir wohl keine andere Wahl - bereit für die Verwandlung? Also los! Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Windes! Zeige dich, Falborg!!!"

"Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Windes! Zeige dich, Thunder Pegasus!!!"

"Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen der Erde! Zeige dich, Galux!!!"
 

Sol fluchte ungehalten und erbittert. Nun hatten auch Bryan, Julia und Mariah ihre Wächter-Gewänder angelegt und ihre Kreaturen gerufen. Wie sollte er gegen fünf Hüter und deren Schutzbefohlene bestehen? Natürlich, er konnte Apollon rufen, aber die Macht des Greifen stand nun unter dem Einfluss der Finsternis und konnte möglicherweise seiner Kontrolle entgleiten, wenn er nicht aufpasste. Und er wollte die anderen nicht ernsthaft verletzen. Sicher, er würde den Schein wahren, um Hades nicht gleich misstrauisch zu machen, aber nie und nimmer könnte er jene, die doch so waren wie er, tatsächlich willentlich töten. Ein Donnerschlag von Julia erschütterte das Hotel und warf den Blauhaarigen von den Füßen, als die Luftmassen um ihn herum sich zunächst erhitzten und dann ausdehnten, um das düstere Grollen förmlich in den Boden zu transportieren. Mariah hüllte ihn in einen Sandwirbel ein bis er mehr oder weniger darin eingegraben war und sich nicht rühren konnte. Doch er konzentrierte sich auf seine Kräfte und Licht begann ihn zu überziehen; er wurde zu einer gigantischen wandelnden Wärmequelle. Die Hitze schmolz den magischen Sand zu Glas und Sol konnte sein Gefängnis in tausend kleine Scherben zerbrechen. Zwischen seinen Händen manifestierte sich eine riesige Kugel aus gleißender Helligkeit, die seine Gegner blendete wie auch ihre Bit Beasts.
 

Anderenorts, im Kinomiya-Dojo, war Tyson gerade damit beschäftigt, die Schäden zu begutachten, die ihre vergangenen Kämpfe hinterlassen hatten.

"Großvater bekommt einen Herzinfarkt, wenn er das sieht!" erklärte er kopfschüttelnd und musterte die zerstörte Rückwand der Küche, die zum Garten hin lag. In der gepflegten Anlage selbst befand sich ein Krater und die Außenmauer war an einigen Stellen ebenfalls sehr schadhaft. "Ich darf gar nicht daran denken, was es kosten wird, das alles wieder reparieren zu lassen! Gibt es denn keine Möglichkeit, den Schaden irgendwie zu begrenzen?"

"Das weiß ich nicht, aber ich werde diesen Schaden jetzt erst einmal beseitigen." erwiderte Ray mit einem Zwinkern und auf den verdutzten Blick seines Freundes hin meinte er: "Ich kontrolliere das Element Erde, schon vergessen? Während die Bluterben immer nur eine bestimmte Form, Erscheinung oder einen Aspekt ihres jeweiligen Elements nutzen können, habe ich uneingeschränkten Zugriff auf alle Variationen meiner Naturkraft. Die Wände bestehen aus Steinen, ich kann sie also wieder zusammensetzen - und beim Krater mache ich die Erde einfach flach und überwuchere das Ganze mit Gras. Das klappt schon, du musst keine Baufirma verständigen!"

Gesagt, getan. Der Chinese nutzte seinen Zauber und entfernte alle sichtbaren Spuren der letzten beiden Gefechte. Mauern wurden zusammengefügt wie ein Puzzle und einmal von der lebensspendenden Hand des Prinzen berührt, erblühte der Garten wieder in seiner ursprünglichen Pracht. Tyson atmete auf und umarmte den anderen dankbar.

"Ich bin wirklich froh, dass du das kannst! Damit hätten wir zumindest ein Problem weniger - wir haben ohnehin genug...."

"Das ist wahr. Hades und sein Streben nach der Herrschaft über den gesamten Planeten, Max, der sein Gedächtnis verloren hat, Kai, dessen Seele gespalten ist, ehemalige Freunde von uns, die nun auf der Seite der Dunkelheit kämpfen....und die eigenen, verworrenen Gefühle...."
 

Der Japaner lächelte, als er hörte, wie der Schwarzhaarige seinen Satz beendete. Er bettete seine Hand auf der starken Schulter und fragte sanft: "Du empfindest viel für Max, nicht wahr? Dass er sich an nichts mehr erinnern kann, hat dich am meisten getroffen."

"Was? Woher....?"

"Ich habe es an deinen Augen erkannt. Sie waren so schmerzvoll, als Max uns beteuerte, dass er nicht mehr wisse, wer wir sind. Dennoch, sei zuversichtlich. Immerhin hat das Schicksal dafür gesorgt, dass wir wiedergeboren werden. Das bedeutet, noch ist der Kampf zwischen Licht und Schatten nicht entschieden. Ich bin davon überzeugt, dass unser Freund sich wieder erinnern wird - auch an seine Gefühle für dich."

"Glaubst du denn, diese Gefühle existieren?"

"Ist dir denn noch nie aufgefallen, wie verträumt er dich manchmal angesehen hat? Oder wie nervös und verlegen er oft in deiner Nähe gewesen ist? Er hat dich sehr, sehr gern, Ray, viel mehr als nur einen einfachen Freund. Und ich würde es mit Freude sehen, wenn ihr beiden euer Glück gemeinsam finden würdet. Ihr gehört zu den Menschen, die mir wichtig sind und deswegen wünsche ich euch nur das Beste."

Der Chinese lächelte, fuhr sich kurz über die Augen und sagte bewundernd: "Wie machst du das bloß, Ty? Du findest immer die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Du bist wirklich erwachsen geworden. Ich....ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben."

Sie tauschten einen freundschaftlichen Händedruck und so bemerkten sie nicht, dass sich eine fremde Gestalt in den Garten geschlichen hatte und sich nun im Schatten des Kirschbaumes verbarg. Das Licht, das durch das Blattwerk der Zweige fiel, malte vereinzelte helle Punkte auf ein Paar verschränkter brauner Arme. Der schlanke aber dennoch durchtrainierte Oberkörper war nur zum Teil von einem schwarzen Cape verdeckt, das am Hals mit einer Spange in der Form von drei gezackten Blitzen zusammengehalten wurde. Leviathan war bewegt von der Zurschaustellung eines solchen Bandes aus Vertrauen, das selbst sechs Jahre Trennung hatte überwinden können. Es gab sie also doch, die Freundschaft fürs Leben. Mit sich und seinem aufrechten Charakter ringend, wandte der Krieger des Neids sich ab und vergrub sein Gesicht in der Beuge seines rechten Arms. Es lastete schwer auf seinem Gewissen, dass er Verrat begangen und seinen Herrn, Prinz Genbu, im Stich gelassen hatte....aber er konnte einfach nicht anders!
 

Hades hielt Sols - Garlands - Leben in seiner Hand. Wenn er ihm nicht gehorchte, würde er ihn umbringen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Alles in ihm verkrampfte sich, wenn er sich vorstellte, dass dieser Mann, der ihm sein Herz gestohlen hatte, blutend zu seinen Füßen liegen würde....

>>Ich kann den Befehl nicht zurückweisen! Ich muss die Prinzen eliminieren! Welche Wahl habe ich denn?! Keine!! Ich könnte es mir niemals verzeihen, Sols Tod verschuldet zu haben! Aber könnte ich mir denn auch je verzeihen, wenn ich Genbu-sama und seine Freunde töte?! Nein! Das eine ist so furchtbar wie das andere! Ich will nicht! ICH WILL NICHT!!! Warum kann nicht wieder alles so sein wie es war, bevor ich zu meinem wahren Ich erwachte? Aber nein....meine Vergangenheit ist zu wichtig, zu bedeutsam, um ignoriert zu werden. Außerdem hätte ich sonst nie erfahren, dass Sol und ich....<<

Er brach seinen Gedankengang unvermittelt ab, als er sich an die versunkenen Zeiten in Eden erinnerte, da er von Sol, dem treuen Berater des Prinzen Suzaku, in Schwertkampf und der Anwendung von Magie unterrichtet worden war. Er hatte sich unsterblich in seinen Lehrmeister verliebt - und dieser hatte seine Gefühle geteilt. Und jene erste gemeinsame Nacht, in der.... Leviathan schüttelte den Kopf. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen! Aber gerade, als er aus seinem Versteck hervortreten wollte, spürte er die unbestimmbaren Schwingungen des Wassers, das sein Element war. Er sah zu dem Zierteich hinüber, registrierte die sich sacht kräuselnden Wellen und verstand ihre Botschaft: "Gefahr!" Sol war also in Schwierigkeiten! Ohne es sich zweimal zu überlegen, setzte er die Finger zu einem Schnippen an, um eine Wassersäule zu rufen, mit deren Hilfe er sich zum "Tokyo Palace"-Hotel teleportieren konnte.

"Ich kenne dich...." hörte er plötzlich eine ihm vertraute Stimme und er schoss herum als hätte ihn etwas gebissen. Max stand vor ihm und seine klaren blauen Augen maßen ihn genau ab. Ein leichtes Aufflackern des Erkennens spiegelte sich in seinem Antlitz und der Amerikaner murmelte: "....Ja....da war ein großer Saal....ein Thronsaal....ich hielt Hof....und du warst an meiner Seite....doch....jetzt bist du es nicht mehr....Warum nicht?"
 

Leviathan war bestürzt, denn er wusste, dass Deimos seinem Gegenüber das Gedächtnis geraubt hatte, mit der Blume des Vergessens. Offenbar aber kehrten langsam wieder Bruchstücke seiner Erinnerungen zu ihm zurück, denn der Hüter von Poseidon verfolgte im Widerschein dieser Augen das Begreifen, das Max befiel, als ihm bewusst wurde, dass er mit einem Verräter zu tun hatte. "Mein Gebieter...." stieß der Ritter der Verdammnis hervor, "....es war nie meine Absicht, Euer Vertrauen in mich zu enttäuschen, aber ich hatte nicht den Mut, mich gegen Hades zu behaupten! Er hat sich meine Liebe zunutze gemacht und mich erpresst, damit ich ihm diene! Damals hatte ich keine Möglichkeit, Euch dies mitzuteilen, aber heute kann ich Euch sagen, dass ich nie einen anderen als Euch als meinen wahren Herrn betrachtet habe! Sobald Ihr Eure Erinnerungen zurückgewonnen habt, werdet Ihr auch Euren Hass für mich entdecken! Wie könnte ich von Euch erwarten, dass Ihr mir vergebt?! Eines aber sollt Ihr noch wissen: Ich brächte es niemals über mich, Hand an Euch zu legen - meine einzige ehrliche Loyalität gehört immer noch Euch, Prinz Genbu!"

Er schnippte einmal und verschwand in einer Fontäne. Max hatte die Hand nach ihm ausgestreckt, als wolle er ihn aufhalten, und in einem schlagartigen Aufwallen von intensiven Emotionen wie Schmerz und Trauer sackte er in die Knie und flüsterte heiser: "....Eden....du hast Eden den Rücken gekehrt, Leviathan....aber weshalb sollte ich dir nicht verzeihen? Hades hat dich mit deiner Liebe dazu gezwungen, ihm hörig zu sein....Nenne mir etwas, das grausamer ist als das....! Ich....ich...."
 

Der Blonde rappelte sich auf und schwankte in den Dojo zurück, die Treppe hinauf und ließ sich auf das Bett in seinem Zimmer fallen. Er hatte sich anhand der Erklärungen seiner "Freunde" rasch in dem Gebäude zurechtgefunden und nun lag er wie ausgelaugt in den weichen Laken und starrte die Decke an. Ja, der Name ihres schwarzgekleideten Besuchers war Leviathan. Aber Genbu? Warum klang dieser Name ebenfalls so bekannt in seinen Ohren? Natürlich! Das war SEIN Name!! Dabei hieß er doch eigentlich Max? Das sagten zumindest die anderen. Was denn nun? Max oder Genbu? Er drehte sich auf den Bauch und betrachtete stumm das Beyblade auf seinem Nachtkästchen. Und irgendwie ahnte er plötzlich, dass es hier gar keine Entscheidung zu treffen galt. Nicht Max oder Genbu....sondern Max UND Genbu. Er warf einen Blick auf den Spiegel und in seinem Kopf überlagerte sich das Bild seiner Reflexion in Jeans und T-Shirt mit der eines Mannes in einer prachtvollen Rüstung in Grün und Gold. Max war Genbu, Genbu war Max. Sie waren eins. "Das bin ich." erklärte er leise und entschieden und berührte das kalte Glas. Dann flutete eine weitere Erinnerung durch seinen Geist, die kurze Szene eines Beyblade-Turniers. Merkwürdigerweise empfand er aber keine negativen Regungen wie etwa Abneigung oder Konkurrenzstreben, als er die elegante Erscheinung seines Gegners musterte. Vielmehr verspürte er eine große Zuneigung, ja sogar eine starke romantische Anziehung, je länger er in den goldenen Augen seines Kontrahenten versank. Das Bild verblasste und ein weiterer Name glitt ihm über die Lippen, aber der Ton, mit dem er ihn aussprach, hatte all seine Distanz und Unsicherheit verloren.

"Ray....!"
 

Sol hatte tatsächlich Probleme. Zwar hatte er sein mächtiges Lichtgeschoss abgeschickt, aber es war auf eine Mauer der Gegenwehr getroffen, bestehend aus Flammen, Blitzen, Sand, Donner und Wind. Dann war Bryan in den Vordergrund getreten und hatte zu ihm gesprochen: "Mein Freund - wir beide teilen das Wissen um ein früheres Leben. Damals waren wir glücklich, ehe Hades unsere Heimat bedrohte. Erinnerst du dich, wie wir Seite an Seite durch die Wälder Edens ritten? Wir sahen uns vielleicht nicht oft, aber wir verstanden uns gut. Ich habe nur eine einzige Bitte, Sol: Dass du zu uns zurückkehrst und dich uns anschließt! Ich kenne dich und ich weiß, dass du nicht glücklich bist mit deinem Dasein als Ritter der Verdammnis. Du hast Angst, deine Familie zu verlieren. Aber wir könnten gemeinsam über einen Weg nachsinnen, der sie Hades' Zugriff entzieht! Gib mir die Hand!"

Garland hatte den Eindruck gehabt, gegen eine Woge von Tränen anrennen zu müssen, als der Russe schlicht seine Hand ausgestreckt hatte. Zitternd hatten seine Finger sich genähert, als ein schwarzer Blitz in ihrer Mitte eingeschlagen war, dessen Wucht die Wächter auseinanderriss. In einem dunklen Wirbel war Hades erschienen, die boshaften Augen zornig auf seinen Diener richtend. Nun erhob er sich vor ihm und seine Worte trieften vor Kälte: "Überlege dir genau, ob du mich verraten willst, Sol! Ich werde keine Gnade kennen, wenn du mir den Rücken kehrst! Deine ganze Familie könnte die Grausamkeit meiner Todesklammer erfahren! Willst du es einmal ausprobieren?"

Mit diesen Worten legten sich drei Wirbel aus schwarzer Magie um den Blauhaarigen; einer um seine Beine, einer um seine Arme und einer um seinen Hals. Diese Fesseln legten sich gleich Knoten, die zugezogen werden, immer enger um seinen Körper. Unten wurde ihm die Blutzufuhr abgeschnitten und seine Füße fingen schon an, taub zu werden, während der Ring in der Mitte ihm die inneren Organe zusammen quetschte und der obere ihn langsam aber sicher erwürgte. "Argh...." Schmerz durchzuckte ihn und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Die Luft wurde ihm knapp und er begann verzweifelt zu röcheln. Sein Brustkasten stöhnte unter der physischen Qual und seine Knochen knackten unheilverkündend.
 

"AUFHÖREN!!!"

Eine gigantische Welle raste auf den Fürsten der Finsternis zu und schleuderte ihn gegen die nächstbeste Wand. Das unterbrach seine Todesklammer und Sol fiel zu Boden, erschöpft und mit verzerrtem Gesicht, hastig nach Atem ringend. Leviathan tauchte neben ihm auf und betrachtete ihn besorgt. "Bist du in Ordnung?"

"Levi! Was tust du hier? Du hast Hades angegriffen! Ist dir klar, was er mit dir anstellen wird?"

"Mit ihm?" keuchte Hades erbost, seine Züge waren verkrampft vor Wut, als er sich aus dem Schutt herausarbeitete, den sein Aufprall hinterlassen hatte. "Seine Strafe für diese Unverfrorenheit ist erst einmal seelischer Natur! Hatte ich dich nicht gewarnt, es mir gegenüber an Gehorsam fehlen zu lassen?! Sieh her, was dich das kostet!!!"

Er schoss einen Tornado aus schwarzen Strahlen ab, die Garland einhüllten und ihn mit negativer Energie bombardierten. Als die pure Essenz des Bösen durch ihn hindurch raste, schrie Apollons Wächter auf vor Pein; Schmerz explodierte in einem grässlichen Feuerwerk in all seinen Nervenzellen. Mystel benötigte den Bruchteil einer Sekunde, um zu entscheiden, was zu tun war. Er stürzte in den Strudel hinein und schlang seine Arme um den geschundenen Körper. Nun war er es, der von der gefährlichen Energie gefoltert wurde, doch er dachte gar nicht daran, den anderen loszulassen. Hades sah es mit sichtlicher Verwirrung.

"Was soll das, du Narr?! Bist du nicht bei Trost?!"

Sol öffnete mühsam die Augen, als er den Schutz von starken Armen wahrnahm. Umso größer war sein Entsetzen, als er den Ägypter erkannte, der ihn festhielt. Seine unbedeckte braune Haut war von blutigen Schnitten und Striemen übersät und dünne rote Rinnsale liefen über seinen Rücken; das schwarze Cape war bereits vollkommen zerfetzt.

"Bist du denn völlig verrückt geworden?! Lass mich los, verdammt!! Willst du sterben?!"

"Er hat dir schon genug wehgetan!! Das muss ein Ende haben!! Ich kann und will dich nicht verlieren!! Niemals werde ich dich im Stich lassen!! NIEMALS!!!!"

Der Blonde presste sich fest an ihn und vergrub sein hübsches Gesicht in Sols Brust. Die Umklammerung seiner Arme wurde inniger und er schluckte seine Schmerzenstränen hinunter. Garland bemerkte, dass er sich die Lippe blutig gebissen hatte, um seine Schreie zu unterdrücken. "Oh Mystel...." flüsterte er schweren Herzens.
 

"So, ihr wollt also beide zugrunde gehen?! Dann soll es so sein!!" brüllte Hades, der soeben den Rest seiner Selbstbeherrschung verlor. Aber auch diesmal kam ihm jemand in die Quere, denn als er die Kraft der Strahlen vervielfachen wollte, sprang Lee dazwischen und unterbrach den Energiefluss mit einem Schwall aus Blitzen. Er wusste sehr wohl, dass seine Magie nicht ausreichte, um gegen die schwarze Macht zu bestehen, aber wenn es ihm gelang, den Zufluss an dunklem Zauber zu stoppen, löste sich der verderbliche Strudel womöglich auf. Er stand jetzt zwischen den zwei Opfern, deren magisches Gefängnis durch die gekappte Verbindung geschwächt wurde, und dem vor Zorn rasenden Herrn der Unterwelt. Galeon trat neben ihn und öffnete seinen Rachen, um gleichfalls einen Hagel aus Blitzen auszuspeien.

"Aus dem Weg, du Möchtegern-Wächter! Und Ihr auch, Kreatur! Es sei denn, ihr wollt ebenfalls sterben! Diesen Gefallen kann ich euch gerne erweisen!! Nehmt dies!!" Lee und sein Bit Beast wurden zurückgedrängt, aber der Chinese spürte dennoch anhand der schwindenden Aura, dass der Strudel in seinem Rücken nachließ. Hades' Gegenattacke wurde immer intensiver und vereinzelte schwarze Strahlen gelangten zu ihrem Ziel, wobei auch Lee nicht verschont blieb - sein Gewand bekam Risse und seine linke Wange einen tiefen Schnitt. Plötzlich aber stand Raul an seiner Seite und erschuf eine Fackel zwischen seinen Händen. Von ihrem Brennen ausgehend, ergoss sich ein Strom Feuer auf ihren Feind und als Torch Pegasus sich dazugesellte und Flammen spuckte wie es sonst nur Drachen in den Märchen taten, blieb Hades nur mehr der Rückzug, denn er durfte seine Kraftreserven noch nicht so aufzehren. Mit einem gewagten Angriff donnerte er seine vier Widersacher gegen den Fahrstuhl und teleportierte sich zurück in sein finsteres Königreich. Sol und Leviathan nahm er mit sich, ehe ihn jemand daran hindern konnte. Julia und Mariah liefen sofort zu ihren Brüdern und halfen ihnen auf die Beine. Thunder Pegasus trabte gleichfalls zu ihrem Bruder und beschnupperte den Hengst, ob es ihm denn gut gehe. Er richtete sich auf und scharrte mit den Hufen. Bryan strich Falborg durch das Gefieder und seufzte.
 

**Stimmt etwas nicht, Boreas?**

"Wir haben es nicht geschafft....er hat Sol und Leviathan wieder in seine Gewalt gebracht. Hast du gesehen, wie er mit ihnen umgesprungen ist? Er hat Garland leiden lassen, um Mystel psychisch zu quälen!! Kannst du das fassen?! Er ist....ein Monster!"

**Du hasst ihn, nicht wahr?**

"Ist das so offensichtlich?!"

**Aber das ist nicht richtig. Hass - wie alle anderen negativen Gefühle - sind Dinge, von denen er sich ernährt. Warum glaubst du, war er vorhin tatsächlich so wütend auf Leviathan?**

"Weil er sich ihm widersetzt und Sol gerettet hat."

**Ja, aber nicht nur deswegen. Poseidons Hüter hat aus Liebe gehandelt und dafür alle Warnungen von Hades in den Wind geschlagen. Er weiß, dass Liebe über eine große Macht verfügt, die er mehr fürchtet als alles andere, weil er sie nicht verstehen kann. Und seine Angst hat sich in Wut entladen. Bei Deimos verhält es sich ähnlich, aber diesmal haben wir eine reelle Chance, den Soldaten des Hasses wieder zu dem zu machen, der er einmal war. Damals hatte er nie etwas anderes kennen gelernt als Einsamkeit, Kummer und Verzweiflung. Aber bei seiner Wiedergeburt gibt es etwas, das auch Deimos nicht zerstören kann - und dieses Etwas verhindert schon die ganze Zeit, dass die schwarze Macht Brooklyns Seele für immer verschlingt. Weißt du, was ich meine?**

"Ja. Es ist seine Liebe zu Hiro, die einen Teil seiner Selbst bewahrt hat. Diese Liebe dürfte auch der Auslöser für die Begierde sein, die Deimos empfindet und über deren Ursprung er sich nicht ganz klar ist. Natürlich haben diese beiden Gefühle nicht das geringste gemein, Deimos interessiert sich nur für Hiros Körper, nicht für sein Herz und den Mann, der er ist. Aber wenn es uns gelingt, Brooklyn zurückzuholen, wäre das für Hades eine ziemliche Niederlage."

**Korrekt. Bei der nächsten Versammlung der Zwölf solltest du das zur Sprache bringen.**

"Das werde ich."

Er warf einen Blick zu der mehr oder minder zerbröckelten Wand des Korridors und fuhr sich in einer Geste der Resignation durch sein lila Haar. "Bleibt noch auszuknobeln, wer dem Hoteldirektor den Schaden meldet...."
 

Es war Abend geworden und die Hotelgäste hatten sich im Speisesaal eingefunden, pünktlich um sieben Uhr. Während seine Schwester schon mal vorausging, blieb Lee noch einen Moment zurück und betrat die Gartenterrasse, auf der sich um diese Zeit niemand mehr aufhielt. Er betrachtete die ruhige, wie schlafend daliegende Landschaft und atmete die laue Luft ein. Es war nicht kalt und ein sanfter warmer Wind strich durch die Bäume.

"Warum kommst du nicht zum essen? Du verpasst noch die Vorspeise, Zottelkopf."

"Ich bin nicht so ein Vielfraß wie du, Pomadenjüngling."

Raul antwortete nicht. Er platzierte sich neben dem Älteren und musterte ihn aus den Augenwinkeln. Das goldbestickte chinesische Gewand mit dem Löwenornament auf rotem Grund sah außerordentlich schick und elegant aus; fast ein wenig zu kostbar für den nicht unbedingt feierlichen Anlass eines Abendessens. Lee hatte seine lange schwarze Mähne zu einem dicken Zopf geflochten, der ihm über die rechte Schulter fiel. Die Laternen, welche die Terrasse säumten, verströmten ein dezentes Licht, das bläuliche Reflexe in das dunkle Haar zauberte. Der Spanier fand ihn unerhört schön.

"Übrigens....danke, Raul."

"Hm? Wofür?"

"Für deine Hilfe im Kampf gegen Hades. Du bist mir zur Seite gestanden, oder etwa nicht? Dafür wollte ich dir danken. Du warst sehr tapfer."

"Das ist nicht wahr. Du bist so mutig gewesen, gegen ihn anzutreten! Du hast den ersten Schritt gemacht! Ich selbst hätte das nie gewagt....aber als ich sah, dass es schwierig für dich wurde, musste ich einfach für dich da sein! Ich konnte nur noch daran denken, wie ich dich unterstützen könnte! Ich...." Er verstummte abrupt, als ihm bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte. Verlegen strich er sich über seinen Schnurrbart und wandte sich ab.
 

"Noch etwas....als du heute im Aufzug zu mir meintest, ich wäre eifersüchtig...."

"Ach das....vergiss es einfach, okay? Es war albern von mir!"

"Nein. Im Gegenteil. Es war albern von mir, denn ich hätte Vertrauen zu dir haben müssen. Aber du hattest recht, weißt du."

"Par-Pardon?"

"Ich war eifersüchtig."

Seine Züge waren ernst und von aufrichtiger Sehnsucht verwandelt. Kein Sarkasmus, keine Ironie, keine Bissigkeit, nur Gefühl war in ihnen zu lesen. Die goldenen Augen leuchteten in einem leidenschaftlichen und zugleich zärtlichen Feuer, das den Jüngeren unweigerlich in seinen Bann schlug. Seine Wangen röteten sich und er wollte in den Speisesaal zurückeilen, als seine Hand festgehalten wurde.

"Lass los...."

"Warum?" fragte Lee sanft, indem er den anderen näher zu sich heranzog und ihm direkt in die Augen sah. Raul atmete seinen männlich-herben Duft ein und erschauerte.

"Weil ich....dich sonst küssen werde...."

"Dann tu's doch."

Damit war es um ihn geschehen. Der Rothaarige gab auf und ließ all seine Schutzwehren fallen. Er schlang seine Arme um den Nacken des Zwanzigjährigen und ihre Lippen trafen sich in einem suchenden, tastenden, neugierigen Kuss. Als der Erfahrenere wagte der Chinese zuerst einen behutsamen Vorstoß mit seiner Zunge und sein neuentdeckter Schatz ließ sich nach und nach auf das sinnliche Spiel ein. Eine volle Minute später lösten sie sich endlich voneinander.

Lee lächelte und drückte einen weiteren Kuss auf die Hand, die er immer noch festhielt.

"Wir sollten jetzt zum Essen gehen, oder?"

"Du....du hast recht. Julia wird sich schon fragen, wo ich bleibe. Wollt ihr, du und Mariah, euch vielleicht an unseren Tisch setzen?"

"Mit dem größten Vergnügen." Und sie verließen die Terrasse.

Erinnerungen (2)

Es geht weiter!^^ *wink* Diesmal also wieder ein Kapitel, das die Ereignisse in der Vergangenheit näher beleuchtet. Ich wünsche Euch viel Vergnügen beim Lesen und würde mich sehr über Kommis freuen! *verbeug*
 

Kapitel 16: Erinnerungen (2)
 

Die Nacht lag über Tokyo und die Bewohner der Stadt schliefen. Nur einer konnte sich nicht in das Reich der Träume verabschieden, und das war Kai. Es war drei Tage her, seit Tyson ihm seine Liebe gestanden und ihn auf die Wange geküsst hatte. Und noch immer suchte ihn dieses Erlebnis in den Stunden des späten Abends heim, ohne dass er dem hätte entgehen können. Die Lippen des Japaners waren genauso wie in dem Traum über ihr früheres Leben, weich, warm und verlangend, und zugleich von geradezu schmelzender Zärtlichkeit. Warum bloß war ihm diese Berührung bis ins Herz gedrungen?

"Diese Frage ist lächerlich und das weiß du auch!"

Der Russe schrak hoch und sah auf seinem Bett die durchsichtige Seelenform von Suzaku sitzen. Seit der Prinz des Feuers die Barrieren von Kais Ego überwunden hatte, konnte er auf diese Weise mit ihm kommunizieren, ohne seinen Körper übernehmen zu müssen.

"Lass mich zufrieden!"

"Oh, immer noch so schlecht auf mich zu sprechen, was? Es ist nicht meine Schuld, dass ich hier bin! Unsere Seelen hätten sich vereinigen sollen, wie bei den anderen, aber Hades hat diesen Prozess erfolgreich verhindert! Gib nicht mir die Schuld!"

"Was hat dich geritten, Tyson zu sagen, ich hätte eine Schwäche für ihn?!"

"Sei froh, dass ich ihm nicht gleich die ganze Wahrheit gebeichtet habe!"

"Die ganze Wahrheit? Was soll das heißen?!"

"Na, dass du ihn liebst, selbstverständlich! Ich hoffe für dich, dass du diese Frage nicht im Ernst gestellt hast! Wenn ja, bis du noch verklemmter als ich dachte!"

"Ich bin nicht verklemmt!!! Und ich liebe Tyson NICHT, hast du kapiert?!?!"

"Überlaute Rechtfertigung klingt nach schlechtem Gewissen, mein Freund. Ich habe einen Volltreffer gelandet, richtig?"

"Halt den Mund!!"
 

Kai wandte sich ab und rutschte wieder unter die Decke. Er hörte Suzaku leise lachen und grummelte verärgert vor sich hin. "Was ist so komisch?!"

"Du, wer sonst? Warum verleugnest du deine Gefühle? Es ist doch offensichtlich, was du empfindest. Selbst ein Blinder mit 'nem Krückstock würde erkennen, dass du dein Herz an unseren süßen Ty mit den schönen braunen Augen verloren hast!"

"Nenn ihn gefälligst nicht so!!"

"Du meinst, ich soll ihn nicht als süß bezeichnen? Aber er ist süß! Sein Lächeln ist ebenso berückend und von sprühendem Charme wie damals. Und was seine Schönheit betrifft, so ist sie immer noch so vollkommen wie ich sie in Erinnerung habe. Sein Teint ist makellos und seine Haare besitzen wie einst diese herrliche Saphirfarbe....und seine Augen muss ich wohl kaum erwähnen, oder? Ich sage dir, wenn du einmal gesehen hast, wie diese Teiche aus geschmolzener Schokolade sich im Feuer der Leidenschaft und der Hingabe verdunkeln, wirst du es niemals mehr vergessen können...." Er seufzte verzückt. "Seiryuu war mein bester Freund und wurde mir schließlich der wundervollste Lebenspartner, den man sich nur wünschen kann - und er war ein fabelhafter Liebhaber....allerdings, wenn ich seinen Worten Glauben schenken darf, habe ich ihn auch nie enttäuscht...."

Der Jüngere war inzwischen rot angelaufen und zischte: "Hör auf mit diesen Reden!!! Du bist ja pervers!!!"

"Wieso ist es pervers, wenn man denjenigen berühren möchte, den man liebt? Ich kann daran nichts verwerfliches finden. Leider....war es uns nicht vergönnt, unser Glück lange zu teilen...."

Der Schmerz in Suzakus Stimme ließ den Russen aufhorchen. Er drehte sich zu dem Krieger um und spürte instinktiv die Aura von Trauer und kummervollen Gedanken, die auf ihm lastete.

Er zögerte, doch dann holte er tief Luft und fragte: "Willst du mir davon erzählen?"

Der Prinz lächelte ernst. "Nein. Du könntest meinen Schmerz nicht begreifen, wenn ich dir einfach davon berichten würde. Du müsstest fühlen, was ich fühlte - eigentlich müsstet ihr das alle...." Er stand auf und marschierte eine Weile unschlüssig auf und ab. Schließlich erklärte der Hüter des Heiligen Phönix: "Ich könnte dir und deinen Freunden einen Traum schenken. Es wird kein schöner Traum sein, aber er wird euch einen großen Teil eurer Erinnerungen zurückbringen. Leg dich hin." Suzaku schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Kräfte. Um den gesamten Dojo baute sich eine Art Traumblase auf und die magischen Wellen, die sie ausströmte, wiegten Kai endlich in den Schlaf. Diese Wellen erreichten aber auch Tyson, Ray und Max, die sich plötzlich unruhig in ihren Betten herumwälzten, durch das Eindringen in ihren Geist gestört.
 

~~ TRAUMRÜCKBLENDE ~~
 

Im Palast "Albus Tigris" (lateinisch: Weißer Tiger) des Königreichs des Elements Erde, in Eden besser bekannt unter dem Namen Gaia, hatte Prinz Byakko seinen Beraterstab zusammengerufen und beratschlagte sich mit ihm. Er war jetzt vierundzwanzig und regierte sein Land bereits seit elf Jahren zur allgemeinen Zufriedenheit seines Volkes. Doch seit einiger Zeit war die Harmonie in Gefahr, denn etwas Böses war ins Reich der Verstorbenen, in Elysium, eingefallen und verdarb den Hort der toten Seelen mit einem schwarzen Gift, das überall nur Zerstörung hinterließ.

"Konnte man den Ursprung der finsteren Macht herausfinden?"

"Nein, Euer Hoheit. Wir stehen vor einem Rätsel. Sicher ist aber, wenn wir nicht bald etwas unternehmen, wird Elysium sich bald von einem Paradies in eine Hölle verwandeln und zugrunde gehen. Was mit den Seelen geschieht, die dort ihre letzte Ruhe gefunden haben, ist noch unklar, aber wir vermuten, dass das schleichende Gift des Bösen sie manipulieren und verändern wird."

"Ist das wahr? Das ist ja eine furchtbare Aussicht! Wie dem auch sei - ich verlange, dass man regelmäßig Beobachter nach Elysium schickt, die mich über den aktuellen Stand der Dinge informieren. Vielleicht können sie in Erfahrung bringen, woher das Gift stammt, das dort am Werke ist. Darüber hinaus wünsche ich, dass die Prinzen Genbu, Seiryuu und Suzaku ebenfalls von der Sachlage in Kenntnis gesetzt werden. Entsendet Boten nach Aquaria, Aura und Pyrodes, und zwar sofort! Diese beklagenswerte Angelegenheit duldet keinen Aufschub!"

"Jawohl, Euer Hoheit!"

"Der Rat ist hiermit entlassen, man möge sich aber dennoch bereithalten für weitere Befehle."

"Verstanden, Euer Hoheit!"

Die großen Flügeltüren des Saales fielen ins Schloss und der Hüter des Heiligen Tigers blieb allein zurück. Seine Gedanken waren verdüstert von der fremden Bedrohung, die dabei war, sich in seine Heimat einzuschleichen. Ob die Vergiftung Elysiums der Grund dafür war, dass in seinem Königreich mit einem Mal Dämonen auftauchten und die Bevölkerung terrorisierten? Was für eine verzwickte Situation! Und dabei hatte er doch noch ganz andere Sorgen! Sorgen, die sein Herz betrafen und seinen Kummer verstärkten....es war zum Auswachsen!
 

Er seufzte tief, als die vergoldete Zeichnung der Weltkarte von Eden, die sich in der Mitte des Tisches befand, zu vibrieren begann. Das Bild zeigte die sieben Sphären der Wächterdimension, darunter den Planeten Erde und schließlich die sieben Sphären von Elysium. Eingefasst war das Ganze in einen viereckigen Rahmen, in dessen Ecken jeweils eine Schutzgottheit eingraviert war. Der Phönix leuchtete hell und projizierte eine Art Bildschirm in den Raum, auf dem Suzaku erschien. "Was willst du denn?"

"Deine Freundlichkeit ist mal wieder einmalig, Byakko!" erwiderte der Graublauhaarige sarkastisch. "Was ist los mit dir? Du wirkst so betrübt."

"Ich habe einen Boten zu dir gesandt, dann wirst du früh genug erfahren, was mich beschäftigt."

"Ich hatte angenommen, es hätte mit Genbu zu tun."

Der Schwarzhaarige wurde rot und senkte verlegen den Blick, zu beschämt, um seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Verflixt, waren seine Gefühle denn bereits so ersichtlich?

"Ach, wenn du mir bloß helfen könntest, mein Freund! Ich möchte ihm voller Poesie meine Liebe erklären, aber sobald ich in seiner Nähe bin, kann ich nurmehr schlucken und stottern. Was soll ich tun? Kannst du mir nicht einen Rat geben? Du bist so glücklich mit Seiryuu! Wie hast du das erreicht?"

"Ich habe ihm gesagt, was ich empfinde, und das solltest du auch tun, denn sonst kann sich nichts ändern. Oder möchtest du, dass ich zuerst mit ihm spreche?"

"Und was würdest du ihm sagen?"

"Hm, ich würde ihn ein bisschen....aushorchen. Versuchen, herauszufinden, wie er wirklich für dich fühlt. Was meinst du?"

"Ich weiß nicht....Ich habe Angst davor, wie seine Antwort ausfallen könnte...."

"Deine Furcht ist verständlich, aber willst du dich denn weiterhin so quälen? Demnächst findet das Fest der Hundert Fluten statt, das wichtigste gesellschaftliche Ereignis in Aquaria, dem Königreich des Wassers. Das wäre doch eine gute Gelegenheit, ihm deine Gefühle zu gestehen? Er ist momentan zu Besuch bei mir, weil er mir eine persönliche Einladung überbringen wollte. Deswegen kontaktiere ich dich eigentlich, ich wollte dich fragen, ob du vorbeikommen möchtest - aber da du offensichtlich ernstere Dinge zu erledigen hast....Alles weitere wird mir dein Bote mitteilen. Falls es nötig ist, werde ich mich wieder bei dir melden."

Suzakus Bild flackerte, bis es schließlich ganz verschwunden war und Byakko erhob sich von seinem Platz. Schwermütig trat er an eines der Bogenfenster und blickte hinaus auf den Wald, der sich in diesem Teil seines Herrschaftsgebietes erstreckte.

"Falls es nötig ist, werde ich mich wieder bei dir melden." Oh ja - es würde nötig sein....
 

Der Prinz des Feuers verließ seinen eigenen Beratungssaal, in dem er gerade mit dem anderen gesprochen hatte und kehrte in seinen Empfangssalon zurück, wo Genbu auf ihn wartete.

"Und? Wird er uns Gesellschaft leisten?"

"Nein, er hat leider keine Zeit."

"Oh, ich verstehe." Da der Blonde ein sehr fröhlicher und lebhafter junger Mann war, fiel seiner Umgebung stets sofort auf, wenn etwas nicht in Ordnung war, und auch diesmal verhielt es sich so, denn der Hüter von Draciel war sichtbar enttäuscht. Suzaku zögerte keine Sekunde, da er diesen Moment als den Richtigen erkannte.

"Liebst du Byakko?"

Genbu erschrak über diese direkte Frage, war aber nicht sonderlich verwundert, sie aus dem Mund des Phönixwächters zu hören. Bei Seiryuu war dieser beinahe scheu und fast zurückhaltend gewesen, ansonsten jedoch kam er in der Regel schnell auf den Punkt. Um den heißen Brei herumzureden war ihm normalerweise ein Gräuel. Der Blondschopf war drauf und dran, sich rüde abzuwenden, doch vor Suzakus anziehendem Lächeln schmolz sein Ärger.

"Ja. Ja, ich liebe ihn, aber dieser große, unbeholfene Schatz ist zu schüchtern, um von Liebe zu reden."

"Das sollten wir dringend in Ordnung bringen!"

"Setz sofort dieses hinterhältige Grinsen ab! Misch dich nicht ein, bitte! Du bist ein hervorragender Kuppler, das mag sein, aber man kann solche Gefühle nun mal nicht erzwingen!"

"Erzwingen???? Ja, glaubst du denn wirklich, dass man bei Byakko irgendetwas erzwingen müsste?! Wie kommst du bloß darauf? Nun, so lass mich deine Zweifel zerstreuen! Er empfindet sehr viel für dich!"

"Ich wünschte, ich könnte dessen so sicher sein wie du...."
 

"Das ist nicht der Zeitpunkt, um pessimistisch zu sein! Ich habe bereits eine Idee, wie wir euch beide zusammen bekommen können, aber die Voraussetzung ist, dass du dich daran beteiligst!"

Genbu schmunzelte und seufzte besiegt auf. Auch wenn sein Herz einem anderen gehörte, war es sehr schwer, Suzakus umwerfendem Charme zu widerstehen, mit dem er selbst die störrischsten Bewohner Edens um den kleinen Finger wickeln konnte. In seiner Vergangenheit als Don Juan hatte ihm diese Gabe manch guten Dienst erwiesen und die schönen Männer des Reiches waren ihm scharenweise zu Füße gelegen. Selbst die Frauen, obwohl weithin bekannt war, dass der Prinz des Feuers dem eigenen Geschlecht huldigte. Seit er und Seiryuu ein Paar waren, hatte der temperamentvolle Hüter sich allerdings verändert - er hatte noch immer Spaß daran, seine Freunde in Liebesdingen zu beraten und mitunter als Cupido einzugreifen, aber seine Augen weideten sich nur mehr an Seiryuus Schönheit, am Strahlen seines Lächelns oder seinem stürmischen, unbändigen Wesen, ohne noch großes Interesse für andere attraktive Vertreter der maskulinen Welt aufzubringen. Gewiss, er machte dem Wächter des Heiligen Drachen viel seltener Komplimente als all seinen früheren Eroberungen, aber das lag ganz einfach daran, dass seine schlagfertige und gewandte Zunge ihn hier im Stich ließ. Hier konnte er nur ehrlich sein....hier blieben dem romantischen, kühnen und dreisten Herzensbrecher nur noch drei kleine Worte: Ich liebe dich. Seiryuu fand das aber durchaus zufriedenstellend.

"Also gut. Wenn du wirklich einen Plan hast...."

"Du machst mit? Ausgezeichnet!"
 

In Aura, dem Reich des Windes ("Aura", lateinisch für Lufthauch, Luftzug, Wehen), war Prinz Seiryuu gerade dabei, das Gelege eines Drachen zu untersuchen. Die Eier waren warm und das silbern gefärbte Weibchen duldete die Anwesenheit des Wächters lediglich, weil er der Hüter von Dragoon war, der wiederum ihr Gefährte war. Die Kreaturen der Dimension schlüpften, unabhängig von ihrer Tierart, alle aus den Eiern, die am Heiligen Baum wuchsen; einzig die vier Schutzgottheiten vermehrten sich auf natürliche Weise. Der Blauhaarige untersuchte, ob sich das Gelege an einem sicheren Standort befand und nicht zu hoch im Felsgestein lag, damit die Jungen nach dem Schlüpfen nicht Gefahr liefen, zu tief zu fallen, sollten sie über den Rand des Nestes krabbeln.

"Du wirst bestimmt schöne Kinder haben, Leila! Die jungen Drachen aus deiner letzten Brut sind kräftig und gut gewachsen und vom Charakter her sind sie sehr tapfer und treu. Ich gratuliere dir!"

**Vielen Dank, Euer Hoheit. Glaubt Ihr, dass einige von Ihnen Mitglieder der Drachenflieger-Staffel werden könnten? Das wäre eine große Ehre!**

"Ich denke durchaus, dass das möglich wäre. Ich werde Boreas fragen, er ist der Hauptmann der Drachenflieger. Er hat sich positiv über deine Söhne und Töchter geäußert, daher nehme ich an, dass er mit dem Gedanken spielt, sie auszubilden. Ich...."

Doch da wurde er von einer aufgeregten Stimme unterbrochen, die ihm vom Eingang des Drachenshorsts aus etwas zurief. "Euer Gnaden! Ich muss mit Euch reden! Es ist dringend!" Seiryuu seufzte, verabschiedete sich von Leila und eilte leichtfüßig durch die gewundenen Wege des Horstes. Bei diesem handelte es sich eigentlich um eine kreisrunde Schlucht, eine Art Krater, der mehrere hundert Meter tief war und die Höhlen des Drachenvolkes beherbergte. Für sich genommen wirkte dieser Ort wie ein bizarrer Palast und vielen rangen die hohen steilen Wände, die scharfkantigen Felsen und die begehbaren Pfade nahe am Abgrund einiges an Respekt und Ehrfurcht ab. Als der Prinz durch das Tor trat, sah er Boreas, von dem er vorhin erst gesprochen hatte. Er wollte ihn fröhlich begrüßen, hielt aber inne, als er das ernste Gesicht des Lilahaarigen erblickte und sofort beschlich ihn eine dunkle Ahnung.
 

"Was ist passiert?"

"Begleitet mich bitte, Euer Hoheit. Ich habe während meines üblichen Erkundungsfluges eine grausige Entdeckung gemacht...." Er schritt voran, zum höchsten Punkt des Gebirges, in dem die Drachen von Aura lebten, und stieg auf das Landepodest, das dort angebracht worden war. Tief unter ihnen breitete sich das Reich in all seiner Pracht und Schönheit aus wie ein kostbarer Teppich; ein paar Drachen, die zur Zeit auf der Jagd waren, flogen in gewagten Manövern darüber hinweg. Boreas hob die rechte Hand und spreizte dabei den Daumen, Zeige- und Mittelfinger ab. Nach wenigen Minuten schon kam einer der Jäger auf ihn zu, setzte zur Landung an und ließ den Wächter auf seinen Rücken klettern. Seiryuu tat es ihm nach und schließlich war das Rauschen von gigantischen Schwingen zu hören. Majestätisch und stolz glitt Dragoon durch den Himmel und ließ sich vor dem Prinzen nieder.

**Du hast mich gerufen, mein Hüter?**

"Ja. Boreas hat mir etwas Wichtiges zu zeigen. Folge ihm!"

**Wie du wünschst.**

Man steuerte von den Klippen hinunter in ein weitläufiges Waldgebiet und der Berater des Prinzen lief voraus zu einer kleinen beschaulichen Lichtung. Normalerweise war es ein schöner Ort, doch heute überschattete ein Verbrechen den Frieden dieses Tages. Der Blauhaarige näherte sich und schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund, als er erkannte, weshalb sein treuer Freund und Gefolgsmann ihn so dringlichst aufgesucht hatte. Vor ihnen lag der leblose Körper eines Drachenjungen, bestialisch aufgerissen und blutüberströmt. Dragoon und sein Artgenosse stießen ein klagendes Brüllen aus und Seiryuu ballte seine Hände zu Fäusten, zutiefst erschüttert und zornig zugleich. Wer konnte etwas so Schändliches und Grausames getan haben?! Plötzlich spitze er die Ohren. Da seine Kontrolle über das Element Luft vollkommen uneingeschränkt war und Schall sich als Schwingungen in der Luft übertrug, war er in der Lage, Dinge zu hören, die für andere außerhalb ihres Wahrnehmungsbereiches lagen. Ein dumpfes Grollen oder Knurren erfüllte die Umgebung; ein Laut, wie ihn ein lebendes Geschöpf unmöglich ausstoßen konnte, so kalt und unnatürlich war er. Das Geräusch wurde lauter, bis auch Boreas es hörte und er zog geschwind sein Schwert. Aus den Gebüschen und Bäumen trat langsam eine Kreatur mit schwarzem Fell hervor, mit scharfen, mörderischen Krallen, einer imposanten Mähne und einem Maul voller spitzer Zähne, von denen das Blut herunter tropfte. Die rote Spur zog sich über die Brust des riesigen Raubtiers bis hinunter zu den Pfoten - kein Zweifel, hier hatten sie ihren Killer.

"Du bist ein magisches Wesen, eine Kreatur aus Eden! Wie konntest du den kleinen Drachen umbringen?! Du kennst unsere Gesetze! Das vorsätzliche Töten eines anderen aus purem Selbstzweck ist bei Strafe verboten!!"

**Diese Gesetze gelten einzig für die Lebenden, Windwächter! Ich jedoch gehöre nicht zu ihnen, was also gehen mich ihre Belange an? Ich komme aus Elysium und bin im Auftrag meines Hüters hier, um die Gegend auszukundschaften!**

"Elysium?! Das Reich der Seelen, wo die Verstorbenen ihre verdiente Ruhe finden?! Aber wie kannst du dann....einen....fleischlichen Körper besitzen?!"

**Fällt Euch die Antwort auf diese Frage so schwer, Prinz Seiryuu? Der neue Herrscher meines Landes hat mir diesen Körper verliehen, mit Hilfe der Schwarzen Magie, die er benutzt!**
 

"Schwarze Magie? Du bist also....ein Untoter....! Der neue Herrscher von Elysium, sagst du?! Was soll das heißen?! Es gibt dort keinen Regenten!"

**Bislang gab es keinen, das ist wahr....aber seit einiger Zeit ist dem nicht mehr so. Er wird Eurem beklagenswerten Eden und dem Gleichgewicht der Schöpfung ein schmerzvolles Ende bereiten....und dann wird auch der Planet Erde der Finsternis anheim fallen!!**

Mit diesem grausigen Versprechen wandte das Geschöpf sich um und verschwand in einem Wirbel aus schwarzen Blitzen. Erst außerhalb des Waldes re-materialisierte es sich wieder und neigte kurz das Haupt vor einem schwarzgekleideten jungen Mann mit orangen Haaren und dunklen Augen. Er fuhr mit den Fingern über das blutgetränkte Fell und leckte die metallisch schmeckende Substanz genüsslich von seiner weißen Haut.

"Lass uns gehen, Zeus. Du hast den Auftrag unseres Gebieters erfüllt - auch wenn du dir unerlaubterweise eine Beute gegönnt hast!"

**Drachenfleisch ist äußerst schmackhaft.**

"Wie du meinst. Aber nun komm, wir müssen uns beeilen. Du weißt genau, dass Seine Gnaden kein Verständnis für Nachlässigkeiten hat!" Die beiden kehrten durch ein Schattentor nach Elysium zurück, das bereits viel von seiner einstigen Herrlichkeit und Schönheit verloren hatte. Auch der junge Mann war von dem Gift, das diese Dimension verseuchte, verdorben worden. Vor wenigen Tagen noch hatte er auf der Erde gelebt, doch nachdem die Macht des Bösen ihn mit ihren erbarmungslosen Klauen gepackt hatte, hatte er vergessen, wer er einst gewesen war. Selbst an seinen richtigen Namen konnte er sich nicht mehr erinnern, denn er hatte einen neuen erhalten, in dem Tod und Angst zum Ausdruck kamen. Man nannte ihn Deimos.

"Schrecken".
 

Ein beunruhigender und von unguten Befürchtungen belasteter Tag fand sein Ende. Byakkos Bote hatte die drei übrigen Königreiche erreicht und Seiryuu hatte nach der Lektüre der alarmierenden Nachricht seinen eigenen Kurier gerufen, um seinen Freunden von seinem Erlebnis mit der untoten Kreatur zu berichten. Sorgenvoll, bestürzt und ohne eine Antwort auf die verzweifelte Frage, was da Furchtbares in ihre Heimat eingedrungen sein mochte, sass der Prinz des Windes in seinem in unterschiedlichsten Blau- und Goldtönen gehaltenen Thronsaal und schickte sich eben an, seine persönlichen Gemächer aufzusuchen, als die Wache ihm meldete, der Hüter von Dranzer wäre an den Toren des Palastes eingetroffen.

"Was, Suzaku ist hier? Was mag ihn zu dieser abendlich späten Stunde hergeführt haben? Lass ihn ein, ich will wissen, weshalb er die Mühe auf sich genommen hat, mir um diese Uhrzeit seine Aufwartung zu machen."

Man gewährte dem Feuerwächter Eintritt und kündigte an, Seine Majestät "lasse bitten". Suzaku kam ohne Gefolge, nicht einmal seine rechte Hand, der Krieger Sol, war bei ihm. Er verneigte sich respektvoll vor dem anderen und sagte: "Euer Hoheit, ich erfuhr durch Seine Exzellenz, Lord Boreas, von dem tragischen Ende des Drachenjungen - und von dem Geschöpf aus Elysium. Ich biete Euch daher meinen Rat und Beistand in dieser Sache an und hoffe, Euch ein gewisses Maß an Unterstützung zukommen lassen zu können."

In der gedrechselten Sprache des Hofes bedeutete das nichts weiter, als dass er ihn trösten und ihm etwas Mut vermitteln wollte angesichts der fremden Bedrohung. Seiryuu war gerührt von dieser Geste, die deutlich machte, dass sein Liebster sich um ihn gesorgt hatte. Er entließ den Hofstaat und bat seinen Gegenüber förmlich, ihn zu seinen Räumen zu begleiten. Kaum war die Tür zum Thronsaal hinter ihnen zugefallen, warf Seiryuu sich in Suzakus Arme und schluchzte alles das heraus, was er hinter der unerschütterlichen Fassade eines Herrschers hatte verbergen müssen: Der grässliche Fund des kleinen Wesens, zerrissen und blutend, und schließlich die schwarze Kreatur, hinter deren Ausstrahlung er einen Hass und eine Kälte gespürt hatte, die ihm beinahe das Herz abgedrückt und die Kehle zugeschnürt hätte.

"Du kannst es dir nicht vorstellen....in mir kroch eine Angst hoch, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe....!! Was immer es ist, das Eden angreifen und vernichten will, es ist böse!! Durch und durch böse!! Und es will sich auch die Welt der Menschen aneignen! Die Kraft, die durch den neu geschaffenen Körper dieser Bestie strömte, war eisig....grausam....gefühllos.... entsetzlich....!!"

"Beruhige dich doch, Sei!! Sobald wir herausgefunden haben, was es mit dieser Kraft und dem schwarzen Gift auf sich hat, werden wir uns diesem Feind stellen und ihn besiegen! Niemand wird das Gleichgewicht der Schöpfung zerstören oder die Erde verwundbar machen!"
 

Er blickte in die tiefen, haselnussbraunen Augen des Windwächters, in denen Furcht und Kummer zu lesen waren. Auch er hatte Angst, aber um Seiryuus Willen musste er stark sein und sich zuversichtlich zeigen. Vor der Tür des prinzlichen Gemachs verabschiedete er sich mit einem Kuss auf die Stirn, um in den Gästetrakt des Schlosses zu eilen, doch der Blauhaarige hielt ihn zurück.

"Würdest du....mich diese Nacht festhalten....mein Geliebter?"

Suzaku gelang es nicht, etwas darauf zu erwidern. Warme Lippen legten sich auf die seinen und löschten jegliche Ablehnung aus. Er fühlte die neugierige Zunge seines Drachen, wie sie um Einlass bat und der Hüter des Heiligen Phönix öffnete sich ohne längeres Zögern dem sinnlichen Werben. Irgendwie stolperten sie eng umschlungen in das Zimmer und schafften es sogar, die Tür zu schließen, ehe sie in inniger Umarmung auf das breite, mit himmelblauem Tuch bespannte Bett sanken. Zärtliche Hände streichelten über makellose nackte Haut, heiße, brennende Lippen verteilten erregende Spuren auf den intimsten Bereichen; ihr Keuchen vermengte sich und ihre beiden Körper bewegten sich wie ein einziger. Suzaku strich mit seiner rechten Hand den kraftvollen Rücken seines Schatzes hinab und drängte sich an ihn, bebend vor Verlangen. Seiryuu zerzauste ihm das Haar und überwältigte ihn mit glühenden Küssen, deren Leidenschaft ihm die Sinne zu rauben drohte. Immer neue Quellen der Lust erschlossen sich den zwei Liebenden, während sie einander berührten und die Hitze des Hingegebenseins zwischen ihnen wogte wie flüssiges Feuer. Als sie sich vereinten, erklommen sie gemeinsam den Gipfel der Ekstase, und zitternd vergrub der Flammenprinz sein Gesicht in der Halsbeuge des anderen, schwach, erschöpft und von unsagbarem Glück erfüllt.

"Sei...." hauchte er sanft und zugleich verführerisch in dessen Ohr, "Ich....oh ich liebe dich...."

"Ich liebe dich auch, mein Phönix....auf ewig...."

Der Mond malte silberne Kreise auf die Bettdecke und das junge Paar, das einander festhielt und langsam ins Land der Träume entschwand, wurde von ihm in ein zartes Licht gehüllt. Am nächsten Morgen allerdings gab es ein unschönes Erwachen, denn Boreas betrat das Gemach, ohne zu klopfen. Er war nicht sonderlich überrascht, die beiden in solch einer delikaten Situation vorzufinden. Abgesehen davon, dass er selbst ebenfalls zum eigenen Geschlecht neigte, war gleichgeschlechtliche Liebe in Eden nichts ungewöhnliches. Die Natur sorgte dafür, dass der Rhythmus von Leben und Sterben stets der gleiche blieb und sich die Waage hielt. Allerdings konnte es geschehen, dass in äußerst fruchtbaren Zeiten viele Kinder geboren wurden, die zu Überbevölkerung und somit zu einer Ungleichverteilung von alten und jungen Wächtern führen konnten. In diesem Fall hatte die Natur eine andere Patentlösung: Es gab Wächter, die sich dem eigenen Geschlecht zuwandten und keine Nachkommen in die Welt setzten - in diesem Fall war es egal, ob die betreffenden Personen männlich oder weiblich waren. Daher gehörten homosexuelle Paare zum Alltagsbild von Eden und niemand fand daran etwas Verwerfliches, wie es beispielsweise die Menschen taten.
 

"Euer Gnaden! Verzeiht, dass ich Euch in diesem privaten Moment störe, aber...."

"Boreas, kannst du nicht anklopfen?!" zischte Seiryuu und angelte unter dem Bett nach seinem Lendenschurz. Nachdem er ihn erwischt hatte, schlüpfte er unter die Decke und legte seine Unterwäsche dort an, bevor er das Laken zurückwarf und aufstand.

"Also, was ist los?" erkundigte er sich in ernstem Ton, während er sich eine weiße Hose, schwarze Stiefel und einen dunkelblauen, weit ausladenden Mantel anzog, dessen Saum am Boden schleifte. Seine muskulöse Brust blieb dabei sichtbar und Suzaku schaute ein wenig grimmig drein, denn er hatte den bewundernden Blick aufgefangen, den Boreas auf die traumhafte Figur seines Herrn und Gebieters geworfen hatte. Dann aber seufzte er. Was dachte er sich eigentlich? Als wenn er der einzige wäre, der Schönheit erkennen konnte!

"Prinz Byakko und Prinz Genbu sind hier, Euer Hoheit."

"Wie bitte? Was soll das, ist die Völkerwanderung ausgebrochen? Natürlich freue ich mich auf meine Freunde, aber einen netten Besuch zum Plaudern würden sie ankündigen. Es ist ein schlechtes Zeichen, dass sie unangemeldet hier erscheinen."

Zu dritt begaben sie sich in den Thronsaal und die Audienz begann. Tatsächlich hatte der Hüter des Heiligen Tigers eine Hiobsbotschaft zu überbringen: Nachdem er gestern noch den Brief mit Seiryuus Erzählung erhalten hatte, waren die Torwachen kreidebleich in sein Schlafzimmer gestürzt, mit vor Schreck verzerrten Gesichtern. In ihren Händen hatten sie eine Truhe getragen und ein Blatt Papier mit einer Nachricht. In der Truhe befand sich der abgeschlagene Kopf von einem der Kämpfer, die zur Beobachtung Elysiums ausgewählt worden waren, und die Nachricht lautete: "Dies als kleine Warnung! Ich dulde keine Einmischung in meine Angelegenheiten! Eden wird zugrunde gehen und mit ihm das Gleichgewicht der Schöpfung. Und wenn das geschehen ist, wird die Welt der Menschen eine leichte Beute für mich sein. Im Namen der Finsternis und der Mächte des Bösen, die mir zur Verfügung stehen, erkläre ich Euch den Krieg! Gezeichnet: Hades, der Fürst der Unterwelt."

"Das ist leider noch nicht alles", erklärte Genbu monoton, seine blauen Augen hatten ihr fröhliches und unbeschwertes Leuchten verloren, was insbesondere den Schwarzhaarigen schmerzlich traf. "Der Hauptmann meiner Leibwache, der Wächter von Wolborg, Iras, ist verschwunden. Ich habe Angst um ihn, denn ich befürchte, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Er war schon in den vergangenen Tagen seltsam aggressiv und reizbar. Vielleicht hat dieser....dieser merkwürdige und grässliche Hades irgendetwas mit ihm angestellt?"

Boreas zuckte bei diesen Worten zusammen und um sein Herz schloss sich eine kalte Hand. Iras, sein Iras, einfach fort, verschwunden?! Auch wenn der Rothaarige seine Gefühle nicht teilte, so konnte er seine Liebe zu ihm nicht einfach abtöten. Was konnte ihm widerfahren sein? Ob er Hilfe brauchte?

Suzaku trat vor und seine melodiöse, feste Stimme wirkte spannungslösend auf die Anwesenden. "Jetzt reißt euch zusammen! Wir kennen nun also den Namen unseres Gegners und wissen, was er vorhat! Ganz offensichtlich haben wir es mit einer alten, bösartigen Wesenheit zu tun, die nach Macht und Herrschaft giert. Sosehr es uns missfällt, aber wir haben keine andere Wahl, als zu kämpfen!"

"Du willst einen offenen Krieg riskieren?!" rief der Blonde erschrocken aus und betrachtete seinen Kameraden mit ungläubiger Bestürzung.

"Offener Krieg steht uns bevor - ob wir ihn riskieren wollen oder nicht!!"
 

~~ ENDE DER TRAUMRÜCKBLENDE ~~
 

Kai warf sich unruhig hin und her und der Prinz des Feuers unterbrach seine Traumsendung für einen Augenblick. "Nun hast du gesehen, wie der leidvolle Krieg seinen Anfang nahm....und ich wünschte, ich könnte es dir ersparen, damit fortzufahren, aber....du musst meinen Schmerz selbst empfinden, um ihn zu begreifen! Solange du mein Herz für oberflächlich hältst, wird es zwischen uns keine Annäherung geben! Du bist nicht allein, Kai! Auch ich weiß, was Einsamkeit und Verzweiflung bedeuten! Und außerdem ist es an der Zeit, dich an den Racheschwur zu erinnern, der vor so vielen Jahren meinen Mund verließ und dessen Spuren dir selbst bis in dieses Leben gefolgt sind, ohne dass du auch nur ahntest, was es damit auf sich hat! Sieh gut hin, Kai! Sieh gut hin und frage dich, ob du es ertragen könntest, Tyson zu verlieren - für immer!!!"

Die Traumblase vibrierte von neuem und ein weiteres Gedankengebilde formte sich in den Köpfen der vier Auserwählten. Der Russe sog entsetzt die Luft ein, als er ein Trümmerfeld vor sich sah. Überall brutalste Zerstörungen und zahllose Leichen von Wächtern, die den Einsatz für ihre Heimat mit ihrem Leben bezahlt hatten. Die Sonne ging gerade unter und tauchte das gesamte schaurige Szenario in ein blutrotes Licht.
 

~~ TRAUMRÜCKBLENDE ~~
 

Der Zaubermeister Diomedes wanderte fassungslos und mit Tränen in den Augen durch die Reihen der Gefallenen. Er entdeckte viele seiner einstigen Schüler wieder und das Herz wollte ihm vor Kummer fast zerspringen. Plötzlich jedoch verhielt er abrupt seinen Schritt und starrte auf eine Gruppe von Kriegern, die ihm mehr als vertraut war, denn sie trugen unterschiedliche Rüstungen und ihre steif gewordenen, blutbespritzen Finger klammerten sich um die Griffe von prachtvollen Schwertern. Es waren Byakko und Genbu, die um den knieenden Suzaku herumstanden, der den bewusstlosen Seiryuu in den Armen wiegte. Rasch lief er auf sie zu und beugte sich ängstlich über den Blauhaarigen. Begreifen und Entsetzen zeichneten sich in seinen alten Zügen ab, als er die tiefe, klaffende Wunde sah, die man dem Hüter des Heiligen Drachen zugefügt hatte. Langsam schlug er die Augen auf und lächelte seinen Lehrmeister freundlich an.

"Diomedes....Ihr habt auch gekämpft....Ihr wart fantastisch....Ihr seid wirklich einer der größten Magier von ganz Eden...."

"Sprecht nicht, mein Prinz! Das strengt Euch nur unnötig an! Oh, wer hat es gewagt, Euch so zu verletzen?! Ich werde ihn...."

**Hades.** war die Antwort von Dragoon, der, gleichfalls verwundet und mit einem gebrochenen Bein, zu den fünfen hinüber humpelte und sich schwerfällig neben seinem Wächter niederließ. Er spürte instinktiv, dass es zu Ende ging, aber er brachte es nicht über sich, das einfach so zu sagen. In seinem langen Leben hatte er schon manch einen Hüter verloren, aber niemals auf eine solch mörderische Weise....und vor allen Dingen nicht, wenn der Betreffende noch jung war. Seiryuu war einer der ehrenvollsten und würdigsten Drachenwächter gewesen, den er je auserkoren hatte und seine Seele wurde von einem Gefühl der Trauer überschwemmt.

**Hades....hat ihm das angetan....** wiederholte er mechanisch, wie etwas hundertmal Eingeübtes. Suzaku strich seinem Schatz durch das saphirfarbene Haar und flüsterte: "Sei stark, bitte....du schaffst es....ich weiß es....! Du musst es schaffen....!"

"Lass mich gehen, Liebster....Ich werde es nicht schaffen...." widersprach der Prinz des Windes mit der Gewissheit und Ruhe eines Sterbenden, der sein Schicksal akzeptiert hat. Er streichelte dem anderen über die Wange und legte seine Hand schließlich in die von Suzaku.

"Das ist unmöglich! Ich kann dich nicht gehen lassen! Ich kann nicht!! Oh bitte, bleib bei mir....! Verlass mich nicht....nicht so!"

Der Blauhaarige antwortete ihm sanft: "So gern ich bleiben möchte....ich bin zu schwach. Versprich mir, dass unsere Freunde und du das Gleichgewicht der Schöpfung bewahren werdet...."

"Ich....verspreche es...."

"Gut. Und weine nicht, mein Phönix. Eines Tages....werden wir uns wiedersehen...."

Ein letztes Aufbäumen lief durch den anmutigen Körper, ein letztes, verzweifeltes Zucken, dann lag er still. Seine Hand erschlaffte und der Lebensatem verließ ihn. Genbu schluchzte auf und drehte sich weg, unfähig, seinen toten Freund länger zu betrachten. Byakko legte ihm die Arme um die Schultern und zog ihn an sich, sein Kinn zärtlich gegen die weiche Stirn drückend. Er biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien. Suzaku starrte auf seinen Geliebten hinunter und schien weit weg zu sein. Er hörte nicht, wie Dragoon gequält aufstöhnte und sein geschundener Körper sich aufzulösen begann, da die Verbindung zwischen ihm und seinem Hüter gekappt worden war. Diomedes weinte, während er eine Beschwörungsformel murmelte, mit deren Hilfe er die Seele der Schutzgottheit in einem magischen Amulett versiegelte. Der Graublauhaarige zog seine zitternde Hand unter der des Toten hervor und presste ihn in einer wilden Umarmung an sich, die Stimme erstickte ihm beinahe, als er seinen Schmerz hinaus brüllte, sein schönes Antlitz tränenüberströmt: "Nein....nein!!! Seiryuu....!! SEIRYUU!!!!!"
 

°oOo° Einen Tag später °oOo°
 

Die Überlebenden der letzten grausamen Schlacht hatten sich zu einer Trauerzeremonie versammelt. Alle waren in schwarzen Roben erschienen und gedachten voller Freundschaft dem strahlenden Prinzen Seiryuu, der von diesem Bastard namens Hades umgebracht worden war. Er lag da, aufgebahrt auf einem reich verzierten, steinernen Altar, als würde er schlafen; ein Zauber von Diomedes würde seinen Körper vor der Verwesung schützen. Boreas kniete zwischen Byakko und Genbu und hatte seine Finger in den Erdboden gegraben. Seine Haltung war gekrümmt und er verfluchte sich insgeheim immer wieder. Warum war er nicht dort gewesen? Warum war er nicht dort gewesen, um seinen Prinzen und Freund zu verteidigen?! WARUM WAR ER NICHT DORT GEWESEN?!?! Weil er mit Iras gekämpft hatte. Weil er seine Pflicht vergessen hatte: Bei seinem Herrn zu bleiben, treu bis in den Tod. Aber er hatte versagt!! Ein kühler Wind wehte über den Pavillon hinweg, unter dessen Dach man den Altar aufgebaut hatte und wo Seiryuu ruhen sollte - inmitten seines geliebten Schlossgartens, wo die Vögel stets für ihn gesungen hatten. Der Hüter von Drigger erkundigte sich leise bei dem Blonden: "Was ist mit Suzaku? Er ist nicht hier."

"Er....bringt es wohl nicht über sich."

"Wie geht es ihm?" erklang dumpf die Frage von Boreas.

"Der Mann, den er über alles geliebt hat, ist tot. Er ist halb wahnsinnig vor Schmerz." würgte der Wasserwächter hervor und Tränen rannen ihm über das Gesicht. Unbeholfen wischte er sie fort, doch es nützte nichts. Der Schwarzhaarige hatte seine Hände in den Überwurf seines Gewandes gekrampft und versuchte, sein Schluchzen zu verbergen, aber sein bebendes Kinn verriet ihn. Dranzer flog über der Trauergesellschaft hinweg zu einem Fenster des höchsten Turmes und spähte hinein. Der Phönix neigte betrübt das Haupt, als er seinen Hüter entdeckte, auf dem Bett ausgestreckt, den Kopf in den Kissen vergraben. Heiseres Weinen war zu vernehmen und der rot-golden gefiederte Vogel machte Anstalten, sich wieder zu entfernen, als ihn die Stimme seines Herrn zurückhielt.
 

"Dranzer! Warte....bleib....ein bisschen bei mir...." Suzaku schmiegte sich in das warme Federkleid und der Phönix breitete fürsorglich eine seiner gigantischen Schwingen über ihm aus. Wie ein kleines Kind schluchzte der einstmals so stolze Wächter vor sich hin, bis sein Blick auf die Gesellschaft unten im Garten fiel.

**Sie warten auf dich.**

"Ja. Ja, ich weiß. Ich sollte....ich sollte wohl zu ihnen gehen...."

Der Weg über die gewundenen Treppen dehnte sich wie in die Unendlichkeit und als er schließlich unter die Trauernden trat, verbeugte man sich ehrerbietig vor ihm. Boreas hub an zu sprechen, doch Suzaku kam ihm zuvor: "Du machst dir Vorwürfe, weil du nicht dabei warst. Du glaubst, du hättest deine Aufgabe schlecht erfüllt, aber das ist nicht wahr. Du hast nach deinem Herzen gehandelt und dein Herz hat dir befohlen, Iras zu retten....oder es zumindest zu versuchen. Ich will nicht, dass du dir etwas vorwirfst, wofür du keine Schuld trägst!"

Der Lilahaarige nickte. In seinen Wimpern hingen Tränen und diese Tränen waren bedeutungsvoller als jede Antwort. Der Prinz des Feuers musterte seinen Liebsten sehr genau, ehe er sich nach vorne neigte und zum letzten Mal seine Lippen auf die Lippen Seiryuus legte, die nun schon kalt geworden waren. "Leb wohl...." fügte er hinzu, bevor er vor dem Altar in die Knie sank und betete. Lange Zeit verharrte er in dieser Position, selbst dann noch, als die übrigen Trauergäste bereits gegangen waren. Nur Byakko, Genbu, Boreas und Diomedes waren bei ihm geblieben. Als er sich endlich erhob, war sein Gesicht ernst und von einer wilden Entschlossenheit gezeichnet. Aus einem Beutel an seinem Gewand holte er ein kunstvoll gearbeitetes Gefäß aus glasiertem Ton hervor und öffnete es. Es enthielt Farbe, wie man sie vor dem Krieg überall in Eden erwerben konnte, denn die Bewohner der Dimension waren handwerklich geschickt und einige unter ihnen waren mit der Kleiderherstellung vertraut, unter anderem auch mit dem Färben von Stoffen. Byakko runzelte die Stirn, als er das sah.

"Blaue Farbe? Was hast du damit vor?"

"Blau war Seiryuus Farbe", erklärte Suzaku schlicht, als seine Stimme plötzlich hart und kalt wurde. "Der Mann, den ich liebte, ist für die Rettung von Eden gestorben. Und ich werde seinen Mörder so lange bekämpfen, bis er gerächt ist!!!"

Er tauchte Zeige- und Mittelfinger seiner beiden Hände in die Farbe und malte sich damit zwei blaue Zacken auf seine Wangen, um seinen Schwur symbolisch zu bekräftigen. Danach zog er sein Schwert und hielt es waagrecht über Seiryuus Altar. Seine Freunde tauschten einen kurzen, tapferen Blick, bevor auch sie ihre Klingen aus den Scheiden schnellen ließen und sich links und rechts von dem Grabmal aufstellten. Die Spitzen der Schwerter trafen sich und die Prinzen von Feuer, Wasser und Erde legten mit dieser Geste den Eid ab, Hades zu vernichten und den Tod des Windwächters zu sühnen....
 

~~ ENDE DER TRAUMRÜCKBLENDE ~~
 

Kai war aufgewacht. Sein Herz raste ihm in der Brust, Schweiß stand ihm auf der Stirn und ein unerträglicher, scharfer Schmerz höhlte ihn im Inneren aus. Das konnten nur Suzakus Gefühle sein! Oder vielleicht auch der Gedanke, Tyson möglicherweise auf die selbe Art zu verlieren? Er schüttelte den Kopf und berührte seine Wangen.

"Die Zeichen....!"

"Ja, die Zeichen. Früher hast du sie immer getragen, aus dem Drang deines Unterbewusstseins heraus, aber du bist dir nie klar darüber gewesen, woher dieser Drang stammte. Und je länger die Jahre wurden und du älter, umso schwächer wurde dieser Drang, bis du die Zeichen letztendlich abgewaschen hast. Aber du siehst, Kai, viele Ereignisse oder Aspekte deines gegenwärtigen Lebens haben ihren Ursprung oder ihren Grund in deiner Vergangenheit....Dass ihr vier ausgewählt wurdet, die ,Bladebreakers' zu bilden, die Bit Beasts eurer Beyblades, die Tatsache, dass Boris dir Leid zugefügt hat und du ihn schließlich zusammen mit den anderen bekämpft hast....oder dass ihr Brooklyn, Garland und Mystel begegnet seid und sie kennen gelernt habt....all das war vom Schicksal vorherbestimmt. Ebenso war es vorherbestimmt, dass du dich erneut in Seiryuu, also Tyson, verlieben würdest."

"ICH LIEBE IHN NICHT!!!!"

"Oh Kai, merkst du denn nicht, wie sinnlos deine Weigerung ist, es zu akzeptieren? Du hast ihn als deinen besten Freund angenommen und bist ihm treu zur Seite gestanden, obwohl du dich oft von ihm abgewendet hast, unsicher wegen deiner Gefühle. Doch im entscheidenden Moment warst du immer bei ihm, unabänderlich, unabdingbar, bis zum Letzten. Du hast ihn geschätzt, sowohl als Konkurrenten und Blader wie auch als Kameraden und Freund, und es gibt nur sehr wenige Menschen in deinem Umfeld, die das von sich behaupten können. Du kannst es verleugnen und deine Augen vor der Wahrheit verschließen, Kai...." meinte Suzaku ernst, "....aber es ist, wie es ist: Du liebst ihn."
 


 

So, ich hoffe, dieses Kapitel hat Euch gefallen. Bis zum nächsten Mal!

Die Entscheidung

*Autumn reinkommt* Vielen Dank für Eure Kommis!!^^ Ich habe mich sehr gefreut - und vor allen Dingen möchte ich mich bei Caerdin für ihre Empfehlung bedanken! *knuddel* DAAAAAAANKE!!!^^

Nun aber zum neuen Kapitel! Viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 17: Die Entscheidung
 

Schwere Nebel zogen durch die düstere Unterwelt. Hier gab es keinen Laut, keine Geräusche, alles lag da wie erstarrt, gefangen in einer geisterhaften, unheimlichen Stille. Plötzlich jedoch wurde das erdrückende Schweigen von einem Schmerzensschrei durchbrochen und ein boshaftes, fast irrsinniges Gelächter folgte. In seinem Thronsaal stand Hades und war damit beschäftigt, seinen ungehorsamen Ritter Leviathan zu bestrafen, der sich im letzten Kampf gegen ihn gewandt hatte. Der Blonde war an eine glattgeschliffene Felswand gekettet, sein Körper war übersät von blutigen Schnitten und Striemen. Einige rührten von dem vergangenen Gefecht her, andere stammten von den neuen Misshandlungen, die Hades ihm zumutete. Immer wieder rasten Schockwellen dunkler Magie durch ihn hindurch und schwächten ihn von innen heraus. Das Gewitter aus schwarzen Blitzen, das ihn dabei einhüllte, ritzte seine schutzlose Haut pausenlos, als würde er gnadenlos mit scharfen Messerklingen bearbeitet. Grausame Pein loderte in jeder winzigen Zelle und Leviathan konnte nichts anderes tun, als seine Qual hinauszuschreien. Sol, ebenfalls angekettet, konnte nur hilflos zusehen.

„Hört auf!!" forderte er mit halb erstickter Stimme, verzweifelt darum bemüht, seine Tränen zurückzuhalten. „Schluss damit, sage ich!!! Macht diesem grässlichen Spiel ein Ende!!! Er hat es nicht verdient, so zu leiden!!! Oh bitte, HÖRT AUF!!!!!"

„Glaubst du wirklich, dass du in der Situation bist, mir Befehle zu erteilen?" erkundigte sich Hades in gefährlichem Ton. „Leviathan hat es gewagt, mich anzugreifen! Er sollte mir dankbar sein, dass ich ihn nicht sofort töte, sondern ihm gestatte, für seinen Fehler zu büßen....und es zu überleben!!" Wieder das hämische, abscheuliche Lachen. Garland antwortete nicht, starke Übelkeit kroch in ihm hoch und hinderte ihn daran, zu sprechen. Er hasste Hades, diese Tatsache war ihm noch nie zuvor so klar vor Augen gestanden. Er konnte nicht länger als sein Krieger auftreten; trotz der Bedrohung für seine Familie sträubte sich sein ganzes Wesen dagegen, ihm weiterhin dienstbar zu sein. Auch eine andere Erkenntnis war ein Grund für sein Aufbäumen: Er hatte jetzt begriffen, dass er Mystel von Herzen liebte - allein der Gedanke, dass der Jüngere diese schrecklichen Qualen während der letzten Schlacht allein für ihn erduldet hatte, krampfte ihm mit eiskalten Fingern die Seele zusammen. Er erinnerte sich an den Moment, da er den „Kleinen" nach sechs Jahren wiedergesehen hatte. Der Ägypter war mit Ming Ming und Brooklyn am Flughafen gewesen, um ihn abzuholen und damals hatte er den ersten Blick auf den erwachsen gewordenen Mystel geworfen. Wie schön er doch gewesen war! Und sein Lächeln, so ehrlich und offen....ein Lächeln, das nun einem schmerzverzerrten, blutüberströmten Gesicht gewichen war. Der Blauhaarige biss sich auf die Lippen und rief: „Levi!! Sag doch was!! Wehre dich gegen ihn!! Levi!! Hörst du mich?! Verdammt, antworte!! LEVIATHAN!!!!"
 

Hades beendete seinen Beschuss, mehr als zufrieden mit dem Ergebnis seiner Folter, denn das Opfer hatte das Bewusstsein verloren. Er löste die Ketten der beiden mit einer Handbewegung und erklärte von oben herab: „Lange hat er es nicht ausgehalten. Schade - von einem Wächter hätte ich mehr Zähigkeit erwartet. Aber gut, ich hoffe für ihn, dass er seine Lektion gelernt hat. Und für dich, Sol, war es gewiss äußerst angenehm, deinen Freund in Todesangst zu erleben, nicht wahr? Das als kleine Warnung für dich, falls du wieder einmal auf die Idee kommen solltest, die Seiten zu wechseln!" Damit ließ er sie allein und kehrte in seine privaten Gemächer zurück, um seine nächsten Schritte zu planen. Garland eilte zu dem Blonden hinüber und strich ihm die verschwitzten, besudelten Strähnen aus dem hübschen Antlitz. Er presste ihn fest an sich und fühlte, wie der Damm in seinem Inneren endgültig brach. Tränen rannen ihm über die Wangen und er schluchzte heftig, den Kopf in der Halsbeuge von Poseidons Hüter bergend. Schwerfällig erhob er sich und trug den ohnmächtigen Körper durch verwinkelte Flure bis zu einer großen, schwarzlackierten Tür, wo er anklopfte. Eine vermummte Gestalt öffnete ihm und ließ ihn ein. Der Wächter war sich nicht sicher, was für ein Geschöpf sich wohl unter der Kutte und der Kapuze verbarg, aber da es bisher freundlich zu ihm gewesen war, brachte er ihm ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen. Es führte ihn durch einen zweiten Korridor in eine Halle, in deren Mitte sich ein Becken mit heißem Wasser befand. Das Wasser besass heilende Kräfte, wurde aber nur für schlimme Verletzungen benutzt. Das verhüllte Wesen entkleidete den Neunzehnjährigen und tauchte seinen geschundenen Leib vorsichtig in das wohltuende Nass. Es reichte Garland einen weichen Lappen, der nach Kräuteressenzen duftete und deutete mit Gesten an, dass er damit das Blut von den Wunden waschen sollte. Er nickte zum Zeichen, dass er verstanden hätte und der Geist oder was immer es war, verschwand durch einen Geheimgang hinter einer der hohen Säulen, die das Dach über der Halle trugen. Das Wasser hatte schon begonnen, seine heilende Wirkung zu entfalten und der Ältere strich beinahe schüchtern über die Stellen hinweg, an denen der rote Lebenssaft klebte. Behutsam hielt er Mystels Kopf dabei über der Oberfläche, während seine rechte Hand das Gesicht, den Hals und die Brust säuberte, wobei er ganz zärtlich und sanft über die braune Haut glitt. Das goldene Haar hatte sich aus dem Zopf gelöst und ringelte sich über die makellosen Schultern, die Lippen des Ägypters schimmerten feucht und sinnlich in der von Dampf durchzogenen Luft. Garland errötete, als ihm das auffiel und das Bedürfnis erwachte in ihm, nur einmal diesen wunderschönen Mund zu liebkosen. Wie in Zeitlupe neigte er sich vor und küsste den anderen. Die Berührung rief Bilder ihrer gemeinsamen Vergangenheit herauf....
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Leviathan, seines Zeichens der Wächter des Meeresdrachen Poseidon, sass in der großen und viel gerühmten Triton-Bibliothek seines Königreiches und hatte seine Nase in irgendeine Schriftrolle vergraben. Sein Ausbilder und Lehrmeister Sol, der Berater des Prinzen Suzaku, hatte ihm gegenüber platzgenommen und schmunzelte, als der Jüngere ein resigniertes Seufzen hören ließ.

„Warum muss ich wissen, wie unsere Welt aufgebaut ist?! Ich war noch nie gut in Geographie - und die Sache mit den sieben Sphären habe ich schon von meinem Vater erklärt bekommen!"

„Benimm dich nicht wie ein trotziges Kind! Aufgrund deiner Fähigkeiten hat man dir ein wichtiges Amt verliehen, das der rechten Hand des Prinzen Genbu. Du musst darauf vorbereitet sein, ehe du deinen Dienst antrittst! Also, wiederhole!"

„Puh....Der Name des Königreiches des Wassers ist Aquaria - als wenn ich das nicht wüsste, ich bin hier geboren! -, die Hauptstadt ist Nereide, der Palast des Herrschers heißt ‚Viridis Testudo‘ (lateinisch: Grüne Schildkröte), die größte und best sortierteste Bibliothek von ganz Eden befindet sich hier, das Land ist von ungezählten Flüssen durchzogen und das bedeutsamste gesellschaftliche Ereignis ist das Fest der Hundert Fluten. Dann Pyrodes, das Königreich des Feuers. Eros ist die Hauptstadt, der Name des Palastes lautet ‚Rufus Avis‘ (lateinisch: Roter Vogel), es gibt dort einen aktiven Vulkan, in dem die Phönixe nisten und eine riesige Wüste, das wichtigste Ereignis ist das Sonnenwendfest. Gaia, das Königreich der Erde: Seine Hauptstadt ist Terra, der Palast nennt sich ‚Albus Tigris‘ (s. Kapitel 16), kennzeichnend sind üppige Vegetation und dichte Wälder, wichtigstes Ereignis ist die ‚Zeremonie der Erwachenden Blüte‘ zum Frühlingsanfang. Und schließlich Aura, das Königreich des Windes, mit seiner Hauptstadt Zephyros (oder Zephyr: das ist der Name des Westwindes, Boreas - falls sich da schon jemand gefragt hat - ist der Nordwind) und dem Palast ‚Caeruleus Draco‘ (lateinisch: Blauer Drache, das hat nichts mit Malfoy zu tun!). Viele Gebirge und windumtoste Klippen, eine Schule für Drachenreiter und das wichtigste Ereignis hier ist der Drachentanz, wenn der Schutzgott Dragoon und seine männlichen Stammesbrüder wie Artisten in der Luft herumwirbeln, um die Damen zu beeindrucken. Hab ich was vergessen?"

„Nein. Du hast in meiner letzten Stunde aufgepasst, das freut mich. Und nun lass uns gehen, wir sind schon zu spät dran für die Waffenübung!"
 

Sie verließen die Bibliothek und traten hinaus in den Sonnenschein. Schön waren sie anzusehen, die beiden jungen Männer, die von goldenem Licht übergossen wurden. Ein sanfter Wind spielte mit ihren langen Haaren, blau und gelb, und ihre leichten Gewänder aus farbigem Tuch warfen geschmeidige Falten. Sie marschierten eine Allee aus Brunnen hinunter, die aus hellem Marmor gefertigt worden waren, jeder mit einer einzigen Statue in Gestalt einer Nixe verziert, von der ein Wasserstrahl in ein kleines Becken perlte. Im Stadtzentrum von Nereide wogte der Besucher- und Bewohnerstrom hin und her; es war gerade Mittag und niemand nahm besondere Notiz von den zwei Hütern, die sich dem Gynmasion näherten (nicht Gymnasium - ich rede hier von dem Ort, wo man Gymnastik macht, der Sporthalle, allerdings im römisch-griechischen Stil gebaut). Innen war eine Vielzahl von Kindern im Alter von etwa sechs Jahren damit beschäftigt, Magie-Meditation zu betreiben. Ein Priester in hellgrüner Robe war anwesend und überwachte die Versuche seiner Schüler. Die Aufgabe einer Magie-Meditation bestand darin, sich im Schneidersitz hinzusetzen, die Augen zu schließen und die dem Wächter angeborene Naturkraft zu beschwören, in Form einer Flamme vielleicht, als Pfütze, Blatt oder Windwirbel. Niemand erwartete fantastische Zauberdemonstrationen, aber wenn Leviathan sich einige der Jungen und Mädchen so ansah, die verzweifelten, weil die Wasserfontäne keine Fontäne und der Baumsprössling einfach nicht grün werden wollte, so war er doch wirklich froh, dass er das bereits hinter sich hatte. Das Gymnasion war stets integriert in eine gigantischen Tempelanlage, wo die Kinder des jeweiligen Königreiches von Gelehrten und Priestern unterrichtet wurden. Nur wenigen wurde die Ehre zuteil, im Tempel der vier Götter (gerne auch einfach nur als „ Der Tempel von Eden" bezeichnet) erzogen zu werden, wo Hohepriester und Zaubermeister Diomedes residierte, von dem es hieß, dass er sehr anspruchsvoll sei. Jahr für Jahr reiste er durch das Land, um aus jeder Akademie die vielversprechendsten Rekruten auszuwählen und sich ihrer anzunehmen. Suzaku, Seiryuu, Genbu und Byakko beispielsweise waren seine Schüler gewesen. Nachdem sie die erste Halle hinter sich gebracht hatten, gelangten sie erneut nach draußen, wo andere angehende Hüter den Schwertkampf trainierten. Sol angelte aus einem der aufgestellten Waffenkörbe zwei Klingen und warf Leviathan eine davon zu. Sie verneigten sich voreinander und begannen; hart und scharf klirrten die Metallschneiden, wenn sie zusammentrafen und das Echo ihrer Schläge widerhallte. Der Hüter von Apollon war in Pyrodes geboren, aber wie die meisten Wächter, die sich den Status eines Lehrers erworben hatten, suchte er abwechselnd für eine bestimmte Zeitspanne die verschiedenen Reiche auf, um sein reichhaltiges Wissen an möglichst viele Personen vermitteln zu können. Während seines ersten Aufenthaltes in Aquaria war er dann dem jüngeren Leviathan begegnet, der trotz seiner damals achtzehn Jahre kaum die Kontrolle über sein Element aufrechterhalten konnte. Da er seine Kraft aus dem Ozean schöpfte, war die Ausprägung seiner Gabe nur schwer zu bändigen und schlussendlich trat der Vorstand des Tempels an ihn heran und fragte ihn, ob er sich nicht des Jünglings annehmen könne. Vielleicht gelänge es ihm, Leviathan dabei zu helfen, seine Macht zu bezähmen. So waren sie Schüler und Meister geworden. Das war mittlerweile drei Jahre her und ihrer beider Bemühungen hatten Früchte getragen, als Prinz Genbu auf den hochtalentierten Kämpfer aufmerksam geworden war. Ein gefährlicher Hieb raste auf den Blauhaarigen zu.
 

Im nächsten Moment lag der Blonde im Gras, sein Schwert steckte im Boden und er hielt sich die blutende Hand. „Schade....ich glaubte Euch in Gedanken versunken!" murmelte er.

„Oh, ich war in Gedanken versunken....aber ich besitze das Gespür eines Kriegers, das nur schwer abzulenken ist. Ich reagiere automatisch, wenn ich attackiert werde. Verzeih, dass ich dich verletzt habe. Ist es schlimm?"

Er kniete sich nieder und ergriff die braune Hand, die ein tiefer Kratzer schmückte. Seine Fingerspitzen waren warm und weich und der Wasserwächter blickte verlegen zur Seite, beschämt von seinem Herzklopfen. Die Hitze schoss ihm in die Wangen und er entzog dem anderen seine Hand.

„Warte doch! Das sollte desinfiziert und verbunden werden! Ich habe fester zugeschlagen als beabsichtigt! Lass mich...."

„Bemüht Euch nicht. Ich kann das alleine."

„Sicher, aber ich wollte doch nur...."

„Ach, seid still!!" fuhr Leviathan ungewohnt heftig auf und Sol zuckte zusammen, bestürzt über diese abwehrende Haltung. „Ihr versteht gar nichts! Immer seid Ihr so freundlich, hilfsbereit und umsichtig! Immer habt Ihr ein offenes Ohr für meine Sorgen und Nöte, und immer seht Ihr mich so durchdringend an mit Euren wunderbaren blauen Augen....ich will das nicht!! Ich habe Angst davor!!" Damit drehte er sich um und rannte davon. Ohne es sich lange zu überlegen, verfolgte ihn der Ältere, verwirrt und seltsam erschrocken angesichts der Tränen, die in Leviathans Wimpern gehangen hatten. Wieder und wieder verlor er die Spur des Blonden, bis er gänzlich aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Aber er wollte nicht aufgeben, denn irgendetwas drängte ihn, den jungen Mann unbedingt zu finden, egal wie lange es dauern sollte! So stolperte er weiter, durch Straßen und Gassen, über Flüsse und Wiesen, Stunde um Stunde, bis er die Meeresküste erreicht hatte, den Lieblingsplatz seines Schülers. Die Sonne war Richtung Horizont gewandert und malte flammende Muster über das Firmament, um ihren Untergang anzukündigen. Leviathans schlanke und grazile Erscheinung hob sich vor dieser sagenhaften Kulisse ab wie ein Relief und Sol fühlte sein Herz erbeben, überwältigt von diesem Anblick. Da wandte der Jüngere sich um und bemerkte ihn. Zögernd kam er auf ihn zu, ernst und gemessen, ehe er vor dem überraschten Feuerwächter in die Knie sank. Seine Stimme, kaum mehr als ein Flüstern, aber doch warm und emotional, klang dem Älteren wie Musik in den Ohren: „Meister....Ihr habt mich gelehrt, mit dem Schwert zu kämpfen und meine Zaubergabe zu gebrauchen. Aber was viel wichtiger ist, Ihr habt mich Eure Tugenden gelehrt: Mut, Ehrlichkeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Loyalität. Und schon lange wollte ich es Euch gestehen....ich....Ich liebe Euch! Nein, unterbrecht mich nicht! Ich möchte mich für meinen Ausbruch von vorhin entschuldigen. Es ist wahr, ich habe mich vor meinen Empfindungen gefürchtet....obwohl ich sie zugleich genoss wie ein kostbares Geschenk. Ich habe versucht, nicht den Mann in Euch zu sehen, aber es ist mir nicht gelungen. Während der letzten Stunden ist mir klar geworden, dass es keinen Sinn hat, davonzulaufen....der Liebe kann man nicht entkommen, wie geschickt man es auch anstellen mag. Ihr seid in meinem Herzen, Sol. Und dort werdet Ihr bleiben....für immer."
 

Der Blauhaarige wusste nichts zu erwidern, in seinem Kopf drehte sich alles. Leviathan liebte ihn! All die Nächte, in denen er wachgelegen hatte, gequält von den Gefühlen, die er seinem Schüler entgegenbrachte, fest davon überzeugt, sie könnten nie auf Gegenseitigkeit beruhen.... Er streckte die Arme aus und der Blonde stand auf. „....Meister....?"

Da wurde er plötzlich in eine stürmische, leidenschaftliche Umschlingung gepresst, der Körper des anderen nah an seinem, und er vermochte nicht, sich gegen diesen unnachgiebigen, innigen Griff zu wehren. Er legte nun seinerseits die Arme um Sol, als wäre er ein Ertrinkender und der Ältere seine rettende Insel.

„Hör auf, mich ‚Meister‘ zu nennen! Ich will es nicht mehr hören! Wir sind ebenbürtig! Längst hast du dir das Recht verdient, wie ein wahrer Hüter behandelt zu werden....oder wie ein Mann geliebt zu werden! Du bist kein Schüler mehr!"

„....Ihr....du....du hast mich stets wie einen wahren Hüter behandelt....und jetzt soll mir sogar das Glück zuteil werden, von dir geliebt zu werden? Kann ich an dieses Wunder glauben?"

Sol sah ihn an, ruhig und durchdringend.

„Ich liebe dich."

Und Leviathan wusste, dass er die Wahrheit sprach. Sein schönes Äußeres und seine stille Art hatten ihn bei vielen sehr beliebt gemacht und nicht wenige hatten ihm schon einmal diese drei berühmten Worte gesagt, doch in der Regel schwang bei diesen Geständnissen eine zu deutliche Spur von bloßer Schwärmerei mit, ohne wirklich ernst zu sein. Das Geständnis des Blauhaarigen war das eines reiferen Mannes, fordernd, begehrend, Schutz verheißend, ewig, ehrlich, verschlingend. Er betrachtete ihn nicht als zerbrechlich, ging nicht mit ihm um wie mit einem vorsichtig gekitteten Gegenstand - in seinen Armen konnte er „er selbst" sein.

„Sol....mein....mein Geliebter...."
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Mystel schlug die Augen auf, als die süße Wärme seine Lippen wieder verließ. Der Schmerz in seinem Körper war verebbt und seine Kraft kehrte nach und nach zurück. Als er Garland erkannt hatte, fuhr er sich unwillkürlich mit den Fingern über den Mund, als müsse er sich vergewissern, nicht geträumt zu haben.

„Was....ich....ich habe mir das wohl eingebildet...."

„Was meinst du?"

„Ich dachte für eine Sekunde, du hättest....mich geküsst...."

„Das habe ich." erklärte Apollons Hüter wie selbstverständlich und der Ägypter lief rot an. Er registrierte erst jetzt, dass er sich nackt in einem Wasserbecken befand und konnte sich nicht daran erinnern, wie er hierher gekommen war. „Garland...." begann er unsicher, „....damals waren wir ein Paar, das weiß ich. Ich habe dich sehr geliebt....und ich tue es noch heute. Aber bei dir ist das anders. Aus deiner Sicht bin ich ein guter Freund und Kamerad, mehr nicht.... vermutlich siehst du in mir immer noch ein Kind. Spiele also nicht mit mir."

„Denkst du denn ernsthaft, ich wäre ein solcher Kerl? Ich spiele niemals mit Gefühlen! Du hast recht, wenn du sagst, dass die Empfindungen von früher nicht automatisch wiedererwachen müssen, nur weil wir wiedergeboren worden sind....doch in unserem Fall ist es so. Leviathan hat sich in Sol verliebt, und Mystel in Garland....Sol hat sein Herz an Leviathan verloren....und Garland das seine an Mystel. Ich konnte es kaum ertragen, als Hades dich folterte....doch da ich gefesselt war, konnte ich nur zusehen! Es hat mich halb wahnsinnig gemacht, deine Schmerzensschreie zu hören, ohne deiner Pein ein Ende bereiten zu können!"

Der Neunzehnjährige musterte ihn erstaunt, überrumpelt und unbeschreiblich glücklich zugleich, als er endlich begriffen hatte, dass der andere Blader ihn tatsächlich liebte. In seinem Inneren schwoll eine Welle an, die sich zu einer Sturzflut entwickelte und einfach über ihn hereinbrach. Er schloss den Älteren in seine Arme und küsste ihn in einem Wirbel seiner enthemmten Emotionen. Zärtlich wagte sich der Blauhaarige mit seiner Zunge vor und bat darum, die verlockende Mundhöhle des Blonden erkunden zu dürfen. Unfähig, seinem Verlangen noch weiter zu entfliehen, ließ Mystel es zu und beantwortete die Aufforderung zum leidenschaftlichen Kampf mit verführerischer Hingabe. Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, wechselten sie einen entschlossenen Blick. Hades hatte mit seiner Grausamkeit genau das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich damit hatte bezwecken wollen.
 

„Du bist derselben Meinung wie ich, habe ich recht?"

„Ja. Er ist zu weit gegangen. Erpressung hin oder her....Ich bin davon überzeugt, dass der Orden von Eden eine Möglichkeit finden wird, deine Familie vor Hades zu schützen....und ich werde dich beschützen. Die Drohungen sind hinfällig. Im Gegensatz zu Deimos und Iras hat er unsere Herzen nicht unter Kontrolle, wir sind noch Herren über unseren eigenen Willen. Und ich sage, dass es genug ist! Ich werde nicht länger seine Marionette sein! Wir gehören an die Seite von Prinz Suzaku und Prinz Genbu! Wenn Hades glaubt, er könne Treue und Freundschaft einfach so auslöschen, dann hat er sich getäuscht!"

„Ich stimme dir zu. Es ist also entschieden - wir beide werden die Unterwelt verlassen und uns dem Gefolge der vier Prinzen anschließen! Allerdings dürfte unsere Flucht nicht leicht werden. Spätestens wenn Deimos etwas davon aufschnappt, haben wir eine Herde Dämonen am Hals!"

„Trotzdem....wagen wir es?"

Garland drückte einen heißen, heftigen Kuss auf Mystels Handrücken und nickte tapfer. Der Jüngere kletterte aus dem Wasser und schlüpfte in seine Kleider, während der 23jährige Ausschau hielt nach einem eventuellen Ausgang, denn das Haupttor kam für ihr Vorhaben natürlich nicht in Frage. Schließlich entdeckte er im Flur eine Wandkarte der Unterwelt, auf der alle wichtigen Orte verzeichnet waren. „Der Lethe, der Fluss des Vergessens, fließt genau gegenüber vom Hades-Tor. Es ist für gewöhnlich bewacht und die beiden untoten Kreaturen, die es flankieren, lassen nicht mit sich reden. Der einzige, dem sie neben dem Fürsten so etwas ähnliches wie Respekt zollen, ist Deimos; in geringerem Maße auch Iras, aber uns können sie nicht besonders leiden. Dennoch könnten wir durch die ‚Hintertür‘ entkommen."

„Ich weiß, worauf du anspielst. Du sprichst vom zweiten Eingang der Unterwelt, dem ‚Tor zur Letzten Reise‘! Das ist der Einlass für die Seelen der Verstorbenen. Sie gelangen durch das Tor zum Fluss Styx, wo der Fährmann auf sie wartet, der sie auf diesem Strom in den Hades geleitet. Auf dem Styx hinunterzufahren ist kein Kunststück - aber hinauf, in Richtung der Lebenden? Wie könnten wir den Fährmann dazu überreden?"

„Uns wird schon etwas einfallen. Solange wir zuversichtlich sind, haben wir eine Chance, es zu schaffen, denn nichts lässt sich ohne Willenskraft erreichen."
 

Sie verließen den Flügel des Palastes, in dem sie sich aufgehalten hatten und brachen zum Fluss Styx auf. Was sie nicht ahnten, war, dass die vermummte Person sie beobachtet und ihrem Gespräch gelauscht hatte. Sie zog die Kapuze herunter und zum Vorschein kam ein hübsches Gesicht mit grünen Augen und einer kecken Nase, umrahmt von rotem Haar. Der junge Bursche, der etwa an die fünfzehn Jahre zählte, erschuf in seiner Hand einen vergoldeten Schamanenstab, der dem von Diomedes ähnelte und schloss den Raum mittels eines Zaubers hermetisch ab, um keinen unerwünschten Spion neugierig zu machen. Dann kontaktierte er Mr. Dickenson, der sofort in der magischen Kugel auftauchte, die der Jugendliche beschworen hatte. Der alte Herr betrachtete ihn ein wenig besorgt.

„Deine Idee des verdeckten Ermittelns war zweifellos ausgezeichnet, aber es behagt mir dennoch nicht, dich in der Höhle des Löwen zu lassen, mein Junge. Was hast du mir zu sagen?"

„Sol und Leviathan haben eine Entscheidung getroffen, die für den Verlauf des Krieges von großer Bedeutung sein dürfte, Meister. Sie haben sich von Hades abgewandt und sind unterwegs zur Oberwelt, um sich uns anzuschließen."

„Das ist eine wundervolle Nachricht! Ich werde mich mit den Zwölf in Verbindung setzen, und sie bitten, ein paar Krieger abzustellen, die den beiden Geleitschutz geben, denn ihre Flucht wird nicht allzu lange unentdeckt bleiben, wie ich befürchte. Und du wirst ebenfalls so bald wie möglich zurückkehren, denn der Moment ist nicht mehr fern, da wir deiner Kräfte bedürfen werden. Denk daran, Daichi."

„Das werde ich."
 

Im Kinomiya-Dojo herrschte indessen eine seltsame Atmosphäre; eine merkwürdige Mischung aus Freude, Erleichterung, Ärger und Frust lag in der Luft. Ray beispielsweise war höchst beglückt darüber, dass Max sein Erinnerungsvermögen langsam zurückgewann und den Chinesen mittlerweile als Freund anerkannt hatte, da er nun, dank der Bilder in seinem Kopf, viel mehr Gefühle und gemeinsame Augenblicke mit diesem verband. Auch der Amerikaner war froh und begann, sich endlich wieder wohl in seiner Haut zu fühlen. Anders sah es dagegen bei Kai uns Tyson aus. Der Russe litt spürbar unter seiner zweigeteilten Seele und hatte die meiste Zeit des Tages nichts sonst zu tun, als sich mit Suzaku zu zanken, dass die Fetzen flogen. Tyson war davon nicht sonderlich begeistert, da er Kai liebte und auch den Prinz des Feuers ins Herz geschlossen hatte - ihre Streitereien bekümmerten ihn daher sehr, zumal die Situation einfach nur paradox war, hielt man sich dabei vor Augen, dass der Graublauhaarige im Grunde mit sich selbst im Clinch lag. Kai kollidierte mit einem Ich, das alles repräsentierte, was er in seinem Leben nie besessen hatte oder mit dem er nicht umgehen konnte: Familie, Geborgenheit, Gefühle, darunter das simple Talent, einfach mal Spaß zu haben, oder auch Empfindungen wie Glück, Freude und Liebe. Ihm war allerdings auch nicht bewusst, dass Suzaku ihre Konfrontationen keineswegs genoss, wie man vielleicht hätte annehmen können. Sicher, er war mit einem hitzigen Temperament ausgestattet und ziemlich aufbrausend, aber er verfügte gleichzeitig über Einfühlungsvermögen, Verständnis und einen Blick für die Probleme seiner Mitmenschen. Dass es ihm nicht gelang, seiner Wiedergeburt klarzumachen, dass es zwischen ihnen, trotz all ihrer Unterschiede, einen gemeinsamen Nenner gab, auf dessen Basis eine Verschmelzung ihrer Seelen möglich gewesen wäre, traf ihn tief. Kai hatte den Stolz und die Sturheit eines echten Feuerwächters, doch leider verhinderten diese Eigenschaften jegliche Annäherung. Der Japaner verstand Suzaku genau, aber er konnte ebensowenig ausrichten, denn wenn Mr. Hiwatari erst einmal auf „Dickschädel" umgeschaltet hatte....Tyson seufzte, führte einen letzten Kendo-Hieb gegen seinen großen Bruder und die Geschwister beendeten das Training.
 

„Bedrückt dich etwas, Ototo?"

„Wie? Ach, nein, es ist nichts, Hiro....ich bin nur ein bisschen müde."

„Ehrlich? Oder hängt deine gemäßigte Laune mit unseren beiden Gewitterziegen zusammen?"

„Woher....?"

„Muss ich mich wiederholen? Ich bin dein älterer Bruder, es gehört zu meinem Job, sowas zu wissen! Außerdem ist es ein Wunder, dass Kai und Suzaku den Dojo ganz gelassen haben! Sie können alle beide recht impulsiv sein."

„Wem sagst du das....!"

Resigniert suchte der Blauhaarige sein Zimmer auf, entledigte sich seiner Kendo-Ausrüstung und zog sich einen bequemen Jogginganzug an. Er holte sein Beyblade aus seinem Nachtkästchen hervor und wollte in den Garten eilen, um mit Max und Ray ein paar Matches zu bestreiten, als er mit einem Mal eine negative Präsenz wahrnahm. Er drehte sich um - und erstarrte. Ein schwarzgekleideter Mann trat aus einem Wirbel von Blitzen heraus und lächelte ihn hochmütig an. Es war ein kaltes, boshaftes Lächeln, bei dessen Anblick einem das Blut in den Adern gefror. Die finstere Aura breitete sich in dem Raum aus und schien alles Leben, alles Atmen aus den Mauern zu pressen wie Wasser aus einem Schwamm. Die Vögel hatten aufgehört zu singen, selbst der Wind war verstummt vor Entsetzen. Tysons Augen flirrten kurz zu der Rose hinüber, die in einer Vase auf seinem Schreibtisch stand und die er anlässlich seines Namenstages von seinem Großvater geschenkt bekommen hatte. Er schluckte. Die Blume war verdorrt! Eisig und schneidend drang ihm diese Stimme bis ins Mark.

„So sieht man sich wieder, Hüter des Heiligen Drachen!"

„....Deimos....!!"
 

Endlich ist Daichi aufgetaucht (wer wissen will, wie er aussieht, bitte in den Charakterguide schauen!)...und wieder ein Cliffhanger! Ich bin wirklich unfair, ich weiß...*zwinker* Bis zum nächsten Mal! *wink*

Wolf und Falke

Es geht also weiter - und zwar ziemlich dramatisch. Der Titel bezieht sich auf Iras und Bryan, die sich diesmal in einem Kampf gegenüberstehen....mehr wird nicht verraten, selber lesen!^^
 

Kapitel 18: Wolf und Falke
 

Charon, der Fährmann des Flusses Styx, stellte nie Fragen. So sagte er auch nichts, als ihn die beiden Ritter der Verdammnis baten, sie zum „Tor der Letzten Reise" zu bringen. Zwar war er davon überzeugt, dass der Fürst diese Flucht nicht billigte und sich rächen würde, aber er wusste auch, dass er es hier mit zwei Wächtern zu tun hatte, Bewohnern von Eden. Charon war einstmals einer von ihnen gewesen. Wie lange war das her....als er starb, gelangte er nach Elysium und musste miterleben, wie dieses einstmals so schöne und friedvolle Reich der Verstorbenen von Hades‘ Gift verdorben und zerstört wurde. Aufseufzend senkte er das Ruder ins Wasser und die kleine Fähre setzte sich in Bewegung. Plötzlich aber schlug das Bild dieser Szene seltsame Wellen und verlosch, als hätte man auf einen Knopf gedrückt. Die Wasseroberfläche kräuselte sich leicht; das kühle Nass befand sich in einer schwarzen Schüssel mit Schlangenmotiv, die auf einem reichverzierten Sockel stand. Es handelte sich dabei um einen natürlichen Spiegel, mit dessen Hilfe Iras die Vorgänge in der Unterwelt beobachten konnte. Seine eisblauen Augen hatten sich zu Schlitzen verengt, seine Hände waren zu Fäusten geballt.

>>Ihr wollt fliehen, ja? Ich verspreche euch, das wird euch teuer zu stehen kommen, ihr Verräter! Deimos ist jetzt bei den vier Prinzen, um seinen neuen Auftrag auszuführen, also bleibt es wohl mir überlassen, euch aufzuhalten! Und ich werde euch gewiss nicht lebend davonkommen lassen!!<< Damit löste er sich in ein Tosen aus Schneeflocken auf und schickte sich an, den unheilvollsten Kampf seines bisherigen Lebens zu beginnen....
 

Das Telefon klingelte, laut und vernehmlich, aber niemand machte Anstalten, den Hörer abzuheben. Das lag aller Wahrscheinlichkeit nach daran, dass Lee und Raul im Moment sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Ihre Schwestern waren in der Stadt beim Bummeln und so hatte der Chinese den Spanier in sein Hotelzimmer eingeladen. Zuerst hatten sie Kekse gegessen und Limonade getrunken und über dieses und jenes geredet, doch schließlich war es etwas intimer zwischen ihnen geworden. Im Augenblick waren sie nämlich in die nicht mehr so ordentlichen Laken von Lees Bett gekuschelt und küssten einander um den Verstand. Rauls Tank Top war nach oben gerutscht und die geschickten Finger des Schwarzhaarigen massierten sanft seine Brustwarzen. Der Jüngere keuchte in den heißen Kuss hinein und schmiegte sich enger an den anderen. „Hörst....du das....ah....oh....auch....?" stieß er hervor.

„Ich höre....nur....deine Stimme....airen...." flüsterte Lee zärtlich, den Neunzehnjährigen „airen" nennend, was in seiner Muttersprache so viel wie „Geliebter" bedeutete. Ihre Lippen verschmolzen erneut in einem leidenschaftlichen Spiel, Rauls Hände wanderten durch die lange weiche Mähne seines Schatzes und zogen verlangend den chinesischen Überwurf von den herrlichen Schultern. Die Hitze wuchs an und hüllte die beiden ein wie in einen Kokon. Der Ältere ließ von dem süßen Mund ab, glitt mit seiner Zunge über den schlanken Hals und schließlich bis hin zu den rosigen Knospen, die unter seinen Küssen und Berührungen hart und fest geworden waren. Ein heiseres Stöhnen entrang sich dem Spanier.

„Hmmm....oohh....Lee, amiguito mio....Te....te quiero...."

„Ich....liebe dich auch...."

Der störende Lärm im Hintergrund wollte einfach kein Ende nehmen. Das junge Paar, das gehofft hatte, der lästige Anrufer würde bald aufgeben und auflegen, war verärgert über diese penetrante Geräuschkulisse und der Zwanzigjährige erhob sich schließlich fluchend, stapfte zum Telefon hinüber und blaffte gereizt: „Wer auch immer dran ist, es ist besser was wichtiges, oder Sie sind tot!!!"

„Würdest du dich bitte beruhigen und nicht mit solchen Drohungen um dich werfen?" antwortete ihm die sachliche und ernste Stimme von Claude am anderen Ende der Leitung.

„Was, du?! Was gibt es denn?"

„Diomedes hat angerufen. Garland und Mystel haben offenbar beschlossen, Hades den Rücken zu kehren und sich mit uns zu verbünden."

„Ist das wahr? Das ist ja großartig!"

„Der Zaubermeister möchte, dass ein paar von uns den beiden Geleitschutz geben, denn unser Feind wird bestimmt nicht tatenlos zusehen, wenn sich zwei seiner Gefolgsleute einfach so davonmachen wollen. Können Miguel und ich mit dir und Raul rechnen?"

„Wir sollen also eine Eskorte stellen, he? Die Idee gefällt mir. Du kannst auf uns zählen!"

„Ausgezeichnet. Dann bis gleich!"

Zehn Minuten später gesellten sie sich zu dem Franzosen und dem Mexikaner, die in der Hotel-Lobby auf sie warteten. Auch Carlos war mit von der Partie, wurde von Lee aber ein wenig unterkühlt begrüßt. Der Rothaarige schmunzelte amüsiert, begriff er doch, dass sein Freund noch ein bisschen eifersüchtig war, weil er sich so gut mit seinem Landsmann verstand. Zu fünft schlenderten sie durch die Straßen von Tokyo, Carlos mit neidvollen Blicken in Richtung der Liebespaare, die entweder die Hände ineinander verschränkt oder die Arme um Schultern oder Hüften des Partners geschlungen hatten. Wie gerne wäre er so mit Daichi irgendwo entlang spaziert! Aber der Jüngere hatte neben seinem Job als DJ bei Beyblade-Wettkämpfen noch eine andere Aufgabe, über die er selten sprach und somit nicht oft Zeit für ihn.

>>Ich frage mich, was so bedeutsam ist, dass er dafür eine Verabredung mit mir sausen lässt! Überhaupt, wo steckt er eigentlich ständig ab Nachmittag? Morgens ist er ja noch erreichbar, aber später kriegt man keinerlei Verbindung mehr zu ihm! Wozu besitzt der denn ein Handy, wenn er es immer ausgeschaltet hat?!<<
 

„Mal eine Frage, Claude", erkundigte sich Miguel, „....von wo aus können wir überhaupt in den Hades gelangen?"

„Wir werden ein Dimensionstor öffnen müssen."

„Das ist nicht gerade einfach. Wir sollten dafür unsere Kräfte vereinen....und irgendwo hingehen, wo uns niemand beobachten kann."

Gesagt, getan. Die Gruppe begab sich zu einem kleinen, abgelegenen Tempel, stieg die Treppe hinauf, marschierte durch das Tor und postierte sich vor dem Schreineingang. Da die Anlage winzig und wenig bekannt war, bot sie sich für heimliche Zusammenkünfte geradezu an und wurde mitunter schon für Treffen des Ordens benutzt, wenn sie tagsüber stattfanden. Die jungen Männer reichten einander die Hände, stellten sich im Kreis auf und riefen ihr jeweiliges Element an, woraufhin jeder von ihnen von einem farblich passenden Licht eingehüllt wurde.

„Feuer!!" (Lee, Raul, Miguel)

„Wasser!!" (Carlos)

„Luft!!" (Claude)

Ein Sog bildete sich um sie herum und verschluckte die fünf Wächter. Als sich der dunkle Wirbel gesenkt hatte, sahen sie vor sich das Hades-Tor. Sie wussten nur zu genau, dass das Tor von zwei Seiten bewacht wurde - einmal, wenn man in die Unterwelt eindringen und einmal, wenn man sie verlassen wollte. Flüchtlinge mussten sich mit einem Paar untoter Kreaturen herumschlagen, während Lee und Co. es mit dem Höllenhund zu tun bekommen würden, Zerberus. Zwar war er nirgends zu entdecken, aber das hieß lediglich, dass sie größte Vorsicht walten lassen mussten. Sie holten ihre Beyblades hervor, als der Franzose plötzlich herum schoss und einen finsteren Korridor von riesenhaften Ausmaßen fixierte. Seine beeinflussende Gabe war die Kontrolle über den Schall, weshalb er Dinge hören konnte, die für die Ohren anderer praktisch lautlos waren. Was er hier vernahm, jagte ihm allerdings einen Schauer purer Angst über den Rücken, denn grausiges Knurren und Zähneblecken hallten ihm entgegen. Schwere Schritte näherten sich ihnen, und scharfe Krallen klackten auf dem kalten Boden, sobald ein Fuß darauf abgesetzt wurde. Ein peitschender Schwanz durchschnitt zischend die Luft. „Er kommt!" stieß der 22jährige hervor, „....Haltet euch bereit! Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Windes! Zeige dich, Rapid Eagle!!"

Ein kreischender Schlachtschrei erscholl, und ein gigantischer Adler breitete seine majestätischen Schwingen aus; eine von ihnen legte das Tier schützend um seinen Hüter, dessen Alltagskleidung seiner Wächteruniform gewichen war.

„Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Feuers! Zeige dich, Galeon!!"

„Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Feuers! Zeige dich, Torch Pegasus!!"

Der Löwe und der geflügelte Hengst ließen nicht lange auf sich warten und Miguel tauschte einen entschiedenen Blick mit Carlos, ehe auch sie ihre Bit Beasts riefen.

„Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Feuers! Zeige dich, Dark Gargoyle!!"

„Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Wassers! Zeige dich, Unda!!"
 

Dark Gargoyle war eine jener Kreaturen, die zu den Sagengestalten zählten, ähnlich wie die vielfältigen Mitglieder des Drachenvolkes, der Phönix von Suzaku oder der Greif von Sol und erinnerte an eine Mischung aus Drache und Fledermaus. Er wurde zu den seltensten Lebewesen von Eden gerechnet und Miguel war sehr stolz darauf, von ihm als Hüter akzeptiert worden zu sein. Unda (lateinisch: Welle, Woge) war ein Delphin und schwebte, in Ermangelung eines flüssigen Aufenthaltsortes, über Carlos‘ Kopf, umgeben von einer mit Wasser gefüllten Blase. Sie wirkte sehr grazil und anmutig und begrüßte den Schwarzhaarigen mit dem typischen „Fiepen" ihrer Art. Sie hatten die Beschwörungen kaum hinter sich gebracht, da erschien Zerberus vor ihnen; eine Bestie, geschaffen aus den ältesten Alpträumen der Menschen, ein hünenhaftes, nachtschwarzes Ungeheuer mit drei Häuptern, jedes davon mit einem vor Zähnen starrenden Rachen ausgestattet, mörderische Krallen an jeder der vier zottigen Pranken, die sechs blutroten Augen tödlich auf die fünf armseligen Opfer richtend, die er mehr oder weniger als seine nächste Mahlzeit betrachtete. Erst, als Galeon ihm einen Schwall Feuer entgegen spuckte, bemerkte er die übrigen Versammelten, die magischen Geschöpfe. Er stieß ein kehliges, abscheuliches Heulen aus und stürzte sich auf sie. Claude wich dem ersten Hieb aus und erzeugte grässliche Töne, die Zerberus in den Ohren schmerzten. Sein koibito schleuderte einen Lavastrahl auf einen der drei Köpfe, während Lee einen Hagel aus Blitzen abschickte. Raul hüllte das Wesen in Flammen ein und Carlos setzte Regentropfen ein, von denen jeder so scharf und spitz war wie eine Nadel. Der Höllenhund knurrte gefährlich und durchbrach den Wall aus Zauberattacken, indem er mit einem gewaltigen Sprung direkt vor dem Hades-Tor landete, um den Durchgang zu versperren. Seine Zähne schimmerten im kalten Licht, Geifer troff daran herab und man konnte deutlich die Mordlust in seinem Blick erkennen. Miguel trat vor und schloss die Kreatur in einen Ring aus Lava ein, dessen Hitze ihren Feind versengen sollte. Offenbar war Zerberus jedoch resistent dagegen, denn er durchschritt einfach die brennende Mauer und führte einen rasanten, pfeilschnellen Schlag mit einer seiner abscheulichen Pratzen. Blut spritzte in die Höhe.

„Mon chér!!!" rief der Franzose erschrocken aus und eilte zu seinem Liebsten hinüber. Durch den roten Stoff des Wächtergewands, das der Mexikaner trug, rann das Blut in Strömen. Der linke Arm des Kämpfers war der Länge nach aufgeschlitzt und heiße Qual pochte in seinem Fleisch. Der Ärmel war zerrissen, nur ein paar Fetzen hingen noch herunter und verdeckten zum Teil die hässliche Wunde. Der Atem des Platinblonden ging nur stoßweise und sein hübsches Antlitz war schweißbenetzt von der Anstrengung, sich zurückzuhalten und nicht laut aufzuschreien. „Mon chér...." drang dumpf durch einen Nebel aus Schmerz Claudes samtene Stimme zu ihm. Wunderschöne blaue Augen, türkisgrünes Haar, perlengleiche Haut, zarte Wangen, eine gerade Nase und volle Lippen formten sich vor seinem verschwommenen Blick zu dem Gesicht des Mannes, den er liebte. Besorgnis und Angst las er in diesen edlen Zügen und er lächelte matt.

„Verzeih mir, amiguito mio....ich habe nicht richtig aufgepasst...."

„Sprich nicht....das ist zu mühsam....mon Dieu, da ist so viel Blut...."

Der Schock steckte Claude tief in den Knochen; er hielt Miguel umschlungen und schien gar nicht zu registrieren, dass Zerberus seine Unachtsamkeit für sich zu nutzen gedachte. Er holte erneut aus, doch diesmal trafen seine Krallen auf eine scharfe Klinge. Galeons Hüter hatte ein Schwert in seiner Hand erschaffen und damit verletzte er den Dämon am Fuß. Das Tier heulte auf und richtete seine sechs Augen drohend auf Lee. Obwohl ihm eisige Furcht das Herz zusammenpresste, war seiner entschlossenen Haltung nichts davon zu entnehmen. Mutig hatte er sich zwischen den todbringenden Klauen und dem jungen Paar aufgebaut und visierte seinen Gegner an wie eine Raubkatze ihre Beute. Auch er schwitzte wegen der Anspannung; sein ganzer Körper befand sich in einem Zustand übernatürlicher Wachheit, seine Hände hatten sich so fest um den Schwertgriff gekrampft, dass seine Fingerknöchel beinahe weiß wirkten, die dichte schwarze Mähne fiel in wilden Strähnen über seinen Rücken und seine Brust und seine goldenen Augen barsten förmlich vor Zorn. Raul sog sich an diesem Bild fest und erbebte innerlich. In diesem Moment liebte er Lee mit solcher Leidenschaft, dass er schon meinte, ihn auf der Stelle besinnungslos küssen zu müssen. Er wollte ihm helfen! Er beschwor eine Fackel zwischen seinen Händen und langsam verwandelte sie sich ebenfalls in eine Klinge.

„He, du übergroßer Dackel!!! Zeig, was du kannst, wenn du dich traust!!!"
 

Die beiden Feuerwächter lenkten Zerberus von ihrem verletzten Mitstreiter ab und lockten ihn immer weiter weg von dem Tor, das er so vehement hatte beschützen wollen. Carlos hatte sich über Miguel geneigt und untersuchte fachmännisch die Blutung.

„Wir brauchen etwas, um den Arm abzubinden, damit die Blutzufuhr gestoppt wird und er nicht noch mehr davon verliert. Unda...." wandte er sich an sein Bit Beast, „....könntest du....?"

Der Delphin betrachtete den sich windenden Blonden und senkte das Haupt. Aus ihren Augen quollen Tränen hervor und ihr Hüter fing sie mit der hohlen Hand auf, als sie von der Außenhaut der Wasserblase herabflossen. Er ließ die Tränen auf die Verletzung tropfen und ihre besondere Kraft sorgte dafür, dass die Schmerzen aufhörten. Claude reichte ihm seine Schärpe und damit wurde der Arm des Mexikaners abgebunden.

„Ich wusste gar nicht, dass deine Tränen eine schmerzlindernde Wirkung haben."

Unda zeigte ein angedeutetes Lächeln. **Das ist eine seltene Gabe, selbst unter den magischen Kreaturen von Eden. Leider genügt ihre Macht nicht, um die Wunde komplett zu heilen.**

„Das macht nichts. Wenigstens muss er nicht leiden. Ich danke dir."

**Das war doch selbstverständlich, Windkrieger.**

Carlos schenkte ihr ein zufriedenes Zwinkern und sah sich nach Lee und Raul um. Blitze und Feuerzungen tanzten wild um den Höllenhund und grünes Blut lief ihm von den Flanken und über zwei der kräftigen Beine, doch leider war er weder erschöpft noch geschwächt. Der Spanier schickte sich an, seinen Kameraden beizustehen, als der Ältere ihn ansprach.

„Achte bitte auf Miguel. Ich habe mit dieser Ausgeburt der Finsternis meine eigene Rechnung zu begleichen!"

Seine Stimme war schneidend und hart. Für gewöhnlich war Claude ein ruhiger, zuverlässiger und besonnener Typ, der stets seine Selbstbeherrschung bewahrte, aber diesmal waren Grenzen überschritten worden, die der Franzose nicht mehr mit Unerschütterlichkeit und Vernunft kompensieren konnte. „Zerberus!!" Es klang wie ein wütender Befehl.

Das Geschöpf drehte sich um und Carlos hätte schwören können, dass die drei Köpfe einander angrinsten. Siegessicher und triumphal näherte es sich seinem Opfer, die widerlich lechzenden Lefzen weit offen. Ein bläuliches Leuchten umrandete die stolze Erscheinung des 22jährigen und seine Arme hoben sich in einer wenig vertrauenserweckenden Geste gen Himmel. In der folgenden Sekunde erschütterte ein nervenaufreibender, fürchterlicher Ton von solch atemberaubender Grässlichkeit die Umgebung, das selbst die Wächter und ihre Bit Beasts aufstöhnten. Der Schall dieses unheimlich hohen Lauts versetzte die Felswände um sie herum in heftige Schwingungen und dicke, schwere Gesteinsbrocken prasselten auf den Höllenhund hernieder, bis er vollständig darunter begraben war. Es gab ein ordentliches Getöse und plötzlich....Stille. Eines der grauenvollen Häupter lugte noch unter der Lawine hervor, aber die lange schleimige Zunge war aus dem Maul gerutscht - Zerberus war tot.

Der Chinese half seinem Schatz auf die Beine und musterte seinen Kollegen mit unverhohlener Bewunderung. „Respekt, Kumpel....das hätte ich dir nie und nimmer zugetraut! Wow! Wenn du sauer bist, kannst du einem echt Angst machen! Ich weiß schon, warum ich lieber mit dir befreundet bin!"

„Claude...." flüsterte Miguel und der andere kniete sich zu ihm. „Du warst....großartig...."

„Ich habe es für dich getan. Als wir beide zusammenkamen, habe ich dir doch versprochen, dich zu beschützen und für dich da zu sein....so, wie du damals für uns da warst, als Barthez uns unterdrückte. Je....Je t‘aime."

„Ich liebe dich auch...."

Sie küssten einander, innig und tief, bis Rapid Eagle sie unterbrach: **Mein Hüter....wir sollten Miguel in ein Krankenhaus bringen. In dieser Verfassung kann er nicht kämpfen. Es wäre zu riskant, ihn hier zu lassen.**

**Ich stimme dem zu.** sagte Dark Gargoyle ernst. **Ich kann ihn transportieren. Ich bin davon überzeugt, dass Meister Lee, Meister Raul und Meister Carlos ausreichen, um dem ehrenwerten Sol und dem ehrenwerten Leviathan Geleitschutz zu geben.**

„Das denke ich auch", erklärte Claude vertrauensvoll. Gargoyle hob seinen Wächter vorsichtig hoch, der in direktem Vergleich zu seiner imposanten Gestalt beinahe schmächtig wirkte, breitete seine Flügel aus und flog der Oberwelt zu. Der Franzose kletterte auf den Rücken des Adlers und ließ sich von ihm in die Lüfte tragen. Lee winkte zum Abschied.

„Weg sind sie....bleibt nur noch ein Problem: Wie kriegen wir das Tor auf?"
 

Die beiden Gründe ihrer Anwesenheit stiegen indessen aus der Fähre und ließen ihre Blicke das ehrfurchtgebietende „Tor zur Letzten Reise" hinauf wandern. Charon stand hinter ihnen, das alte, von Trauer zerfurchte Gesicht halb verdeckt von seiner schmutzigen, zerlöcherten Kutte. „Wir danken dir sehr für deine Hilfe."

„Spart Euch das, Sol. Ich habe es gern getan. Ein alter Mann wie ich, noch dazu eine wehrlose Seele, kann einem wie Hades nicht viel entgegensetzen, aber auch ein kleines Rädchen im Getriebe kann manchmal Wunder bewirken. Ich bin für den Dunklen Fürsten nicht mehr als eine lästige Fliege und das ist gut so, denn deshalb hält er es für unnötig, mir seine kostbare Zeit zu widmen. Für Eure Flucht ist das äußerst günstig."

„Und für deinen Tod sind diese Worte äußerst günstig, seniler Narr!!!" zischte jemand, dessen Stimme so kalt und abweisen klang, als könne sie alles Lebendige zu Eis erstarren. Der Fährmann wandte sich verstört um und auch Garland und Mystel durchfuhr ein namenloser Schreck. Die Temperatur kühlte sich deutlich ab, ihr Atem bildete kleine Wölkchen. Eisadern krochen über den Boden und Schneeflocken wirbelten herum, bis Iras sich vor ihnen materialisiert hatte. Charon ließ sich seine Angst nicht anmerken.

„Ich bin bereits tot, Ritter. Daher läßt mich Eure Drohung ziemlich....kalt."

Der Rothaarige verstand die Anspielung, gestattete sich aber lediglich ein maliziöses Anheben der Lippenpartie. „Wenn ich dir deine Seelenenergie aussauge, wirst du für alle Ewigkeit verschwinden....das ist so gut wie ein zweiter Tod!"

„Du rührst ihn nicht an!" stieß Leviathan hervor.

„Wie war das?"

„Du hast schon richtig gehört!!"

„Oho, du willst es tatsächlich versuchen, Levi? Du willst dich mit mir messen? Ich hätte dich für klüger gehalten! Denn ich lasse niemals Gnade walten - am allerwenigsten bei Verrätern!!!"

Eine Unmenge von Eissplittern raste auf den Ägypter zu, doch er erschuf eine Barriere aus Wellen und blockte den Angriff ab. Iras verwandelte dieses flüssige Schild in einen Eiszapfen und schoss eine weitere Ladung natürlicher Speere ab. Sol warf sich dazwischen und schmolz die Splitter mit seiner heißen Lichtaura.

„Du wagst es, uns als Verräter zu bezeichnen? Dabei haben wir, seit diese ganze Sache angefangen hat, zum ersten Mal eine richtige Entscheidung getroffen! Wir gehören an die Seite unserer Prinzen, zum Orden von Eden! Hades ist unser Feind, warum kapierst du das nicht?!"

„Gib dir keine Mühe, Sol!! Ich werde ihm treu bleiben!!"

„Dem Mörder des Mannes, den du geliebt hast!?!"

Der Krieger des Zorns versteinerte in seinen Bewegungen. Seine rechte Augenbraue zuckte verdächtig. „Was....redest du da?! Lord Hades....soll....Sei umgebracht haben....?!"

„Erinnerst du dich nicht mehr daran?!" Der Blauhaarige konnte es nicht glauben, bis Mystel mechanisch nickte. „Natürlich....warum habe ich nicht gleich daran gedacht? Hades muss Iras nach der Ermordung von Seiryuu das Gedächtnis gelöscht haben!"

„Bei den vier Schutzgöttern....eine solche Möglichkeit habe ich nie in Erwägung gezogen. Dieses durchtriebene Scheusal....!! Das reicht!! Du musst endlich die Augen öffnen, mein Freund!! Bitte erkenne dein wahres Ich!!"

„Ich will nichts hören!! Ich glaube euch kein Wort!!!"
 

Bryan schuftete sich im Fitnessraum des Palast-Hotels ab, Schweiß glänzte auf seinem muskulösen Körper und das lila Haar war feucht und verklebt. „Puh, genug Sport für heute! Jetzt brauche ich eine warme Dusche und einen Snack!"

Auf dem Flur zu den Umkleidekabinen lief ihm Mathilda in die Arme. Sie hatte verweinte Augen und dicht hinter ihr kam Mariam angerannt.

„Tag, die Damen! Was ist denn los? Stimmt was nicht?"

„Da bist du ja, Bryan", schluchzte die achtzehnjährige Deutsche (Ich finde, der Name „Mathilda" klingt einfach sehr deutsch) und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich hab dich schon überall gesucht, Diomedes ist ganz aufgeregt und wollte unbedingt mit dir sprechen und Miguel ist verletzt und Claude...."

„He, langsam! Noch mal von vorn: Was ist passiert und was will der Zaubermeister von mir?"

Mariam legte der aufgelösten Jüngeren eine tröstende Hand auf die Schulter und erläuterte die Situation: „Sol und Leviathan kehren zu uns zurück, wie du sicher schon vernommen hast. Diomedes war der Ansicht, die beiden könnten etwas Geleitschutz brauchen und hat aus diesem Grund ein paar Bluterben in die Unterwelt geschickt. Während eines Kampfes ist Miguel jedoch schwer verwundet worden und Claude hat ihn ins Hospital gebracht. Carlos, Lee und Raul sind jetzt noch an dieser Mission beteiligt."

„WAS?! Und so etwas Wichtiges teilt mir der Zaubermeister nicht mit?! Wenn überhaupt einer qualifiziert ist für ein Gefecht im Hades, dann bin ich das, schließlich bin ich die Wiedergeburt von Boreas!! Wie verantwortungslos, Wächter ohne genügend Erfahrung in die Höhle des Löwen zu schicken!! Bin ich denn der einzige hier, der denkt, bevor er handelt?! Mariam, richte Mr. Dickenson aus, dass ich ihm später noch die Meinung geigen werde!! Ich habe keine Zeit mehr!!"

„Was hast du denn vor?"

„Ein paar Schwachköpfen den Hintern retten!!"
 

Im Kinomiya-Dojo ereignete sich derzeit ein völlig anderer Kampf. Tyson sprang zur Seite, als schwarze Blitze auf ihn zu rasten. Deimos zertrennte das Federkissen und schlug anschließend das Bett mitten entzwei.

„FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!" Das Beyblade leuchtete auf, die Tätowierung glühte und wenig später erhob sich Seiryuu vor seinem Widersacher, prachtvoll anzusehen in seiner Rüstung. „Stell dich!" zischte der Windbeherrscher und richtete sein Schwert auf den Ritter des Hasses. Dieser war allerdings nicht sonderlich beeindruckt und parierte den gegen ihn gewandten Hieb mit seiner eigenen Klinge. Die magische Aura, die die beiden Gegner umhüllte, war den anderen Zauberbegabten innerhalb und außerhalb des Hauses jedoch nicht verborgen geblieben. Ray und Max hielten abrupt in ihrem Training inne und der Chinese wisperte fassungslos: „Großer Gott....ich spüre eine negative Präsenz von solcher Intensität, das kann....das kann nur Deimos sein....Seiryuu ist in Gefahr!"

„Was ist das? Ein eisiger Schauer überläuft meine Haut....warum nur habe ich plötzlich Angst?

Da stimmt was nicht....ich kann es nicht zuordnen....Ein beklemmendes Gefühl, wie an dem Tag, als ich mein Gedächtnis verlor...."

„Byakko!!"

„He?"

Kai war im Garten aufgetaucht, zumindest körperlich, denn in ihm steckte Suzaku, wie der Neunzehnjährige klar an der warmen Tonlage der Stimme erkannte und an der Tatsache, dass der andere ihn mit seinem einstigen Namen angeredet hatte.

„Sei wird angegriffen! Wir müssen uns beeilen!" Ray nickte entschlossen; sie packten gleichzeitig nach ihren Beyblades und riefen die Zauberformel.

„FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!"

Während die Unterstützung nahte, kreuzten sich die Schwerter des Windprinzen und des Ritters der Verdammnis immer wieder. Sie fixierten einander erbarmungslos an und der Blauhaarige konnte keine Regung, kein menschliches Empfinden in den Augen seines Gegenübers wahrnehmen. Er schluckte sein Entsetzen hinunter und fragte sich ernsthaft, wie es Hiro je gelingen könnte, diese Ansammlung von Schwarzer Magie, Hass, Verbitterung und Misstrauen zu durchbrechen, die in Deimos‘ Innerem tobte. Als der Orangehaarige eine Attacke mit seinen Blitzen startete, wucherten Schlingpflanzen aus der hölzernen Schiebetür und umsponnen seine Arme und Beine. Kurz darauf traf ihn ein Hagel aus Feuerbällen und er wurde frontal gegen die nächste Wand geschleudert. Seiryuu drehte sich überrascht um.

„Suzaku! Byakko!"

„Stets zu Diensten, mein Liebster!" lächelte der Wächter des Heiligen Phönix verführerisch und küsste ihn zur Begrüßung auf die Wange, den mentalen Aufschrei von Kai („Was fällt dir ein, du Casanova?!") geflissentlich ignorierend.

„Ihr....!" spuckte Deimos aus, als wäre ihm ein ekelerregendes Monster erschienen und nicht zwei attraktive Krieger. „Ihr werdet mich nicht um meinen Triumph bringen, Hüter!! Ich werde euch vernichten, und das ein für allemal!!!"

Mit diesen Worten stand er auf, die Zähne fest zusammengebissen, und erschuf über seinem Kopf ein Geschoss von riesenhaften Ausmaßen, dessen finstere Ausstrahlung die drei Prinzen beinahe zu ersticken schien....
 

Iras entlud seinen gesamten Zorn auf Sol und Leviathan. Zwar wehrten sie sich mit all ihren Kräften, doch da der Rothaarige seine Macht aus seiner beeinflussenden Emotion schöpfte und im Moment wirklich rasend war, sah ihre Lage wenig rosig aus.

„Niemals....werde ich euch glauben...." wiederholte er monoton, wie einen auswendig gelernten Reim. „Hades hat ihn nicht getötet....ich glaube euch nicht...."

„Kannst du oder willst du es nicht verstehen?!" brüllte Garland gegen das Heranstürmen von ca. hundert Eissplittern an, scharfgeschliffen wie Dolche, von denen er kaum mehr als ein Viertel einschmelzen konnte, da ihm allmählich die Energie ausging. „Er hat dich doch nur benutzt!! So, wie er alles und jeden für seine Zwecke benutzt, bis nichts mehr übrig ist!! Die Schönheit von Elysium und Eden wurde von ihm zerstört, unser Frieden, unsere Harmonie, das Gleichgewicht der Schöpfung!! Er hat diesen Planeten verwundbar gemacht und ihn geschwächt, damit das Böse sich hier ausbreiten konnte!! Und du willst ihm folgen?!"

„Schweig still!!! Du hast ja keine Ahnung!! Was hat mir Eden denn schon gebracht außer Einsamkeit, Schmerz und unerfüllter Liebe?! Ich war nie glücklich....und warum sollte ich einer Welt, in der ich nie glücklich war, nachweinen?! Ich war euch doch immer egal!! Ich hatte vielleicht den Posten als Hauptmann von Prinz Genbus Leibwache inne, aber ich wusste genau, wie der gesamte Hof hinter meinem Rücken über mich gelacht hat!! Freunde habe ich nie gehabt, um mich herum gab es lediglich Opportunisten und Speichellecker, die sich von einer Bekanntschaft mit mir bessere Chancen für ihren eigenen Aufstieg erhofft haben!!"

„Das ist nicht wahr, Iras!! Du hattest echte Freunde, sehr viele sogar!! Und Prinz Genbu hat dir aus vollstem Herzen vertraut, das weißt du!!" erwiderte Leviathan verzweifelt.

„Ich sagte, ich will nichts mehr hören!! Denkt ihr wirklich, ich würde auf eure Lügen hereinfallen!?! Ich habe mir geschworen, euch zu töten und genau das werde ich tun!!"

„Wage es nicht!!!" Eine Windbö packte den Ritter der Verdammnis und schleuderte ihn von Garland und Mystel fort, ehe er eine neue Attacke beginnen konnte. Er wischte sich das Blut eines Kratzers aus dem Gesicht und starrte ungläubig zum Ufer des Styx hinüber. Eine zweite Fähre hatte dort angelegt, gelenkt von einer vermummten Gestalt. Boreas und die Bluterben waren gekommen.

„Wir sind hier, um unsere Freunde heimzuführen." sagte Bryan ernst, und er spürte die dankbaren Blicke ihrer beiden Kameraden auf sich ruhen. Er lächelte in ihre Richtung, doch sein Mund wurde hart, als er sich wieder an Iras wandte.

„Wächterblut wird nicht von Wächterhand vergossen! Du kennst dieses alte Gesetz und doch willst du es brechen?"

„Ich gebe schon lange nichts mehr auf die Gesetze von Eden! Es wundert mich nicht, dass ausgerechnet du es bist, der den strahlenden Helden spielt - du warst immer so ekelhaft aufopferungsvoll und hilfsbereit, so ehrlich und tapfer, dass mir beinahe schlecht geworden wäre!! Und dennoch....du hast über mich gespottet wie alle anderen!! Hast Gerüchte ausgestreut und mich schlecht gemacht, nur um dich später als treusorgender Freund in Szene setzen zu können! Das nicht lache!! Wie ich es doch gehasst habe....dein scheinheiliges Gesicht!!"
 

„Wie kannst du so ein infames Lügengebilde nur glauben?! Das sind nichts weiter als Hirngespinste, die Hades dir eingetrichtert hat und die er als Wahrheit verkauft, obwohl sie es nicht sind!! Wir waren Freunde! Niemals hätte ich deinen ehrenhaften Namen in den Schmutz gezogen! Aber das Gift der Dunkelheit hat dich schon komplett verdorben....deine Gesten, deine Worte, deine Handlungen....das bist nicht mehr du, Iras. Es ist Hades, der dich steuert wie eine Marionette! Erkennst du nicht, wie sehr er dich herabgewürdigt hat?!"

„Ich werde diesem albernen Geschwätz keine Beachtung mehr schenken!! Wir beide haben ohnehin noch eine kleine Rechnung offen!! Ich fordere dich heraus zu einer ‚Wächter-Entscheidung‘!!!"

„Was?! Das....das kann nicht dein Ernst sein....!"

Tonnenschweres Schweigen lastete auf den Anwesenden. Der Rothaarige hatte sein Schwert gezückt, die Spitze nach oben gerichtet und hielt seine rechte Faust in ein paar Zentimetern Entfernung zu der Klinge. „Ein Kampf der Mächte, ein Kampf der Elemente, ein Kampf zwischen beiden! Wer der Sieger ist...." Bryan biss sich auf die Lippen und ahmte Iras‘ Geste mit seinem eigenen Schwert nach. Er vervollständigte den rituellen Vers.

„....wird das Ende entscheiden!!"

„Das könnt ihr unmöglich tun!" stieß der Hüter von Poseidon schreckensbleich hervor und seine Finger krampften sich um die Hand seines Liebsten. Raul, der noch nicht über alle Details aus dem Leben der Wächter von damals informiert war, fragte beklommen: „Was genau ist eine ‚Wächter-Entscheidung‘? Es klingt irgendwie....gefährlich. Und weshalb wird ‚das Ende entscheiden‘? Welches Ende?"

Lee schluckte. „Korrekterweise sollte es ‚Wessen Ende‘ heißen."

„Was meinst du damit?"

„Die ‚Wächter-Entscheidung‘ bezeichnet ein Gefecht zwischen zwei Hütern, bei dem ein unparteiischer Schiedsrichter zugegen ist. Normalerweise wurden Differenzen friedlich geregelt, aber wenn die beiden Wächter sich trotz aller Bemühungen nicht einigen konnten, wurde durch den Kampf entschieden."

„Das ist richtig", mischte sich Sol ein, „....aber soweit ich mich an die Chroniken von Eden erinnere, ist es in seiner jahrtausendelangen Geschichte erst ein einziges Mal vorgekommen, dass eine ‚Wächter-Entscheidung‘ stattfand. Zwei Hüter hatten sich in dieselbe Frau verliebt und da sie schon früher Rivalen gewesen waren, wuchs sich das Ganze durch ihre Eifersucht zu echtem Hass aus. Keiner von ihnen hat die ‚Entscheidung‘ überlebt."

„Keiner von ihnen?!"

„Nein. Deswegen war die ‚Wächter-Entscheidung‘ von allen gefürchtet und galt als allerletzter Ausweg, ähnlich wie zum Beispiel heute der Selbstmord. Obwohl ein Schiedsrichter vorhanden ist, liegt seine einzige Funktion darin, einen Bannkreis um die beiden Kontrahenten zu spannen, damit ihre Umgebung keinen Schaden nimmt. Ansonsten ist alles erlaubt, um den anderen zu töten."

„Zu....töten....?"

„Eine ‚Wächter-Entscheidung‘ ist die Herausforderung zu einem Duell auf Leben und Tod!"

Der Spanier wurde aschfahl und der Chinese zog ihn in eine feste Umarmung. Sofort schmiegte sich der Jüngere an ihn und flüsterte fassungslos: „Das kann nicht sein....Iras kann doch nicht.... Bryan kann doch nicht....Lee, das können wir nicht zulassen! Bryan liebt Tala! Wieso....?"

„Ich....ich weiß es nicht...."

Die vermummte Person verließ nun auch die Fähre und schob die Kapuze zurück. Alle, besonders Carlos, sogen perplex die Luft ein. „Daichi!"

„Du hängst auch mit in der Sache drin?!"

Der Fünfzehnjährige drehte sich zu seinem „festen Freund in spe" um und grinste in seiner typischen Art und Weise. „Oh ja....tiefer, als du ahnst! Aber das ist kein Moment für Scherze! Ich erkläre mich bereit, als Schiedsrichter zu fungieren!"

„Kannst du Knirps überhaupt einen Bannkreis schaffen? Das ist Magie auf hohem Level!"

Daichi reagierte nicht auf die Skepsis des schwarzen Ritters, sondern rief seinen Schamanenstab und trat zwischen die Gegner. Mit einem Mal war eine Aura von Reife um ihn herum, die Carlos erstaunte und zugleich faszinierte.

„Boreas, Hüter von Falborg, Iras, der Hüter von Wolborg, hat dich herausgefordert, dich in Schwert und Zauber mit ihm zu messen. Nimmst du an?" Ein schlichtes Nicken.

„Iras, Hüter von Wolborg, Boreas, der Hüter von Falborg, akzeptiert deine Herausforderung. Stellt euch in einem Abstand von sieben Metern auf, ich forme den Bannkreis."

Der Schamanenstab leuchtete hell auf und Daichi spreizte Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand ab, berührte damit seine Lippen und murmelte fremd klingende Beschwörungen. Eine magische Barriere erhob sich langsam um die Krieger und riegelte sie praktisch von der Außenwelt ab. „Möge die ‚Entscheidung‘ beginnen!"
 

Iras lächelte kalt und feuerte unzählige Eisspeere auf seinen einstigen Teamkollegen. Der Lilahaarige baute ein Schutzschild aus einem Wirbelwind auf und entsandte seinerseits sichelförmige Windgeschosse, die bei ihrem Auftreffen Schlitze und Striemen hinterließen. Der Vertreter des Zorns zeigte sich davon kaum beeindruckt und hüllte seinen Widersacher in ein Schneetrieben ein, das um seinen Körper zu Eis erstarrte. Dann rannte er auf ihn zu und schwang sein Schwert in weit ausholendem Bogen, als wolle er ihm den Schädel spalten. Bryan konzentrierte sich stark und sprengte sein Gefängnis, einmal, um dem Hieb auszuweichen und um Iras in eine Windhose zu sperren, die ihn herumwarf wie ein Stück Stoff. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich zu befreien und er warf einen feindseligen Blick auf den anderen.

„Hör mir zu, mein Freund! Ich will dich nicht töten, begreif doch! Ich will nur eines: Dass du zu uns zurückkommst - zu mir! Du bist nicht das ungeliebte, einsame, hasserfüllte Wesen, zu dem Hades dich machen will! Du hast einen guten, einen wunderbaren Kern! Ich weiß, viele halten dich für unnahbar, für hartherzig, für empfindungslos, aber das bist du nicht! Du kannst so warm und fürsorglich sein....und kameradschaftlich....und dabei auch so verletzlich....Immer versuchst du, unerschütterlich zu sein, weil du glaubst, niemanden zu haben, an dessen Schulter du dich ausweinen könntest, aber das ist nicht wahr! Du hast mich!! Und ich werde stets an deiner Seite sein, so wie ich es von Anfang war! Darum bitte ich dich: Wende dich ab vom Bösen und werde wieder du selbst....TALA!!"

Etwas in Iras zuckte zusammen bei diesem Namen. Verdrängte Erinnerungen erblühten in seinem Geist, zaghaft und scheu erst, bis sich nach und nach immer mehr Blüten öffneten: Er sah sich als Kind in der Abtei, zusammen mit Bryan, der mit ihm trainierte. Sie waren beide noch ungeschickt und teilten angesichts dessen ein Lachen. - Prinz Genbu winkte ihn zu sich heran und dankte ihm für seinen Mut im Kampf gegen einen Dämon. Er reichte ihm die Hand und drückte die seine, eine Geste des Vertrauens. - Russland. Tala stolperte durch einen Schneesturm, zurück zum Tor der Abtei. Er hatte draußen mit seinem Beyblade geübt und Bryan wartete auf ihn. „Wo bist du so lange gewesen? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht!" - Eine Feier. Leviathan und er tanzten zusammen mit dem Prinzen um einen Springbrunnen herum. Sie hatten wohl ein bisschen zu viel Wein getrunken....aber Iras strahlte. - „Ich hasse diese Abtei....und ich hasse Boris!!" Bryan streichelte ihm durchs Haar und schlang seine Arme um seine Schultern. „Ich verstehe dich. Aber gib nicht auf....ich bin doch für dich da, das weißt du. Wann immer du meinst, du schaffst es nicht mehr, rede mit mir. Ich bin dein Freund." - Prinz Seiryuu, der ihn um einen kleinen Gefallen bat, um Prinz Genbu zu seinem Geburtstag zu überraschen. Er küsste diese zarte, weiche Hand....und der Windbeherrscher neckte ihn ein bisschen, weil er errötet war. - „Tala Iwanov! Wenn du noch einmal aus dem Hotelzimmer verschwindest, ohne mir zu sagen, wo du hingehst, verordne ich dir Hausarrest! Wie kannst du mich so erschrecken! Ich dachte, dir wäre was passiert!" Eine kräftige Umarmung, die er erwiderte. „Entschuldige, Kumpel." - „Ich bin dein bester Freund, Tala. Das darfst du niemals vergessen."
 

Ich bin dein bester Freund, Tala. Das darfst du niemals vergessen. Vergessen. Vergessen....wie hatte er das vergessen können?! Etwas in ihm schrie gequält auf, wie ein Vogel in einem Käfig. Nein, nein!! Hades hatte es ihm gezeigt! Ihm offenbart, dass sein Leben nie etwas anderes gewesen war als Alleinsein, Traurigkeit, Schmerz! Diese Lichtblicke konnten nicht real sein, das waren nichts als Illusionen!!

„Schluss damit!! Weg mit diesen Bildern und Stimmen in meinem Kopf!! Ich weiß, wer ich bin!! Ich gehöre der Finsternis!! Ich habe Lord Hades die Treue geschworen! Schon damals hast du mich von ihm losreißen wollen, Boreas! Wolltest mich zum Verräter an Seiner Majestät machen!! Nein! Ich werde dir das nicht verzeihen! Du musst sterben!"

„Du tust dir nur selbst weh! Du warst ein aufrechter und ehrlicher Wächter, ein Mann mit edlen Prinzipien! Dein Herz war verwundet durch deine unerfüllte Liebe zu Seiryuu und Hades hat sich diese seelische Verletzung zunutze gemacht, um dich von innen heraus zu zerstören! Du musst dich von ihm befreien, Tala!!!"

„Nicht diesen Namen!! Nenn mich nicht so, verstanden?!"

„Warum?! Weil Tala sich gegen das Schwarze Gift wehrt?! Nimm endlich Vernunft an, verdammt!! Ich will nicht, dass es so endet!!"

„SCHWEIG!!!!"

Mit einem Schrei schleuderte Iras einen großen, messerscharfen Eiskegel auf den Windwächter und Bryan verpasste die Gelegenheit, sich dagegen zu schützen. Plötzlich fühlte er nur noch einen stechenden Schmerz, der sich in all seinen Nervenzellen ausbreitete wie ein Inferno und schmeckte Blut in seinem Mund. Ein dünnes Rinnsal tröpfelte über sein Kinn. Der Kegel hatte direkt seinen Magen durchstoßen und eine zitternde Hand tastete sich zu der klaffenden Wunde.

„Oh nein....!"

Daichi ließ den Bannkreis automatisch zusammenfallen und Garland stürmte zu Bryan hinüber. Er stützte ihn, als er zu Boden sank und umklammerte ihn umsichtig. „Boreas! Boreas, sag doch etwas! Du kannst nicht einfach so sterben, mein Freund! Denk an Prinz Seiryuu! Er wird deinen wertvollen Rat brauchen....und wir dein Wissen und deine Ruhe und Kraft! Halt durch!"

Iras stand wie betäubt. Scheinbar hatte er noch nicht realisiert, was eigentlich geschehen war.

Seine Augen sahen das Blut und sein Herz klopfte hastig, wie gepeinigt. Weitere Erinnerungen strömten auf ihn ein und sie drängten sanft diejenigen an Eden zurück, um jenen aus diesem Leben Platz einzuräumen. Rasch wurde Bryan ihr Zentrum, wie er lachte, stritt, bladete, lächelte, nervte, stänkerte und spaßte. Und immer war Tala in seiner Nähe. „Schau nicht so ernst, Tala! Du könntest auch mal lachen, wenn ich einmal witzig bin!" - „Wenn du endlich damit fertig bist, das eiskalte Arschloch raushängen zu lassen, dann können wir vielleicht endlich weitertrainieren, du Sklaventreiber!" - „Los, Falborg! Zeig diesem Gefrierschrank, wo‘s langgeht!" - „Mach dir keine Sorgen, Tala! Wenn du Probleme hast, werde ich dir helfen." - „Tala!! Du bist seit zwei geschlagenen Stunden im Badezimmer! Was zum Teufel dauert da so ewig?! Kannst du die Steckdose zum Elektrisieren deiner Haare nicht finden?! Oder hast du deine dreißig Haarsprays verlegt?! Oder ist der Kleister zum Hochkleben so schwierig zu gebrauchen?! He! Antworte gefälligst!" - „Was interessiert mich die Scheiß Weltmeisterschaft? Wir haben doch sowieso einen miesen Ruf! Lass mich bloß in Ruhe mit dem Mist!" - „Du hast wirklich null Humor, Tala! Das war ein Scherz, Mensch! Gott, bist du empfindlich, kaum dass dir jemand sagt, deine Frisur würde ‘nen super Blitzableiter abgeben!"
 

Bryan. Bryan! BRYAN!!!

Sein bester Freund. Er, der immer für ihn da war, unbemerkt, aber unveränderlich, wie ein Schatten. Er, der ihm die meisten lichten Momente seines sonst so düsteren Daseins geschenkt hatte. Er, der ihm geholfen hatte, vertrauen zu lernen. In dieser Sekunde begriff er mit einem Mal, dass er Bryan nicht aus seinem Leben verbannen konnte, ohne darunter zu leiden, genauso wenig, wie man sich ohne Schmerzen zu verspüren, die rechte Hand abhacken konnte. Eine Träne lief seine Wange hinab, aber anstatt wie normalerweise zu Eis zu gefrieren, rann sie bis zu seinem Kinn und tropfte in den Schmutz. Und der ersten folgte eine zweite Träne. Das Schwarz in den vor Schreck geweiteten Augen verblasste und wich einer hellblauen Färbung. Dann kroch ein Schrei in ihm hoch, zunächst wie ein Würgen, doch schließlich hallten der Schmerz und das Entsetzen in der Unterwelt wider wie ein unheimliches Echo: „BRYAN!!!"

Er sackte in die Knie, unfähig, seinen Blick von der fast reglosen Gestalt des Lilahaarigen zu lösen. Die Tränen netzten sein erschöpftes Gesicht und fanden kein Ende.

„Was....habe ich....getan? Was habe ich getan?!"
 


 

Bevor Ihr jetzt vermutet, dass Tala zurückkehrt, muss ich Euch leider enttäuschen: Iras wird wieder die Oberhand gewinnen. Dadurch, dass er Bryan lebensgefährlich verletzt hat, ist Talas Selbst wieder in ihm durchgebrochen, aber das wird leider nicht so bleiben (das wäre auch zu einfach)...

Je t'aime und Te quiero brauche ich wohl für niemanden zu übersetzen. "Amiguito mio" bedeutet auf Spanisch "Mein Geliebter". Miguel ist bei mir Mexikaner, und bevor jemand fragt: Nix Mexikanisch, dort spricht man ebenfalls Spanisch! Bis zum nächsten Kapitel!^^

Der Hüter von Draciel

So, es geht weiter!^^ Vielen Dank für Eure Kommis, ich hab mich sehr gefreut! Viel Spaß also mit diesem Teil - diesmal hat Max seinen großen Auftritt!
 

Kapitel 19: Der Hüter von Draciel
 

„Ihr werdet mich nicht um meinen Triumph bringen, Hüter!! Ich werde euch vernichten, und das ein für allemal!!!"

Deimos hatte noch nie hasserfüllter ausgesehen als in diesem Moment. Seine sonst so edlen Züge waren zu einer zornigen Maske verzerrt und boshaftes Gelächter war zu hören, als er sein Geschoss abfeuerte. Die drei Prinzen wichen mit geschickten Sprüngen aus, doch als die Energiekugel in den Boden donnerte, entlud sich ihre Kraft in einer gigantischen Explosion, die Suzaku und Seiryuu durch die Tür gegen die Wand des Korridors schmetterte, sodass die Mauer hinter ihnen Risse bekam, während Byakko über den Balkon nach draußen geschleudert wurde und in den Garten stürzte. Max, der verwirrt dort zurückgeblieben war, schrie auf, als der Körper des Schwarzhaarigen auf dem Boden auftraf.

„Ray!!"

Er eilte zu ihm hinüber und hob ihn vorsichtig an. Der Wächter des Heiligen Tigers konnte nur unter großer Anstrengung seine Augen öffnen, denn trotz seiner Rüstung hatte er sich mindestens ein, zwei Knochen gebrochen. „Wie geht es dir? Sag doch etwas!!"

„Ich....ich muss...."

Seine Finger krallten sich ins Gras, als er mühsam versuchte, sich aufzurichten. „Lass das! Du hast einen unglücklichen Sturz hinter dir! Beweg dich nicht!"

„Du verstehst das nicht! Das hier ist ein Kampf! Ich kann Seiryuu und Suzaku nicht mit diesem Dämon in Menschengestalt allein lassen! Ich muss ihnen helfen!"

„Aber nicht in deinem Zustand!"

Unterdessen hatten sich der Hüter von Dragoon und der Hüter von Dranzer wieder aufgerappelt, denn sie waren im Gegensatz zu ihrem Freund weitaus glimpflicher davongekommen. Kurzerhand begaben auch sie sich in den Garten, denn das Haus war einfach kein Ort für eine Schlacht. Natürlich erkannten sie mit einem Blick, dass Byakko verletzt war, aber dennoch ließ er sich nicht davon abbringen, sich für den nächsten Schlagabtausch vorzubereiten. Sie mussten nicht lange auf ihren Widersacher warten, denn Deimos brach durch das Dach, dass es unten Mörtel und Ziegel regnete, und baute sich drohend vor seinen Feinden auf. Das ganze Getöse war selbstredend auch Hiro nicht verborgen geblieben, der sich nach dem Training mit seinem Bruder unter die Dusche verzogen hatte und erschrocken war, als er den Kampflärm vernommen hatte. Ohne zu zögern schlüpfte er in Shorts und Jeans, zog sich noch ein Paar widerstandsfähiger Lederstiefel über, holte sein frischgeschliffenes Katana aus der Schwerthalterung und lief in den Garten.

„Onii-san! Was zum Teufel tust du hier?!"
 

„Wonach sieht es aus?! Ich werde euch beistehen! Ich besitze vielleicht keine magischen Kräfte, aber ich bin Schwertkämpfer! Außerdem...." Er schluckte schwer und sein Mund wurde zu einer harten Linie. „....außerdem betrifft mich dieses Gefecht persönlich, da es immerhin Brooklyn ist, der euch angreift! Ich weiß, dass man ihn manipuliert hat und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um ihn von diesem Bann zu befreien!" Er wandte sich an den Ritter der Verdammnis. „Mein Entschluss hat seit unserer letzten Begegnung weder geschwankt noch gezittert! Ich werde Brooklyn von deinem schädlichen Einfluss erlösen und ihm sein menschliches Herz zurückgeben!"

„Wie töricht von dir, wo du doch noch nicht einmal der Zauberei fähig bist! Wie könntest du mich schon aufhalten, geschweige denn, die Seele meines Wirts retten? Aber wenn du so von dir selbst überzeugt bist, will ich dir gerne eine Gelegenheit bieten, dich zu beweisen!"

Ein Wirbel aus schwarzen Blitzen raste auf den Silberhaarigen zu. Seine braunen Augen verengten sich zu Schlitzen und in einer einzigen kraftvollen, dynamischen Bewegung duckte er sich unter dem Strahl hinweg, rannte auf Deimos zu und schwang seine Klinge, die einem Pfeil gleich durch die Luft sauste. Ein Schrei ertönte und der Krieger des Hasses umklammerte, fassungslos und wütend, seinen linken Arm. Blut quoll unter seinen Fingern hervor und Hiro, immer noch in Kampfpositur, musterte ihn verächtlich. Sein Kontrahent wiederum betrachtete seine athletische Erscheinung, genoss das Spiel der stählernen Muskeln, fuhr mit den Augen genießerisch über den nackten, durchtrainierten Oberkörper und wanderte über den schlanken Hals zu dem schönen Gesicht mit den sinnlichen Lippen, bis hin zu dem silbernen Haar, das aufgrund der vorangegangenen Dusche noch feucht war und ihm offen um die starken Schultern fiel. Deimos erschauerte unter einer Welle der Begierde, die durch ihn hindurch wogte, und bei dem Gedanken, diese makellose Haut zu berühren, strömte heiße Erregung in seine Lenden.

„Nicht schlecht....du hast mich verwundet. Gefahr und Schönheit liegen bei dir sehr nah beieinander....das gefällt mir!"

Mit einer Schlinge aus dunkler Magie zog er Hiro zu sich heran und leckte ihm über die Halsbeuge, bis hin zum Ohr, an dem er eine Weile knabberte. „Fass mich nicht an." Deimos hielt inne, als diese Worte in seinen Geist drangen. Sie klangen kalt, herrisch und angewidert. Er sah in das erboste Antlitz und las einen unbrechbaren Willen und Stolz darin, der ihm unwillkürlich einen gewissen Respekt abverlangte. Da raste eine Feuersäule heran und zertrennte die Schlinge in der Mitte. Hiro trat an die Seite seines Bruders und wechselte in die Defensive. „Wer hat dir erlaubt, dich einzumischen, Suzaku?!"

„Ich kann nicht dulden, dass du jemanden begrapschst, der dich verabscheut! So etwas ist ekelhaft! Du bringst ihm keine ehrlichen Gefühle entgegen, sondern nur sexuelle Gier! Du wirst nicht noch einmal deine Finger an ihn legen, verstanden? Typen wie du sind das letzte!"

„Solltest du es noch einmal wagen, meinen Onii-san anzutasten, werde ich dir deine schmierigen Hände abschneiden!" stieß Seiryuu hervor und sein glühender Blick ließ vermuten, dass er es ernst meinte. Er erschuf einen Tornado und schleuderte ihn auf Deimos, der die Attacke mit einem Schild abblockte und zurücksandte, genau in die Richtung von Max. Der Amerikaner, der aufgrund seines Gedächtnisverlustes mit der gesamten Situation überfordert war, war vor Angst völlig paralysiert und unfähig, sich zu rühren, bis er plötzlich von jemandem zur Seite gestoßen wurde, der an seiner Statt von dem Windtosen erfasst wurde. Der Blauhaarige rief seinen Sturm auf der Stelle zurück und ein geschundener Byakko lag auf der Wiese, halb bewusstlos. Max beugte sich über ihn, Tränen hingen in seinen Wimpern.
 

„Ray! Ray, du Dummkopf! Wie konntest du das bloß tun, wo du doch verletzt bist?! Bei deinem Sturz hast du dir bestimmt etwas gebrochen und dann handelst du so unüberlegt! Wie konntest du nur?!"

„....Ich....habe gar nicht an mich gedacht....das einzige, was mir in diesem Moment wichtig war, warst du....Ich konnte unmöglich zulassen, dass du getroffen wirst...."

„Du hast meinen Angriff missbraucht, um unseren Freund zu beseitigen! Suzaku und ich waren viel zu gnädig mit dir, Deimos! Das wirst du büßen!!"

Die Prinzen von Wind und Feuer konzentrierten sich, richteten ihre Schwerter gen Himmel und beschworen all ihre Kraft, um ihrem Feind eine Lektion zu erteilen, von der er sich nicht mehr so schnell erholen sollte. Der Orangehaarige fühlte einen leichten Hauch von Furcht, als ihm klar wurde, dass die beiden eine Meisterattacke einsetzen wollten. Flammenzungen und Windwirbel hüllten die Klingen ein, während Feuersbrunst und Orkan sich um sie herum aufbauten, so heftig in der Entladung ihrer Energie, dass die Erde bebte. Synchron senkten sie die Waffen und riesige Magien brachen aus ihnen hervor, in Form eines Phönix und eines Drachen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit rasten sie auf den Ritter zu und kollidierten frontal mit ihm. Sengende Hitze verbrannte ihm die Kleidung und die ungeschützte Haut; die Windböen schnitten ihm ins Fleisch und drohten, ihm das letzte bisschen Luft aus den Lungen zu pressen. „Bei den Mächten der Finsternis....erhöre meinen Ruf, Zeus!!!"

Der Himmel verdunkelte sich, dicke Rauchschwaden und graue Wolkenmauern kündigten die Ankunft von Zeus an, der untoten Kreatur, deren Wächter der Krieger des Hasses war. Ein schwarzer Blitz schlug zwischen den Prinzen, Hiro, Max und dem Ritter ein und das Wesen erstickte Flammen und Wind mit seinem tödlichen Atem. Deimos, der Mantel beinahe vollkommen zerfetzt und die Hose geritzt an mehreren Stellen, die Haut von Brandwunden sowie blutenden Striemen übersät, keuchend und verzweifelt nach Sauerstoff ringend, erhob sich krampfhaft, von Zeus gestützt. Die maßlose Wut in seinen Augen ließ darauf schließen, dass es mit seiner sogenannten Geduld jetzt vorbei war. Eine schwarze Klinge mit goldener Umrandung erschien in seiner Hand und mit einem gewaltigen Hieb entsandte er ein Gewitter aus Blitzen, das über seine Widersacher hereinbrach wie ein Wirklichkeit gewordener Alptraum. Suzaku schloss Seiryuu schützend in seine Arme und baute eine Barriere um sie herum auf, doch nach der Meisterattacke waren sie beide sehr geschwächt und ihre Zauberkraft hatte viel von ihrer Energie eingebüßt. Deshalb war es nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses Schild zusammenbrechen würde, zumal der Phönixwächter dessen Radius bis zu Hiro, Ray und Max ausgedehnt hatte, um sie ebenfalls vor dem Angriff abschirmen zu können.
 

„Suzaku! Lass es! Du bist nicht mehr stark genug, um diese Barriere lange genug aufrechterhalten zu können! Nach einer Meisterattacke weiterhin Magie einzusetzen, ist zu riskant, das weißt du! Ich helfe dir! Ich werde...."

„Du wirst gar nichts tun, Liebster! Deine Reserven sind genauso gering wie meine! Wenn einer von uns vor Erschöpfung zusammenbricht, dann muss ich es sein, denn einer muss noch in der Lage sein, gegen Deimos zu kämpfen, und das wirst du sein! Davon abgesehen....kann ich nicht erlauben, dass er dich verletzt! Er kann nur eines: Töten! Ich habe dich schon einmal verloren und noch einmal werde ich das nicht ertragen!!!"

Damit küsste er den perplexen Japaner voll auf die Lippen und Tyson hatte das Gefühl, im Inneren dahin zu schmelzen. Er spürte die Liebe, die Leidenschaft, das Verlangen und den unbändigen Wunsch dahinter, ihn zu verteidigen, um jeden Preis - und wenn dieser Preis Suzakus eigenes Leben sein sollte. Kai, der natürlich mental mit seinem Alter Ego verbunden war, schien von der unbeschreiblichen Flut an Emotionen überwältigt zu werden. Eine seltsame Wärme erfüllte ihn, die sich langsam aber sicher in eine fremde, aber angenehme Hitze verwandelte, die in seinem Blut zirkulierte, wohltuend und eigentümlich befreiend. Empfand man so, wenn man den Menschen küsste, den man liebte?

Der Prinz der Feuers löste sich von seinem Drachen und widerstand dem Ansturm der Blitze noch einige Schläge lang, bis seine Barriere einen Riss bekam und er brutal am Rücken erwischt wurde. Mit einem Schmerzensschrei sackte er in die Knie und verlor das Bewusstsein.

Der nächste Hieb erfolgte und Seiryuu schloss die Augen....doch nichts geschah. Zu seinem Entsetzen erkannte er Byakko, der ein rotierendes Schild aus Blüten und Blättern erschaffen hatte. Eine Hand hatte er sich auf die Brust gepresst, seine Beine zitterten und er stand auch nicht aufrecht, atmete lediglich in kurzen, angestrengten Stößen.

„Bist du verrückt?! Du hast dir wenigstens eine Rippe gebrochen, und benutzt Magie?! In deinem Zustand ist das nicht zu verantworten!"

„Suzaku ist am Ende und du kurz davor! Ihr könnt beide nicht mehr kämpfen! Wenn ich nichts unternehme, wird dieser Mistkerl uns umbringen, ohne mit der Wimper zu zucken! Hiro ist ein Mensch, er kann jetzt nichts mehr für uns tun! Die Umgebung ist von magischen Strömen durchzogen! Innerhalb ihres Wirkungskreises ist bewaffneter Kampf unsinnig, das Level dieser Schlacht liegt bei hoher Zauberei!"

„Du meinst...."

„....innerhalb einer solchen Atmosphäre könnte kein Mensch auch nur einen Kiesel hochheben, geschweige denn ein Schwert! Diese Konfrontation kann nur von einem Wächter entschieden werden und ich bin der einzige, dessen Energie noch weitgehendst frisch ist!"

„Dann zeig, was du kannst, Hüter des Heiligen Tigers!!"
 

Ein neues Gewitter aus schwarzen Blitzen donnerte auf ihn zu, doch der Chinese erzeugte ein Erdbeben, das den Boden in Spalten auseinander klaffen ließ und Deimos stürzte wie erhofft in eine hinein, wurde aber von Zeus aufgefangen.

„Nicht schlecht, Byakko! Aber was ist....damit!!!"

Bevor Driggers Wächter recht begriffen hatte, was sein Feind plante, befand er sich schon in der Gewalt der berüchtigten Todesklammer, die auch Hades bereits verwendet hatte. Als seine Füße vom ersten der drei magischen Ringe zusammengezogen wurden, kippte er nach hinten; der Ring um seinen Hals begann ihn zu würgen, aber der Ring um seinen Torso war am schlimmsten, denn er drückte ihm den Brustkasten zusammen und seine schon gebrochenen Knochen stöhnten vor Schmerz. „Was denkst du, Zeus? Sollte ich dieser Folter nicht noch etwas hinzufügen?" Die Kreatur lachte grausig.

**Warum nicht? Seine Majestät wäre gewiss zufrieden mit dir!**

Deimos lachte gleichfalls und schloss den Prinz der Erde zusätzlich in einen Wirbel Schwarzer Magie ein, die durch den gepeinigten Körper hindurch raste wie ein Feuerwerk aus tausend Qualen, das schier kein Ende nehmen wollte. Seiryuu beschwor ein paar Böen und wollte sie gegen ihren Widersacher schicken, prallte aber auf eine Mauer aus verderblicher Kraft, die er nicht mehr durchdringen konnte.

Max war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Er bangte um seine Freunde, aber mehr noch um Ray, der gerade bis aufs Blut misshandelt wurde und dem er einfach nicht helfen konnte! Es schmerzte ihn bis tief in die Seele, den Schwarzhaarigen in solcher Lebensgefahr schweben zu sehen, und dabei selbst so wehrlos und unnütz zu sein.

>>Ich kann das nicht zulassen! Sein Leben ist diesem Verrückten ausgeliefert! Ich habe ihn so gern....so unglaublich gern! Ich will nicht, dass er stirbt! Ich würde daran zerbrechen! Wenige meiner Erinnerungen sind bisher zu mir zurückgekehrt, aber ich weiß ganz genau, dass Ray etwas Besonderes für mich gewesen ist! Obwohl er mir fremd geworden war, hat er sich um mich gekümmert, und war immer so freundlich und liebevoll! Ich habe dich lieb, Ray!! Ich....ich liebe dich!!!<<

**Mein Hüter!** erklang plötzlich eine Stimme in seinem Kopf und ein Leuchten strahlte ihm aus seiner Hosentasche entgegen. Er holte sein Beyblade daraus hervor und zuckte kurz zusammen, als die Tätowierung unter dem Stoff seines weißen Tank Tops zu pulsieren begann.

„Wer....bist du?" fragte er die Stimme in seinen Gedanken.

**Mein Name ist Draciel, und ich suche den Kontakt zu dir, weil dein Herz nun endlich bereit ist, zu kämpfen! Sage: Für die Ehre von Eden! Dann wirst du die Macht erlangen, die nötig ist, um Byakko zu retten!**

Der Blondschopf nickte. Ein letzter Blick zu dem abstoßenden Bild der magischen Folter, die sich soeben vor seinen Augen abspielte und sein Entschluss stand fest.

„FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!"
 

Iras war immer noch nicht aus seiner Apathie erwacht. Dass er seinen besten Freund lebensgefährlich verwundet hatte, hatte dafür gesorgt, dass Tala in ihm zum Vorschein gekommen war. Und es waren Talas Tränen, die über seine blassen Wangen liefen, doch seine Persönlichkeit konnte sich nicht lange halten, denn in seinen Ohren hallte die Stimme seines Herrn wider. Hades ließ keines seiner Opfer einfach frei - das Seelengift war ein Teil von ihm, eine Verbindung mit dem Fürsten der Unterwelt, der man nicht einfach entfliehen konnte. Während also Tala das Entsetzen über „seine" Tat dazu gebracht hatte, durch Iras‘ Ego hindurch zu brechen, hatte sein eigentlicher Kampf gegen das Böse in sich in Wahrheit erst begonnen. „Wie erwartet erweist du dich als hervorragender Diener", säuselte die eisige Stimme in seinem Inneren, „....du hast diesen lästigen Boreas eliminiert, was ich nur befürworten kann. Du bist ein echter Ritter der Verdammnis geworden, fähig, selbst jene zu töten, die dir einmal wichtig waren! Endlich hast du dir die Stärke angeeignet, die du brauchst, um auch die Prinzen der vier Elemente auszulöschen!"

„Nein....nein....ich gehöre nicht....zu Euch! Ich bin....ein Wächter....mein Platz ist an der Seite der anderen....!"

„Der anderen? Glaubst du wirklich, sie würden dich aufnehmen, wo du doch ihren hochgeschätzten Boreas umgebracht hast? Ich bezweifele das. Und warum solltest du auch zu ihnen zurückwollen? Sie haben dir weder Frieden noch Kameradschaft gegeben, du bist von jeher allein gewesen, in diesem wie auch deinem letzten Leben! Was ist mit Seiryuu? Hast du seinen Verrat schon vergessen, der dir das Herz gebrochen hat? Mich persönlich erstaunt es jedenfalls, dass er einem tapferen und bemerkenswerten Mann wie dir einen albernen und selbstverliebten Playboy wie Suzaku vorgezogen hat! Nicht einmal deine Wiedergeburt hat dir irgendetwas genützt, denn Tyson liebt diesen sturen Esel von Kai, der seinerseits überhaupt nichts für Tyson empfindet (Soso....)! Das ist doch ungerecht, nicht wahr? Du bist derjenige, der ihn verdient hat, darüber solltest du dir klar sein! Suzaku hat sich etwas genommen, was schon immer dir hätte gehören sollen! Und nun bist du mächtig genug, um es dir zu holen!"

„Ich....kann nicht....mit Gewalt...."
 

„Liebst du Seiryuu nicht mehr? Begehrst du ihn nicht länger?"

„Doch! Aber....ich...." Der Widerstand erlahmte. Vereinzelte Tränen fingen an, fest zu werden und zu erstarren. Hades, der dieses mentale Spielchen von seinem privaten Gemach aus betrieb, lächelte grausam. Sol und Leviathan konnte er vorläufig (!) getrost entkommen lassen, solange er zwei Krieger bei sich hatte, deren Magie enorm und deren Herzen anfällig und verletzlich waren, um ihm bis in den Tod hörig zu sein.

„Also sehnst du dich noch immer nach ihm? Wünschst dir, von ihm so angesehen zu werden wie Suzaku? Spürst wie einst das Verlangen in dir keimen bei der Vorstellung, seine Augen würden einzig und allein auf dir ruhen, du wärest derjenige, dem er sein herrlichstes Lächeln schenkt oder seine Küsse?"

„Ja....JA!!!" schrie es verzweifelt in Iras. „Ich....ich...."

„Ja, mein treuer Ritter. Sag es! Sag es, und du wirst dich gleich viel besser fühlen....!"

„....ich....Ich hasse Suzaku....!!"

„Möchtest du ihn am Boden sehen?"

„....Ja."

„Vernichtet, unglücklich, als ein bedauernswertes Häuflein Elend?"

„Ja!!"

„Möchtest du ihn als einen Schatten seiner Selbst erleben, seiner großen Liebe beraubt?"

„JA!!!"

„Hmmm....das läßt sich einrichten...."

Die Stimme verschwand aus Iras‘ Kopf, aber Hades beobachtete dennoch die Vorgänge mittels seiner Kristallkugel. Die Tränen waren versiegt, und die wenigen, die zurückgeblieben waren, hatten sich wieder in reines, kaltes Eis verwandelt. Die hellblauen Augen versanken in tiefer Schwärze und Talas Ich wurde erbarmungslos wieder in die Abgründe der Finsternis verbannt. Der Dunkle Fürst rieb sich zufrieden das Kinn und brach anschließend in ein irres Gelächter aus.
 

Niemand hatte etwas von der inneren Auseinandersetzung bemerkt, denn alle scharten sich erschrocken um Bryan. Daichi untersuchte die Wunde genau und erklärte: „Er lebt noch, aber er hat viel Blut verloren. Außerdem müssen wir schnell machen, wenn wir sein Leben retten wollen. Ich werde ihn ins Krankenhaus teleportieren, so sparen wir wertvolle Zeit! Zur Seite!"

Hades‘ Lachen war schlagartig verstummt. Dass der Windwächter noch lebte, war äußerst ärgerlich - aber dem konnte man Abhilfe schaffen. Es war nicht sonderlich kompliziert, in eine Klinik einzudringen....

Der Rothaarige verschwand in einem Lichtblitz, der Russe mit ihm. Lee seufzte auf und wandte sich seinem Liebsten und seinen Mitstreitern zu. „Wir sollten auch abhauen! Erschaffen wir ein Dimensionstor und verduften! Wenn ich noch länger in dieser finsteren Gruft hocke, gehe ich ein wie eine Primel!"

Seine unbekümmerte Art entspannte die Atmosphäre ein wenig und die fünf Wächter stellten sich im Kreis auf, um ihre Energien zu sammeln.

„Feuer!!" (Sol, Lee, Raul)

„Wasser!!" (Leviathan, Carlos)

Der Sog erschien und transportierte sie zurück zu ihrem Ausgangspunkt, der kleinen Tempelanlage. Diesmal jedoch waren zwei fehlgeleitete Freunde mit von der Partie, auf deren Ankunft die übrigen Hüter schon ungeduldig warteten. Iras blickte ihnen eine Weile nach, bis seine Lippen sich zu einem hinterhältigen Grinsen verbreiterten.

>>Verräter sind keiner Gnade wert! Ihr werdet für eure Frechheit bezahlen, Sol und Leviathan! Nehmt euch also besser vor, mich zu töten....denn sonst....werde ich euch töten! Und was Seiryuu und Suzaku betrifft - wenn Deimos das Band zwischen ihnen erst einmal zerstört hat, wird der schöne Drache endlich mein sein!!<<
 

Die Wassersäulen senkten sich und versickerten in der Erde. Vor dem überraschten Ritter des Hasses erhob sich eine beeindruckende Gestalt: Dunkelgrüne Schuhe, darüber vergoldete Panzerteile für die Fußknöchel, danach folgte eine hellgrüne Hose. Dann kam die Rüstung, ebenfalls vergoldet; sie umschloss den muskulösen Oberkörper sicher und fest, am Rücken war außerdem zusätzlich ein Schild befestigt, das dem Panzer einer Schildkröte ähnelte. Im Bedarfsfall konnte er es einfach abnehmen und zur Verteidigung benutzen. Die Arme waren bedeckt von den Teilen des unter der Rüstung befindlichen Gewands; es war dunkelgrün und die Ärmel fielen mit weitem Schlag bis zu den Handgelenken, wo hellgrüne Armschützer sie zusammenhielten. Die Schulterplatten waren ebenfalls von den Schildkröten inspiriert, das Perlenstirnband komplettierte seine Erscheinung. An seiner Hüfte funkelte ein prachtvolles Schwert, dessen Griff in Gold- und Grüntönen lackiert war, in der Mitte prangte ein Smaragd in Form einer Muschel und bei den Bemalungen handelte es sich um fein gezeichnete Wellenmuster. Die Scheide war aus farblich passendem Leder, mit ähnlichen Kunstwerken verziert, zwischen den goldgestickten Wogen und Fontänen entdeckte man Perlen und Blumen, wie etwa Seerosen. Seiryuu rief begeistert: „Genbu!!"

Deimos war augenscheinlich nicht halb so angetan wie der Prinz des Windes. Seine Überraschung hatte dazu geführt, dass er für einen Moment unachtsam war und seine Folter unterbrach. Genbu nutzte dies, trat zwischen den Krieger der Verdammnis und den ohnmächtigen Byakko und stieß hervor: „Ich werde nicht weiter zusehen, wie du ihn quälst! Niemand wagt es, den Mann zu verletzen, den ich liebe! Stille Wasser sind tief, Deimos - traust du es dir zu, dich mit diesen Untiefen zu messen?!"

Der Orangehaarige war erfahren genug, um zu wissen, dass man die Geduld eines Wasserwächters nicht strapazieren sollte, denn man konnte einen Damm dabei brechen, der eine schäumende Sturzflut enthemmte, die unweigerlich alles unter sich begrub. Die Tatsache, dass der Zauber der Blume des Vergessens nach der Metamorphose seine Wirkung verloren hatte, beruhigte ihn genauso wenig, denn das hieß, dass Genbu eindeutige Erinnerungen mit ihm verband. Er hatte nicht mehr viel Zeit zum nachdenken, da ihn plötzliche eine gigantische Welle traf und ihn gegen den Dojo schleuderte wie einen hilflosen Ertrinkenden. Er spuckte und würgte, als er spürte, wie seine nasse Kleidung (bzw. das, was davon übrig war) Eiskristalle ansetzte. Er begann zu frieren, seine Wunden wurden taub und seine Glieder nach und nach empfindungslos, auf seiner Haut bildetete sich eine Schneeschicht. Allerdings war Zeus nicht untätig. Die Kreatur attackierte Genbu mit ihren Krallen und der Hüter von Draciel überlebte die Angriffe nur, weil er gleich seinem Element flink war und jedes Hindernis elegant umschiffte.
 

Zwischen seinen Sprüngen wehrte er sich mit einem Hagel aus Eissplittern, von denen einer Zeus‘ linkes Auge durchstach. Das Wesen brüllte laut auf und hieb mit seiner Rute nach dem Prinzen, aber dieser blockte den Schlag mit einer Wassermauer ab. Deimos torkelte indessen auf Seiryuu zu und der Blauhaarige stand über Suzaku, als er sein Schwert mit dem des Ritters kreuzte. Die Kontrahenten waren beide nicht mehr sonderlich belastbar und so wurde jeder Kampfwechsel zu einer mühseligen Angelegenheit. Dann packte der Krieger des Hasses auf einmal den Arm seines Gegners und lächelte ihn spöttisch an. Genbu registrierte die Lage und entsandte ein Geschoss aus zusammengestauchten Wassermassen. Bevor es jedoch treffen konnte, krachte ein Blitz zwischen den zwei Duellanten hernieder und verursachte eine Explosion von greller Helligkeit. Als man wieder etwas sehen konnte, waren Zeus und sein Herr wie vom Erdboden verschluckt. Der Himmel klarte auf und die Sonne kam hervor. Seiryuu lag bewusstlos neben dem Hüter des Heiligen Phönix. Hiro rappelte sich hoch und lehnte sich betrübt an einen Baum.

„Was ist mit dir?"

„Max....ach nein, Genbu....ich....Verzeih. Ich war euch keine Hilfe. Als alles hier von Magie erfüllt war, konnte ich mich kaum richtig bewegen. Eine so starke Konzentration von übernatürlichen Kräften habe ich heute zum ersten Mal erlebt....es hat mich förmlich erdrückt! Ich wollte euch so gerne beistehen, aber den Rest der Schlacht konnte ich nur wehrlos zusehen! Wenn ich doch bloß....irgendeine Zaubergabe besässe! Ich fühle mich so nutzlos! Diese ganze Sache ist zu groß für mich....es war mir nicht bestimmt, ein Bluterbe zu sein, also wäre es wohl klüger, ich würde mich heraushalten....aber...."

„Aber du willst uns nicht im Stich lassen, nicht wahr? Du warst fantastisch heute, Hiro! Niemandem gelingt es so fabelhaft wie dir, Deimos Parole zu bieten! Wenn du erfolgreich bist, ist die Demütigung für ihn umso bitterer, weil du ‚nur‘ ein Mensch bist. Du magst kein Wächter sein, doch du verfügst über deine eigene Art von Magie: Deinen Mut, zum Beispiel, denn nur wenige sind wirklich tapfer. Oder dein starker Wille. Krampfhaft zu versuchen, etwas Außergewöhnliches zu sein, das man eigentlich nicht ist, hat kaum einen Sinn. Derjenige aber, der sich selbst treu bleibt, ist in sich etwas Außergewöhnliches. Und jetzt....könntest du bitte einen Krankenwagen rufen? Ray braucht einen Arzt...."

„Alles klar!" Der 24jährige wandte sich zum Gehen. „Ach, und Genbu....? Danke."

„Gern geschehen."
 

Mr. Dickenson hatte ein bisschen seine Beziehungen spielen lassen, und so waren Miguel und Ray im selben Zimmer untergebracht worden. Bryan befand sich auf der Intensivstation, aber viel Hoffnung hatten die Ärzte nicht. Der ehemalige Hohepriester wirkte noch älter als sonst, Sorgen prägten seine würdigen Züge und er fühlte sich sichtlich unbehaglich unter den abwartenden Blicken von Tyson, Max und Kai. Die zwölf Gesandten des Ordens von Eden waren gleichfall anwesend, nachdem man Garland und Mystel herzlichst willkommengeheißen hatte. „Was ist....mit Tala?" erkundigte sich der in Ehren ergraute Herr.

„Ich glaube, für einen Moment konnte er Iras‘ Ego überwinden, aber ich bin sicher, dass Hades dieses kurze Aufbäumen rasch wieder im Keim erstickt hat!" erklärte Daichi und biss sich wütend auf die Lippen. Er kam sich so schrecklich unfähig vor! Warum hatte er die Attacke des Ritters nicht vorhergesehen? Er hätte doch verhindern können, dass Bryan lebensgefährlich verletzt wurde - oder nicht? Carlos legte ihm schüchtern den Arm um die Schultern und der Jüngere schmiegte sich behutsam an ihn. Er musste endlich seine Rolle in dieser Geschichte offenbaren....

Wenn ein Herz schmerzt

Danke für Eure Kommis, liebe Leser! Ich hätte gerne schon früher einen neuen Teil on gestellt, aber ich hatte leider für einige Zeit keinen Zugriff aufs Internet. Jetzt aber bin ich wieder da - hier ist also das nächste Kapitel!^^ Viel Spaß!
 

Kapitel 20: Wenn ein Herz schmerzt
 

„Die Herren Kon und Rodriguez können jetzt Besuch empfangen." sagte die Krankenschwester, und die Delegation aus dem Wartezimmer machte sich auf den Weg. Claude eilte sofort an die Seite seines Liebsten, dessen Arm geschient und bandagiert war.

„Wie fühlst du dich, mon chér?"

„Na ja....es ist mir schon besser gegangen....Was ist passiert, nachdem ich fort war?"

Der Franzose erzählte ihm, was sich zugetragen hatte, nachdem sie beide die Höhle des Löwen verlassen hatten. Raul hatte ihm alles ausführlich berichtet und Claude war anfangs nicht sicher gewesen, ob er Miguel damit belasten durfte, aber da er nun einmal fragte....und er duldete keine Schonung, wenn sie seiner Meinung nach unangebracht war. Die Züge des Mexikaners wurden ernst.

„Wird Bryan....sterben?"

„Das wissen wir noch nicht, aber die Ärzte sind nicht sehr zuversichtlich. Seine Chancen stehen schlecht, aber ein endgültiges Urteil hat noch keiner abgegeben."

„Wie furchtbar", murmelte Ray, der traurig zugehört hatte. „Falls Tala je wieder er selbst sein sollte und Bryan es wirklich nicht überlebt....wie wird er dann damit umgehen, dass er seinen besten Freund getötet hat? Ich wage mir das gar nicht vorzustellen....was ist mit dem Kampf gegen Deimos? Haben wir gewonnen?" Max schob sich in den Vordergrund des Geschehens.

Er lächelte den Chinesen an und in seinen blauen Augen schimmerte Erkennen und das Wissen um ein Dasein, das er vergessen hatte.

„Max! Du....du...."

„Ja, Ray. Ich kann mich wieder erinnern. Ich nehme an, dass die Verwandlung das bewirkt hat."

„Die Verwandlung? Soll das heißen, du hast dich in Genbu verwandelt?"

„Genau. Ich ertrug den Gedanken nicht, dich zu verlieren....da hat Draciel zu mir gesprochen und ich....ich war auch endlich dazu bereit, zu kämpfen. Nicht nur für dich, sondern für alle, für diese Welt. Aber mein erster Impuls war....dich zu beschützen." Er wurde rot.

„Du hast....mich gerettet? Ich danke dir."

„Das war doch nichts besonderes. Du hast mich auch gerettet, als Deimos die Windattacke benutzt hat, um mich anzugreifen. Du hast dich einfach dazwischen geworfen, du Idiot....obwohl du doch verletzt warst! Und als er dich gequält hat, dieser Bastard....ich dachte, mein Herz würde stehen bleiben! Ich will das nicht noch einmal erleben!"

Einzig seinem Gefühl folgend, umarmte er den anderen und Mr. Dickenson wiegte schmunzelnd den Kopf. Er komplimentierte die übrigen Anwesenden freundlich hinaus und Claude zog verständnisvoll die Vorhänge zu, die das Bett von Miguel von dem des Chinesen abschirmten. Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und malten goldene Reflexe in das blonde Haar des Jüngeren. Ray war verwirrt und verlegen und wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Schließlich aber erwiderte er die Umschlingung, stumm, ein wenig zitternd, unfähig, die zahlreichen Emotionen zu kontrollieren, die in ihm tobten. Von Max strömte eine wunderbare Wärme auf ihn über, er roch seinen Duft nach Sommer und sog ihn tief bis in seine Lungen. Der Amerikaner war äußerst umsichtig in seiner Berührung, darauf bedacht, ihn nicht zu fest zu drücken. Sein Gesicht ruhte in Rays Halsbeuge und sein heißer Atem streifte seinen Nacken. Ihre Herzen schienen im selben Rhythmus zu schlagen und sie lauschten diesem Pochen, das so offen von ihren Empfindungen erzählte. Nach einer Ewigkeit (so kam es ihnen zumindest vor) löste sich Max von ihm und strich ihm zärtlich eine Strähne des langen seidigen Haares aus der Stirn. Seine Wangen waren noch immer von rosiger Farbe, als er fragte: „Ray....verrate mir eines: Wenn man....wenn man in deiner Heimat seine Liebe gesteht....was sagt man dann?"
 

Der Ältere erwiderte zunächst nichts, so überrascht war er. Glück erfüllte seine schmerzenden Glieder, seine Kehle wurde trocken und die Stimme war kaum lauter als ein Flüstern: „Auf Chinesisch....ich meine, auf Mandarin (die am häufigsten gesprochene Form des „Chinesischen") sagt man ‚Wo ai ni‘...."

Der Achtzehnjährige schluckte und neigte sich zu ihm vor: „Also....Wo....ai....ni."

Seine Augen leuchteten dabei; in ihnen standen all die machtvollen Gefühle, für die es nur die drei kleinen Worte gab. „Weißt du auch, wie man bei uns sagt?" hauchte er sanft. Ray nickte leicht, bettete seine rechte Hand im Nacken des anderen und zog ihn zu sich herunter, bis ihre Lippen sich fast berührten. Sehnsuchtsvoll und fordernd klang es, aber zugleich auch unendlich zärtlich.

„I....love....you."

Sie blickten einander an und ihre Lippen vereinten sich. Anfangs war es ein tastender, suchender Kuss, aber bald wurde er verlangender, inniger. Der Neunzehnjährige bat um Einlass, und als Max sich ihm öffnete, erforschte er einfühlsam und behutsam die noch fremde Mundhöhle. Er animierte den Blonden, es ihm gleichzutun, und der Amerikaner ließ sich nach und nach auf das sinnliche Spiel ein. Sie trennten sich erst, als ihnen die Luft knapp wurde und der Amerikaner wirkte ein wenig beschämt. Er hatte noch nie jemanden so intensiv geküsst und spürte ein Verlangen in sich aufsteigen, das seinem noch unberührten Körper völlig fremd war. „Ich bin froh, dass du dich auch endlich verwandelt hast. Jetzt können wir gemeinsam gegen Hades kämpfen und das Gleichgewicht der Schöpfung wiederherstellen."

„Ja. Allerdings würde mich interessieren, was Daichi mit der ganzen Sache zu tun hat."

„Ach ja, richtig - er hat eine nicht zu unterschätzende Rolle während der Mission in der Unterwelt gespielt. Er hat einen Bannkreis errichtet, nicht wahr? Das gehört meines Wissens zu den Magien der höchsten Ebene."

„Das ist korrekt. Hohes Level ist den vier Prinzen vorbehalten, also uns beiden, Tyson und Kai, sowie den Priestern und Gelehrten von Eden. Mittleres Level wird von den Mitgliedern des Ordens vertreten, den Bluterben; sie verkörpern das Machtpensum gewöhnlicher Wächter. Niedriges Level findet man bei den Hütern in Ausbildung."

„Daichi besitzt ein Bit Beast, Strata Dragoon. Trotzdem erscheint es mir unwahrscheinlich, dass er ein Wächter ist, seine Zauberkraft ist viel zu stark dafür."

„Dem stimme ich zu!"

„Hä?!"

Der Vorhang wurde zur Seite geschoben und Claude mischte sich in das Gespräch des frisch zusammengefundenen Liebespaares ein. Miguel musste grinsen, da Max und Ray schlagartig rot anliefen, als ihnen bewusst wurde, dass die beiden die ganze Zeit über im Zimmer gewesen waren, während sie einander ihre Gefühle gestanden hatten.
 

„Hättet ihr nicht rausgehen können?" erkundigte sich der Chinese angesäuert. Der Franzose lächelte verschmitzt. „Was hätte das geändert? Miguel ist schließlich ein Patient und wäre zwangsläufig hier geblieben. Und ich kann ihn nun mal nicht allein lassen." fügte er zärtlich hinzu, was den Mexikaner dezent erröten ließ.

„Kann ich die anderen wieder hereinholen? Ich glaube, Daichi hat uns etwas zu sagen."

So war es tatsächlich. Mr. Dickenson musterte den Fünfzehnjährigen freundlich und nickte ihm aufmunternd zu. Der Rothaarige trat von einem Fuß auf den anderen, unsicher und etwas zerknirscht, da Carlos ihn durchdringend ansah. Er erwartete eine Antwort, wie alle.

„Damals in Eden gab es nicht nur Wächterfamilien, sondern auch Clans, deren Abkömmlinge nicht zu Kriegern oder Hütern im eigentlichen Sinne ausgebildet wurden, sondern zu Priestern oder Gelehrten. Später waren sie in diesen Positionen dafür verantwortlich, diejenigen in Magie und Schwertkampf zu unterweisen, denen eines Tages der Schutz des Reiches obliegen würde, also den Hütern, die mit einer Kreatur verbunden waren. Die Kaste der Priester und Gelehrten hat sich aus den fahrenden Lehrmeistern entwickelt, die durch die Lande zogen und talentierte Jungen und Mädchen als Schüler annahmen. Beide Berufsgruppen waren in Eden sehr angesehen. Sol zum Beispiel war als umherreisender Lehrmeister tätig, ehe er die Stelle als rechte Hand von Prinz Suzaku erhielt. Und genauso wie die Wächter in die Menschenwelt flohen, als Hades Eden zerstörte, gelang es auch einigen Priestern und Gelehrten, auf die Erde zu entkommen - und auch sie verliebten sich, heirateten und gründeten Familien. Eine der größten Familien, deren Wurzeln bis in die Vergangenheit zurückreichen, ist die der Sumeragi."

„Sumeragi? Warte mal - heißt du nicht so mit Nachnamen?" warf Carlos ein.

„Genau. Ich bin zur Zeit der persönliche Schüler von Mr. Dickenson, Verzeihung, ich meine, von Diomedes. Ein zukünftiger Hohepriester und Zaubermeister."

Es hätte nicht viel gefehlt, und dem schwarzhaarigen Spanier wäre der Unterkiefer bis zum Boden gekracht. Fassungslos starrte er den jugendlichen Heißsporn an. Kenny, der als guter Freund mit von der Partie war, ebenso Hiro, Tyson, Kai, Ray und Max staunten den ehemals so vorlauten und hitzigen „Bengel" an wie das achte Weltwunder (wenngleich man es dem kühlen Russen nicht deutlich anmerkte, er beschränkte sich wie üblich auf ein skeptisches Hochziehen der Augenbrauen.). „Ich habe euch das deshalb nicht schon früher erzählt, weil ich mich in der Unterwelt eingeschlichen hatte, um die Umgebung auszukundschaften. Ich befürchte nämlich, dass die Entscheidungsschlacht auf Hades‘ eigenem Gebiet stattfinden wird....schon allein aus dem Grund, dass dabei keine unbeteiligten Menschen in den Kampf mit hineingezogen werden. Es kann uns also nur nützlich sein, das Land des Feindes zu kennen."
 

Der Präsident der BBA räusperte sich und erklärte: „Das ist wahr, dennoch war ich äußerst besorgt. Ich bin froh, dass du heil zurückgekehrt bist. Im Moment sind wir aber noch nicht bereit für einen Code O! Bryan ringt um sein Leben....Brooklyn und Tala befinden sich nach wie vor unter Hades‘ teuflischem Einfluss....und wir haben weitere Verletzte zu beklagen, etwa Miguel, Ray und auch Kai und Tyson, die beide den Kampf gegen Deimos zum Glück relativ glimpflich überstanden haben. Oder nicht?"

„Seien Sie beruhigt", erwiderte der Graublauhaarige, „....abgesehen von einem Bluterguss am Rücken bin ich nicht verwundet worden. Ich war lediglich völlig erschöpft, weil Suzaku all seine Kraftreserven verbraucht hat, um Seiryuu und die anderen zu schützen."

„Wobei ich ihn nicht darum gebeten habe", kam es trocken von dem Japaner und Kai wandte sich überrascht zu ihm um.

„Was redest du da? Du weißt genau, dass er es niemals zuließe, dass dir etwas passiert. Suzaku sieht in dir immer noch Seiryuu; er liebt dich. Wie hätte er sich sonst verhalten sollen?"

„Warum sprichst du von dir selbst in der dritten Person?"

„Ich spreche nicht von mir selbst, Tyson! Ich bin nicht Suzaku! Hör auf, mich mit diesem Playboy in einen Topf zu werfen!"

„Du bist seine Reinkarnation, verdammt! Warum kannst du nicht begreifen, dass eure Seelen zusammengehören, miteinander verschmelzen müssen?!"

„Darauf verzichte ich dankend! Er ist mir lästig, sonst gar nichts!"

„Du kapierst es nicht! Glaubst du ernsthaft, du könntest den Rest deines Lebens mit einer zweigeteilten Seele verbringen? Du musst dein Alter Ego akzeptieren und eins mit ihm werden!

Vielleicht würde dir das auch dabei helfen, besser mit deinen Gefühlen umzugehen!"

„Das ist das letzte, was ich mir wünsche! Wenn es Suzaku nicht gäbe, würde ich mich gar nicht an dieser verfluchten Weltenretter-Farce beteiligen! Mich interessiert weder die Vergangenheit, noch die Zukunft! Ich existiere im Jetzt, in der Gegenwart, und diese ganze Heldennummer ist in meinen Augen lächerlich!"

„Lächerlich?! Wenn du im Jetzt, in der Gegenwart, nicht kämpfst, um Hades zu besiegen, dann wirst du dir selbstverständlich keine Gedanken mehr über deine Zukunft machen müssen, weil du dann keine mehr hast! Bryan ist lebensbedrohlich verletzt worden, wir haben schlimme Gefechte hinter uns und du wagst es, das alles eine Farce zu nennen?!"

„Hör zu, Tyson: Ich wiederhole mich ungern, aber da du mich offensichtlich nicht verstehen willst....Ich habe nichts, für das es sich zu kämpfen lohnt! Die einzigen Dinge, die mir auf dieser Welt begegnet sind, waren Einsamkeit, Schmerz, Verzweiflung, Hass! Ich habe mir geschworen, für nichts und niemanden tiefere Gefühle aufkommen zu lassen, um nicht erneut betrogen und verraten zu werden! Auch wenn Hades Boris ist....ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben! Er gehört zu einem Teil meines Lebens, den ich hinter mir gelassen habe! Er ist ein abgeschlossenes Kapitel! Verschone mich also mit diesem Unsinn!"

Mr. Dickenson, der nahe daran war, mal ein paar bedeutsame Takte mit dem Russen zu wechseln, kam nicht dazu, denn in die gespenstische Stille hinein, die von Kais Worten ausgelöst worden war, knallte eine schallende Ohrfeige.

Der Zwanzigjährige taumelte zurück und hielt sich die Wange, auf der sich ein rötlicher Streifen abzuzeichnen begann. Seine rubinfarbenen Augen hatten sich geweitet. Der Hüter von Dragoon senkte seine rechte Hand und betrachtete seinen Gegenüber zornig.

„Du maßt dir an, so etwas zu sagen?! Die Bilder, die wir in unseren Träumen gesehen haben.... der Kummer, das Leid, die Trauer, das Entsetzen, die Grausamkeiten....war das alles belanglos für dich?! Die Schlachten, die wir bisher durchgemacht haben, in denen wir unser Vertrauen zueinander bewiesen haben, sind sie dir egal?! Spielt es für dich keine Rolle, dass einer der unseren mit dem Tod ringt?! Noch dazu Bryan, mit dem du doch befreundet bist - oder es jedenfalls warst! Und die seltenen und dafür umso kostbareren Momente, in denen wir einander die Herzen öffneten? Was waren sie für dich?! Gefühlsduselei?! Albernheit?! Schwäche?! Wie kann man nur so verbohrt und egoistisch sein?! Du enttäuschst mich, Kai! Dein arrogantes Gesicht....mir wird schlecht!!" Damit rauschte er hinaus und ließ eine betretene Menge zurück.

Kai war wie betäubt, er stand einfach nur da und war so bleich geworden, dass Kenny schon befürchtete, er würde jede Minute zusammenbrechen. Als er endlich aus seiner Trance erwachte, meinte er leise: „Ich....gehe dann wohl besser. Wir sehen uns." Er schob die Tür hinter sich zu und seine Schritte verhallten im Flur.

Es blieb lange still, bis Garland sich an den alten Herrn wandte. „Sie erwähnten vorhin einen Code O. Was ist das?"

„Der Code Omega. Dieser Code bedeutet so viel wie die endgültige Offensive, die letzte Entscheidungsschlacht gegen Hades, der alle Wächter auf diesem Planeten zusammenruft, um eine Armee gegen die Mächte des Bösen zu bilden. Die Mobilmachung, wenn man es so ausdrücken will."

„Ich verstehe...."

„Code Omega hin oder her, was ist mit Tyson? Ich habe ihn noch nie zuvor so wütend erlebt!" rief Max aus. „Ich will nicht bestreiten, dass er recht hatte, aber dass er Kai vor uns allen dermaßen abgekanzelt hat, passt nicht zu ihm. Geheimnistuerei ist nicht seine Sache und er hätte ihm ohnehin irgendwann direkt ins Gesicht gesagt, wie falsch er seine Haltung findet - aber nie hätte er Kai vor versammelter Mannschaft so bloßgestellt! Ty ist temperamentvoll und sehr geradeheraus, aber nicht gemein! Was ist nur in ihn gefahren?!"

„Gute Frage...."
 

Der Russe wanderte ziellos durch die Straßen von Tokyo. Suzaku, dessen geisterhafte Erscheinung neben ihm einherschritt, blickte ihn verstohlen von der Seite an. Sein Herz schmerzte, verletzt von den Worten des Blauhaarigen, auch wenn der Japaner Kai und nicht ihn angeschrieen hatte. Dennoch konnte er spüren, dass seine Wiedergeburt trotz allem Stolz nicht immun gegen das eben Geschehene war, zumal die Ohrfeige auf seiner Wange noch immer unangenehm brannte.

„Was hast du denn erwartet?" wagte er einen Vorstoß. „Dass er sich darüber freut, dass du den verbitterten Einzelgänger und einsamen Wolf heraushängen lässt? Er liebt dich zwar, und bisher hat er dir alle deine törichten Fehler verziehen....doch damit ist jetzt Schluss, du hast den Bogen eindeutig überspannt. Sein Geduldsfaden ist gerissen, und mich persönlich wundert das gar nicht, obwohl es mich selbst sehr getroffen hat. Das hier ist kein Spiel, verdammt! Wann kapierst du endlich, dass du deine Augen nicht ewig vor der Wahrheit verschließen kannst? Du bist ein Teil dieser Geschichte, die vor zehntausend Jahren begonnen hat, ob es dir gefällt oder nicht! Du kannst nicht ständig vor deinem Schicksal davonlaufen - oder vor deinen Gefühlen!"

„Lass mich zufrieden!"

„Oh nein, dieses Mal wirst du deine Lauscher aufsperren, ich habe es nämlich gründlich satt, gegen deinen Dickkopf anzurennen! Ich mag deine Sturheit eigentlich, da du mir darin gleichst, aber es reicht jetzt! Jeder Idiot hätte in der Zwischenzeit gemerkt, dass du in Tyson verliebt bist, bloß du verleugnest es nach wie vor!"

„Hör auf damit, ich will es nicht hören!!"

„Du willst mir also erzählen, dass dich seine Strafpredigt total kalt gelassen hat? Natürlich, du stehst ja über allem!"

„....Es ist mir egal, was er von mir denkt! Soll er doch den großartigen Weltenretter spielen, wenn es ihm Spaß macht!"

„Spaß??? Glaubst du etwa, er würde kämpfen, weil es ihm Spaß macht??? Er kämpft, um die Menschen zu schützen, die ihm wichtig sind! Er kämpft, um diesen Planeten zu schützen, den er als seine Heimat anerkennt! Auch du lebst auf diesem Stern, aber du wirst untergehen, wenn dir alles gleichgültig ist! Und außerdem bezweifele ich, dass es dich wirklich nicht interessiert, was er über dich denkt! Er liebt dich von Herzen, doch deine Einstellung hat ihn schwer enttäuscht! Mich auch, wenn ich ehrlich bin."
 

Kai antwortete nicht. Er lehnte sich an ein Geländer, unter ihm brandete der Verkehr. Ein sanfter Wind kam auf und wirbelte sein Haar durcheinander. „Er kann mich doch gar nicht lieben!" stieß er plötzlich hervor. „Er behauptet es, ja....aber es ist unmöglich! Was habe ich denn je für ihn getan?! Alles, was ich jemals fertiggebracht habe, war, ihn zu verletzen, ihn im Stich zu lassen, ihn traurig zu machen! Er war mir immer ein Freund....der beste, den ich je hatte....und ich habe es ihm nie vergolten! Jemanden wie mich kann man gar nicht lieben!"

Suzaku hielt kurz inne, erschrocken, überrascht, ehe er seiner Reinkarnation die Hand auf die Schulter legte. „Das ist es also? Du weigerst dich, seine Liebe anzunehmen, weil du davon überzeugt bist, sie nicht zu verdienen? Ach Kai....was bist du nur für ein dummer Junge...." Er seufzte leise, schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenn ich das geahnt hätte, mir wäre vieles klarer geworden...."

„Woran erkennt man....dass man verliebt ist?"

„Das ist nicht einfach zu erklären....Wenn du zum Beispiel an deine Freunde denkst, an Ray, Max und Kenny, was empfindest du da?"

„Ich weiß nicht genau....es....ist ein warmes Gefühl....das Wissen, dass ich diesen Menschen vertrauen kann....dass ich mit ihnen reden kann....Ich tue es selten, zugegeben. Aber allein die Sicherheit zu haben, dass da jemand ist, mit dem ich sprechen, zu dem ich kommen kann...."

„Tut dein Herz dabei weh?"

„Nein. Es ist mehr wie ein Gefühl von....Nähe....und Verbundenheit....kein Schmerz."

„Und bei Tyson?"

„Ich....weiß es nicht....nicht genau, jedenfalls. Ich bin gern mit ihm zusammen, ich kann ihm selbst Dinge sagen, die die anderen nie von mir erfahren würden....vielleicht, weil er einfach zuhört, ohne zu versuchen, mir irgendwelche Ratschläge zu erteilen, die ich nicht gewollt habe. Er kennt mich recht gut, glaube ich....Es....ist auch ganz schön, an ihn zu denken....Klar, er hat eine freche Art, und früher hat mich sein kindisches Verhalten genervt und sein riesenhafter Appetit....aber er war auch der einzige, der mir ein Lächeln abringen konnte."

„Hast du über ihn gelächelt oder mit ihm?"

„....Mit ihm. Tyson hat seine Schwächen nie kaschiert oder abgestritten, wenn man ihn mit der Nase darauf stieß....Und wenn er einmal begriffen hatte, dass er sich falsch benommen hatte, hat er sich selbst nie geschont....und er war immer anständig und mutig genug, um sich offen vor jedem zu entschuldigen, dem er wehgetan hatte. Den wenigsten ist vermutlich bewusst, wie bewundernswert das ist. Ich selbst habe viele Fehler begangen....aber ein Wort der Entschuldigung kam nie über meine Lippen. Wie auch? Man hatte mich gelehrt, dass Fehler unverzeihlich sind. Hm....Tyson ist stärker als ich, innerlich."
 

„Schmerzt es?"

„Was meinst du?"

„Das, was er dir vorhin an den Kopf geworfen hat."

Kai drehte sich weg, mit einem Mal irritiert und scheu. Er fuhr mit seinen Fingern die Spur der Ohrfeige nach, erinnerte sich an die harten Worte, die der Jüngere ihm entgegen gebrüllt hatte.

„Du maßt dir an, so etwas zu sagen?! Die Bilder, die wir in unseren Träumen gesehen haben.... der Kummer, das Leid, die Trauer, das Entsetzen, die Grausamkeiten....war das alles belanglos für dich?! Die Schlachten, die wir bisher durchgemacht haben, in denen wir unser Vertrauen zueinander bewiesen haben, sind sie dir egal?! Spielt es für dich keine Rolle, dass einer der unseren mit dem Tod ringt?! Noch dazu Bryan, mit dem du doch befreundet bist - oder es jedenfalls warst! Und die seltenen und dafür umso kostbareren Momente, in denen wir einander die Herzen öffneten? Was waren sie für dich?! Gefühlsduselei?! Albernheit?! Schwäche?! Wie kann man nur so verbohrt und egoistisch sein?! Du enttäuschst mich, Kai! Dein arrogantes Gesicht....mir wird schlecht!!"

Du MAßT dir an, so etwas zu sagen?!

Der Kummer, das Leid, die Trauer, das Entsetzen, die Grausamkeiten....war das alles BELANGLOS für dich?!

Spielt es für dich KEINE ROLLE, dass einer der unseren mit dem Tod ringt?!

Die seltenen und dafür umso kostbareren Momente....

Was waren sie für DICH?!

Gefühlsduselei?! Albernheit?! SCHWÄCHE?!

Wie kann man nur so VERBOHRT und EGOISTISCH sein?!

Du ENTTÄUSCHST mich, Kai!

Dein ARROGANTES Gesicht....mir wird SCHLECHT!

Die einzelnen, bedeutsamsten Worte schienen sich aus der Rede herauszulösen, immer lauter und bedrohlicher zu werden, während sie wie ein scheußliches Echo in seinen Ohren widerhallten. Tysons zorniger, verächtlicher Blick drang zurück in seinen Geist, vermischte sich mit dem Echo, tanzte durch seinen Kopf, ließ ihn erschauern.

Du maßt dir an....!

....War das alles belanglos....?!

Spielt es für dich keine Rolle....?!

Was waren sie für dich....?!

....Schwäche....?!

Verbohrt....egoistisch....!

Du enttäuschst mich....!

Dein arrogantes Gesicht....!

Mir wird schlecht....!

„JA, VERDAMMT!!!" brach es abrupt aus Kai heraus und Suzaku zuckte zusammen. „Ja, es schmerzt....!! Die Ohrfeige ist harmlos....aber dass er mir so etwas sagen kann....dass er mich so ansehen kann....Das ist es, was schmerzt! Ich fühle mich so...."

Der Prinz des Feuers gebot dem Russen, sich zu ihm umzuwenden. Der Zwanzigjährige gehorchte widerstrebend, gestattete nur widerwillig, dass der andere sein Kinn anhob, um seine Züge genauer studieren zu können. Eine einzige Träne rann über Kais blasse rechte Wange und der Hüter des Heiligen Phönix wischte sie behutsam fort.

„....unglücklich?" vollendete er den Satz. Sein Gegenüber schwieg. „Lass uns zum Dojo zurückkehren. Du musst mit ihm reden."
 

Nach einer zehnminütigen Busfahrt waren sie am Gebäude der Schwertkampf-Schule angelangt. Kai vernahm heftiges Keuchen und eilte in den Garten, wo der neunzehnjährige Kendoka damit beschäftigt war, Schläge gegen einen unsichtbaren Feind zu führen. Als er den Älteren entdeckte, verfinsterte sich seine Miene.

„Du." Es klang kalt und abweisend und Kai verspürte einen Stich. „Was willst du? Ich trainiere gerade. Du störst!"

„Tyson....können wir nicht darüber reden? Du magst Bryan und dass er so gefährlich verletzt worden ist, ist sicher ein Schock für dich, zumal er dir in deiner Vergangenheit ein treuer Freund gewesen ist....doch das ist kein Grund, es an mir auszulassen!"

„Es geht hier nicht um Bryan, verflixt! Es geht um dich und deine Einstellung! Egal, was du getan hast, ich habe dir immer verziehen....aber jetzt will ich nicht mehr! Na schön, du hast vielleicht niemanden, um dessentwillen du diese Erde verteidigen möchtest, aber deine Weigerung, dein Schicksal zu akzeptieren, ist das letzte! Du läufst lieber weiter davor davon, anstatt es anzunehmen!! Du bist ein Feigling! Diese Angelegenheit betrifft nicht nur dich, sondern uns alle, die gesamte Menschheit, denn wenn wir nicht kämpfen, dann ist es aus!!"

„Ich....ich kann nicht für eine Welt kämpfen, die mir nur Leid gebracht hat!"

„Sind dir deine Freunde etwa so gleichgültig?! Bin ICH dir gleichgültig?!"

„Nein! Aber...."

„Was ist? Noch mehr Ausflüchte?! Das steht mir bis hier, wenn du es genau wissen willst! Hör auf, dich wie ein kleines trotziges Kind zu betragen und fang an, wie ein Mann zu handeln! Obwohl das bei dir vermutlich gar keinen Zweck hat - du hast doch null Rückgrat! Du bist erbärmlich!!" Er packte seine Holzwaffe, schulterte sie und verschwand im Dojo. Kai reagierte zunächst nicht, bis er zur Hintertür ging und von dort das Haus betrat. Er hörte Tyson in der Halle üben. Mechanisch stieg er die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und schob schweigend die Tür hinter sich zu. Suzaku betrachtete ihn besorgt und war zugleich verwirrt, denn er war es nicht gewohnt, dass Seiryuu so unbarmherzig war; außerdem glaubte er, eine merkwürdige Aura um ihn herum bemerkt zu haben. Der Russe öffnete seinen Schrank und holte eine gerahmte Fotografie unter einem Wäschestapel hervor. Es war ein altes Bild, das vor sechs Jahren entstanden war und die Bladebreakers vereint zeigte: Kenny, Max, Ray, ihn selbst und Tyson, in Siegerpose natürlich, mit der obligatorischen Baseballkappe und einem sympathischen Grinsen. Zeugnis einer Zeit, in der alles noch anders gewesen war. Er musterte jede der abgelichteten Personen, den Japaner jedoch am längsten. Nach und nach begann der Rahmen, im Griff dieser schlanken Finger zu zittern, als wäre Kai plötzlich furchtbar kalt. Eine Träne tropfte auf das Glas, noch eine und eine dritte. Schließlich rutschte er an der Schrankwand herunter, vergrub sein Gesicht in den Armen - und ergab sich seinem Schmerz.
 


 

*Taschentuch rauskram* Sorry, dass ich den beiden sowas antue, aber es ist wichtig für die Storyline...wer von Euch ahnt, was mit Tyson passiert ist? Ah, ich werde natürlich nichts verraten! Bis zum nächsten Mal! *wink*

Gefangennahme

Und hier ist das neue Kapitel! Ich bin gespannt, wer von Euch schon wusste/ahnte, was wohl mit Tyson passiert ist....na? Wer es noch nicht weiß, erfährt es jetzt natürlich nicht, sondern nur, wenn er weiterliest....*zwinker*

Vielen Dank für Eure Kommis! *sich verneig*
 

Kapitel 21: Gefangennahme
 

„Gute Arbeit, Deimos.", meinte Hades anerkennend und der Krieger des Hasses verneigte sich ehrerbietig. „Ich wusste, dass ich mich in diesem Punkt auf dich verlassen kann. Ich denke wirklich, dass du dir jetzt eine Belohnung verdient hast. Aber ich werde noch ein wenig warten, ehe ich Hiro hierherhole. Ich möchte erst sehen, wie tief du den Riss zwischen Kai und Tyson ausweiten kannst!"

„Wie Ihr wünscht, mein Herr." Er verschwand in einem schwarzen Strudel und verließ den Thronsaal. Wenig später re-materialisierte er sich wieder in einem anderen Raum mit vergitterten Fenstern. Ihm gegenüber hing eine Person an schweren, eisernen Ketten an die Wand gefesselt. Er kam näher und berührte die Brust der nur schemenhaft erkennbaren Figur.

„Lass mich in dein Herz sehen....Ich brauche etwas, das ich verwenden kann!"

Und er stimmte ein kaltes, schauriges Gelächter an, das von den hohen Mauern des Gefängnisses widerhallte. „Noch ein bisschen früh für hysterische Anfälle, oder?" erklang eine sarkastische Stimme und Deimos wandte sich um, die Lippen verächtlich nach unten verzogen. Vor ihm stand der Soldat des Zorns.

„Was willst du, Iras? Seine Majestät erwartet dich zu einer Audienz! Kannst du es dir leisten, unpünktlich zu sein?"

„Kannst du es dir leisten, bereits auf deine Belohnung zu hoffen?"

„Jedenfalls mehr als du. Es ist dir nicht gelungen, Boreas zu töten! Und Sol und Leviathan konntest du auch nicht aufhalten!"

Bei der Erwähnung von Boreas‘ Namen fiel ein Schatten auf das Gesicht des Rothaarigen. „Und wenn schon! Ich habe ihn schwer verletzt, das sollte genügen! Was die beiden Verräter betrifft, so werde ich mich noch früh genug um sie kümmern!"

„Nicht, wenn Lord Hades mir diese Aufgabe überträgt!"

„Weshalb sollte er?"

„Ich bin der einzige seiner Elitekämpfer, der nicht versagt!"

„Das bezweifele ich! Dir geht es doch nur um diesen Hiro, den du mit deiner kranken Begierde hofierst! Die Wünsche Seiner Hoheit sind vermutlich uninteressant für dich!"

„Ganz im Gegenteil, ich lebe nur, um ihm zu dienen! Und von dir muss ich mir keine kranke Begierde vorwerfen lassen, wo du doch nichts anderes tust, als Seiryuu mit deiner eigenen zu verfolgen!"

„Ich liebe ihn!! Jemand wie du kann das natürlich nicht verstehen!!"

„Oh, sicher, deine Gefühle sind ja ach so aufrichtig! Wer‘s glaubt!"

„Ob du mir glaubst, ist mir gleichgültig!"

Deimos grinste breit und umarmte seinen Kameraden von hinten. „Hm....selbst Wächter sind so töricht und einfältig in ihren Gefühlen, genau wie die Menschen. Die Liebe existiert nicht, mein fehlgeleiteter Freund. Was ist es denn, das die Menschen in dieser Zeit antreibt? Gewiss nicht die Liebe, nein. Es ist die Gier! Die Gier nach Besitz, nach Geld, Erfolg, Ruhm, einem bequemen Leben ohne finanzielle Probleme, ohne Sorgen! Für sie spielt die Liebe keine Rolle mehr, sie wird vergessen, ignoriert oder gleich als unsinnig abgetan! Die wenigsten sind zufrieden mit dem, was sie haben! Die Menschen finden niemals Worte für das, was ihnen gehört - sondern nur für das, was ihnen fehlt! Ich fürchte, du musst der Tatsache in die Augen sehen, Iras: Es ist nicht die Liebe, die diese Welt regiert, sondern die Begierde!" Er löste die Umarmung, umklammerte mit der rechten Hand das Kinn des anderen und strich mit der linken über dessen Oberschenkel. Seine Zunge glitt über die Halsbeuge, bis er das Ohr erreicht hatte und sanft hineinbiss.

„Lass....mich....los....!" würgte der Rothaarige hervor, doch Deimos lachte nur leise. „Warum? Bis ich Hiro bekomme, könnten wir beide uns doch eine Weile vergnügen....!"

„Du bist widerlich....!" zischte Iras, aber seine Stimme kam als Keuchen heraus, da der Hüter von Zeus mit schlanken Fingern über seine Schrittgegend streichelte.

„Hast du etwa Angst? Angst davor, dich von deinen lächerlichen Moralvorstellungen zu lösen und die Begierde anzunehmen? Dabei würde es deine Seelenqualen erleichtern, wenn du dich endlich von deinen nutzlosen menschlichen Empfindungen befreien würdest! Deine unerwiderte Liebe....die Schuld, deinen besten Freund verwundet zu haben....dein Hass auf Suzaku....und gleichzeitig die Freundschaft, die dein Wirt, Tala, für Kai hegt....Wie lange willst du dich noch an diese albernen Gefühle klammern, wo sie nichts als Leid für dich bedeuten?"

„Ich sagte: Lass. Mich. Los!!!!"

Ein Schneewirbel schleuderte Deimos nach hinten, aber das Lächeln in diesem rätselhaften Gesicht erlosch nicht. „Du bist hinreißend, wenn du dich in deinem Schmerz windest, Iras! Wirklich, ohne dich wäre es hier sehr langweilig!" Damit verschwand er. Zurück blieb nur sein herablassendes, überlegenes Gelächter.
 

„Signore Tornatore?"

Ein Butler steckte den Kopf durch eine prächtige, mit dunklem Holz vertäfelte Tür und spähte in das Arbeitszimmer seines Herrn. Dieser sass an einem imposanten Schreibtisch, damit beschäftigt, mehrere Einladungen an italienische Adelige zu verfassen. Er tippte einen Satz in den Computer, schüttelte verstimmt den Kopf und löschte die eben geschriebenen Worte. Es war das erste Mal, dass er offiziell als Kunstmäzen in Erscheinung trat und die von ihm gesponserte Opern-Gala musste einfach perfekt sein!

„Was gibt es, Claudio? Weshalb stören Sie mich?", erkundigte er sich mit hochgezogenen Augenbrauen, während er vergeblich versuchte, einen neuen Anfang für die Einladung an den Grafen Cesare zu finden, der für seine hohen Ansprüche an Höflichkeit und Ehrerbietung berühmt-berüchtigt war.

„Ein wichtiges Telefongespräch auf Ihrem Privatapparat, Signore. Aus Japan. Ihre Freundin."

„Mariam ist nicht ‚meine‘ Freundin, Claudio! Sie ist eine gute Freundin der Familie, genau wie ihr Bruder Giuseppe! Jedenfalls danke. Stellen Sie den Anruf durch."

„Sehr wohl." Er entschwand mit einer Verbeugung und wenig später klingelte das Telefon neben dem Computer. Man hob ab und eine klangvolle weibliche Stimme meldete sich.

„Ciao, Mariam! Ich bin entzückt, von dir zu hören! Wie geht es dir?"

„Ciao, Enrique. Ich bedaure, aber der Grund meines Anrufes ist leider nicht besonders erfreulich, scusi! Ernste Dinge sind geschehen und ich bin der Ansicht, dass du als Bluterbe darüber in Kenntnis gesetzt werden solltest!"

Der 19jährige Millionär, Nachfahre einer alten römischen Aristokraten-Familie, deren wahre Wurzeln bis in die Zeit von Eden zurückreichten, mit vollem Namen Enrique Giancarlo Tornatore, lauschte den Ausführungen der jungen Frau und seine Gesichtszüge verhärteten sich. Seit er alt genug war, um die Ausbildung zum Wächter zu durchlaufen, hatte es in seinem an sich unbeschwerten Leben nur einen Tag gegeben, vor dem er sich fürchtete: Der Tag, da der Code Omega ausgerufen werden würde, um alle Mitglieder des Ordens von Eden am Ort der Entscheidung zu vereinen. Zwar mochte es noch nicht soweit sein, doch Mariams Bericht von den letzten Ereignissen bestärkte ihn in dem Verdacht, dass das Unvermeidliche früher oder später eintreten würde, mochte er sich noch so sehr dagegen sträuben. Einen langen Moment blieb es lastend still in dem elegant eingerichteten Büro, nur das Summen des Ventilators war zu hören.

„Ich muss nach Tokyo."

„Ist das dein Ernst?!"

„Ich habe immer versucht, mich vor meinem Schicksal zu....drücken. Mein Vater hat sich oft über mich geärgert, weil ich das Training selten ernst nahm und lieber in Rom herumzog und hübsche Mädchen becircte. Aber ich bin wie Bryan - nicht nur Abkömmling einer Wächter-Familie, sondern auch die Reinkarnation eines Hüters. Vielleicht waren meine Eltern deshalb besonders enttäuscht von meinem mangelnden Verantwortungsbewusstsein. Doch die Jahre haben mich verändert, meine Freundin. Oh, die süßen Seiten des Lebens sind mir nach wie vor die liebsten....aber jetzt, wo Bryan vorläufig außer Gefecht gesetzt worden ist, braucht ihr ein bisschen Unterstützung, meinst du nicht auch?"
 

„Vorläufig?", wiederholte Mariam zweifelnd. „Glaubst du denn, dass er gerettet werden kann? Die Ärzte machen uns keine großen Hoffnungen."

„Und Diomedes?"

„Der beratschlagt sich zur Zeit mit Daichi darüber, wie man Boreas helfen könnte."

„Na siehst du! Noch ist nicht alles verloren! Ich bin nicht sonderlich geschickt darin, große Worte zu machen....trotzdem: Gebt nicht auf! Hades mag ein paar Schlachten gewonnen haben, aber nicht den Krieg! Ich habe...."

Die schwarzhaarige Italienerin am anderen Ende der Leitung presste ihr Ohr an die Hörmuschel, für einen Augenblick unsicher, ob Enriques Tonlage gerade eben wirklich hart und entschieden geworden war oder ob sie sich das nur einbildete. Als er endlich fortfuhr, erkannte sie jedoch, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Aus seiner Stimme klangen eine Entschlossenheit und ein unterschwelliger Zorn, der in ihr Eindrücke des Mannes wachrief, von dem man ihr als Kind erzählt hatte, da er ein Teil der Geschichte Edens war.

„....ich habe geschworen, meinen Prinzen zu beschützen und Hades zu vernichten! Ich bin im letzten großen Kampf gefallen, aber ich habe mein Leben im Dienste einer Sache geopfert, die es mir wert war! Ich werde diesen Teufel in Menschengestalt nicht siegen lassen! Niemals!!!"

„Ja. Ich glaube dir. Und ich danke dir, dass du uns beistehen willst. Ich werde dich am Flughafen abholen....Pan."

Der Hüter von Amphilyon legte auf und schwieg, ehe er seinen Butler hereinrief und einen Flug nach Japan in seinem Privat-Jet befahl. „Pan" - wie lange war es her, dass er mit diesem Namen angesprochen worden war? Wie Sol, Leviathan und Boreas war er einst die rechte Hand eines Prinzen gewesen, in seinem Fall die von Byakko. Der Herrscher des Elements Erde war ihm stets ein ehrlicher Kamerad und Freund gewesen und seine Treue ihm gegenüber war unerschütterlich, denn er hatte ihn auch als seinen Gebieter respektiert und geschätzt.

»Hades....du hast meine Heimat in den Untergang getrieben und diejenigen in Gefahr gebracht, die mir wichtig waren. Ich frage mich....ob du dich noch an die Wunde erinnerst, die ich dir verpasst habe? Doch selbst wenn du sie vergessen haben solltest, dürftest du über meine Rückkehr wenig erfreut sein. Hm....«

„Signore Tornatore, Ihr Privat-Jet wird in Kürze bereit sein. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass Sie heute noch die Post durchgehen wollten. Der Brief eines gewissen Signore McGregor ist darunter."

„Ich nehme den Brief mit und lese ihn während des Fluges. Hoffentlich ist es nichts ernstes...."
 

Suzaku betrachtete stumm und unglücklich Kais zitternde Gestalt. Schluchzer würgten sich mühsam seine Kehle hinauf und sein Gesicht war noch immer in seinen Knien verborgen.

„Siehst du es jetzt ein?", erkundigte er sich sanft. Der Russe hob den Kopf, die roten Augen glänzten von Tränen. „Was meinst du?"

„Deine Gefühle. Warum macht es dir so viel aus, dass Tyson so hart zu dir war? Wenn er dir nichts bedeuten würde, wäre dir seine Meinung gleichgültig."

„Du....glaubst also immer noch, dass ich....ihn liebe?"

„Ich glaube es nicht. Ich weiß es."

Kai war unfähig, etwas darauf zu erwidern. Die Bemerkung war sachlich und für den Beyblader fast niederschmetternd in ihrer klaren, eindeutigen Aussage. Er berührte sein Gesicht, wischte unbeholfen darüber hinweg. Hatte er das nicht verlernt? Zu weinen? Sein Blick glitt zu dem Bild zurück, dass er nach wie vor in der Hand hielt. Seine Finger fuhren die Konturen von Tysons Antlitz nach, bis hin zu der Hand, die der Japaner vertrauensvoll auf der Schulter des Graublauhaarigen abgelegt hatte.

„Ich....will diese Gefühle nicht....", flüsterte er und Suzaku kam zu ihm herüber und umarmte ihn vorsichtig. Kai stieß ihn nicht weg und sein Alter Ego sagte leise: „Du hast Angst davor, nicht wahr? Du fürchtest dich vor Dingen, die du nicht begreifen kannst. Aber die Liebe kann dir niemand erklären, mein Freund. Sie entzieht sich der Logik und der Vernunft. Die Wissenschaft mag von ihr als chemische Reaktion sprechen und vielleicht ist sie nicht mehr als das....aber das, was sie auslöst, was sie zu erschaffen befähigt ist, ist ungleich größer als alles, was die Menschheit je erforschen könnte. Wenn dein Herz sich für einen Menschen entschieden hat, wird es diesen Menschen als Ganzes annehmen, mit seinen Stärken und seinen Schwächen, seinen schönen wie hässlichen Seiten. Äußerlichkeiten treten in den Hintergrund, wenn die Empfindungen aufrichtig sind. Nicht die Schönheit bestimmt, wen wir lieben, sondern die Liebe bestimmt, wen wir schön finden. Aber es wäre falsch, einfach auf die Liebe zu warten. Sie ist nicht etwas, das wir bekommen, sondern etwas, das wir tun müssen. Du zeigst in deinem Handeln, was du fühlst, viel mehr noch als in deinen Worten. Tyson ist wütend und wegen der vergangenen Ereignisse arg mitgenommen. Dennoch wird er sich mit dir aussprechen, da bin ich sicher. Nur musst du ihm zeigen, dass du bereit bist, dass du die Verbindung zu ihm suchst. Ich kann dich zum Anfang des Weges führen, Kai - gehen musst du ihn selbst."

Der Russe stand auf und stellte das Foto auf seinem Nachtkästchen ab, anstatt es wieder unter den Wäschestapel zu schieben. Danach wandte er sich zu dem Prinzen des Feuers um und musterte ihn mit neuentdecktem Respekt.
 

„Du scheinst voller Rätsel zu sein, Suzaku. Wenn man dich oberflächlich kennt, hält man dich für einen hitzigen, ein wenig kindischen Playboy, aber das ist lediglich eine Seite von dir. Warum verbirgst du dein Verständnis, dein Einfühlungsvermögen, die Zuversicht, die du anderen vermitteln kannst?"

„Ich verberge sie nicht. Ich setze sie ein, wenn es nötig ist. Man schreibt jedem der vier Elemente gute wie schlechte Eigenschaften zu und sie spiegeln sich wider in den widersprüchlichen Charakteren ihrer Prinzen. Das Feuer ist heiß und ungebändigt, es kann gefährlich sein und entzieht sich einer direkten Kontrolle. Die Flamme der Liebe kann ewig und leidenschaftlich brennen, aber auch sehr unbeständig sein. Versteht man es, das Feuer nutzbringend einzusetzen, spendet es Wärme, Licht und Geborgenheit und hält Bedrohungen von einem fern. All diese Aspekte bilden meine Persönlichkeit und halten sich in mir die Waage, erzeugen ein Gleichgewicht in mir selbst. Die vier Kräfte und ihre Wechselwirkungen symbolisieren dieses Gleichgewicht, von dem die gesamte Welt erfüllt....war", fügte er schließlich schweren Herzens hinzu, denn seit Hades Eden vernichtet hatte, war auch das Gleichgewicht der Schöpfung zugrunde gegangen. „Das Feuer wird von der Erde erstickt, vom Wasser gelöscht und kann ohne Sauerstoff, ohne Luft, nicht existieren. Die Erde wird vom Feuer ausgedörrt, das Holz und die Pflanzen verbrannt; das Feuer bringt das Wasser zum Kochen und verdampft es; das Feuer entzündet die Luft und nimmt einem den Atem (Euch ist bestimmt schon mal aufgefallen, dass man bei flirrender Hitze und schwüler Luft kaum atmen kann?)....Keines der Elemente kann ohne die anderen sein. Deshalb ist die Einigkeit der vier Prinzen unabdingbar für den Sieg über Hades. Eure volle Macht könnt ihr nur entfesseln, wenn ihr in Freundschaft oder Liebe miteinander verbunden seid, denn Zauberkräfte werden mit dem Herzen gebraucht. Vergiss das nicht."

Ein Lächeln zum Abschied und Suzaku verschwand in Kais Bewusstsein. Er fragte sich, was er als nächstes tun sollte, als er die Stimmen von Hiro, Kenny und Max vernahm. Sie waren also aus dem Krankenhaus zurück. Der Computerfreak zog sich in sein Zimmer zurück, um Dizzy ein neues Anti-Virenprogramm zu verpassen, Hiro gesellte sich zu seinem Bruder in die Trainingshalle und der Amerikaner sprang in die Küche, um einen Kuchen zu backen, anlässlich der Tatsache, dass er nun mit Ray zusammengekommen war. Er wusste zwar, dass dies nicht unbedingt zu ihrer momentanen Situation passte, aber er würde wegen der Bedrohung, die sie umgab und der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, nicht in Trübsal versinken oder seinen Optimismus verlieren. Max war von seiner Natur her ein fröhlicher und heiterer Mensch, der allem noch etwas Positives abzugewinnen versuchte, und war nicht bereit, sein Leben von negativen Gedanken oder düsteren Grübeleien betäuben zu lassen. Ob Ray Apfelkuchen mochte? Er würde ihm morgen ein Stück mitbringen, wenn er ihn wieder besuchte!
 

Die Kinomiya-Geschwister waren indessen mit Kendo-Übungen beschäftigt. Der 24jährige hatte sich kurzerhand in den Kampfdress geworfen und lieferte sich mit seinem Ototo ein paar geschickte Schlagwechsel. Nach zwanzig Minuten wischte sich der Silberhaarige den Schweiß von der Stirn und warf die feucht gewordene haori (das Oberteil) achtlos auf die Bretter, wobei er seinen kraftvollen Oberkörper entblößte. (Hiro-Fanservice....ich kann‘s einfach nicht lassen....) Dann hockte er sich im Schneidersitz hin und betrachtete seinen Gegenüber mit strengem Ernst. „Was ist?!" stieß Tyson hervor, offenbar genervt.

„Das frage ich dich! Warum hast du Kai so abgekanzelt, noch dazu vor allen Leuten? Ich schätze seine Haltung auch nicht, aber der Ton macht die Musik, wie man so schön sagt. Und ich bin der Ansicht, dass du dich sehr im Ton vergriffen hast. Ty-chan....wir sind beide keine Engel und jeder von uns hat seine Fehler. Das ist normal und nur allzu menschlich. Deshalb solltest du Kai nicht so demütigen."

„Hast du nicht gerade gesagt, dass dir seine Einstellung genauso stinkt wie mir?!"

„Ja, das ist richtig, aber deine Einstellung gefällt mir ebensowenig. Du hast bisher immer versucht, Kais Vergangenheit und die seelischen Verletzungen zu verstehen, die ihn zu dem Mann haben werden lassen, der er heute ist. Ansatzweise mag dir das gelungen sein, doch wirkliches Verständnis wirst du für sein Leid und seinen Hass nie aufbringen können. Du hast auch gelitten, ich weiß es. Aber auf andere Weise als er. Und du hast niemals wahrhaft gehasst. Du hast Boris alias Hades verabscheut und möglicherweise hasst du den Dunklen Fürsten, als der er nun in Erscheinung tritt....allerdings genügt das nicht. Boris bedeutet für Kai mehr an Hass und Zorn, als wir ermessen können. Du solltest dich nicht für allwissend halten, nur weil du über seine Vergangenheit Bescheid weißt oder ihn ein wenig besser kennst als deine übrigen Teammitglieder. Tatsächlich verstehen können Kai einzig diejenigen, die das Leben in der Abtei mit ihm gemeinsam ertragen mussten: Die Blitzkrieg-Boys, Tala im Besonderen. Er war Kais bester Freund, ehe dieser mit dir zusammentraf und einer der Bladebreakers wurde. Denkst du, so etwas wäre bedeutungslos? Ich bin enttäuscht, dass du das nicht von selbst sehen konntest oder wolltest, Ty. Wenn du ihn liebst, solltest du ihn so nehmen wie er ist, mit allen Ecken und Kanten. Du musst akzeptieren, dass er ein Leben vor dir geführt hat, in dem er Erfahrungen gemacht hat, die ihn für immer geprägt haben und die man nicht einfach vergessen kann, selbst wenn es notwendig oder angebracht wäre. Menschen ändern sich nicht von einem Tag auf den anderen. Gib ihm etwas mehr Zeit."

„Bist du fertig mit deiner Predigt?!"

„Ja."
 

Von beiden unbemerkt, linste der Gegenstand ihres Gesprächs durch einen Spalt in die Halle. Er hatte sein Zimmer verlassen und wollte sich im Bezug auf Tyson einen Rat von Hiro erbitten, als er die vulgäre Schärfe in der Stimme des Blauhaarigen heraushörte und unweigerlich von der Tür zurückwich.

„Dann verrate mir, was du mit diesem verdammten Geschwätz bezweckst, außer mich zu langweilen! Ich hätte von dir erwartet, dass du zu mir hältst! Auf welcher Seite stehst du eigentlich?!"

„Auf meiner eigenen.", erklärte der Ältere kühl und verschränkte die Arme. „Ich würde mir wünschen, dass du über das nachdenkst, was wir besprochen haben. In deiner Weigerung, von deinem Standpunkt abzuweichen, beweist du einmal mehr, dass du nicht weniger arrogant sein kannst als Kai!" Nach einem kurzen Schweigen fuhr er fort: „Hör zu: Ich würde mit dir nicht so hart ins Gericht gehen, wenn ich wüsste, dass du diese bösen Worte im ersten Zorn gesagt hast. Das ist nicht der Fall. Offenbar ging es dir darum, Kai willentlich zu verletzen und leider bist du dazu durchaus in der Lage, unüberlegt und wenig taktvoll, wie du nun mal bist. Warum tust du das, wenn du ihn liebst?"

„Wer hat gesagt, dass ich ihn liebe?! Nur weil das vor zehntausend Jahren so war? Mach dich bitte nicht lächerlich! Ich glaubte lange Zeit, es wäre Liebe....aber mittlerweile bin ich zu der Einsicht gelangt, dass es wohl doch nur Mitleid war. Wie könnte ich einen solchen Eisklotz jemals lieben?!"
 

Kai drückte sich an die Wand, aschfahl im Gesicht. Die Woge des Schmerzes, durch Suzakus Hilfe und Trost abgeebbt und gelindert, kehrte mit unvorstellbarer Wucht zurück. Eine scheußliche kalte Hand packte nach seinem Herzen und presste es gewaltsam zusammen. Als sich Tyson mit großen Schritten der Tür näherte, bevor Hiro zu einer Antwort ansetzen konnte,

krampften sich seine Hände zu Fäusten und er stürmte die Treppe hinauf. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und das dumpfe, schmerzhafte Pochen in seinem Brustkasten wollte schier kein Ende nehmen. Der Japaner bemerkte ihn und seine Lippen verzogen sich zu einem maliziösen Lächeln. Lässig wandte er sich zu seinem Bruder um.

„Ich fürchte, Kai hat unser Gespräch belauscht. Wie tragisch, jetzt habe ich ihm das Herz gebrochen! Das ist ja traurig!"

„Wie....wie kannst du dich erdreisten, darüber zu spotten?!", entrüstete sich der Silberhaarige, ernsthaft erschrocken über die Boshaftigkeit, die dieser Hohn verriet. Der Jüngere grinste hämisch. „Hast du es noch nicht kapiert, ‚Bruderherz‘? Schade! Du bist doch sonst so ein kluger Junge!"

„Was....?!"

Der 19jährige schnippte mit dem Finger und ein schwarzer Wirbel legte sich um den jungen Mann. Hiro wand sich hin und her, konnte sich aber nicht befreien. Er wollte um Hilfe rufen, doch eine der magischen Schlingen verschloss ihm den Mund. Als er gefesselt war, wurde er von einem finsteren Dimensionsloch eingesogen, das hinter ihm erschien. Ein, zwei Blitze durchzuckten den Raum, dann war alles still und der Kendoka verschwunden.
 

Es wurde Abend über dem Kinomiya-Dojo. Max brachte dem Russen, der nicht zum Essen heruntergekommen war, ein Tablett mit einer Schale Curryreis, einer Tasse Milch und als Nachtisch ein Stück von seinem Apfelkuchen. „Hier, für dich, du hast bestimmt Hunger."

„Ich will nichts."

„Na, na, na. Jeder muss einmal essen. Und nachdem ich mich stundenlang für euch in die Küche gestellt habe, verlange ich, dass jeder brav seine Portion aufisst!", befahl er schelmisch. Kai seufzte, gehorchte aber.

„Wann hast du übrigens Hiro zuletzt gesehen?" erkundigte sich der Blondschopf, während der andere einen Schluck trank. „Vor drei Stunden ungefähr, in der Trainingshalle. Wieso?"

„Das ist aber merkwürdig. Er war nicht beim Essen. Tyson hat gesagt, er wäre auf seinem Zimmer geblieben, weil er sich nicht wohl fühle. Dabei ist Curry seine Lieblingsspeise! Vielleicht bringe ich ihm nachher doch was vorbei, ich will ja nicht, dass mir hier wer vom Fleisch fällt!" meinte er lachend.

Tyson, der sich soeben im Garten aufhielt, lauschte diesem Lachen, denn er stand genau unter dem geöffneten Fenster. „Lacht, solange ihr noch könnt, ihr Narren. Ich habe jedenfalls, was ich wollte." Wieder ein Schnippen, und ein zweites Dimensionstor tat sich auf. Er schritt gemächlich hindurch, erreichte einen Korridor, der mit grässlichen Fresken und Statuen geschmückt war und klopfte schließlich dreimal an eine hohe, weit ausladende Tür, die mit Eisen beschlagen war. Ein grobschlächtiger Wächter mit Dämonenfratze winkte ihn herein und führte ihn zu einer der Zellen. Er betrat den dunklen Raum und musterte mit diabolischem Vergnügen die Person, die dort an die Wand gekettet war. Vor ihr erhob sich ein magischer Spiegel zur Außenwelt, mit dem man jeden beobachten konnte, den man wollte. Der Blauhaarige fragte fast wie beiläufig: „Und, hast du auch schön zugesehen, wie ich deine Liebe in den Schmutz gezerrt habe? Oh, und es dürfte dich sicher begeistern, dass dein hochgeschätzter Bruder endlich mein ist!"

Die Person hob die braunen Augen und starrte ihren Gegenüber wütend an. „Das tollste an der Sache ist, dass ich kaum etwas dazu tun musste. Es hat vollauf genügt, ein wenig in deinem Herzen zu forschen und deine verborgenen, schlechten Eigenschaften hervorzuholen, um den Bruch herbeizuführen! Ich habe mich selten so fabelhaft amüsiert. Na....?" Er neigte sich vor und ein schemenhafter Lichtstrahl von draußen erhellte für eine Sekunde Tysons Antlitz und einen Teil der Ketten, die ihn festhielten. Sein Doppelgänger schnippte erneut, und seine Gestalt begann sich zu wandeln.

„....bin ich nicht ein guter Schauspieler, Ty-chan?" grinste Deimos hinterhältig und brach in sein boshaftes Gelächter aus, dessen abscheuliches Echo weithin zu hören war....
 


 

Na, wer wusste, dass es in Wirklichkeit Deimos war? Und nun ist endlich auch Pan alias Enrique aufgetreten. Bevor Ihr Euch über den Namen wundert: Im Deutschen heißt er Enrice Giancarlo, in der jap. Originalfassung lautet sein voller Name Enrique Giancarlo Tornatore. Ich benutze diese Namen, weil er mir besser gefällt!^^

Erkenntnis

Leute, Ihr seid klasse!^^ Es gab Zeiten, da hatte diese FF kaum Resonanz, und umso schöner ist es, dass sie sich allmählich einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erobern scheint. Ich danke Euch für Eure Kommis! *verbeug*

Schnell was zu meinen Pairings: Ich hab einen Hang zum Ungewöhnlichen. Keine Ahnung, wieso. Aber ich wollte bei Beyblade einfach auch mal was Neues ausprobieren und hab mich bei den Charas umgeschaut, wer denn interessant/spannend/süß/was immer wäre. Außerdem habe ich darauf geachtet, wer vom Charakter her zusammenpassen könnte (z. B. haben Lee und Raul meiner Meinung nach ein vergleichbares Temperament und Daichi und Carlos fallen für mich in die Schublade "raue Schale, weicher Kern"). Da ich noch keine Hass-ENS oder ähnliches für meinen manchmal ungewöhnlichen Geschmack erhalten habe, mache ich also frohgemut weiter!^^ *okay, auch Hass-ENS könnten mich nicht daran hindern*

Was das Leiden angeht: Ich lasse die Jungs gerne leiden. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil dann die Happy-End-Romantik-Versöhnungs-Glück-Kapitel umso mehr Spaß machen beim Schreiben? An dieser Stelle eine Warnung: Wer dachte, dass die Beziehung von Kai und Tyson jetzt schon ordentlich gebeutelt wurde, sollte diese FF nicht weiterlesen, es wird noch schlimmer! *nicht, dass es am Ende heißt, ich hätte Euch nicht gewarnt*

Und nun geht's los!
 

Kapitel 22: Erkenntnis
 

Mariam wartete am Flughafen auf den Privat-Jet aus Italien. Als der außerplanmäßige Landeanflug ausgerufen wurde, begab sie sich zu der ausgewählten Startbahn und postierte sich unten an der Gangway. Enrique, elegant gekleidet in eine weiße Hose, einen blauen Rollkragenpullover, darüber ein schwarzes Jackett, an den Füßen sündhaft teure Schuhe, begrüßte die Freundin mit einer herzlichen Umarmung, obwohl sein Gesicht sehr ernst war.

„Stimm was nicht, bello ragazzo?" neckte sie ihn, doch als er ihr den Brief hinhielt, den er während der Reise gelesen hatte, schwand ihr Lächeln. Sie entfaltete den Bogen Papier und schon nach wenigen Zeilen stieß sie einen Fluch aus.

„Johnny ist sich sicher?"

„Er befindet sich am Ort des Geschehens. Kein Zweifel möglich. Die Lage spitzt sich zu. Bring mich bitte sofort zu den Prinzen! Ich muss dringend mit ihnen sprechen!"
 

~~ Unterdessen, in Süd-England, Salisbury ~~
 

„Nimm das, du elende Kreatur!"

Ein rothaariger junger Mann schwang sein Schwert und trennte einem abscheulichen Dämon den Kopf von den verwachsenen Schultern. Das Wesen ließ zuerst einen kehligen Schrei hören, dann fiel das abgeschlagene Haupt in den Schmutz und löste sich mitsamt dem Körper in Staub auf. Der Krieger wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah zu dem schwarzen Riss in den Dimensionen hinüber, aus dem immer wieder missgestaltete Geschöpfe hervorkrochen.

»Ich muss diesen Riss unbedingt versiegeln, bevor noch mehr von der wertvollen Heiligen Magie verloren geht und von der Unterwelt eingesogen wird! Wenn Vater doch hier wäre! Aber er muss sich ja in Schottland um die Geschicke unseres Clans kümmern! Oder hat er mich mit Vorbedacht nach England geschickt? Ahnte er, was sich ereignen würde? Schließlich besitzt er eine hellseherische Gabe, wie viele Mitglieder unserer Familie. Schade, dass ich nicht dazuzähle, sonst hätte ich mich bestimmt nicht auf diese Mission eingelassen! Ha....natürlich hätte ich das, es ist meine Pflicht. Dennoch....wenn ich mir ausmale, was für eine Katastrophe sich dadurch ankündigt....Hades....sei verflucht, bis in alle Ewigkeit! Niemals werde ich dir diesen Planeten überlassen! Früher oder später werden wir dich besiegen!«

Johnny biss sich wütend auf die Lippen. Vor ihm erhob sich ein Teil des Weltkulturerbes, ein Ort, um den sich viele Legenden und Sagen rankten, ein Zeugnis der frühen Geschichte: Stonehenge. Und in der Mitte des Steinkreises hatte sich eine breite Spalte gebildet, aus der finstere Energien strömten. Zwischenzeitlich kletterten Dämonen heraus und der Neunzehnjährige hatte alle Hände voll zu tun, diese grässlichen Wesen aufzuhalten. Es war ein verdammt schlechtes Zeichen, wenn es dem Bösen an einem gesegneten Platz wie diesem gelang, zur Oberfläche durchzustoßen! Ein untrüglicher Beweis dafür, dass die Kraft des Dunklen Fürsten zunahm und langsam die Erde zu befallen begann wie eine Krankheit! Er war so vertieft in seine schwermütigen Überlegungen, dass er gar nicht merkte, wie sich eines der Ungeheuer an ihn heranpirschte und die Zähne fletschte.

**Wage es, du Bestie!**

Der junge Mann fuhr herum und konnte nur noch mit verfolgen, wie der Dämon von einem glühend heißen Feueratem zu Asche verbrannt wurde. Vor ihm erhob sich die stolze Erscheinung von Salamulyon, dem Wesen, dessen Wächter er seit seinem zwölften Geburtstag war. Johnny schenkte seinem tierischen Kameraden ein dankbares Lächeln und griff nach dem Amulett, das um seinen Hals baumelte. Geheimnisvolle Runenzeichen waren rundherum um das zentrale Symbol eingemeißelt, ein Dreieck mit unterbrochener linker Seitenlinie, das Symbol für das Element Feuer. Er konzentrierte sich und murmelte alte Beschwörungsformeln vor sich hin, während seine Hände wie im Gebet gefaltet waren. Das Amulett begann zu leuchten und synchron mit diesem rötlichen Licht, das immer heller erstrahlte, entstand über und um den Riss herum ein Bannsiegel, das aussah wie eine Vergrößerung des Anhängers. Nach dem letzten Spruch entsandte das Siegel einen gewaltigen Strom positiver Magie, der den Riss langsam verschloss und alle Monster, die noch aus ihm hervorgekommen waren, augenblicklich zermalmte. Der Schotte seufzte erleichtert, aber er wusste auch, dass das nur eine Notlösung war. Der Tag des „Code Omega" rückte näher....und es gab nichts, wovor er sich mehr fürchtete. Als kleiner Junge, wenn sein Vater oder sein Großvater ihm die Geschichte von Eden erzählten, hatte für ihn kaum etwas Spannenderes oder Dramatischeres existiert - doch je älter er wurde, umso klarer wurde ihm, dass es sich dabei nicht um ein Märchen handelte, sondern um die Realität, deren Folgen sich bis hinein in seine Gegenwart erstreckten. Er war der Soldat in einem Krieg, der vor zehntausend Jahren seinen Anfang genommen hatte....Der Salamander musterte seinen Hüter mit einem Anflug von Besorgnis. Er war weise und erfahren genug, um im Bilde zu sein über die lastende Verantwortung, die man den Kämpfern des 9. Saeculum aufgebürdet hatte und er begrüßte sie nicht.

**Du solltest dich nicht grämen. Die Generation des neunten Jahrhunderts nach Eden stellt die Krieger der Entscheidungsschlacht, die ‚letzten Erben‘. Du hast immer gewusst, dass du irgendwann in den Dienst von Prinz Suzaku treten würdest.**

„Das ist wahr....dennoch. Der Moment, von dem du sprichst, nähert sich mit Riesenschritten und ich bin nicht sicher, ob ich schon bereit dafür bin....Hoffentlich hat Enrique meinen Brief gekriegt, in dem ich ihm von diesem vermaledeiten Riss berichtet habe. Er wird das Problem begreifen. Ausgerechnet ein Dimensionsloch in Stonehenge! Der Zauber, der sich hier an diesem Ort fokussiert, ist uralt....er stammt aus der Zeit von Eden, als die Menschheit gerade damit begann, ihren Planeten zu erforschen. Damals waren die Hochburgen ihrer Zivilisation Städte und Länder, die heute in den Bereich der Sagen gehören....Avalon und Atlantis zum Beispiel. Apropos Avalon...."

**Denkst du an Deimos?**

„Ja. Er ist kein richtiger Wächter, sondern er wurde als Mensch auf der Erde geboren. Er stammt aus Avalon, soweit ich mich an die Quellen erinnere, die mir Großvater zum Lesen ans Herz legte. Was für ein Leben hat er geführt, ehe Hades ihn manipulierte und ihn in den Mann verwandelte, den wir unter dem Namen ‚Deimos‘ kennen? Gibt es Aufzeichnungen darüber?"

**Davon weiß ich nichts. Aber natürlich wären uns derartige Papiere von Nutzen, da sie uns den Menschen näherbringen könnten, der Deimos einst war. Sein wirklicher Name, seine Familie, seine Position oder seine Aufgabe in der avalonischen Gesellschaft....**

„Jedenfalls hatte er wohl kein besonders glückliches Leben - sonst hätte Hades keinen Ansatzpunkt für seine Einflüsterungen und sein Seelengift finden können. Ich reise morgen wieder nach Glasgow zurück, dort werde ich dann die Bibliothek des Clans durchforsten."
 

Damit suchte er die kleine gemütliche Pension auf, in der er für die Dauer seines „Urlaubs" in England Quartier bezogen hatte; Salamulyon verbarg sich in seinem Beyblade. Die Besitzerin des Hauses, eine liebenswürdige Dame Mitte Sechzig, mit silbernem Haar und lustigen grauen Augen, die den jüngsten ihrer Gäste ins Herz geschlossen hatte wie einen vermissten Enkel, rief ihn zu sich an die Rezeption.

„Was gibt es, Mrs. Jenkins? Der Speck beim Frühstück war diesmal genau richtig, schön knusprig. Ich habe keinen Grund, mich über ihre Kochkünste zu beschweren."

„Aber nicht doch, Mr. McGregor! Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Sie Besuch haben. Während Sie auf Ihrer Besichtigungstour waren, kam ein junger Mann vorbei und wünschte Sie zu sprechen. Ich erklärte ihm, Sie seien außer Haus, und fragte ihn, ob er auf Sie warten wolle. Er sagte zu und so ließ ich ihn auf Ihr Zimmer bringen. Ein sehr netter und überaus höflicher Bursche....allerdings kein Brite, denn sein Englisch hatte einen starken Akzent. Er nannte auch seinen Namen, aber ich habe ihn vergessen. Irgendetwas französisches."

Der Rothaarige wurde unweigerlich von einer unbestimmten Ahnung erfasst. Er bedankte sich und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zu den Gästezimmern hinauf. Schwungvoll stieß er die Tür auf, die hinter ihm sofort wieder ins Schloss fiel und starrte seinen Besucher an. Dieser stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Fenster und machte keinerlei Anstalten, sich umzudrehen. Schließlich wandte er sich doch um, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das ein wenig ins Verlegene spielte. Der Herzschlag des Schotten setzte eine bange Sekunde aus. Er kannte dieses sorgsam frisierte grüne Haar, das in weichen Wellen um ein zart anmutendes, aber nichtsdestotrotz männlich-attraktives Gesicht schmeichelte, denn seine kindliche Ausstrahlung hatte sich verloren. Das dämpfte die Wirkung der früher so deutlich femininen Züge und verlieh ihnen dafür das gebührende maskuline Gepräge. Die blauen Augen indessen hatten sich die Klarheit eines Gebirgsbaches bewahrt und auch sein Lächeln verfügte noch immer über diesen unverwechselbaren Charme.

„Hallo Johnny." Seine Stimme war nur ein Flüstern. „Ich freue mich, dich wiederzusehen."

Er redete in seiner Muttersprache und die Worte perlten wie Poesie aus seinem Mund. Sein Gegenüber hatte in der Schule Französischunterricht gehabt und konnte sich mühelos damit verständigen, aber im Moment sah er aus, als wäre er nicht in der Lage, die Situation zu begreifen. „Freust du....dich auch?"

„Warum bist du nicht in Frankreich?" brach es endlich aus ihm heraus, und es klang vorwurfsvoll. „Wir....wir haben uns getrennt! Wieso bist du hier? Woher weißt du überhaupt, dass ich mich nicht in Glasgow aufhalte?"

„Ich habe mit deiner Mutter telefoniert. Ja, ich besitze deine Nummer noch. Ich habe sie nie aus meinem Verzeichnis gestrichen. Ich konnte es nicht....und ich war ein Narr, mit dir Schluss zu machen! Unterbrich mich nicht! Es ist mir ernst! Ich habe dich für einen Kerl sausen lassen, der es nicht wert war! Es tut mir so leid! Ich weiß, du wirst mir kaum verzeihen können, aber ich musste dich unbedingt treffen, um dir dies zu sagen! Oh mon Dieu, Johnny....ich....Pierre hat mich sitzengelassen, als er so einen Milliardärssohn kennenlernte, der mehr Geld hat als ich. Vielleicht konnte ich auch Paris nicht aufgeben, mit all seinem Glanz....Liebe auf Distanz funktioniert nicht, wie es so schön heißt. Ich hätte meine Heimat nie verlassen, schon gar nicht, um in deinem verregneten Schottland zu leben....aber selbst während Pierre und ich noch ein Paar waren, ertappte ich mich dabei, wie ich an dich dachte, mich fragte, was du wohl gerade tun würdest, wie es dir ginge....und dann hörte ich davon, dass Hades zurückgekehrt sei. Ich möchte an deiner Seite kämpfen....und meine törichten Fehler wiedergutmachen. Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, aber....!"

Seine Ansprache erschöpfte sich. In seinen Augen waren Verzweiflung und Schmerz zu lesen und seine Hände zitterten. „Willst du mir nicht antworten? Sag etwas, bitte! Ich....ich liebe dich, verstehst du? Ich dachte, ich könnte dich vergessen, doch ich konnte es einfach nicht....Du hast natürlich das gute Recht, mich jetzt zu hassen und zu verachten! Trotzdem....wenn ich dir nur nicht gleichgültig bin, so ist mir das genug...."
 

Der Neunzehnjährige kam näher und hob das Kinn des anderen an. Zwei Tränen glitten ihm über die Wangen und in seinen Wimpern hingen weitere. Es waren sehr ehrliche und sehr aufrichtige Tränen, denn die fest zusammengepressten Lippen zeigten, wie bemüht er war, einen Schluchzer zu unterdrücken. Immer noch so verwundbar....immer noch so emotional.... und immer noch so schön. Nein, sogar viel schöner! Er neigte sich vor und küsste ihn zärtlich auf den süßen Mund. Der Franzose sog vor Überraschung und Unglauben laut die Luft ein und blickte zu dem Größeren empor. Seine Finger krallten sich in Johnnys Hemd und er drückte sein Gesicht gegen die warme, muskulöse Brust. Er strich ihm sanft durch das grüne Haar und hielt ihn in seinen Armen, ohne die Stille zwischen ihnen zu stören. Eine Ewigkeit schien verstrichen zu sein, ehe er etwas erwiderte, ganz leise und ruhig: „Olivier, my love...."

„Du....hegst noch....Gefühle für mich?"

„Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Ich habe mehr oder weniger damit gerechnet, dass das mit dir und diesem anderen Typ nicht lange halten würde. Ich habe immer daran geglaubt, dass du eines Tages aufwachen und erkennen würdest, an wessen Mannes Seite du deinen Platz hast! Ich habe mich dazu entschieden, geduldig auf diesen Augenblick zu warten....und nun ist er da! Mein Herz hat dich erwählt, ohne Zögern und ohne Kompromisse. Wäre deine Liebe mir gegenüber nicht ernsthaft, wärst du nicht hier....aber du bist hier. Ich wusste sofort, dass zwischen uns weit mehr ist als nur eine flüchtige Romanze! Ich liebe dich, Olivier....!"

„Obwohl ich dir wehgetan habe und so ein schrecklicher Idiot war? Wie kannst....hmm!?"

Ein heißer und leidenschaftlicher Kuss unterbrach ihn. Er hat diesen Satz nie beendet, aber das macht nichts. Es war nicht wichtig.
 

„Im Krankenhaus?" echote der italienische Adelige und verschränkte die Arme. Er sass im Wohnzimmer des Kinomiya-Dojo auf der Couch, neben ihm Mariam, gegenüber Max und Kai. Beide trugen betrübte Gesichter zur Schau, denn dem Amerikaner war es gestern doch noch eingefallen, nach Hiro zu sehen. Natürlich hatte er ihn nicht gefunden und am Ende hatte er festgestellt, dass sich auch Tyson in Luft aufgelöst hatte. Gemeinsam mit seinem russischen Freund hatte er das Gebäude durchkämmt, aber ihre Kameraden blieben verschollen. Nun, einen Tag später, hatten sie der unerwarteten Hilfe aus Europa alles berichtet und als er sich schließlich nach Rays Verbleib erkundigt hatte....

„Oh je....die Situation ist noch verfahrener, als ursprünglich vermutet. Bryan lebensgefährlich verwundet....Iras steht nach wie vor unter dem Einfluss von Hades....Ray ist ebenfalls verletzt.... Tyson und Hiro sind verschwunden....Ist vorher irgendetwas Ungewöhnliches passiert?"

„Hm, nein. Zumindest nichts, was für uns ungewöhnlich wäre. Wir haben gegen Deimos gekämpft und konnten ihn in die Flucht schlagen. Ansonsten....na ja, Ty hat sich ein wenig merkwürdig benommen, aber das lag vielleicht an dem Schock über Bryans Zustand...."

„Merkwürdig? Kannst du das näher erklären?"

Max zögerte und warf einen schnellen Seitenblick auf seinen Sitznachbarn. „Er....ist ziemlich hart mit Kai ins Gericht gegangen. Ich gebe zu, dass ich ihm in manchen Punkten zustimme (hier senkte der Graublauhaarige den Kopf), aber dennoch war es nicht recht von ihm, ihn vor uns allen so....anzugiften. Klar, er kann ziemlich taktlos sein....doch boshaft? Nein, das nicht."

„Du weißt nicht alles." mischte sich Dranzers Hüter monoton ein. Er stand auf, trat zur Tür, die zur Veranda hin lag, und öffnete sie. Während er den anderen den Rücken zuwandte, erzählte er ihnen von dem Gespräch, das er unfreiwillig belauscht hatte. Seine Stimme war dabei völlig emotionslos.

„Und du glaubst ihm?"

Alle drehten sich zu der Person um, die eben im Sessel an der Stirnseite des Raumes aufgetaucht war. Die durchsichtige Gestalt von Suzaku in einem hautengen roten Gewand, das lange Haar fiel ihm offen um die Schultern, in seinem linken Ohr glitzerte ein goldener Ring, erhob sich vor ihnen, das attraktive Gesicht von Sorge gezeichnet.

„Prinz Suzaku!" Enrique richtete sich auf und verneigte sich respektvoll. „Ich fühle mich geehrt, Euch hier anzutreffen. Es ist lange her...."

„Pan! Es ist wirklich lange her...." Sein Mund verbreiterte sich in einem freundlichen Lächeln. „Aber zurück zu dir, Kai: Glaubst du ihm?"

„Wem?"

„Tyson. Glaubst du seinen Worten?"

„Welchen Grund hätte ich, es nicht zu tun?"

„Weil es eins gibt, dessen du dir bis in alle Ewigkeit sicher sein kannst: Er liebt dich! Und wer immer es gewagt hat, mit Tysons Aussehen und seiner Stimme zu dir zu sprechen, wird es büßen, das schwöre ich!"

„Du meinst also, es war gar nicht Ty? Aber wer dann?" fragte der Wächter von Draciel verblüfft und fügte hinzu: „Wo steckt er in diesem Fall? Und wo ist Hiro?"

„Ich habe die Befürchtung, dass beide in die Unterwelt entführt wurden. Hades hat Angst vor der Liebe, weil sie mächtig ist und er sie nicht begreifen kann und um uns, seine Gegner, zu schwächen, was wäre da besser, als einen Keil zwischen Tyson und Kai zu treiben? Was Hiro angeht, so erinnert euch an das sexuelle Verlangen von Deimos. Er ist der Soldat des Hasses - für ihn dürfte es kein Problem sein, sich in Tyson zu verwandeln und sich nach getaner Arbeit....seine ‚Belohnung‘ abzuholen."

„Wenn das wahr ist, müssen wir sie befreien!" stieß Mariam erbittert hervor, doch Enrique schnitt ihr das Wort ab. Die Höhle des Löwen aufsuchen? Obwohl die Kraft der Finsternis immer mehr zunahm? Etwas weniger Risiko wäre ihm lieber gewesen....bis er auf einmal Byakko vor seinem geistigen Auge sah, der ihm aufmunternd zuzwinkerte: „Herausforderungen sind dazu da, um sie zu meistern, mein Freund! Wenn es gilt, etwas zu schützen, das dir wichtig ist, so kämpfe! Verteidige die, die auch dich verteidigen würden!"
 

»Wie recht Ihr doch habt, Euer Gnaden! Fast hätte ich es vergessen....ich bin es mir selbst und meiner Ehre als Wächter schuldig, unsere Mitstreiter zu retten! Besonders Prinz Seiryuu....Die Angst schnürt mir die Kehle zu, aber sosehr ich Hades hasse und die Unterwelt verabscheue, ich muss ihnen helfen! Außerdem wäre es interessant, herauszufinden, ob der Fürst mich und meine Schwertklinge in Erinnerung behalten hat....«

Laut sagte er: „Genau! Aber wir sollten eine Gruppe bilden, nur zwei Krieger hinzuschicken, auch wenn sie Prinzen sind, ist viel zu gefährlich. Ich werde euch begleiten!"

„Ich auch." erklärte die Schwarzhaarige entschlossen. „Lasst mich diejenigen zusammenrufen, die uns auf unserer Mission zur Seite stehen werden. Erst einmal benötigen wir einen erprobten Scout, der sich in der Unterwelt auskennt. Ich schlage dafür Garland alias Sol vor. Damit hätten wir vier Reinkarnationen, die alle ihr Wissen über die Vergangenheit kombinieren können, um uns nützlich zu sein. Aus dem Kreis der Zwölf sollte ein Vertreter für jedes Element mitkommen. Ich bin Wasser, es fehlen also noch Erde, Feuer und Luft. Miguel liegt im Krankenhaus, ihn müssen wir von der Liste streichen. Wir könnten die Geschwister Fernandez fragen, Julia und Raul sind ein klasse Team. Bliebe noch Erde. Ich bin für Mathilda."

„Mathilda?! Bist du verrückt? Sie ist viel zu zart für so...."

Mariam grinste bedeutungsvoll. „Du hast sie noch nie kämpfen sehen, Maxie!"

„Ach, selbst wenn! Rick ist ein starker Krieger und seine Magie ist ebenfalls wesentlich kraftvoller, sie basiert auf Gestein! Sogar Mariah wäre eine klügere Wahl!"

„Und du denkst, bloß weil Mathildas Zauber mit Blumen zusammenhängt, sei sie keine echte Bedrohung für die Bestien der Dunkelheit? Ein Sturm kann einen Baum entwurzeln, aber es sind die kleinen Blumen, die sich nach einem Gewitter wieder der Sonne entgegenstrecken. Gib ihr eine Chance."

„Na schön, von mir aus....Was hältst du davon, Kai?"

Der Zwanzigjährige zuckte die Achseln und erwiderte in abweisendem Ton: „Spielt das eine Rolle? Ich werde mich nicht an dieser hirnrissigen Aktion beteiligen!"

Suzaku sprang auf, kurz davor, seinem Alter Ego einen Kinnhaken zu verpassen, um ihn endlich aus seiner tranceartigen Gleichgültigkeit zu reißen, doch jemand reagierte schneller als er. Dieser Jemand war - überraschend genug - Max. Er platzierte eine knallende Ohrfeige auf der Wange des Russen und zischte: „Jetzt habe ich genug von deinem Egoismus! Mir gefällt das alles auch nicht! Ja, ich hätte es auch gerne ignoriert, meine Aufgabe, mein Erbe, mein früheres Leben! Doch nun sind Menschen in Gefahr, die ich gern habe - und ich werde nicht zögern, sie zu befreien! Entweder du kommst mit....oder du verkriechst dich weiterhin wie ein Feigling in deinem Schneckenhaus! Du kannst nicht für immer auf der Flucht sein vor deinen Gefühlen! Ist dir Tyson denn so egal?!"

„Wie kannst du das behaupten?!" entgegnete der Ältere zornig und funkelte den Amerikaner mit seinen flammendroten Augen erbost an.

„Sag das nie wieder! Er ist mir nicht egal!!!"

Ein Zittern hatte seinen geschmeidigen Körper ergriffen und seine Stimme schien unter dem plötzlich aufwallenden Druck einer Woge reiner, enthemmter Empfindungen zu zerbersten. Eine Flut von wirren Gefühlen hatte ihn überwältigt; sein Herz pochte wild und das Blut schoss ihm wie im Rausch durch die Adern. In seinem Kopf donnerten zwei Gedanken gegeneinander wie Presslufthämmer: »Es war nicht Tyson, der sagte, er würde mich nicht lieben!« und »Er ist womöglich gefangen....allein....er braucht mich!« Konnte er sich länger gegen sein Schicksal sperren, wenn sein bester Freund in die Hände des Feindes gefallen war? Der Widerstreit seiner Seele spiegelte sich in seinen Augen und Max betrachtete ihn stumm, ehe er verständnisvoll nickte.

„Du liebst ihn....!"
 

Kai erstarrte, seine Lippen bebten, doch er gab nichts zu. Mit ausgreifenden Schritten marschierte er in den Garten hinaus und lehnte sich an den Stamm des Kirschbaumes, offensichtlich nicht gewillt, sich der Rettungsaktion anzuschließen. Suzaku folgte ihm und bedachte die anderen mit einem schelmischen Grinsen. Frei nach dem Motto: „Dem werde ich schon Vernunft einbläuen!" Er postierte sich neben seiner Reinkarnation und betrachtete ihn lange und eindringlich.

„Was willst du?!"

„Du musst ihnen helfen. Wenn du das, was dir am meisten auf dieser Welt bedeutet, nicht verlieren willst, musst du mit ihnen kommen und Tyson befreien. Iras ist endlich im Besitz des Mannes, nach dem er sich sehnt - solange Deimos‘ Auftrag, zwischen dir und Sei Unfrieden zu stiften, nicht erfüllt war, durfte er sich der Geisel vermutlich nicht nähern, aber jetzt....jetzt kann er ihn sich zu eigen machen. Und wenn ihm das gelingt, wird Tysons Herz für immer der Kälte gehören. Das kannst du nicht wollen." Er trat vor ihn und bemerkte seine verkrampfte Haltung; all seine Muskeln waren angespannt, als ringe er mit sich selbst. Der Phönixwächter hob die Hände und legte seine warmen Fingerspitzen an Kais kühle Schläfen.

„Erinnere dich!"

Der Russe schickte sich an, diese lästigen Hände fortzuschlagen, als Bilder von früher in seinem Geist herumzuwirbeln begannen. Zunächst schien keinerlei Ordnung darin feststellbar, bis sich vertraute Erinnerungen in den Vordergrund drängten. Sein erster Kampf mit Tyson.... sein Anfang bei den Bladebreakers....das Ereignis auf dem Eis-See, als der Japaner ihm seine Hand entgegengestreckt hatte, um ihm zu beweisen, dass er nicht mehr einsam war, jetzt, wo er Freunde hatte....Ihr Gefecht um den Titel, in dem sie einander nichts geschenkt hatten....und doch war es ein wunderbarer Moment und eine glanzvolle Konfrontation gewesen....und das Match gegen Brooklyn....Er stürzte in die Finsternis, befand sich mit einem Mal wieder inmitten des eisigen Wassers, dem er einst entkommen war und drohte, darin zu ertrinken....als sein Bewusstsein einzig durch die Tatsache seine Kraft zurückgewann, dass Tyson ihm damals geholfen hatte und auch diesmal bei ihm war....Er hatte ihm erneut die Hand gereicht und er hatte sie ergriffen, erfüllt von einer neuen, unglaublichen Stärke...."Kai!" Sein Name....Tyson hatte ihn gerufen und ihn aus seiner Lethargie gerissen....Und als es vorbei war, hatte der Blauhaarige ihn aufgefangen....er würde ihn immer auffangen....Sein Lächeln....seine Unterstützung....sein Vertrauen....Der Prinz des Feuers beendete seine Magie und musterte seinen Gegenüber mit der Ruhe und Zuversicht eines Kriegers, der aus einer anstrengenden und komplizierten Schlacht als Sieger hervorgegangen ist. Der Blader atmete schwer, und in einem Ausbruch von Wut und bittersüß-schmerzhafter Erkenntnis holte er mit seiner Faust aus, obgleich Suzaku sich davon in keiner Weise beeindruckt zeigte. Der Schlag sauste dicht an ihm vorbei und verblieb einen Moment in der Luft, ehe Kai den Arm wieder senkte. Seine Augen brannten vor unterdrückten Gefühlen und die Worte, die sein Mund formte, waren kaum lauter als ein Flüstern, denn sie ängstigten ihn. Er war stets vor dieser Wahrheit davongelaufen, doch nun hatte er keine andere Wahl mehr, als sich ihr zu stellen. Seine sture, unnachgiebige Art hatte ihn vielleicht den Mann gekostet, den er sowohl gehasst als auch zu respektieren gelernt hatte. Den Mann, den er von jeher als seinen Rivalen betrachtet hatte und der ihm trotz all seiner eigenen Weigerungen und Widerstände ein treuer Kamerad und Freund geworden war. Den Mann, der auf seinen Nerven herum trampeln konnte und ihm dennoch unentbehrlich schien. Den Mann, den er ob seiner Fähigkeiten und seines Willens schätzte und bewunderte. Den Mann, den er schön fand und den er begehrte.

Der Mann, den er liebte.

„Es ist wahr...." würgte er hervor, als könne er es selbst nicht fassen. „Es ist alles wahr....oh Gott, Suzaku....Ich....ich liebe ihn...."

„Ja. Ja, ich weiß...."
 

Tyson warf sich gegen seine Ketten, aber seine Bemühungen blieben erfolglos, außer dass ihm das harte Metall die Gelenke wundrieb. Sein Gefängnis war pechschwarz und nirgendwo drang der kleinste Lichtstrahl ein. Mit einem scheußlichen Quietschen öffnete sich die Kerkertür und jemand betrat den Raum.

„Bist du das, Deimos?! Ich habe es satt, mir dein triumphales Geschwätz anzuhören! Der Krieg ist noch nicht entschieden! Hiro wird dich abweisen und sobald die vier Prinzen wieder vereint sind, wirst du für alles bezahlen!"

„Sei....das solltest du ihm sagen, nicht mir."

Eine Fackel wurde entzündet und ihr Schein erhellte ein Gesicht mit edel geschnittenen Zügen, schwarzen Augen und rotem Haar. Der Neunzehnjährige knirschte mit den Zähnen.

„Iras!"

„Korrekt. Nun, da Deimos seine Aufgabe erfüllt und deine Liebe zu Suzaku in den Dreck gezogen hat, steht niemand mehr zwischen uns. Er hat seinen Gespielen bekommen und ich meinen Liebsten."

„Ich bin nicht dein Liebster!! Ich habe alles mit angesehen....er hat Kai verletzt! Er machte ihm weis, ich empfände nichts für ihn! Nein, noch schlimmer: Er ließ es so wirken, als würde ich ihn hassen! Dabei ist das nichts weiter als eine Riesenlüge!! Ich liebe ihn!! Ich habe ihn schon vor zehntausend Jahren geliebt, mit ganzem Herzen! Und ihr wagt es, diese Gefühle in den Schmutz zu treten, ihr Bastarde! Der Iras, den ich einmal kannte, ist nicht in dir - du bist nur eine schlechte Kopie dieses stolzen Wächters! Hades hat dich zu seinem Werkzeug gemacht, verstehst du das nicht?! Er manipuliert, gebraucht und tötet! Was wird passieren, wenn er deiner Dienste nicht mehr bedarf und ihrer überdrüssig wird?!"

„Sollte da je geschehen, was ich bezweifele, so wäre ich durchaus in der Lage, mich mit dem Fürsten zu messen. Aber ist das überhaupt von Interesse, wo du nun mir gehörst?" Er lächelte, doch es war ein eiskaltes Lächeln, das selbst die Lava eines aktiven Vulkans eingefroren hätte.

„Ich bin nicht dein Eigentum!" zischte Tyson zornig und spuckte ihm verächtlich vor die Füße.

„Du bist reizend, wenn du wütend bist, Sei", säuselte der Hüter von Wolborg und hob behutsam sein Kinn an. Die braunen Augen betrachteten ihn voller Ablehnung, doch Iras beachtete das nicht. Sein Ziel war in greifbarer Nähe....endlich würde er Suzaku demütigen können! Quälen würde er diesen verfluchten Flammenprinzen, bis nur noch ein armseliger Schatten übrigblieb!

Er neigte sich über den Hüter des Heiligen Drachen und hauchte sanft: „So schön....und mein!"

Sein Atem bildete eine sichtbare Wolke und glitt wie feuchter Nebel über die braungebrannten Wangen des Japaners. Dann küsste er ihn auf die Lippen und Tyson setzte unwillkürlich zu einem Schrei an, der natürlich sofort erstickt wurde. Eisige Kälte breitete sich in seinem gesamten Nervensystem aus und kroch in jede Zelle. Langsam bewegte sich diese Kälte auch auf sein Herz zu und ein heftiges Zittern durchrann ihn. Iras löste sich von ihm.

„Der Macht meines Eis-Kusses kannst du nicht widerstehen. Sobald seine Kälte dein Herz umschlossen hat, wird jede Empfindung, die du für einen anderen als mich hegst, daraus getilgt! Ich bin überzeugt, dass Suzaku versuchen wird, dich zu befreien....Und ich hoffe wirklich, dass er rechtzeitig hier sein wird, um deine Liebe....sterben zu sehen!"

Die Stimme aus dem Dunkeln

*glubsch* 101 Kommis! *_______* *strahl* Ist ja toll! Ich bedanke mich ganz herzlich bei Euch, liebe Leser! Hier ist also das neue Kapitel!
 

Kapitel 23: Die Stimme aus dem Dunkeln
 

Der Rettungstrupp für Hiro und Tyson hatte sich im Kinomiya-Dojo versammelt und war bereit zur Verwandlung. Die Geschwister Raul und Julia riefen ihre Kreaturen herbei, ebenso Mariam und Mathilda. Sie erhielten auf diese Weise ihre Wächteruniformen und musterten die vier wiedergeborenen Kämpfer in ihrer Mitte erwartungsvoll. Enrique griff nach seinem Beyblade und tauschte einen entschiedenen Blick mit Garland und Max.

„Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen des Feuers! Zeige dich, Apollon!!"

„Ehrenwertes Geschöpf, mit dem ich einen Bund geschlossen habe! Erhöre meinen Ruf, denn ich beschwöre dich im Namen der Erde! Zeige dich, Amphilyon!!"

Der blonde Amerikaner beobachtete den kühlen Russen aus den Augenwinkeln, unsicher, wie dieser reagieren würde. Falls es Suzaku gelungen war, ihn zu überzeugen, war deshalb noch längst nicht geklärt, auf welche Art und Weise sich Kai an der Aktion beteiligen würde. Kam denn für ihn, den ewigen Verweigerer, eine freiwillige Metamorphose in Frage?

„FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!"

Genbu betrat die Szene und wandte sich an seinen Kameraden. „Was ist? Verwandele dich, in dieser Gestalt kannst du nicht kämpfen."

„Zum letzten Mal: Dieser ganze Hokuspokus interessiert mich nicht! Ich kann die Energie meines Blades benutzen, um mich zu wehren. Das ist meine Waffe, die Waffe, die ich gut kenne und von der ich weiß, wie ich sie einsetzen kann."

„Das mag stimmen, aber du vergisst, dass wir es mit Dämonen und anderen Nettigkeiten zu tun bekommen werden. Nicht zu vergessen Iras und Deimos und im schlimmsten Fall Hades. Sie fassen niemanden mit Samthandschuhen an und ohne Rüstung bist du so gut wie tot! Außerdem kannst du als Mensch nicht in vollem Ausmaß auf deine magischen Kräfte zurückgreifen. Das ist viel zu riskant! Ich gehe eigentlich davon aus, dass du diese Mission überleben möchtest!"

Diese sarkastische Seite an Max war neu für Kai. Die blauen Augen musterten ihn durchdringend und er spürte unter dem Naturell des heiteren, fröhlichen Optimisten, das man mit dem einer herrlich sprudelnden Quelle vergleichen konnte, auch das Potential einer sämtliche Dämme brechenden Sturmflut, die in ihrer Unberechenbarkeit alles unter sich begraben konnte. Aber obwohl er sich insgeheim eingestand, dass der andere mit seinen Worten recht hatte, konnte er doch nicht seine eigenen Prinzipien verraten?

„Ich werde mich nicht verwandeln!!" erwiderte der Russe bockig, als ihn Suzaku am Kragen packte und ihn mit seinem flammenden Blick konfrontierte, der den jungen Mann zu lähmen schien wie eine Maus vor einem Raubvogel, der auf sie herniederstürzt.

„Du hältst jetzt die Klappe und hörst mir zu!!! Du hast in deiner menschlichen Form nicht die geringste Chance gegen die Mächte der Finsternis, hast du das kapiert, du Holzkopf!?! Denkst du, Tyson wäre geholfen, wenn du stirbst?!?! Ja, ich weiß, diese Welt ist es deiner Meinung nach nicht wert, beschützt zu werden, da du nur Leid erfahren hast - aber ist das wirklich so, du verbohrter Idiot!?! Was ist mit dem Beybladen, dem Sport, den du liebgewonnen hast? Was ist mit den Freunden, die du gefunden und denen du zu einem gewissen Grad dein Herz geöffnet hast, wie etwa Ray, Max und Kenny?! Was ist mit den Freunden, die dein Los geteilt haben, wie etwa Tala und Bryan?! Was ist mit all den prägenden Duellen, die dich mit den unterschiedlichsten Charakteren zusammengeführt und dich mit ihren Schicksalen in Berührung gebracht haben?! Was ist mit Tyson und deiner Liebe zu ihm!?! DENK NACH, VERDAMMT!!! Neben deinem Schmerz, deiner Einsamkeit, deinem Misstrauen....sind nicht auch diese Dinge, die du schätzt, diese Menschen, die dir viel bedeuten, ein TEIL dieser Welt!?!"

»Ein....Teil....dieser Welt....« wiederholte Dranzers Hüter in Gedanken. Die Wahrhaftigkeit dessen, was sein Alter Ego gesagt hatte, brannte sich in sein Herz und ließ ihn erschauern. Von Suzaku ging eine fast beängstigende Aura von Leidenschaft und Majestät aus; er erkannte seinen eigenen Stolz und seine eigene Starrköpfigkeit darin, aber auch die Fähigkeit, seine Gefühle offen auszuleben, Verständnis für andere zu zeigen und das Dasein zu genießen, Eigenschaften, die er nie besessen hatte....und dennoch war dies der Mann, der er hätte sein können, wenn Hades alias Boris ihn nicht von innen heraus zerstört hätte.

„Durch die Transformation wechseln unsere Persönlichkeiten. Du bist nicht einverstanden damit, und es gäbe eine Möglichkeit, das zu ändern. Wenn unsere Seelen zu einer verschmelzen würden, wärst du unabhängig."

„Aber wenn ich das zulasse, wird es dich nicht mehr geben. Du würdest dich....opfern?"

„Kai....du bist meine Reinkarnation. Ich sollte gar nicht hier sein. Es wäre für mich also kein allzu großes Opfer. Dennoch möchte ich, dass du eines weißt: Ich bin dankbar dafür, dass ich dich kennen lernen durfte....mein Freund."

Er umarmte den überrumpelten Blader und verschwand nach und nach in dessen Körper. Einen Moment lang verharrte Kai bewegungslos. Dann umklammerten seine Finger den Kreisel und er murmelte: „Für die Ehre von Eden!" Feuer hüllte ihn ein und als die Verwandlung beendet war, erhob sich Prinz Suzaku vor der Gruppe, prachtvoll anzusehen in seiner Rüstung mit dem wehenden Umhang und dem langen, zu einem Zopf gebundenen Haar.

„Vielen Dank, Kai", erklärte der Krieger und drehte sich zu dem anderen um, der nun in durchsichtiger Gestalt vor ihm stand. „Wir werden Sei retten - gemeinsam!"

„Dir ist hoffentlich nicht entfallen, dass wir auch wegen Hiro in die Unterwelt reisen, oder? Wenn ja, wäre das höchst bedauerlich."

„Spar dir deinen Sarkasmus, Genbu, sei so gut!"
 

####
 

„WAS?!?!"

Lee setzte eine beschwichtigende Miene auf und komplimentierte Mystel in seinen Sessel zurück, aus dem dieser hochgeschossen war.

„Schau nicht so verbiestert. Garland ist ein ausgezeichneter Scout, darüber bist du dir doch sicher im Klaren? Ihm wird schon nichts passieren, während er fort ist! Zwei Prinzen sind bei ihm und der Rest des Teams besteht auch nicht aus Schwächlingen!"

„Trotzdem! Er hätte mir sagen sollen, welche Mission er angenommen hat!"

„Er wollte dich nicht unnötig beunruhigen." mischte sich Mariah ein und ihre Worte gossen dabei Öl auf sturmgepeitschte Wogen. Der Ägypter stieß einen Seufzer aus und nickte. Er zweifelte keine Sekunde, dass das Garlands Motiv gewesen war, aber es stimmte ihn nichtsdestotrotz ein wenig ärgerlich. Während er vor sich hin grummelte, schlängelte sich die junge Frau zu ihrem Bruder und legte ihm von hinten die Arme um die Schultern.

„Was ist nun? Mr. Dickenson hat dir doch aufgetragen, uns etwas mitzuteilen und du schweigst dich aus! Machst du dir Sorgen wegen deinem geliebten Raul?" neckte sie ihn mit einem spitzbübischen Grinsen, wofür Lee sie mit einem niederschmetternden Blick strafte.

„Es ist unter meiner Würde, darauf zu antworten. Aber zum Thema: Bryans Leben kann gerettet werden, und zwar mit einem Heiltrank, der aus den Blättern des Heiligen Baumes gebraut wird. Wie ihr wisst, befindet sich dieser Baum in Eden und Diomedes hat befohlen, eine Expedition in die Wächterdimension zu schicken, die ihm diese Blätter besorgen soll. Daichi wird als zukünftiger Zaubermeister der Leiter dieses Expedition sein und er hat mir eine Liste mitgegeben mit den Namen der Hüter, die ihn begleiten sollen. Einer von ihnen bist du."

Er deutete auf Mystel und dieser hob überrascht die Augenbrauen.

„Ich? Aber warum ich?"

„Du bist Leviathans Wiedergeburt, vergiss das nicht. Wir brauchen jemanden, der sich in Eden auskennt. Die Bluterben haben ja nie in diesem Paradies gelebt."

„Es war einmal ein Paradies, bevor...." Seine Stimme klang dumpf und verbittert, als dunkle Erinnerungen den Geist des Blonden überschatteten. Blut, das Blitzen von Schwertern, Rauchwolken und Silhouetten von Wächtern und Kreaturen, die vom Bösen verschluckt wurden, verdichteten sich in seinem Kopf zu einem schrecklichen Szenario.

„Entschuldige....ich....ich wollte nicht...."

„Nein, ist schon okay, du kannst nichts dafür. Aber Eden hat sich nach seiner Zerstörung neu regeneriert. Vieles wird sich verändert haben."

„Glaubst du dennoch, dass du uns helfen könntest?"

„Ja. Ja, das kann ich. Eden war meine Heimat. Wenn einer den Heiligen Baum finden kann, so dürfte ich das sein. Wer steht sonst noch auf der Liste?"

„Rick, Carlos, Romero und ich. Mariah wird bei Claude bleiben, die beiden bewachen Miguel, Ray und Bryan im Krankenhaus, denn Mr. Dickenson befürchtet, dass Hades unsere Verletzten als leichte Beute betrachten könnte. Wir brechen in einer halben Stunde auf!"
 

Unterdessen sass ein gewisser rothaariger Fünfzehnjähriger in seinem Hotelzimmer auf dem Teppichboden und meditierte. Vor seiner Brust sammelten sich magische Energien in Form von goldenen Lichtfunken zu einer hellen Kugel zusammen, die eine angenehme Wärme verströmte. Es klopfte, aber der Jugendliche reagierte nicht. Nachdem das Pochen zwei weitere Male erklungen war, schob sich die Person, die ihn zu sprechen wünschte, in den hübschen Raum und beobachtete ihn. Es war Carlos, der in seiner üblichen burschikosen Art einfach auf Daichi zutrat und ihn leicht schüttelte. „He, ich bin‘s!"

Die Energiekugel vibrierte und raste kurz darauf dicht an dem Spanier vorbei und schlug in die Wand hinter ihm ein, wo ein Brandfleck zurückblieb. „Hoppla...."

„Unterbrich niemals die Meditation eines Hohepriesters!" bemerkte Daichi säuerlich und richtete sich auf. Er trug einen schwarzen Rollkragenpullover und dazu eine Jeans, die seine schlanken Beine recht anziehend zur Geltung brachte, wie dem Schwarzhaarigen auffiel. Er räusperte sich ein bisschen verlegen und meinte: „Verzeih....ich hatte keine Ahnung, dass es so, na ja, gefährlich sein kann, einen Zaubermeister in seiner Konzentration zu stören. Du wirst also die ‚Mission Eden‘ anführen, hm? Kann ein Heiltrank aus diesen magischen Blättern wirklich Bryans Leben retten? Immerhin ist er doch sehr schwer verwundet...."

„Wenn wir uns beeilen, können wir es bestimmt schaffen! Ich glaube daran!"

„Du bist sehr zuversichtlich. Sag mal....was ich dich schon eine ganze Weile mal fragen wollte....Hast du eigentlich schon einen Freund?"

„Hä?! Was....was soll denn das für eine Frage sein?!"

„Na, du und ich, wir sind bisher bloß Kumpels gewesen, nicht? Deswegen...."

„Jetzt mach keine Witze! Wie kommst du auf die bescheuerte Idee, ich könnte bereits einen festen Freund haben?!"

„Ich dachte ja nur....so ein süßer Kerl wie du...."

Der Jüngere starrte ihn perplex an und wurde plötzlich so rot, dass man sein Gesicht kaum mehr von seinen Haaren unterscheiden konnte. Er fingerte nervös an seinem Pulli herum und musste schlucken.

»Er findet mich süß?? Das ist....das ist absolut cool! Carlos ist so ein toller Typ und dass er mich überhaupt beachtet....He?! Scheiße, ich klinge wie ein liebeskrankes Schulmädchen! Aber ich mag ihn wirklich unheimlich gern....das heißt....wenn ich es mir genau überlege....oh Mist, ich glaube, ich bin verliebt in ihn!«

»Er wird rot....! Nein, wie niedlich. Er sieht einfach zum Anbeißen süß aus....und dann gibt es da wieder diese Momente, wo er echt sexy wirkt....Aus dem wird später mal ein klasse Mann. Im Grunde ist er jetzt schon klasse....Ich mag ihn total....oder könnte da sogar....mehr sein?«

„Äh....darf man stören?"
 

Die beiden zuckten zusammen, als hätte man sie in einer kompromittierten Situation ertappt. Rick grinste amüsiert und warf sein glattgekämmtes silbernes Haar zurück. Er war lässig gekleidet und hielt in der rechten Hand sein Handy, das gerade mit dem Verbindungsaufbau beschäftigt war. „Kommt ins Foyer, man wartet nur noch auf euch. Ich telefoniere schnell, danach bin ich auch verfügbar. Was ist? So schweigsam?"

Daichi und Carlos hasteten an ihm vorbei und am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Frauenstimme.

„Yes, Mrs. Connor speaking?" (Ja, hier spricht Mrs. Connor)

„Hallo Darling", begrüßte der Amerikaner seine Frau in schönstem Südstaaten-Englisch (er stammte aus Atlanta/Georgia) und Sheila ließ einen entzückten Ausruf hören.

„Endlich meldest du dich! Warum dauert das so lange?"

„Wichtige Verpflichtungen. Sehr wichtige sogar...." setzte er hinzu und sie begriff. Sie fühlte, wie kalte Angst ihr Herz umschloss und zwang sich mit Mühe zum weitersprechen.

„Es....es geht um dein anderes Leben, nicht wahr?"

Sie hatte ihm geglaubt, als er ihr erzählt hatte, er würde aus geschäftlichen Gründen nach Japan fliegen, war aber eine unbestimmte, dunkle Ahnung nie losgeworden. Nun wurden ihre Zweifel bestätigt, denn das „andere Leben" ihres Mannes, fernab vom Verkauf irgendwelcher Immobilien, fernab von der beschaulichen Existenz seiner Familie, hing mit Gefahren und Schrecken zusammen, denen sie nicht einmal einen Namen zu geben wagte. Sie hatte ihn kennen gelernt, als sie von einem Dieb bedroht worden war und er ihr geholfen hatte. Von Anfang an hatte sie das Geheimnis fasziniert, das um ihn herum war, denn Rick schien von einer Aura des Rätselhaften und Magischen umhüllt zu sein. Eines Tages hatte er ihr dieses Geheimnis offenbart, denn während eines Erdbebens, als Gebäudeteile auf sie herabzustürzen drohten, hatte er ihren Fall gebremst und sie erneut gerettet. Sie kannte die Geschichte von Eden und fürchtete um ihren Gatten.

„Richtig, mein Liebes. Es geht um mein anderes Leben. Ich werde meinen Vater kontakten und ihn bitten, zu dir und den Kindern zu fahren, damit er auf euch aufpasst. Er wird nicht begeistert sein, seinen Hawaii-Urlaub unterbrechen zu müssen, aber er weiß noch nicht, wie ernst die Lage wirklich ist. In den nächsten vierundzwanzig Stunden wird er mit Mutter bei euch sein. Sie sind beide Wächter und auch ohne Kreatur dürften ihre Kräfte genügen, um euch zu beschützen."

„Du glaubst....dass uns etwas geschehen könnte?"

„Ich will nichts riskieren. Hab Mut, Sheila - und vertraue darauf, dass ich zurückkomme. Leb wohl....ich liebe dich."

„Ich liebe dich auch...." flüsterte sie, aber da hatte er bereits aufgelegt. Die 26jährige Frau mit der modischen Kurzhaarfrisur hängte den Hörer ein und lehnte ihren Kopf gegen die Hauswand. Sie schluchzte nicht, die Tränen liefen lautlos über ihre Wangen. Ein kleiner Junge von vier Jahren stapfte zur ihr in die Küche, an der Hand sein Schwesterchen, ein bezopftes Mädchen von etwa anderthalb Jahren.

„Spielst du mit uns, Mama?"

Sie straffte die Schultern und wischte sich rasch über das Gesicht. Mit einem gekünstelten Lächeln, das ihren Kindern Gott sei Dank nicht auffiel, wandte sie sich um und antwortete: „Ich....ja, sofort. Euer Daddy hat angerufen. Er hat gesagt, Opa und Oma kommen zu Besuch."

„Oh, super!"
 

Hiro rüttelte an seinen Ketten, doch seine Anstrengungen blieben ohne Ergebnis. Deimos, der ihn beobachtete, lachte hämisch. „Lass es sein, Schönster. Du quälst dich nur selbst, wenn du weiterhin darauf hoffst, mir entfliehen zu können. Es ist sinnlos. Hmm...." Er strich mit einem Finger über den nackten Oberkörper des anderen, der nichts weiter trug als seine hakama, den japanischen Hosenrock, der früher zur Kleidung der Samurai gehört hatte und heute bei Kendo-Gewändern obligatorisch war. Mehr hatte er nicht am Leib gehabt, als der Krieger des Hasses ihn in Tysons Gestalt entführt hatte. Seine Zunge ersetzte den Finger und glitt sanft über das Schlüsselbein und die linke Brustwarze hinweg. Er biss behutsam hinein und massierte sie zärtlich, doch Hiro presste die Lippen zusammen, um sein Keuchen zu unterbinden.

„Das gefällt dir, Schönster, ich spüre es. Ergib dich mir....du bist mein!"

„Das bin ich nicht!" zischte der Silberhaarige und machte sich steif wie ein Brett. Sein Antlitz drückte nichts als eisige Verachtung aus und Deimos war sichtlich ein wenig enttäuscht.

„Das ist nicht recht....du solltest nicht so stur sein. Dein Bruder ist in unserer Gewalt, denke daran! Du willst sicher nicht, dass ihm etwas zustößt, oder?" Er grinste boshaft und wiederholte sein Spielchen bei der rechten Brustwarze. Hiro reagierte in Sekundenbruchteilen. Sein Bein schnellte nach oben und traf seinen Gegenüber im Schritt, wo ein Mann erfahrungsgemäß den meisten Schmerz empfindet. Der Wächter von Zeus stöhnte auf und sackte in die Knie. Seine schwarzen Augen funkelten seine Beute wütend an und er spie die nächsten Sätze aus wie Gift: „Du wagst es?! Weißt du überhaupt, was ich dir antun könnte?! Dich foltern, entwürdigen, schänden, das könnte ich, ohne mit der Wimper zu zucken!! Ist dir dein verruchter Stolz durch nichts auszutreiben, du nutzloses Stück Fleisch?!" In einer wilden, zornigen Geste schlug er seine Nägel in die braungetönte Haut und hinterließ dort blutige Kratzer. Der Kendoka schrie nicht auf, sondern schluckte den Laut hinunter, seinen Blickkontakt mit Deimos aufrechterhaltend.

„Du wirst mich niemals besitzen", erklärte er ruhig und kühl. „Wer meinen Körper will, muss mein Herz erobern. Dir kann das nicht gelingen, denn du weißt nicht, was Liebe ist."

„Wenn ich an all meine amourösen Abenteuer denke, die ich hatte, bevor ich in dieser Welt wiedergeboren wurde, würde ich das Gegenteil behaupten. Mir scheint, ich habe eine mannigfaltige Erfahrung auf diesem Gebiet."

„Das ist nicht Liebe. Liebe ist ein Gefühl, das auf ein Individuum die Herrlichkeit des Universums überträgt, die Summe aller unausgesprochenen Träume. Du bist der Soldat des Hasses. Du kannst nur begehren, nicht lieben. Du magst mächtig sein und gefürchtet, aber ich habe niemals zuvor ein Wesen gekannt, das so bemitleidenswert war wie du."

„Bemitleidenswert?!" echote Deimos ungläubig und lachte laut auf. „Du nennst mich bemitleidenswert? Wer von uns beiden ist gefesselt und sollte lieber um Gnade winseln, anstatt weise Reden zu schwingen? Liebe ist nichts weiter als Selbstbetrug! Es ist die Gier, die diesen Planeten und seine Bewohner beherrscht, nicht die Liebe! Jeder ist sich selbst der nächste! Alles, was uns das Leben bieten kann, ist Traurigkeit, Kummer, Angst, Einsamkeit, Schmerz! Man kann niemandem vertrauen! Egosismus, Neid, Missgunst, das sind die Werte, von denen eure menschliche Gesellschaft geprägt ist - so, wie sie es immer war, verdorben bis ins Mark!"

„Du hast recht. Die Welt ist kein Schlaraffenland. Aber es ist an einem jeden selbst, das beste mit der Zeit anzufangen, die ihm hier auf Erden gegeben ist....und wenn ein Mensch den falschen Weg einschlägt und sich freiwillig einsam und unglücklich macht, weil er auf die Liebe wartet, so hat das mit Liebe nichts zu tun. Liebe ist nicht etwas, das man einfach so geschenkt bekommt. Liebe ist etwas, das man tun muss. Und aus diesem Grund bist du zu bemitleiden, weil du das nicht verstehst....weil du deswegen nichts hast, das von Dauer ist."

„Bei Gott, du glaubst dieses Geschwätz auch noch! Wie ekelhaft rührselig!!"
 

„Wer bist du, Deimos? Bevor Hades dich in seinen Krieger verwandelte, musst du ein anderer gewesen sein. Wer? Was für ein Leben hast du geführt, bevor er deine Seele vernichtet hat? Warst du ein Wächter? Oder sogar ein Mensch? Kennst du deine wahre Identität eigentlich?"

„Was interessiert mich das jämmerliche Ich der Vergangenheit, das ich einmal gewesen bin! Lord Hades hat mir eine neue, eine starke Existenz verliehen, tausendmal besser als das Häuflein Elend, das ich vor langer Zeit einst war!" Er leckte das Blut aus den Kratzwunden auf und küsste Hiro auf den Mund. Der Schwertkämpfer wandte angewidert den Kopf ab und der Orangehaarige verpasste ihm eine Ohrfeige.

„Vielleicht....vielleicht warst du ein Häuflein Elend....aber du hattest ein Herz! Ein verletztes Herz, das auch die Liebe hätte heilen können. Der Unterschied ist nur, dass der Hass dich zuerst gefunden hat! Und er ist schlimmer als es deine Einsamkeit je war, davon bin ich überzeugt!"

„Ich brauche kein Herz! Und deines will ich auch nicht....ich will nur deinen Körper!"

„Nie! Nie, verstehst du?! Ich werde mich dir verweigern, und zwar für immer! Ein dreckiger Bastard wie du wird mich nie bezähmen!" Er spuckte aus und Deimos war starr vor Empörung. Er holte erneut zu einem Schlag aus, als ihn die tiefbraunen Augen des Bladers hart und unversöhnlich musterten; unnachgiebig, eisern, stark. Dieser Mann verfügte über einen Willen aus Stahl....nichts würde ihn brechen.

„Du bist mein!" wiederholte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Niemand außer mir darf dich berühren! Du wirst mir gehören....aus freien Stücken!"

„Nein, das werde ich nicht. Ich liebe nicht dich, sondern Brooklyn. Du magst aussehen wie er, aber das ändert nichts. Ich werde mich niemals einem Mann darbieten, den ich verabscheue. Lass mich allein."

Der Kämpfer des Hasses gehorchte diesem Befehl aus Gründen, die ihm selbst nicht ganz klar waren. Er warf die Kerkertür ungewohnt heftig ins Schloss und verließ das Gefängnis in dem deprimierenden Gefühl, auch in dieser Konfrontation mit dem schönen Hiro nicht das letzte Wort gehabt zu haben. Der 24jährige lauschte seinen enteilenden Schritten und legte den Kopf in den Nacken. Obwohl er es sich nicht anmerken ließ, hatte er Angst. Er wollte um keinen Preis, dass Deimos ihn anfasste, aber er fragte sich, wie lange er diesen Teufel noch davon abhalten konnte, ihn mit Gewalt zu nehmen. Außerdem machte er sich große Sorgen um seinen jüngeren Bruder. Wo war er? Ebenfalls eingesperrt? Wenn ja, was hatte man bereits mit ihm angestellt? Zum Beispiel dieser Iras, der hinter ihm her war - wie weit würde er gehen, um sich Tysons Liebe anzueignen?

»Und ich kann ihm nicht helfen!« dachte er verzweifelt.

//Verlier nicht den Mut, Hiro! Ich bin bei dir!//

Eine leise, sanfte und liebevolle Stimme sprach in einem seltsam transparenten, kindlichen Ton zu ihm. Er blickte sich suchend um, konnte aber in der Dunkelheit seines Verlieses niemanden entdecken.

„Wer ist da?"

//Ein Freund. Ich kann nicht viel für dich tun, aber versuchen muss ich es. Ich habe lange nicht gewagt, mich zu zeigen, aus Furcht, Deimos würde mich erkennen. Aber nun bist du hier und er quält dich....ich kann das nicht ertragen!//

Eine kleine Gestalt, die eigentümlich durchscheinend wirkte, als wäre sie ein Geist, näherte sich ihm. Die weiße Vermummung trug das ihre zu dieser Idee bei, doch das Kind - der Stimme nach zu urteilen ein Junge - sagte, als hätte es seine Gedanken gelesen: //Nein, ich bin kein Geist. Etwas ähnliches vielleicht, denn auch ich finde keine Ruhe. Er hat dich verwundet. Tut es sehr weh?//

„Nein, die Kratzer sind harmlos. Wer bist du?"

//Das möchte ich noch für mich behalten. Die Kratzer sind übrigens nicht harmlos. Du blutest! Wie konnte er nur!// Der Junge streckte seine Hände aus und berührte die Verletzungen. Seine Finger waren unendlich warm und weich und verwundert beobachtete der Kendoka, wie seine Haut sich regenerierte.

„Du besitzt Heilkräfte?"

//Ja. Von jetzt an werde ich versuchen, auf dich achtzugeben. Ich will nicht, dass er dich demütigt! Wenn du mich brauchst, so rufe einfach nach mir....der Stimme aus dem Dunkeln.//

Damit verschwand er so rasch, wie er gekommen war. Der Silberhaarige war verwirrt, aber dankbar, denn er hatte keine Schmerzen mehr und war offensichtlich auch nicht allein in seinem Gefängnis. Dennoch. Wer war diese „Stimme aus dem Dunkeln"?

Der Kampf in der Unterwelt

Ja, das neue Kapitel! Ich hab auch ein Fanart zu TBoC gezeichnet (obwohl es alles andere als berauschend ist, aber na ja....), das war vielleicht eine Schufterei - und es sieht nur halb so gut aus wie in meinem Kopf! *seufz* Viel Spaß mit dem neuen Kapitel....wir nähern uns immer mehr der Konfrontation zwischen Iras und Suzaku!
 

Kapitel 24: Der Kampf in der Unterwelt
 

Iras hatte Tyson von seinen Ketten befreit und ihn in sein Gemach im Palast von Hades gebracht. Der Japaner war auf einen Diwan mit weichen Kissen gebettet und trug ein elegantes, dunkelblaues Gewand mit goldenen Verzierungen. Er war in einen unruhigen Schlaf gefallen und ein heftiges Zittern durchlief ihn, als fröre er stark. Das waren die Auswirkungen des Eis-Kusses und die Kälte breitete sich immer weiter in seinem Organismus aus. Wenn Suzaku nicht bald kam....Der Krieger des Zorns streichelte ihm zärtlich durchs Haar und flüsterte: „Du wirst mir gehören, Sei. Ich habe eine Ewigkeit auf diesen Moment gewartet....und ich werde nicht gegen den Prinz des Feuers verlieren! Er ist deiner Liebe doch gar nicht würdig! Ich werde ihn zermalmen und seine sterbenden Überreste den Dämonen zum Fraß vorwerfen! Ich werde....ah...verdammt....aahhh...."

Iras presste eine Hand auf seine Brust und rang nach Atem, während das schmerzhafte Pochen in seinem Körper anhielt. Er wusste, dass das die Seele seines anderen Ichs war, das sich bemühte, in ihm an die Oberfläche zu dringen. Seit dem Gefecht gegen Boreas, wo Tala durchgebrochen war, hatte er bereits zweimal diese Anfälle gehabt. Der Widerstand war schwach, aber dafür unangenehm und zeigte sich zudem immer regelmäßiger. Er konzentrierte sich auf seinen Hass gegenüber Suzaku, erinnerte sich an seine Loyalität, die ihn an Lord Hades band und das Pochen hörte auf.

»Gib endlich auf, du verfluchte Seele! Du wirst mich nicht noch einmal bezwingen! Dein Körper ist mein Eigentum! Meine Hände werden Dranzers Wächter töten, egal, wie sehr du dich dagegen sträubst! Ich werde unsere Feinde besiegen und der Herrschaft meines Königs den Weg ebnen!«

Er hob den Kopf und blickte zu dem Sockel hinüber, auf dem die Wasserschüssel stand, mit deren Hilfe er die Unterwelt auskundschaften konnte. Er holte den Krug von einem Tisch in der Nähe und goss einen Schwall Flüssigkeit in die Schüssel.

„Allsehender Spiegel - zeige mir die Widersacher Seiner Majestät!"

Die Wasseroberfläche kräuselte sich leicht und ein Bild erschien. Der Rothaarige war wenig begeistert, als er erkannte, dass sich seine Gegner bereits auf seinem Gebiet befanden. Also waren sie tatsächlich gekommen, um ihre Freunde zu retten! Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als Suzaku in die Szene trat.

»Soso....Kai hat sich verwandelt, ja? Er hat dir seinen Körper freiwillig überlassen. Das erstaunt mich. Vermutlich hast du ihn eingewickelt, alter Schönschwätzer! Bei unserer letzten Konfrontation habe ich dich geschont. Diesmal werde ich dich vernichten!«

Da entdeckte er Genbu und er fuhr urplötzlich zurück. Der Prinz des Wassers war dabei?! Seit wann war er erwacht?! Das konnte doch nur während des Gefechts mit Deimos passiert sein! Warum hatte ihm dieser Narr das nicht erzählt?! Genbu....ausgerechnet Genbu!! Der schwarzgekleidete Soldat umklammerte den Sockel, um sich abzustützen, denn eine machtvolle Erinnerung floss durch seinen Geist. Er kniete vor dem Thron des Herrschers von Aquaria, hatte das Haupt ehrerbietig geneigt und sagte: „Ich schwöre Euch hiermit meine unabdingbare Treue, Prinz Genbu! Als Anführer Eurer Leibwache werde ich alles tun, um Euch zu beschützen! Ich verspreche, Euch in schwierigen Zeiten beizustehen und Euch bis in den Tod zu folgen!" Iras ließ ein gequältes Aufstöhnen hören und wiederholte mechanisch: „Nein....! Mein Leben steht im Dienste von Lord Hades! Ich habe es geschworen....ich habe es geschworen....!"

Warum zum Teufel verschwanden diese Lügengebilde nicht aus seinem Kopf?! Das konnte doch nicht wahr sein!! Seine Loyalität galt nur einem....! Aber dieses Gefühl von Vertrauen und Respekt, das er mit dem Gesicht des Blondschopfes verband, schwand nicht aus seinen Gedanken, sondern verharrte dort, hartnäckig und störrisch, und in einer impulsiven Geste der Wut und Verwirrung fegte er die Schüssel von ihrem Sockel, sodass sie am Boden in grobe Scherben zerschellte. Sein Atem ging keuchend, und seine Hände ballten sich krampfartig zu Fäusten. Nein, er würde nichts auf diese Vision geben! Hades war sein einziger Herr, niemand sonst! Er zog die Gesichtsmaske seines schwarzen Outfits hoch, die Mund und Nase verbarg, schnallte sich sein aus einem Eissplitter geschaffenes Schwert um und eilte seinen Feinden entgegen, fest entschlossen, ihnen den Lebensfaden zu durchschneiden.

Garland marschierte voraus, misstrauisch in jede Nische und hinter jeden Felsen lugend, hinter dem sich unliebsame Überraschungen verstecken konnten. Hinter ihm folgten die beiden Prinzen, danach Mathilda, Julia und Mariam, Raul und Enrique bildeten das Schlusslicht. Die jungen Wächter, durch die Magie in ihrem Inneren stark sensibilisiert für die natürlichen Strömungen von Zauberkräften, erschauerten angesichts der verdorbenen, düsteren Macht, die sich in jedem Stein, jedem welken Grashalm, ja selbst in der Luft der Unterwelt manifestierte und in sich das Geheimnis eines namenlosen Grauens barg. Schwarze Magie war umso gefährlicher, da sie sich die negativen Ausprägungen der Schöpfung zunutze machen und nur von einem vergifteten Herzen und einer verlorenen Seele beherrscht werden konnte, wie Hades sie in sich trug. Mathilda war zum ersten Mal an diesem schrecklichen Ort und erkannte bestürzt, dass all das, was ihr die anderen Mitglieder der Zwölf erzählt hatten, der Wahrheit entsprach. Die Dunkelheit um sie herum, die kargen Felsen, die wie finstere Mahnmale vor ihr aufragten, das schmutzig und schlammig wirkende Wasser des Flusses Lethe und das abscheuliche Gekreisch irgendwelchen Getiers ließen ihr den Angstschweiß ausbrechen. Sie war erleichtert, dass ihre Begleiter bei ihr waren, kämpfte aber gleichzeitig gegen ihre Furcht an, indem sie sich sagte: »Ich bin eine Wächterin! Ich behüte eine uralte Kreatur aus vergessenen Zeiten und ich kann mich wehren! Ich darf mich nicht einschüchtern lassen! Man hat mich für diese Mission ausgewählt und ich will das mir entgegengebrachte Vertrauen nicht enttäuschen! Ich werde tapfer sein!«

Plötzlich spürte sie eine warme, tröstende Hand auf ihrer Schulter und drehte sich verwirrt um. Ein freundliches und charmantes Lächeln strahlte ihr entgegen, das ihre Wangen rot werden ließ. „Mach dir nicht zu viele Gedanken, mia bella! Die Umgebung mag abstoßend sein, aber erinnere dich, dass wir hier sind, um unsere Freunde zu befreien! Wir sind ihre Hoffnung.... richte also deine Augen auf dieses Ziel und sei zuversichtlich."

„Vielen Dank, Enrique. Ich will mich daran halten."

Sie schenkte ihm ebenfalls ein herzliches Lächeln und dem jungen Italiener fiel auf, dass sie sehr schöne Augen hatte. Mariams linke Braue wanderte vielsagend in die Höhe, aber der ertappte und verhinderte Romeo schleuderte nur einen vernichtenden Blick in ihre Richtung, den sie allerdings mit einem unbeeindruckten Schmunzeln quittierte.
 

Genbu indessen war recht schweigsam und Suzaku betrachtete ihn besorgt. Was mochte ihn beschäftigen? Er fühlte instinktiv, dass es sich um eine Herzensangelegenheit handelte.

„Denkst du an Ray?" erkundigte er sich daher vorsichtig.

„Wie....? Ich....hm, ja. Gewiss, Mariah und Claude sind bei den Verletzen im Krankenhaus geblieben, aber dennoch kann ich mich einer bösen Ahnung nicht entziehen. Dieser Krieg ist noch lange nicht entschieden, mein Freund. Pan hat uns von der Sache in England berichtet und das ist äußerst beunruhigend...."

„Du meinst den Dimensionsriss in Stonehenge?"

„Genau. Stonehenge ist ein Ort, an dem sich geheiligte Magie konzentriert. Dass Hades‘ dunkle Kräfte ausgerechnet dort bis an die Oberfläche dringen konnten, um Dämonen freizugeben.... das ist eine Katastrophe! Eingedenk der Erinnerungen meiner früheren Existenz weiß ich, dass es hier auf Erden viele weitere Plätze gibt, an denen sich heilige Energien sammeln. Leider kenne ich die wenigsten in ihrer heutigen Form."

„Ja." erklang mit einem Mal Julias ernste Stimme. „In jedem Land dieser Welt sind mehrere dieser Knotenpunkte zu finden. Entweder sind sie schon recht alt oder aber modernere Bauwerke, die auf ehemaligen magischen Zentren errichtet wurden: Der Fontana di Trevi und die Engelsburg, der Eiffelturm, die Freiheitsstatue und das Pentagon, die Akropolis und der Berg Olymp, der Kreml, der See Genezareth, die Sphinx und der Fujiyama, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Man könnte, wenn man optimistisch sein will, behaupten, das mit Stonehenge sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber...."

„....aber allein die Tatsache, dass das Böse sich gegen die Weiße Magie durchsetzen konnte, ist eine große Bedrohung und darf nicht unterschätzt werden. Das willst du doch sagen?"

„Ja, Suzaku-sama." erwiderte sie respektvoll. Er ließ ihr ein dankendes Nicken zuteil werden und wandte sich wieder an den Prinzen des Wassers.

„Es geht deinem Liebsten gut, davon bin ich überzeugt. Gräme dich nicht. Wir brauchen für die nahende Schlacht mit dem Feind all unseren Mut, um bestehen zu können. Gib nicht auf!"

„Ich an eurer Stelle würde hingegen sofort aufgeben!"

Garland hatte abrupt angehalten, als er die eisige Aura wahrgenommen hatte und zog in einer fließenden Bewegung sein Schwert. Seine blauen Augen durchdrangen die Dunkelheit nur mühsam, aber er musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass ihnen einer der Ritter der Verdammnis in den Weg getreten war. Den Boden durchliefen weiße Adern aus Eis und die Temperatur sank unter Null. „Komm aus deinem Versteck, Iras!"

„Aber, aber, Sol - glaubst du wirklich, ich hätte es nötig, mich zu verstecken? Dennoch wäre es ziemlich langweilig, mich gleich einzumischen. Ihr dürft euch vorher noch ein bisschen amüsieren. Begrüßt brav meine beiden Spielgefährten! Sind sie nicht niedlich?"

Iras‘ Definition von „niedlich" ließ einem das Blut erstarren. Aus den Schatten schoben sich zwei Kreaturen heraus, riesenhaft an Gestalt, mit scharfen Klauen, mörderischen Zähnen und zottigem Fell von verblichener grauer Färbung. Sie waren keiner genauen Tiergattung zuzuordnen, offensichtlich waren sie eine Mischung aus Löwe, Drache und Stier, besah man sich die wilde Mähnen, die gezackten Schwingen und die furchteinflößenden Hörner. Der Rothaarige stand über ihnen, auf einem Felsvorsprung, und schien das Entsetzen seiner Gegner höchst unterhaltsam zu finden. Allerdings nicht lange, denn aus Enriques Beyblade brach Amphilyon hervor und verabreichte einem der Wesen einen ordentlichen Hieb mit seinem schuppenbewehrten Echsenschwanz. Pierce Hedgehog, der Igel, den Mathilda bewachte, erschien neben ihr und schleuderte einen Hagel aus Stacheln auf das zweite Ungeheuer. Drei der Spieße trafen es in die Brust, rutschten aber von selbst wieder heraus, während sich die Wunde automatisch schloss.

**Was?! Wie ist das möglich!? Nur wenige Geschöpfe sind resistent gegen meine giftigen Stacheln! Sprich, Ruchloser! Was hast du mit ihnen gemacht?!**

„Immer noch so empfindlich, wenn etwas nicht so läuft wie geplant, Hedgehog? Du hast dich nicht verändert. Und dein Hüter ist eine Frau, genau wie damals! Damit du nicht dumm sterben musst, will ich dir deine Frage beantworten: Ich habe sie aus Pflanzenfasern geschaffen. Ein sehr interessantes Material, meinst du nicht? Deine Stachel sind nur bei fleischlichen Wesen von Nutzen, nicht bei pflanzlichen."

Er schnippte mit den Fingern und seine grässlichen Diener spieen Geschosse aus schwarzen Blitzen aus, von denen die zwei Kreaturen aus Eden frontal getroffen wurden. Die Wucht des Aufpralls riss sie um und hüllte sie kurz darauf in einen Wirbel negativer Energie ein, der ihnen Schmerzen verursachte.
 

„Du!" zischte Mathilda, die allmählich die Geduld verlor. „Wie kannst du es wagen, so mit ihnen umzuspringen?! Vor allem mit Pierce! Er ist mein Freund! Ich dulde nicht, dass ihn ein Abtrünniger wie du verletzt!!" Sie legte die Hände zusammen wie im Gebet und unter den Füßen eines der Dämonen wucherten Blumenranken um seinen Körper, die ihm ohne Erbarmen die Gelenke zusammendrückten und sich langsam um seinen Hals schlängelten. Es wand sich hin und her, konnte seinem Gefängnis aber nicht entkommen. Enrique sprang hinzu und schickte einen Sturm aus Blättern los. Jedes dieser Blätter war scharf wie ein Messer und die Bestie heulte auf, als sie überall mit Schnitten übersät wurde. Leider dauerte dieser Zustand kaum länger als eine Minute, denn danach waren die Wunden wieder verheilt. Das andere Untier griff indessen die Prinzen an, wurde aber durch einen Donnerschlag von Julia und einem harten Huftritt von Thunder Pegasus ins Wanken gebracht, taumelte, und fiel hin. Raul und Torch Pegasus attackierten es mit einem stetigen Flammenstrom, aber nachdem es ihm geglückt war, sich aufzurichten, fuhren seine Krallen mit der Geschwindigkeit eines Blitzes hernieder, um die Geschwister zu töten. Die Stute und der Hengst warfen sich dazwischen und wieherten gepeinigt, als die brutalen Klauen ihre ungeschützte Haut zerrissen.

„Thunder! Oh, was hast du gemacht?!" rief die Spanierin erschrocken und kniete sich neben dem geflügelten Pferd hin. Warmes Blut rann über ihre zitternden Hände und sie musste schlucken, um ihre Tränen zurückzudrängen. Ihr Bruder hatte sein Gesicht in der langen Mähne seines Geschöpfs vergraben und flüsterte: „Was bist du bloß für ein Idiot, Torch! Der Schlag galt mir! Habe ich dir aufgetragen, dich für mich zu opfern?! Wie kann man nur so blöd sein?! Verdammt, warum hast du das getan....?!"

**Mein Hüter....wir sind solange verbunden, bis ich einem neuen Herrn oder einer neuen Herrin anvertraut werde. Meine Aufgabe ist es, auf dich aufzupassen. Außerdem sterbe ich nicht. Lass mich einfach in dein Beyblade zurückkehren, wo ich in Ruhe meine Selbstheilung vornehmen kann.**

„Du....du stirbst nicht....?" Julia sah Thunder an und diese nickte. Nein, auch sie würde nicht sterben. Sie benötigte nur eine Regenerationsphase innerhalb des Blades, konnte also nicht mehr kämpfen. „Das ist nicht schlimm. Ich schaffe es auch ohne dich. Danke, dass du mich gerettet hast." Die Bit Beasts lösten sich in Lichtstrahlen auf und verschmolzen mit den Kreiseln, die die Geschwister ihnen hinhielten. „Oh Gott....ich dachte schon...."

„Ja, ich ebenso, Bruderherz. Aber sie haben klug gehandelt. Wir sind Menschen und können uns nicht selbst heilen, doch unsere Kampfkraft wird noch gebraucht. Es ist besser, sie müssen sich für ihre Genesung zurückziehen, als dass wir lebensgefährlich verwundet werden. Wir werden es diesen hässlichen Missgeburten schon zeigen!"

Mariam formte Wasserfontänen und schoss sie auf die Wirbel ab, um Amphilyon und Pierce Hedgehog zu befreien. Als die Blitze nachließen und alsbald ganz erloschen, untersuchte die Schwarzhaarige die Kreaturen auf eventuelle äußere Verletzungen. Obwohl sie keine entdecken konnte, blieb ihr Gesicht ernst.

»Sie sind erschöpft....die Wirbel haben ihre Kraft aufgesogen. Nicht alles, aber einen großen Teil. Sie müssen sich ausruhen, sonst brechen sie zusammen. Verdammt! Wie soll man Dämonen besiegen, die gegen sämtliche Attacken immun zu sein scheinen?!«

Ihr Blick flirrte über den Kampfplatz. Mathilda und Enrique wurden von einem der Monster gejagt und sie entkamen den riesigen Pranken nur durch geschicktes Ausweichen. Plötzlich stolperte das Mädchen und schürfte sich die Handflächen auf, als sie ihren Fall zu bremsen versuchte. Über ihr gähnte bereits der Tod in Form eines weit geöffneten, vor Zähnen starrenden Rachen. Der Schrei erstickte in ihrer Kehle, die Angst lähmte sie. Doch anstatt zu spüren, wie sich das Gebiss in ihr Fleisch bohrte, hörte sie ein Krachen. Die Bestie war zurückgeschleudert worden und zwar von dem blonden Italiener, über dessen Kopf ein ausgewachsener Baum schwebte und den er balancierte und herumwarf wie ein Jongleur im Zirkus seine Bälle. Er verwandelte sein eigentümliches Geschoss in einen spitzen Pflock, da es ja seine Gabe war, Holz zu manipulieren und donnerte diese Waffe direkt in die Magengrube des Dämons. Dieser schaute seinen Widersacher verblüfft und erstaunt an, als könne er nicht fassen, was geschehen war. Dann spuckte er Blut und verschied mit einem grausigen Röcheln. In der Zwischenzeit waren Raul, Julia und Garland damit beschäftigt, den Prinzen zu helfen. Das Wesen hatte sie mit seinen Krallen getroffen und nachdem es an den Rüstungen abgeprallt war, war es dazu übergegangen, sie mit Energiestrahlen zu beschießen. Es war ihm gelungen, die beiden in die schwarzen Wirbel einzusperren, die ihnen all ihre Magie entziehen sollten. Der dicke Schwanz des Ungeheuers fuhr hernieder und verpasste dem Geschwisterpaar, das ihn mit Feuer und Donner angriff, einen kräftigen Hieb. Sie überschlugen sich einmal und landeten unsanft auf dem steinigen Boden. Der Blauhaarige knurrte wütend und formte zwischen seinen Händen Lichtscheiben, mit denen er das Monster bewarf. Es wich ihnen aus und holte mit einer seiner Klauen aus, sodass der Hüter von Apollon ein Schutzschild aufbauen musste, das einer Sonne ähnelte. Als die gigantische Pfote damit in Kontakt kam, musste er all seine physische Kraft aufbieten, um nicht niedergeschmettert zu werden. Der Feind war ihm so nahe, dass er dessen Atem riechen konnte - ein grässlicher Gestank nach Tod und Verwesung. Sol ignorierte den Ekel, der in ihm aufwallte und versetzte der Kreatur einen meisterhaften Schlag mit seiner Klinge, direkt in den Unterschenkel. Das Untier ließ für einen Moment von ihm ab und er rollte sich geschickt zur Seite, ehe die Wunde sich wieder geschlossen hatte. Er rief seinen Greif und Apollon erschien auf dem Schlachtfeld, bereit, jeden in Stücke zu hacken, der es gewagt hatte, seinen Hüter in Gefahr zu bringen.

»Danke, mein Freund. Ich wusste, ich kann auf dich zählen. Und nun zu den Prinzen!« Seine Lichtstrahlen neutralisierten die Wirbel und Genbu und Suzaku erhoben sich mühsam. Schweiß stand ihnen auf der Stirn, ein Zeichen für die Anstrengung, ihre Energie nicht preiszugeben. Die Augen von Draciels Wächter suchten die von Iras und stellten einen Kontakt her. Der Ritter der Verdammnis verlor sein hämisches Lächeln, als er sich an die Vision erinnerte, die ihn vor diesem Kampf ereilt hatte. Der Hüter des Heiligen Phönix bemerkte die Veränderung, die mit seinem Kameraden vonstatten ging und spürte, wie die heitere, ungetrübte Quelle seines fröhlichen, optimistischen Charakters einer verschlingenden, kalten Flutwelle wich. Er mochte schwach wirken, aber Genbu konnte als Krieger unerbittlich sein, wenn geliebte Menschen bedroht waren.
 

„Was ist, Prinz des Wassers? Wollt Ihr kapitulieren? Ein weiser Entschluss!"

„Nein, ich gedenke nichts dergleichen zu tun. Ich werde dein garstiges Spielchen jetzt beenden! Dein Dämon besteht aus Pflanzenfasern, richtig? Ich frage mich, warum mir diese Idee nicht gleich gekommen ist....pass gut auf, Iras! Ich werde dir beweisen, dass man ein stilles Wasser wie mich nicht unterschätzen sollte!"

Damit streckte er die Hand aus und umklammerte ein Fellbüschel am Bein der Kreatur, die gerade Apollon von sich stieß. Ein grünliches Leuchten hüllte sie ein und ein gequältes Stöhnen entrang sich ihr. Der Rothaarige starrte auf die Szene, ohne zu begreifen. Sein Geschöpf begann zu verschrumpeln wie eine getrocknete Weintraube und nichts blieb von ihm zurück als ein paar gelbliche Gräser. „Was habt Ihr getan?!"

„Ich gebe zu, dass ich diesen Zauber nicht gern anwende. Er gehört zu den ‚Verbotenen Gaben‘ der vier Prinzen und wird wie alle Zauber dieser Kategorie wegen seiner Grausamkeit gemieden. Deine Bestie wurde aus Pflanzen geschaffen - also habe ich ihnen das Wasser entzogen, um sie auszutrocknen. Auf diese Weise könnte ich sogar einen Menschen töten, denn ein menschlicher Körper besteht zu achtzig Prozent aus Wasser."

Iras zuckte zusammen. Er hatte von den sogenannten „Verbotenen Gaben" gehört und wusste, dass die Wächter der Schutzgötter sie nur im äußersten Notfall benutzten. Genbu konnte jemanden ausdörren lassen, Byakko konnte Knochen brechen, Suzaku tödliches Fieber erzeugen und Seiryuu konnte einen Menschen ersticken lassen. Keine dieser Fähigkeiten versprach dem Gegner einen schnellen Tod und das war auch der Grund, weshalb man in aller Regel davon absah, von ihnen Gebrauch zu machen. „Nicht schlecht, Euer Hoheit. Nun denn, ihr habt meine Tierchen besiegt, also ist es nun an uns, die Klingen zu kreuzen!"

Er sprang von seinem Felsvorsprung hinunter und wandte sich sofort an Suzaku: „Ich habe lange auf diesen Augenblick gewartet, mein alter Rivale! Ich werde dich heute für all das bezahlen lassen, was du mir angetan hast! Du hast mir meine Liebe genommen und dafür wirst du büßen! Du wirst leiden, genauso wie ich litt! Bist du bereit?"

Die Geste, die er mit seinem Schwert ausführte, ließ keinen Zweifel an seinem Vorhaben. „Ein Kampf der Mächte, ein Kampf der Elemente, ein Kampf zwischen beiden! Wer der Sieger ist...."

„....wird das Ende entscheiden!" stieß der Prinz des Feuers zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und seine Finger krampften sich um den Griff seiner Waffe. Genbu wurde aschfahl und schrie auf. „Nein!! Das könnt ihr nicht tun! Bist du verrückt, dich auf eine Wächter-Entscheidung einzulassen?! Iras ist als Schwertkämpfer legendär! Das ist viel zu riskant! Wir sind hergekommen, um Tyson und Hiro zu retten! Was nützt es ihnen, wenn du stirbst?!"

„Wer sagt, dass ich sterbe? Iras und ich müssen diese Angelegenheit klären, jetzt und hier! Spanne den Bannkreis auf, mein Freund."

„Ich soll Schiedsrichter sein....? Ich bin alles andere als unparteiisch."

„Das stört mich nicht!" erwiderte der Krieger des Zorns ungeduldig. „Beeilt Euch lieber und schwatzt nicht herum! Je eher ich meine Rache vollzogen habe, umso eher kann ich zu meinem Geliebten zurück!"

„Zu deinem Geliebten?! Wage es nicht, Sei so zu nennen!"

Der Wächter der Heiligen Schildkröte seufzte tief und erschuf den gewünschten Bannkreis. Seine Stimme klang kühl und monoton, als er die formelle Ankündigung aussprach: „Suzaku, Hüter von Dranzer, Iras, der Hüter von Wolborg, hat dich herausgefordert, dich in Schwert und Zauber mit ihm zu messen. Nimmst du an?"

„Ja."

„Iras, Hüter von Wolborg, Suzaku, der Hüter von Dranzer, akzeptiert deine Herausforderung. Möge die ‚Entscheidung‘ beginnen!!" Doch bevor er die beiden Kontrahenten ihrem Gefecht überließ, sagte er zu dem Ritter: „Es gab eine Zeit, da hätte ich dir bedingungslos und ohne zu zögern mein Leben anvertraut. Neben Leviathan warst du einer meiner treuesten und tapfersten Vasallen. Ich hielt viel von deinem Urteil und bewunderte deine Willenskraft. Warum bist du mir verlorengegangen, Iras? Muss es so enden? Antworte mir."

„Was redet Ihr da?! Meine Loyalität ist Eigentum meines Herrn, und das ist Lord Hades, nicht Ihr!! Erzählt mir nicht noch mehr Lügen, ich habe es satt!!"

„Lügen? Das sagt einer, der die Lüge nicht mehr von der Wahrheit zu unterscheiden weiß? Du hast deinen Weg gewählt. Ich kann nichts für dich tun."

„Ich habe Euch auch nicht darum gebeten!!"

„Ja. Leider nicht."

Er drehte sich um und Mariam legte ihm den Arm um die Schultern. Sie wusste, dass es für ihn ein schlimmes Erlebnis sein musste, zwei Männer aufeinander losgehen zu sehen, die er in seinem Herzen als seine Freunde erkannte. Suzaku ahnte seine Beklemmung und seine Not ebenfalls, aber er konnte ihm nicht helfen. Der Kampf zwischen ihm und Iras war von Anfang an unvermeidbar gewesen. Er zog sein Schwert und blickte in das Gesicht seines Kontrahenten. Seine sonst so ruhigen Züge waren von einem wilden Hass verzerrt....

»Eden, meine geliebte Heimat....gib mir Kraft!«
 

„Ich sagte ja, er ist hinreißend, wenn er sich in seinem Schmerz windet!" meinte Deimos grinsend und betrachtete das Schauspiel mit Hilfe eines magischen Spiegels, der in seinem Gemach stand. Der Rahmen war schwarz lackiert und zeigte abstoßende Fratzen. „Bist du nicht auch meiner Ansicht, Schönster?"

Hiro, den er zu dessen eigener Überraschung von seinen Fesseln befreit und in sein Zimmer gebracht hatte, blieb ihm die Antwort schuldig. Ein widerlich schielender Kobold hatte Gewänder für ihn zurechtgelegt und um nicht länger frieren zu müssen, hatte er sich die Hose aus festem Leinen angezogen sowie den schwarzen Überwurf mit den langen Ärmeln, der an Kragen, Saum und Manschetten weichen Pelzbesatz aufwies. Sogar ein Paar eleganter Lederstiefel hatte man ihm überlassen, aber nichtsdestotrotz blieb er misstrauisch. Warum benahm sich Deimos auf einmal so....freundlich? Glaubte er etwa, ein paar Nettigkeiten könnten seine schrecklichen Taten aufwiegen und würden ihn ihm gefügiger machen? Was bildete er sich ein?! Er verweigerte die Speisen, die man ihm vorgesetzt hatte und vermied es, etwas von dem Wein zu trinken, der dazu serviert worden war.

„Möchtest du nichts essen? Hast du keinen Durst? Da gebe ich mir Mühe, gastfreundlich zu sein, und du lehnst es ab!"

„Was willst du wirklich, du Bastard? Denkst du, damit könntest du mein Misstrauen einschläfern? Ich fürchte, da muss ich deine Hoffnungen enttäuschen!"

Der Krieger des Hasses fluchte innerlich. Wie war diesem sturen Kerl nur beizukommen?! Nun erniedrigte er sich schon so weit, ihn einigermaßen gut zu behandeln, und er empfand es nicht einmal für nötig, sich zu bedanken oder etwas weniger abweisend zu sein?! Er starrte ihn an, wütend, empört und insgeheim fasziniert. Er hatte von seinen Opfern immer bekommen, was er wollte - er war es gewohnt, sie winseln zu sehen, gebrochen, unglücklich, nur noch darauf bedacht, ihm zu Willen zu sein, um nicht mehr die Qualen seiner physischen oder psychischen Folter ertragen zu müssen. Nie hatte ihm einer widerstanden und ausgerechnet dieses unwürdige Menschlein erdreistete sich, ihm die Stirn zu bieten! Einem wie Hiro war er nie zuvor begegnet. Er kannte Unterwerfung, Demütigung, Aufgabe, das Flehen um Gnade....aber Trotz, Aufbegehren, Verachtung, Furchtlosigkeit, das war ihm neu. Wie schön....und wie stolz er war! Er näherte sich dem Diwan, auf dem der Silberhaarige sass, und umfasste dessen Kinn, das er gebieterisch nach oben zwang.

„Eines Tages wirst du mir gehören, Widerspenstiger! Ich werde dich zähmen und deinen sinnlichen Körper unterjochen! Du wirst darum betteln, mein Verlangen erfüllen zu dürfen!"

„Das ich nicht lache! Niemals werde ich mich dir hingeben! Du widerst mich an!"

Deimos, vollends in Rage geratend, schickte sich an, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, doch der Kendoka fing seinen vorschnellenden Arm ab und hielt ihn in einem eisernen Griff fest. Er betrachtete das makellos geformte Gelenk....und grub in einer blitzartigen Bewegung seine Zähne in die weiße Haut. Der Orangehaarige riss sich los und sah von der Bissspur auf seinem Handrücken zu Hiro und wieder zurück, ungläubig und fast rasend vor Zorn. Er packte den anderen an den Oberarmen und schüttelte ihn wie eine Puppe.

„Du hast mich verletzt, törichter Narr!! Ist dir klar, dass das Folgen haben wird?! Niemand, hörst du, absolut niemand, widersetzt sich mir!!"

Er bog den 24jährigen mit seinem vollen Gewicht zurück, löste den Gürtel des Überwurfs und entblößte seine muskulöse Brust. Hiro wand sich und sein Blick fiel auf das Obstmesser auf dem Tisch. Mit aller Kraft stieß er seinen Angreifer von sich weg und schnappte sich die kleine aber tadellos scharfe Klinge. Dann warf er sich auf den Ritter der Verdammnis und presste ihm die kalte Schneide an die Kehle.

„Sei bitte nicht albern. Als wenn du den Mut hättest, mir tatsächlich etwas anzutun!"

„Ich ließe es nicht darauf ankommen." erklärte der Kendoka kühl und Deimos fühlte plötzlich, wie ein schmales Rinnsal Blut an seinem Hals hinunterlief.

„Lass mich los!"

Hiro gehorchte. Es war ihm wichtig gewesen, seinem Gegner zu beweisen, dass er mehr war als eine einfache Beute und dass er ganz gewiss nicht zu den Opfern zählte. Der Soldat des Hasses musste begreifen, dass sie einander ebenbürtig waren, zumindest was ihre Willensstärke betraf. Sie visierten sich an, unheilvoll und unerbittlich.

„Hades hat noch längst nicht gewonnen, merk dir das! Ich bin zwar kein Wächter, aber ich werde mich von niemandem unterkriegen lassen! Am allerwenigsten von dir!"

Der Orangehaarige erwiderte nichts darauf. Er verließ sein Gemach, um sich das Blut abzuwischen und etwas Kühlendes für seine Hand zu suchen. Das Herz hämmerte ihm in der Brust, gepeinigt von dem verführerischen Bild, das der Japaner ihm geboten hatte, mit seinen funkelnden braunen Augen und dem freigelegten, geschmeidigen Oberkörper. Warum bloß brachte er ihn nicht um, wo er ihm doch Widerstand leistete und ihn in seine Schranken verwies als wäre er ein ungezogenes Kind?! Warum konnte er sich nicht dazu überwinden, ihn zu töten?! Was zum Teufel hinderte ihn daran?!

»Verflucht sei er!! Ich werde das nicht länger dulden! Ich werde ihn für mich erobern, komme, was wolle! Er muss mein werden....er muss einfach!!«
 


 

Fortsetzung folgt...

Der Sumpf von Lacrima

Kai: Ehrlich, Autumn...schämst du dich gar nicht, dass du die Leute ständig warten läßt?! Deine Leser haben alle schon Entzugserscheinungen!

Autumn: Ja, das tut mir auch leid, ehrlich!!! Deshalb habe ich diesmal zwei Kapitel im Gepäck!

Kai: Das wird auch gut sein...*böse guck*

*Autumn packt sofort die neuen Kapitel aus*: Viel Spaß!
 

Kapitel 25: Der Sumpf von Lacrima
 

Die Mitglieder der „Mission Eden" hatten sich am Schrein der kleinen Tempelanlage versammelt, von wo aus sich auch bereits Lee und Co. in den Hades teleportiert hatten, um Garland und Mystel Geleit zu geben (s. Kapitel 18). Alle bis auf Daichi waren anwesend und Carlos fing an, ein wenig ungeduldig zu werden.

„Wo bleibt er?! Er ist schließlich der Anführer unserer Gruppe! Ist es da zu viel von ihm verlangt, pünktlich zu sein?!"

„Was denn, machst du dir etwa Sorgen?"

Der Spanier fuhr zusammen und drehte sich um, direkt in das hübsche Gesicht des Rothaarigen blickend, der ihn verschmitzt angrinste. Der Ältere hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten, sondern drehte sich nur errötend weg, irgendetwas Unverständliches vor sich hinmurmelnd, das sich so ähnlich anhörte wie: „Sorgen?! Wer macht sich Sorgen!?"

Romero betrachtete den Jüngling wohlwollend. Er hatte sich in der Tat sehr verändert. Als er ihn vor sechs Jahren zum ersten und letzten Mal gesehen hatte, war der Junge noch ein Heißsporn ohnegleichen gewesen, mit einer riesigen Klappe, die in einer Minute mehr daher plapperte als der Bengel in einem Monat verantworten konnte, aber schon damals, im zarten Alter von neun Jahren, hatte er den starken Willen und die Entschlossenheit besessen, die ihn heute auszeichnete. Daichi war mit seiner Aufgabe als zukünftiger Zaubermeister gewachsen und verfügte durch sie über eine Reife, die für einen 15jährigen Teenager höchst ungewöhnlich war. Er trug seine priesterliche Robe mit den weiten Ärmeln und dem Umhang, die Füße steckten in einer Art römischer Sandalen, in seiner Hand hielt er seinen goldenen Schamanenstab, der dem von Diomedes ähnelte, aber nicht so prunkvoll war. Das ganze Gewand war dunkelgrün, was hervorragend zu seinem flammenden Haar und seinen Augen passte. Er erwiderte das Lächeln, das Romero ihm schenkte, als wolle er ihn aufmuntern, und musterte seine Mitstreiter mit einem Ernst, der den anderen noch nie zuvor an ihm aufgefallen war. In Gedanken ging er die Liste noch einmal durch, auf der die Namen seiner Auserwählten standen.

»1. Mystel Shada. Beeinflussende Kraft: das Meer. Basiselement: Wasser. Wächter von Poseidon. Reinkarnation von Leviathan. 2. Lee Zhoung. Beeinflussende Kraft: Blitze. Basiselement: Feuer. Wächter von Galeon. 3. Rick Connor. Beeinflussende Kraft: Gestein. Basiselement: Erde. Wächter von Rock Bison. 4. Romero de la Sanchez. Beeinflussende Kraft: Schlingpflanzen. Basiselement: Erde. Wächter von Flora. 5. Carlos Montero. Beeinflussende Kraft: Regen. Basiselement: Wasser. Wächter von Unda. Mit mir sind wir also zu sechst. Ich hoffe, dass das genügt. Eden ist einmal ein Paradies gewesen, aber erst seit ca. zehn Jahren ist es als völlig regeneriert zu beschreiben. Außerdem ist das Gift, das Hades in diese Welt gepumpt hat, nie ganz verschwunden. Die Dimension wird sich gewandelt haben. Was wird uns erwarten? Ich habe Angst, dass wir den Herausforderungen, die uns dort begegnen könnten, nicht gewachsen sind. Aber es gibt kein Zurück - Bryans Leben hängt davon ab!!«

Die Hüter fassten sich an den Händen und stellten sich im Kreis um Daichi herum auf. Sie riefen ihre Elemente an und der Rothaarige konzentrierte ihre Macht in seinem Stab. Ein gleißend heller Sog öffnete sich über ihnen und zog sie hinauf in den Himmel, wo sie alsbald in einem strahlenden Licht verschwanden. Der Wind wehte über den Platz hinweg, an dem vorhin noch eine Gruppe Menschen gestanden hatte und trug ihre Botschaft mit sich fort. Er tanzte über die Dächer der Gebäude und suchte ein bestimmtes Fenster. Claude, der sich gemeinsam mit Mariah im Hospital aufhielt, vernahm die Nachricht, die der Wind ihm brachte,

und schloss das Fenster befriedigt. Sie befanden sich im Zimmer von Ray und Miguel und drei neugierige Augenpaare starrten ihn an, als er sich ihnen zuwandte.

„Sie sind aufgebrochen", erklärte der Franzose. „Ich bin sicher, dass sie es schaffen werden!"

„Aber sie müssen sich beeilen!" warf der Chinese ein und richtete sich in seinem Bett auf. Mariah stützte ihn dabei und nickte zu seinen Worten. „Ich meine....ihr beiden durftet Bryan besuchen und ihr habt uns erzählt, was für ein bedauernswerter Anblick es war....die Schläuche, das Beatmungsgerät, die ganzen Kabel und sonstige Maschinen, die an ihn angeschlossen sind - machen wir uns doch nichts vor! Er liegt im Sterben!"

Die junge Frau erschauerte bei Rays Ausruf und erinnerte sich voller Grausen an das Bild der Trostlosigkeit, das der Russe geboten hatte. Sein Gesicht hatte wächsern gewirkt und war weiß gewesen wie ein Laken, und dann das monotone Piepen der Geräte, die ihn am Leben hielten, nur begleitet von seinen schweren, kaum wahrnehmbaren Atemzügen....furchtbar! Sie fragte sich, wie Iras wohl auf diesen Anblick reagiert hätte....oder Tala in seinem Inneren. Sie kannte Bryan nicht besonders gut und war trotzdem zutiefst betroffen. Wie wäre das erst für einen Menschen, für den der Lilahaarige mehr war als bloß ein Kollege? Sie wagte nicht, sich das auszumalen....oh nein, sie wagte es nicht....

Claude hatte sich neben Miguels Bett gesetzt und der Mexikaner berührte sacht die zitternde Hand, die auf seiner Decke lag. Er wusste nur zu genau, dass sein Liebster sich sorgte und sich vor einem Angriff seitens Hades im Krankenhaus fürchtete, denn innerhalb des Gebäudes war ein Kampf schwierig, zumal sie nicht überall zugleich sein konnten.

„Sei zuversichtlich, amiguito mio....die Zeit arbeitet gegen unsere Freunde, aber es liegt nicht in der Natur eines Wächters, einfach aufzugeben. Solange es einen Grund gibt, zu hoffen, gibt es auch einen Grund, zu kämpfen!"

Er sagte das mit dem ganzen Feuer seines Wesens und seine blauen Augen brannten in einer Flamme des Mutes und des Vertrauens auf jene, die losgezogen waren, um einen der ihren zu retten. Seine Ruhe und Kraft schienen auf den Franzosen überzuströmen wie eine warme Woge und ihn mit einer neuen Stärke auszustatten.

„Mon chér...." flüsterte er dankbar und neigte sich vor, um die Lippen des Blonden mit den seinen zu verschließen. Der innige Kuss, den sie tauschten, brachte Ray seinen Max ins Gedächtnis zurück. Man hatte ihm mitgeteilt, was geschehen war und der Gedanke, dass sein Geliebter in die Unterwelt gegangen war, erfüllte ihn mit Angst. Sicher, als Genbu war er ein famoser Kämpfer, doch wer konnte schon genau vorausahnen, mit welchen Gemeinheiten die beiden Ritter der Verdammnis und ihr grausamer Herrscher den Prinzen des Wassers und seine Begleiter erwarten würden? Und was war mit Kai bzw. Suzaku? Was würde passieren, wenn er auf den Krieger des Zorns traf? Verdammt, und er sass hier fest mit seiner gebrochenen Rippe und konnte ihnen nicht helfen!! Wie ihn das nervte!!

»Max, mein Liebling....ich hoffe, dass es dir gut geht. Und ich bete, dass Daichi und die anderen erfolgreich sein werden und die Blätter für den Heiltrank rasch beschaffen können. Würde ich mich nur nicht so nutzlos fühlen! Mit meiner Verletzung wäre ein Kampf zu riskant und ich wäre außerdem ein Hindernis! Wie gern würde ich ihnen beistehen! Ich wünsche ihnen allen viel Glück.«
 

Rick schlug mühsam die Augen auf. Der Sog war verschwunden und hatte sie in Form eines Strudels in die Dimension Eden geschleudert. Er erhob sich, putzte ein paar Schmutzflecken von seinem Wächtergewand und blickte sich verwirrt um. Seltsam süßliche und zugleich modrige Gerüche durchzogen die Luft, der Boden war mit üppiger Vegetation bewachsen, die man allerdings nur als wild wucherndes Unkraut bezeichnen konnte, der Boden war schlammig und für den See, an dessen Ufer die Mitglieder der Expedition ohnmächtig herumlagen, war der Ausdruck Drecksbrühe noch eine Schmeichelei. Der Amerikaner rümpfte angewidert die Nase. Na toll, wo waren sie denn hier gelandet? Das war kein Paradies, sondern allenfalls ein Sumpf!

Hatte es in Eden Sümpfe gegeben? Er eilte zu seinen Kameraden und weckte erst Romero, danach schüttelte er den jungen Zaubermeister und holte auch ihren Scout sowie ihre Mitstreiter in seiner jovialen Art zurück ins Bewusstsein.

„Mystel? Wo sind wir?" erkundigte sich Daichi, nachdem er sich umgesehen hatte.

„Schwer zu sagen....in Eden gab es eigentlich keine Sümpfe. Das hier dürfte ein Überbleibsel der negativen Energien sein, die Hades hinterließ. Hm...." Er kniete sich am Rand des Sees nieder und tauchte eine Hand in das schmutzige Wasser. Er hörte auf die Stimme der Strömung, die ihm erzählte, was er wissen wollte. Doch seine Züge verhärteten sich, während er lauschte und es schien, als zerspringe ihm das Herz.

„Lacrima...." murmelte er und stand wieder auf. Er betrachtete seine Hand, an der der Schlamm haften geblieben war und ballte sie zitternd zur Faust. „Das hier ist....ich meine, war....der See von Lacrima (lateinisch für Träne). Es war Sitte in Aquaria, die Kinder mit seinem heilenden Wasser zu taufen und man wusch damit auch Männer und Frauen, die krank oder verletzt waren. Sogar Kreaturen kamen hierher, um sich kurieren zu lassen. Das Schilf bot Unterschlupf für viele Vögel....Blumen in den herrlichsten Farben gediehen hier und alte ehrwürdige Bäume hängten im Frühling ihre blühenden Zweige über den See. Ich bin oft mit meiner Familie hergekommen, um zu schwimmen und um mit meinen Freunden herumzutollen, als ich noch kleiner war. Es war einer meiner Lieblingsplätze....und dieser Sumpf ist alles, was davon übriggeblieben ist....dank Hades....!"

Keiner wusste etwas zu sagen. Selbst Carlos, sonst als sehr gewitzt und frech bekannt, schwieg ernst. Er stellte sich vor, wie dieser Ort ausgesehen haben musste, ehe das Böse in Eden Einzug gehalten und das Land vergiftet hatte. Mystel verband damit schöne Erinnerungen....und nun vor diesem Bild der Zerstörung zu stehen, der See mit dem heilenden Wasser entehrt und seines natürlichen Gleichgewichts beraubt, das war sicher schwer zu ertragen, zumal er eine Bedeutung für Leviathan hatte. Der Blonde hatte die Arme um seinen Körper geschlungen und trauerte eine Weile still, plötzlich von der Angst erfüllt, dass seine Heimat gänzlich vernichtet worden sein könnte und sich das Paradies von einst nicht hatte wiederherstellen lassen. Wäre Garland doch nur bei ihm gewesen! Sol kannte und liebte diesen Platz ebenso sehr wie er....hier hatten sie glückliche Tage verlebt, zusammen Spaß gehabt und....Sein Blick flirrte umher, als suche er etwas und könne es nicht finden. Dann entdeckte er es. Mechanisch ging er darauf zu und stieg hinauf. Es handelte sich um eine steinerne Treppe, die nach oben zu einer Anhöhe führte. Einst hatten Blumen zwischen den Ritzen der Felsen ihre bunten Blütenköpfe gen Himmel gestreckt, doch nun war nur noch gelblich-welkes Gras vorhanden. Mystel, gefolgt von den anderen Wächtern, erreichte eine Ruine aus verfärbtem Marmor. Ihr ursprüngliches Aussehen ließ sich noch erahnen - früher war das Bauwerk eine Art Mini-Tempel gewesen, durch majestätische Kastanien und Fliederbüsche verborgen vor neugierigen Blicken, mit einer hübsch bemalten Tür, deren Fresken nun aber unkenntlich waren. Der Schlamm hatte die Kissen, Tücher und Decken, die in den Trümmern lagen, konserviert, selbst ein großer Diwan befand sich zwischen den Marmorbrocken.

„Das....das war das ‚Kabinett der Zärtlichen Begegnung‘. Liebespaare zogen sich gerne hierher zurück, um....einander zu huldigen." erklärte er mit leichter Verlegenheit. Es war an seinem Geburtstag gewesen, da Sol mit ihm das Kabinett aufgesucht hatte....es war ein ungemein romantischer Abend gewesen und schließlich hatte Apollons Hüter ihm die Hand hingehalten und ihn gefragt, ob er ihm seine Liebe schenken dürfe. Ihre erste gemeinsame Nacht....Er seufzte betrübt und glitt mit den Fingern in einer Geste tiefer Traurigkeit über das weiße Gestein hinweg.

»Vielleicht ist es doch besser, dass Garland nicht dabei ist. Oder Max. Das hier....hätte beiden das Herz gebrochen. Sei verflucht für immer, Hades!! Du hast es wahrlich verdient, für das zu büßen, was du unserem Volk und unserer Heimat angetan hast!!«
 

„Mystel....kannst du uns zum Heiligen Baum führen?" unterbrach der zukünftige Zaubermeister seine Gedanken. „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und je schneller wir ein paar seiner Blätter gepflückt haben, umso schneller können wir nach Tokyo zurückkehren, wo Diomedes den Heiltrank brauen wird."

Der Ägypter sah ihn an und nickte. Jetzt war nicht der Moment, zu trauern! Sie hatten eine Mission zu erfüllen! Die Gruppe kehrte über die Treppe in das tiefergelegene Gebiet des Sumpfes zurück und ihr Scout versuchte, sich daran zu erinnern, wo die Grenze des Reiches verlief, denn an dem Schnittpunkt der vier Länder hatte einstmals der Heilige Baum gestanden. Natürlich war nicht sicher, ob das noch immer der Fall war, aber zumindest konnte man davon ausgehen. Romero betrachtete indessen die unwirtliche Umgebung und schüttelte den Kopf. Da die Erde sein Basiselement war und er ein Händchen für Pflanzen besass, empfand er die weitreichende Vergiftung im Boden und in der Vegetation viel deutlicher als die anderen. Plötzlich aber stutzte er. Bildete er sich das nur ein, oder hatte sich die Wasseroberfläche gerade stark gekräuselt? Auch Lee, als Vollblut-Kämpfer mit einem instinktiven Gespür für Gefahren ausgestattet, wandte sich um und untersuchte ihr Umfeld, die goldenen Augen zu Schlitzen verengt. Seine Muskeln spannten sich an wie bei einer Raubkatze, die im Begriff ist, ein Beutetier zu jagen. In der folgenden Sekunde bekam er Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen - aus der widerlichen Brühe schossen acht Krakenarme in die Höhe, monströs, riesig, mit kopfgroßen Saugnäpfen. Daichi wurde gepackt und in die Richtung eines abstoßenden Ungeheuers tranportiert, das offenbar nur aus einem mit scharfen Zähnen gespickten Rachen zu bestehen schien. Der entsetzte Jugendliche hieb mit seinem Stab auf den grässlichen Arm ein, der seine Knöchel umschlungen hielt, aber das Biest ließ sich nicht beirren. Lee feuerte eine Ladung Blitze auf den abscheulichen Kopf ab, die blutende Wunden in die warzige Schuppenhaut schlug, aber der Dämon gab den Rothaarigen nicht frei. Außerdem schnappten die sieben verbliebenen Tentakeln nach den übrigen Wächtern. Romero wickelte Schlingpflanzen um die gefährlichen Greifer, aber sie wurden auseinander gerissen. Rick attackierte seinen Feind mit Felsbrocken, die jedoch mit voller Wucht von dem Kraken in kleine Stücke zerschmettert wurden. Mystel ließ das Schmutzwasser zu einer Welle anwachsen und überspülte die Kreatur, doch diese tauchte nur kurz unter und entging der Kraft der Woge. Carlos war am intensivsten mit seinen Angriffen, er gönnte sich zwischen seinen Attacken mit seinen nadelspitzen Regentropfen keine Verschnaufpause. Sein Blick war auf Daichi fokussiert und eine maßlose Wut brannte in seinem Herzen, angefacht von der Angst, die ihn erfasst hatte, als das Monster den jungen Priester gepackt hatte. Der Fünfzehnjährige wand sich verzweifelt in der schleimigen Umklammerung, erfüllt von der grausigen Furcht, die einen Menschen überwältigt, der unter sich den Tod gähnen sieht. Der Krake zog ihn bis zu seinem Maul und übelriechender Atem hüllte den Rothaarigen ein wie in eine Wolke. Ihm wurde flau im Magen und alles in seinem Körper verkrampfte sich. Den Spanier durchzuckte ein namenloser Schreck und bevor er noch weiter darüber nachgedacht hatte, war er in das sumpfige Nass gesprungen und schwamm auf den Dämon zu.

„Bist du verrückt geworden?!" schrie Lee und wich dabei einer Tentakel aus. „Das Vieh wird dich umbringen!!"

„Besser mich als ihn!! Gebt mir Rückendeckung!!"

Die vier Hüter blickten einander an und starteten eine ununterbrochene Flut von Angriffen. Der Hagel aus Blitzen, Gestein, Fontänen und würgenden Pflanzenschlingen hinderte das Ungeheuer daran, sein auserwähltes Opfer zu fressen, während Carlos immer näher kam. Er kletterte auf einen Felsen, der aus dem Wasser ragte und erschuf ein Schwert in seiner Hand. Dann stürzte er sich mit einem Schrei auf die Bestie und trieb die Klinge mit einem mächtigen Schlag in den widerwärtigen Schädel. Die Kreatur brüllte und schleuderte den Zaubermeister in einer Reflexbewegung ans Ufer, wo er von dem Amerikaner aufgefangen wurde. In seinem Todeskampf riss der Dämon den Schwarzhaarigen mit sich, denn einer der Greifarme wickelte sich um seinen Brustkasten.

„Lass mich los, du wandelnder Alptraum! Ich...." Der Rest seines Protestes wurde von den Fluten verschluckt, die über ihm zusammenschlugen und der schwere sterbende Körper zog ihn erbarmungslos in die Tiefe.

„CARLOS!!!"

Daichi machte Anstalten, ihm zu folgen und nur der Geistesgegenwart und raschen Reaktion des Chinesen war es zu verdanken, dass er dem anderen nicht nachstürzte. Eiserne Muskelkraft hielt ihn zurück, aber der Schüler von Diomedes bäumte sich gegen diese Hände auf und trat um sich; Tränen hingen in seinen Wimpern.

„Lass mich, verdammt!! Lass mich!!! Ich muss ihn retten!! Er darf nicht sterben!!"

„Er wird nicht sterben!" widersprach der Hüter von Poseidon entschieden. Er trat nach vorne, konzentrierte sich auf seine Magie und ließ das Wasser in zwei flüssigen Mauern nach oben schießen, sodass der Grund sichtbar wurde. Das Ungeheuer war bereits verschieden und der Spanier lag bewusstlos neben dem besiegten Gegner. Romero lief zu seinem jungen Landsmann hinüber und trug ihn ans Ufer. Das Wasser fiel wieder in sich zusammen.

„Oh....!" stieß der Rothaarige erleichtert hervor, aber der regungslose Zustand des Neunzehnjährigen ängstigte ihn. Er kniete sich neben ihn und strich ihm eine der nassen Strähnen aus der Stirn, bevor er sich nach unten neigte und mit der Mund-zu-Mund-Beatmung begann. Nach einer Weile keuchte der Ältere auf und hustete stark. Seine Lungen füllten sich mit dem dringend benötigten Sauerstoff und er lächelte matt, als er das über ihm schwebende Antlitz erkannt hatte. „Daichi....dir geht es gut....was bin ich froh...."

„Du blöder Idiot!! Was hast du dir bloß dabei gedacht?! Wie konntest du nur so eine bescheuerte Nummer abziehen?! Du hättest tot sein können, kapierst du das nicht!?!"
 

Nun weinte er wirklich. Die Tränen malten silberne Spuren auf seine gebräunte Haut und gedämpfte Schluchzer entflohen seiner Kehle. „Idiot...." wiederholte er schwach, als zwei Arme sich um seinen Nacken legten und ihn an die muskulöse Brust zogen, die der Ausschnitt der Wächteruniform entblößte.

„Was hätte ich sonst tun sollen, du dummer Kerl? Ich konnte doch nicht mit ansehen, wie dieses Monster dich tötet. Ich hätte es mir nie verziehen. Weißt du denn gar nicht, wie gern ich dich habe?"

Der Jüngere errötete und Rick konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. Schmunzelnd erklärte er: „Weißt du, Carlos, er hätte es fertiggebracht, dir hinterher zu springen. Lee konnte ihn gerade noch aufhalten."

„Ist das wahr? Du wärest mir nachgeschwommen?"

„Natürlich." flüsterte Daichi kaum hörbar. „Als du mit diesem Biest untergegangen bist und die Tentakel um dich geschlungen war....Ich wusste, du würdest dich nur mit Mühe befreien können, wenn überhaupt....Für einen Moment glaubte ich, das wäre dein Ende. Und dieser Gedanke war so....so entsetzlich....!"

Der Spanier küsste ihn sanft auf die Schläfe und streichelte ihm tröstend über den Rücken. „Sei nicht mehr traurig....Es ist alles in Ordnung. Ich bin nicht einmal verletzt. Weine nicht." Ihre Augen versanken ineinander und die von Gefühlen geschwängerte Atmosphäre zwischen ihnen verdichtete sich. Es war, als wären sie ihren Kameraden entrückt, unerreichbar fern auf einer anderen Ebene. Keiner von beiden unterbrach den intensiven Blickkontakt, die Bäume um sie herum hätten niederbrennen können, sie hätten es nicht bemerkt....bis Lees sarkastische Stimme ertönte: „Kommt in die Gänge, ihr Turteltäubchen! Die Zeit läuft uns davon!!"

„Hä? Ach ja!!"

„Sag mal....mische ich mich vielleicht ein, wenn du Raul anhimmelst?" erkundigte sich Carlos ein wenig angesäuert, doch der Hüter von Galeon achtete nicht darauf. Er wandte sich Mystel zu, der sich vernehmlich räusperte. In einer seiner typischen Gesten von lässiger Eleganz, die allein ihm eigen war, wies er in eine bestimmte Richtung. „Ich habe den Verlauf der Grenze entdeckt. Die alten Markierungen sind noch da. Lasst uns aufbrechen."

Die weitere Reise der Wächter verlief ohne Zwischenfälle. Nachdem sie den Sumpf von Lacrima hinter sich gelassen hatten, lernten sie eine neue Seite der regenerierten Dimension kennen: sattgrüne blühende Wiesen, klare Flüsse und Bäche, singende Vögel und gaukelnde Schmetterlinge. So musste Eden einst gewesen sein, bevor der Krieg begonnen hatte. Zwar hatte es auch damals eher lebensfeindliche Gebiete gegeben, zum Beispiel eine Wüste in Pyrodes, aber die Naturbedingungen der Königreiche hingen von dem zugrundeliegenden Element ab. Die einzelnen Ökosysteme hatten in einem perfekten Gleichgewicht existiert, bis es von Hades vernichtet worden war. Endlich waren sie am Knotenpunkt der vier Länder angelangt und vor ihnen erhob sich ein majestätischer Baum von gigantischen Ausmaßen, der nicht von ungefähr an die Mammutbäume auf der Erde erinnerte. Seine ausladende Krone entfaltete sich über ihnen wie ein Dach und an seinen Zweigen hingen eiförmige weiße Früchte.

„Das müssen die Eier sein, aus denen die Geschöpfe von Eden schlüpfen. Wie schön....er hat seine Gabe, Leben zu spenden, also tatsächlich zurückgewonnen." sagte Rick zufrieden.

„Ja, glücklicherweise. Nun...." Der goldhaarige Ägypter verneigte sich respektvoll und fuhr fort: „Ehrenwerter Schutzgeist, ich, Leviathan, der Hüter von Poseidon, bitte Euch demütig um Euer Erscheinen. Wir sind gekommen, um einige Blätter des Heiligen Baumes zu pflücken."

„Stimmt", warf Romero perplex ein, „....das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Die Zweige sind viel zu hoch oben. Da kommen wir überhaupt nicht ran."

**Ärgert euch nicht. Es ist an mir, die Blätter zu pflücken, nicht an euch.** Außer Mystel waren die Mitglieder der Expedition sichtlich verwundert, als ihnen eine melodiöse Stimme antwortete. Sie hatte einen nicht klar zu definierenden Klang und schien weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich zu sein. Vor ihnen materialisierte sich die Gestalt eines androgynen Wesens mit silberweißen wallenden Haaren, die bis zu seinen Füßen reichten, auch wenn man diese aufgrund des langen Gewands nicht sah. Sanfte silberne Augen ruhten auf den Männern und sie/er bedachte jeden von ihnen mit einem huldvollen Blick.

**Leviathan....wie lange ist es her, dass mich ein Wächter der Vergangenen Ära gerufen hat. Ich bin dankbar und glücklich, dich wiedersehen zu dürfen. Warum erbittest du dir Blätter von meinem Körper?**

„Ich habe von ihr....ihm....davon gehört", wisperte Daichi, als wage er es nicht, lauter zu sprechen als unbedingt nötig. „Das ist Vita, die Seele des Heiligen Baumes und dessen Beschützer....Beschützerin....was immer. Er/sie bewacht den Schnittpunkt der vier Grenzen, die sich hier treffen und schirmt den Baum vor schädlichen Einflüssen ab."

**Das ist wahr, junger Hohepriester. Aber das Schwarze Gift von Hades war so stark, dass meine Barrieren beinahe versagten. Deshalb brauchte auch ich meine Zeit, um zu genesen. Erst vor zehn Jahren war ich wieder in der Lage dazu, Eier zu schaffen, in denen das Leben pulsierte. Alle meine vorherigen Bemühungen blieben erfolglos.**

„Vita, wir möchten Euch um ein paar Eurer Blätter bitten, weil ihre heilende Wirkung einen der unseren retten kann. Er liegt im Sterben und wenn er den Trank nicht bekommt, werden wir ihn verlieren."

**Das darf nicht geschehen! Wer ist es?**

„Boreas, der Wächter von Falborg."

**Boreas?! Der Berater des Prinzen Seiryuu? Im Namen der Schutzgötter, wie hat das nur passieren können? Ich kenne ihn gut. Wie stolz er war, als er mir erstmals begegnete und er mit seinem Geschöpf verbunden wurde....er war damals ein Knabe von dreizehn Jahren, fröhlich und vergnügt, mit einem tapferen Charakter. Ich werde euch gerne die Blätter überlassen.**

Er/sie erschuf eine Lichtkugel zwischen seinen/ihren Händen und an den Zweigen lösten sich sieben Blätter in glitzernde Funken auf, nur um innerhalb der Kugel wieder ihre ursprüngliche Form anzunehmen. Die Kugel verwandelte sich in ein Gefäß, das Vita sorgfältig verschloss. Es schwebte langsam auf Mystel zu und dieser ergriff es ehrfürchtig.

„Ich danke Euch von ganzem Herzen. Ihr erweist uns damit einen großen Dienst."

**Ich helfe euch gern. Ich bin seit Jahrtausenden ein Teil von Eden und sofern es mir möglich war, habe ich stets versucht, die Wächter zu unterstützen. Euer Kampf mag noch nicht beendet sein, aber ich vertraue darauf, dass ihr siegen werdet. Lebt wohl, Hüter.**

Er/sie verschwand in einem taghellen Leuchten. Der Fünfzehnjährige schwang seinen Schamanenstab im Kreis, bis er ihn schließlich in die Erde stieß und befahl: „Ruft eure Elemente an! Wir kehren zurück nach Tokyo!"
 

Mr. Dickenson empfing die Reisenden mit innig empfundener Freude und Erleichterung. Mit einer Verbeugung nahm er das Gefäß entgegen und geleitete die Gruppe in sein Hotelzimmer. Er kleidete sich in seine Priesterrobe und beschrieb mit seinem Stab ein magisches Symbol auf dem Teppichboden. Jeder einzelne Strich glühte in intensivem Rot. Als er das Gefäß, das einem Kelch mit einem gewölbten Deckel ähnelte, in das Zentrum des Zeichens stellte, sprang es plötzlich auf und Feuerzungen hüllten es ein. Der alte Herr murmelte Beschwörungsformeln, von denen Daichi als sein Schüler nur ein paar kannte, und weißer Rauch stieg aus dem Kelch, je eindringlicher seine Worte wurden. Er verstummte nach fünf Minuten und das Symbol zu seinen Füßen erlosch. Lächelnd hob er das Gefäß hoch, dem nun ein verlockender Duft entströmte und rief: „Es ist vollbracht! Der Heiltrank ist fertig! Ich werde mich sofort zu Bryan ins Krankenhaus teleportieren, um ihm die Flüssigkeit einzuflößen."

„Das war‘s? Nur ein bisschen Hokuspokus?"

„Was hast du denn erwartet, Lee? Einen Kochkessel, düstere Zaubersprüche, ein paar Kröten und Eidechsen als Zutaten? Ich bin Zaubermeister und kein Märchenhexer!"

„Na ja, hätte ja sein können....muss Bryan alles trinken?"

„Nein, das wird nicht nötig sein. Ich denke, auch Miguel und Ray können ein, zwei Schlucke zu sich nehmen, damit ihre Verletzungen gesunden. Daichi, du begleitest mich."

Der Rothaarige nickte und wenig später befanden sie sich in dem Krankenzimmer, in dem der Russe lag. Beide Magier schwiegen in gemeinsamer Bestürzung, als sie ihn sahen, umgeben von Schläuchen, Maschinen und Monitoren. Seine Wunde war genäht worden, aber unter normalen Umständen wäre er wohl auf dem Operationstisch verstorben oder würde für den Rest seines Lebens vor sich hin vegetieren müssen, angeschlossen an Geräte. Ihn hatte nur eines bisher gerettet: Die Tatsache, dass er zur Hälfte Wächterblut in den Adern hatte, das ihm eine Widerstandskraft verlieh, über die normale Menschen nicht verfügten. Aber auch dieses Erbe konnte nicht ewig gegen den schleichenden Tod in seinem Körper ankommen. Mr. Dickenson setzte ihm den Kelch an die Lippen und flößte ihm den Trank geduldig ein. Bryan war mehr oder weniger bei Bewusstsein, auch wenn er nicht wirklich begriff, was vorging. So schluckte er automatisch und schon bald breitete sich in seinem Organismus eine wunderbare Wärme aus.

„Sehr gut. Nun zu Ray und Miguel. Falls noch etwas von dem Trank übrigbleiben sollte, werde ich ihn in eine Karaffe umgießen und sie aufbewahren. Ich bin unendlich froh, dass eurer Mission Erfolg beschieden war. Lass uns hoffen, dass auch die Befreiungsaktion in der Unterwelt gut endet."

„Meister....glaubt Ihr, dass Iras....Suzaku angreifen wird?"

„Ja, davon bin ich sogar überzeugt. Und ich prophezeie dir, dass Suzaku diesen Kampf verlieren wird, wenn das Herz des Ritters ungerührt bleibt."

„Was?! Aber das ist ja furchtbar! Und da könnt Ihr noch auf ein gutes Ende hoffen?!"

„Ich sagte: Wenn das Herz des Ritters ungerührt bleibt."

„Aber das ist es doch gerade - er hasst Suzaku!"

„Hasst er Kai?"

„Wie? Nun, nein, das nicht....aber macht das einen Unterschied?"

„Ja, mein Junge. Das macht einen Unterschied....für Tala!"

Feuer und Eis (Teil 1)

Kapitel 26: Feuer und Eis (Teil 1)
 

Ein Schwall Schnee traf Suzaku frontal und er landete unsanft auf dem steinigen Untergrund. Iras war schnell in seinen Attacken und erschreckend gnadenlos. Der Prinz des Feuers richtete sich keuchend auf und musterte seinen Gegner genau. Natürlich war seine magische Kraft unermesslich stärker als die eines normalen Wächters, wie der Hüter von Wolborg es eigentlich war, aber Iras war von Schwarzer Magie erfüllt, die sich von negativen Gefühlen nährte, und mit seinem Hass auf Suzaku war sein Zaubereilevel um einiges gestiegen. Außerdem ging es ihm darum, den anderen unbedingt zu töten, während der Phönixwächter sein Leben retten wollte, um den Menschen zurückzuholen, der Iras einst gewesen war. Er stand auf und schleuderte einen Hagel aus Feuerbällen auf seinen Kontrahenten, die jedoch von seiner eiskalten Aura allesamt gelöscht wurden. Suzaku sah es mit Bestürzung und er spürte, wie sich diese mit Hass durchtränkte Ausstrahlung um ihn schloss und ihm die Brust zusammenpresste. Hades hatte ganze Arbeit geleistet!

**Mein Hüter....ich weiß, dass es schwer ist, gegen so viel Hass zu kämpfen, aber du hast keine Wahl. Denk an Seiryuu! Du bist hierher gekommen, um ihn zu retten! Wenn du Iras nicht ebenso gnadenlos begegnest wie er dir, wirst du verlieren! Es schmerzt, da er dir vor langer Zeit einmal ein Kamerad war und deine Reinkarnation Freundschaft für ihn empfindet, aber du musst deine Gefühle vergessen, wenn du überleben willst!** erklärte Dranzer in seinem Kopf.

»Also verlangst du von mir, ihn umzubringen?«

**Was könntest du anderes tun? Ich bezweifele, dass seine Seele noch gereinigt werden kann. Hades‘ Gift hat ihn bis ins Innerste zerfressen.**

»Das hieße, den Mann aufzugeben, der er gewesen ist - und von dem noch eine Spur in ihm zurückgeblieben ist! Tala ist durchgebrochen, als er Bryan verletzt hat....und Tala ist so, wie Iras früher war. Wenn ich ihn töte, zerstöre ich ihm jede Möglichkeit, je wieder zu uns zurückzukehren. Das kann ich nicht tun, Dranzer! Mir ist klar, dass mein Leben dir wichtiger ist als das seine, aber ich kann seinen Tod nicht mit meinem Gewissen vereinbaren! Ich könnte Bryan niemals mehr in die Augen sehen! Egal, wie viel von meinem eigenen Blut es kosten wird, um ihn von den Ketten der Finsternis zu befreien, ich werde es opfern!«

Damit war die gedankliche Diskussion beendet und er benutzte sein Schwert für eine Meisterattacke. Der flammende Phönix brach aus der Klinge hervor und raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den Krieger des Zorns zu. Dieser senkte seine Körpertemperatur und schuf gleichzeitig eine Mauer aus Eis, um sich zu schützen. Der Angriff prallte auf das Schild und Iras konnte die unmenschliche Hitze deutlich fühlen. Sie schmolz das Eis in Sekundenbruch-teilen und hüllte den Rothaarigen ein wie in ein Inferno. Obwohl er es sich zu verbeißen versuchte, gelang es ihm nicht, seinen Schmerzensschrei zu unterdrücken und während seine blasse Haut versengt wurde, sandte Suzaku mit der linken Hand einen Feuerstrahl in seine Richtung, damit das Brennen nicht zu rasch verebbte. Einfach machen würde er es ihm trotz seines Entschlusses dennoch nicht!

„Du solltest lieber aufgeben, Iras!!" rief er gegen das Toben der Flammen an. „Du kannst diesen Kampf nicht gewinnen! Sei vernünftig!"

„Das werde ich....nicht!!!" stieß der Angesprochene hervor und erzeugte um sich herum einen gigantischen Schneesturm, der das Glühen endlich neutralisierte. Sein Körper war mit Brandwunden übersät, sein Gesicht verrußt und seine Kleidung arg mitgenommen, doch seine Lippen zogen sich in einem hämischen Grinsen auseinander.

„Eine Niederlage kommt für mich nicht in Frage!! Ich habe zu lange auf diesen Moment gewartet und jetzt, wo Seiryuu mir gehört und ich dich vernichten kann, werde ich dich mit allem angreifen, was ich habe!! Lord Hades wird mir dankbar sein, wenn ich einen der legendären Prinzen töte!! Mach dich bereit!!"

Messerscharfe Eissplitter regneten auf den Graublauhaarigen hernieder und brachten ihm an den ungeschützten Stellen seines Körpers tiefe Schnittverletzungen bei. Er kreuzte die Arme vor seinem Kopf und ein Wirbel aus Feuerzungen schloss ihn ein. Die gefrorenen Geschosse schmolzen zu Pfützen und als Suzaku das Schild senkte, sah er Iras mit erhobenem Schwert auf sich zu rennen. Er holte zu einem wütenden Schlag aus, der jedem den Schädel hätte spalten können, wenn der Prinz nicht so flink reagiert und den Streich abgewehrt hätte. Er musste sich gegen wuchtige, blitzschnelle Hiebe verteidigen, die einen Dämon in Scheiben zerlegt hätten und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Der Ritter der Verdammnis war nicht nur physisch sehr stark, sondern als Schwertkämpfer ein wahrer Meister, der in Eden unbestrittener Sieger fast aller Turniere gewesen war - abgesehen von denen, in welchen es Suzaku geglückt war, ihn zu schlagen, aber das war selten gewesen. Plötzlich erfolgte ein mächtiger Stoß und die geheiligte Klinge des Phönixwächters flog in hohem Bogen durch die Luft und blieb in einigen Metern Entfernung im Boden stecken. Er hielt sich seine Schwerthand, die Zähne vor Schmerz zusammengebissen, während warmes Blut über seine Finger lief. Iras stand ihm hohnlächelnd gegenüber. „Kommt dir das nicht bekannt vor? Wie oft habe ich dich entwaffnet? Ja, deine Magie ist stärker als meine, aber deine Klinge war der meinen immer unterlegen!"

„Die Duelle, von denen du sprichst, waren sportliche Wettkämpfe! Außerdem solltest du eines nicht vergessen, Iras...." Er streckte seine linke Hand aus und legte sie behutsam an die Schneide der gegnerischen Waffe. Seine Gestalt begann, rötlich zu leuchten und der Soldat des Zorns spürte mit einem Mal, wie sein Schwert sich erhitzte. Es wurde unerträglich heiß und ehe er recht begriffen hatte, verwandelte es sich in eine Feuersbrunst, die sich über ihn ergoss wie ein Vulkanausbruch. „....du kämpfst nicht mit einem gewöhnlichen Hüter!! Du kämpfst mit MIR....und mit allen Mächten des Feuers!!!!"
 

Was nun geschah, veranlasste Genbu, Mariam, Mathilda, Enrique, die Geschwister Fernandez und Garland, die als fassungslose Zuschauer diesem Gefecht folgten, vor Entsetzen zurückzuweichen. Suzaku donnerte seine Faust auf den Boden und weit auseinander klaffende Risse durchzogen ihn, begleitet von einem heftigen Beben. In den Rissen bildete sich Lava und Iras, seines Schwertes verlustig geworden und nach der letzten Flammenattacke schrecklich geschunden, wusste genau, wozu sein Feind diese Landschaft erschuf. Um seinen Zauber zu gebrauchen, zog er das Wasser aus der Luft, um es für seine Zwecke beliebig abzukühlen und zu verwenden, doch in dieser glühenden Atmosphäre gab es kein Wasser. Er fing an, zu schwitzen und seine Finger fuhren hastig über seine Schläfen, an denen die Schweißtropfen entlang perlten. Er betrachtete seine feuchten Fingerspitzen und senkte seine Körpertemperatur noch mehr, bis eine feine Eisschicht entstand. Um ihn herum wurde es klirrend kalt und Suzaku merkte deutlich, wie sich um seinen Kontrahent ein Gegenstück zu der Umgebung entwickelte, die er soeben erzeugt hatte. Triumphal schleuderte der Wolfwächter einen Eisstrahl auf den Prinzen, während Schneeflocken um ihn herumtanzten. Der Graublauhaarige beantwortete diesen Angriff seinerseits mit einem Lavastrahl und die beiden Kräften trafen sich genau in der Mitte. Genbu biss sich angstvoll auf die Lippen.

**Stimmt etwas nicht, mein Hüter?** erkundigte sich Draciel mental bei ihm und der Blondschopf seufzte leise.

»Suzaku hat bereits eine Meisterattacke benutzt. Er hat nicht so viel Energie dabei eingesetzt, wie es üblich ist, aber trotzdem ist es riskant, dass er dennoch weiterkämpft. Er hält sich gut, aber Iras, verseucht von der Schwarzen Magie, die seine Kräfte steigert, ist ein harter Gegner. Es ist absolut nicht sicher, wer diesen Kampf überleben wird!«

**Du glaubst, dass einer von beiden sterben wird?**

»Was bleibt mir sonst zu glauben? Eine Wächter-Entscheidung endet erst mit dem Tod eines der beiden Kontrahenten. Die einzige Möglichkeit, die sich bietet, wäre, wenn Iras als der Herausforderer sich ergibt und den Anlass für das Duell als gesühnt erklärt. Dreimal dürfen wir raten, wie wahrscheinlich das ist!! Nein, Draciel - wenn nicht ein Wunder geschieht, werde ich heute einen meiner Freunde verlieren, ohne es verhindern zu können....«

**Was ist mit Tala?**

»Ich verstehe nicht....«

**Talas Selbst befindet sich noch immer in diesem Körper. Er wird im Moment von Iras‘ manipuliertem Ich kontrolliert, aber das heißt nicht, dass man ihn nicht erreichen kann. Tala bekommt sehr wohl mit, was gerade passiert. Der Schlüssel zu Suzakus Sieg liegt in diesem Umstand. Es ist zwar richtig, dass auch Tala Gefühle für Tyson hegt, aber er hasst den Mann nicht, der ihn um dessen Gunst bringt. Das ist ein wichtiger Unterschied. Er mag eifersüchtig gewesen sein, was es Hades ermöglicht hat, Talas Ego in Iras zu unterdrücken, aber er empfindet keinen Hass für Kai. Der bedeutsamste Kampf steht ihnen noch bevor....**
 

Tyson erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Ihm war immer noch furchtbar kalt, obwohl er in einem Bett lag und zudem in ein wallendes Gewand gekleidet war, aber das schien nichts zu nützen. Das mussten die Auswirkungen des Eis-Kusses sein! Er richtete sich auf und blickte sich um. Soweit er sich erinnerte, war das hier das Gemach von Iras. Was war seit seinem letzten Zusammentreffen mit dem Ritter geschehen? Und wie war es Hiro ergangen?

»Mein Bruder....ich wünschte, du wärst jetzt bei mir. Was hat Deimos dir angetan? Ich hoffe, du hast ihn in seine Schranken verwiesen! Uh....diese nagende Kälte in mir....dennoch....trotz Iras‘ Ankündigung, sein Eis-Kuss würde meine Gefühle für Kai tilgen, merke ich nichts dergleichen. Allein an ihn zu denken, bringt mir meine Liebe zu ihm ins Bewusstsein. Aber wie kann ich erwarten, dass der Krieger des Zorns das versteht? Er begreift nicht, dass man Liebe nicht erzwingen kann. Dieser Ort ist so....ungemütlich....so finster und trostlos....«

Er warf die Laken zurück und auch wenn er fror, achtete er nicht wirklich darauf. Er trat an das Fenster des Schlafgemachs und ließ seine Augen über die Landschaft schweifen. Düsternis breitete sich unter ihm aus, karge Vegetation und schroffe Felsen waren die Markenzeichen dieser Welt. Kein Leben schien sich dort draußen zu regen, alles war wie in Apathie erstarrt. Nur ab und zu heulte der Wind durch die Schluchten und um den Palast herum; ein seltsamer, klagender Laut wie der eines gequälten Tiers.

»Unheimlich....was hat Hades nur aus Elysium gemacht....es war einst ein Paradies, in dem die Seelen der Verstorbenen ihre wohlverdiente Ruhe finden konnten. Und nun....was ist davon übriggeblieben? Nichts weiter als eine....Gruft....eine Gruft der Schatten, die durch und durch vergiftet ist! Wohin mag Iras verschwunden sein? Ich glaube, ich habe schon geschlafen, bevor er ging....wo ist er? Führt er einen neuen, teuflischen Auftrag seines grässlichen Herrschers aus? Ich muss wissen, was....«

Er hatte sich während seiner Überlegungen von dem Fenster abgewandt und war auf und ab marschiert, bis er die Tür geöffnet und das Zimmer verlassen hatte. Ein zweiter Raum mit einem Diwan schloss sich daran an. Der Blauhaarige meinte, sich dunkel zu erinnern, dass Iras ihn in das Bett hinübergetragen hätte, ehe er aufbrach, um....um was zu tun? Auf dem Boden waren Scherben verstreut....Tyson näherte sich der nächsten Tür, aber diese war zugesperrt. Er fluchte erbittert und rüttelte verärgert am Knauf, ließ es aber schließlich bleiben, denn so kam er nicht weiter. Er konnte seine Kräfte einsetzen, aber erstens wusste er nicht, was ihn hinter dieser Tür erwartete und zweitens war es zu riskant, das ohne seine volle Macht herausfinden zu wollen. Sein Beyblade - und damit auch Dragoon - war ihm von Deimos abgenommen worden, als er ihn mittels Teleportation entführt hatte und vermutlich gammelte es in irgendeiner Schublade vor sich hin, während er es dringend gebraucht hätte. Ohne Blade konnte er sich nicht verwandeln und sich ohne Rüstung und Schwert in eine Umgebung hinauszuwagen, in der es von Dämonen wimmelte, war eine höchst unkluge Idee. Aber verdammt, er konnte doch auch nicht untätig in diesem blöden Palast herum hocken?!

»Das geht einfach nicht!! Ich muss hier raus!! Aber wer kann schon sagen, welchen Absonderlichkeiten ich innerhalb dieser Mauern begegnen werde, bevor ich überhaupt nach draußen komme!? Trotzdem! Ich kann nicht einfach hier herumsitzen, wenn mein Bruder gefangen und Iras unterwegs ist, um wer weiß was anzustellen! Und was ist mit Kai? Deimos hat unsere Liebe in den Dreck getrampelt und ihm sein Herz gebrochen! Ich wäre so gerne bei ihm....um ihn zu halten....zu trösten....um ihm zu sagen, dass nicht ich es war, der all diese abscheulichen Dinge gesagt hat! Könnte ich doch nur....oh Kai....du fehlst mir....du fehlst mir sosehr....! Ich will zu dir....!«

Eine Weile stand er unschlüssig herum, zitternd, bis wieder das schaurige Heulen des Windes ertönte. Er beugte sich aus dem Fenster und richtete eine Frage an den weitgereisten Gesellen: „Höre auf die Stimme deines Meisters! Sage mir - wo hält sich Iras auf?"

~~ Der Krieger des Zorns befindet sich an den Ufern des Lethe und kämpft gegen Prinz Suzaku in einer Wächter-Entscheidung! ~~

„Was?! Eine Wächter-Entscheidung?!" Das war ein Duell auf Leben und Tod....! Und Suzaku.... Kai....war hier?! Er war hier und kämpfte gegen Iras?! Wie leichtsinnig von ihm! Wie hatte er nur diese schreckliche Herausforderung annehmen können? Aber früher oder später hatte es zu diesem Gefecht kommen müssen, das fühlte er. Der Hüter von Wolborg war eifersüchtig.... fanatisch eifersüchtig, seit Hades ihn beeinflusste.

»Iras....damals in Eden hast du mich geliebt. Aber du hast in meiner Gegenwart immer geschwiegen. Warum hast du es mir nie offenbart? Ich hätte dich nicht erhören können, da mein Herz vergeben war, doch es hätte dir helfen können, wenn ich mit dir darüber gesprochen hätte. Warum bist du stumm geblieben?«

„He, mein unsichtbarer Freund....ist der Prinz allein? Ist noch jemand bei ihm?"

~~ Ja, mein Gebieter. Prinz Genbu ist bei ihm sowie Sol, der Hüter von Apollon. Auch Pan ist dort und ein paar Wächter des 9. Saeculum, Mariam, Mathilda, Raul und Julia. ~~

„Eine Gruppe also. Dann sind sie ohne Zweifel gekommen, um Hiro und mich zu befreien und Iras hat sich eingemischt. Pan....ich erinnere mich an diesen Namen....War er nicht Byakkos rechte Hand? Er wurde demnach wiedergeboren. Sein Gesicht ist mir entfallen....ich glaube, er war blond...."

~~ Genau. Jetzt heißt er Enrique Giancarlo Tornatore. ~~

„Enrique! Das ist eine Überraschung. Ich würde mich sehr freuen, ihn wiederzusehen. Allerdings müsste ich dazu erst einmal hier herauskommen. Wenn ich mich doch bloß verwandeln könnte! Die Rüstung verfügt über magische Drachenflügel, die erscheinen, wenn die Situation es erfordert. Aber so...."

~~ Daran soll es nicht liegen, mein Gebieter. ~~ meinte der Wind und begann, in einem wilden Tanz über die Ebene zu fegen. Er riss dabei Blätter und Zweige von den Bäumen und wirbelte viel Sand und Staub auf. Als er fertig war, hatte er eine stahlgraue Staubwolke geschaffen, die an das Fenster heran schwebte. Tyson lächelte dankbar und kletterte über die Brüstung auf die Wolke, die unter seinem Gewicht ein bisschen einsackte. Dennoch trug sie ihn, anstatt in einzelne Partikel auseinander zu stoben. Das war aber auch kein Wunder, denn der Japaner regierte das Element Luft und konnte Kontrolle auf Dinge ausüben, die gewöhnlichen Menschen versagt blieb.

„Wehe kräftig, Kamerad....bring mich zu meinen Freunden. Ich weiß nicht, ob ich ihnen irgendwie helfen kann, aber ich will es wenigstens versuchen. Gemeinsam können wir sicher auch meinen Bruder retten - falls er sich nicht selbst rettet!" fügte er in Anbetracht von Hiros starkem Willen hinzu, der Deimos gewiss zu schaffen machte. Die Wolke setzte sich mitsamt ihrer kostbaren Fracht in Bewegung, getrieben vom Wind, der seinem Herrn unabdingbar treu war, egal ob in Ober- oder Unterwelt. »Vielleicht kann ich gar nichts ausrichten....aber ich kann Kai in dieser schweren Stunde nicht allein lassen! Harre aus, mein Liebster....!«
 

Die beiden Strahlen waren gleich stark, so schien es jedenfalls. Eis und Feuer lieferten sich einen erbitterten Wettstreit und keiner der Rivalen wollte aufgeben. Suzaku spürte hinter dem Strahl seines Gegners die unbändige Macht seines Hasses und verscheuchte verzweifelt die Erinnerungen an Eden aus seinem Kopf, die sich mit jenen Tagen beschäftigten, da er und Iras noch Gefährten gewesen waren, ehe das Band zwischen ihnen zerbrach.

»Du wirst bezahlen, Hades!! Was hast du aus diesem Mann gemacht, den ich als ehrlich und loyal kannte!? Zerstören, missbrauchen und töten, das ist es, was du kannst!! Aber wir werden dich ein für alle Mal dafür büßen lassen, das verspreche ich dir!!«

„Ich werde nicht verlieren", murmelte der Ritter der Verdammnis zwischen den Zähnen. „Ich werde dich ein für allemal vom Angesicht dieser Welt tilgen!! Seiryuu gehört mir!!!" Seine Magie brach abrupt und in kompletter Kraft hervor. Der Eisstrahl drängte den aus Lava in rasender Geschwindigkeit zurück und warf den Prinzen direkt gegen die Innenwand des Bannkreises, in die Nähe seines Schwertes. Der Wächter des Heiligen Phönix rappelte sich hoch und packte den Griff der Klinge, um sich ganz aufzurichten.

„Nimm doch endlich Vernunft an, verdammt!! Wir haben uns einmal gut verstanden! Du warst ein tapferer Kämpfer und deinem wahren Herrn absolut treu! Du hast Eden geliebt und es mit vollem Herzen verteidigt - und dann läßt du dich einfach von Hades manipulieren, ausgerechnet du, der du ein Vorbild für so viele andere Hüter warst! Ich weiß, dass deine Seele verletzt war, aber war dein Wille wirklich nicht stark genug, um sich gegen das Schwarze Gift zu wehren?! Du hast deine Heimat verraten, deine Freunde, deinen Prinzen....und nun dienst du demjenigen, der deinen Liebsten - unseren Liebsten - ermordet hat?!"

„Nein, schweig still!!! Ich habe genug von diesen Lügen!! Ich glaube dir nicht!! Lord Hades hat Seiryuu nicht getötet!! Er hat mir vielmehr die Macht verliehen, mich gegen all meine Widersacher zu behaupten! Speichellecker und Opportunisten, die sich bei mir einschmeichelten und doch nur heimlich hinter meinem Rücken über mich lachten! Aber ich habe es ihnen allen gezeigt! Niemand wird sich mehr über mich erhaben dünken! Auch du nicht!!" Erneut hagelte es Eissplitter in Suzakus Richtung, die er mit einem Flammenschild abblockte. Es war unmöglich....er konnte nicht zu Iras durchdringen....! Musste er ihn töten? Hatte er wirklich keine andere Wahl?!

»Lass mich übernehmen!« befahl eine Stimme in seinem Kopf und er zuckte zusammen.

»Kai?! Bist du verrückt?! Er wird dich umbringen!«

»Auch unverwandelt kann ich auf einen Teil meiner Kräfte zurückgreifen.«

»Was nützt dir in einer Wächter-Entscheidung ein Teil davon!? Um zu überleben, benötigst du deine gesamte Macht!«

»Hör mir zu....ich will versuchen, Tala zu erreichen. Er und ich haben dieselben Erinnerungen, dieselben Erfahrungen....denselben Schmerz. Wenn ich seinem Ich Mut machen kann, wird er sich vielleicht zur Wehr setzen!«

»....Also gut. Sollte es zu gefährlich werden, verwandelst du dich sofort wieder, kapiert?«

»Das werde ich.«

Das Beyblade erschien mit einem Aufleuchten in seiner Hand und der Prinz berührte das Bild von Dranzer, das in der Mitte prangte. Feuerzungen hüllten ihn ein und wenig später stand Kai vor dem fassungslosen Krieger des Zorns.

„Kai!! Was machst du da?!" schrie Genbu erschrocken. „So kannst du nicht kämpfen! Er wird dich massakrieren!!" Da fielen ihm Draciels Worte ein. Hatte er etwa gemeint, dass nur Kai Talas Bewusstsein beeinflussen könnte? Aber das war zu riskant! Iras war unberechenbar und würde in seiner Wut kaum innehalten, auch nicht bei dem Russen.

„Du....!! Was glaubst du eigentlich, wer du bist!?! Bin ich Suzaku keiner Herausforderung würdig, dass er seine schwächliche Reinkarnation an seine Stelle treten läßt?! Das ist eine Beleidigung, die er bitter bereuen wird!!"

„Ich werde nicht akzeptieren, dass es so enden soll, verstehst du?!" erwiderte der Graublauhaarige, ohne sich um den Ausbruch seines Gegenübers zu kümmern. „Hast du vergessen, was wir einander waren? Sind die endlosen, traurigen, einsamen Nächte in der Abtei aus deinem Gedächtnis gelöscht geworden? Weißt du nicht mehr, wie wir alle, Bryan, Spencer, Ian, du und ich, zusammensassen und uns gegenseitig Trost gespendet haben? Man hat uns....Hades hat uns misshandelt und versucht, unseren Willen zu brechen! Doch wir haben uns geschworen, uns niemals von ihm unterkriegen zu lassen! Das war schwer, ja....und er hat uns unsere Gefühle als Schwäche, als Fehler nähergebracht, obwohl sie es nicht sind - es niemals waren! Hilfe konnten wir von ihm nicht erwarten, wir gaben einander den Halt, dessen wir so dringend bedurften! Hast du das vergessen? Hast du das wirklich vergessen!?! Ich war nie besonders begabt darin, meine Empfindungen auszudrücken, aber ich möchte, dass du eines weißt: Du bist mir in dieser grausamen Zeit mehr gewesen als nur ein Freund....du warst für mich wie ein älterer Bruder, der immer für mich da war, wenn ich es nicht mehr ertrug. Ich habe meine Familie nie kennen gelernt. Vielleicht hatte ich sogar mal einen Bruder, wer kann das schon sagen? Aber das spielt keine Rolle. Das Entscheidende ist: Ich habe dennoch einen Bruder gefunden, der mir Vertrauen eingeflößt hat, durch den ich lernte, dass das Leben nicht nur aus Hass besteht...."
 

„Was soll dieses Geschwätz?!" unterbrach ihn der Rothaarige ungehalten, doch Kai warf ihm nur einen abschätzenden Blick zu. „Ich habe nicht mit dir gesprochen." erklärte er schlicht und Iras spürte plötzlich das Ziehen in seiner Brust, das er besiegt zu haben glaubte. Schmerzhaft pochte es in seinem Inneren, stärker als bisher.

„Pah! Denkst du ernsthaft, du könntest mich mit den Erinnerungen meiner lächerlichen menschlichen Existenz dazu bewegen, dir zu verzeihen!? Hast du es denn noch nicht begriffen? Tala ist tot - so gut wie tot. Sein Körper ist mein Eigentum! Du wirst ihn niemals zurückholen, seine unbedeutende Seele ist längst verdaut! Und da du nicht sonderlich am Leben zu hängen scheinst, wird es mir ein Vergnügen sein, dich zu töten!"

Mit einem teuflischen Grinsen formte er einen Eissplitter zwischen seinen Händen, so lange, bis er ein neues Schwert erschaffen hatte, bleich, kalt und tadellos scharf. „Wo soll ich anfangen? Du darfst es dir aussuchen, ob ich dich von oben nach unten oder von unten nach oben aufschlitzen soll." Er begann, Kai zu umrunden wie ein Beutetier, aber der Zwanzigjährige zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. Iras rief in diesem Moment zwar die Assoziation mit einem hungrigen Wolf herauf, aber der Russe fühlte sich seltsam ruhig.

„Tala ist nicht tot. Du würdest es nicht immer wiederholen, wenn dem so wäre. Es ist sein Herz, das in deiner Brust schlägt, und es ist seine Seele, die dich bezwingen wird. Was würde es dir bringen, mich zu töten? Die Erfüllung deiner Rache? Die Befriedigung deiner Eifersucht? Wiegt der Preis, den zu zahlen müsstest, nicht viel schwerer? Seiryuu könnte dir vieles verzeihen - aber nicht meinen Tod. Willst du das in Kauf nehmen?"

Die Hand am Schwertgriff zitterte ganz leicht. „Ich kann nicht zurück, du Narr! Ich habe nur für diesen einen Augenblick gelebt, für diesen Tag, da ich dich endlich vernichten werde! Er wird nie einen anderen lieben außer dir, wenn du nicht ausgelöscht wirst! Du bist diese Liebe im Grunde überhaupt nicht wert, weißt du das eigentlich?! Egal, ob als Suzaku oder als Kai, du bist eines Mannes wie Sei in keiner Weise würdig! Du musst sterben!!"

Die Spitze der Klinge stach in seinen Hals und ein dünnes Rinnsal Blut lief daran entlang. Der Ritter lächelte boshaft, trat ein paar Schritte zurück und holte zu einem gewaltigen Hieb aus.

„NEIN!!!"

Er schoss herum und sein Gegner sah ebenfalls in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war. Die übrigen Hüter außerhalb des Bannkreises drehten sich im Verein mit ihnen um und erkannten auf einer Anhöhe eine schlanke, großgewachsene Gestalt mit langen saphirblauen Haaren, deren Augen zu Schlitzen verengt waren.

„Tyson...." flüsterte Kai ungläubig und sein Herz fing an, heftig zu pochen. Dragoons Wächter war von einer majestätischen Aura umgeben, der Zorn verwandelte seine elegante Schönheit in die wilde, zerstörerische und zugleich unerreichbare Ausstrahlung eines Gottes. Umspielt von Windböen, mit stolz erhobenem Haupt, schien er den anderen fast einschüchternd schön.

„Sei...." hauchte Iras, vollkommen überwältigt. Erst nach und nach wurde ihm klar, dass an seiner Anwesenheit hier etwas nicht korrekt war.

„Du bist geflohen? Wie?! Ich habe dich doch...."

„....eingesperrt? Das ist richtig, aber mein Freund der Wind hat mir geholfen. Ich bin durch die Luft entkommen, auf einer Wolke. Offensichtlich rechtzeitig. Ich warne dich, Iras: Rühr Kai nicht an oder du wirst es büßen!"

„....Was zum....?! Du verachtest mich noch immer?! Was ist mit dem Eis-Kuss, den ich dir gab? Er müsste deine Gefühle für ihn vernichtet haben!"

Der Blick des Japaners wurde traurig. „Du verstehst nicht. Liebe läßt sich nicht erzwingen. Sie ist etwas, das von alleine kommt und im Herzen wächst. Sicher, ich spüre die Kälte dieses Kusses in jeder meiner Nervenzellen, aber sie betrifft mich nur körperlich, nicht seelisch. Hast du wirklich geglaubt, du könntest meine Liebe zu ihm einfach so auslöschen? Nein. Das wäre dir nie gelungen."
 

Der Krieger starrte ihn an und stieß einen Fluch aus. In einer Geste der Verbitterung und der Wut spaltete er einen Felsen mit seinem Schwert und richtete seine schwarzen durchdringenden Augen auf seinen russischen Feind. Der Hass, der darin loderte, ließ Kai erkennen, dass es mit der sogenannten Geduld des Rothaarigen nun vorbei war.

»Verwandle dich! Die Grenze ist überschritten! Wenn du dich nicht wehrst, bist du tot!!!«

»Nein, Suzaku. Noch ist nicht alles verloren!«

„Das Schicksal hat entschieden!! Keiner wird dich mehr retten!!!" schrie Iras außer sich und rannte mit gezückter Klinge auf seinen Kontrahenten zu. Garland machte Anstalten, ein Lichtgeschoss abzufeuern, doch Genbu hielt ihn mit eisernem Griff zurück.

„Nein! Du kannst den Bannkreis nicht durchbrechen. Deine Einmischung ist sinnlos. Wir können nur hoffen und beten." Es klang entsetzlich nüchtern und endgültig.

„Was immer du tust, Tala, meine Gefühle zu dir verändern sich nicht!!" würgte der Blader hervor, trotz der Angst, die ihm die Kehle zusammenzuschnüren drohte. „Die Geschehnisse, die uns verbinden, haben uns geprägt für den Rest unseres Lebens! In meinen Augen wirst du stets der Bruder bleiben, der du für mich gewesen bist!! Du bist nicht schwach, hörst du?! Du kannst dich gegen das Schwarze Gift wehren, so wie du dich gegen die Schikane in der Abtei gewehrt hast!! Du bist stark, Tala - also KÄMPFE, verdammt nochmal!!!"

Fahles Licht brach sich in der durchsichtig schimmernden Schneide der Waffe, als der Ritter der Verdammnis ausholte. Er lachte siegessicher....als er mitten in der Bewegung verharrte und dastand wie versteinert. Seine Brust schmerzte unerträglich und sein Kopf schien zu platzen. Das Schwert entfiel ihm und landete mit einem Klirren auf dem Boden. Er sank auf die Knie....und der wahre Kampf begann.
 


 

Fortsetzung folgt...

Feuer und Eis (Teil 2)

Ich weiß nicht...ich habe kein einziges Kommentar auf meine letzten Kapitel bekommen. Ich sehe ein, dass es lange gedauert hat, aber wenn es Resonanz gäbe, würde ich auch öfter was hochladen. Ich habe das Gefühl, dass diese FF hier auf animexx kaum einen interessiert. Warum? Ist sie nicht spannend genug, zu vorhersehbar? Woran liegt's? Aber da es Leute gibt, die diese FF in ihrer Favoliste haben, will ich im Vertrauen auf sie auch weiterhin posten, obwohl es offenbar keinen Sinn zu haben scheint. Mir ist klar, dass Kommis freiwillig geschrieben werden müssen, aber für einen Autor, der nichts zu hören kriegt, wird es schwierig, seine Leser einzuschätzen.
 

Ich möchte mich auch für die lange Wartezeit entschuldigen, aber ich versuche gerade, ein wichtiges Semester an der Uni erfolgreich zu beenden und will die Zwischenprüfung ablegen, folglich habe ich sehr viel zu tun und nicht mehr so viel Zeit für FFs, wie ich gerne hätte. Außerdem hatte ich eine längere Zeit kein Internet zu Hause, um etwas hochladen zu können. Und das Schweigen auf Seiten meiner Leserschaft ließ mich vermuten, diese Geschichte wolle keiner mehr lesen. Seid so lieb und beweist mir das Gegenteil.

Und nun viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 27: Feuer und Eis (Teil 2)
 

Mr. Dickenson war in sein Hotelzimmer zurückgekehrt, nachdem er Bryan, Ray und Miguel mit dem Heiltrank versorgt hatte. Mariah und Claude waren auf ihrem Posten verblieben, um sich eventuellen Angriffen stellen zu können, denn solange der Genesungsprozess noch nicht abgeschlossen war, hatte der Zaubermeister keine ruhige Minute mehr. Sie würden sich mit Lee und Rick abwechseln. Der alte Herr setzte sich auf sein Bett und tupfte sich die Stirn mit einem Tuch ab. Er fragte sich, was momentan im Hades geschehen mochte und fühlte, wie kalte Angst sein Herz zusammenpresste. Drei der vier Prinzen befanden sich auf feindlichem Gebiet, und einer von ihnen war gemeinsam mit seinem Bruder auch noch gefangen. Es war einfach zum Auswachsen! Welche Schrecken mochten dem Rettungskommando bereits begegnet sein?

„Sie sind Wächter, sie besitzen sehr viel innere Stärke, um damit fertigzuwerden." sagte er laut vor sich hin, um sich Mut zu machen. „....aber was ist mit Hiro? Er hat ebenfalls eine starke Seele, aber kann sie ihm in der Höhle des Löwen helfen? Ich hoffe es, denn er wäre ‚würdig‘ und es wäre eine Katastrophe, wenn wir ihn verlieren würden. Geheiligte Schutzgötter, lasst sie alle heil und gesund wiederkommen."

Er faltete die Hände und schloss die Augen, und so bemerkte er auch den Raben nicht, der auf einem Baum vor seinem geöffneten Fenster hockte und ihn beobachtete. Die Augen des Vogels glühten auf und mit einem Krächzen erhob er sich in die Lüfte....
 

Seine Majestät, Lord Hades, der Regent der Unterwelt und Verkörperung der Schatten, sass in seinem Gemach vor einem Schachbrett und spielte mit sich selbst. Ein grausames Lächeln hob seine Mundwinkel an, während er die Figuren per Gedankenkraft über das Feld bewegte, ohne sie zu berühren. Die Zauberkugel, die neben dem thronähnlichen Stuhl stand, auf dem er Platz genommen hatte, zeigte ihm die Geschehnisse an den Ufern des Lethe. Er schien sich seltsamerweise köstlich darüber zu amüsieren.

„Bist du da, Deimos?" fragte er in die Dunkelheit des Raumes hinein und der Orangehaarige tauchte aus einem Loch im Boden vor seinem Herrn auf. Er hatte schwarze Handschuhe übergestreift, um die Bissspur von Hiro zu verdecken und verneigte sich respektvoll.

„Was verlangt Ihr von mir, mein Gebieter?"

„Was siehst du?"

Deimos betrachtete gehorsam die Zauberkugel und erwiderte: „Iras hat wohl gegen Suzaku gekämpft - ein Bannkreis, wie er für eine Wächter-Entscheidung typisch ist, umgibt die beiden. Hm....einer der Verräter ist dabei, Sol. Und ich erkenne einen Neuling in der Gruppe. Das ist Pan, der Hüter von Amphilyon. Und Genbu beehrt uns auch mit seinem Besuch! Tyson ist entkommen, aber das überrascht mich nicht. Einen Windwächter hält es nicht lange hinter verschlossenen Türen. Es war äußerst leichtsinnig von Iras, ihn von seinen Ketten zu befreien und ihn in sein eigenes Gemach zu bringen. Aber Liebe macht blind und geistlos, das ist hinlänglich bekannt."

„Bist du mit deinem menschlichen Gefangenen nicht ähnlich verfahren?"

„Das kann man nicht vergleichen. Hiro besitzt keine magischen Kräfte, im Gegensatz zu seinem Bruder. Er könnte niemals auf eigene Faust entkommen!"

„Dann sieh zu, dass es so bleibt!"

„Ich verstehe nicht...."

„Mein unwissender Diener - die Welt ist erfüllt von magischen Strömen, von Wesen und Geistern, von denen nicht einmal die größten Zauberer alle kennen können. Es gibt zwar nur sehr wenige Menschen, denen diese Gnade zuteil wird, aber es gibt sie dennoch....Menschen, die sich einer besonderen Gabe als würdig erweisen, können sie erhalten, sofern sie sich einer Prüfung unterziehen, die ein Magier ihnen auferlegt. Der alte Narr Diomedes trägt sich wohl mit diesem Gedanken, und das ist unerfreulich. Ich habe einen meiner Vogeldämonen ausgeschickt, um ihn ausspionieren zu lassen, daher weiß ich von dieser Idee. Sie behagt mir nicht, wie dir zweifellos klar sein dürfte. Für einen Sterblichen verfügt Hiro über einen bemerkenswert starken Willen und viel Seelenenergie. Er ist ‚würdig‘, und das passt mir gar nicht. Also wirst du dieses unliebsame Problem für mich aus der Welt schaffen: Zerstöre seinen Willen und vernichte seine seelische Stärke. Danach....tötest du ihn!!"

„Ich soll....ihn töten!?"

„Was ist? Was siehst du mich so widerwillig an? Ja, ich weiß, ich habe ihn dir als Gespielen versprochen, aber das, was ich in Erfahrung gebracht habe, läßt ihn zu einer Bedrohung werden, derer ich mich schnellstens entledigen muss! Du willst dich mir doch nicht etwa widersetzen?" fügte er in gefährlichem Unterton hinzu und seine eisige, bösartige Aura kroch Deimos‘ Körper nach oben, als wolle sie ihn erdrücken.

„Nein....uh....ich....natürlich nicht, mein König. Euer Wunsch ist mir Befehl."
 

Iras umklammerte seinen Kopf und stöhnte gequält. Die Umstehenden wussten nicht, was sie davon halten sollten, aber Genbu ließ den Bannkreis aus Sicherheitsgründen weiter bestehen, denn niemand konnte vorhersagen, was der Soldat des Zorns als nächstes tun würde. Plötzlich warf der Rothaarige sein Haupt zurück und starrte mit leeren Augen in die Höhe. Seine Arme fielen kraftlos herab. Die anderen konnten es nicht wissen, aber Iras wurde von einer unwiderstehlichen Macht dazu gezwungen, in seine Seele zu blicken. Um ihn herum herrschte tiefe Finsternis, als er keuchend wieder zu sich kam. Was zum Teufel machte er hier? Er hatte noch einen Kampf zu gewinnen! Er musste sofort die bewusste Kontrolle über seinen Körper wiedererlangen! Was ging hier bloß vor?!

„Kannst du dir das nicht denken?"

Er drehte sich blitzartig um - und sah in das Gesicht eines jungen Mannes, der sein genaues Ebenbild war, nur mit dem Unterschied, dass er keine schwarze Kleidung trug, sondern eine helltürkisfarbene Wächteruniform mit goldener Schärpe, wie es sich für ein Mitglied des Ordens von Eden geziemte.

„WAS!? DU?!?!"

„Ja. Offenbar hast du mich doch nicht so gut verdaut, wie du dachtest. Ich gebe zu, ich hätte mich beinahe mit deiner Existenz abgefunden und die Waffen gestreckt....aber als du Bryan verletzt hast, haben meine Wut und mein Schmerz mir zu einem ersten Triumph über dich verholfen! So ist es auch diesmal! Kai ist für mich mehr als nur ein Freund....er ist mir wie ein Bruder, und ich werde niemals zulassen, dass du ihn umbringst!"

„Ha! Wenn man dich so reden hört, möchte man meinen, Kai hätte noch nie versucht, dir etwas zu nehmen, das dir wichtig ist! Was ist mit Tyson? Du hast dich doch in ihn verliebt, oder nicht? Kannst du es denn ertragen, dass das Herz deines Liebsten für einen anderen schlägt?"

Tala zuckte zusammen und biss sich auf die Lippen. Er erinnerte sich an seine Eifersucht und an die Faszination, die der Jüngere von Beginn an auf ihn ausgeübt hatte. Es entsprach der Wahrheit, er hegte zärtliche Gefühle für den Blauhaarigen....aber hasste er Kai dafür? Oder neidete er es ihm zumindest? Nein, Hass war es nicht. Aber Neid.

„Ich kann Tyson nicht dazu zwingen, mich zu lieben! Er soll mit dem Menschen glücklich werden, für den er wirklich etwas empfindet!"

„Unsinn! Du belügst dich nur selbst! Ich habe ihm meinen Eis-Kuss verabreicht....er wird endlich mir gehören! Auch du kannst dieser Vorstellung sicher nicht widerstehen, hm?"

„Was redest du da?! Dein Eis-Kuss hat seine Liebe nicht beeinflusst!"

Iras lachte selbstgefällig und ein Schwert erschien in seiner Hand. „Glaubst du ernsthaft, dass ich so dumm bin? Natürlich meint er, dass er meiner Macht entronnen ist, aber da erliegt er einem Irrtum. Das Herz ist der Sitz aller Gefühle, der schönen wie der schlimmen, und es dauert seine Zeit, bis ein tapferes Herz wie das seine die Auswirkungen des Kusses zu spüren beginnt. Aber nach und nach wird er erkennen müssen, dass er meinem Zauber ausgeliefert ist - und wenn ich ihn noch einmal küsse, ist er mein!"

„Wie kann man diesen Bann brechen?!"

„Ts, ts, ts, Tala....ich bin entrüstet! Du erwartest von mir, dass ich dir das verrate? Oh bitte, ich habe dich klüger eingeschätzt. Überlege es dir doch nur einmal....du dürftest ihn umarmen, ihn fühlen, seine Lippen liebkosen, seinen Hals, seine Brust...." Der Ritter trat hinter sein Alter Ego und umschlang seine Taille, während er ihm ins Ohr flüsterte: „Du könntest....ihn nackt an dich pressen, bis er vor Leidenschaft verbrennt und deinen Namen ruft, verloren in einem Rausch der Ekstase...."

„Nicht ich würde diese Dinge tun, sondern du!! Nie würde ich Hand an ihn legen! Außerdem hat er dich vorhin erneut abgewiesen!!"

„Noch ist sein Herz auch nicht vollends in meiner Gewalt, aber das wird sich ändern. Und habe ich Suzaku erst getötet - oder Kai, das ist egal - , wird niemand mehr zwischen ihm und mir stehen. Schon seit damals hätte er mir gehören sollen! Mein Ziel ist endlich in greifbare Nähe gerückt und ich werde meinen Sieg in vollen Zügen genießen!"

Tala entwand sich ihm und auch in seiner Hand materialisierte sich eine Klinge. Er konnte nicht zulassen, dass dieser Wahnsinnige den Mann vernichtete, der ihm ein Familienmitglied ersetzte, der ihm näherstand als irgend jemand sonst aus der Abtei, von Bryan einmal abgesehen, für den er ebenfalls stärker empfand als für die übrigen Blitzkrieg-Boys. Andererseits konnte er sich nur schwer gegen das Verlangen stemmen, das in ihm nach oben wallte, die Sehnsucht nach Tyson, die mit einem Mal versprach, erfüllbar zu sein.

„Nein....nein!! Ich werde der Versuchung nicht erliegen! Gib mir meinen Körper zurück, Iras!! Ich werde nicht länger dulden, dass du denjenigen wehtust, die mir viel bedeuten!! Das muss ein Ende haben!! Kämpf mit mir, wenn du dich traust!!"

„Ich habe keine Angst vor dem schwachen Teil meiner Selbst! Es wird mir ein Vergnügen sein, dich für immer zu eliminieren!"

Die Schwerter trafen sich mit einem Klirren und beide Kontrahenten legten sich mit ihrem vollen Gewicht in den Schlag, sodass ein Kräftemessen zwischen ihnen entstand. Der Russe konnte den Hass förmlich spüren, der von seinem Feind ausging und erschauerte widerstrebend. Er hatte begriffen, dass diese Person, die Hades mit ganzem Einsatz diente, dem Hüter der Vergangenheit nicht ähnelte, sondern ein eigenes, neu geschaffenes Wesen war, dem seine Erinnerungen an Eden und an das Leben in der Abtei - beide Aspekte waren im Grunde Talas Erinnerungen - gleichgültig waren. Nur einer von ihnen war der wahre Iras, nur einer von ihnen hatte das Recht, weiter zu existieren. Wenn er dieses Gefecht nicht für sich entschied, würde es für sein „Ich", für seinen Charakter, sein Selbst keine Wiederkehr mehr geben, das wusste er. Das hier war seine letzte, seine einzige Chance! Er musste gewinnen, oder er verlor für immer!

„Ich....werde....dich endlich in deine....Schranken weisen!" zischte er, während seine Waffe gegen die des anderen drückte. Plötzlich zog er die Klinge in einem Ruck weg und verpasste dem Ritter einen heftigen Tritt in den Magen, sodass er nach hinten fiel und sich einmal rückwärts überschlug. Danach rappelte er sich auf und grinste.

„Sieh einer an....du bist gar nicht so übel. Ich habe dich unterschätzt, wie mir scheint. Du willst es also auf die harte Tour, ja? Wenn du es so eilig hast, zu sterben....!"

Iras schleuderte Tausende von messerscharfen Eissplittern Richtung Tala, die dieser mit einem Schutzschild aus rotierenden Schneeflocken abzuwehren versuchte, doch einige der Geschosse trafen ihn dennoch und schnitten ihm brutal ins Fleisch. Er verbiss sich seine Schmerzensschreie, während warmes Blut seinen linken Arm, seine Oberschenkel und seine rechte Schulter herunterlief. Ihre Magie war ein- und dieselbe, daher resultierte daraus kein Vorteil für einen von ihnen, wie es beispielsweise bei entgegengesetzten Kräften wie etwa Feuer und Eis der Fall war. Aber der Krieger des Zorns war ein versierter Soldat und gelenkt von seinen negativen Gefühlen, stellte er einen ernstzunehmenden Widersacher dar. Dennoch durfte er sich nicht unterkriegen lassen! Er hatte es geschafft, dieses Duell herbeizuführen und er würde kämpfen, so wie Kai es von ihm verlangt hatte!

»Ich werde dich nicht enttäuschen, das verspreche ich. All der Schmerz und das Leid, das dieser Krieg mit sich gebracht hat....Ich erinnere mich an die Zeit, als Suzaku mit Iras....mit mir durch die Wälder ritt....es war ein Festtag in Aquaria und aus diesem Anlass war der Prinz des Feuers angereist. Ja, ich habe unter meiner unerfüllten Liebe gelitten, ich bestreite es nicht. Manchmal fragte ich mich wirklich, was Seiryuu nur an diesem Playboy fand....aber....«

Ein Zischen durchschnitt die Luft.

Das Schwert des Ritters krachte auf das des Wächters und Iras fuhr zurück, als hätte ihn etwas gebissen. Eisblaue Augen musterten ihn verächtlich. „Was denn, dachtest du, ich würde deine Attacke nicht bemerken? Du vergisst, dass unsere Schwertkünste identisch sind! Es dürfte dir schwerfallen, mich zu überraschen."

„Das ist ärgerlich, in der Tat. Doch nun zurück zum eigentlichen Grund unseres Konfliktes. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass du Kai nicht um Tysons Liebe beneidest. Wäre es nicht schön, wenn er statt dessen dich lieben würde?"

„....Ja. Das wäre schön. Aber es ist nicht so und ich muss das akzeptieren!"

„Musst du das? Wenn du mir die Kontrolle überlässt, kann ich ihn für uns beide erobern. Du oder ich, das spielt doch letztendlich gar keine Rolle. Wir sind gleich!"

„Nein. Wir sind nicht gleich. Du bist eine bemitleidenswerte Kreatur, die vollkommen verbohrt ist in ihrem Hass und ihrer Wut. Hades hat deine Erinnerungen an Eden gelöscht, durch neue ersetzt oder sie zu Lügen verdreht. Dein Bild von deinem damaligen Leben ist verzerrt und verfälscht! Ja, es gab Augenblicke, da habe ich Suzaku beneidet. Es gab Augenblicke, da ich mich fragte, wie Sei sich in ihn hatte verlieben können. Es gab Augenblicke, wo ich verzweifelt und unglücklich war. Aber....!" Er schoss nach vorne, das Schwert beschrieb einen eleganten Bogen und die Spitze der Schneide berührte die Kehle des schwarzen Ritters.

„....aber der wahre Iras, der Mann, der treu und stolz Prinz Genbu diente und Eden verteidigte, hat Suzaku niemals - niemals, hörst du?! - gehasst, verstehst du mich?! Das Ausmaß deines Hasses hat mit der Beziehung der beiden nichts zu tun, und auch nichts mit meiner Eifersucht! Ich leugne nicht, dass ich eifersüchtig war....aber Suzaku. War. Mein. Freund!!" Er betonte absichtlich jede Silbe einzeln.

„Das ist nicht wahr!! Er war mein Rivale, der mir alles zerstört hat!! Er hat mir denjenigen genommen, den ich liebte! Er hat gemeinsam mit den anderen Hütern hinter meinem Rücken über mich gelacht und mich verspottet! Er war wie alle anderen - scheinheilig, verlogen und heuchlerisch! Ich habe ihn immer gehasst!!"

„Das Seelengift von Hades hat deinen Hass vertieft und ihn bis ins Unermessliche gesteigert! Er hat dein Innerstes vernichtet, deine Prinzipien, deine Persönlichkeit untergraben und dein verletztes Herz für seine finsteren Ziele missbraucht! Er hat Seiryuu getötet und deine geliebte Heimat zerstört!! Er hat dich zum Verräter gemacht, obwohl deine Loyalität Prinz Genbu galt!! Du hast geschworen, ihn zu beschützen!! Du hattest Freunde, Familie!! Und wegen Hades hast du das alles weggeworfen!! Es gibt nur einen, dem dein Hass gelten sollte, und das ist er!!"

„Ich will nichts mehr hören!! Sei still, verdammt!!! Jeder belästigt mich mit neuen Lügen, versucht, meinen Kopf mit Schwindeleien und Trugbildern vollzustopfen!! Es reicht!!" Ein Schneesturm warf Tala hart zu Boden und Iras begann, auf ihn einzuprügeln, ohne darauf zu achten, wohin seine Klinge traf. Der Russe wehrte sich gegen die groben Hiebe, so gut er konnte, war aber durch seine Wunden geschwächt. Er erschuf Eissplitter um sich herum und donnerte sie gegen seinen Angreifer, als dieser sich anschickte, ihm die Brust aufzuschlitzen.

„Iras, du musst die Wahrheit erkennen! Dein tatsächlicher Feind ist Hades! Begreifst du immer noch nicht, was er getan hat?! In mir findet sich alles wieder, was an Iras gut und edel war - während du seine negativen Eigenschaften verkörperst, den Zorn, das Nachtragende, die Verschlossenheit! Wir sind die zwei Seiten eines einzigen Mannes! Tala Iwanov und Iras, der Wächter von Wolborg, könnten eins sein, eine Seele, ein Herz, wenn du es schaffst, dich vom Bösen zu befreien, dich davon zu lösen!" Er näherte sich dem Krieger, der blutend in die Knie gesackt war und seine Verletzungen unter die Lupe nahm. Sie waren an denselben Stellen wie die von Tala. Seine schwarzen Augen sahen in eisblaue - sein Gegenüber hatte sich ebenfalls hingekniet und ihre Schwerter kreuzten sich zwischen ihnen, eine Fingerbreit vom jeweiligen Gesicht entfernt. Der Beyblader legte seinem Alter Ego Zeige- und Mittelfinger auf die Stirn und flüsterte: „Sieh hin....sieh hin und erkenne die Wahrheit!"
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Es war Nacht über Eden. Iras, der Hauptmann der Leibwache des Wasserprinzen Genbu, sass an der Bettstaat seiner Mutter, Lady Tethys. Die Frau mit dem langen roten Haar wirkte in den großen Kissen beinahe zerbrechlich, obwohl sie den meisten als stark und unerschütterlich bekannt war. Sie war krank; ihr Körper litt an Meeresfieber, das von einer bestimmten Fischart in einigen Gewässern Aquarias übertragen wurde und deren Verzehr daher als riskant galt. Ein Koch musste sich auf die Zubereitung verstehen - doch manchmal konnte es geschehen, dass die Bakterien nicht abstarben, sondern überlebten und dann in den Organismus gelangten. Meeresfieber war tückisch und bedurfte einer raschen Einnahme der Medizin, auf die Iras im Moment wartete. Er strich seiner Mutter sanft ein paar verschwitzte Strähnen aus der Stirn und sprach tröstend auf sie ein, während sie wirr vor sich hin murmelte. Da öffnete sich die Tür.

„Mein Freund? Ich habe mich beeilt, so gut es mir möglich war. Wie geht es ihr?"

„Ihre Temperatur ist seit deinem Aufbruch noch gestiegen", antwortete er, in der vertrauten Umgebung die übliche Anrede gegenüber einem Höhergestellten, die das Protokoll vorschrieb („Ihr", „Euch" usw.), einmal außer Acht lassend. Suzaku seufzte, doch dann hellten sich seine Züge auf. „Gräme dich nicht weiter. Ich habe den Trank mitgebracht, sie muss ihn sofort trinken, solange er noch warm ist." Mit diesen Worten setzte er einen silbernen Becher an die bleichen Lippen der Lady und flößte ihr die heilende Flüssigkeit ein - einen Trank aus Algen, Einhornbeeren (so genannt, weil die Einhörner so gerne davon aßen) und Phönixtränen, die traditionelle Medizin gegen Meeresfieber.

„Sie wird bald wieder gesund sein. Das wichtigste ist jetzt, dass sie Ruhe hat und viel schläft. Der Trank wird das übrige tun. Du kannst aufhören, dich zu sorgen."

„Hab vielen Dank, Suzaku. Es ist sehr kompliziert, an Phönixtränen heranzukommen, da sie unglaublich stolz sind und nur wenige an sich heranlassen. Dabei ist das die entscheidende Zutat für die Medizin. Hättest du dich nicht bereiterklärt...."

Der Prinz von Pyrodes war von Genbu zum Fest der Hundert Fluten eingeladen worden, ebenso wie die anderen beiden jungen Hoheiten. Nachdem man dem Hüter der Gottheit Draciel berichtet hatte, sein oberster Leibwächter könne an der Gesellschaft nicht teilnehmen, da seine Mutter an Meeresfieber erkrankt sei, hatte dieser Suzaku um seine Hilfe gebeten, denn er war einer der wenigen, die sich zum Horst der Phönixe begeben konnten, ohne Schwierigkeiten befürchten zu müssen. Er hatte auch die übrigen Zutaten besorgt und den Trank gebraut.

„Natürlich habe ich das. Ich lasse meine Freunde nicht im Stich, wenn sie in Not sind! Ich weiß sehr wohl, dass mir der Ruf nachhängt, häufig verantwortungslos und ein vergnügungssüchtiger Lebemann zu sein, aber wenn dem so wäre, hätten meine Untertanen sich sicher längst an Dranzer gewandt und ihn gebeten, meine Wahl rückgängig zu machen. Dem Urteil des Gottes müsste ich mich beugen. Ich genieße das Leben, das stimmt, ich feiere gern, bin dem Alkohol nicht abgeneigt und koste mit Freuden die Früchte der Liebe....doch wenn man meiner Hilfe, meiner Fähigkeiten oder meines Beistands bedarf, bin ich da. Dranzer hat sich nicht ohne Grund für mich entschieden. Ich weiß das und glaube daran. Ich maße mir nicht an, perfekt zu sein, obwohl ich diesen Status inne habe. Wer mich braucht, kann mit mir rechnen."
 

Iras lächelte beschämt. „Ich....ich habe früher auch mehr auf die Gerüchte gehört, die man sich über dich erzählte. Mein erster Eindruck von dir entsprach ihnen....bis ich dich besser kennenlernte. Was immer du tust, du tust es mit ganzem Herzen, Prinz des Feuers. Wenn es etwas zu feiern gibt, tanzt du die Nacht durch. Wenn du kämpfst, dann bis zum letzten Blutstropfen, sollte es nötig sein. Wenn jemand auf deine Hilfe hofft, gewährst du sie ohne Zögern. Wenn ein Freund Kummer hat, reißt du dir für ihn drei Beine aus. Und dein Lächeln könnte einen Eisberg schmelzen!" fügte er schelmisch hinzu.

„Übertreibe nicht, sonst bilde ich mir höchstens was ein! Das Fest ist noch nicht beendet. Genbu hat mir sein Bedauern ausgedrückt, dass du nicht dabei sein kannst. Möchtest du nicht hingehen?"

„Doch, schon. Es ist schließlich das größte gesellschaftliche Ereignis in Aquaria. Aber ich konnte meine Mutter in ihrem Zustand ja nicht allein lassen."

„Geh hin. Ich bleibe hier und sehe ab und zu mal nach ihr. Du hast dir ein bisschen Vergnügen verdient, glaube mir. Außerdem fallen die Feierlichkeiten der Hundert Fluten dieses Jahr mit deinem Geburtstag zusammen, wie ich von Leviathan weiß."

„....Du willst auf das Fest verzichten? Das wird deinen Freunden nicht recht sein....insbesondere Seiryuu nicht."

„Erkläre es ihm bitte, er wird meine Gründe sicher verstehen. Es sei denn, du hättest etwas dagegen, wenn ich auf deine Mutter aufpasse und in deinem Haus herumgeistere?"

„Unsinn! Ich bin nur überrascht, dass du dafür von einer Party fernbleibst. Ich sollte das tun."

„Aber nicht an deinem Geburtstag. Überhaupt bist du bereits seit vier Stunden überfällig!"

Suzaku geleitete ihn vor das Tor. Vom Palast klangen ausgelassene Musik und fröhliches Gelächter herüber. Iras verbeugte sich vor dem Graublauhaarigen, als ein Lakai mit einer Laterne zu seinem Herrn hinaustrat, um ihm den Weg zu beleuchten. Das Protokoll musste wieder befolgt werden und so erklärte der Hauptmann: „Ich danke Euch für den Dienst, den Ihr mir erwiesen habt, Euer Hoheit."

„Ich bin Euer Freund, Iras. Das dürft Ihr niemals vergessen." Ein fester Händedruck zum Abschied, der diese Worte bekräftigte und sie trennten sich....
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

„NEIN!!!!"

Der Ritter stieß Tala mit einem Fußtritt von sich und erhob sich. Er zitterte am ganzen Leib und presste zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Ich....glaube dir nicht!!! NIE!!! Suzaku war mein Feind und er ist es noch heute!! Ich lasse mich nicht von dir belügen!!"

„Der einzige, der dich je belogen hat, ist Hades!! Wach endlich auf und gestehe dir ein, dass er es war, der dich ruiniert hat, in deinem letzten, wie auch in diesem Leben!! Wenn du nicht die Augen öffnest, wird es zu spät sein - für uns beide!!"

Iras schwieg. Mit beängstigend verzerrtem Gesicht, in dem die widersprüchlichsten Empfindungen zu streiten schienen, verwandelte er die Finsternis um sie herum in eine Eishölle. Tala fror entsetzlich und versuchte, sich warm zu reiben. Sein Kontrahent, der seiner Verbitterung und seiner Manipulation zum Trotz ein Teil von ihm war, ragte über ihm auf wie ein Rachegott. Diesmal spürte er die stechende Schwertspitze an seinem Hals, aber nachdem Kais Stimme zu ihm durchgedrungen war und ihn aus seiner Lethargie gerissen hatte, war er weit davon entfernt, einfach aufzugeben. Das hier war ein Kampf gegen sich selbst, die komplizierteste und schwerste aller Herausforderungen! Sein Bruder im Geiste hatte ihm neuen Mut eingeflößt und seine alte Willenskraft geweckt. In einer blitzschnellen Bewegung trat er dem Soldaten die Beine weg und zückte seine Waffe. Iras fluchte und rollte sich zur Seite, um dem nächsten Schlag zu entgehen. Plötzlich jedoch hielten die beiden Duellanten inne - eine düstere, ihnen nur allzu bekannte, schreckliche Präsenz umgab sie mit einem Mal.

ER....!!
 

Kai schüttelte den reglosen Körper seines Gegners, aber nichts geschah. Es war, als hätte sich sein Bewusstsein ins Innere seiner Seele zurückgezogen, um seine eigene Schlacht zu schlagen. Er ahnte, dass er mit dieser Vermutung höchstwahrscheinlich richtig lag und wandte sich an den Prinz des Wassers: „Genbu....du kannst den Bannkreis auflösen. Iras ist im Augenblick nicht fähig, zu kämpfen. Ich bin außer Gefahr - vorläufig."

„Ist das nicht zu riskant?"

„Nein, ich glaube nicht. Dass er sich jetzt in diesem Zustand befindet, beweist, dass Tala mich gehört hat und sich wehrt. Wir können nichts für ihn tun. Das muss er alleine schaffen." Der Blondschopf nickte und der Bannkreis zerfiel in glitzernde Funken. Kai trug den erschlafften Leib zu einem Stück weicher Erde hinüber und Mathilda, als das fürsorgliche Mädchen, das sie war, schlüpfte aus dem Überwurf ihrer Uniform, unter dem sie ein Top anhatte und legte ihn zu einem provisorischen Kissen zusammen.

„Du hast großartig gekämpft", erklärte Garland und Kai deutete eines seiner seltenen Lächeln an. Mittlerweile besass er fast seine kompletten Erinnerungen und demzufolge verband er mit dem älteren Blader ein Gefühl von Vertrauen und Freundschaft.

„Eigentlich habe nicht ich gekämpft."

„Ich mache zwischen dir und Suzaku keinen Unterschied."

„Warum nicht?"

„Weil ich euch beide gleichermaßen respektiere und bewundere." lautete die klare und aufrichtige Antwort. Der Zwanzigjährige musterte ihn eindringlich und kam zu dem Schluss, dass Garland immer hinter ihm stehen würde. Er war eine ehrgeizige und sehr ehrliche Persönlichkeit mit guten Prinzipien und einer unerschütterlichen Grundeinstellung. Seiner Meinung nach blieb ein Mann jenen treu, denen er es einmal versprochen hatte. Sein Blick glitt zu Tyson hinüber, der verlegen lächelte.

„Hallo, Kai. Wie geht es dir?"

„Bestens, danke. Allerdings bin ich über deine Einmischung nicht sonderlich erfreut. Erstens weiß ich mir selbst zu helfen....und zweitens hat es Iras nur wütender gemacht, dass du ihn erneut abgewiesen hast! Aber taktvolles Handeln war ja noch nie deine Stärke."

„....Das sieht dir ähnlich. Könntest du nicht so etwas sagen wie: ‚Ich freue mich, dich wiederzusehen‘? Oder wenigstens: ‚Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist‘? Aber nein, statt dessen muss sich der Herr darüber beschweren, dass ich den Mund aufgemacht habe!"

„Wenn mir nichts anderes übrigbleibt? Ich habe dich schließlich nicht darum gebeten!"

„Dann entschuldige, dass ich geflohen bin! Wenn du unbedingt den wackeren Helden spielen willst, von mir aus, aber erwarte nicht, dass ich den Prinzen abgebe, der seiner Rettung harrt, ohne selbst etwas zu unternehmen!"

„Ich weise dich darauf hin, dass es nie meine Absicht war, den ‚wackeren Helden‘ zu spielen. Man hat dich gefangen und ich bin gekommen, um dich zu befreien. So etwas tut man für einen Freund. Aber sei so nett und lass die romantischen Schnörkel dabei weg, das ist nichts für mich! Außerdem bist du nicht die einzige Geisel. Hiro ist auch hier und wir werden ihn aus Deimos‘ Klauen befreien, ehe er sich an ihm vergreift, so wie er es offensichtlich vorhat."

„Das weiß ich! Ich kann mich zwar nicht verwandeln, aber ich werde mich euch anschließen - falls du nichts dagegen hast!"

„Willst du eine ehrliche Antwort?"

„Hiro ist mein Bruder, wenn ich dich daran erinnern darf!" erwiderte Tyson, der allmählich die Geduld verlor. Er hatte nicht angenommen, dass Kai ihm in die Arme fallen würde oder etwas dergleichen, doch dass er nur Vorwürfe für ihn hatte, stimmte ihn missmutig. Sein Herz zog sich schmerzend zusammen und seine Brust fing an, sich ein wenig kalt anzufühlen. Ach was, das konnte nicht sein, der Eis-Kuss konnte ihm unmöglich etwas anhaben!

Enrique, sonst eher jemand, der mit seiner charmanten Art sofort Öl auf sturmgepeitschte Wogen goss, ignorierte den Streit, denn seine Sinne wurden von etwas anderem beansprucht. Die Erde unter seinen Füßen schrie leise auf, einzig ein Magier, der einen Aspekt dieses Elements kontrollierte, konnte einen solchen Schrei hören.

„Enrique....!" rief Mathilda. „Spürst du....das auch?"

Die karge Natur der Unterwelt stöhnte verhalten, als die Finsternis, die auf ihr lastete, zunahm. Die dunkle Präsenz war so mächtig, dass auch die übrigen Wächter es bemerkten. Ein schwarzes Loch tat sich vor ihnen auf, Blitze zuckten daraus hervor und die Strömungen des bösen Zaubers wurden sichtbar; sie zeigten sich in Form eines aschgrauen Nebels.

„So sieht man sich wieder, Hüter. Ich denke, es ist an der Zeit, dass euch der Hausherr für euer unrechtmäßiges Eindringen in sein Reich bestraft. Findet ihr nicht auch?" Ein abstoßendes, grausames Lächeln von abgrundtiefer Schändlichkeit breitete sich auf diesen markanten Zügen aus, die sie alle zu verachten, zu hassen gelernt hatten. Seine kalten Augen betrachteten der Reihe nach seine Feinde und verengten sich bedrohlich, als sie bei dem Italiener angelangt waren. „Ich habe dich nicht vergessen, Pan", stieß er hervor und die Abscheu in seiner Stimme umgab Enrique wie mit dem ätzenden Fluidum einer Säure.

„Ich dich auch nicht, Hades. Wie könnte ich....!"

Feuer und Eis (Teil 3)

Kapitel 28: Feuer und Eis (Teil 3)
 

„Hades ist aufgetaucht!" bemerkte Iras und Tala musste ihm stillschweigend zustimmen. Er konnte sich ungefähr ausmalen, was der Fürst der Finsternis seinen Freunden antun würde und allein der Gedanke daran erzeugte eine widerliche Übelkeit in ihm. Er fand sich zudem vor eine vollendete Tatsache gestellt, denn der Kampf gegen sein Alter Ego hatte ihm schmerzlich bewiesen, was er bereits geahnt hatte: Die Schwarze Magie hatte ihn restlos verdorben, er würde sein Herz nicht verändern können - und das bedeutete, dass es für ihn nur eine einzige Wahl gab. Entweder, er tötete Iras oder Iras tötete ihn. Aber im Grunde waren sie gleich stark, seine Chancen standen also wenig positiv. Dennoch hatten Kais Worte seine vergessene mentale Kraft zurückgerufen und wenn dieser Kampf nur mit dem Tod eines der beiden Kontrahenten enden konnte, so sollte es denn sein!

„Ich kann auf das Erscheinen Seiner Majestät keine Rücksicht nehmen! Zuerst muss ich dich ein für allemal auslöschen!! Mach dich bereit!"

Der Ritter der Verdammnis holte zu einem brutalen Schlag aus, den der Russe nur mit Mühe abwehren konnte, doch trotz seiner Wunden und seiner physischen Erschöpfung weigerte er sich, klein beizugeben. Er stieß seinen Gegner mit einem Hagel aus Eissplittern von sich und schrie: „Wie blind bist du?! Dass du ihn ‚Seine Majestät‘ nennen kannst, ohne dass dir schlecht wird! Ich hatte gehofft, dein Herz zum Aufwachen bringen zu können, doch das war ein Irrtum. Das Eden, das in meinen Erinnerungen lebt, ist dir vollkommen fremd. Du hast vergessen, wer du einst warst und nichts, absolut nichts, wird dich je wieder zurückbringen, das ist mir jetzt klar! Es gibt keinen anderen Weg: Ich muss dich töten!!"

Die Klinge sauste durch die Luft und schlitzte das schwarze Hemd auf, das Iras trug. Auf seiner blassen Haut zeichnete sich ein dünner rötlicher Strich ab, zweifellos ein Schnitt. Offenbar war er nicht schnell genug ausgewichen.

„Soso, du machst also ernst, du wertloses Häuflein Elend!? Soll mir recht sein, endlich ist Schluss mit dem freundlichen Vorgeplänkel!!"

Seine dunklen Augen begannen zu glühen und um ihn herum sammelten sich wild wirbelnde Schneeflocken, die sich zu einem einzigen, tosenden Sturm vereinten. Diese magische Waffe entsandte er mit kaltblütiger Gnadenlosigkeit und sein Feind wurde von dem Eistornado frontal getroffen. Seinen Verletzungen bekam das ganz und gar nicht und Tala unterdrückte einen Schmerzenslaut. Wütend biss er sich auf die Lippen, die langsam blau anliefen. Nein, dieser.... dieser Mistkerl würde ihn nicht besiegen!! Was hatte Kai gesagt? „Was immer du tust, Tala, meine Gefühle zu dir verändern sich nicht!! Die Geschehnisse, die uns verbinden, haben uns geprägt für den Rest unseres Lebens! In meinen Augen wirst du stets der Bruder bleiben, der du für mich gewesen bist!! Du bist nicht schwach, hörst du?! Du kannst dich gegen das Schwarze Gift wehren, so wie du dich gegen die Schikane in der Abtei gewehrt hast!! Du bist stark - also KÄMPFE, verdammt nochmal!!!"

Viele Angriffe blieben ihm nicht mehr, denn er war durch den bisherigen Schlagabtausch arg mitgenommen und fast am Ende seiner Kräfte. Dennoch existierte da ein Ausweg, eine letzte Möglichkeit, die ihn triumphieren lassen könnte....aber in seinem Zustand war nicht sicher, ob er diese letzte Möglichkeit riskieren durfte, denn vielleicht würde er sie nicht überleben....
 

Deimos war unterwegs zu seinem Gemach, wo er seinen Gefangenen zurückgelassen hatte. Er zog den Handschuh von seiner rechten Hand herunter und betrachtete die Bissspur daran. Diese Wunde stand für alles, was Hiro verkörperte: Stolz, Willensstärke, Mut. Und nun sollte er diesen Willen brechen, seine Seelenkraft zerstören und ihn töten. So lautete der Befehl von Hades - und zum ersten Mal fragte er sich, ob er diesem Befehl Folge leisten konnte. Er hätte den Japaner schon oft umbringen können, aber irgendetwas in seinem Inneren hinderte ihn daran. »Warum gelingt es mir nicht?! Er hat mich bereits mehr als einmal gereizt und herausgefordert! Jeder andere wäre längst tot! Aber bei ihm....ich vermag die Vorstellung nicht zu ertragen, ihn leblos vor mir zu sehen! Was zum Teufel ist in mich gefahren?! Weshalb sollte ich Gnade walten lassen, obwohl ich das nie zuvor getan habe!?! Noch nie haben mich meine Gefühle davon abgehalten, meinen Auftrag auszuführen! Gefühle?! Was denke ich da eigentlich?! Ich bin vollkommen immun gegen diese menschliche, ekelerregende Schwäche!! Es sollte mir gleichgültig sein, was mit diesem sturen Idioten passiert! Wenn mein Herr verlangt, dass ich ihn töte, so gehorche ich!!«

Er öffnete die Tür mit Schwung und sie fiel krachend wieder ins Schloss. Hiro lag auf dem Diwan und schlief. Nach der geistigen Anspannung der letzten Stunden hatte er dem Drang eines erholsamen Schlafes nicht mehr widerstehen können und so fand ihn der Krieger des Hasses vor, auf dem weichen Lager ausgestreckt, das Gesicht ruhig und entspannt. Er hatte seinen Zopf aufgedröselt, um sich richtig niederlegen zu können, und das lange silberne Haar ringelte sich in glänzenden Strähnen um sein Antlitz. Seine sinnlichen Lippen waren ein wenig geöffnet, als würden sie stumm darum bitten, geküsst zu werden. Deimos musterte ihn von oben bis unten und schluckte angestrengt, seltsam betroffen von so viel Schönheit. War das nicht die günstigste Gelegenheit? Er bekam nichts von dem mit, was um ihn herum vorging und würde einfach nicht mehr aufwachen....eine idealere Situation konnte er sich kaum wünschen! Sein Blick glitt zu dem Obstmesser hinüber, dem er seinen eigenen Kratzer zu verdanken hatte und er wog es prüfend in der Hand. Eine leichte, aber garantiert tödliche Waffe, wenn man das Herz damit durchbohrte. Er setzte sich am Rande des Diwans nieder und neigte sich über den anderen, das Mordinstrument griffbereit.

»Wie schade, dass es so mit uns beiden enden muss....aber du wolltest ja nicht auf mich hören! Du wolltest nicht mein sein, hast mich gedemütigt und herablassend behandelt! Egal, was ich versuchte, es konnte dich nicht beeindrucken! Ich habe dir gedroht, dich verletzt, dich geschunden, und immer wieder hast du den Kopf erhoben wie eine Blume nach dem Gewitter! Damit ist jetzt Schluss! Ich werde dir dein störrisches Lebenslicht ausblasen und mich für deine Geringschätzung rächen! Ich werde....«

Ein eiserner Griff packte das Gelenk seiner erhobenen Hand und presste sie schmerzhaft zusammen, sodass er die Klinge fallenlassen musste. Erschrocken starrte er zu seinem Opfer hinunter, dessen klare braune Augen ihn voller Verachtung ansahen.

„Du....bist wach?!"

„Nachdem man dir offensichtlich nicht beigebracht hat, Türen leise zu schließen, solltest du dich nicht wundern. Wirklich bemerkenswert - nun hast du dich auch noch als Feigling erwiesen, denn nur ein Feigling ersticht einen Schlafenden!" erwiderte der Beyblader mit kaltem Hohn in der Stimme und Deimos verspürte den brennenden Wunsch in sich, ihm dieses abfällige Lächeln aus dem Gesicht zu kratzen und ihn körperlich zu unterwerfen.

„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?! Ich dulde es nicht, dass man mir respektlos begegnet!!" Er riss sich los und krallte seine Finger um Hiros Hals, begann, ihn zu würgen. „Fang an, um Vergebung zu winseln, du dummer Narr!! Mach schon!! Winsele! Bettle um Gnade! Flehe mich an, dir zu verzeihen! Winde dich in deiner Angst! Mach schon!! Du sollst winseln!!!" Unter ihm bäumte sich eine energische, widerspenstige Form.

„Niemals....!" presste der Kendoka hervor, obgleich ihm die Luft allmählich knapp wurde. „Einen nichtswürdigen Bastard wie dich um Gnade anflehen, das würde dir so passen! Warum sollte ich dir diese Genugtuung gönnen?! Da beiße ich mir lieber die Zunge ab, als dass du auch nur einen einzigen Ton von mir hörst!!"

Der Orangehaarige ließ von ihm ab, als hätte er ihn geschlagen. Fassungslos blickte er seinen Gegenüber an, sein Atem ging schwer und heftig. „Das ist es, was du in einem solchen Moment zu sagen weißt....?!" stieß er hervor und seine Finger krampften sich in das schwarze Leder seines Mantels, genau dort, wo er sein Herz vermutete. „Kann denn nichts dich bezähmen?! Was muss ich tun, um dich unter mein Joch zu zwingen!?! Wie könnte ich deine Seelenkraft vernichten, wo ich doch mit all meinen erprobten Mitteln nichts erreiche? Welcher Dämon hat dich erschaffen, um seine Scherze mit mir zu treiben?!"

Er positionierte sich über dem begehrten Körper und drückte ihn mit seinem gesamten Gewicht in die Kissen. „Es spielt keine Rolle, wie oft wir aneinander geraten, immer bist du der strahlende Sieger, nicht ich! Wie kann es sein, dass ein bemitleidenswerter, nutzloser Mensch wie du mir die Stirn bietet?! Du....machst mich rasend....!!"

Damit küsste er ihn ungestüm auf den Mund und Hiro erschauerte. Dies war nicht der erste Kuss, den er von dem Ritter bekam, aber irgendetwas war anders als sonst - es war eine fordernde Berührung, doch zugleich eigentümlich sanft und....zärtlich. Wie konnte das sein? Ohne dass er sich wehren musste, wich Deimos plötzlich zurück und wischte sich mit dem Arm über seinen Mund, als widere es ihn mit einem Mal an, was er getan hatte. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet und es stand eine solche Furcht in seinem Gesicht, dass Hiro sich ernsthaft zu fragen begann, ob nicht etwa ein abstoßender Dämon hinter ihm aufragte.

„Nein....nein!!! Was hast du....?! Wie konntest du....?! Sei verflucht!!!" Der Soldat des Hasses stürzte zur Tür und eilte hinaus, seltsam gehetzt, als wäre ein unaussprechlicher Schrecken hinter ihm her. „Aber....was hat er?"

//Er hat Angst.//
 

Der Silberhaarige wandte sich um und erkannte eine kleine vermummte Gestalt in einem weißen Gewand, die mit kindlicher Stimme zu ihm sprach. Die „Stimme aus dem Dunkeln"! Die Erscheinung kam näher und sagte freundlich: //Wie geht es dir? Ich habe euch beobachtet. Du warst sehr tapfer, obgleich deine Nerven bis zum äußersten angespannt sind, seit du hier bist. Deine Wunden sind wieder gut verheilt, ja?//

„Natürlich, du hast schließlich deine besonderen Kräfte eingesetzt, um mir zu helfen. Was meintest du eigentlich mit ‚Angst‘? Deimos ist ein Mann, dem Angst vollkommen fremd ist. Und weshalb sollte er sich auch vor mir ängstigen?"

//Du irrst dich. Er weiß sehr genau, was Angst ist, denn nur wenn man die Angst kennt, kann man sie selbst erzeugen. Er fürchtet sich nicht unbedingt vor dir, sondern....sondern vor dem, was du in ihm auslöst. Wenn es eines gibt, was er wirklich abgrundtief hasst, dann ist das diese winzige Restspur jener Gefühle, die sein Wirt, Brooklyn, in sich trägt und die er bisher nicht vernichten konnte. Diese Gefühle stellen für ihn eine immense Gefahr dar.//

„Was? Wieso?"

//Seit er dich richtig kennen gelernt hat, ist dieses Überbleibsel stärker geworden. Es ist das, was ihn daran hindert, dich zu töten. Er erträgt die Vorstellung nicht. Zwar begehrt er dich noch immer, aber es ist nicht mehr nur die sexuelle Gier allein, die ihn zu dir treibt. Wenn ich der Krieger des Hasses wäre, hätte ich Angst vor einer solchen Entwicklung.//

„Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Es ist wahr, er hat bisweilen versucht, mich umzubringen, aber er hat es nie zu Ende geführt. Doch weshalb wollte er mich vorhin erstechen? Es hinterrücks zu tun ist normalerweise nicht seine Art, er liebt direkte Konfrontationen und Herausforderungen."

//Ich war im Audienzsaal, während Hades mit ihm sprach. Er hat ihn beauftragt, dich zu töten.//

Hiro schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme im Nacken. Eine steile Falte hatte sich in seine Stirn gegraben, denn er war bestürzt. Sein Ziel war es gewesen, zu überleben, bis die Wächter ihn befreiten. Er hegte keinen Zweifel daran, dass sie selbiges versuchen würden, doch wenn Deimos jetzt den Befehl hatte, ihn zu eliminieren, verkomplizierte sich die Lage. Und Tyson....

„Was ist mit meinem Bruder? Weißt du etwas darüber?"

//Auch das war Teil des Gesprächs. Dein Bruder ist entkommen, mit Hilfe seiner magischen Kräfte. Im Moment ist er bei den Kriegern, die gekommen sind, um euch zu retten.//

„Sie sind also bereits hier und Ty ist bei ihnen? Das beruhigt mich. Allerdings gibt es da noch eine Sache, die mich beschäftigt - nämlich dich. Wer bist du?"

//Es ist noch nicht an der Zeit, dir das zu verraten. Aber der Moment wird kommen, wo du meine wahre Identität erfährst....und vielleicht können wir beide Brooklyn zurückholen....//
 

Hasserfüllte Blicke ruhten auf ihm, aber Hades war davon nicht im mindesten beeindruckt. Hass war, ebenso wie alle anderen negativen Emotionen, eine unerschöpfliche Energiequelle für ihn und er verstand es hervorragend, sie sich zunutze zu machen. Ohne noch länger zu zögern, erschuf er Geschosse aus Schwarzer Magie in seinen Händen und schleuderte sie auf seine Widersacher. Julia und Raul wichen akrobatisch aus und während ihr Bruder einen Strom aus Flammen erzeugte, brachte ihr Donner die gesamte Umgebung zum erbeben. Mathilda entsandte einen Wirbel aus messerscharfen Blütenblättern und Mariam bombardierte den Feind mit mächtigen Wasserfontänen. Hades errichtete ein Schutzschild und die Attacken verpufften im Nichts, als hätten sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Zauberkräfte einzusetzen. Garland überschaute die Situation mit einem Blick: Die Bit Beasts konnten ihnen nicht helfen, zumindest Amphilyon und Pierce Hedgehog fielen aus, denn sie erholten sich von dem Kampf gegen die zwei Dämonen, die ihre Energie aufgezehrt hatten. Die beiden geflügelten Pferde mussten ihre Verletzungen regenerieren, demnach blieben nur sein Apollon und eventuell Shark Rash, das Geschöpf von Mariam. Man konnte von dem Hai nicht verlangen, in den schmutzigen Fluten des Lethe zu tauchen, also würde er mit einer wassergefüllten Blase über dem Kopf seiner Herrin erscheinen und sich mit Blase auf ein Gefecht einzulassen, war eine riskante Idee. Außerdem hinderte sie dieser Bastard an der Ausübung ihrer Mission!

„Mein Prinz" wandte er sich daher entschlossen an Kai, „....wir müssen uns aufteilen! Die einen befreien Hiro und die anderen halten Hades in Schach! Wenn wir nicht getrennt operieren, laufen wir Gefahr, komplett zu scheitern! Die Gefängnisse sind durch einen Trakt mit dem Palast verbunden. Als ehemaliger Ritter der Verdammnis kenne ich mich dort gut genug aus, ich werde euch führen!"

„Du hast recht, das ist die klügste Vorgehensweise. Ich werde mich erneut verwandeln müssen, denn in den schwerbewachten Palast einzudringen, dürfte ohne meine volle Macht fast unmöglich sein. Da es um Hiro geht, sollte Tyson uns begleiten. Was ist mit dir, Genbu?"

„Wir kämpfen gegen Hades. Es ist besser, wenn einer der Prinzen hier bleibt und die übrigen Wächter unterstützt. Und nehmt Mathilda mit. Sie ist noch zu unerfahren, als dass wir sie gegen den Fürst der Unterwelt antreten lassen könnten."

„Dabei ist sie genauso alt wie du!"

„Ja, aber sie besitzt nicht die Erinnerungen an ein früheres Leben oder an einen grausamen Krieg. Im Grunde ihres Herzens ist sie noch weich und sanft. Ich bin härter als sie und das weißt du auch."

Der Russe maß den Blondschopf einmal kurz ab und nickte schließlich. Ein schriller Pfiff ließ Apollon rasch begreifen, was sein Hüter plante und er ließ die neu gebildete Gruppe eiligst auf seinen Rücken klettern. Mathilda wurde einfach mit hinauf bugsiert und erfuhr flüsternd von dem gefassten Plan. Die riesigen Schwingen des Greifs schlugen rhythmisch auf und nieder und er erhob sich majestätisch in die Lüfte. Hades interpretierte die gesamte Aktion als Fluchtversuch und feuerte Pfeile aus dunkler Energie ab, um sie aufzuhalten, was jedoch von einem wild rotierenden Schild aus Wasser unterbunden wurde. Während die Geräusche der Flügel in der Ferne verstummten, postierte sich Genbu direkt vor Talas Körper, zog sein Schwert und zischte: „Hör zu, du wandelnder Alptraum, ich sage es nur ein einziges Mal: Ich bin als der freundlichste der vier Prinzen bekannt, aber eines kannst du mir glauben - das wird mich nicht daran hindern, meine Verbotene Gabe an dir auszuprobieren! Wenn es sein muss, presse ich jeden einzelnen Wassertropfen aus deinem Körper und lasse dich eintrocknen wie eine Mumie!! Für das, was du Eden und den Menschen angetan hast, die mir viel bedeuten, verdienst du es, langsam und qualvoll vor dich hin zu siechen!!"

Mariam erstarrte beinahe. Das also war die Kehrseite des lieben, herzlichen Max! Eine gnadenlose Sturmflut, die über alles hinwegbrauste, was sich ihr in den Weg stellte! „Außerdem werde ich Tala beschützen! Ich kann nicht erlauben, dass du noch einmal deine gierigen Finger nach einem meiner treuesten Vasallen ausstreckst! Mir ist klar, dass mein Hass dich nährt, aber ich kann dir nicht vergeben!"

„Eine reizende Ansprache!" bemerkte Hades geringschätzig und lachte hämisch. „Euch zu töten ist nicht mehr als eine Morgenübung! Eure Freunde können ja später versuchen, eure leblosen Überreste vom Boden zu kratzen, wenn sie zurückkommen, obwohl ich das bezweifele. Warum sonst wären sie geflohen? Ihr kämpft jetzt mit mir, meine Wächterlein, und mit allen Mächten der Hölle!!" Er schickte einen gigantischen Pfeilhagel ab, ohne darauf zu achten, was er traf. Erfüllt von seiner gestärkten Magie, waren die Barrieren von vieren der fünf Hüter bald enorm geschwächt und stürzten in sich zusammen. Genbu erweiterte sein Schutzschild, konnte aber nicht verhindern, dass Geschosse es an den Stellen durchdrangen, an denen es zu dünn war, denn ein Schild für mehrere Personen aufzubauen und es zu halten, verlangte Unmengen von Konzentration und Ausdauer und konnte sehr erschöpfend wirken. Schweiß trat ihm auf die Stirn und er biss sich wütend auf die Lippen. Solange er die anderen schützte, konnte er nicht angreifen! Enrique erkannte, dass es den Prinzen überfordern konnte, wenn Hades nicht bald mit seinen Attacken aufhörte. Er fasste einen Entschluss. Zwischen seinen Händen erschuf er einen magischen Gegenstand, der ihm schon damals in Eden hervorragende Dienste geleistet hatte: Seine Panflöte. Erstens konnte sie ihm dabei helfen, alle Tiere des Waldes zusammenzurufen und zweitens konnte sie sich in ein Schwert verwandeln, was im Moment die praktischere Eigenschaft war. Er verließ die Barriere und visierte seinen Gegner mit einem Blick an, den man von dem für gewöhnlich vor Charme sprühenden Italiener niemals erwartet hätte - es war ein kalter, bedrohlicher Blick, der offenbarte, dass Enrique es zwar vorgezogen hätte, sich nur um hübsche Mädchen und das süße Leben zu kümmern, aber niemals vor seinem Erbe oder seiner Vergangenheit davongelaufen war. Er hob die Klinge an und schob damit den hohen Kragen des Mantels zur Seite, den Hades trug. An seiner Kehle wurde eine Narbe sichtbar, die geformt war wie ein P.

„Du hast die Narbe behalten. Ich habe dir doch gesagt, du würdest mein kleines Andenken niemals loswerden. Wie auch, bei einem Schwert wie diesem. Seine Schneide ist mit dem Gift der Smaragdschlange getränkt. Wird eine Wunde mit diesem Schwert geschlagen, bleibt immer eine Narbe zurück. Keine Verletzung kann heilen, kam sie einmal mit diesem Gift in Berührung. Kein Wunder, dass du mich nicht vergessen hast! Traust du es dir zu, noch einmal die Klingen mit mir zu kreuzen?"

„Ob ich es mir zutraue? Du bist ganz schön frech. Scheint, als hättest du dich nicht sonderlich verändert. Ich habe dich damals getötet. Glaubst du wirklich, diesmal würdest du mir entgehen?" Ein hässliches, grausig anzusehendes Schwert manifestierte sich in seiner Hand und mit einem harten Klirren trafen die Klingen aufeinander....
 

Der Greif überwand die Strecke bis zum Palast in atemberaubender Geschwindigkeit, dirigiert von seinem Hüter. „Da, das ist es....‘Doloris Tenebrae‘, die Festung von Hades." (Der Name stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚Schmerzen der Finsternis‘)

Die düstere Trutzburg mit den hohen spitzen Wehrtürmen und den vielen Monsterfratzen an den Dächern und Mauernischen bot einen erschreckenden und furchteinflößenden Anblick. Und was sich alles auf den Schießscharten tummelte....Trolle, Kobolde und Satyrn in schweren Rüstungen und bis an die Zähne bewaffnet, dazwischen sprangen grässliche Dämonen herum und bissen unvorsichtigen Wachposten im schlimmsten Fall ein Körperteil ab.

**Ui, das könnte lustig werden. Eigentlich ein Spaziergang!**

„Über deine merkwürdige Art von Humor unterhalten wir uns später, Apollon. Kai, kannst du im Innenhof ein kleines Freudenfeuerchen entzünden? Dann haben sie was zu tun!"

Der Russe nickte und formte einen Feuerball in seiner Hand, den er mit einem gezielten Wurf in den unter ihnen befindlichen Hof schleuderte und prompt eines der Strohdächer traf. Die Flammen griffen rasch auf die Umgebung über und die Soldaten entdeckten sie. Einige versuchten, das Feuer zu löschen, während ein paar Bogenschützen Aufstellung nahmen und den Greif und seine Passagiere in einen Pfeilhagel einhüllten. Die Lichtmesser von Garland jedoch schlugen sie in der Mitte entzwei und die Windböen von Tyson fegten sie durcheinander, sodass der Beschuss letztendlich wenig nützte. Apollon landete auf dem Dach des Überganges, der in den Gefängnistrakt hinüberführte und hackte mit seinem Schnabel ein Loch hinein, durch das die Gruppe ins Innere schlüpfte.

„Dieser Korridor wird selten bewacht, da nur sehr wenige die Erlaubnis besitzen, das Verlies zu betreten, daher hält Hades es nicht für nötig. Aber da uns die Truppen bereits gesehen haben, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis sie Alarm schlagen. Wir müssen uns beeilen!" Kaum hatte er das gesagt, als auch schon der Klang eines lauten Horns ertönte, der die Felswände erbeben ließ, die „Doloris Tenebrae" umsäumten. Der 23jährige Wächter hielt sich nicht weiter mit Verzögerungen auf, sondern stürmte in die Vorhalle des Kerkerkomplexes und hielt dem diensthabenden Pförtner sein Schwert unter die warzige Nase. Der Kobold, wie alle Mitglieder seiner Rasse ein fürchterlicher Feigling, begann zu wimmern und versprach, ihnen alles zu erzählen, was er über die Gefangenen wusste. Tyson schob sich in den Vordergrund des Geschehens und zischte: „In welcher Zelle befindet sich Hiro Kinomiya?"

„Der menschliche Sklave von Sir Deimos? Er ist nicht mehr hier, der Herr hat ihn in sein Gemach bringen lassen."
 

Der Japaner fluchte und murmelte etwas, das sich so ähnlich anhörte wie: „Na super, unser übliches Glück!" Dann wandte er sich an den ehemaligen Ritter der Verdammnis und fragte scharf: „Weißt du, wo sein Zimmer ist? Wir müssen meinen Bruder sofort finden! Ich bin nicht in dieses Rattenloch zurückgekehrt, um ohne ihn nach Hause zu kommen! Außerdem will ich wissen, wie es Tala geht und ob er es geschafft hat, sein Alter Ego zu besiegen."

„Ich kann euch hinbringen, ich kenne einen Geheimgang, der die einzelnen Räume der Ritter miteinander verbindet. Folgt mir!"

Er drehte sich um und der Kobold, hinterrücks von Natur aus, zückte einen Dolch, um sich auf ihn zu stürzen. Er kam jedoch nicht dazu, denn ein Hagel aus messerscharfen Blütenblättern ergoss sich über ihn und fügte ihm blutende Verletzungen zu. Die drei jungen Männer waren verblüfft und warfen Mathilda einen überraschten und zugleich bewundernden Blick zu. Sie wirkte scheu und erschreckt nach ihrer Tat, aber ihre Hand, mit der sie die Attacke geleitet hatte, zitterte nicht. Man hatte sie zur Kämpferin erzogen, das war nicht zu übersehen. Tyson bedankte sich überschwänglich bei ihr und sie wagte ein schmales Lächeln. Gemeinsam eilten sie in das Hauptgebäude und verschwanden hinter einem Wandteppich, der mit einer scheußlichen Schlachtenszene bestickt war. Sie stiegen mehrere steile Treppen hinauf, wanderten um Kurven und Biegungen und gelangten hinter einem Spiegel aufatmend wieder ins Freie, denn der Geheimgang war im Grunde nicht mehr als eine finstere Röhre, stickig und eng.

„Deimos‘ Gemach liegt am Ende des Flurs. Ich kann nur hoffen, dass er keinen Posten davor aufgebaut hat...." Garlands Hoffnung wurde enttäuscht, denn vor der Tür stand ein Koloss von einem Troll, mit einer riesigen Keule in Händen und einem bösartigen Ausdruck in den Augen.

»Den solltest du mir überlassen!« meldete sich Suzaku in Kais Gedanken und der Graublauhaarige überlegte eine Weile.

»Du glaubst nicht, dass ich eine Chance habe?«

»Nein, das ist es nicht. Das Problem ist, das ihr nicht viel Zeit zur Verfügung habt. Trolle sind furchtlose Krieger, aber nicht übermäßig intelligent. Auch ihre Reaktionen sind eher schwerfällig....aber sie sind physisch wahnsinnig stark. Das beste wäre, ihn in einem einzigen Schlag umzunieten und dafür reicht deine Kraft nicht aus.«

»Ich verstehe.« Er holte sein Beyblade aus der Tasche und flüsterte die Zauberformel, damit das Wesen nicht auf sie aufmerksam wurde und er verwandelte sich in den Prinzen des Feuers. Suzaku schüttelte sein langes Haar, schenkte Tyson einen glutvollen Blick, den dieser jedoch nicht erwiderte und trat lässig vor den Hünen, der ihn misstrauisch anstierte.

„Na, du potthässlicher Vogel? Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine absolut widerliche Visage hast?" Der Troll ging ohne zögern auf diese Provokation ein und entfernte sich langsam von seinem Posten. Mit einem unheilvollen Knurren hob er seine mächtige Keule, um den Feind damit zu zerschmettern, doch der Hüter von Dranzer schloss ihn in einen Flammenkreis ein, den er mit einem Schnippen in eine Feuersäule umwandelte. Die Kreatur heulte auf vor Schmerz und verbrannte in Sekundenbruchteilen zu einem Häuflein Asche.

„Für einen gewöhnlichen Wächter ein komplizierterer und weitaus schwierigerer Gegner, aber nicht für einen Prinzen. Die Tür ist nicht abgeschlossen, wie eigenartig. Es scheint, als wäre Deimos ein wenig überstürzt aufgebrochen....Hiro?" Sie betraten den Raum und fanden den Gesuchten vor, vertieft in ein Gespräch mit einem geisterhaften Wesen.

„Onii-san!" rief der Japaner überglücklich und der Kendoka bemerkte sie. Sein Gesicht hellte sich auf und er umarmte seinen Bruder, der ihm mit einem erleichterten Lachen um den Hals fiel. Er drückte den Jüngeren fest an sich und wuschelte ihm durch die Haare.

„Ich bin so froh, dich zu sehen, Ty! Und es geht dir gut! Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, um mich zu befreien. Meine Gefangenschaft war eine ziemliche Zerreißprobe für meine Nerven. Was wird nun mit dir geschehen, Stimme aus dem Dunkeln?"

//Ich werde hier bleiben, denn ich bin an Deimos gebunden.//

„Du bist....an ihn gebunden? Was heißt das? Willst du mir wirklich nicht sagen, wer du bist? Du hast mir geholfen und warst für mich da. Ich danke dir sehr."

//Ich kann mich dir noch nicht mitteilen. Aber der Tag wird kommen, mein Freund, an dem du ihm erneut gegenüberstehen wirst....als Würdenträger. Und das wird der Tag der Entscheidung sein....für euch beide!//

Damit löste sich die Erscheinung auf und Suzaku drängte zur Eile. Sein Erster Vasall zerschlug mit einem Lichtgeschoss eine der Fensterscheiben und pfiff auf zwei Fingern, einen schrillen, warnenden Ton. Apollon gehorchte dem Befehl, flog zu ihnen herüber und ließ sie aufsteigen. Wie alle Greife besass er ein ausgezeichnetes Gehör und reagierte auf jeden Laut, besonders natürlich auf jene, die ihm vertraut waren und von seinem Hüter stammten. Das Feuer im Innenhof wütete mit ungeminderter Intensität, denn magische Flammen wie die von Suzaku bzw. Kai konnten, sofern ihr Erschaffer es darauf anlegte, ungeheuer resistent gegen Löschversuche sein. In dem allgemeinen Chaos war es keinem der missgestalteten Soldaten eingefallen, dem Ruf des Horns und der darin enthaltenden Anordnung („Alarm! Eindringlinge sofort festnehmen!") Folge zu leisten, was für die Gegenspieler Seiner Majestät ein Glück war. „Du bist gesund und munter und dir fehlt nichts!" meinte Dragoons Wächter soeben, als könne er es gar nicht fassen, dass sein Bruder wohlauf war. „Ich wünschte, bei Tala verhielte es sich ähnlich. Ich mache mir Sorgen um ihn. Der Kampf gegen Iras ist sicher sehr gefährlich. Wäre ich doch bei ihm, um ihm zu helfen....!"

„Du kannst zuversichtlich sein, Sei. Kai hat Tala neuen Mut verliehen und seine Seele gestärkt. Ich bin davon überzeugt, dass er gewinnen kann. Er ist der wahre Iras, derjenige, der für Eden gekämpft hat und treu an Genbus Seite stand. Der Iras, den ihr kennen gelernt habt, hat nichts

mit dem Mann zu tun, der einst mein Freund war, er ist nichts weiter als eine Schöpfung von Hades. Er wird es schaffen."

„Ich zweifele nicht daran. Es ist unnötig, dass du mich darauf hinweist - außerdem habe ich dich nicht um deine Meinung gebeten, Suzaku!" ließ Tyson herablassend verlauten, als hätte er nicht seinen Geliebten, sondern einen Rivalen vor sich. Er übersah gekonnt das Aufblitzen von Schmerz in den rubinfarbenen Augen ob seiner unangebrachten Unfreundlichkeit und schwieg für den Rest des Fluges. Er wusste selbst nicht genau, weshalb er so unleidlich war, aber seine Zunge schien sich einfach verselbständigt zu haben. Darüber hinaus war ihm abscheulich kalt und seine Brust fühlte sich an wie ein Stück Eis. Ob er krank wurde?
 

Raul schickte Flammenströme ab, wurde aber von einem Energiepfeil am linken Oberarm getroffen und spürte, wie warmes Blut über seine Haut rann. Julia hatte sich vor ihm aufgebaut und ließ einen grollenden Donner nach dem anderen abrollen, jedoch ohne Erfolg, denn Hades war gegen die Wucht ihrer Angriffe offenbar immun. Er zeigte sich von ihren Bemühungen nicht im mindesten beeindruckt und ließ sein Schwert gnadenlos auf Enrique herab sausen, der sich gegen Hiebe zur Wehr setzen musste, die einen Dämon hätten aufschlitzen können. Dass er noch lebte, verdankte er seiner Kampfkunst und seiner Ausdauer, denn wie die meisten Erdwächter war er äußerst genügsam. Mariam vereinte ihre Wasserfontänen mit denen des Prinzen, aber der Herr der Unterwelt blockte sie mit einem mächtigen Schutzschild ab. Genbu keuchte, erschöpft von der Anstrengung und erinnerte sich mit Schrecken an den Bericht des Italieners über den Dimensionsriss in Stonehenge, der ein untrügliches Zeichen für die Zunahme der Schwarzen Magie war. Hades war um vieles stärker geworden und selbst die Attacken eines Elementeprinzen richteten viel weniger Schaden an als früher. Wie lange konnten sie die Entscheidungsschlacht noch hinauszögern, ohne auf gänzlich verlorenem Posten zu stehen? Solange Hades existierte, konnte das Gleichgewicht der Schöpfung nicht wiederhergestellt werden, und ohne dieses Gleichgewicht würde die Erde ihre natürliche Barriere gegen schädliche Einflüsse nie regenerieren können.

„Du bist nach wie vor ein guter Krieger, Pan. Aber das wird dir gegen mich leider wenig nützen!" Sein Mund verzog sich zu einem grausamen Grinsen und er holte zu einem gigantischen Schlag aus, der auf Amphilyons Hüter zu raste wie ein Blitz. Enrique schickte sich an, zur Seite zu springen, doch er knickte mit dem Fuß um und die gezackte Klinge bohrte sich in seine rechte Schulter. Er schrie gepeinigt auf, während sich die Zacken noch tiefer in die Wunde gruben. Durch einen Nebel von Schmerzen hörte er Mariams Stimme, die seinen Namen rief. Er sah hoch in das hämische Gesicht seines Kontrahenten und schwang seine Waffe in einem wütenden Schlag. Er brachte Hades einen üblen Schnitt an der Brust bei und Blut quoll unter dem schwarzen Stoff seines Gewands hervor.

„Das wird die zweite Narbe, die du mir verdankst", würgte er hervor, doch er erntete dafür nur ein boshaft-amüsiertes Gelächter.

„Glaubst du, das kümmert mich? Meine Kräfte nehmen zu und bald wird der gesamte Planet von meiner Finsternis verschluckt worden sein. Ich werde die Menschheit versklaven und mein eigenes, weltumspannendes Königreich errichten! Was dich betrifft, so wirst du bedauerlicherweise nicht mehr lange genug leben, um meinen Triumph zu feiern. Auch ich duelliere mich nicht mit einem beliebigen Schwert. Das hier ist eine Klinge aus Malitia-Metall, das mit Schwarzer Magie geradezu durchtränkt ist. Mein Gift steckt in deiner Verletzung und wird sich von dort in deinem gesamten Körper ausbreiten....und dann....dann gehörst du mir!!"

Er zog das Schwert aus der blutenden Schulter und Enrique sackte in die Knie, unfähig, sich noch länger aufrecht zu halten. Die Qual in seinem ganzen Organismus raubte ihm schier den Atem und ein unerträgliches Brennen schien über seine Gliedmaßen zu kriechen. Hades, zufrieden mit dem Ergebnis des Gefechts, marschierte mit ausgreifenden Schritten zu dem reglosen Körper seines Gefolgsmannes hinüber und legte zwei Finger auf seine Stirn, um in seinen Geist einzudringen und Talas Chance auf Rückkehr ein für allemal zunichte zu machen.

Genbu starrte ihn an, wie er dort kniete, ein eiskaltes Lächeln auf den Lippen, und es war ihm, als breche in seinem Inneren endgültig ein Damm. Er dachte an seine damalige Existenz, an die aufrichtigen Gefühle der Freundschaft und des gegenseitigen Respekts, die ihn mit Iras verbunden hatten, und seine Finger krampften sich um den Griff seines Schwertes. Der Herrscher der Unterwelt war gerade damit beschäftigt, sich in seine Trance zu versenken, als eine Flutwelle ihn frontal traf und nach hinten schleuderte. Der Prinz des Wassers erhob sich vor ihm, und seine blauen Augen, sonst so herzlich, warm und liebevoll, glichen im Moment eher dem Grund des Meeres - kalt, rau und bedrohlich.
 

„Genug ist genug!" presste er hervor, die Wut ließ seine Stimme beben. „Ich habe dich gewarnt, Hades!! Aber wer nicht hören will, muss fühlen!!" Er erschuf unzählige scharfe Eissplitter und begann, seinen Widersacher damit zu bombardieren. Hades baute ein Schutzschild auf und ließ durchblicken, dass ihn der Zornesausbruch von Draciels Hüter nicht im geringsten bekümmerte. Als jedoch die Eisspieße die Barriere durchdrangen und ihm tiefe Schnitte an Armen und Beinen und schließlich sogar im Gesicht zufügten, erkannte er seinen Fehler.

»Hinter diesem Angriff steckt viel mehr Macht....Ich hatte vergessen, dass Wächter ihre Zauberkräfte mit dem Herzen gebrauchen, anstatt mit dem Verstand. Ihre Gefühle können die Stärke ihrer Magie beeinflussen....und mit einem wütenden Wasserwächter ist nicht zu spaßen, schon gar nicht, wenn er einer der Prinzen ist!«

In der Zwischenzeit lief noch ein weiterer Kampf auf mentaler Ebene ab. Iras hatte Tala mittlerweile bis zur Hälfte in einen Eisblock eingefroren und schritt siegessicher vor ihm auf und ab. „Es ist fast schade, einen so geschickten Soldaten und Magier zu töten, aber Lord Hades hat nun mal nur für einen von uns Verwendung. Ich kann nicht umhin, deinen Mut zu bewundern, wirklich. Unglücklicherweise wird ihn außer mir niemand mehr würdigen können, wenn ich dich erst einmal eliminiert habe! Der Eis-Kuss dürfte unlängst damit begonnen haben, seine Wirkung zu entfalten....Seiryuu wird mein sein, jetzt und für immer!!"

„Liebe ist kein Würfelspiel für Kinder und Seiryuu bzw. Tyson ist kein Preis, den jemand ausgesetzt hat! Er liebt Kai! Solche Empfindungen kann man nicht erzwingen!"

„Oh doch, man kann, zum Beispiel mit dem Eis-Kuss, das habe ich dir bereits gesagt. Wenn der unbezähmbare Drache mein Geliebter geworden ist, werde ich Suzaku in den Staub treten und ihn leiden lassen, so wie ich litt!"

Der Russe musterte ihn verächtlich und entgegnete: „Du hast gelitten? Mir scheint, du verwechselst die Rollen! Wenn einer von uns beiden das Recht hat, sich als den wahren Iras zu

betrachten, dann bin ich das! Ich leugne nicht, dass unerwiderte Liebe schmerzt und Eifersucht mich gemartert hat....ich leugne nicht, dass ich in dieser Zeit über die Maßen verletzbar war....und ich leugne auch nicht, dass ich vor der Konfrontation davongelaufen bin. Ich hätte Seiryuu meine Gefühle gestehen sollen....ich hätte mit Suzaku darüber sprechen sollen....Sie vertrauten mir und hätten mir dabei geholfen, meinen Kummer zu überwinden. Es in sich hineinzufressen, ist keine Lösung, aber vor der Alternative hatte ich Angst. Ich habe es nicht über mich gebracht, mit ihnen zu reden....und heute bereue ich es. Ich bin wiedergeboren worden und das ist meine Chance, es besser zu machen. Das Schicksal bietet einem nicht oft so eine Möglichkeit! Und ich werde....diese Chance....nutzen!!!"

Ein türkisgrünes Leuchten hüllte ihn ein und in einem gewaltigen Aufgebot aus physischer Kraft und Magie gelang es ihm, den Eisblock zu zertrümmern und sich zu befreien. Er zückte sein Schwert und das ihn umgebende Licht strahlte immer stärker. Schneeflocken und Eisstückchen wirbelten in einem wilden Reigen um ihn herum und seine Aura wurde so intensiv, dass sie den Krieger des Zorns beinahe zu erdrücken drohte. Tala richtete die Klinge gen Himmel und seine Augen verengten sich zu Schlitzen eisblauen Feuers, die dem schwarzen Ritter unwillkürlich eine unbestimmbare Furcht einflößten. Er hatte begriffen.

„Du planst eine Meisterattacke!? Bist du noch zu retten, du dummer Narr?! In deinem Zustand ist das verrückt! Du bist übel verwundet und extrem geschwächt! Wenn es dir mit deiner Meisterattacke ernst ist, ersparst du mir eine Menge Arbeit....denn ihr Einsatz wird dich umbringen!!"

„Du vergisst, dass du dieselben Verletzungen hast wie ich, Iras!! Du hast recht, vielleicht wird mich die Meisterattacke meine letzten Reserven kosten....aber in diesem Fall werde ich dich mit in den Tod reißen!!!"

Das Schwert fuhr hernieder und der Zauber brach in Gestalt eines riesigen Wolfes hervor, der sich mit weitgeöffnetem Rachen auf seinen Feind stürzte. Mörderische Kälte erfasste den Rothaarigen, ein dichter, undurchdringlicher Hagel aus Eisspeeren überwältigte ihn, während das begleitende Schneetreiben alles um ihn herum bedeckte, bis er mit seinen Füßen rettungslos steckenblieb und dem Beschuss nicht mehr ausweichen konnte. Durch das weiße Stoben warf er einen Blick auf den Mann in der Wächteruniform, der immer noch von diesem hellen Licht umrahmt war. In einer letzten, verzweifelten Anstrengung holte Tala erneut mit seiner Waffe aus und rannte auf seinen Kontrahenten zu. In einer raschen, geschmeidigen Bewegung stieß er die Klinge in dessen Brust, während das Toben der Meisterattacke allmählich nachließ. Iras murmelte: „....So also endet es....durchbohrt von einem Versager....was für eine unrühmliche Niederlage...." Ein Blutrinnsal lief aus seinem Mund. Wolborgs Wächter zog das Schwert aus der Wunde und der Ritter der Verdammnis sank zusammen, eine Hand auf seine Brust gepresst. Der Schnee färbte sich rot von seinem Blut.

„....Denk nicht, dass du gewonnen hast....du magst mich besiegt haben, aber Seine Majestät wird mit dir und der restlichen Bande kurzen Prozess machen....Die Menschen haben durch ihre Dummheit und ihre Ignoranz dazu beigetragen, das Gleichgewicht der Schöpfung zu zerstören....warum willst du diese wertlose Rasse retten? Was haben sie schon für diese Welt getan, außer, sie auszunutzen?" Er hustete krampfhaft und wischte das Blut von seinem Kinn. „Glaubst du, dass es die Menschen verdienen, verteidigt zu werden? Jedes Tier auf diesem Planeten entwickelt instinktiv ein natürliches Gleichgewicht mit seiner Umgebung....die Menschen tun dies jedoch nicht. Sie ziehen in ein bestimmtes Gebiet und vermehren sich, bis alle natürlichen Ressourcen erschöpft sind....und der einzige Weg, zu überleben, ist die Ausbreitung auf ein anderes Gebiet. Es gibt noch einen Organismus, der genauso verfährt....das Virus. Der Mensch ist eine Krankheit....er vernichtet die Schöpfung mit seinen eigenen Händen. Warum sollte das Volk der Wächter sie nach zehntausend Jahren immer noch beschützen? Sie sind es nicht wert....!"

Er fiel nach vorne und ein finales Zucken ging durch seinen Körper, dann lag er still. Tala schob sein Schwert in die Scheide zurück und flüsterte: „Du hast recht, Iras....es gibt viele Menschen, die kein Verantwortungsgefühl besitzen, die nur an sich denken, die stehlen, lügen, betrügen und morden, um ihren eigenen Ehrgeiz zu befriedigen....die andere willentlich verletzen, körperlich wie seelisch, und sich daran ergötzen....Solche Menschen verdienen den Tod, ja. Aber viele Menschen, die sterben, verdienen das Leben, weil sie ehrliche, tapfere Wesen sind, die für diejenigen, die sie lieben, durch die Hölle gehen würden. Niemand kann ihnen dieses Leben zurückgeben, sobald sie es verlieren. Also verdamme nicht eine ganze Rasse zum Tode....! Es ist an uns, etwas Gutes mit der Zeit anzufangen....die uns gegeben ist...."

Damit wandte er sich ab. Seine Schritte waren schwankend und mühselig, bis er plötzlich zu Boden sank. Die Meisterattacke forderte ihren Tribut. Er wusste nichts mehr und eine gnädige, schmerzlose Schwärze hüllte ihn ein. Dann kam das Nichts.
 


 

Die beiden letzten Zitate stammen aus "Matrix" und "Der Herr der Ringe". Sie passten so gut und sind so genial, dass ich nicht wiederstehen konnte, sie hier einzubauen. Ich würde mich wirklich freuen, mal wieder ein paar Kommis zu bekommen! Vielen Dank im Voraus! *verneig*

Zerwürfnis

Meine lieben Leser! Ich habe mich wirklich gefreut, wieder von Euch zu hören!^^ Ich bedanke mich sehr herzlich für Eure Kommis und bitte Euch, mich nicht mit Tomaten zu bewerfen, weil Tyson und Kai....na, Ihr werdet es lesen! Das titelgebende Zerwürfnis ist ein wichtiger Teil der Handlung, also seid gnädig! *sich verbeug* Lange Rede, kurzer Sinn, viel Spaß beim Lesen!
 

Kapitel 29: Zerwürfnis
 

~~ Die Schottischen Highlands ~~
 

„Nur herein in die gute Stube, mein Junge!" rief Ruben McGregor aus und umarmte den jungen Franzosen mit echter schottischer Herzlichkeit, sodass ihm fast die Luft wegblieb. Das Oberhaupt des McGregor-Clans und Johnnys Vater war ein Hüne von zwei Metern, mit der Statur eines muskulösen Ringers und einem beeindruckenden roten Vollbart.

„Dachte ich mir doch, dass du meinen Prachtburschen von Sohn nicht vergessen konntest!"

„Dad!"

„Nun zieh nicht so eine pikierte Miene, Redhead, du bist doch ein Prachtbursche! Falls du deine beiden älteren Brüder suchst, Patrick ist in der City und wickelt Geldgeschäfte ab, Richard ist draußen und hackt Holz. Deine große Schwester Sandra kommt auf einen Besuch vorbei. Dein jüngerer Bruder Henry ist mit seinen Schularbeiten zugange und erwartet von dir, dass du ihm nachher bei Physik hilfst. Die Zwillinge Sally und Jenny machen wie üblich die Nachbarschaft unsicher, du sammelst die beiden Teufelsbraten also am besten ein, wenn du in der Bibliothek mit deinen Recherchen fertig bist. Habe ich noch jemanden vergessen? Ach ja, dein jüngster Bruder, Timothy, ist heute aus seinem Laufställchen entkommen und wir konnten ihn erst nach einer Stunde wieder einfangen. Das war der Familienrapport - deine Mutter ist in der Küche!"

Nach diesen umfangreichen Mitteilungen verschwand Ruben in Richtung Pferdestall, um seinen Kontrollritt durch seine Besitzungen zu machen. Die Familie besaß noch ein Stadthaus in Glasgow, aber am Wochenende und natürlich in den Ferien hielt sich die gesamte Sippschaft auf dem großen Gut auf, das ihr seit Generationen gehörte. Olivier war die joviale Gemütsart des Hausherrn zwar gewohnt, aber trotzdem hatte er das Gefühl, als hätte man ihm die Knochen gebrochen. Er rieb sich seine schmerzende Schulter, während Johnny die Küche betrat, in der seine Mutter die Verpflegung für ihre vielköpfige Mannschaft vorbereitete. Sie war eine zierliche Frau mit rückenlangen blonden Haaren und blauen Augen, altersmäßig etwas über Mitte Dreißig und so sauber und adrett gekleidet, dass Olivier sich dagegen fast schlampig vorkam. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und begrüßte Johnny mit einem Kuss auf die Wange. Obwohl sie nicht so wirkte, besaß sie einen starken Willen und konnte sich ohne Probleme gegen ihren Bär von einem Mann durchsetzen, wenn es nötig war.

„Ich freue mich, dich wiederzusehen. Es wollte mir gar nicht gefallen, als du mit Jonathan Schluss gemacht hast. Ich war immer der Ansicht, dass ihr zusammenbleiben solltet, weil ihr euch so wunderbar ergänzt. Schön, dass du endlich zur Vernunft gekommen bist. Ihr wollt also in der Bibliothek Nachforschungen über Deimos‘ Vergangenheit anstellen? Ich weiß nicht, ob wir etwas darüber haben....Ich weiß von den ‚Chroniken von Eden‘, den ‚Berichten aus Pyrodes‘ und von einigen Dokumenten aus Atlantis und Avalon, die damals von den Wächtern angefertigt wurden....Ich glaube, wir haben sogar Aufzeichnungen aus Asgard, aber ich bin nicht sicher. Hoffentlich findet ihr ein paar Informationen."

Die beiden jungen Männer bedankten sich und quartierten sich in der riesigen Bibliothek ein, in der in einer speziellen Abteilung die Bücher und Schriften von und über Eden verwahrt wurden. Monsieur LesDemondes widmete sich dabei mit gesteigerter Aufmerksamkeit den Werken und Texten, die sich mit der irdischen Kultur jener Tage beschäftigten und die heute allesamt in die Welt der Sagen und Mythen übergegangen waren, denn darüber wusste er so gut wie gar nichts. Vor zehntausend Jahren hatte es auf der Erde vier bedeutsame Königreiche gegeben, genau wie in Eden: Avalon, Atlantis, Olympia und Asgard.

„Es ist unglaublich! All die Geschichten, die ich früher über legendäre Götter und Krieger gelesen habe, sind hier aufgeschrieben und werden wie Tatsachen behandelt! Natürlich fehlt all das Übernatürliche, denn es waren ja Menschen, die in diesen Ländern lebten, aber....aber es ist einfach fantastisch. Hier zum Beispiel: Die Walküren waren der berühmteste Kriegerinnenbund in ganz Asgard und unterstanden direkt dem Befehl des Monarchen. Walhalla war die Hauptstadt des Reiches. Avalon war das Königreich von Uther Pendragon, dem Vater des zukünftigen König Arthur. Der Prinz wurde von Merlin erzogen, der offensichtlich kein Mensch war, sondern Wächterblut in den Adern hatte, daher seine Zauberkräfte. Und weißt du was? Der Trojanische Krieg war ein Bürgerkrieg in Olympia, zwischen den Bewohnern der Trojanischen und der Titanischen Staaten! Man nannte ihn den ‚Trojanischen Krieg‘, weil die Entscheidung auf Trojas Boden fiel!"

„Darling, wir sind nicht hier, um die Geschichte der irdischen Völker zu studieren, sondern um etwas über Deimos herauszufinden. Er stammte aus Avalon, also müssen Dokumente existieren. Welches Leben hat er geführt, so dass Hades ihn für seine Zwecke benutzen konnte? Wer war er, bevor ein Ritter der Verdammnis aus ihm wurde? Es ist so wichtig, dass wir etwas entdecken, sonst können die Prinzen ihn vielleicht nie besiegen und...."
 

Olivier sah auf, denn er spürte die Angst hinter diesen Worten. Johnny fürchtete sich vor dem, was geschehen konnte, wenn der Krieger des Hasses ungeschlagen blieb. Er war Hades treu - aus freien Stücken. Er war mächtiger als die übrigen drei Ritter zusammengenommen und er hatte eine rücksichtslose und brutale Natur. Gefühle waren ihm fremd.

„Mon chér....du darfst nicht den Mut verlieren. Du weißt ebenso gut wie ich, dass uns die größte Schlacht noch bevorsteht. Wir können nicht schon vorher aufgeben, das käme einer Kapitulation gleich. Zwar sind wir körperlich nicht mehr so stark wie unsere Vorfahren, unsere Lebenserwartung liegt nicht mehr zwischen neunhundert und tausend Jahren, seit auch menschliches Blut durch unsere Adern fließt und unsere Magie ist weniger ausgeprägt als früher - aber das ändert nichts an unserer Verantwortung. Wir wurden mit der Aufgabe geboren, Hades zu vernichten und das Gleichgewicht der Schöpfung wiederherzustellen. Wir sind die ‚Letzten Erben‘, die Kämpfer des neunten Jahrhunderts nach Eden. Die Prophezeiung besagt, dass wir es sein werden, die den Krieg entscheiden!"

„Ja, aber die Prophezeiung sagt nicht, zu wessen Gunsten wir diesen Krieg entscheiden. Was ist, wenn wir unterlegen sind? Was ist, wenn das Gleichgewicht der Schöpfung unwiederbringlich dahin ist? Ich möchte hoffen, ich möchte zuversichtlich sein, aber es fällt mir so schwer. Denk doch an Stonehenge. Ein Knotenpunkt uralter Weißer Magie....und dann bricht dort ein Dimensionsriss auf. Der Code Omega wird sehr bald ausgerufen werden."

„Die Mobilmachung? Ich glaube nicht, dass sie so bald ist, wie du vermutest. Das kann unmöglich dein Ernst sein, wir...."

„Olivier!" unterbrach der Rothaarige ihn hart und packte ihn an den Schultern. „Begreif es endlich! Unser Sieg ist ungewiss! Der Krieg wird offen ausbrechen, das ist eine Tatsache! Code Omega wird eintreten, früher als uns lieb ist! Wir....wir werden vielleicht sterben."

„Das denkst du?"

„Krieg ist Krieg, mein Liebster - und er bedeutet Zerstörung....und Tod."

„Ich will das nicht...." murmelte der Franzose und befreite sich aus dem festen Griff des Schotten. Ihm war, als fröre er plötzlich und er rieb sich die Arme in einer Geste stummer Verzweiflung. „Ich will den Tod nicht....ich weiß, dass es passieren könnte....aber dich zu verlieren, wäre das Schlimmste für mich! Ich könnte es nicht ertragen, dich sterben zu sehen! Manchmal habe ich davon geträumt, auf irgendeine einsame Insel zu verschwinden, und nichts von all dem zu wissen, mein Schicksal zu ignorieren und einzig mit dir zusammenzusein....doch es geht nicht. Ich kann nicht davonlaufen, niemand von uns kann es. Wenn der Ruf uns erreicht, müssen wir in die Schlacht ziehen, nicht wahr? Ich...."

„Du hast Angst, habe ich nicht recht? Deine Worte vorhin, von wegen, ‚nicht den Mut verlieren‘ und der Aufgabe, mit der wir geboren wurden - sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass du genausoviel Angst hast wie ich. Du musst sie nicht vor mir verstecken, Darling. Teile sie mit mir, denn sonst frisst sie dich auf."

„Johnny...."

Olivier, bemüht, seine Tränen zurückzuhalten, fand sich wenig später in einer starken Umarmung wieder und presste sich an den warmen, athletischen Körper des anderen. Diese Wärme umhüllte ihn sanft und zärtlich und drängte die Kälte in seinem Herzen zurück, die von der lähmenden Furcht geschaffen worden war.

»Lass mich nicht los, mon amour....lass mich niemals mehr los....«
 

Genbu sah und hörte nichts mehr. Endlose Wut brannte in seinem Herzen und er schleuderte ohne Pause Eissplitter auf seinen Feind, der kurz davor war, unter dem stetigen Beschuss nachzugeben. Mariam war zu Enrique hinübergeeilt, der am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte. Das Gesicht der jungen Frau war verzerrt vor Entsetzen und Sorge; sie schloss ihren Freund in die Arme und untersuchte die Wunde. Malitia, das Metall, aus dem Hades‘ Schwert bestand, war gefürchtet, denn es stammte aus den Minen der Unterwelt und war mit dem Schwarzen Gift des Dunklen Fürsten verseucht. Sie zerriss den linken Ärmel ihrer Wächteruniform und band den Arm ab, um die Blutung zu stoppen. Julia und Raul hatten sich Talas angenommen, ihn aus dem Umkreis des Gefechts entfernt und zu der Schwarzhaarigen hinübergetragen. Auch sein Zustand war bedenklich, zumal auf seinem Körper plötzlich Verletzungen auftauchten, die zuvor nicht da gewesen waren.

„Was geht hier vor? Er war doch völlig unversehrt! Wie kann das passieren?"

„Ich weiß es nicht, Julia. Vielleicht hat es etwas mit dem psychischen Kampf zu tun, den er gegen Iras geführt hat. Noch können wir nur raten, wer von beiden gewonnen hat. Jedenfalls benötigen sie medizinische Hilfe! Wir müssen die Unterwelt verlassen! Teleportieren wir uns!"

„Bist du verrückt? Wir können Max doch nicht allein zurücklassen - und Kai, Garland und die anderen sich auch noch nicht wieder da!"

„Wir können nicht warten! Eine Malitia-Wunde muss sofort behandelt werden, oder Enriques Herz fällt der Finsternis anheim!"

„Mariam!!!" schrie der Hüter der Heiligen Schildkröte in diesem Augenblick, da er von einer Gegenattacke getroffen wurde, die er mit wirbelnden, messerscharfen Geschossen aus Wasser beantwortete, „....haut ab, sofort!! Ich halte ihn auf, bis ihr weg seid!! Zwei Leben stehen auf dem Spiel!! Macht schon!!"

„Aber...." begann Raul, doch er wurde rüde unterbrochen. „Das ist ein Befehl!!!" Die drei Wächter wechselten einen Blick, und Mariam löste sich mit dem sich windenden Blondschopf in einer Wassersäule auf. Die Geschwister ergriffen je eine Hand des bewusstlosen Russen, verschränkten ihre eigenen Finger ineinander und riefen ihre Elemente an, Feuer und Luft. Der magische Sog (immer vorhanden, sobald es sich um mehr als zwei Personen handelte) erschien und sie verschwanden in Sekundenschnelle.

„Das nenne ich treue Vasallen! Sie lassen Euch im Stich, wenn es schwierig für Euch wird!" höhnte Hades, obwohl es offensichtlich war, dass Genbu der Stärkere in diesem Duell war; allerdings auch nur, weil sein Zorn ihn leitete und diese Emotion seine Magie mächtiger hatte werden lassen. Das kostete ihn mentale wie physische Energie und er war sich klar darüber, dass er das nicht mehr lange durchstehen würde, ohne zusammenzubrechen.
 

„Du hast wohl übersehen, dass sie Pan und Iras mitgenommen haben. Keiner von ihnen wird je wieder dein Diener sein oder werden! Ich weiß, dass der Krieg noch nicht gewonnen ist, aber dies hier ist deine Niederlage, nicht die unsere!" Er vernahm ein vertrautes Kreischen über sich und verfolgte mit, wie der Greif Apollon herniederstürzte und auf ihn zusteuerte. In einer raschen, fließenden Bewegung packte er das goldene Reitgeschirr und schwang sich hinter Hiro auf den Rücken des imposanten Geschöpfs.

„Wir sehen uns wieder, Hades! Aber merke dir ein für allemal: Unterschätze mich nicht!!"

Mit diesem Abschiedsgruß flog er davon und der Fürst der Unterwelt blieb blutend und verärgert zurück. Er konnte nicht leugnen, dass er eine schwere Niederlage erlitten hatte, doch sich davon entmutigen zu lassen, war mit seinem grausamen und ehrgeizigen Charakter unvereinbar. Schließlich hatte er immer noch Deimos - und neben all seinen Dämonen und missgestalteten Kreaturen existierten Wesen, die nur darauf warteten, die drei Plätze der entflohenen Ritter der Verdammnis zu besetzen. Oh nein. Der Krieg war noch lange nicht gewonnen....Er lachte hämisch, bis das Gelächter den Klang puren Wahnsinns erreicht hatte und schaurig von den Felsen widerhallte.

Der Krieger des Hasses hörte dieses unheimliche Echo und stieß einen Fluch aus. Der Mann, den er begehrte, war ihm entkommen und sein Wachposten war zu einem Häuflein Asche verbrannt worden! Er marschierte in seinem Gemach auf und ab und hatte nach seiner niederschmetternden Entdeckung bereits eine Vase zertrümmert. Ein Tischchen, das ihm im Weg stand, krachte donnernd gegen die Wand.

»Das ist nicht fair! Er hätte mein sein müssen, er, der Stolze, der Unbezähmbare! Es war mir nicht vergönnt, sein Herz zu erobern, nicht einmal seinen Körper! Sein Herz? Was denke ich da?! Sein Herz hat mich nie interessiert, ich wollte ihn nur haben, das war alles! Was kümmert mich sein Herz, so rätselhaft es auch sein mag!? Verdammt! Ich habe versagt und meinen Herrn enttäuscht! Wird er mich bestrafen? Er hätte guten Grund dazu. Ich habe seinen Auftrag nicht ausgeführt und Hiro nicht getötet....ich, der ich sonst getötet habe, ohne Skrupel, ohne Gewissensbisse! Ich, der ich vernichten, der ich zerstören konnte, ohne die geringste Regung zu verspüren! Was ist los mit mir? Weshalb konnte ich die Vorstellung nicht ertragen, ihn zu verletzen? Dieses Zögern ist so....so ekelerregend menschlich!«

//Natürlich ist es menschlich. Du hast es zwar vergessen, aber du bist ein Mensch.//

„Wer ist da?!"

Er drehte sich um die eigene Achse, konnte aber niemanden entdecken. Es war eine Kinderstimme und sie schien ihm eigentümlich vertraut zu sein, doch es gelang ihm nicht, sie einzuordnen. Warum nur kam sie ihm so bekannt vor?

»Ein Mensch! Dass ich nicht lache! Das war das armselige Ich meiner Vergangenheit! Lord Hades hat mich davon befreit und mir ein besseres, ein stärkeres Ich geschenkt! Dank ihm konnte ich über jene triumphieren, die mich erniedrigt hatten! Dank ihm konnte ich mich rächen für all die Demütigungen! Ich stehe tief in seiner Schuld und ich werde ihm folgen! Ich werde die Wächter dafür büßen lassen, dass sie mir eine Niederlage zugefügt haben! Und was Hiro betrifft....ich werde die Aufgabe erledigen, die mein König mir gestellt hat. Ich kann mich nicht durch mein Verlangen davon abhalten lassen, ihn zu eliminieren!«

//Es ist nicht dein Verlangen, das dich davon abhält, sondern etwas in dir, vor dem du Angst hast - sehr große Angst sogar.//

„Wer spricht da?! Zeige dich, Verräter! Du wagst es, mich der Schwäche anzuklagen?!"

//Ich klage dich nicht an. Jeder Mensch hat Schwächen. Erst das macht ihn zum Menschen.//

„Ich bin seit Ewigkeiten kein Mensch mehr! Wirf mich nicht mit dieser erbärmlichen Rasse in einen Topf!"

//Warum so energisch? Fürchtest du dich vor der Wahrheit? Du bist wiedergeboren worden und hast dreiundzwanzig Jahre als Mensch gelebt. Glaubst du, dass sei ohne Bedeutung?//

„Wer bist du? Woher weißt du das alles!?!"

//Sagen wir einfach....ich bin das, was du hättest sein können....//
 

Tala und Enrique waren ins Krankenhaus eingeliefert worden. Mariam hatte Mr. Dickenson verständigt und der alte Zaubermeister erschien zehn Minuten später auf der Bildfläche. Die beiden Wächter waren im selben Zimmer untergebracht worden und man hatte ihre Verletzungen behandelt, obwohl der Italiener noch immer unter großen Schmerzen litt - er warf sich hin und her und stammelte wirres Zeug.

„Tala war überhaupt nicht verwundet, aber auf einmal hat er angefangen zu bluten. Wie ist das möglich?" erkundigte sich der rothaarige Spanier.

„Er hat einen mentalen Kampf ausgefochten. Wenn er entschieden ist, können die seelischen Wunden, die im Laufe dieses Gefechts entstanden sind, körperliche Formen annehmen. Ich habe den Heiltrank mitgebracht. Er kann den Körper regenerieren, aber was Talas Seele angeht....in diesem Fall kann ich nichts für ihn tun, das kann er nur allein schaffen. Außerdem ist noch gar nicht erwiesen, ob er oder Iras gesiegt hat. Was ist mit Enrique?"

„Hades hat ihn mit einer Malitia-Klinge angegriffen", erklärte die Hüterin von Shark Rash, während sie ihrem Freund die Hand hielt und ihm beruhigend über die feuchte Stirn strich. Er wand sich und sein Gesicht war zu einer Maske unaussprechlicher Qual verzerrt. Mr. Dickenson flößte ihm den Trank aus den Blättern des Heiligen Baumes ein und trat schließlich zu dem Russen, der nach wie vor ohnmächtig war. Auch ihm verabreichte er die Medizin, aber seine Züge waren ernst.

„Der Heilungsprozess wird einige Tage dauern, jedenfalls länger als üblich. Mit Malitia-Wunden ist nicht zu spaßen, denn sie können das Opfer auf die andere Seite ziehen, wenn man es nicht rechtzeitig versorgt. Tala muss sich erholen, er ist geistig, körperlich und seelisch über die Grenzen seiner Belastbarkeit hinaus erschöpft. Als ich hierher unterwegs war, habe ich Apollon weit über den Dächern der Stadt gesehen. Ich vermute, dass sie zum Kinomiya-Dojo fliegen. Ich habe die übrigen Mitglieder der Zwölf ebenfalls dorthin geschickt."

„Brauchen Sie meinen Bruder und mich noch, Sir? Wenn nicht, würden wir gerne zum Dojo gehen, um das Ende dieser Mission zu feiern."

„Selbstverständlich. Ihr habt euch alle eine Pause verdient."

„Kommst du mit, Mariam?"

„Nein. Ich....ich möchte noch bei Enrique bleiben."
 

So begaben sich die Geschwister Fernandez ohne sie zu den Kinomiyas. Sie kamen gerade an, als der Greif im Vorgarten landete und die Entführten mitsamt ihren Rettern von seinem Rücken stiegen. Tyson lief auf sie zu und fragte aufgeregt: „Was ist mit Tala? Hat man sich um ihn gekümmert? Wird er wieder gesund? Kann ich zu ihm? Ich mache mir solche Sorgen um ihn!" Kai, der sich inzwischen zurückverwandelt hatte, ließ durch eine hochgezogene Augenbraue erkennen, dass er sich über diese besonders gefühlsträchtige Anteilnahme wunderte. Er wollte ebenfalls wissen, wie es um jenen stand, der ihm wie ein älterer Bruder war, doch er war erstaunt, dass der Japaner sich mit einem Mal so sehr dafür interessierte. Er lauschte der Erklärung Julias und nickte. Das waren also die Tatsachen. Er hielt Tala für stark, aber er war sich nicht sicher, ob er für diese neue Herausforderung stark genug war....

„Das ist die Lage, ich verstehe. Hoffentlich schafft er es. Es wäre schrecklich für mich, wenn er sich aufgeben würde."

„Er bedeutet mir mehr als dir, Tyson. Wie kommt es, dass du dich so beunruhigst?"

„Das geht dich nichts an, Kai! Lass mich gefälligst in Ruhe! Du hast deine Prioritäten während der letzten Ereignisse deutlich klar gemacht! Ich bin dir gleichgültig!"

„Was redest du da? Du bist mir nicht gleichgültig! Aber wir befanden uns in einem Kampf, auf einer Mission, da muss man gewisse Prioritäten setzen. Ich kann nicht ständig Rücksicht auf dich und deine Gefühle nehmen! Du hättest dich in das Duell zwischen Iras und mir nicht einmischen dürfen! Wann kapierst du endlich, dass du mich nicht so gut kennst, wie du dir einbildest?"

„Ich kenne dich!"

„So? Der Meinung bin ich nicht. Du versuchst immer, mich zu ändern, anstatt mich so zu akzeptieren wie ich bin - mit meiner Vergangenheit, mit meinem verbitterten Herzen, mit meinem Hass! Ich....ich habe....ich habe dich gern, hörst du? Von den Bladebreakers kennst du mich tatsächlich am besten....aber du kennst mich nicht gut genug! Und solange du mich nicht als den Mann lieben kannst, der ich bin, hat es mit uns beiden keinen Sinn!"

„Weißt du was? Allmählich glaube ich, dass ich mich nur in dich verliebt habe, weil du Suzakus Reinkarnation bist! Mit dir oder der Person, die du in Wirklichkeit darstellst, hat das vermutlich gar nichts zu tun! Ich habe es satt! Ich lasse dich nicht weiter auf meinen Gefühlen herum trampeln! Von heute an....sind wir geschiedene Leute!"

„Von mir aus! Mach, was du willst!"

Sie starrten einander an, mit geballten Fäusten, die Augen schossen Blitze. Beide zitterten heftig, die Luft zwischen ihnen schien Funken zu sprühen. Dann machte der Blauhaarige auf dem Absatz kehrt und verschwand im Haus. Max, Garland, Mathilda, Hiro und die Geschwister hatten die Szene fassungslos beobachtet, niemand wusste etwas zu sagen. Kai straffte die Schultern, warf stolz den Kopf zurück und trat auf die Straße hinaus.

„Feiert ohne mich." Das war alles. In gedrückter Stimmung schlüpften der Prinz, die vier Wächter und der Kendoka ins Innere des Dojos, schweigend, verlegen, erschüttert. Sie hatten Hades eine Niederlage zugefügt, sie hatten einen der ihren zurückgeholt - aber die rechte Freude über diesen Triumph wollte nicht aufkommen. Da öffnete sich die Schiebetür zum Wohnzimmer und ein großgewachsener Bursche in einem traditionell chinesischen Gewand begrüßte sie fröhlich.

„Wie schön, dass ihr endlich zurück seid! Ich habe ein paar Überraschungen für euch!"

„Lee!" Raul flog in seine Arme und der Schwarzhaarige drückte ihn fest an sich. Der Jüngere vergrub sein Gesicht in dem bestickten gelben Überwurf und versank in dem berauschenden Gefühl der Liebe und Geborgenheit, das von Lee auf ihn einströmte.

„Ich habe dich vermisst, airen", flüsterte er zärtlich und streichelte ihm durchs Haar. Er küsste ihn sanft auf den Mund und führte die anderen in den gemütlichen Wohnraum, wo man bereits ungeduldig auf sie wartete. Mystel sprang vom Sofa auf und fiel Garland um den Hals, den dieses schwungvolle Willkommen praktisch aus den Schuhen warf. Allgemeines Gelächter quittierte diese unfreiwillig komische Einlage und das Paar rappelte sich grinsend wieder auf. In diesem Moment entdeckte Mathilda die erste Überraschung.

„Miguel!"
 

Der Mexikaner erhob sich von seinem Platz neben Claude und umarmte das Mädchen. „Ja, ich bin es, vollständig genesen und zu allen Schandtaten bereit! Und ich bin nicht der einzige!"

Ihm gegenüber saß ein weiterer Chinese, die lange Mähne trug er offen, seine goldenen Augen leuchteten und ein glückliches Lächeln umspielte seine Lippen. Max war unfähig, sich zu rühren, er sah ihn nur stumm an. Sein Herz klopfte so stark, dass er nicht einmal sprechen konnte. Er näherte sich ihm mit ungelenken Schritten. „Ray....!" hauchte er schließlich.

Der Ältere umschlang seine Taille und küsste ihn innig. „Ich wusste, du würdest es schaffen, unsere Freunde zu retten. Du hast bestimmt großartig gekämpft."

„Daran hat keiner von uns gezweifelt." ertönte eine neue Stimme, die jemandem gehörte, der in einer dunklen Ecke des Raumes stand und sich bisher aus dem Trubel herausgehalten hatte. Langsam trat er ins Licht und Garland stieß einen Jubelschrei aus.

„Bryan!!"

„Genau!" erwiderte der Lilahaarige vergnügt und wurde mal hier und mal dort gedrückt, mit herzlichen Püffen versehen oder anderweitig begrüßt. Er musterte die Runde ausgiebig und sein Lächeln erlosch, als hätte man eine Kerze ausgeblasen.

„Wo sind Kai und Tyson?"

Man druckste eine Weile herum, doch dann erzählte Max von der Auseinandersetzung und Raul berichtete von Talas und Enriques Verfassung. Die übermütige Atmosphäre kühlte sich daraufhin merklich ab. Bryan verschränkte die Arme und dachte nach.

„Tyson will jetzt sicher niemanden sehen und das sollten wir respektieren. Wo Kai sich herumtreibt, können wir nicht einmal ahnen. Verschieben wir das Fest, sie sollten beide dabei sein, diese Dickschädel. Es ist bedauerlich, dass es zu diesem Zerwürfnis gekommen ist, aber da ist eine Kluft zwischen ihnen, die sie nur selbst wieder überbrücken können. Wir können ihnen nicht helfen. Ich zweifele nicht daran, dass sie sich lieben - doch für Tyson ist Liebe etwas anderes als für Kai. Sie müssen erneut zueinander finden....auf ihren eigenen Wegen. Lasst ihnen Zeit. Es ist schade, wenn man die Dinge zu schnell vorantreibt und sie dadurch zerstört. Sie müssen von sich aus erkennen, verstehen und verzeihen."

„Du sagst selbst, dass sie Dickschädel sind. Und sie besitzen beide ihre Art von Stolz. Die Mission in der Unterwelt hat den Riss erweitert, weil ihre Prinzipien aufeinander geprallt sind, aber Deimos ist nicht ganz unschuldig an dieser verkorksten Situation." meinte der Amerikaner und Ray befiel bei dem ernsten Ton seiner Stimme eine vage Ahnung davon, wie er als Genbu den Mächten des Bösen gegenübergetreten sein mochte.

„Dennoch hast du recht. Wir können ihnen nicht helfen. Sie müssen es allein schaffen. Das Vertrauen zwischen ihnen ist zerrüttet und steht auf schwachen Beinen. Hiro....du bist Tys Bruder. Könntest du mal mit ihm sprechen?"

„Ich dachte, wir wollten uns heraushalten?"

„Sicher. Aber du bist ein Teil seiner Familie, der wichtigste vermutlich. Du könntest ihm einen Rat geben, oder nicht?"

„Ich könnte es zumindest versuchen."
 

Die geplante kleine Feier kam also zum Erliegen. Romero verbrachte einen ruhigen Fernsehabend in seinem Hotelzimmer; Carlos ging zusammen mit Daichi ins Kino; Miguel und Claude beehrten ein exklusives französisches Restaurant mit ihrer Anwesenheit; Julia, Mariah und Mathilda zogen auf Shoppingtour durch die Straßen und kehrten nach Ladenschluss in einer schmucken Bar ein; Rick telefonierte mit seiner Frau, ließ sich von seinem Sohnemann und seiner Tochter ein „Good night" ins Ohr brüllen und unterhielt sich danach noch mit seinem Vater; Mariam übernachtete bei Enrique im Krankenhaus; und während Bryan einfach durch den Park spazierte, um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, saßen Lee und Raul auf der Hotelterrasse und ließen sich vom Mondlicht verzaubern.

„Was für eine laue Nacht....und die Sterne....wie ein funkelnder Teppich. Nanu? Was ist das für ein Verband an deinem linken Oberarm?"

„Das ist ein Andenken an meinen Kampf mit Hades. Seine Kräfte nehmen immer mehr zu, amiguito mio. Selbst Prinz Genbu hatte Schwierigkeiten, sich gegen ihn zu behaupten! Ist dir klar, was das bedeutet?"

Der Wächter von Galeon antwortete nicht sofort. Er lehnte an der Balustrade, mit dem Rücken zu dem Spanier, im Schein einer Laterne, blickte auf den Garten hinaus und hüllte sich in Schweigen. Ein zarter Wind verfing sich in seinem prachtvollen schwarzen Haar und ließ ein paar der glänzenden Strähnen tanzen.

„Code Omega?"

„Ja. Das, wovor ich am meisten Angst habe. In die Schlacht ziehen. Der Zusammenruf aller Mitglieder des Ordens von Eden. Die Ankündigung der finalen Entscheidung. Ich bin mit dieser Verantwortung aufgewachsen, aber trotzdem habe ich mich vor nichts mehr gefürchtet als vor diesem Tag, da Omega nötig werden würde. Es dauert nicht mehr lange. Unser Feind hat zwar drei seiner Hauptleute verloren, aber es ist ihm gelungen, das Band zwischen Kai und Tyson zu lockern. Das ist gefährlich, denn wenn die Prinzen der vier Elemente nicht in Liebe und Freundschaft vereint sind, sind ihre Magien instabil, nicht im Gleichgewicht. Das könnte uns den Sieg und das Leben kosten."

„Raul - du bist gerade von einem Kriegsschauplatz zurückgekehrt. Lass es wenigstens heute hinter dir. Ich war in Eden. Es ist fast so wunderschön wie es einst gewesen sein muss, aber dennoch sind manche Orte nicht von dem Gift genesen, das Hades ihnen eingeflößt hat, selbst nach zehntausend Jahren nicht. Wenn du das gesehen hättest, wäre dein Entschluss, diesen Verrückten aufzuhalten, stärker denn je!"

Er hatte sich umgedreht und seine Augen bohrten sich brennenden Pfeilen gleich in Rauls Herz. Der Chinese erinnerte ihn in dieser Sekunde einmal mehr an ein geschmeidiges Raubtier von tödlicher, anmutiger Schönheit.

„Ich glaube dir. Aber was ist, wenn er zu mächtig für uns geworden ist? Denkst du nicht, unsere Sache ist von vornherein verloren?"

Lee trat auf ihn zu, riss ihn aus dem Stuhl und bezwang seine Lippen mit einem heißen, leidenschaftlichen Kuss. Der Jüngere krallte sich in seiner Kleidung fest und erwiderte die Liebkosung voller Inbrunst. Seine Wangen hatten sich tief gerötet, als der andere ihn endlich freigab. „Sag das nie wieder! Mit dieser Einstellung erreichen wir nicht das geringste! Sieh dir diesen Himmel an, betrachte die Sterne, den herrlichen Mond! Denk an die strahlende Sonne, den Geruch in der Luft, süß im Frühling, berauschend im Sommer, erdig im Herbst und frisch im Winter! Denk an die Menschen, die auf dieser Welt leben! Nur wenige verdienen es vielleicht, dass dieser Planet gerettet wird, aber für diese wenigen ist mir jeder einzelne meiner Blutstropfen etwas wert, den ich im Namen meiner Aufgabe opfere! Vergiss das niemals! Wir sind ihre einzige Hoffnung!"

„....Lee....ich....Te....te quiero....!"

Lange blieben sie aneinander geschmiegt stehen, Schutz und Trost suchend in der Umarmung des geliebten Menschen. Auch Max fand Schutz und Trost in dieser Nacht. Er wusste, dass Tyson sich in seinem Zimmer verschanzt hatte und auf sein Klopfen hin hatte er sich nicht gemeldet. Hiro würde wohl morgen oder übermorgen mit ihm reden müssen. Der gesamte Dojo war merkwürdig still geworden, nachdem die Gäste verschwunden waren und seither schleppte er seine unausgesprochenen Sorgen mit sich herum. Er war das, was man einen „echten Freund" nannte, denn er fühlte immer mit, wenn jemand Kummer hatte, der ihm nahestand. Der Kampf gegen seinen Erzfeind hatte ihn ziemlich aufgewühlt und ihn an seine Grenzen geführt, und nun war er ausgelaugt und müde. Er kam sich vor wie ein leckgeschlagenes Schiff, das steuerlos auf dem Ozean trieb, meilenweit entfernt vom sicheren Hafen.
 

»Uns steht Großes bevor....der Code Omega rückt näher. Sind wir bereit dafür? Die Einigkeit zwischen Wind und Feuer ist erschüttert worden, und das ist ein Risiko. Kann ich ihnen wirklich nicht helfen? Ach, mein armer Kopf ist schon kurz vorm Platzen....ich gönne mir jetzt ein entspannendes Bad und dann gehe ich ins Bett.«

Er schnappte sich seinen Pyjama, trottete in den Vorraum zum Badezimmer, schälte sich aus seinen Klamotten und schlüpfte mit einem kleinen Handtuch hinter die Schiebetür.

„Max?!"

Er schrak zusammen und starrte den Badenden an, der vor ihm gekommen war. Es war Ray, der sich bereits gewaschen hatte und nun in dem heißen Wasser seine Muskeln lockerte. Sein schönes Haar, das an einen seidigen Umhang erinnerte, verteilte sich im Becken und verlieh ihm die Ausstrahlung eines mysteriösen Meereswesens. Der Blondschopf kaschierte seine Verlegenheit mit einem breiten Grinsen und begann, sich mit Seife und kaltem Wasser zu säubern, während der glühende Blick des Älteren über seinen ganzen Körper zu kriechen schien und ein leiser Schauer der Erregung durchrann ihn. Er hörte, wie der andere aus dem Zuber stieg und sich hinter ihm hinkniete. Sein Atem setzte für eine Sekunde aus, als Ray sich zu seinem Ohr neigte und flüsterte: „Soll ich dir den Rücken waschen?"

Er brachte nur ein Nicken zustande. Der Hüter des Heiligen Tigers verteilte den Seifenschaum auf der hellen Haut und wischte sanft mit dem Schwamm darüber. Seine Augen wanderten voller Bewunderung über die makellose Hals- und Schulterlinie des Jüngeren, den muskulösen Torso entlang, hinauf zu dem goldenen Haar. Er spülte umsichtig den Schaum ab und sagte: „Du bist wunderschön, Max."

Der Amerikaner wurde knallrot und stammelte ein „danke". Ray wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und schickte sich an, zu gehen.

„Ich wünsche dir eine gute Nacht."

„Ray....kann ich....kann ich vielleicht bei dir schlafen?"

„Was? Warum?"

„Ich....ich möchte nicht alleine sein, nicht jetzt, nicht heute. Darf ich?" Fast scheu, verzagt klang diese Frage. Der Chinese lächelte, küsste ihn auf die Stirn und gab seine Zustimmung. Zehn Minuten später fand sich Max in einem niedlichen gepunkteten Pyjama bei seinem Schatz ein, die Wangen immer noch gerötet. Er kletterte in sein Bett und genoss still die wunderbare Wärme, die ihn einhüllte wie in einem Nest. Sie hielten einander umschlungen, sprachen aber kein einziges Wort. Nichts hätte die Geborgenheit und den Frieden beschreiben können, den die beiden jungen Männer in diesem Moment empfanden. Schließlich jedoch wurde das Schweigen gebrochen.

„Ich bin so froh, dass du heil und gesund zurückgekehrt bist, airen. Während ich im Krankenhaus war, konnte ich nichts anderes tun als warten und bangen. Ich war in Sorge um dich, fragte mich, ob du den Schrecknissen der Unterwelt gewachsen warst...."

„Ich bin wieder da, Liebling. Wir werden gemeinsam in den nächsten Kampf ziehen, Seite an Seite. Keine Ungewissheit, keine Trennungen mehr. Aber ich glaube, ich musste diese Mission bestehen, um mich zu beweisen. Im Gegensatz zu dir, Tyson und Kai bin ich erst vor kurzem zum Prinzen erwacht und ich bin im Grunde auch nie sehr kriegerisch gewesen. Zu entdecken, dass ich wie das Wasser eine zweite, unbändige Natur besitze, hat mich überrascht, doch ich weiß nun mehr über meine Fähigkeiten und Kräfte. Die Erde scheint mir das ausgeglichenste aller Elemente zu sein."

„Ja, das ist es, aber auch die Erde kann beben und gefährlich werden. Man sollte sie nicht unterschätzen. Wie....wie geht es Tyson?"

„Keine Ahnung. Ich habe bei ihm geklopft, aber er hat nicht geantwortet. Ich fürchte, es wird noch dauern, bis unsere beiden Querköpfe sich wieder versöhnen....obwohl ein Streit zwischen zwei Elementen das letzte ist, was wir brauchen."

Er konnte ja nicht wissen, dass der Japaner sich durch die Hintertür davongestohlen hatte und seit einer Stunde durch Tokyo wanderte, ohne ein genaues Ziel zu haben.

»Was ist bloß mit mir los? Um Tala kümmere ich mich mehr als um Kai. Und warum habe ich behauptet, meine Gefühle basierten nur auf der Tatsache, dass er einst Suzaku war? Das kann doch unmöglich alles sein....oder doch? Was ist, wenn es wirklich so ist und ich lediglich meine Liebe auf einen Mann projiziert habe, den ich eigentlich gar nicht kenne? Sicher kenne ich ihn besser als die übrigen Bladebreakers, aber ich....ich akzeptiere ihn nicht vollständig, sondern nur das an ihm, was ich verstehen kann. Er war früher ein anderer. Die Liebe zwischen Suzaku und Seiryuu war echt. Ist es die meine? Ich weiß es nicht. Es ist seltsam....mein Herz kommt mir so....kalt vor....Wenn ich an Kai denke, verspüre ich fast nichts mehr, keine Aufregung, kein Herzklopfen, kein Glück....das könnte der Eis-Kuss sein....oder ich selbst. Oder beides. Ich weiß auch das nicht. Ich möchte nicht, dass das Band zerbricht, das zwischen uns entstanden ist, als wir noch Kinder waren. Aber vielleicht ist es schon zu spät? Zu spät für Reue, zu spät für Einsicht, zu spät, um es besser zu machen? Was soll ich tun?«
 

Am anderen Ende der Stadt wandelte eine einsame Gestalt durch die Straßen. Suzaku war still, denn er wusste, dass sein wiedergeborenes Alter Ego allein sein wollte. Der Russe war ihm durchaus dankbar für diese Rücksichtnahme. Hübsch dekorierte Schaufenster, Blumenläden und sonstige Geschäfte wechselten einander ab; das Partyviertel, in das er sich nach einer Weile verirrte, war mit unzähligen bunten Lichtern geschmückt und strahlte wie ein Christbaum, doch er war gleichgültig gegen die farbige Pracht.

„Von heute an sind wir geschiedene Leute!"

„Von mir aus! Mach, was du willst!"

»Mach, was du willst....wie konnte ich das sagen? Diplomatie war noch nie meine Stärke und Tyson kann furchtbar empfindlich sein....aber das ist so endgültig! Es gab Missverständnisse und unfreundliche Worte. Ich....ich liebe ihn, gottverdammt! Aber ich will nicht, dass er nur einen Teil von mir liebt - er muss mich mitsamt meiner Vergangenheit lieben, und wenn er das nicht kann, dann....dann sehe ich keine Zukunft für uns. Wir mögen in einem früheren Leben füreinander bestimmt gewesen sein, doch wer weiß schon, ob das für die Gegenwart genauso gilt? Ich sehne mich nach ihm, ich kann es nicht länger leugnen. Aber soll ich deswegen mich selbst aufgeben? Das kann er nicht von mir verlangen. Und dieser Krieg? Wie wird er weitergehen? Können Ty und ich unter diesen erschwerten Umständen überhaupt an Versöhnung denken? Mist! Warum hat der Mensch einen Kopf, einen Verstand? Müsste ich doch nicht nachgrübeln, mir Gedanken machen, könnte ich doch einfach abschalten....«

Er gelangte zu einer kleinen Brücke, die über einen Kanal führte. Er sah in das klare Wasser hinein und seufzte. Seit er sich seiner Liebe bewusst geworden war, hatte er alles getan, um es vor dem Mann zu verbergen, dem diese Gefühle galten. Vielleicht ein Fehler, aber die einzige Art, mit der Kai Zeit seines Lebens mit seinen Emotionen umgegangen war, weil er es nicht anders gelernt hatte. Er richtete den Blick gen Himmel, wo die silberne Scheibe des Mondes weithin leuchtete. Eine Sternschnuppe rauschte vorüber. In dieser Nacht äußerte Kai Hiwatari zum ersten Mal einen Wunsch, den ihm sein Herz diktierte.
 


 

Mit dem nächsten Kapitel, das eine letzte Rückblende in Edens Geschichte enthalten wird und sozusagen als Schlusspunkt dient, wird der erste große Handlungsbogen enden...wir sehen uns da! Bis dann!^^

Erinnerungen (3)

Hallo, Ihr Lieben! Ja, es geht endlich weiter - ich musste ein arbeitsreiches Semester hinter mich bringen und als nächstes steht die Wiederholung meiner Zwischenprüfung an *bäh!*, daher habe ich keine Muße mehr gehabt, irgendwas hochzuladen, sorry! Ihr bekommt zwei Kapitel als Entschädigung! Viel Spaß!^^
 

Ach ja, dieses Kappi spielt in Eden, innerhalb der Zeitrechnung der Siebten Regentschaft. Ich habe im Charakterguide eine Zeittafel an den Anfang gesetzt, falls jemand einen Überblick über die Geschehnisse in Eden braucht!^^
 


 

Kapitel 30: Erinnerungen (3)
 

~~ Eden, im Jahr 8 der Siebten Regentschaft ~~
 

Eros, die Hauptstadt des Königreiches Pyrodes, bereitete sich wie alle anderen Länder auf das große gesellschaftliche Ereignis vor, das zu Beginn des neuen Monats stattfinden sollte: Die Sommerliche Jagd. Am ersten Tag des Lichtmondes (Juni) versammelten sich Adelige und Bürger gleichermaßen, um in einen edlen Wettstreit miteinander zu treten. Jedes Jahr richtete ein anderes Königreich diese Jagd aus und dieses Mal war Pyrodes an der Reihe. Die Feierlichkeiten erstreckten sich traditionsgemäß über sieben Tage und jeder, der etwas auf sich hielt, hatte die heimatlichen Burgen, Häuser und Höfe hinter sich gelassen, um ins Herrschaftsgebiet des Feuerprinzen zu reisen; die Jagd stellte den offiziellen Auftakt der Turnierwoche dar, daher hatte man die gesamte Veranstaltung nach ihr benannt. Suzaku, der ohnehin nicht für seine Geduld berühmt war, stauchte in seiner unnachahmlichen Art und Weise gerade einen Diener zusammen, der den Plan für die Aufteilung der Zelte der einzelnen Wächter aus Gaia, die an den Wettbewerben teilnahmen, verloren hatte.

„Bist du des Wahnsinns?! Jedes Königreich hat einen bestimmten Platz auf der Festwiese und du hast nichts besseres zu tun, als den Plan für Byakkos Aufstellung zu verlegen?! Ist dir eigentlich klar, was mir bei diesem Pragmatiker blüht, wenn ich keine vernünftige Organisation vorzuweisen habe?! Ich muss für deine himmelschreiende Ungeschicklichkeit die Verantwortung tragen, du hirnloses Insekt!! Gar nicht zu reden davon, dass ich mich im schlimmsten Fall auch noch vor Seiryuu blamiere!!"

„Euer Majestät...."

„Unterbrich mich nicht, wenn ich dich niedermache!! Ist es denn zu viel verlangt, die vier Pläne in einem Stapel zusammenzufassen, sodass keiner sich in Luft auflöst?! Ich habe eine geschlagene Stunde gebraucht, um Byakkos hochgeschraubten Turnierplatzwünschen gerecht zu werden und du....!!! Du hast tatsächlich den Nerv, mein mühsames Werk irgendwo fallen zu lassen!!! Du hast verdammtes Glück, dass ich heute so gut gelaunt bin, sonst würde ich dich jetzt abfackeln, um ein Exempel zu statuieren!!"

Der Page war sichtlich zerknirscht, aber keineswegs so verängstigt wie man es bei einem derartigen Ausbruch hätte erwarten dürfen, denn schließlich kannte man die Launen des Prinzen und sein hitziges Temperament zur Genüge, sodass man ihn sich einfach austoben ließ, damit er sich wieder beruhigen konnte.

„Euer Majestät...."

„SCHWEIG!!!! Durch deine Tollpatschigkeit darf ich alles noch mal machen!! Als wenn ich nicht schon genug damit zu tun hätte, den Bau für die Ehrentribünen der drei anderen Schutzgötter zu überwachen, nachdem die von Dranzer beinahe eingestürzt wäre, weil irgendein Fachidiot den Plan verkehrt herum gehalten hat!! Du beschaffst mir die verlorene Aufzeichnung wieder, und wenn du durch den tiefsten Schlamm waten musst!! Wegtreten!!"

„Euer Majestät...."

„WAS IST?!?!?!"

„Euer Majestät, Euer Ratgeber Sol hat beim Zeichnen der Aufstellungen verlangt, dass von jeder zwei Kopien angefertigt werden sollen. Man kann sie bei ihm abholen."

„SAG DAS DOCH GLEICH!!!!"
 

Nachdem nun dieses Problem zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst war, begab sich Seine Hoheit zu seiner offenen Kutsche, die an beiden Seiten mit roten Rosen geschmückt war und ließ sich zum Forum der Stadt fahren. Auf einer Anhöhe über diesem prächtigen Forum mit seinen verschiedenen Geschäften, Schaubuden und Verwaltungsgebäuden erhob sich stolz und ehrfurchtgebietend der Tempel der Gottheit Dranzer. Er hatte einen viereckigen Grundriss, das Dach, an dessen Seiten jeweils sechs Statuen aus weißem Marmor thronten, einmal Männer, einmal Frauen, die Fackeln in Händen hielten, ruhte auf zwölf mächtigen Säulen und eine imposante Freitreppe, bewacht von zwei steinernen Phönixen, die sich dem Besucher zuwandten und mit geöffneten Schwingen gestaltet worden waren, führte ins Innere. Da sein Volk vollauf mit den Vorbereitungen beschäftigt war, begegnete ihm niemand auf seinem Weg ins Allerheiligste, obwohl normalerweise einige Wächter dort waren, um zu beten. Das Zentrum des Tempels bildete eine von sechs Säulen umrahmte Feuerstelle auf einem reichgeschmückten Sockel aus Purpur und Gold. Die Flammen schlugen hoch hinauf, während Suzaku schweigend die Marmorplatten betrachtete, die den Sockel umgaben. Obgleich jene, die vor ihm den Rang eines Elementeprinzen innegehabt hatten, nicht hier bestattet waren, so war es doch Sitte, zumindest ihre Namen im Heiligtum der jeweiligen Gottheit zu verewigen. Ihre Körper ruhten in der Krypta des Tempels der vier Götter, aber oft konnte man in ihrer Heimat mit ihren Seelen in Kontakt treten, so wie er es beabsichtigte, denn er wollte einen Rat und glaubte, ihn nur hier finden zu können. Er las die Namen seiner Vorgänger der Reihe nach: Ignis - Hestias - Aries - Agni - Eos - Surya. Eos war unter den Wächtern von Pyrodes die erste und bisher einzige Frau gewesen, die den Titel „Prinzessin des Feuers" erhalten hatte, was aber nicht bedeutete, dass es besonders ungewöhnlich war, wenn die Schutzgötter eine Frau als ihren Hüter erwählten. In Gaia beispielsweise hatte es sogar zwei Prinzessinnen gegeben.

„Ignis, Herrscher der Ersten Ära des Ersten Zeitalters....hört mich an! Euer Nachfolger erbittet demütig ein Gespräch mit Eurer Seele!"

Ein Windstoß glitt durch das Bauwerk, brachte das Feuer zum Flackern und manifestierte sich vor dem knienden Hüter in Gestalt eines jungen Mannes. Seelen waren meistens jung, ungeachtet des reifen Alters, mit dem sie die Welt verließen. Er hatte langes rotes Haar mit dichtem Pony, das sein rechtes Auge verdeckte. Das linke war sichtbar und leuchtete tiefgrün. Er hatte gebräunte Haut, ein charmantes Lächeln und trug das traditionelle Turniergewand seiner Position, das auch Suzaku anhatte: rote Stiefel mit goldenem Flammenmuster, schwarze Hose und darüber ein farblich passender Überwurf, der mit dem Wappen Dranzers bestickt war, einem stilisierten Phönix mit langem Schweif, über dem eine Sonne prangte. Gerafft wurde das Oberteil durch einen Schwertgürtel und einzig an den Armen, an denen sich kein Stoff befand, war das Kettenhemd zu sehen.
 

//Du hast mich gerufen? Gibt es Schwierigkeiten? Ist das Reich in Gefahr?//

„Seid gegrüßt, Ignis. Nein, es hat nichts mit Pyrodes oder Eden zu tun. Ich habe ein....persönliches Problem und hätte gerne einen Rat von Euch."

//Ein persönliches Problem? Das könnte interessant werden. Lass mich raten: Dein Problem hat nicht zufällig dunkelblaues Haar, gebietet der Luft und ist der Wächter des Heiligen Drachen?//

Suzaku errötete und all seine Schlagfertigkeit ließ ihn im Stich, während sein Gegenüber ihn freundlich und äußerst entwaffnend angrinste.

„Woher....woher wisst Ihr das?!"

//Weil mir deine Situation nicht so fremd ist. Hast du denn im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst? Mein Problem regierte ebenfalls die Luft und war der Wächter des Heiligen Drachen - Aeolos, der allererste Auserwählte von Dragoon. Ich liebte ihn leidenschaftlich.//

„Und hat er Euch ebenso geliebt?"

//Ja, er hat mich auch geliebt, obwohl wir sehr lange Zeit nicht wagten, einander unsere Gefühle zu gestehen. Ich war einst das, was man einen Don Juan nennt und verteilte meine Zuneigung großzügig nach allen Seiten. Es gab kaum einen schönen Mann, dem ich nicht feierlich geschworen hätte, nur ihn allein zu lieben. Doch als ich mein Herz verlor, wurde ich beinahe schüchtern und ungelenk. In Aeolos‘ Gegenwart vergass ich meine besten Sprüche, konnte froh sein, wenn ich einen vernünftigen Satz hervor stammelte und war unbeschreiblich glücklich, sobald er mich nur anlächelte. Liebe macht einen zum Narren, das ist eine alte Weisheit.//

„Ihr seid mir in mancher Beziehung ähnlich, auch ich habe bisher die süßen Früchte der Liebe gekostet, ohne es je wirklich ernst zu meinen. Aber Seiryuu hat alles verändert. Wir wurden zusammen in derselben Klasse ausgebildet und kennen uns, seit wir Kinder waren. Ich sah ihn immer als treuen Kameraden und guten Freund....und jetzt? Seine unmittelbare Nähe irritiert und berauscht mich, ich erzittere, wenn er mich flüchtig berührt und in seinen Augen könnte ich ertrinken....Wie kommt es, dass ich ihn noch immer nicht erobert habe, ich, der ich als der Casanova schlechthin bekannt bin? Warum bin ich stumm, wenn er da ist? Weshalb gelingt es mir nie, zu sprechen, ihm die Wahrheit zu sagen? Seit Jahren, seit zwei Jahren schon begehre ich ihn und doch kann ich mich nicht überwinden! Meine Affären lenken mich ab, aber sie erfüllen mich nicht. Sei hat ein Feuer in mir entzündet, das mich verzehrt....!"

//Ich würde dir gerne helfen, aber den Mut, ihm deine Gefühle zu beichten, musst du in dir selbst finden, den kann ich leider nicht herbeizaubern. Du selbst musst den Moment bestimmen, indem du dich ihm offenbarst. Und nun solltest du gehen, es ist gleich neun Uhr und die Vorbereitungen für die Sommerliche Jagd sind noch nicht abgeschlossen. In einer Stunde dürften die ersten Gäste eintreffen, also sollten sich deine Untertanen ein bisschen beeilen.//

„Ihr habt recht mit beidem. Niemand kann mir den Mut verleihen, den ich benötige, ich muss ihn selbst erlangen. Dennoch danke ich Euch, dass Ihr meinen Ruf erhört habt. Lebt wohl."

//Lebe wohl, Suzaku. Ich wünsche dir viel Glück.//
 

So kehrte der Wächter des Heiligen Phönix zu seinen Verpflichtungen zurück. Ihr war leichter ums Herz und er konnte sich besser auf seine Aufgaben konzentrieren. Mit sicherer und aufmunternder Hand leitete er seine Leute an, bis die Trompeten die Ankunft von Prinz Byakko verkündeten. Wie bei einem Fest mit Wettbewerbscharakter üblich, erschien dieser in seinem Turniergewand und mit großem Gefolge, alle auf den Rücken der schönsten Pferde sitzend, die Gaias Gestüte vorzuweisen hatten. Die goldbraunen Banner mit der Silhouette eines springenden Tigers, der links von einer Kornähre und rechts von einer Rose eingerahmt wurde, wehten im Wind und der Graublauhaarige verneigte sich protokollgemäß vor seinem Freund.

„Na, Byakko? Bist du wieder mal zurückgekommen wie falsches Geld?"

„Fällt es dir denn so schwer, nett zu mir zu sein?"

„Nett? Ich? Zu dir? Ich war doch noch nie nett zu dir!"

„Da ist was Wahres dran...."

Er stieg ab und sie umarmten sich lachend. Die Krieger des Erdprinzen bauten ihre Zelte an dem für sie ausgewiesenen Platz auf, das prunkvolle Zelt Seiner Majestät bildete das Zentrum.

Zum Zeichen, dass man an den Wettkämpfen teilzunehmen wünschte, wurden an den farbigen und verzierten Stangen, die jeden Zeltplatz markierten, die Schilde mit dem Wappen der jeweiligen Familie aufgehängt. Nachdem Byakko seine dunkle Mähne zu einem gefechtstauglicheren Zopf geflochten hatte, trat er zu seinem Kameraden hinaus, der die Vorgänge in seinem eigenen Lager beobachtete.

„Der Bursche da drüben, ist das nicht Sol, dein Erster Vasall? Er war wieder auf Reisen, nicht wahr? Wer ist denn der Jüngling da neben ihm? Er ist grün gekleidet. Stammt er aus Aquaria?"

„Ja. Das ist Leviathan, sein Schüler. Sol hat ihn seit einem Jahr unter seinen Fittichen."

„Hübscher Kerl. Er scheint viel für seinen Lehrmeister übrig zu haben - er hängt ja förmlich an seinen Lippen!"

„Das ist mir auch schon aufgefallen. Ich glaube, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Wann wirst du dir eigentlich endlich einen Ersten Vasallen zulegen? Der Posten deines Hochherrschaftlichen Beraters ist immer noch unbesetzt!"

„Ich weiß. Ich hatte bereits den einen oder anderen Bewerber, aber sie haben mich nicht überzeugt. Ich kann dir nicht genau erklären, wonach ich suche....er oder sie muss natürlich gut kämpfen können und über einen ehrlichen und tapferen Charakter verfügen, doch das ist es nicht allein. Ich brauche jemanden, der gerne zuhört, der eine geschickte Zunge hat und mit Charme glänzen kann, damit sich niemand beleidigt fühlt. So ähnlich wie der Sänger dort drüben." Suzaku folgte dem Zeigefinger seines Freundes und sah einen hübschen jungen Mann mit goldblondem Haar und himmelblauen Augen, der das einfache Gewand eines Troubadours anhatte und eine Gruppe von attraktiven Damen mit den Melodien seiner Laute und einer schmelzenden Stimme unterhielt. Er war eine höchst romantische Figur, denn jede Frau erkannte natürlich sofort, dass er in Wirklichkeit ein verkleideter Adeliger war, der das Kostüm des armen Musikers trug, um eine unglückliche oder hoffnungslose Liebe zu vergessen - und manch eine wäre gerne dazu bereit, ihm Trost zu spenden.

„Das ist Pan, der Sohn von Fürstin Syrinx. Er gefällt sich in der Rolle des Troubadours und ist berühmt für seine Lieder wie für seine Liebeleien. Leider hat er sich zum Kummer seiner Mutter immer noch keine feste Anstellung gesucht. Ich würde ihn nehmen, wenn er sich freiwillig in meinen Dienst begeben wollte, aber noch scheint er nicht die geringste Lust dazu zu verspüren."

„Du könntest ein Gespräch mit ihm beginnen, nachdem du sein Können überprüft hast."

„Eine kleine Herausforderung? Warum nicht? Schon viele gute Freundschaften nahmen ihren Anfang mit einem ebenso guten Kampf." bemerkte Byakko schmunzelnd und rief ihnen beiden jenen Tag ins Gedächtnis, da sie im Alter von acht Jahren in einem ordentlichen Streit aneinander geraten waren und sich grün und blau geprügelt hatten, bis Genbu einen Eimer Wasser über ihnen ausgekippt hatte. Apropos Genbu....Die Trompeten ertönten und kündigten seine Ankunft an, dicht gefolgt von einer Fanfare für Prinz Seiryuu, was einem gewissen Jemand unweigerlich das Blut in die Wangen trieb. Die Beherrscher von Wasser und Wind hatten ihr Gefolge ein Stück hinter sich gelassen und trabten Seite an Seite zu ihrem Empfangskomitee, das höflich in einer Reverenz versank.
 

„Suzaku", begann Seiryuu mit strahlendem Lächeln und stieg vom Pferd, „....ich bin sehr glücklich, dich wiederzusehen. Die Stadt ist wundervoll geschmückt, Kompliment. Welches Tier ist denn diesmal für die Jagd verpflichtet?"

Bei der Sommerlichen Jagd wurde nicht getötet. Man wählte ein bestimmtes Tier dafür aus, dessen Aufgabe darin bestand, die Gesellschaft durch ein bewaldetes Gebiet zu führen und Fährten zu hinterlassen, um nach einer gewissen Zeitspanne „gefangen" zu werden. Als Belohnung erhielt es reichlich Futter und verschaffte seiner Tierfamilie eine große Ehre. Man bevorzugte dabei Prachthirsche und Silberfüchse, denn sie waren in den Wäldern Edens am kundigsten und gestalteten die Jagdstrecken am interessantesten.

„Ich, wenn‘s recht ist", erklärte jemand zu Füßen des Drachenhüters und er blickte hinab, direkt in die klugen Augen eines Silberfuchses, der sich seiner Schönheit voll bewusst war. Sein Fell glänzte in der Sonne, der Schwanz war stolz erhoben und er reckte majestätisch den Kopf.

„Mein Name ist Dolon", stellte er sich vor, „....und ich fühle mich sehr geehrt, dass man mich für die Jagd ausgewählt hat. Hoffentlich gelingt es mir, meinen Beitrag zu leisten, um den Auftakt der Turnierwoche perfekt zu gestalten."

„Das wirst du mit Sicherheit", erwiderte der Prinz des Feuers. „Dein Vater ist felsenfest davon überzeugt. Jedenfalls lag er mir drei Wochen lang in den Ohren, ich müsse mich unbedingt für dich entscheiden, weil du so eine ausgezeichnete Spürnase hast. Dein Herr Papa ist der Anführer meiner tierischen Späher, aber ständig andere Leute vertrösten zu müssen, wenn sie mit Vorbereitungsfragen zu mir kommen, nur weil ich gerade einem Fuchs Audienz gewähre, ist normalerweise nicht wünschenswert."

„Ich weiß, er hat mal wieder übertrieben. Da kommt meine Mutter, ich muss los." Er neigte den Kopf und lief zu der Füchsin hinüber, die in einiger Entfernung auf ihn wartete.

„Ein netter Bursche", meinte Genbu und lächelte vergnügt. Er sah den beiden nach, sodass ihm nicht auffiel, wie Byakko ihn betrachtete. Er liebte es, wenn der warmherzige Blondschopf lächelte, es erfüllte ihn immer mit einer seltsamen Befriedigung, die er sich selbst nicht ganz erklären konnte. Er war sich klar darüber, dass Suzaku ihn mit einem wissenden Grinsen bedachte, aus dessen Sinn er nicht recht schlau wurde, aber er verbiss sich jegliches Kommentar, schon allein deshalb, weil er die Befürchtung hatte, rot zu werden.

„Hm, die Erde versteht sich seit jeher viel besser mit dem Wasser als mit dem Feuer", bemerkte er bedeutungsvoll, wofür er einen irritierten Blick seitens des Tigerwächters erntete.

„Warum grinst du so blöd? Was meinst du damit?"

„Ich??? Ich meine überhaupt nichts. Wie kommst du darauf?"
 

Die Zelte des Königreiches Aquaria waren um einen großen Teich herum aufgebaut worden, der fast bis zur Hälfte mit Seerosen überwuchert war. Der Eingang von Iras‘ Zelt lag schräg zum Ufer, sodass er die Umgebung inklusive Teich hervorragend sehen konnte. Sein Schild, türkisgrün und mit einem Wolfskopf bemalt, hing draußen an der Repräsentationsstange - auch er würde an den Wettkämpfen teilnehmen. Momentan sass er in einer kurzen grünen Toga vor seinem Zelt und schärfte sein Schwert, als Leukothea, seine direkte Vorgesetzte und Hauptmann der Elitekrieger Aquarias, zu ihm kam. Sie war eine schöne und reife Frau im mittleren Wächteralter (liegt etwa zwischen 400 und 700 Jahren), mit rückenlangen schwarzen Haaren, hellgrünen Augen und einer auffallenden Schwertfischtätowierung am linken Oberarm. Sie wurde als Favoritin im Speerkampf gehandelt.

„Na, Iras? Bereit, deine Schwertkünste einmal mehr unter Beweis zu stellen?"

„Mit dem größten Vergnügen, Hauptmann."

„Wer weiß, vielleicht nenne ich dich auch bald so und muss in der Öffentlichkeit das respektvolle ‚Euch‘ benutzen....Hof-Protokoll, ne?"

Er musterte sie eine Weile schweigend und hob eine seiner vollendet geschwungenen Brauen. „Und was verleitet Euch zu dieser Annahme?"

„Ich spreche von Acheloos, dem Hauptmann von Prinz Genbus Leibgarde. Er ist jetzt über neunhundert Jahre alt und wird bald in Pension gehen. Genaugenommen hat er beschlossen, Seiner Hoheit heute noch seinen Entschluss mitzuteilen."

„Was hat das mit mir zu tun?"

Sie lachte und fing an, seine Qualitäten aufzuzählen: „Du bist jung, entstammst einer edlen Familie, bist der Wächter eines bekannten und hochgeschätzten Geschöpfes, du besitzt Mut, kannst mit Soldaten umgehen und bist sehr treu. Außerdem bist du als Schwertkämpfer geradezu legendär. Fazit: Von allen Kriegern, die der Elitetruppe angehören - und das ist Voraussetzung, um Mitglied der Leibwache zu werden -, bist du zweifellos derjenige, der am ehesten als sein Nachfolger in Frage kommt."

„Das ist doch wohl nicht Euer Ernst?"

„Würdest du bitte damit aufhören, dich ständig unter Preis zu verkaufen? Selbst die Leibwächter scheinen niemand anderen in Betracht zu ziehen. Ist dir nicht aufgefallen, wie sie dich beobachten? Sie ahnen, dass ein Wechsel in der Luft liegt!"

Er fuhr fort, sein Schwert zu schärfen. Natürlich wusste er, dass Leukothea recht hatte, es war ihm durchaus aufgefallen. Er wünschte sich insgeheim, diese begehrte Position zu erhalten, denn Genbu war in seinen Augen ein fähiger, gerechter und edler Herrscher, dem zu dienen eine Ehre war. Und ihn beschützen zu dürfen, war ein hohes Amt, das er gern sein eigen genannt hätte. Da erschollen die Trompeten und der Beginn der Sommerlichen Jagd wurde ausgerufen. Er steckte seine Waffe in die Scheide und winkte nach einem der Pagen, die die Pferde versorgten. Sein weißer Hengst wurde gebracht, er schwang sich vergnügt in den Sattel und trabte auf den großen Versammlungsplatz für die Reiterei.

„Iras!" Der Hüter der Heiligen Schildkröte hatte ihn entdeckt und winkte ihm zu. „Ich möchte dir jemanden vorstellen, komm doch bitte herüber!"
 

Er gehorchte und deutete mit gebeugtem Rücken einen Diener an. Es geschah oft, dass bedeutende Mitglieder eines Hofes miteinander bekannt gemacht wurden; vorzugsweise natürlich bei Anlässen wie dem heutigen.

„Dies hier sind meine besten Freunde, die drei anderen Prinzen der Elemente, die du sicher schon das eine oder andere Mal gesehen hast. Byakko, der Prinz der Erde - Suzaku, der Prinz des Feuers, unser Gastgeber - und Seiryuu, der Prinz der Luft."

Er musterte die Männer vor sich mit unverhohlener Neugier. Er stand ihnen zum ersten Mal persönlich gegenüber (bzw. sass er ihnen gegenüber auf dem Pferderücken) und erinnerte sich an all die Gerüchte und Erzählungen, die in seiner Heimat über sie kursierten. Byakko war in der Tat eine beeindruckende Erscheinung und sein Haar, obgleich geflochten und nicht offen getragen wie normalerweise, war wirklich traumhaft. Seine warmen, katzenhaft glitzernden Augen verrieten Hilfsbereitschaft und Güte, aber zudem etwas Wildes, Ungebändigtes, wenn es auch nicht im selben Ausmaß zu bemerken war wie etwa bei Genbu, dessen blaue Augen ruhig und sanft sein konnten wie ein Bächlein und im nächsten Moment tosend und rau wie das sturmbewegte Meer. Er fand ihn sympathisch. Der nächste war also der berühmt-berüchtigte Suzaku. Was hatte er nicht alles über ihn gehört! Ein Playboy, der Casanova schlechthin, angebetet von Frauen und Männern gleichermaßen, er liebte jedoch letztere. Er pflegte Feste zu feiern bis zum Umfallen, trank gerne Alkohol in Mengen und hatte Affären am laufenden Band. Man bezeichnete ihn als verantwortungslos und verschwenderisch. Wie hatte so jemand von einem Schutzgott auserwählt werden können? Diese flammendroten Augen waren voller Übermut, voller Lebenslust, sein - zugegeben - verdammt charmantes Lächeln war zugleich kühn, unverschämt und verführerisch in einem und er war ziemlich attraktiv, ja. War er so leichtherzig wie er schien oder schenkte er den Gerüchten zu viel Beachtung? Iras war sich nicht sicher. Männer, die nicht in den Bann von Suzakus Ausstrahlung geraten waren oder nicht seinen wahren Charakter kannten, bekamen bei seinem Anblick mitunter messerscharfe Lippen und verzichteten darauf, sich näher mit ihm einzulassen. Wozu er sich entscheiden sollte, war ihm noch nicht ganz klar. Immerhin hatte er die Festlichkeit ausgezeichnet organisiert, das stimmte. Und nun Seiryuu....dem Wächter von Wolborg verschlug es beinahe den Atem. Langes dunkelblaues Haar, zu einem Zopf im Nacken gebunden, umschmeichelte ein vornehmes, schönes Antlitz mit tiefbraunen Augen, einer kecken Nase und einem unvergleichlichen, wunderbar geschwungenen Mund, der sich soeben zu dem herrlichsten Lächeln verbreiterte, das er je gesehen hatte. Seine Haut war gebräunt und verstärkte seine fröhliche, vitale Aura; er war wie ein frischer Wind an einem drückend heißen Tag. Die makellose Gestalt und die stolze Haltung auf dem hübschen Rappen taten das übrige.
 

»Was für eine Schönheit....! Was weiß ich über ihn? Hm, er gilt als unabhängig und ein bisschen frech, hasst es, irgendwo eingepfercht zu sein und scheint seinen Kopf auch sonst meist in den Wolken zu haben. Auf der anderen Seite preist man ihn als liebevoll, entschlossen, kameradschaftlich und herzlich. Ich denke, das trifft alles zu. Man kann niemandem böse sein, der so lächeln kann....selbst wenn er mal in höheren Sphären schwebt. Und wie seine Augen leuchten, so glücklich und frei....«

„Dies hier ist Sol, Suzakus Erster Vasall. Und das hier ist Seiryuus Erster Vasall, Boreas."

Die beiden Genannten nickten freundlich und Boreas errötete sogar ein bisschen. Er hatte Iras schon häufig von weitem bewundert, wenn er Wettbewerbe im Schwertkampf bestritt oder sich bei großen Bällen elegant auf der Tanzfläche bewegte, aber ihn nun aus der Nähe zu sehen, war überwältigend. Diese eisblauen Augen....und das schimmernde rote Haar, das er heute offen trug und das bis auf seine breiten Schultern hinab fiel....die zarte helle Haut und das ernste Lächeln, ein wenig kühl, doch sehr gewinnend....Sein Herz machte einen Sprung, als er sich in der Jagdgesellschaft neben seinem Pferd einreihte, denn nun wurde Dolon, der Silberfuchs, gerufen und er entschwand unter dem Klang der Fanfaren im Wald.

»Dieser Sol macht einen guten Eindruck auf mich....noble Haltung, aufmerksamer Blick.... tolle Figur....« fügte Iras leicht verlegen hinzu, denn das Gewand von Apollons Wächter war das wohl freizügigste aller Anwesenden (obwohl Suzaku gewiss auch offenherziger gewesen wäre, wäre die Turnierkleidung für die Prinzen nicht durch Schnitt und Wappenprägung teilweise genormt). Sein Oberkörper war entblößt, bis auf eine gelbe Schärpe, die er als losen Schmuck angelegt hatte, die orangefarbene Hose war eng und leitete über zu einem Paar gelber Stiefel. Dieses Outfit gewährte jedem eine hervorragende Aussicht und niemand, der sich für Männer interessierte, war immun dagegen.

»...ehem. Ich sollte woanders hinschauen. Typisch Feuerwächter, kein Sinn für Anstand! Dieser Boreas ist auch hübsch....ich mag sein Lachen. Er scheint sehr nett zu sein.«

Man wartete die obligatorischen zehn Minuten, die Dolon für seinen ersten Fährtenhinweis benötigen würde und brach schließlich auf. Begleitet von Gelächter, Flirts und sonstigen Gesprächen führte sie der Fuchs einmal hier hin und einmal dort hin, einige Jäger trennten sich von der Gruppe, um einer Fährte nachzugehen, die sich letztendlich als falsch entpuppte, und das Tier ließ keine Schwierigkeit aus, seien es Baumstämme mitten auf dem Weg, Hänge und Felsen oder....oder breite Flüsse. Dolon hob die Schnauze und schnupperte. Er registrierte, dass die Jagdgesellschaft noch einige Kilometer von ihm entfernt war, aber dennoch war da ein vertrauter Geruch, der viel näher zu sein schien. Er betrachtete den Fluss vor sich und grübelte. Sollte er es wagen? Er sprang ins Wasser und schwamm Richtung Ufer. Zu seinem Unglück verletzte ein verborgener Felsen sein rechtes Hinterbein und er konnte sich nur mit Müh und Not an Land schleppen. Missmutig begutachtete er die Verwundung. Das war ärgerlich, denn in solchen Fällen waren seine animalischen Instinkte immer stärker als seine Vernunft. In diesem Zustand konnte er aggressiv werden. Was nun? Er musste einen seiner Stammesgenossen finden, damit er seine Rolle übernahm. Knurrend humpelte er weiter, als er wenig später auf ein Pferd stieß. Genbu sass im Sattel. Er hatte sich von den Prinzen abgesondert und war einer Spur nachgegangen, die alle anderen als unbrauchbar verworfen hatten.

„Hallo, Dolon. Du hast uns ganz schön an der Nase herumgeführt, vor allem bei der Lichtung, von der drei Wege abzweigen. Die Jäger sind überall versprengt. Bemerkenswert. Dolon?"
 

Er stieg ab und kam auf den Silberfuchs zu (Anm. d. Autorin: Silberfüchse unterscheiden sich von irdischen Füchsen nicht nur in der Fellfarbe. Sie sind ungefähr so groß wie Wölfe und kräftiger gebaut). Stimmte etwas nicht mit ihm? Warum antwortete er nicht? Das Tier ließ ein dumpfes, bedrohliches Grollen hören und bleckte die spitzen Zähne. Da war definitiv etwas nicht in Ordnung, seine Instinkte dominierten!

„Euer Hoheit!" Gerade, als Dolon zum Sprung ansetzen wollte und Genbu erschrocken zurückwich, sprang Iras dazwischen. Er war seinem Herrn gefolgt, von einem unguten Gefühl gesteuert und sah seine Ahnung bestätigt. Er wehrte die Attacken des Fuchses mit seiner Klinge ab und redete auf ihn ein, merkte aber, dass es keinen Sinn hatte. Da entdeckte er das blutende Bein. „Was ist mit ihm?"

„Er hat sich irgendwo verletzt und hat Angst vor uns, deshalb reagiert er so aggressiv. Magische Geschöpfe wie er, die keinen Hüter besitzen, zu dem sie ein seelisches Band geknüpft haben, verfügen über wenig Kontrolle über ihren vernünftigen Geist, wenn sie in Gefahr sind. Bewegt Euch nicht, mein Prinz. Lasst mich das machen."

Er senkte das Schwert und sprach sanft und ruhig mit Dolon, obwohl dieser immer noch wütend dreinschaute und sein furchteinflößendes Gebiss zeigte. Iras hatte Erfahrung mit solchen Raubtieren, war doch sein Wolborg niemand anderes als der Rudelführer sämtlicher Wolfsmeuten, die in Eden verstreut lebten, sozusagen ihr König. Inzwischen waren auch Seiryuu, Suzaku und Byakko eingetroffen und Driggers Hüter fiel seinem Freund um den Hals, was bei dem Blondschopf eine unerklärliche Nervosität auslöste.

„Wie bin ich froh! Wir hörten ein lautes Knurren und fürchteten schon, dir wäre etwas zugestoßen! Aber dir ist nichts passiert! Ich war so in Sorge!" Er vergrub sein Gesicht in der goldenen Pracht und sog einen betörenden Duft in seine Lungen....wie das Meer....genau wie das Meer....Er war so erleichtert, dass es kaum zu beschreiben war, während ihre Kameraden dabeistanden und die bezaubernde Szene beobachteten. Genbus Wangen glichen blühendem Mohn, auch wenn er nicht genau wusste, woran das lag. Etwa an Byakko? Nein, unmöglich! In der Zwischenzeit hatte Iras den Fuchs mit einem Zauber betäubt und hob ihn jetzt hoch.

„Er muss verarztet werden, sonst könnte Schmutz in die Wunde gelangen und er könnte an Schmerzblut erkranken (der Eden-Name für eine Blutvergiftung). Ist Euch nichts geschehen, Euer Hoheit?"

„Nein, du bist rechtzeitig eingeschritten. Hab vielen Dank, das war sehr mutig von dir. Nicht jeder dürfte es freiwillig mit einem zornigen Silberfuchs aufnehmen, unabhängig davon, wer gerade bedroht wird. Du hast dich bewiesen - wieder einmal. Ich werde es nicht vergessen."
 

Es war Abend geworden. Dolons Bein war verbunden worden und er hatte sich zu späterer Stunde bei Aquarias Herrscher entschuldigt. Nach der Jagd hatte man die Wettkämpfe im Bogenschießen abgehalten und war nach der Siegerehrung zum gemütlichen Teil des ersten Turniertages übergegangen - ein illustres Abendessen mit Musik und Tanz. Zu diesem Anlass durfte man sich entsprechend kleiden, sodass Suzaku wie gewöhnlich sämtliche Blicke auf sich zog, missbilligende wie anhimmelnde: rote Hose, schwarze kniehohe Stiefel und ein Oberteil, das aus locker zusammengefügten Phönixfedern gefertigt war, die rot-orange-golden leuchteten und seine nackte Haut darunter erkennen ließen, denn dieses luftige „Hemd" war netzartig geknüpft. Das lange Haar war offen, die beiden kräftigen Oberarme zierten goldene Reifen.

„Hast du nicht irgendwas gefunden, das noch weniger Stoff hat?"

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, By? Ist es meine Schuld, dass die meisten sabbernd zusammenbrechen, sobald sie mich sehen? Solange ich meinen Körper noch nicht verstecken muss, zeige ich her, was ich habe!"

„Keiner aus unserem Volk ist hässlich anzusehen, das weißt du, selbst im hohen Alter nicht. Aber es ist schon dunkel. Ist dir nicht kalt? Und nenn mich nicht ‚By‘!!"

„Ob mir kalt ist? Wir sind hier in Pyrodes, du Scherzkeks! Hier sinkt die Temperatur nicht einmal im Winter unter zwanzig Grad!"

„Trotzdem ist das viel zu viel Haut."

„Sol hatte heute noch weniger an als ich und bei dem hast du dich nicht beschwert - im Gegenteil, du hast ihn angestarrt!"

„Das ist was ganz anderes!"

„Das ist nichts anderes. Doch bei Sol ist das nichts Neues, der geistert garantiert in mehreren Fantasien herum. Viel interessanter ist Genbu, findest du nicht, By?"

„Lass diesen albernen Spitznamen! Und was meinst du eigentlich? Er und ich sind nur gute Freunde....anders als du und Seiryuu."

»Ah, Erdwächter und ihr Mundwerk! Sagen nicht besonders viel, aber wenn, dann spürt man es bis in die Eingeweide! Musste er mir das jetzt auf die Nase binden?!«

„Suzaku?"

Er drehte sich um und ein Kloß formte sich in seiner Kehle. Da stand er, der Mann, den er liebte. Eine leichte Brise spielte mit seinem Haar, das blaue Hemd mit dem Brustausschnitt und den weit fallenden Ärmeln, die weiße Hose und die offenen Schuhe sowie der Federohrring schufen ein berückendes Bild. Er lächelte liebenswürdig und schien gar nicht auf die Wirkung zu achten, die er auf seinen Gegenüber hatte.
 

„Ich möchte dir gratulieren."

„Bitte? Wozu?"

„Weil du alles so wunderbar organisiert hast. Ich verliere bei solchen Sachen immer den Kopf und vergesse so vieles. Ohne Boreas wäre ich bei derartigen Veranstaltungen wirklich verloren, er ist mir stets eine große Hilfe."

„Da hat er was mit Sol gemeinsam. Ich hatte auch genug Chaos während der Vorbereitungen und er hat mich davor bewahrt, durchzudrehen. Übrigens, du....du, ehm, siehst sehr schön aus."

„Findest du? Vielen Dank. Du auch."

Sie schwiegen sich eine Weile verlegen an und Byakko nutzte die Stille, um sich diskret zu entfernen. „Würdest....würdest du mir diesen Tanz schenken?"

„So nervös, Suzaku? Das bin ich nicht gewohnt. Was beschäftigt dich?"

»Du.« wollte er antworten, aber er brachte es nicht fertig. Seiryuu reichte ihm ohne ein weiteres Wort die Hand und sie begaben sich zur Tanzfläche. Der Ballsaal des Palastes war herrlich geschmückt und unzählige Paare in bunten Gewändern wogten hin und her. Als der Prinz mit seinem Partner hinzutrat, verschwanden alle von der Tanzfläche und die Musiker stimmten eine romantisch-ätherische Melodie an. Es war ein altes Liebeslied Edens, und der Tanz der beiden war langsam, getragen, fast wie schwebend, losgelöst von der Realität. Die Lichter der Kerzen waren durch Magie kleiner geworden, als stünden sie kurz vor dem Erlöschen und die gesamte Halle hatte sich in einen fast unwirklichen, entrückten Ort verwandelt. Sie bemerkten niemanden um sich herum, bewegten sich nur miteinander, Hände und Augen begegneten sich in Berührungen und Blicken, deren stumme Botschaft nur sie allein begreifen konnten.
 

O môr henion i dhû:

(Durch die Dunkelheit verstehe ich die Nacht:)

Ely siriar, êl síla

(Träume fließen, ein Stern leuchtet)

Ai! Aníron Undómiel

(Ah! Ich begehre Abendstern)
 

Tiro! Êl eria e môr.

(Schau! Ein Stern erhebt sich aus der Dunkelheit.)

I ‘lîr en êl luitha ‘uren.

(Das Lied des Sterns verzaubert mein Herz.)

Ai! Aníron...

(Ah! Ich begehre...)
 

Die Musik verstummte und Phönix und Drache blieben versunken ineinander stehen. Sie sprachen nicht, dachten vielleicht nicht einmal, so gefangen waren sie im Blick des anderen. Suzakus Herz raste gegen seine Rippen, sein Mund wurde trocken. Sollte er es ihm nun endlich gestehen? Seine Gewandtheit verließ ihn, und er spürte es mit Entsetzen. All seine Eroberungen halfen ihm nicht, sich in diesem Kampf als siegreich zu erweisen. Oberflächlich zu lieben, war nie ein Problem für ihn gewesen....aber wirklich zu lieben, wirklich zu begehren, dem war er nicht gewachsen. Seiryuu war starrköpfig und konnte arrogant sein, zweifellos - aber seine Tapferkeit und sein starkes, aufopferungsvolles Herz waren ebenso ein Teil von ihm wie seine negativen Eigenschaften. Stürmisch, widersprüchlich und faszinierend. So war er. Wie der Wind. Seine Sehnsucht schnürte ihm die Kehle zu.

»Sprich!« flehte das Herz des Drachen. »Sag mir, was du fühlst! Überwinde deinen Stolz, deine Angst! Sag nur ein Wort, und ich werde dein sein, für immer! Ungestüm, wild, wie das Feuer....und doch brennt nicht nur das Inferno. Da ist auch die kleine, nutzbringende, wärmende Flamme, die Schutz vor der Kälte und der Dunkelheit bietet. Ich weiß, dass nur wenige das in dir erkennen, aber ich gehöre zu ihnen! Sprich!«

„Danke, Meister. Das war großartig", wandte sich Suzaku mit heiserer Stimme an den Dirigenten und dieser verneigte sich geschmeichelt. Halb betäubt verließ er die Tanzfläche, während Seiryuu zurückblieb und ihm traurig nachsah. Die übrigen Gäste versammelten sich wieder auf dem Parkett, ohne dass der Blauhaarige darauf achtete. Boreas eilte zu seinem Herrn hinüber und legte ihm vertrauensvoll eine Hand auf die Schulter.

„Grämt Euch nicht. Ihr seid verwirrt und unsicher, ich weiß. Es ist nicht einfach, zu seinen Gefühlen zu stehen, es erfordert viel Mut. Ihr werdet ihn finden und er auch. Habt Geduld, er ist ein schwieriger Fall. Bewahrt Euch Eure Zuversicht. Ich bin davon überzeugt, dass er von selbst zu Euch kommen wird, wenn er soweit ist....und welche Fragen Euch auch jetzt noch quälen mögen, seid versichert: Er wird Euch lieben!"

„Boreas....ich danke dir."

„Mein Prinz." Er verbeugte sich lächelnd und tauchte in der Menge unter. Der Hüter von Dragoon gesellte sich zu Genbu, der, bewusst oder unbewusst, den tanzenden Byakko beobachtete und begann ein Gespräch mit ihm.

»Es stimmt, ich sollte nicht betrübt sein. Ich kenne Suzaku, man darf ihn nicht drängen, sonst stellt er auf stur. Und weshalb sollte ich es auch tun? Wir haben Zeit....so viel Zeit....«
 

~~ Aus den Chroniken von Eden: „Dies geschah im Jahr 8 der Ersten Ära des Dritten Zeitalters, wie es von mir, Zaubermeister Diomedes, aufgeschrieben wurde. Mein letzter Eintrag ist datiert im Jahr 12 der Ersten Ära des Dritten Zeitalters, als Hades erschien und Eden fiel. Das Böse zerstörte die Zeit, die uns geblieben wäre. Ich war dabei, als eine junge Liebe zu Grabe getragen wurde und unsere Heimat unterging. Mögen jene, die dies lesen, erkennen, dass unsere Zeit zu wertvoll ist, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Wer Träume hat, soll versuchen, sie zu verwirklichen. Wer liebt, soll dazu stehen und dafür kämpfen. Es ist an uns selbst, etwas mit der Zeit anzufangen, die uns gegeben ist." ~~
 


 

Das Lied stammt aus dem Herr der Ringe OST zum ersten Film (die Szene zwischen Aragorn und Arwen), die Übersetzung des Elbischen war Englisch, ich habe es ins Deutsche übertragen. Nun zum nächsten Kapitel!

Geheimnisvoller Besuch

Kapitel 31: Geheimnisvoller Besuch
 

„Verzeihung?"

Die Krankenschwester sah von ihren Notizen auf und musterte den jungen Mann vor sich mit einem Lächeln. Er war hübsch und besass wunderschöne Augen und Haare von seltener fliederfarbener Tönung. Sein Japanisch hatte einen starken Akzent. Woher er wohl kam?

„Was kann ich für Sie tun?"

„Ich würde gerne einen Ihrer Patienten besuchen, Tala Iwanov."

„Mr. Iwanov liegt in Zimmer 308. Folgen Sie einfach der Beschilderung, es ist nicht zu verfehlen. Sind Sie ein Verwandter?"

„Nein, ein Freund. Ein guter Freund."

Bryan fand den Raum mühelos und trat geräuschlos ein. Tala lag in seinem Bett, das mit blütenweißen Laken bespannt war und wirkte so noch blasser als sonst. Der Trank aus den Blättern des Heiligen Baumes hatte seine äußeren Verletzungen bereits geheilt, aber er war noch immer nicht bei Bewusstsein. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich leise. Sein Blick ruhte traurig und schmerzvoll auf der regungslosen Gestalt und er griff unbeholfen nach der kühlen Hand, die auf der Decke lag. Er selbst war zwar endlich von seiner lebensgefährlichen Wunde genesen, die Iras ihm beigebracht hatte, aber er wusste sehr genau, dass er noch nicht fit genug war, um einen Kampf bestreiten zu können. Im Bett daneben schlief Enrique; seine Zuckungen hatten aufgehört und seine durch das Malitia-Metall vergiftete Verletzung besserte sich allmählich. Mariam hatte bei ihm übernachtet, bis er das Gröbste überstanden hatte und Bryan war ihr im Foyer begegnet, als sie ins Hotel zurückgekehrt war. Er war sich sicher, dass ihre Sorge nicht einfach daher rührte, dass er ein alter Kindheitsfreund war; er vermutete ein wenig mehr dahinter als die Italienerin zeigte, aber er würde das beileibe nicht aussprechen. Versonnen strich er durch Talas rotes Haar und ein schmales Lächeln erhellte seine abgespannten Züge. Er küsste sanft die Hand, die er hielt, und flüstere: „Ich weiß, dass du mich nicht hören kannst, aber vielleicht spürst du, dass ich da bin. Wie sehr hoffe ich, dass du das Böse in deinem Herzen besiegen konntest. Während all der Zeit, die du unter Hades‘ Einfluss standst, habe ich gelitten, auch wenn sich das noch so kitschig anhört. Es ist mein Ernst. Ich möchte dir so viel sagen....und nicht einmal jetzt bringe ich genug Mut auf. Warum ist es nur so schwer, zu seinen Gefühlen zu stehen?"

**Weil Gefühle eine komplizierte Angelegenheit sind**, ertönte die Stimme von Falborg und der Falke erschien in einer verkleinerten Form auf Bryans Schulter. Er streichelte seinem alten Freund durch das Gefieder und nickte zu seinen Worten.

„Du hast recht. Aber manchmal würde ich mir wünschen, es wäre nicht so. Die Wissenschaftler behaupten zwar immer, Gefühle seien nichts weiter als chemische Reaktionen, und das mag stimmen, aber das ändert nichts an den Kräften, die sie hervorrufen. Liebe, Verlangen, Neid, Hass....all das kann zu tapferen wie auch gefährlichen Taten führen. Ich frage mich....wenn ich damals mutiger gewesen wäre....wenn ich Iras meine Liebe gestanden hätte....ob dann nicht alles anders gekommen wäre...."

**Du meinst, weil er in dir Trost hätte finden können? Ich weiß es wirklich nicht. Aber vielleicht wäre der Riss in seinem Herzen nicht so tief geworden. Doch du hast geschwiegen und die Dinge, die geschahen, sind längst Vergangenheit. Deine Wiedergeburt gibt dir allerdings eine neue Chance. Wirst du Tala deine Gefühle diesmal offenbaren?**

„Das werde ich. Auch wenn er sich noch zu Tyson hingezogen fühlen sollte, werde ich es ihm sagen. Es muss sein, ich trage es schon viel zu lange mit mir herum. Es ist seltsam, Falborg, ehrlich. Seltsam und erschreckend, dass man ausgerechnet vor der Liebe so viel Angst haben kann. Auch sie ist ein zweischneidiges Schwert. Es gibt Menschen, die andere Menschen töten, um jemanden zu schützen, den sie lieben. Liebe als Mordmotiv. Ich glaube nach wie vor, dass die große Liebe existiert, dass man mit einem Menschen sein ganzes Leben lang zusammenbleiben will. Aber Liebe ist nicht immer schön und sie kann genauso schlimme Folgen haben wie Hass oder Gier....Was war das?"
 

Er sprang auf. Der Himmel über der Stadt verdüsterte sich, es grollte dumpf in der Ferne und dicke, schwere Regentropfen begannen, aus dem schwarzen Wolkenmeer auf die Gebäude, Straßen und Passanten hernieder zu prasseln. Ein eisiger Wind pfiff an den Mauern vorbei und tanzte wild durch die Baumwipfel. Ein Wetterumschwung - nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches, aber Bryans Wächtersinne sagten ihm etwas anderes.

»Nein! Das Gleichgewicht der Elemente ist ins Wanken geraten! Ich spüre es ganz deutlich.... die Luft ist aufgeladen mit der Energie eines Sturmes! Dabei war es bisher ein so schöner, sonniger Tag! Der Umschwung ist viel zu abrupt! Verdammt!!«

**Ich rieche Gefahr....ein Gewitter ist im Anzug. Das gefällt mir nicht. Das scheint mir ein unnatürliches Wirken der Kräfte zu sein....das Gleichgewicht ist gestört. Wie ist das möglich?**

„Das liegt an dem Bruch zwischen Kai und Tyson. Deimos hat ihr Vertrauen ineinander zerrüttet und durch ihre unterschiedlichen Prinzipien, die im letzten Kampf aufeinanderprallten, ist die Kluft noch größer geworden. Das Problem ist, dass alle beide enorm stur sind. Dann ist Kai natürlich zu stolz, um als erster den versöhnlichen Schritt zu tun und Tyson hat zu viel Arroganz, er wird es auch nicht als erster tun, er erwartet es aber von Kai. Die beiden reden entweder aneinander vorbei oder sie streiten sich. Tyson scheint sich außerdem gefühlsmäßig immer mehr von Kai abzunabeln, und ich begreife das einfach nicht. Ich dachte, er würde ihn lieben! Und jetzt das!"

„Der Eis-Kuss....", murmelte jemand.

Der Lilahaarige schrak zusammen und drehte sich um. Tala war aufgewacht, seine eisblauen Augen blinzelten erschöpft und müde. Eisblaue Augen....keine schwarzen! Also hatte er gesiegt! Ein berauschendes Gefühl der Glückseligkeit durchströmte den Windkrieger und er lief an das Bett, ergriff erneut die schlanke Hand und schmiegte sie an seine Wange.

„Tala, du bist bei Bewusstsein! Es tut so gut, wieder einmal mit dir zu sprechen und nicht mit dem Mann, den Hades aus dir gemacht hat!" Er biss sich auf die Lippen, um die Tränen der Erleichterung und Dankbarkeit zurückzudrängen. Keine Wort der Welt reichten aus, um auszudrücken, was er in diesem Moment empfand. Qualvolle Erlebnisse lagen hinter ihnen beiden und dennoch hatte das Schicksal ein Einsehen. Der andere entschlüsselte nur langsam, wo er sich befand, und auch Bryan erkannte er zunächst nicht, obwohl die zärtliche Berührung warm und angenehm war. Als sich Begreifen in seinem Gesicht abzeichnete, wagte er ein schmales, ein wenig trauriges Lächeln.

„Bryan....du lebst noch....du bist gesund....!"

„Ja, unsere Freunde haben mich gerettet. Sie sind nach Eden gereist, um ein paar Blätter des Heiligen Baumes zu pflücken. Diomedes hat daraus einen Trank gebraut, der auch dir eingeflößt wurde, um deine äußeren Verletzungen zu heilen. Wie geht es dir?"

„Ich bin noch schwach....und ich sehne mich danach, wieder zu schlafen. Mein Körper ist so entsetzlich müde....Ich habe Iras vernichtet, aber sein Schatten lastet noch immer auf meiner Seele. Ich werde nie vergessen, was er getan hat oder was geschehen ist, während Hades‘ Gift mich kontrollierte. Wenn ich könnte, ich würde die Zeit zurückdrehen und verhindern, dass es überhaupt so weit kommt. Aber das ist unmöglich. Ich muss damit leben." Er gähnte unvermittelt. „Vielleicht besuchst du mich lieber morgen, ich bin total fertig."

„In Ordnung. Verzeih, dass ich überhaupt gekommen bin, das strengt dich sicher nur an."

„Rede nicht so einen Unsinn. Ich freue mich, dich wohlbehalten wiederzusehen. Es...." Er zögerte einen Moment. „....es war schmerzhaft für mich....als du verwundet worden bist....Das war das erste Mal, wo es mir gelang, Iras‘ Bewusstsein zurückzudrängen. Ich bin so dankbar, dass du lebst, Bryan. Ich dachte wirklich, du würdest....es nicht schaffen...."

„Aber ich habe es geschafft. Gräme dich nicht weiter, Tala. Ich gehe jetzt, damit du dich ausruhen kannst. Morgen komme ich dich wieder besuchen, versprochen!"
 

„Könntest du....Kai mitbringen?"

„Natürlich. Er wird sich sicher sehr darüber freuen, dass du aufgewacht bist."

Er verließ ihn und der Rothaarige war kurz davor, wieder ins Reich der Träume zu versinken, wo er sich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigen konnte, als ihn die unbewusste Äußerung, die er vorhin hatte verlauten lassen, durchfuhr wie ein Blitzstrahl. Der Eis-Kuss! Er hatte vergessen, davon zu erzählen! Und dabei war es doch so wichtig, dass die anderen über diesen Zauber informiert wurden - denn wenn Tysons Herz im Eis erstarrte und jede menschliche Regung in ihm erstarb (außer der aufgezwungenen Liebe zu Iras), würde das Gleichgewicht der Elemente zerbrechen. Für solche Fälle hatte es einst auf der Erde rettende Stützen gegeben, aber er wusste nicht, ob das auch heute noch zutraf. Er warf die Decke zurück und stand auf, sackte aber im gleichen Augenblick wieder zusammen und stützte sich auf dem Bett ab.

»Ich kann nicht....ich bin noch zu schwach. Verdammt, und mein Kopf dröhnt! Es hilft nichts, ich muss liegenbleiben. Ich kann immer noch nicht fassen, dass es vorbei ist....dass ich gewonnen habe. Aber all die Dinge, die Iras getan hat....werden mir die anderen je verzeihen können? Ich war nicht stark genug, um ihn zu unterdrücken. Ich hatte meinen Mut, meine Kraft, meine Hoffnung verloren. Meinetwegen wäre Bryan fast gestorben! Und Kai....! Er wollte Kai umbringen und ich habe ihn nicht aufgehalten! Wenn er nicht so unerschütterlich an mich geglaubt hätte, hätte ich wohl aufgegeben....endgültig. Und dennoch....ich habe zugelassen, dass das Böse in mir den zwei Menschen wehtut, die mir am allermeisten bedeuten! Meinem Bruder und meinem besten Freund! Wieso habe ich nicht besser gekämpft?! Wieso habe ich mich nicht mehr angestrengt?! War es die Angst? Der Stolz? Meine verletzten Gefühle? Meine Eifersucht? Alles zusammen? Ich mag Tyson noch immer - aber ich kann nicht erlauben, dass er sich in mich verliebt, denn die Quelle seiner Liebe wäre der Eis-Kuss, und das will ich nicht. Ich muss herausfinden, wie weit der Zauber bereits gediegen ist. Ich kenne das Gegenmittel zwar nicht, doch trotzdem muss ich die anderen warnen! Ich weiß! Ich werde nach der Schwester klingeln....«

Er ergriff den Klingelknopf und fünf Minuten später betrat eine freundliche Krankenschwester mittleren Alters sein Zimmer.

„Da sind Sie ja. Bringen Sie mir bitte ein Telefon!"
 

Garland trainierte in der Fitnesshalle des „Tokyo Palace". Sein langes Haar fiel offen um seine breiten Schultern und der Schweiß rann in Strömen über seinen muskulösen, sehnigen Körper. Er trug nur eine schwarze Jogginghose, sein Torso war komplett entblößt und er verteilte Faustschläge und Kicke auf dem Sandsack, der in seiner Halterung wild hin und her schlenkerte. Mystel sass auf einer Bank am Fenster und beobachtete ihn hingerissen. Er spürte ein Ziehen in seinen Lenden, während seine Augen auf der schönen Gestalt seines Liebsten ruhten und er hustete einmal lautstark, um seine Verlegenheit zu kaschieren. Er hatte in den frühen Morgenstunden einen ziemlich erregenden Traum gehabt und war sich nicht sicher, ob er sich nun schämen oder es hinnehmen sollte. Immerhin war Garland älter als er und hatte vermutlich schon Erfahrungen, und diese Vorstellung war irgendwie....irritierend. Der Hüter von Apollon war äußerst sexy und wusste es auch - das verrieten zumindest die vieldeutigen Blicke, die der andere in Mystels Richtung warf, denn ihm war nicht entgangen, wie der Ägypter ihn anstarrte. Die Atmosphäre hatte etwas unleugbar erotisches.

„Stimmt was nicht, mein Schatz? Du siehst so....erhitzt aus."

„Ich sehe erhitzt aus? Wer von uns beiden trainiert denn hier? Aber du hast recht, mir ist ein wenig....warm. Liegt vermutlich am Wetter...."

„Am Wetter....soso."

„Was willst du damit sagen?!"

„Überhaupt nichts. Wieso auch?" Der Blauhaarige lächelte dabei, doch es war kein harmloses Lächeln, sondern eines, das voller Verheißung war, verführerisch und fordernd. Mystel wurde knallrot und wollte antworten, als der plötzlich einsetzende Regenguss, der heftig gegen die Scheibe trommelte, ihn daran hinderte.

„He, gerade eben schien doch noch die Sonne! Ein Wetterumschwung?"

„Das ist eher ein Wetterumsturz. Merkst du es nicht? Die Schwingungen in der Luft....ich bin zwar kein Windwächter, aber trotzdem spüre ich gewisse Veränderungen. Da stimmt was nicht. Die elementaren Strömungen sind...." Der Blonde öffnete das Fenster und fing einige Regentropfen in seiner hohlen Hand. Kalter Wind schlug ihm entgegen und raubte ihm fast den Atem. „Du hast recht. Die magischen Ströme sind gestört. Da kommt ein Sturm auf. Glaubst du....glaubst du, dass das mit dem Zerwürfnis zwischen Kai und Tyson zusammenhängt, Gar?"

„Allerdings. Feuer und Luft sind uneins. Wenn sich das nicht bald ändert, dürfen wir uns auf was gefasst machen - Feuersbrünste, Vulkanausbrüche, Hurrikans, Orkane....als wenn wir nicht schon genug Probleme hätten!"

„Was ist mit den Stützen? Sie treten in Aktion, sobald das Gleichgewicht gefährdet ist."

„Das war die Regelung zur Zeit Edens. Ob die heute noch funktioniert, weiß ich nicht. Außerdem muss man würdig sein, um Pfeiler zu sein. Bis auf Hiro kenne ich niemanden, der die nötige Seelenkraft besitzt und er ist noch nicht geprüft worden, jedenfalls nicht offiziell. Ich denke, wir sollten mal mit Mr. Dickenson sprechen. Er müsste Bescheid wissen, ob das System der Pfeiler noch aktiv ist. Wenn ja, ist noch nicht alles verloren, obwohl es mir natürlich lieber wäre, wenn Feuer und Luft geeint wären."

„Das würden wir alle bevorzugen. Aber vorläufig stehen Kai und Tyson auf verschiedenen Seiten der Schlucht, die zwischen ihnen entstanden ist und nur sie selbst können sie wieder überwinden. Hoffen wir das Beste."

„Du willst nicht aufgeben?"

„Sei nicht albern. Wir sind so weit gekommen, haben Tala zurückgewonnen und Hades damit eine bedeutende Niederlage zugefügt. Nein. Wir haben keinen Grund, aufzugeben. Und schließlich bist du derjenige, der immer sagt, man müsse sich durchbeißen, egal, wie schlimm es auch aussieht!"

Garland schloss das Fenster mit einem Ruck und schlang seine starken Arme um Mystels schlanke Taille. „Das stimmt. Also - beißen wir uns durch!" Er senkte den Kopf, bis seine Lippen die seines Geliebten berührten und sie küssten einander, innig und tief.
 

Daichi weilte indessen im japanischen Stützpunkt des Ordens von Eden, dessen Eingang sich direkt unter dem Tokyo Tower befand. In seinem Hotelzimmer konnte er seine Zauberkräfte nicht erproben, ohne dabei etwas kaputtzumachen, und so hatte er den Aufenthaltsort gewechselt. Er trug sein dunkelgrünes Priestergewand, der goldene Schamanenstab lag vor ihm, und er hockte im Schneidersitz in einer großen Meditationshalle, die auch Diomedes manchmal benutzte. Die Wände waren natürlicher Fels, besassen aber mehrere kleine Tunnel, durch die Atemluft einströmte. Der Boden war mit traditionellen Tatami-Matten ausgelegt, die Helligkeit stammte von einer magischen Lichtquelle in Form einer leuchtenden Blume. Der Jugendliche war in eine Art Trancezustand übergegangen und schaffte es, seinen Körper durch bloße Gedankenmagie in die Höhe zu heben. Er schwebte eine Weile knapp über dem Boden, dann stieg er immer weiter hinauf und murmelte dabei irgendwelche kompliziert klingenden Zauberformeln.

„Yo! Hallo Daichi!"

Der Angesprochene riss erschrocken die Augen auf und erkannte einige Meter unter sich den vergnügt grinsenden Carlos. Ihm schoss das Blut in die Wangen, seine Konzentration löste sich und er stürzte ab. Der Spanier sprang in Sekundenschnelle hinzu und fing ihn geschickt auf.

„Carlos!! Es scheint deine Lieblingsbeschäftigung zu sein, mich beim Meditieren zu stören! Hast du nichts Besseres zu tun, als meine Übungen zu unterbrechen?! Woher weißt du überhaupt, dass ich hier bin? Und schau gefälligst etwas zerknirschter, du könntest wenigstens versuchen, Entschuldigung zu heucheln! Deinetwegen hätte ich mir fast sämtliche Knochen gebrochen, du Idiot!"

„Du bist wirklich süß, wenn du dich aufregst!" erwiderte der Gescholtene mit einem entwaffnend charmanten Lächeln und Daichi entwand sich errötend seinem Griff. „Eigentlich solltest du mir danken, denn ich hätte dich ja auch einfach fallenlassen können. Und wie sollte ich ahnen, dass dich meine bloße Anwesenheit so aus dem Konzept bringt?"

„Du - bringst - mich - nicht - aus - dem - Konzept!!" stieß der Jüngere hervor, jedes Wort einzeln betonend. Dennoch hörte er sich nicht so überzeugend an, wie er es geplant hatte und Carlos‘ übermütiges Zwinkern machte ihm klar, dass sein Schwarm ihm keinen Glauben schenkte. „Du bist doof!" erklärte er verstimmt und zog einen Schmollmund. Er glich in diesem Moment zum ersten Mal seit langer Zeit wieder dem Lausbuben von vor sechs Jahren und wirkte weniger ernst, sondern viel heiterer, fröhlicher. Die Verantwortung als zukünftiger Zaubermeister lastete schwerer auf seinen Schultern, als er zugab. Noch hatte er die Weihe nicht empfangen, die ihm sämtliche Amtswürden verleihen würde, aber dennoch wusste er um die Tragweite der Aufgabe, die er als Diomedes‘ Schüler zu erfüllen hatte.

„Ich habe doch gesagt, du bist süß, wenn du dich aufregst", wiederholte der Spanier und strich ihm sanft durch das rote Haar. Er hatte die Ringe unter Daichis Augen bemerkt und fragte sich, wie oft der andere wohl diese Übungen durchführte, die ihm dabei helfen sollten, seine Kräfte zu kontrollieren. Gönnte er sich denn je eine Pause? Mr. Dickenson erwartete bei weitem nicht so viel Selbstaufgabe, aber Daichi lebte seine Bestimmung. Er war mit dem Herzen dabei und deshalb gab er sich so viel Mühe, auch wenn er sich häufig ein Training auflud, das er nicht bewältigen konnte. Trotzdem entschied sich Carlos, den hübschen Priester ein wenig abzulenken. Schließlich, wozu waren Freunde denn da? Er errötete ganz leicht. Freunde. Insgeheim wünschte er sich ja, er könnte für ihn ein bisschen mehr sein als nur ein Freund....
 

„Du musst mal raus und Spaß haben! Ich habe den Alten gefragt, wo du abgeblieben bist, und er hat mich gleich hierhergeschickt. Es ist wirklich toll, dass du so fleißig bist, aber du kannst deine Nase nicht ständig in magische Schriften stecken oder meditieren!"

„Den ‚Alten‘??? Sprich nicht so respektlos von meinem Meister!!"

„Entschuldige, tut mir leid. Meine Zunge ist wieder mit mir durchgegangen. Aber mal im Ernst: Wenn du so weiter schuftest, brichst du irgendwann zusammen und dann ist mit dir auch nichts mehr anzufangen. Gestern waren wir im Kino, das war doch sehr nett, oder nicht? Es war ohnehin eine ziemlich anstrengende Überzeugungsarbeit für mich, dich mal dazu zu bringen, deine Abendmeditation zu unterbrechen, um mit mir auszugehen. Momentan gießt es wie aus Kübeln, aber das heißt nicht, dass wir nichts unternehmen können. Kehren wir ins Hotel zurück und bladen eine Runde! Na, was hältst du davon? Ich würde mich gerne mal mit deinem Strata Dragoon messen und meiner Unda könnte ein ordentlicher Beyblade-Kampf auch nicht schaden! Einverstanden?"

„Du willst gegen mich antreten? Warum nicht? Ich würde gerne mal wieder bladen, ich habe so selten Gelegenheit dazu, seit meine Ausbildung zum Hohepriester begonnen hat. Und mit dir zusammen....du hast recht, ich sollte mich nicht überanstrengen. Lass uns...." Die Schiebetüren, die den Raum vom Korridor trennten, wurden plötzlich geöffnet und eine vermummte Gestalt spitzte herein. Das schmutzig-braune Regencape verdeckte ihren Körper und die Kapuze warf einen Schatten über ihre Gesichtszüge.

„Verzeihung", erkundigte sich die Person mit einer männlichen Stimme, „Darf ich fragen, wo sich Mr. Dickenson alias Diomedes zur Zeit aufhält?"

„Kommt darauf an, wer das wissen will!" entgegnete Carlos misstrauisch und holte sein Beyblade hervor, um sich notfalls verwandeln zu können. „Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen? Das hier ist ein geheimer Stützpunkt!"

„Woraus folgt, dass ich kein Feind sein kann, nicht wahr? Beruhige dich, Kumpel, ich bin selbst vom Zaubermeister herbeizitiert worden. Nur hat er in seiner Zerstreutheit vergessen, mir seine Tokyoter Adresse zu verraten. Wo finde ich ihn?"

„Im Tokyo Palace-Hotel, Zimmer 116. Klopfen Sie dreimal."

„Vielen Dank."

Der Fremde verschwand eben so rasch, wie er aufgetaucht war und der Schwarzhaarige musterte den Japaner verwirrt. „Warum hast du es ihm gesagt? Kennst du den Typen?"

„Nein. Aber Diomedes hat mir von dem Besuch erzählt, den er heute erwartet. Sollte er sich an mich wenden, sollte ich ihm sofort mitteilen, wo er meinen Lehrer finden kann."

„Höchst undurchsichtig. Normalerweise können nur Wächter das unterirdische Quartier betreten, eine Ausnahme gibt es allein für die Priester. Außerdem, wie hat er das Tor zum Tunneleinstieg geöffnet? Er besaß keine magische Aura!"

„Ja, seine Aura war anderer Natur. Menschlich. Aber nicht durchschnittlich. Nein, ganz und gar nicht durchschnittlich. Da....war etwas...."

„Da war etwas, genau. Eine normale Aura mit dem Potential zur Magie, über die nur sehr, sehr wenige Menschen verfügen. Die Aura einer starken Seele. Wer war das?"

„Ich habe nicht die geringste Ahnung...."

Der Unbekannte stapfte unterdessen durch eine nasskalte, düstere Stadt, die mit ihren Wolkenkratzern und lärmenden, verstopften Straßen einmal mehr so anheimelnd wirkte wie eine pietätlos laute Leichenhalle mit dem Charme einer Grau in Grau getönten Zahnarztpraxis. Er eilte zu einer Haltestelle und stieg in den Bus ein, der gerade vorfuhr. Die abrupte Wetterveränderung hatte mehrere Ausflügler ziemlich negativ überrascht; überall sah man verärgerte und schlechtgelaunte Gesichter. Ein Gesicht allerdings war weder verärgert noch schlechtgelaunt, es zeigte vielmehr einen entschlossenen und beinahe kampfbereiten Ausdruck. Es war Hiro, der in Gedanken das Gespräch vorbereitete, das er mit seinem kleinen Bruder zu führen beabsichtigte. Er wandte dem verhüllten Beobachter den Rücken zu und so bemerkte er das Lächeln nicht, das den Mund des Fremden auseinanderzog.

„Hiro Kinomiya....", murmelte er leise, „....deine Zeit ist gekommen."
 

Im Kinomiya-Dojo herrschte trügerische Ruhe. Tyson, in das traditionelle Gewand eines Kendoka gekleidet, trainierte in der Schwertkampfhalle. Er hatte die Türen zum Garten hin aufgeschoben und der Regen begleitete seine Schläge mit rhythmischem Klopfen. Der eisige Wind, der hereinwehte, schien ihn nicht zu kümmern. Kai hatte es bisher vermieden, dem Blauhaarigen über den Weg zu laufen. Er war gestern erst gegen halb zwölf Uhr nachts zurückgekommen und hatte durchgeschlafen bis zum Mittag. Nun sass er in seinem Zimmer auf dem Teppich und spielte Schach gegen Suzaku, der sich in seiner durchsichtigen Seelenform, wie gewöhnlich in einem aufreizenden rot-schwarzen Outfit, auf dem Bett lümmelte und die Figuren mittels Gedankenkraft bewegte.

„Du bist dabei, zu verlieren, ist dir das schon aufgefallen? Du bist unkonzentriert, Kai."

„Suzaku...."

„Ja?"

„Glaubst du....glaubst du, dass Tyson mich nicht mehr liebt?"

„Ich weiß es nicht. Es scheint so, obwohl ich das nicht für möglich gehalten hätte. Aber letztendlich hat er mit Seiryuu eine Menge gemeinsam - unter anderem die Angewohnheit, seinen Kopf öfter als nötig in den Wolken zu haben. Sei war nicht weniger arrogant als Tyson es heute ist. Deimos hat einen Keil zwischen euch getrieben, doch das ist es nicht allein. Das Zerwürfnis war vorauszusehen. Und schließlich ist die Situation für euch beide nicht einfach, zumal du meinetwegen mit einer gespaltenen Seele herumläufst. Du hast zwar gesagt, dass du mich als Freund betrachtest, aber....sei ehrlich, Kai: Du nimmst es mir übel, dass ich noch existiere, habe ich nicht recht?"

„Ich schätze dich als den, der du bist."

„Du weichst aus. Du hast gelernt, mich zu mögen, gut und schön. Aber du akzeptierst mich nicht als einen Teil von dir. Das kann ich auch nicht von dir erwarten, dazu sind wir zu verschieden. Eines Tages werde ich dich verlassen und nicht wieder zurückkehren. Und du wirst mich bestimmt nicht vermissen."

„Vermutlich nicht. Du hast mein Leben umgekrempelt, mischst dich in Dinge ein, die dich nichts angehen, bringst meine innere Ordnung durcheinander - nein, ich würde dich wirklich nicht vermissen. Aber ich würde dich....nicht vergessen."

Kais nächster Zug wurde mit Bedacht ausgeführt und Suzaku bemerkte es wohlwollend. Er zog ebenfalls, schlug den Springer mit seiner Königin und meinte: „Du würdest mich nicht vergessen, hm? Das genügt mir. Wenn wir uns trennen, wird das kaum in großer Freundschaft geschehen. Dennoch bin ich der Meinung, dass unser Zusammentreffen für uns beide eine wichtige Erfahrung war."

„Das denke ich auch." Zielsicher bewegte der Russe seine Dame vor den gegnerischen weißen König und hob den Blick. „Schachmatt."

Das gefrorene Herz (Teil 1)

Sorry, dass ich erst jetzt wieder ein neues Kapitel hochlade....ich bin so schrecklich langsam....*seufz* *sich in Ecke stell und schäm* Dafür gibt's diemal auch zwei Teile auf einmal - für alle, die auf yaoi.de lesen, kann ich schon mal sagen, dass zumindest ein neues Kapitel in Arbeit ist! So, und nun genug der Vorrede, viel Spaß!^^
 

Kapitel 32: Das gefrorene Herz (Teil 1)
 

Der in ein schmutziges Regencape gewandete Fremde stieg eine Station vor Hiro aus und begab sich in Richtung des Tokyoter Stadtviertels Harajuku, das Teenager-Mekka schlechthin, in dem man sich mit Anfang Zwanzig bereits alt fühlte. Da es immer noch goss wie aus Kübeln, fehlte aber auch diesem sonst so farbenprächtigen Ort die übliche Begeisterung und die bekannte Lebhaftigkeit. Das einzig bunte waren die Regenschirme, die sich mühsam gegen den heftigen Wind stemmten. Niemand achtete besonders auf die vermummte Gestalt, die sich langsam an den Passanten vorbei schob. Er schlüpfte in ein kleines Café, das sozusagen den letzten Außenposten des altersmäßig etwas fortgeschritteneren Klientels des Viertels darstellte und hängte das Cape sorgsam an einen der Garderobenhaken. Der Raum für die Gäste war nur schummrig erleuchtet, aber mit dem stürmischen Wetter draußen und dem matten Licht im Inneren ergab sich ein gemütliches, anheimelndes Flair. Er näherte sich einer Nische mit einem Platz für zwei Personen, wo bereits derjenige sass, mit dem er hier verabredet war.

„Scheußlich, dieser Regen und vor allem der Wind. Man bekommt kaum Luft, wenn man direkt angeweht wird. Du hast dich geringfügig verspätet." Ein Paar grüner Augen blitzte hinter randlosen Brillengläsern hervor, die Stimme enthielt einen milden Vorwurf. „Solltest du nicht unterwegs zum Hotel sein? Mr. Dickenson erwartet dich."

„Natürlich, aber vorher habe ich mich bei dir gemeldet. Hätte ich dich versetzen sollen?"

„Wann wirst du endlich lernen, deine Verabredungen nicht so eng nacheinander zu legen? Dein Talent zur Tagesplanung ist katastrophal."

„Ich bin nicht gekommen, um über meine missglückte Tagesplanung zu sprechen!"

„Was du nicht sagst!"

„Spaß beiseite - du wärst nicht hier, wenn der Schutzgott von Aquaria dich nicht kontaktiert hätte. Mental, versteht sich....Telepathie ist ja nichts ungewöhnliches für Götter. Du wusstest doch, dass es passieren würde, oder? Mir graust vor der Prüfung, um ehrlich zu sein. Heilig oder nicht, kann man auch nur ahnen, was sich ein Drache, ein Phönix, ein Tiger und eine Schildkröte für Aufgaben ausdenken? Diomedes ist Mittelsmann, das ist so üblich. Bist du vorbereitet?" Sein Gegenüber nahm die Brille ab, fuhr sich durch sein dichtes kastanienbraunes Haar und schüttelte den Kopf.

„Kann man sich auf so etwas überhaupt vorbereiten? Das Zerwürfnis von Feuer und Luft war vorhersehbar, aber trotzdem hatten die Schutzgötter gehofft, unser Einsatz würde nicht nötig sein. Wir besitzen kein Wächterblut, wir sind normale Menschen, daher können wir unsere Pflicht nur als Einheit erfüllen. Hiro hat keine Ahnung, dass er würdig ist....und was Zeo angeht, der will mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben. Ich kann es ihm nicht verdenken." Er seufzte.

„Er hat keine Wahl. Ich werde ihn anrufen und ihn mir kaufen! Mir gefällt das alles auch nicht, aber im Moment ist das Gleichgewicht gestört und muss gestützt werden. Unsere Initiation als Pfeiler muss bald stattfinden, sonst bricht die Ordnung der Elemente zusammen. Und wenn das passiert....na, ich brauche dir nicht zu sagen, was dann los ist!"

Kenny schlürfte seinen Kamillentee und schwieg. Schon seit dem erneuten Zusammentreffen der Bladebreakers anlässlich der Weltmeisterschaft hatte er gewusst, was geschehen würde. Dizzy (eigentlich Dizzeira) war eine Kreatur aus dem Zeitalter Edens, eine Art körperloser Geist, der Informationen in sich aufsaugen konnte wie ein Schwamm, ein sogenannter „Archivar". Es gab einen für jedes Königreich, der die Bibliotheken bewachte, Wissen in sich verwahrte, dessen schriftliche Zeugnisse verlorengegangen waren und zum Wohle des Volkes seine Kenntnisse zur sinnvollen Verwendung anbieten konnte. Dizzeira war einst der Archivar von Aquaria und Hüterin der berühmten Triton-Bibliothek, denn das Reich des Wassers, beschützt von einer Tiergottheit, deren bedeutsamste Tugenden die Weisheit und Wissen im allgemeinen waren, galt immer als das Land mit den besten Gelehrten. Er hatte die Geschichte der vier Wächter gekannt, noch bevor Mr. Dickenson sie seinen Freunden erzählte. Er war dabei gewesen und hatte den Ahnungslosen gespielt, obwohl der Zaubermeister ihn während seines Berichts hin und wieder vieldeutig angesehen hatte. Er hatte seine Rolle nicht offenbart, sondern auf den Augenblick gewartet, da sein Einsatz unabwendbar sein würde. Und irgendwie schien es ihm, als sei dieser Moment viel früher eingetroffen als ihm lieb war....
 

„Gibt‘s hier ein Telefon?"

„Hä? Was hast du vor?"

„Blöde Frage. Ich rufe Zeo an, diesen alten Drückeberger! Drigger hat ihn als würdig erachtet, daran kann er nichts ändern!"

„Ich glaube, dass er Angst hat."

„Wer hat das nicht! Wenn du‘s genau wissen willst, ich könnte mir auch was Besseres vorstellen, als meinen Arsch in diesem Krieg hinzuhalten, nur weil Kai und Tyson aneinander vorbeireden und das Gleichgewicht der Elemente gefährden! Tatsache ist: Niemand kann die Prinzen ersetzen! Wir sind nur eine Notlösung! Wenn wir uns auch nicht einig sind, können wir uns gleich einen Satz Grabsteine bestellen!"

„Ozuma!!"

„Na, ist doch wahr....hast du seine Nummer?"

Kenny kramte in seiner Hosentasche und drückte dem Rothaarigen einen zerknitterten Zettel in die Hand, auf dem er sämtliche Telefonnummern der vier Würdenträger notiert hatte. Ozuma erkundigte sich bei einem der Kellner nach dem Fernsprecher und verschwand danach im Flur Richtung Toilette. Er schickte sich gerade an, den Hörer abzuheben, als schwarze Schatten über den Boden krochen und ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagten. Er schoss herum und aus der dunklen, schleimigen Substanz zu seinen Füßen erwuchs eine abscheuliche Kreatur von so atemberaubender Hässlichkeit, dass dem jungen Mann schier das Blut in den Adern gefror. Das Wesen besass den Kopf und die Vorderbeine eines Löwen, den Körper einer riesigen Ziege und den Schwanz eines Drachen. Seine Augen erglühten rötlich und aus den Nüstern stiegen Rauchschwaden auf, ein untrügliches Zeichen dafür, dass es Feuer speien konnte. Eine Chimäre!

„Du bist gekommen, um mich zu töten, habe ich recht?"

°°Genau!°° erwiderte das Geschöpf mit einer unheimlich klingenden, fremdartigen Stimme. °°Meister Hades wünscht nicht, dass die Pfeiler die Harmonie der Elemente bewahren! Die Kluft zwischen Feuer und Luft passt hervorragend in seine Pläne! Ich kann nicht zulassen, dass du und Draciels Erwählter am Leben bleibt!°°

„Da bin ich nicht deiner Meinung!!" Ozuma ging in Abwehrhaltung, verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg. Solange er nicht geprüft war, konnte er keine Magie benutzen und war diesem Monster ausgeliefert. Er biss sich auf die Lippen und ballte seine Hände zu Fäusten, das Gesicht zornverzerrt, bemüht, seine Angst nicht zu zeigen. Die Chimäre umrundete ihn wie ihr nächstes Beutetier und schien so etwas ähnliches wie Zittern und Zähneklappern zu erwarten, aber den Gefallen tat er ihr nicht.

°°Du bist furchtlos....oder hast zumindest den Schneid, deine Furcht zu verbergen, um dich nicht als Opfer zu präsentieren. Für einen Sterblichen durchaus beeindruckend. Doch das wird dir nichts nutzen!!°°

Die Kreatur holte mit einer ihrer gefährlichen Pranken aus und der Japaner sprang mit einem akrobatischen Überschlag außer Reichweite. Das Café war nicht gerade der beste Ort, um gegen einen Dämon zu kämpfen und Flucht war die einzige akzeptable Lösung. Als die Chimäre auf ihn zusprang, schnappte er sich den Hörer des Telefons und wickelte das Kabel in einem weiteren sportlichen Bravourstück um den fetten Hals der Bestie. Das verschaffte ihm genug Zeit, um zu Kenny zurückzukehren und zu verschwinden, obwohl er den verdatterten Computerspezialisten hinter sich her zerrte, ohne seine plötzliche Flucht zu erklären. „Was ist denn los mit dir?! Warte doch, ich habe meinen Tee noch nicht bezahlt!"

„Wenn wir bleiben, wirst du nie wieder irgendetwas bezahlen müssen! Wo ist deine Jacke? Los, zieh dich an, schnell! Und jetzt raus!!" Er warf sich sein Cape über und die beiden jungen Männer stürmten in den Regen hinaus, während der Kellner wegen der geprellten Zeche hinter ihnen her brüllte. Im Flur mit dem Telefon stand eine wutschnaubende Chimäre und hätte wohl in ihrem Frust das gesamte Gebäude abgefackelt, wenn nicht ein Herr im schwarzen Hosenanzug aufgetaucht wäre. „Erbärmlich.", lautete sein Urteil.

°°Verzeiht mir, Sir Deimos! Aber Seine Majestät hat mir befohlen, die Würdenträger sofort zu eliminieren!°°

„Das weiß ich. Allerdings bezweifele ich stark, dass er damit gerechnet hat, dass du dir einen öffentlich zugänglichen Ort dafür aussuchen würdest. Das ist nicht der geeignete Platz für einen Meuchelmord, du geistig minderbemittelte Fehlkreuzung! Aber so ist das nun mal...." Ein grausames Lächeln zog seine Lippen auseinander. „....wenn man etwas richtig gemacht haben will, muss man es immer selbst machen....!"

Ozuma war indessen so freundlich, Kenny die Situation zu schildern, begleitet von einigen deftigen Kraftausdrücken. Der Jüngere schob seine Brille nach unten, sodass seine grünen Augen blitzten; die Züge seines Gesichts waren ernst und entschlossen: „Hades weiß also Bescheid. Wir haben keine Zeit mehr, mein Freund. Wir müssen die Prüfungen ablegen, egal, ob wir darauf vorbereitet sind oder nicht. Wir müssen Zeo verständigen und mit Hiro sprechen - umgehend!"

„Erst einmal sollten wir Diomedes aufsuchen. Er wird uns alle weiteren Schritte erläutern. Und wann, wie und wo wir die Prüfung zum Pfeiler ablegen, hängt immer noch von den Schutzgöttern ab, vergiss das nicht." Er hob den Blick. „Der Himmel bewölkt sich immer mehr, er ist fast schwarz. Drück uns die Daumen, dass nicht demnächst ein Tornado über Tokyo hinwegfegt oder der Fujiyama ausbricht!"

Damit verschwanden sie in der dichtgedrängten Menschenmenge, während über ihnen das Gewitter tobte, das jede Sekunde schlimmer zu werden schien....
 

Hiro marschierte durch das Eingangstor des Dojos und betrat das Haus. Schon in der Diele hörte er, dass sein kleiner Bruder Kendo trainierte und seine Augen verengten sich.

»Nimm‘s mir nicht übel, Ototo....aber du hast einen Dämpfer nötig! Und ich werde es sein, der dir diesen Dämpfer verpasst!« Er schälte sich aus seinem nassen Mantel, schlüpfte aus den Gummistiefeln und eilte geradewegs in die Übungshalle. Er war mehr als überrascht, als er feststellte, dass Tyson die Türen zum Garten hin aufgeschoben hatte und sich nicht im mindesten um die Eiseskälte kümmerte, die Wind und Regen hereintrugen. Ihn fror es, trotz schwarzem Rollkragenpulli und zwei Paar Socken an den Füßen. Der Jüngere hatte ihn noch nicht bemerkt und so schloss er in einer fließenden Bewegung die beiden Türen mit einem deutlich vernehmbaren Geräusch. Tyson wirbelte herum und erkannte ihn.

„Du!" stieß er hervor und seine Stimme klang ätzend und angewidert. „Was willst du hier?! Mir wieder eine deiner Moralpredigten halten?! Danke, aber danke nein! Mein Bedarf daran ist reichlich gedeckt!!"

„Ich glaube einfach nicht, dass du derartig unverschämt zu mir bist! Was fällt dir ein, mich mit Gift und Galle zu bespucken?! Ich bin gekommen, um dir den Kopf zu waschen, wenn du‘s genau wissen willst - und offensichtlich bin ich keinen Moment zu früh aufgetaucht! Dein Benehmen gegenüber Kai, deine Schroffheit, deine kaltschnäuzigen Worte, deine Sorge um Tala, die ich in diesem Ausmaß, wie du es an den Tag legst, absolut nicht nachvollziehen kann....was denkst du eigentlich, wer du bist!?! Du trampelst doch sonst nicht mit einer solchen Brutalität auf den Gefühlen anderer herum!! Sicher, manchmal verletzt du deine Mitmenschen, wenn du mal wieder die taktlose Arroganz in Person abgibst und in höheren Sphären schwebst, aber diesmal genießt du es geradezu!! Keine Spur von Reue, von Einsicht! Du bist nicht von Natur aus boshaft oder gemein! Wieso führst du dich trotzdem so auf?!"

„Ich trample auf den Gefühlen anderer herum?! Das ist doch ein Witz! Wenn hier einer auf den Gefühlen anderer herum trampelt, dann ist das Kai!! Er wollte meine Freundschaft von Anfang an nicht haben und er hat keine Möglichkeit ausgelassen, um mich niederzumachen!! Ich verstehe selbst nicht, wie ich je romantische Zuneigung für ihn entwickeln konnte! Er ist ein Mistkerl, nichts weiter! Er hat mich wie den letzten Dreck behandelt....und seine ‚Das-geht-mich-alles-nichts-an‘-Einstellung nervt mich gewaltig!! Wenn er meine Liebe nicht will, soll er doch weiter in seiner vielgerühmten Einsamkeit vor sich hinvegetieren und seinen Hass nähren!! Ich bin ihm gleichgültig....also ist er mir auch gleichgültig! Wer braucht ihn schon, diesen herzlosen Bastard?! Ich jedenfalls nicht!!"

Hiros Hände hatten sich zu Fäusten geballt, doch seine Stimme war eigentümlich ruhig. „Ich sage nicht, dass du die alleinige Schuld an eurem Bruch trägst, denn erfahrungsgemäß gehören zum Streiten immer zwei. Aber diese totale Verurteilung Kais....und dein Gejammer, von wegen, er hätte dich wie den letzten Dreck behandelt....du weißt genau, dass das nicht wahr ist! Er hat dich zu keiner Zeit so behandelt! Bevor ihr Freunde wurdet, mag er dich verachtet haben, aber deine Würde hat er nie angetastet, weil du dich vor ihm bewiesen hast!"

Tyson musterte ihn hochmütig. „Du kapierst wirklich gar nichts!"

„Oh doch, ich kapiere sogar eine ganze Menge." Er umfasste das Kinn seines jüngeren Bruders und zwang ihn auf diese Weise, ihm in die Augen zu sehen, anstatt sein Gesicht abzuwenden. „Du hast entdeckt, wie bequem es ist, vor seinen Schwierigkeiten davonzulaufen und anderen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Du badest genussvoll in deinem Selbstmitleid, während du Kai vorwirfst, er haue dir seine mangelhafte Fähigkeit im Umgang mit Gefühlen wie einen nassen Putzlappen um die Ohren! Sag mir, wo ist da der Unterschied?!"

Keine Antwort. Nur ein Blick so voller Feindseligkeit, dass den Silberhaarigen beinahe sein Mut verlassen hätte, doch er riss sich zusammen. Er hatte schon kompliziertere Schlachten als diese hier geschlagen und gewonnen!

„Was erwartest du denn vom Leben?", fuhr er fort, den harten Blick zäh und entschlossen erwidernd, „Einen Himmel auf Erden, Lebensgenuss rund um die Uhr? Von morgens bis abends das große Glück, nur Zärtlichkeit, Liebe, Verständnis und Hilfe, wo immer du hinkommst, Erfolg bei allem, was du anfängst? Glaubst du im Ernst, das Leben wäre so eine Art Schlaraffenland, in dem dir das perfekte Glück in den Hals gestopft wird wie die gebratenen Tauben? Antworte!"
 

„Habe ich dir nicht gesagt, dass ich deine Predigten nicht mag? Wie lange willst du dich noch abmühen?" Damit schubste er ihn heftig zur Seite und begann wieder mit seinem Training, als wäre Hiro überhaupt nicht anwesend. Er holte mit seinem Holzschwert zu einem Hieb gegen einen unsichtbaren Gegner aus, als eine starke Hand die Übungswaffe packte und ihn stoppte. „Ich habe es satt, dir verbal Vernunft einzubläuen! Du willst nicht auf mich hören, also musst du fühlen! Ich fordere dich zu einem Beyblade-Match heraus!!"

„Pah! Und du denkst tatsächlich, dass du eine Chance gegen mich hast? Das ist ja lachhaft!"

„Wir werden sehen, wie lachhaft das wirklich ist!"

„Gut, wenn du unbedingt willst - ich ziehe mich nur schnell um. Warte auf der Terrasse."

Tyson stellte das bokuto in seine Halterung zurück und begab sich in Richtung seines Zimmers. Der Zufall wollte es, dass er Kai begegnete, der im Korridor beim Telefon stand und gerade den Hörer auf die Gabel legte. Er ging mit kalter Nichtachtung an ihm vorbei, ohne dabei zu bemerken, dass der Russe ihm einen ernsten und seltsam entschiedenen Blick zuwarf. Der Japaner eilte die Treppe hinauf und nach einer Weile folgte ihm der Ältere. Wenige Minuten später kehrte der Blauhaarige zurück, in Jeans und weißem Rolli, zog sich seinen Regenmantel über und Stiefel an und verstaute sein Blade in der rechten Manteltasche. Hiro, der sich ebenfalls in Mantel und Stiefel gewandet hatte, erwartete ihn wie verlangt auf der Terrasse. Die Bey-Arena befand sich im Garten und war noch mit einer Plane zugedeckt. Als Tyson sich anschickte, die Plane zu entfernen, erklärte der andere: „Nein. Es gießt wie aus Eimern, die Arena wird volllaufen. Der Garten ist unser Kampfplatz. Es sei denn, du hast Angst, die aufgeweichte Erde wäre ein zu großes Handicap für dich."

„Ich werde dir eine Lektion erteilen, Onii-san! Ich habe genug davon, dass du immer für Kai Partei ergreifst!!"

„Ich ergreife für niemanden Partei, außer vielleicht für den gesunden Menschenverstand, der dir in letzter Zeit abhanden gekommen ist! Nicht ich bin es, der eine Lektion nötig hat! Bist du bereit? LET - IT - RIP!!!"

Kai hatte indessen sein Zimmer aufgesucht und wuchtete seinen Koffer vom Schrank. Er angelte nach dem fast leeren Waschbeutel, der noch darin war und wühlte ihn gründlich durch, bis er ein viereckiges Schächtelchen mit Gesichtsfarbe zutage förderte. Im Bad tunkte er seine Finger in die Farbe und malte sich die blauen Zacken ins Gesicht, die er schon lange nicht mehr getragen hatte. Nun, da er ihre wahre Bedeutung kannte, besassen sie einen echten symbolischen Wert. Nur diesmal würde er nicht aus Rache kämpfen, sondern um den Mann zurückzuholen, den er liebte. Stumm betrachtete er sich im Spiegel und murmelte: „Der Eis-Kuss lässt sein Herz erkalten....ich danke dir, Tala."

Der Lärm des Gefechts tönte an sein Fenster. Die beiden Blades der Geschwister jagten sich über das nasse Gras und den Schlamm, wobei der braune Schlick in hohen Bögen durch die Luft spritzte. Es war Dragoon, der Metal Dragoon von einer Ecke in die nächste bugsierte und Tyson lachte hämisch. „Nicht mehr so selbstbewusst wie vorher, was, Bruderherz? Du springst davon wie ein verängstigtes Kaninchen! Ich werde dich besiegen, das schwöre ich dir!"

„Solange du bladest wie ein Besessener, solltest du lieber den Mund halten und keine leeren Versprechungen machen! Du bist nicht mehr du selbst, und dein Kampfstil ist Beweis genug! Du willst bloß gewinnen! Was ist mit dem Spaß, den dir das Bladen bringt? Jedes Match war ein wundervolles, großartiges Vergnügen für dich! Es ging dir nicht nur darum, zu siegen!"

„Schnauze!! Was weißt du denn schon?! Du bist es doch gewesen, der mich alleingelassen hat!! Ohne ein Wort, ohne eine Erklärung bist du einfach abgehauen, und es war dir scheißegal, wie einsam und unglücklich ich mich dabei fühlte!! Ich mach‘ dich fertig!!"
 

Die Kreisel prallten aufeinander und sprühten Funken, stießen sich gegenseitig ab und begannen erneut mit ihrer Verfolgung quer durch den gesamten Garten.

„Ich weiß, dass das falsch war!! Ich hätte dir die Wahrheit erzählen sollen, aber das durfte ich nicht, ich war durch einen Eid gebunden!! Ich leugne nicht, dass ich dich verlassen habe, aber ich musste es tun, um Vaters Nachfolge antreten zu können!! Ich habe dich nicht vergessen und immer an zu Hause gedacht, Ototo! Das musst du mir glauben! Du und Großvater seid meine Familie und ich liebe euch! Aber ich kann nicht erlauben, dass du dich in deiner Verblendung selbst vernichtest! Niemand, nicht einmal du, kann mir erzählen, dass du Kai nicht mehr liebst!! Ich weiß, was du für ihn durchgemacht hast, und ich weiß auch, was du im Innersten deiner Seele für ihn empfindest!! Du warst bereit, dein Leben für ihn zu riskieren und ich glaube nicht, dass man ein solches Gefühl einfach auslöschen kann!! Egal wie, Ty - aber ich werde dafür sorgen, dass du aufwachst!!"

Sein Beyblade schoss in die Höhe und krachte mit voller Wucht gegen Dragoon, der durch diesen Schlag ordentlich ins Trudeln geriet. Dennoch pendelte er sich aus und drehte sich weiter, um im Anschluss eine neue Attacke zu starten. Hiro wich ihm geschickt aus und wurde noch ein Stück offensiver. Metal Dragoon raste durch das aufgeweichte Erdreich wie über eine Rutsche und donnerte seinen Kontrahenten mit einem Knall gegen die Gartenmauer, wo er beim Aufprall einen Riss hinterließ.

„Das wirst du büßen!!" schrie Tyson außer sich und seine Augen veränderten sich langsam. Das warme Braun löste sich auf und ein kaltes Blau kroch in ihnen nach oben, als würden sie von einer Eisschicht bedeckt. Der Ältere sah es mit Schrecken.

„Ich wusste doch, dass irgendetwas mit dir nicht stimmt....bei dieser vermaledeiten Geschichte, in der wir hier stecken, sollte es mich nicht wundern. Trotzdem. Wenn du von unseren Feinden verzaubert worden bist, ändert das nicht viel. Auch ein Zauber braucht etwas, wo er einhaken kann, sonst wirkt er nicht. Der Zweifel muss schon vorher in dir vorhanden gewesen sein und du hast dich niemandem anvertraut, sodass er sich festsetzen konnte. Kaum etwas ist so gefährlich wie nagender Zweifel. Ich werde dir deinen Kopf stärker zurechtrücken müssen, als ich dachte! Besiege mich also - wenn du kannst!"

Dragoon, der nach seiner Tuchfühlung mit der Steinwand auf Windböen zu Boden gesegelt war, um sich weiterdrehen zu können, zischte mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf den anderen Kreisel zu und....wurde plötzlich zur Seite geschleudert. Ein drittes Beyblade hatte sich in den Kampf eingemischt.

„Wer wagt es....?!"

„Kannst du dir das nicht denken?"

Donner grollte und ein Blitz zuckte über den schwarzen Himmel. Das Licht erhellte die schlanke Gestalt in der Regenjacke, die auf der Terrasse stand und die Tür hinter sich zuschob. Das Spiel der Lichtreflexe warf einen gespenstischen Schein auf sein blasses Gesicht mit den blauen Zacken. Um den Hals hatte er seinen alten weißen Schal geschlungen, ungeachtet der Tatsache, dass er an vielen Stellen schadhaft oder sogar zerrissen war.

„Was soll das werden? Willst du dich etwa in Suzaku verwandeln und mich bestrafen? Tu mir einen Gefallen und erspare mir den Auftritt dieses Idioten!"

„Ich habe nicht vor, Suzaku zu bemühen, Tyson. Das hier....erledige ich auf MEINE Art."
 

In der Unterwelt saß Deimos in seinem Gemach, die Chimäre lag zu seinen Füßen und gab schnurrende Geräusche von sich. Er hatte einen magischen Spiegel beschworen, mit dem er jeden beliebigen Ort auf der Erde beobachten konnte und besah sich momentan die Szene im Garten des Kinomiya-Dojos.

»Iras hat uns mit dem Eis-Kuss einen großen Dienst erwiesen. Dank seiner wird das Gleichgewicht der Elemente bald kippen....und ich werde jene, die würdig sind, einen nach dem anderen auslöschen. Ohne die Stützen und die Einheit zweier Prinzen wird das Weltgefüge zusammenbrechen. Für Lord Hades wird es dann ein Leichtes sein, sich diesen Planeten Untertan zu machen!«

Seine Augen ruhten auf Hiro und so etwas wie Schmerz blitzte in ihnen auf, so rasch, dass man es für ein Trugbild hätte halten können, wäre das Zittern des Körpers nicht gewesen. Deimos unterdrückte ein Würgen und bettete eine Hand auf seiner erhitzten Stirn.

»Was ist in mich gefahren?! Alles in mir scheint sich zu verzerren und zu verkrampfen, wenn ich ihn sehe! Warum?! Er ist doch nur ein schwacher Mensch....aber nein, was rede ich da? Ich weiß, dass er stark ist, er hat es mich mehr als einmal spüren lassen! Es war mir nicht vergönnt, ihn zu unterwerfen....weshalb denke ich also immer noch an ihn!? Selbst wenn ich schlafe, taucht er in meinen Träumen auf und quält mich, weil ich ihn nicht berühren kann! Was für ein Zauberbann ist das, den er mir aufgezwungen hat?!«

Es klopfte und ein buckliger Kobold kam herein.

„Euer Exzellenz, ich soll Euch ausrichten, dass drei der vier Apokalyptischen Reiter eingetroffen sind. Sie warten auf ihren letzten Mann - auf Euch."

„Gut, ich komme sofort."

„Erlaubt mir, Euch zu Eurer Beförderung zum Krieger des Todes zu beglückwünschen!"

„Spar dir das Rumgesülze, oder ich werfe dich meiner Chimäre zum Fraß vor! Gewährt uns Seine Majestät eine Audienz?"

„Jawohl, Euer Exzellenz."

Der Kobold entfernte sich eilig, da die Chimäre ihn mit gierigen Blicken musterte wie ihre nächste Mahlzeit, und Deimos ließ sich von seinem Satyrdiener seine neue Rüstung anlegen, aus schwarzem Malitia-Metall gefertigt, auf der Brust mit den drei gezackten Blitzen in Silberfarbe bemalt, dem Symbol von Hades, das er auch in den Nacken seines Soldaten eingebrannt hatte. Bevor er ging, warf er einen letzten Blick auf Hiros schönes Antlitz und wischte den magischen Spiegel schließlich mit einer heftigen Handbewegung fort.

»Krieg, Hungersnot, Pest und Tod....seid versichert, dass der offene Kampf bald ausbrechen wird, Wächter von Eden! Die Finsternis wird triumphieren. Ihr könnt nicht gewinnen!«

Das gefrorene Herz (Teil 2)

Kapitel 33: Das gefrorene Herz (Teil 2)
 

Kai merkte nicht, dass eisiger Regen auf ihn hernieder prasselte. Er konzentrierte sich einzig auf den Kampf, der ihm bevorstand. Es würde wohl der schwerste Kampf seines bisherigen Lebens sein....wenn Tala die Wahrheit gesagt hatte, und daran gab es keinen Zweifel.
 

~~ RÜCKBLENDE ~~
 

Das Telefon läutete, schrill, aufschreckend. Kai, der sich gerade in der Diele aufhielt und anhand der Stiefel festgestellt hatte, dass Hiro zurückgekommen war, hob den Hörer ab.

„Hier bei Kinomiya?"

„Ich hatte gehofft, dich zu erreichen, mein Freund."

Die Augen des Russen weiteten sich. Seine Finger krampften sich um den Apparat. „Tala....! Du bist aufgewacht? Wie geht es dir?"

Am anderen Ende der Leitung zeigte sich ein trauriges Lächeln auf den Lippen des Rothaarigen. Keine Fragen. Keine Vorwürfe. Sein „kleiner Bruder" war einfach nur besorgt. Und das nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Nein, nicht zwischen ihnen, sondern zwischen Iras und Suzaku. Tala wusste sehr genau, dass er sich selbst lange nicht würde verzeihen können, mochten es auch seine Freunde getan haben. Doch dafür war jetzt keine Zeit!

„Hör zu, Kai: Als ich....als ich noch der Krieger des Zorns war und Tyson sich in meiner....seiner....Gewalt befand, hat er ihn mit einem Fluch belegt, der sich Eis-Kuss nennt. Wer immer mit dem Eis-Kuss berührt wird, dessen Herz erkaltet und sämtliche guten Gefühle werden aus dem Opfer getilgt. Übrig bleibt nichts außer negativen Erfahrungen, und eine aufgezwungene Liebe für denjenigen, der den Zauber angewendet hat. Der Eis-Kuss verstärkt auch die schlechten Eigenschaften eines Individuums, und wenn es verletzt worden ist, ist es besonders anfällig und gefährlich. Ich kenne das Gegenmittel nicht, aber ich glaube, du bist der einzige, der Tyson noch retten kann! Ich bin in Schwarzer Magie nicht sonderlich bewandert, aber als ich Hades diente, habe ich....hat Iras....viele Zauber benutzt, die diesem Bereich entstammen. Ich bin kein Experte, aber eins ist sicher: Kein Lebewesen überlebt einen Eis-Kuss, wenn der Zauber nicht vervollständigt worden ist. Iras hat mir gesagt, dass er Tyson noch einmal hätte küssen müssen, um seinen Organismus gegen die Kälte in seinem Körper resistent zu machen. In diesem Zustand wäre er für uns verloren gewesen - aber in seiner jetzigen Form ist der Eis-Kuss ungleich bedrohlicher, weil er ihn töten kann! Das darf nicht passieren! Ich bitte dich, Kai: Hilf ihm!"

„....Du....bist dir völlig sicher mit dieser Sache?"

„Würde ich sonst anrufen, obwohl ich mich fühle wie ausgekotzt?! Wo ist Tyson?"

„In der Trainingshalle. Hiro ist bei ihm. Ich glaube, er will ihm den Kopf waschen."

„Das sollte er nicht tun. Hiro ist nicht unbedingt in der besten seelischen Verfassung. Deimos hat ihn entführt und trotz seiner mentalen Stärke ändert das nichts daran, dass der Umgang mit diesem Psycho garantiert nicht angenehm war! Noch dazu ist dieser Bastard derjenige, der Brooklyns Körper besetzt hat. Hiro liebt Brooklyn und dann mit Deimos fertigwerden zu müssen, ist eine seelische Zerreißprobe. In diesem Zustand sollte er nicht mit Ty sprechen, er ist selbst zu verletzt, und wer verletzt ist, verletzt andere! Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Zwischen den beiden Brüdern ragt immer noch eine Mauer auf, das konnte ich spüren, als sie in der Unterwelt waren. Hades‘ Dimension macht negative Schwingungen deutlich.... irgendetwas ist da noch, eine Wand, die sie noch nicht eingerissen haben. Solange diese Wand vorhanden ist, können sie einander nicht wirklich helfen und vertrauen! Und deswegen bin ich davon überzeugt, dass nur du allein Tyson von Iras‘ Bann erlösen kannst!"

„....Warum?"

„Warum? Ganz einfach: Weil du ihn liebst."
 

~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~
 

Damit hatte er aufgelegt und Kai hatte dem monotonen Tuten eine Weile gelauscht, bis sein Verstand zu arbeiten begonnen hatte. Er war in sein Zimmer gegangen und hatte seine alte Bemalung aufgetragen....als Symbol für die nahende Herausforderung.

»Soll ich dir nicht helfen?«

»Nein. Das Angebot ehrt dich, Suzaku, aber das ist eine Sache, die ich alleine erledigen muss. Verstehst du das?«

»Ja, ich verstehe es. Besser, als du vielleicht denkst.«

Und nun stand er einem Tyson gegenüber, dessen Augen kälter waren als selbst die seinen. Sie hatten die Farbe gewechselt und glänzten blau, aber es war kein strahlendes, heiteres Blau, sondern matt, leblos, eisig. Vor langer Zeit war sein Blick ebenso gnadenlos gewesen. Ein Blick, unter dem alles und jeder in die Knie ging und zu wimmern anfing. Ein Blick, der nicht von Tyson getragen werden durfte.

„Hiro - ruf dein Blade zurück. Das ist eine Angelegenheit zwischen deinem Bruder und mir!"

„Ist das nicht zu riskant? Er ist nicht er selbst! Er könnte dich verletzen!"

„Das muss ich in Kauf nehmen."

Der Silberhaarige fügte sich widerwillig und pfiff auf zwei Fingern. Metal Dragoon drehte um und schoss auf ihn zu, bis er zum Stehen kam. Er hob den Kreisel auf und entfernte sich unter die Veranda, um den Kontrahenten Platz für den Kampf zu machen. Er fragte sich, ob er nicht zu hart zu Tyson gewesen war. Zum einen war da der Zauber, der ihn offenbar veränderte und die Tatsache, dass sie sich noch nie ausgesprochen hatten. Er hatte seinen Ototo allein gelassen, in einer Zeit, in der er ihn am nötigsten gebraucht hätte. Zwar gab der Jüngere sich vergnügt, fröhlich und aufgedreht, aber wer konnte schon sagen, was sich hinter dieser Fassade verbarg? Kai hatte seit jeher eine Maske nach außen präsentiert, eine stoische, unberührte Maske - und Tyson? Sicher, es war vielleicht die Maske eines Clowns....aber nichtsdestotrotz war es eine Maske. Wie sah er aus, wenn die Vorstellung vorbei war?

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Es gibt Jahre im Leben meines Bruders, die ich nicht kenne und ich bereue es zutiefst. Aber welche Wahl hatte ich denn? Ich musste Vaters Erbe antreten, das war meine Pflicht. Meine Eltern sind tot. Mein Bruder ist mir entfremdet. Mein Geliebter wird von einem Mörder kontrolliert und hat sich in einen Verrückten verwandelt. Allmählich reicht‘s. Ich wünschte, ich könnte das alles ungeschehen machen, aber das ist unmöglich! Immer wollte ich stark sein, um sämtlichen Anforderungen meiner Umwelt gerecht zu werden....und statt dessen bin ich gescheitert! Ich bin gescheitert!«

Seine Finger krampften sich um das Beyblade. Er biss sich auf die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken, die in ihm nach oben drängten. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte. Es musste eine Ewigkeit her sein. Er hatte stark sein müssen, eine Alternative hatte nie existiert. Gleichgültig, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, sich einfach nur fallenlassen zu dürfen, es war niemand da gewesen, der ihn hätte auffangen können. Niemand....ein eisiger Schauer rieselte ihm plötzlich über den Rücken. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Was zum Teufel....?! Er wandte sich um und der Dojo verwandelte sich vor seinen Augen in eine große, aber niedrig überdachte Halle, die im Inneren mit Feuern erhellt wurde. Er wusste kaum, wie ihm geschah, als er mit einem Mal inmitten dieser Halle stand und schattenhafte Gestalten in schwarzen Gewändern links und rechts von ihm in einer Reihe am Boden sassen und ihn anzustarren schienen, obwohl ihre Gesichter nur als schemenhafte Flächen im Halbdunkel erkennbar waren. Am Ende der Reihen zeichnete sich eine Silhouette gegen das Licht der Flammen ab, die ihm eigentümlich vertraut war. Ihm stockte der Atem, als die Person nach vorne trat und sichtbar wurde. Es war ein Mann mit kurzen dunkelblauen Haaren und braunen Augen, seine Haut war bronzefarben. Auch er trug schwarz; seine Kleidung war die modernisierte Version einer Ninja-Uniform.

„Vater....! Nein, das ist unmöglich! Du....du bist tot....!"

„Hast du gepackt?" lautete die unpassende Gegenfrage seines Gegenübers. Hiro blinzelte irritiert. Er erinnerte sich, dass er diese Unterhaltung schon einmal geführt hatte - kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag. Am folgenden Tag hatte er dann Tyson und seinen Großvater verlassen, um seine Bestimmung zu erfüllen....

„Ja, ich habe alles für meine Abreise vorbereitet." antwortete er daher beinahe automatisch. Mr. Kinomiya lächelte traurig, während er ihn musterte, als hätte er immer noch seinen jugendlichen Sohn vor sich und keinen jungen Erwachsenen.

„Du weißt, warum ich dich herrufen ließ, mein Junge?"

„Ja. Du bist krank und wirst bald sterben. Also muss ich dein Erbe antreten. So will es die Tradition der Krieger der Schatten. Der älteste Sohn folgt seinem Vater nach."
 

Die Krieger der Schatten - die Kage no Bushi - waren eine Geheimorganisation. Sie waren eine Mischung aus Samurai und Ninja, wobei sie bis zu einem gewissen Grad die Wertvorstellungen und Prinzipien der ersteren übernahmen und die Kampfkünste der letzteren. Sie waren die Krieger im Verborgenen, und ihre Aufgabe bestand darin, hochstehende Persönlichkeiten der japanischen Gesellschaften zu beschützen. Eine Art heimlicher Leibwächter, von dem die Öffentlichkeit nichts wusste und der die ihm zugewiesene Person vor allem bei Aufenthalten im Ausland begleitete, sie gegen sämtliche potentiellen Gefahren abschirmte und, sollte es von ihm verlangt werden, brisante Aufträge ausführte, die bei Unterstützung der Polizeikräfte anfingen und bei politischen Missionen aufhörten. Auch die kaiserliche Familie hatte Kage no Bushi in ihren Diensten. Die Position als solche war vererbbar. Auch sein Großvater war ein Krieger der Schatten gewesen, und er hatte strengstes Stillschweigen darüber bewahrt, wie der Ehrenkodex es vorschrieb, bis sein eigener Sohn mit zehn Jahren ins Ausbildungsalter gekommen war. Nicht einmal die engsten Familienmitglieder durften ins Vertrauen gezogen werden, da selbst dies eine Entlarvung hätte bedeuten können.

„Mir ist bewusst, dass ich dir damit eine große Last aufbürde, aber ich habe keine andere Wahl. Die Krankheit ist zu weit fortgeschritten. Doch vergiss eines nicht: Du wirst eine besondere Stellung einnehmen - denn eines Tages wirst du damit beauftragt werden, über deinen Bruder zu wachen. Lehre ihn, ein wahrer Beherrscher des Windes zu sein."

„Ich verstehe nicht...."

„Irgendwann wirst du es verstehen."

Das stimmte. Jetzt verstand er. Tyson war einer der Prinzen der vier Elemente - ihn zu beschützen und ihn zu einem Krieger zu formen, war seine Order gewesen. „Sie werden in das Leben Ihres Bruders zurückkehren, wenn das Böse nahe ist", hatte Mr. Dickenson ihm erklärt. Er war der Schutzbefohlene seines Vaters gewesen und daher eine Art Vertrauter - mit einem Unterschied: Im Gegensatz zu seinem Vater hatte er nicht gewusst, wer der alte Herr tatsächlich war. Eine bekannte Persönlichkeit und Leiter des Beyblade-Verbandes, gut und schön. Zwar konnte eine solche Person den Schutz eines Kage no Bushi für sich beanspruchen, aber in der Regel nicht den eines im Rang so hochstehenden Mannes wie sein Vater es gewesen war. Normalerweise wäre ein wichtiger Politiker oder vergleichbares in seinen Bereich gefallen. Er hatte das nie ganz begriffen. Wie hätte er ahnen können, dass die Krieger der Schatten und der Orden von Eden, zumindest dessen japanische Vertreter, in engem Kontakt standen, da er doch von der Existenz des Ordens nichts gewusst hatte? Hiro selbst hatte nach dem Tod seines Vaters seine Kampfkünste und Techniken trainiert und verbessert, um seinem Erbe gerecht zu werden. Er hatte drei Jahre lang im Schatten gelebt. Es gab keine Informationen über ihn, „Hiro Kinomiya" galt als vermisst, sogar als untergetaucht. An seiner Stelle erschien „Jin". Er mied das Licht und somit die Öffentlichkeit. Bis er den Befehl erhielt, seinen Bruder zu bewachen.

„Wenn das Böse nahe ist"....ja. Als es sicher war, dass all jene, die mit dem Kampf um das Schicksal der Welt zusammenhingen, an einem Ort zusammentreffen würden, trat er zum ersten Mal wieder aus der Dunkelheit hervor. Damals kannte er diesen Beweggrund, den Anlass dieses Befehles, natürlich nicht. Erst, als die Sache mit Eden begann, wurde es ihm klar.

„Beschützen Sie Tyson Kinomiya und formen Sie ihn zum Krieger. Suchen Sie Herausforderungen für ihn, die ihn zwingen, an seine Grenzen zu gehen." Deshalb hatte er sich auf die Seite der BEGA geschlagen, um eben diese Herausforderungen für ihn zu finden. Der konkrete Sinn all dessen war ihm verborgen geblieben, aber sein Instinkt hatte ihn erkennen lassen, dass er hier offensichtlich in einer Angelegenheit steckte, die um vieles größer war als er selbst. Und nach sechs Jahren hatte er endlich erfahren, warum man ihn ins Licht zurückholen wollte, warum er Tyson beschützen und trainieren sollte, warum sein Vater ausgerechnet Mr. Dickenson bewacht hatte....nur eines in diesem wohldurchdachten Gefüge war nicht so verlaufen, wie der Orden von Eden und Diomedes es sich vorgestellt hatten: Der Schattenkrieger verliebte sich nämlich in Brooklyn Masefield, die Reinkarnation von Deimos. Das war nicht vorgesehen. So viel zum vorherbestimmten Schicksal.
 

Hiro unterdrückte die schmerzvollen Erinnerungen. Kage no Bushi zu sein, verpflichtete einen zur Einsamkeit, verantwortungsvolle Aufgabe hin oder her. Wenn niemand von dir wissen darf, hast du nicht zu existieren. So einfach ist das. Man konnte aus dem Dienst entlassen werden, wenn man sich ein Leben im Licht wünschte. Aber ein Teil dieses Lebens würde für immer in Finsternis versunken bleiben....und häufig gelang einem die Flucht aus dieser Finsternis nie vollständig. Sein Vater lernte seine Mutter mit 25 kennen und lieben und beantragte daher seine Entlassung. Sie wurde ihm nur zögernd gewährt, denn er war einer der besten Männer der Organisation. Und wenn ein zu delikater Auftrag anstand, musste er sich darum kümmern. Sein Tarnberuf als Archäologe verschaffte ihm die Möglichkeit, unauffällig für längere Zeit zu verschwinden, ohne Verdacht zu erregen. Er ging immer schweren Herzens. Aber er ging.

»Genau wie ich. Ich wollte Tyson und Großvater nicht verlassen, aber ich hatte keine Wahl! Nur Opa wusste, was los war - warum ich gehen musste. Aber Ty....er war zehn Jahre alt. Er hätte mich gebraucht! Aber es war meine Pflicht - und ich hatte es Vater versprochen! Auf dem Totenbett habe ich ihm versprochen, seine Aufgabe weiterzuführen! Auch wenn es schwer für ihn war, er war stolz darauf, ein Kage no Bushi zu sein! Er empfand sich als einen der ‚heimlichen Hüter Japans‘! Wie hätte ich ihn enttäuschen, wie hätte ich ‚nein‘ sagen können! Und wie hätte ich die Tradition verraten können - eine Tradition, die mindestens zweihundert Jahre alt ist, und deren Grundstock die Samuraiprinzipien der alten Zeit sind! Wenn ein Krieger in den Konflikt zwischen Gefühl und Pflicht gerät, so entscheidet sich der wahre Krieger immer für die Pflicht! Das hat man mir beigebracht! So hat auch Vater gelebt - ehe die Liebe zu meiner Mutter sich als stärker erwies und er zum ersten Mal dem Gefühl nachgab und nicht seiner Pflicht folgte. Auch mein Schweigen fällt unter die Pflicht. Aber kann ich das verantworten, wo mein Bruder sich von mir entfernt? Es ist meine Schuld, dass er die Einsamkeit gespürt hat! Er wird mich niemals verstehen, wenn ich ihm nicht die Wahrheit sage! Er wird mir....niemals wirklich verzeihen! Ich will das nicht! Ich will das nicht!!«
 

Tränen sammelten sich in seinen Augen, er blickte zu seinem Vater hinüber. Wieso sah er ihn? War das eine Vision, die ihm helfen sollte, seinen weiteren Weg zu erkennen? Er wollte danach fragen, plötzlich jedoch schmolz Mr. Kinomiyas Gestalt zu einer schwarzen Pfütze zusammen und die anderen schemenhaften Erscheinungen zerfielen ebenfalls und flossen zu der Pfütze hinüber, der schließlich Deimos in seiner neuen Rüstung entstieg.

„D-du....!?!"

„Ja, ich. War das nicht eine wundervolle Illusion? Es ist richtig spaßig, in den Köpfen anderer Leute herumzukramen, um Erinnerungen herauszupicken, die sie lieber weg sperren würden. Hm, Tränen....ich habe noch nie gesehen, dass du weinst. Du wirkst auf einmal so verletzlich. Was ist los mit dir? Hat das Auftauchen deines toten Papis zu viel in dir aufgewühlt? Wie bedauerlich!" Er grinste hämisch. Endlich hatte er die Oberhand in einer Konfrontation mit diesem Menschlein! Großartig! Er näherte sich ihm und wischte einige der Tränen, die dem Silberhaarigen über die Wangen liefen, vorsichtig ab. Die braunen Augen beobachteten jede seiner Bewegungen, erfüllt von Schmerz und Qual. Das versetzte Deimos einen ihm völlig unerklärlichen Stich in der Brust, doch er ignorierte es.

„Ich hatte eine kurze Audienz bei meinem Gebieter. Er hat mir befohlen, dich zu töten. Oh, nicht nur dich. Kai und dein hochgeschätzter Bruder werden auch dran glauben müssen. Ihr Menschen seid so einfach zu überwältigen, wenn man eure Gefühle missbraucht, es ist herrlich! Ihr seid in der Tat eine schwache Spezies." fügte er eisig lächelnd hinzu. In seiner Hand materialisierte sich ein Beyblade.

„Kennst du das hier?"

„Aber das....das ist Dragoon! Wie kann das sein? Tyson hat doch damit gegen mich....!"

„Oh nein, hat er nicht. Ich habe ihm sein Blade abgenommen, als ich ihn entführte. Statt dessen habe ich eine Fälschung in seine Nachttischschublade praktiziert. Da sich der Kleine momentan geistig und seelisch in einem abgekapselten Zustand befindet, ist ihm das nicht aufgefallen. Er sieht nur das, was seine verzerrte Wahrnehmung ihn erfassen lässt."

„Das Blade, mit dem er kämpft....ist also nicht echt....aber da war doch....eine Kraft dahinter...."

„Natürlich. Fälschung ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich habe den Kreisel, mit dem er gegen dich antrat und den er auch gegen Kai einsetzen wird, mit einer Illusion ausgestattet, sodass er wie Dragoon aussieht. Aber es ist nicht Dragoon....sondern Zeus!"
 

Während Hiro seine unliebsame Begegnung mit seiner Vergangenheit und dem Krieger des Todes hatte, lieferten sich Kai und Tyson ein Gefecht wie in ihren besten Zeiten. Ihre Beyblades krachten aufeinander, dass helle Funken flogen und der aufgeweichte Boden war übersät mit tiefen Fahrspuren. Manöver der verschiedensten Art wechselten einander ab, Attacken, Sprünge, Defensiven, Ausweichen....sie schenkten sich nichts. Dennoch begriff der Russe sehr genau, dass sein Tyson sich nie auf diese Weise duelliert hätte - sein zornverzerrter Gesichtsausdruck hatte nichts gemein mit dem Spaß und der Begeisterung, die der Japaner sonst für seinen Lieblingssport mitbrachte; diesem Gegner, dem er da gegenüberstand, fehlte die himmelhochjauchzende Freude, der Enthusiasmus, die überströmende Kraft, die aus seinem Herzen stammte. Wie sollte er das auch aus einem gefrorenen Herzen schöpfen?

„Ty", rief er gegen das Tosen des Windes und das Prasseln des Regens an, „merkst du denn nicht, was mit dir geschieht? Iras hat dich mit einem Fluch belegt, der dein Inneres einfriert! Es ist nicht wahr, dass dich niemand liebt!! Der Eis-Kuss ist schuld daran, dass du das glaubst! Seine Magie verstärkt deine negativen Eigenschaften und Emotionen und begräbt das Gute und Positive unter einer eiskalten Schicht! Siehst du denn nicht, dass dieser Kampf ein Irrtum ist?! Bitte, du musst mir zuhören! Wenn du dich nicht gegen diese Kälte wehrst, wird sie dich umbringen!! Hast du kapiert?! Diese Kälte wird dich töten, wenn du sie nicht bezwingst!!"

„Sei still!! Wage es nicht noch einmal, Iras zu beleidigen! Er ist der einzige, dem ich je wirklich etwas bedeutet habe!! Seiryuu war für Suzaku doch nur ein Spielzeug und du hast mich für wertloser gehalten als den Schmutz unter deinen Schuhsohlen!! Du hast mich verletzt und mit meinen Gefühlen gespielt, genauso wie Hiro, der mich einfach alleingelassen hat!! Euch beiden war ich immer vollkommen egal!! Solange ich euch von Nutzen war, habt ihr mich geduldet, aber kaum war ich nicht mehr notwendig, habt ihr mich zurückgestoßen!! Weißt du, wie verdammt weh mir das getan hat?! Weder dich noch meinen verfluchten Bruder interessiert es, ob ich seelisch vor die Hunde gehe!! Ich werde euch niemals verzeihen....ihm nicht und dir noch weniger!! Ich habe mir tatsächlich eingebildet, dass ich einen Mistkerl wie dich lieben könnte - und du hast mich trotzdem immer wieder verletzt und unglücklich gemacht!! Ich hasse meinen Bruder, wenn du‘s genau wissen willst!! Und dich hasse ich auch!!!"

Er lachte. Es war ein boshaftes, durch und durch grausames Lachen. Kai ballte die Fäuste. Dieses schreckliche Lachen und die noch schrecklicheren Worte gingen ihm durch Mark und Bein. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.

„Ja! Ich weiß es! Ich weiß, dass ich dich oft verletzt habe!! Ich habe keine Entschuldigung dafür! Aber du musst verstehen, dass ich nun mal so bin, wie ich bin! Mein Hass und meine Verbitterung sind ein Teil von mir! In meiner Vergangenheit war ich von Finsternis umgeben, in der nur vereinzelte Lichter existierten! Du hast mich einem umfassenden, strahlenden Licht nähergebracht, von dem ich jahrelang geglaubt hatte, es würde mir auf ewig fremd bleiben!! Du warst mein erster ebenbürtiger Rivale, mein erster echter Freund außerhalb der Abtei, du warst der erste, der mir wahre Hoffnung geschenkt hat!! Durch dich habe ich gelernt, wieder an Dinge wie Freundschaft und Vertrauen zu glauben!! Damals, als ich dabei war, gegen Brooklyn zu verlieren, hat allein der Gedanke an dich genügt, um mir neuen Mut zu verleihen!! Die Zuversicht, dass du selbst im Geiste bei mir warst - mehr brauchte ich nicht!! Ich war nicht immer ehrlich mit meinen Gefühlen....und weil ich schon zu oft verletzt worden bin, habe ich mich an eine einzige Devise gehalten: Verletzte andere, bevor sie sich verletzen können!! Aber du hast begonnen, mich zu verändern, Tyson!! Ich hatte niemals Worte für das, was mir fehlte....DU hast mir Worte gegeben....für Geborgenheit, Wärme, Schutz, Familie....und für die Liebe!! Es ist richtig, Hiro und ich haben manches falsch gemacht....aber du irrst dich, wenn du dich für einsam und ungeliebt hältst!!"
 

Er schickte sich an, den herannahenden Angriff abzublocken, als die Präsenz in dem anderen Beyblade an Deutlichkeit und Stärke zunahm. Kai zuckte zurück und die Stimme des Phönix erklang in seinem Kopf: **Diese Aura....jetzt erst erkenne ich sie. Sie ist dunkel, bedrohlich....und stammt nicht von einem lebenden Wesen. Das ist nicht Dragoon!**

»Bist du dir sicher?!«

**Ja. Welche Kreatur es auch ist, die in diesem Blade steckt, sie ernährt sich von Tysons negativen Gefühlen und wird dadurch immer mächtiger. Das Wesen hat seine Aura lange unter Verschluss gehalten, um sich nicht zu früh zu verraten. Das ist sehr ernst, mein Hüter. Wenn es hervorbricht und dich attackiert....**

»....könnte es ziemlich gefährlich für mich werden? Das ist mir klar. Aber das bedeutet auch, dass Tyson keine Kontrolle mehr über die Kreatur haben wird und sie sich gegen ihn wenden könnte. Das darf nicht passieren!«

„Ich will deine lächerlichen Entschuldigungen nicht hören", erwiderte der Blauhaarige verächtlich. „Ich werde dich wegputzen wie nichts! Und danach ist Hiro an der Reihe! Ich werde euch für all das bezahlen lassen, was ihr mir angetan habt!!"

Aus seinem wild wirbelnden Blade, das auf Dranzer einschlug, quoll eine schwarze Wolke hervor, die sich unheilverkündend wie eine Gewitterfront zwischen den beiden Kontrahenten aufbaute. Der Regen wurde stärker, das Toben von Blitz und Donner noch furchteinflößender. Der Wind raubte einem den Atem; wie mit Eisnadeln stach er durch die durchnässte Kleidung in Kais Körper. In der schwarzen Wolke erschien die ungeschlachte Gestalt eines Löwen mit peitschendem Schwanz und riesigen Pranken. Er stieß ein markerschütterndes Brüllen aus und seine gelben Augen fixierten den Russen mit teuflischer Grausamkeit.

„Zeus....! Deimos‘ untote Bestie! Weg da, Dranzer!" Das Blade sprang auf Befehl direkt in seine Hand zurück und sein Besitzer gleich im Anschluss zur Seite, um einem Hieb der scharfen Krallen zu entgehen. Wenn das hier die Kreatur ihres Feindes war, wo war dann der Heilige Drache? Der Löwe spie ein kugelförmiges Geschoss aus schwarzen Blitzen aus und das erwählte Opfer rollte sich schnell aus dem Gefahrenbereich, während das Geschoss die hintere Gartenmauer zerlegte. Die blassen Finger krampften sich um das Beyblade. Nein! Er würde nicht sterben! Nicht so! Nicht jetzt! „FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!"

Die Verwandlung schützte ihn vor der nächsten Attacke und insbesondere vor der Witterung, denn als die Flammen sich senkten, umgab ihn ein sanftes rötliches Licht, das ihn gegen Wind und Regen abschirmte. Er schlug die Augen auf. Irgendetwas war anders als sonst. Er betastete den vergoldeten Brustpanzer, berührte den Umhang, strich sich über den Schopf seines langen Haares.

»Suzaku! Was hast du jetzt wieder angestellt?«

»Ich bin immer noch in deinem Bewusstsein, keine Sorge. Aber diesmal überlasse ich dir die Kontrolle. Du wolltest das hier alleine erledigen, soweit ich mich erinnere. Und das solltest du auch. Nicht ich kann Tyson zurückholen. Du musst es tun. Viel Glück.«

Der Graublauhaarige nickte entschlossen und zog sein Schwert. Zeus, der ein neues Geschoss abfeuerte, traf auf einen Flammenstrahl, der seine magische Waffe zurückdrängte und sie ihm selbst um die Ohren haute. Er brüllte wütend, als sein Fell und die schutzlose Haut darunter schwer verbrannt wurden. Der Japaner schien sich prächtig zu amüsieren. Er beobachtete den Schlagabtausch zwischen Bestie und Prinz mit offenkundig krankhaftem Vergnügen und sein Lachen klang noch härter und brutaler. Das Blau seiner Augen wurde noch dunkler und kälter. Er begriff nicht einmal annähernd, dass er ebenfalls auf der Liste des Todeskandidaten stand, für ihn zählte nur, dass Kai vernichtet werden sollte. Sein Herz war so gut wie komplett erkaltet, ein einziger Klumpen Eis.
 

Was war indessen bei Hiro und Deimos geschehen? Hades‘ treuer Gefolgsmann hatte die Illusion aufgehoben und nun befanden sie sich wieder in der Übungshalle des Dojos. Der Kendoka starrte noch immer auf das Blade in der Hand des Orangehaarigen und schluckte. Nur langsam wurde er des Kampflärms gewahr und als er hinauseilen wollte, hielt ihn der Krieger des Todes mit Schattenspiralen davon ab.

„Lass....mich....los!!"

„Oh nein, auf keinen Fall. Ich möchte nicht, dass du dich einmischst. Ich will derjenige sein, der dich tötet, nicht Zeus. Für die grobe Arbeit ist er recht nützlich, aber er versteht nichts von den Feinheiten. Pranke runter und Kopf ab - das ist sehr unelegant....und außerdem hinterlässt es eine scheußliche Sauerei." Er hatte einen makabren Humor, kein Zweifel. „Du sollst viel langsamer, qualvoller sterben....soll ich dir noch eine Illusion schenken? Wie wäre es mit dem Todestag deines Vaters?"

Er schnippte mit den Fingern und die Halle wurde zu einem Krankenzimmer, an das Hiro sich nur zu gut erinnerte. Sein Vater lag in dem ungemütlich anmutenden Bett, umgeben von mehreren Schläuchen und Maschinen. Er war blasser als ein Gespenst und hatte durch die Chemotherapie all seine Haare verloren. Leider war sie nicht richtig angeschlagen und der Tumor war operativ nicht mehr aus seinem Gehirn zu entfernen. Seine sprachlichen Fähigkeiten waren mittlerweile sehr eingeschränkt. Diesmal sah Hiro sich selbst als Fünfzehnjährigen durch die Tür hereinkommen. Er setzte sich an das Bett und wartete. Sein Vater musterte ihn und wagte ein schmales Lächeln. „Du....endlich da....Sohn....du mir versprechen....dass kämpfen, ja? Es ist große Ehre....Kage no Bushi zu sein....mir es war Ehre. Versprich mir, dass du....mir nachfolgen....hörst du? Versprich mir, zu erfüllen deine Pflicht....bitte...."

„Ich....ich verspreche es dir, Vater. Ich werde dein Erbe antreten! Vertrau auf mich!" Seine Lippen zitterten, silberne Tränen perlten über seine Wangen. Mr. Kinomiya fuhr ihm liebevoll durch das wirre Haar und murmelte: „Du....nicht wirst mich enttäuschen, ne? Ich weiß. Ich dir immer habe vertraut....mein Sohn...."

Die Hand in seinem Haar rutschte herunter und landete auf der Decke. Hiro presste sie in einer verzweifelten Geste an sein Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen. „Nein!!" schrie er außer sich. „Nein, das ist nicht fair!! Bleib hier, Vater!! Bleib hier!! Was soll ich denn Ty-chan sagen?! Was soll ich Opa sagen?! Lass uns nicht allein!! Komm zurück....komm zurück!!"

Die Illusion löste sich auf, nur seine Schreie hallten noch nach. Deimos grinste.

„Wie emotional du damals doch warst! Längst nicht so stark wie du es heute bist - oder jedenfalls vorgibst, zu sein. Na? Schmerzt es, sich daran zu erinnern?"

„Wieso zeigst du mir das!?" fragte der 24jährige mit halb erstickter Stimme. „Wieso muss ich das ein zweites Mal ertragen?! Bereitet es dir wirklich Freude, mich zu foltern?! Ob es schmerzt!? Und ob es das tut!! Ich wollte vergessen....und konnte es nicht. Ich habe keine Eltern mehr und für Tyson bin ich in meinem Kern immer noch ein Fremder. Der Mann, den ich liebe, ist in einen Mann verwandelt worden, den ich zu hassen gelernt habe! Ich will nicht mehr....ich kann nicht mehr....lass mich einfach in Ruhe...." Er fühlte sich so schwach wie noch nie in seinem Leben. Eine grausige, gnadenlose Qual höhlte sein Herz aus, die Tränen einer beängstigend leeren Existenz flossen aus seinen Augen. Er hatte keine Kraft mehr, um sich zu wehren. Sollte Deimos triumphieren....was kümmerte es ihn....er sank auf die Knie. Irgendwo in seinem Kopf ertönte eine Stimme, die er nicht kannte und die ihn in dieser Dunkelheit zu erreichen versuchte: **Gib mir ein Zeugnis deiner Kraft. Beweise, dass du meiner Wahl würdig bist. Zeige die Stärke deines Herzens in meinem Angesicht!**

Er sah eine bläuliche Silhouette vor seinem geistigen Auge. War das....ein Drache?

Das gefrorene Herz (Teil 3)

Hallo, liebe Leser! Ja, ein Update, kaum zu fassen! Warum das so lange gedauert hat? Also: *räusper* Diese FF wird nach dem 37. Kapitel, das bereits fertig ist, abgebrochen werden. Das liegt daran, dass ich mehrere FFs parallel schreibe und schlicht und ergreifend eine Pause brauche. Ich bin ausgelaugt. Wegen Studium und Praktikum/freiberuflicher Tätigkeit habe ich nicht mehr so viel Zeit, und wenn, dann verwende ich diese dafür, an meinem eigenen Roman zu schreiben. Zudem möchte ich, bevor ich mich wieder an dieses Mammutwerk namens The Balance of Creation wage, zuerst jene FFs beenden, die storytechnisch weitaus näher daran sind, fertig zu werden, als diese hier. Das heißt, dies ist ein

vorläufiger Abbruch. Ich kann also nicht sagen, wann genau es weitergehen wird, nur, dass es weitergehen wird. Ich hänge an allen meinen großen FFs und breche prinzipiell keine endgültig ab! Die restlichen Kapitel bis Teil 37 werde ich noch hochladen, danach ist es dann erst einmal vorbei.
 

Ich hoffe, Ihr nehmt mir das nicht übel und bleibt trotzdem treue Leser dieser FF - wie heißt es doch? Gut Ding will Weile haben. Ich bedanke mich für Eure Begeisterung und Eure lieben Kommentare. Haltet mir weiterhin die Daumen. Und nun... Vorhang auf!
 

Kapitel 34: Das gefrorene Herz (Teil 3)
 

Der Prinz des Feuers stieß seine Klinge in den schlammigen Boden und von dort breitete sich eine flammende Spur bis hinüber zu dem riesenhaften Tier aus, bildete einen Kreis und hüllte es in eine Feuersäule ein. Rachsüchtiges und schmerzverzerrtes Fauchen war zu hören. Dem Hüter des Heiligen Phönix stand bereits Schweiß auf der Stirn, denn der Kampf gestaltete sich äußerst anstrengend, zumal Tyson das ganze Schauspiel als höchst belustigend empfand. Wie konnte er nur zu diesem völlig entrückten Mann durchdringen? Er lief zu ihm, packte ihn an den Oberarmen und schüttelte ihn.

„Wach auf, verdammt!! Begreifst du denn nicht, dass dieses Monster auch dich töten wird, wenn du nicht kämpfst?! Komm endlich zu dir!!"

Der Jüngere betrachtete ihn mit einem spöttischen Lächeln, sein Blick war so hasserfüllt, dass Kai ihn unweigerlich losließ und einen Schritt zurücktrat.

„Du kapierst es einfach nicht, oder? Es ist mir scheißegal, was mit mir passiert. Hauptsache, du verschwindest endlich aus meinem Leben. Ich habe es satt, ständig verletzt und ausgenutzt zu werden! Ich will, dass alle sterben, die mir je wehgetan haben! Du zuerst! Ich will dich leiden sehen - ich will sehen, wie du untergehst! Ich werde dir niemals verzeihen! Wie konnte ich dich nur lieben?! Allein die Vorstellung - bah, mir wird schlecht! Soll das Ungetüm dich doch töten! Ich werde dir bestimmt nicht nachtrauern!!"

In dieser Sekunde verschwand die Feuersäule und Zeus konnte erneut zuschlagen. Er donnerte eines seiner Blitzgeschosse zwischen die beiden jungen Männer und sie wichen der Attacke mit geschickten Sprüngen aus. Tyson wirkte kein bisschen beeindruckt, obwohl der Angriff einen tiefen Krater hinterließ.

„Das Tierchen ist wirklich effizient. Mag sein, dass es auch mir ans Leder will, aber wen kümmert‘s? Solange ich meine Rache einfordern kann, ist mir alles egal!"

„Großer Gott, hörst du dir eigentlich selbst zu?! Du redest wie Deimos! Das bist nicht mehr du, Tyson - der Eis-Kuss hat deine dunkle Seite hervorgeholt und begräbt all das in dir, was in deinem Wesen gut und wertvoll war!! Warum zum Teufel wehrst du dich nicht dagegen?! Sicher, du hast gezweifelt, du warst einsam und man hat dich verletzt, aber das hier ist doch keine Lösung!! Irgendwo in diesem Körper muss noch der echte Tyson stecken!! Derjenige, der niemals aufgegeben hat, mochte es auch noch so hoffnungslos sein! Derjenige, dessen Willenskraft die schlimmsten Situationen meistern konnte! Derjenige, für den Freundschaft, Vertrauen, Liebe und Glaube reelle Werte waren, etwas, woran er aufrichtigen Herzens geglaubt hat!! Und das soll jetzt verloren sein? Das ist doch nicht dein Ernst!!"
 

Der Wächter schoss herum und baute ein Schutzschild um sich auf, an dem die Pranke der Bestie abprallte, die ihn gerade zerfleischen wollte. Dann schwang er sein Schwert und fügte der Kreatur eine blutige Wunde zu, die umso höllischer schmerzte, da er die Klinge durch einen Teil der unlängst verbrannten Haut jagte. Als Gegenreaktion wickelte Zeus seinen Schwanz um Kais Hals und schleuderte ihn auf diese Weise gegen die nächstbeste Mauer. Die Rüstung tat ihre Schuldigkeit und verhinderte, dass er sich bei dem harten Zusammenstoß das Rückgrat brach. Trotzdem brannten die Würgemahle an seiner Kehle und er fühlte sich wie betäubt. Lauter Donner grollte über ihm, der Himmel war fast schwarz. Der Japaner kam zu ihm und ging in die Hocke, um ihn ansehen zu können. Die schlanken Finger hoben sein Kinn an und zeichneten die Linien der blauen Zacken nach.

„Ich habe mich immer gefragt, warum du diese albernen Dinger überhaupt trägst. Ist das ein merkwürdiger Tick von dir oder wolltest du bloß ‚cool‘ sein? Tse - wie erbärmlich."

„Ich habe diese Zeichen getragen, weil ein innerer Impuls mich dazu antrieb. Früher wusste ich nicht, weshalb, ich konnte mir diesen Impuls auch nicht erklären... und irgendwann wurde er schwächer und immer schwächer, bis ich sie einfach abwischte. Das ist noch gar nicht so lange her, es geschah kurz, bevor ich nach Japan zurückkehrte, anlässlich der neuen Weltmeisterschaft. Kein Wunder, denn ich sollte die Wahrheit über ihre Bedeutung erfahren. Willst du es wissen? Suzaku trug diese Zeichen auf, um seinen Racheschwur an Hades zu bekräftigen. Blau ist Seiryuus Kennfarbe. Nach seinem Tod hat er den Eid geleistet, den Herrn der Unterwelt zu vernichten und wollte dem eine Art Symbol setzen. Es ist Kriegsbemalung im Sinne des Wortes!"

„Soso - und das soll ich glauben? Seiryuu war für Suzaku nur ein Zeitvertreib, einer seiner vielen Gespielen, die er beliebig austauschen konnte. Von wegen Liebe! Liebe, was ist das im Grunde? Nichts weiter als ein Wort... ein verlogenes und falsches Wort! Wie viele Menschen auf dieser Welt sagen ‚Ich liebe dich‘ und meinen es gar nicht!"

„Du hast recht. Es gibt viele, für die ‚Liebe‘ immer eine Floskel bleiben wird. Solche Menschen sind zu bedauern, weil sie nichts begriffen haben. Auch ich....habe lange nicht begriffen. Ich dachte, man müsste darauf warten... auf Zärtlichkeit, Anteilnahme, Verständnis. Aber wer selbst nichts gibt, kann auch nichts zurückbekommen. Liebe ist nicht etwas, auf das man warten kann. Liebe ist etwas, das man tun muss. Du warst es, der mich das gelehrt hat. Du hast nicht danach gefragt, wie die Belohnung für deinen Einsatz aussieht. Und dass meine Zurückweisungen dich deshalb oft enttäuscht haben, ist mir klar. Denn du hast nur das von mir gefordert, was du bereits von dir aus an mich weitergegeben hattest, aber nicht einmal das habe ich fertiggebracht. Ich konnte es nicht erwidern. Ich hatte Angst... alle Menschen haben Angst vor dem Unbekannten. Mir waren positive Gefühle unbekannt. Man hatte mir eingetrichtert, dass dieser so wichtige Aspekt meiner Menschlichkeit eine Schwäche ist und daran habe ich mich gehalten. Aber du... du hast mich erkennen lassen, dass ich auf dem falschen Weg war. Andere hätten es vielleicht verdient, mit dem Eis-Kuss bestraft zu werden - doch du... nein, Tyson. Du hast es nicht verdient."

„Was für ein dummes Geschwätz! Hast du noch nicht geschnallt, dass ich dich hasse!?"

Der Graublauhaarige richtete sich mühsam auf und antwortete: „Wenn du mich hasst, so heißt das, dass ich dir immer noch etwas bedeute, denn das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Solange du mich hasst, bin ich dir nicht gleichgültig. Das ist Grund genug für mich, dich nicht aufzugeben."

„WAS?! DU BIST JA VOLLKOMMEN IRRE!!!"
 

Eine Hand schloss sich um einen weißen Hals und drückte zu. Der Russe verband seine Augen mit denen seines Gegenübers und versuchte krampfhaft, den Würgegriff zu unterbrechen. Die Kraft, die dahinter stand, war nicht die eines normalen Menschen. Der geballte Hass, der ihm aus diesen schwarzblauen Tiefen entgegen peitschte, schnitt ihm in die Seele wie ein Messer. Seine verzweifelt suchenden Finger bekamen einen Ärmel des Regenmantels zu fassen.

„Ich... will... nicht gegen dich kämpfen..."

„Oh, wie rührselig. Ich muss gleich weinen."

„... aber ich werde, wenn ich es muss!!!" Und damit schickte er einen rotierenden Flammenstrahl über seinen Arm und seine Hand bis zu dem Mantel, der sofort Feuer fing. Es spielte keine Rolle, dass dieser eigentlich klatschnass war, da das magische Feuer das Wasser in Sekundenbruchteilen verdampfen lassen konnte. Tyson stieß einen Schrei aus und zerrte sich das brennende Kleidungsstück vom Leib, so schnell er konnte. Er starrte Dranzers Hüter entgeistert an, die Atmosphäre zwischen ihnen war bis zum Zerreißen gespannt. Zeus, den der persönliche Konflikt nicht scherte, näherte sich ihnen in unheimlicher Stille, wie Raubkatzen das zu tun pflegen, wenn sie auf eine Beute spekulieren. Seine riesige Gestalt verschmolz mit dem düsteren Himmel, Blitze zuckten vorüber.
 

**Gib mir ein Zeugnis deiner Kraft. Beweise, dass du meiner Wahl würdig bist. Zeige die Stärke deines Herzens in meinem Angesicht!**

»Wer....wer bist du?«

**Du weißt, wer ich bin.**

»Dra... Dragoon?«

Hiro konnte sich nicht vorstellen, warum der Schutzgott ausgerechnet zu ihm sprach. Wie konnte er von ihm verlangen, die Stärke seines Herzens zu beweisen? Er war unendlich erschöpft, vor allem seelisch, und konnte keine Stärke mehr in sich finden. Er berührte sein Gesicht, spürte die heißen Tränen, die seine Haut benetzten. Deimos beobachtete ihn, er schien nicht bemerkt zu haben, dass sich der Heilige Drache mental bei ihm gemeldet hatte. Er zuckte zurück, als der Soldat des Todes in die Knie ging und sich anschickte, seine Tränen ein zweites Mal abzuwischen. Die Hand, die sich nach ihm ausstreckte, wurde zur Seite geschlagen.

„Rühr mich nicht an, du Bastard...!" stieß er leise hervor.

War der Stolze gebrochen? Kapitulierte er? Das war es, was er gewollt hatte. Sicher, Lord Hades hatte ihm den Auftrag erteilt, den Silberhaarigen zu töten, aber diese innere Niederlage gefiel ihm wesentlich besser. Zumindest hatte er angenommen, dass sie ihm besser gefallen würde. Nur war da dieser seltsame Stich in seiner Brust, der ihm die erhoffte Begeisterung und Genugtuung verwehrte. Reute es ihn am Ende, Hiro so gequält zu haben? Lächerlich! Natürlich, er hatte ihn begehrt, er begehrte ihn noch, aber als Person war er bedeutungslos für ihn.

„Gibst du auf? Das wird auch Zeit, Schönster. Sieh es ein. Euer Widerstand gegen die Finsternis ist ein sinnloses Unterfangen. Warum gegen etwas kämpfen, das unvermeidbar ist? Warum fügt ihr euch nicht in euer Schicksal? Ihr werdet sowieso verlieren."

Dieser Satz brachte in Hiros verdunkelten Gedanken eine kleine, winzige Erinnerung an die Oberfläche - eine Erinnerung an jene Zeit, da sein Vater gerade damit begonnen hatte, ihn für seine spätere Aufgabe auszubilden. Klein-Hiro, zehn Jahre jung und in übergroßen Kendogewändern, trampelte frustriert auf seinem Holzschwert herum, weil er schon wieder besiegt worden war.

„Ich mag nicht mehr trainieren... das klappt alles nicht!" rief er und zog einen Schmollmund. „Ich werde nie gegen dich gewinnen, Papa!"

„Du musst es nur immer wieder versuchen, mein Sohn, dann wirst du eines Tages auch erfolgreich sein."

„Was bringt es, es immer wieder zu versuchen, wenn man trotzdem verliert?"

„Wenn man etwas erreichen will, muss man dafür kämpfen. Es ist wahr, wenn man kämpft, bedeutet das nicht automatisch, dass man auch gewinnen wird. Man kann kämpfen und verliert dennoch. Aber wer nicht einmal zu kämpfen versucht... der hat schon verloren."

Wer nicht einmal zu kämpfen versucht, der hat schon verloren.

Wie hatte er das vergessen können! Er hatte harte Schicksalsschläge hinnehmen müssen, aber konnte er es sich angesichts der schrecklichen Bedrohung, die diese Welt heimsuchte, erlauben, einfach in Selbstmitleid zu versinken? Nein! Er war so weit gekommen, hatte so vieles durchmachen müssen... und nun wollte er... aufgeben?! Er, Hiro Kinomiya?! Was war mit seinem Bruder? Mit seinen Freunden? Mit Brooklyn?! Er konnte sie unmöglich im Stich lassen! Hatte er denn das alles ertragen, nur, um jetzt davonzulaufen wie ein elender Feigling? Nein! Niemals! NIEMALS!!! Er ballte die Fäuste und erhob sich. Langsam, aber ohne zu zögern, schritt er auf den Ausgang der Halle zu, um Kai und Tyson zu helfen. Sofort legte sich wieder eine Schattenspirale um seine Knöchel und Handgelenke.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich einfach so laufen lasse, du Narr?"

„Du tust mir leid, Deimos."
 

„... eh... wie bitte?!"

„Weil du allein bist. Du bist vielleicht mächtig, aber ganz allein. Was hat man dir in deiner Vergangenheit nur angetan, dass du Hades freiwillig dienst? Was konnte er dir versprechen, dass du dafür dein Herz geopfert hast? Alles, was du kennst, sind Hass, Zorn, Verbitterung, Angst, Verzweiflung, Schmerz. Du bist jämmerlich."

„Was zum...?! Habe ich dich immer noch nicht genug geschunden, um deinen Willen zu zerbrechen?! Woher nimmst du diese Kraft!?"

„Sie kommt tief aus meinem Herzen. Meine Kraft sind die Menschen, die mir viel bedeuten. Ja, ich war kurz davor, aufzugeben, geschwächt durch meinen eigenen Kummer. Alles hinzuschmeißen und nicht mehr zu kämpfen, das ist so einfach. Aber so bin ich nicht erzogen worden. Mein Vater hat mich gelehrt, dass man kämpfen muss, egal wie schlimm es aussieht, denn wenn man es nicht einmal versucht, hat man schon verloren. Nicht jeder schafft das, dessen bin ich mir bewusst. Aber ich... kann es schaffen. Weil ich gelitten habe und an diesem Leid gewachsen bin. Weil es Menschen gibt, die mir vertrauen und denen ich vertraue. Und weil ich es mir selbst schuldig bin. Selbstmitleid ist der falsche Weg. Ich habe mir geschworen, mich nicht von der Finsternis besiegen zu lassen - nicht von dir. Also werde ich kämpfen!"

Der Orangehaarige sah ihn fassungslos an. Mechanisch senkte er seine Hand und die Schattenspirale löste sich auf. Er atmete schwer; es schien, als überstiege diese Situation seinen Verstand. Hiro näherte sich ihm in seltsamer Ruhe.

„Lass mich Brooklyn eine kleine Botschaft übermitteln. Ich weiß, dass er noch in dir ist, denn sonst hättest du mich schon längst getötet." Er berührte sanft das Kinn des anderen und zwang ihn dadurch, ihm in die Augen zu blicken. Deimos wehrte sich nicht, er starrte nur. Der Kendoka neigte sich vor und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Nachdem er sich wieder von ihm gelöst hatte, flüsterte er: „Ich liebe dich, Brook. Und wo immer deine Seele ruhen mag, sie ist noch da. Ich werde sie finden und dich zurückbringen. Das ist ein Versprechen. Ich werde dich retten - egal, was es mich kostet!"

Plötzlich erstrahlte ein blaues Licht inmitten der Halle. Dragoon, in etwas verkleinerter Form, materialisierte sich vor Hiro und stellte seine beeindruckenden Flügel auf. Obwohl nicht in seiner eigentlichen Größe erschienen, war er doch von imposanter Majestät.

**Auserwählter, der du würdig bist, eine Stütze des Gefüges zu sein... die Stärke deines Herzens habe ich in der Tat festgestellt. Bewahre das Gleichgewicht der Elemente, solange es geschwächt ist und führe diese Waffe, um für mich zu kämpfen.**

Windböen tanzten vor dem verblüfften Japaner und verwandelten sich nach und nach in ein traditionelles Samuraischwert, ein Katana. Es steckte in einer prachtvollen schwarzen Scheide, die mit einem silbernen Drachen geschmückt war.

**Das ist ‚Murasame‘. Im Laufe der Geschichte von Eden hat es schon mancher Würdenträger auf Erden sein Eigen genannt, aber es hatte stets eine andere Gestalt und einen anderen Namen, denn es richtet sich nach der Heimat, den Gebräuchen, dem Status und dem Charakter seines Besitzers. Man kannte es beispielsweise als Gram [1] und auch als Excalibur [2]. Nun gehört es dir. Empfange es als deine Weihe, Herr der Stürme!**

Wie hypnotisiert nahm Hiro die Waffe entgegen und weitere wirbelnde Böen kreisten ihn ein.

Seine Kleidung begann sich zu verändern. Als die Metamorphose beendet war, glich er einem Ninja, denn er trug ein blaues Stirnband mit Metallplatte (ähnlich wie bei „Naruto", nur ohne Symbol), einen schwarzen Mantel ohne Kragen, dafür aber mit Brustschlitz bis an die blaue Schärpe, die den Mantel zusammenhielt; darunter befand sich ein ebenfalls schwarzes Netzhemd. Um den Hals war ein langer blauer Schal geschlungen, hinten geknüpft, damit die Enden über den Rücken fielen, genauso wie bei Kai. Gesichtsmaske, Hose und Stiefel waren natürlich auch schwarz. Er sah an sich hinauf und hinunter. Das also war sein Äußeres nach der Verwandlung. Gar nicht übel. Ein letzter Blick zurück zu Deimos, dessen Körper ein krampfartiges Zittern befallen hatte, eine Verbeugung vor Dragoon, der sie mit einem hoheitsvollen Nicken akzeptierte und er trat auf die Veranda hinaus.
 

Im Garten tobte die Schlacht ungemindert weiter. Zeus hatte den Disput unterbrochen, indem er seine Krallen sprechen ließ. Der Hüter des Heiligen Phönix war verwundet; seine Knie waren aufgeschürft und er blutete aus mehreren tiefen Schnitten, einer davon befand sich auf seiner linken Wange. Tyson hatte sich zwischenzeitlich mit Windböen verteidigt, aber da er nicht verwandelt war, besassen sie nur ihre halbe Kraft. Der Löwe erkannte das und ließ von dem Russen ab. Mit einem gewaltigen Satz sprang er zu dem Blauhaarigen, der gleichfalls verletzt war, und hob eine seiner Pranken.

„Das wirst du nicht tun!!!"

Eine Klinge zischte durch die Luft, kurz erhellt durch einen besonders grellen Blitz. Dann erscholl ein zorniges Brüllen, denn der Hieb mit dem magischen Schwert hatte die Pranke komplett abgetrennt. Hiro überschlug sich in erstaunlicher Höhe ein paar Mal, ehe er geschickt auf seinen Füßen landete.

„Wage es noch einmal, meinen Bruder anzurühren, und du wirst es bitter bereuen!!"

Sein Blick war härter als Stahl. Die Bestie glotzte ihn an und schnupperte. **Du riechst nach Magie! Ein Würdenträger! Also hast du die Prüfung bestanden? Warum hat Meister Deimos dich nicht umgebracht? So lautete der Befehl unseres Herrschers!**

„Du glaubst mir vermutlich nicht, aber Deimos kann mich nicht töten."

**Was!?!**

„Er bringt es nicht über sich." Ohne die Kreatur weiter zu beachten, ging er zu Tyson hinüber und wollte die Wunden unter die Lupe nehmen, aber der Jüngere stieß ihn weg. Gnadenlose Augen musterten ihn angewidert, als wäre er ein ekelerregendes Monster.

„Fass mich nicht an, du Drecksack!! Denkst du, eine einzige Rettung kann wettmachen, was ich deinetwegen durchleiden musste?! Und du, Kai...", wandte er sich an den Prinzen des Feuers, „... du bist noch weniger wert als mein schmutziger Bruder!! Redest großspurig von Liebe und erwartest von mir, dass ich dir diesen gequirlten Mist abkaufe!! Ich spucke auf deine feigen Lügen!! Iras ist der einzige Mann, den ich je wirklich geliebt habe!! Halte dich ab jetzt aus meinem Leben raus, oder ich töte dich!!"

Kai biss sich so fest auf die Lippen, dass es blutete. Er schob seine kostbare Klinge in die Scheide zurück und straffte die Schultern, gleichgültig gegen seine Verletzungen. Seine rubinroten Augen fixierten die schwarzblauen seines Gegenübers.

„Gut. Dann töte mich."

Hiro sog laut die Luft ein vor Entsetzen. Mit Grausen verfolgte er, wie sich ein hinterhältiges Grinsen auf dem Gesicht seines Bruders ausbreitete. War denn alles Gute in ihm zu Eis erstarrt?! Fühlte er denn gar nichts mehr außer dieser eingebildeten Liebe?! Tyson spannte die rechte Hand an und ein rotierender Windwirbel bildete sich darum. Er konnte Windströme erzeugen, die selbst einen Felsen spalten konnten. Was hatte ihm da ein menschlicher Körper entgegenzusetzen? Er rannte auf sein Opfer zu.

Mitten in der finalen Bewegung hielt er jedoch inne und verharrte in der Angriffsstellung. Plötzlich schrie er auf, als würde er aufgespießt und presste beide Hände an seine Brust. Ein namenloser Schmerz schien ihn zu durchrasen. Sein Blick wurde hohl und leer. Er fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr.

„Tyson...?!"

Zeus, der seiner Pranke verlustig geworden war, verschwand in einem dunklen Strudel, weil er in diesem Zustand nicht weiterkämpfen konnte. Deimos in der Halle spürte deutlich, dass sich sein Geschöpf soeben davonmachte und er versuchte, sein eigentümliches Zittern zu unterbinden, um ihm folgen zu können.

»Wie konnte er sich erdreisten, mich so... unsagbar zärtlich zu küssen?! Und wieso konnte ich ihn wieder nicht vernichten?! Sicher, ich verstehe durchaus, dass der Kuss Brooklyn galt und nicht mir... aber warum will er nicht begreifen, dass Brooklyns Seele längst verdaut worden ist? Weil er ihn liebt? Glaubt er deshalb, dass er ihn befreien könnte? Sei verflucht, Hiro! Wie konntest du es wagen, mich mit wahrer Liebe zu konfrontieren?! Das ist nicht fair - und muss bestraft werden!«

Er berührte seine Lippen. Sie brannten noch von der Wärme des Kusses.

»Ja, ich werde dich bestrafen, mein wunderschöner, stolzer, unbezähmbarer Krieger... ich muss dich haben... Ich muss dich haben, oder ich sterbe!!«

Er schlug sich die Hand vor den Mund, zutiefst bestürzt. Was zum Teufel dachte er da?! Verlangen. Sehnsucht. Leidenschaft. Wie konnte er so etwas fühlen?! Wild schüttelte er den Kopf und teleportierte sich in die Unterwelt zurück. Aber die Angst blieb, selbst in seinen vertrauten Gemächern. Die Angst vor dem, was Hiro in ihm auslöste...

„Tyson?!" wiederholte Kai, lief zu dem ohnmächtigen jungen Mann hinüber und nahm ihn behutsam in die Arme. „Er... er atmet nicht!! Was ist mit ihm?!"
 

Der Krankenwagen wurde gerufen. Nachdem Kais Wunden versorgt worden waren, hätte er eigentlich noch eine Weile im Bett bleiben sollen, aber er weigerte sich. Hiro und er begaben sich zum Arzt, um die Diagnose zu hören. Der Mediziner, ein Herr Anfang Fünfzig, mit bereits schlohweißem, aber immer noch vollem Haar und einem Schnurrbart, begrüßte sie herzlich, wenn auch etwas steif und wollte offenbar nicht so recht heraus mit der Sprache.

„Ich... ich habe eine schlechte Nachricht für Sie", erklärte er endlich. „Mr. Tyson Kinomiya hat... er hat... einen Herzstillstand erlitten. Wir haben ihn an die entsprechenden Geräte angeschlossen, damit sein Herz weiter schlägt und ihn am Leben erhält. Aber das ist alles, was wir für ihn tun können. Ein solcher Fall ist mir noch nie untergekommen."

„Er... er kann nur noch durch die Geräte am Leben erhalten werden?!"

„Ja, leider. Es ist mir ein Rätsel. Körperlich ist er völlig gesund, wenn man von den kleineren äußeren Verletzungen absieht. Aber sein Herz will einfach nicht selbstständig schlagen. Es ist, als wäre es... ich weiß nicht, wie erstarrt. Ohne die Maschinen... würde er sterben."

Die nachfolgende Stille war ein einziges, unerträgliches Gewicht auf den Schultern zweier Menschen. Hiro verbarg sein Gesicht in den Händen, während sich der Russe kraftlos auf einen Stuhl fallen ließ.

„Können... Sie ihm wirklich nicht helfen?" Er sprach mit einer ganz fremden Stimme. Der Arzt seufzte und legte das Krankenblatt beiseite.

„Ein derartiger Zustand ist mir unbegreiflich. Ich kann nichts beheben, wenn ich keine Ursache finde. Wissen Sie etwas genaueres?"

Was hätten sie ihm sagen sollen? Schweigend traten sie den Nachhauseweg an. Der Silberhaarige brühte sich einen Tee auf, denn das Gewitter wütete nach wie vor über der Stadt und er sehnte sich nach etwas warmem. Nun war er... tja, was war er denn eigentlich geworden? Er würde Dragoon nach den näheren Details fragen müssen. Das Beyblade war zurückgeblieben und er hatte es in der Nachttischschublade seines Bruders verstaut. Tyson... was konnte er für ihn tun? Wie heilte man ein gefrorenes Herz? Lautes Rumpeln und Krachen unterbrach seine Gedankengänge. Er rannte zur Übungshalle, fand niemanden und öffnete die Schiebetüren, die zum Trainingsbereich hin lagen. Kai hatte sich ein Holzschwert ausgeliehen und schlug damit auf eine der Strohpuppen ein, mit denen Zielen, Anvisieren und ähnliche Dinge geschult wurden. Es kümmerte ihn nicht, dass der Regen ihn von oben bis unten durchweichte. Die Hiebe waren schnell, hart, verzweifelt. Er prügelte drauflos, ohne sich darum zu scheren, wohin er traf. Jeden Streich begleitete ein Schrei. Hiro stürzte nach draußen, als es dem Jüngeren gelang, die Strohpuppe zu enthaupten.
 

„Kai, so beruhige dich doch!!"

Dranzers Wächter brach schluchzend in den Armen des 24jährigen zusammen. Seine Selbstbeherrschung, seine Kontrolle, seine unerschütterliche Maske kollabierten in derselben Sekunde. „Ich habe es nicht geschafft...! Ich konnte ihn nicht zur Vernunft bringen! Und jetzt... jetzt ist er so gut wie tot!! Und gesagt habe ich es ihm auch nicht!! Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ihn liebe!! Ich habe... es ihm... nicht gesagt... und nun ist es zu spät!!"

Zu spät. Was für furchtbare Worte. Kai weinte hemmungslos, zermürbt und unglücklich. Die Vorstellung, Tyson für immer zu verlieren, hatte in seinem Inneren einen Damm bersten lassen. Tausende von bislang ungeweinten Tränen bahnten sich einen Weg durch ihn hindurch, rannen über sein Gesicht, vermischten sich mit den Regentropfen. Hiro sprach nicht. Er hielt den anderen Mann einfach nur fest und weinte im Stillen. So fanden sie Ray und Max, als sie vom „Tokyo Palace"-Hotel zurückkehrten, wo sie mit Lee und Mariah verabredet gewesen waren.

„Oh nein, was macht ihr beiden denn hier draußen?! Ihr holt euch den Tod!"

Der Amerikaner scheuchte sie ins Haus und fing an, in der Küche für jeden einen Erkältungstee nach eigenem Rezept zuzubereiten. Zusätzlich kochte er ihnen ein nahrhaftes Süppchen, während Ray ihnen befahl, die nassen Sachen auszuziehen und sie anschließend in sämtliche Decken und Kissen einpackte, die er in die Finger bekam.

„Was ist passiert?" erkundigte er sich ernst. Er hatte sofort erkannt, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste, denn seine Freunde waren am Boden zerstört und das merkte man ihnen an. Max erschien mit dem Tee und zusammen mit dem Chinesen flößte er Kai und Hiro die wohltuende Flüssigkeit ein. Die Suppe köchelte indessen auf dem Herd. Lange Zeit sagte keiner ein Wort, bis der Russe monoton zu erzählen begann. Als er geendet hatte, saßen der Hüter des Heiligen Tigers und der Hüter der Heiligen Schildkröte niedergeschmettert auf dem Sofa. Dann berichtete auch Hiro von seiner erneuten Konfrontation mit Deimos und von seiner Verwandlung. Der Schwarzhaarige stand auf.

„Sieh nach der Suppe, Max. Ich rufe Mr. Dickenson an."

Der Zaubermeister ließ sie nicht warten. Zehn Minuten später erreichte er den Kinomiya-Dojo und erfuhr von den Ereignissen um das gefrorene Herz. Er war schwer erschüttert; die Sorgenfalten auf seiner Stirn traten deutlich hervor.

„Ich will dir erklären, was du jetzt darstellst, Hiro. Du bist ‚würdig‘, das bedeutet, deine Seele ist von bemerkenswerter Stärke und besitzt das bei normalen Menschen extrem seltene Potential zur Magie. Du bist ein Pfeiler des Gleichgewichts der Elemente. Falls zwischen den Prinzen der vier Elemente Uneinigkeit oder Disharmonie herrscht, oder wenn einer von ihnen von Zweifeln und Unsicherheiten geplagt wird, gerät das Gleichgewicht der Kräfte ins Wanken. Um das auszugleichen, existiert die Regelung der Pfeiler. Pfeiler sind gewöhnliche Menschen, auf der Erde geborene Personen, deren seelische Stärke sie für die Anwendung von Magie empfänglich macht. Sie dienen der Absicherung. Sollte das Gleichgewicht der Elemente schwanken, aus was für Gründen auch immer, so wird der Würdenträger einer Prüfung unterzogen und kann sich das Recht erwerben, Pfeiler zu sein. Er erhält einen magischen Gegenstand als äußeres Zeichen seines Amtes. Da die Würdenträger aber trotz der an sie verliehenen Fähigkeiten normale Sterbliche sind, können sie ihre Funktion nur als Einheit erfüllen, das heißt, als komplette Gruppierung der vier Elemente. Tyson schwebt in Lebensgefahr und Kai....verzeih, mein Junge....ist momentan am Ende. Feuer und Luft sind uneins und das können Wasser und Erde nicht mehr ausreichend ausbalancieren. Die anderen drei Würdenträger müssen so schnell wie möglich geprüft werden, damit das Gleichgewicht nicht kippt!"

„Mr. Dickenson... nein, ich meine, Diomedes..."

„Ja, Kai?"

„Sagen Sie mir die Wahrheit. Gibt es eine Möglichkeit, Tyson zu retten?"

Der alte Herr sah ihn eindringlich an. „Der Eis-Kuss ist mir nicht unbekannt, er ist eine höchst grässliche Technik der Schwarzen Magie. Als Zaubermeister muss man auch in den dunklen Gebieten seines Metiers besser bewandert sein als andere. Ja, es gibt eine Möglichkeit. Aber ich muss dich warnen: Sie ist gefährlich. Sie ist sogar sehr gefährlich."
 


 

[1] Gram: Der Name von Siegfrieds Schwert aus dem "Nibelungenlied". Es ist auch unter anderen Namen bekannt, z. B. "Balmung".

[2] Excalibur: Der Name des legendären Schwertes von König Arthur.

Seelenwanderung (Teil 1)

Kapitel 35: Seelenwanderung (Teil 1)
 

Der Vorraum zu Tysons Krankenzimmer war überfüllt. Daichi stand in eine Ecke gedrückt und heulte. „Das ist nicht fair!", schluchzte er leise. „Warum müssen Tyson und Kai so viel leiden?

Sie haben sich doch geliebt, oder nicht?"

Carlos legte die Arme um ihn und streichelte ihm durchs Haar.

„Ihre Liebe war von Anfang eine Gefahr für Hades. Deshalb müssen sie leiden. Er hofft, das Band zwischen ihnen damit endgültig zu zerbrechen. Zwei seiner größten Widersacher einfach nur zu töten ist in ihrem Fall nicht genug. Sie sollen in tausend Stücke zerschellen. Das ist es, was Hades will."

„Aber... das ist grausam!"

„Ja. Und Hades ist die personifizierte Grausamkeit. Du bist jung, Daichi. Eigentlich zu jung für all das, was man dir aufgebürdet hat."

„Du bist erst neunzehn! Du bist auch jung!"

„Sicher, aber zwischen fünfzehn und neunzehn besteht doch ein Unterschied, meinst du nicht? Ich weiß, dass dir dein Schicksal keine Wahl läßt - aber mir wäre es lieber, du wärest nicht in diese verdammte Sache verwickelt. Dann müsste ich mir nicht so viele Sorgen machen."

Der Rothaarige schmiegte sich an ihn und der Spanier küsste seine Stirn. Links von ihnen sprachen sich Miguel und Claude gegenseitig Trost zu, obwohl man ihnen anmerkte, dass sie nicht so recht an ihre eigene Zuversicht glaubten. Mathilda wischte sich nachlässig die Tränen aus dem Gesicht, während Mariam sie fürsorglich umarmte. Lee und Raul, flankiert von ihren Schwestern, hüllten sich in trübsinniges Schweigen. Rick erging sich in gemurmelten Verwünschungen über alle Mächte des Bösen, angefangen beim Herrscher der Unterwelt bis hin zu Deimos und George W. Bush. Romero brütete traurig vor sich hin, während Garland und Mystel sich gegenseitig festhielten. Im Krankenzimmer selbst befanden sich sowohl Mr. Dickenson als auch Ray, Max und Hiro, die nur noch auf Kai und Bryan warteten. Bevor sich diese beiden zu Tyson begaben, wollten sie noch den ehemaligen Krieger des Zorns besuchen. Es sollte das erste Wiedersehen von Feuer und Eis sein.

Zögernd schoben sie sich durch die Tür. Der Vorhang zu Enriques Bett war zugezogen, ein Blick dahinter verriet, dass er tief und fest schlief. Tala hingegen war wach, auf seinem Nachtkästchen stand ein Tablett mit Frühstück, aber er hatte praktisch nichts davon angerührt. Er lächelte Bryan zu, doch sein Gesicht verhärtete sich kummervoll, als er Kai sah.

„Mein Freund... zuletzt haben wir am Telefon miteinander gesprochen..."

„Ja, du hast mich vor dem Eis-Kuss gewarnt. Aber ich fürchte, dass ich deine Hoffnungen enttäuscht habe. Ich konnte Tyson nicht zur Vernunft bringen, obwohl ich alles versucht habe. Hat Bryan dir von seinem Zustand erzählt?"

Er nickte.

„Mach dir keine Vorwürfe. Die Magie eines Ritters der Verdammnis zu unterschätzen, war noch nie eine gute Idee. Iras war mächtig. Sicher, nicht ganz so mächtig wie Deimos, aber doch Zweiter in der Rangfolge. Der strahlende Hauptmann von Prinz Genbu ist tief gefallen."

Seine Stimme klang zermürbt und unglücklich. In seinen Träumen jagten ihn zuweilen die Schreckenstaten, die er damals in Eden und in der Gegenwart vollbracht hatte, um seinen finsteren und grausamen Herrn zufriedenzustellen. Und nun war es auch noch seine Schuld, dass Tyson mit einem erstarrten Herzen darniederlag, zwischen Leben und Tod schwebend! Wie oft hatte er sich schon gefragt, warum er nicht stark genug gewesen war! Stark genug, um dem Schwarzen Gift zu widerstehen und Hades‘ Einflüsterung keinen Glauben zu schenken! Aber seine Eifersucht, seine Wut, sein verletzter Stolz und jene Einsamkeit, die der König der Unterwelt in Gestalt von Boris Balkov zu einer unzerreißbaren, brutalen Kette geschmiedet hatte, um seinen Willen zu brechen und ihn gefühlskalt zu machen, hatten ihn verleitet. Er konnte es sich nicht schönreden. Er hatte sich zum Bösen verführen lassen. Obwohl er zu seinem wahren Ich zurückgefunden hatte, würde dieser Makel an ihm haften bleiben. Ein unsichtbarer Makel, den ihm niemand ansehen würde - aber er würde ihn spüren, für den Rest seines Lebens. Aus einem solchen inneren Machtkampf konnte eine Seele nicht hervorgehen, ohne etwas zurückzubehalten. Tala Iwanov war die Reinkarnation von Iras. Und auch wenn er sich der guten und edlen Dinge erinnern konnte, die Wolborgs Wächter im Dienste des Wasserprinzen geleistet hatte, so würde dies das Bewusstsein seiner Verfehlungen, seiner Schuld nicht tilgen. Er hatte sich verändert. Die Geschehnisse um sein Alter Ego und seine Vergangenheit hatten ihn mit der eigenen Verwundbarkeit konfrontiert, ihn, der sich stets eingebildet hatte, absolut unbesiegbar zu sein. Er würde nie wieder die Nase rümpfen, wenn Gefühle zur Sprache kamen. Er würde Tränen nie wieder als ein Zeichen der Schwäche betrachten. Und er würde nie wieder derselbe sein.
 

„Was das betrifft... Max hat mich gebeten, dir auszurichten, dass er später ebenfalls mit dir sprechen möchte."

„Max? Das ist ungewöhnlich. Wir kennen uns doch kaum."

„Er ist Genbus Wiedergeburt, vergiss das nicht." Der Graublauhaarige schwieg eine Weile. „Tala... ich habe mir viele Gedanken gemacht, ehe ich mich dazu entschloss, Bryan bei diesem Besuch zu begleiten. Natürlich, unser erster Kontakt erfolgte über das Telefon, aber das läßt sich mit einer persönlichen Begegnung nicht vergleichen. Du sagst, ich soll mir keine Vorwürfe machen, und so bitte ich dich, dasselbe zu tun. Wir beide haben gemeinsam zu viel durchgestanden, um unsere Freundschaft an einer Rivalität zerbrechen zu lassen, die Hades künstlich geschürt hat. Auch Suzaku und Iras waren einmal Freunde, ehe dieser wandelnde Alptraum ihre Welt heimsuchte! Wenn ich ehrlich bin, bist du sogar mehr für mich als ein Freund: Du bist mir ein Bruder, Tala. Ich hätte dir das schon früher sagen sollen, ich weiß, aber ich habe es nicht über mich gebracht. Ich war zu stolz... und zu feige. Ich hatte immer Angst davor, mich anderen zu öffnen, selbst meinen Leidensgenossen in der Abtei. Das ist vorbei. Ich habe einen neuen Mut in mir entdeckt... ich habe gelernt, meine Gefühle als solche zu akzeptieren. Soll das, was uns verbindet, wegen Hades zugrunde gehen?"

Ahnte er, was diese ehrlichen Worte in dem Älteren auslösten? Tala hatte den Eindruck, nach den Folgen eines schrecklichen und erbarmungslosen Schiffbruches endlich das rettende Ufer zu erreichen. „Du bist mir ein Bruder" - konnte es einen größeren Vertrauensbeweis geben als dieses offene Geständnis? Unwillkürlich füllten sich seine Augen mit Tränen, und zum ersten Mal in seinem Leben schämte er sich ihrer nicht.

„Du... verzeihst mir? Nach allem, was war?"

„Ja. Nach allem, was war."

„Warum?"

„Nun, da du weißt, was du mir bedeutest... muss ich es noch erklären?"

Der Rothaarige schüttelte den Kopf. Er schluchzte, hin und hergerissen zwischen dem Gedanken, diesen Großmut nicht zu verdienen und einer grenzenlosen Dankbarkeit, die sein Herz anschwellen ließ. Er fühlte, wie Kai und Bryan ihn beide umarmten und umklammerte sie wie ein Ertrinkender. Sein Bruder und sein bester Freund. Sie waren hier bei ihm... und fingen ihn auf! Seine Tränenflut reinigte seine gepeinigte Seele, wusch die inneren Verletzungen aus und war ihnen ein Balsam, der ihre Heilung begünstigen würde. Niemand sagte ein Wort, nur Talas leises Weinen war zu hören. Die starre Maske, die er so lange nach außen hin präsentiert hatte, die Maske, die niemals empfindet, war zerbrochen. Endgültig. Und für immer.

Nach einem Moment, der kaum mehr als eine Ewigkeit währte, lösten sich die zwei Russen von ihrem Kameraden. Sie zögerten, ihn zu verlassen.

„Geht nur", meinte er mit einem ernsten Lächeln, „Ich weiß, dass Tyson wartet."

„Du hast recht. Und Tala..."

„Ja, Kai?"

„Ich bin sehr froh, dass du wieder da bist."
 

Sie kehrten zu den anderen zurück. Mr. Dickenson empfing sie freundlich. „Da seid ihr ja. Nun hört zu. Wie ich euch bereits sagte, gibt es eine Möglichkeit, um Tysons gefrorenes Herz zu heilen, aber es handelt sich dabei um eine gefährliche Prozedur. Einer von euch muss in seine Seele eintauchen und versuchen, sein Bewusstsein zu erreichen."

„In seine Seele eintauchen?", wiederholte der Wächter von Falborg skeptisch. „Ist Ihnen klar, was Sie da verlangen? Tysons Seele ist getrübt durch die Erfahrungen in der letzten Zeit. In ein abgeschottetes Bewusstsein einzudringen, ist äußerst riskant! Die Seele des Fremden könnte dabei einen ebenso irreparablen Schaden erleiden wie die des Zurückgezogenen! Von Ohnmacht über Koma bis zum vollständigen geistigen Tod ist alles dabei! Wollen Sie das wirklich?!"

„Es geht hier nicht um das, was ich will, sondern um das, was Kai will." Er wandte sich an Dranzers Hüter. „Eine Seelenwanderung zählt zu den Magien des höchsten Levels. Ihr Einsatz setzt die Anwesenheit der vier Elemente voraus, die einen Schutzkreis um denjenigen bilden, der sich auf Wanderschaft begibt. Aber je tiefer er eintaucht, umso gefährlicher wird es für beide Seelen. Der Schutzkreis kann eine Hilfe sein, aber er ist keine Garantie für eine sichere Rückkehr ins bewusste Leben. Ray steht für die Erde, Max für das Wasser, Hiro für die Luft und ich werde das Feuer verkörpern. Bryan wiederum wird verhindern, dass uns jemand dabei stört, wenn wir uns in Trance versenken, denn in diesem Zustand sind wir angreifbar. Bist du tatsächlich bereit, es zu tun? Vergiss nicht, das Risiko ist hoch."

Der Zwanzigjährige betrachtete die reglose Gestalt seines Geliebten, umgeben von Maschinen, Schläuchen und Kabeln, die sein Herz zum Schlagen veranlassten. Er streichelte seine Wange. Die weiche Haut fühlte sich erschreckend kalt an.

„Ich werde es tun."

„Gut. Dann lasst uns beginnen."

Hiro, Ray, Max und der Zaubermeister stellten sich um das Bett des Blauhaarigen auf und gaben einander die Hände. Kai hockte auf einem Stuhl und hatte seine schlanken Finger an Tysons Schläfen gelegt. Bryan verwandelte sich und zog sein Schwert, um die Gruppe im Notfall verteidigen zu können.

„Sprich mir nach, Wächter des Heiligen Phönix." Diomedes verwendete eine Zauberformel in der alten Sprache von Eden, die Kai nur mit Mühe richtig wiederholen konnte, aber es gelang ihm. Ein helles Licht umhüllte die vier Männer, griff langsam auf die Bettstaat und schließlich auch auf den Japaner und den Russen über. Der Ältere hatte den merkwürdigen Eindruck, sich von seinem Körper zu lösen und zu verschwinden. Ein unsichtbarer und schmerzhafter Sog erfasste ihn und schleuderte ihn mitten hinein in eine unergründliche Finsternis. Tödliche Kälte breitete sich um ihn herum aus, obgleich er sie nicht in all ihrer Brutalität spürte. Für ihn war sie nur eine vage Bedrohung. Als er es wagte, die Augen zu öffnen, erhob sich vor ihm ein gigantischer Wall aus bläulichem, blinkendem Eis.

„Was... was ist das?"

„Das kann ich dir verraten! Das ist die Mauer, die der Eis-Kuss in Tysons Seele erschaffen hat, um ihn gegen alles Gute und Positive, das von außen in ihn eindringen könnte, abzuschirmen."

„Was zum...?! Su-Suzaku?!"

„Überrascht?"

„Setz dieses alberne Grinsen ab, die Situation ist viel zu ernst!", fuhr Kai sein Alter Ego an, das offenbar mit ihm zusammen auf Seelenwanderung geschickt worden war.

„Was machst du überhaupt hier?"

„Na, was wohl? In der realen Welt kann ich nur als Geist außerhalb deines Körpers existieren, aber hier bist auch du nichts anderes als ein Geist. Wir befinden uns jetzt auf derselben Ebene. Also werde ich dich begleiten."

„Das hat mir gerade noch gefehlt..."

„Kai-Schätzchen, dein Sarkasmus ist genauso deplatziert wie mein Grinsen! Ich bin hier, um dir zu helfen! Tyson ist Seiryuus Reinkarnation und der Mann, den du liebst! Glaubst du wirklich, ich lasse dich bei so einer wichtigen Sache im Stich? Mittlerweile solltest du mich ein bisschen besser kennen..."

Der Russe grummelte etwas Unfeines und betrachtete die gewaltige Eiswand, die ihn daran hinderte, tiefer in das Bewusstsein des Japaners einzudringen. Ob er seine Feuerkräfte nutzen konnte, um dieses Ungetüm zu schmelzen? Er konzentrierte sich und probierte, ob er eine Flammenladung erzeugen konnte, die mächtig genug war, um zum Erfolg zu führen - er konnte es nicht und Suzaku musste das natürlich kommentieren.

„Ich will dich nicht kritisieren, mein Eisblöckchen, aber wenn ich dir einen Tipp geben darf: Frag mich mal. Ich bin hier der Prinz."

„Ich denke, ich bin deine Wiedergeburt!?"

„Sicher. Aber normalerweise habe ich die Oberhand, wenn du dich verwandelst. Die volle Macht besitzt du nur, wenn ich dominiere oder wenn ich es dir erlaube, sie zu besitzen."

„Ich vergaß."

„Geht der Tonfall noch etwas frostiger? Lass mich das übernehmen, sonst sitzen wir in drei Tagen noch da! Auch ich will Tyson retten!"

„Willst du das?"

Diese Frage veranlasste den Prinzen, sein anderes Ich verwirrt zu mustern. „Da fragst du noch? Ich verstehe dich nicht! Die Schutzgötter wissen, wir hatten unsere Differenzen, aber im Bezug auf Tyson war doch zwischen uns alles klar? Er ist zwar nicht der echte Sei, aber er bedeutet mir noch genauso viel wie einst!"

„Und das ist das Problem. Was hat er dir bedeutet?"

Suzaku wurde unsicher, er sah verstört aus. „Wie meinst du das?"

„Weißt du nicht mehr, was Tyson gesagt hat? ‚Seiryuu war für Suzaku nur ein Zeitvertreib, einer seiner vielen Gespielen, die er beliebig austauschen konnte.‘ Seine Wahrnehmung mag durch den Eis-Kuss verändert worden sein, aber ich glaube nicht, dass er sich auf die Sicht der Vergangenheit auswirken kann. War Seiryuu für dich nur einer von vielen?"
 

Ein langes Schweigen senkte sich auf die beiden Männer, die sich nach außen hin so ähnlich waren und doch unterschiedlicher nicht hätten sein können. Dann traf eine geschickt platzierte Faust Kais Kinn und er stürzte zu Boden. Suzakus Augen glichen brennenden Schlitzen.

„Wie kannst du es auch nur wagen, mich das zu fragen?! Sei war mein ein und alles!! Oh ja, ich habe die Liebe genossen, ohne mein Herz in Fesseln legen zu lassen, und ich war stolz darauf, noch nie eingefangen worden zu sein!! Aber meine Gefühle wandelten sich! Ich habe dagegen angekämpft, weil ich es zunächst nicht wahrhaben wollte!! Sei war mir ein treuer Freund und eine wichtige Stütze gewesen, doch ich hatte ihn nie als Romanze in Betracht gezogen! Kannst du dir vorstellen, wie überrascht, ja, geradezu erschrocken ich war, als ich erkannte, dass ich ihn zu begehren, zu lieben begann - mit meinem ganzen Herz, nicht nur mit einem Teil davon?! Für einen Mann, der es gewohnt ist, sein Herz fest in der Gewalt zu haben, ist das eine außerordentlich einschneidende Erfahrung! Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben!! Zieh das nie wieder in Zweifel, hast du mich verstanden!?!"

Er war ernsthaft wütend.

„... Verzeih... aber warum hat Tyson dann...?"

„... Es ist möglich, dass Sei am Anfang so gedacht hat. Ich habe damals mit ihm geflirtet und ihm den Hof gemacht, weil ich hoffte, damit mein Ziel zu erreichen, aber das hat nicht funktioniert. Ich glaube, er war empört, dass ich versuchte, ausgerechnet ihn zu meiner Liste der Eroberungen hinzuzufügen, wo wir einander doch schon seit unserer Kindheit kannten. Vielleicht dachte er tatsächlich, meine Absichten seien wie gewöhnlich unaufrichtig und ich nur auf eine meiner üblichen Affären aus. Ich gebe zu, dass ich falsch vorgegangen bin. Sicher, ich konnte Männer verführen, die mir gefielen, doch ich hatte nie zuvor um einen Mann geworben, der mich so gut kannte. Da lag mein Fehler. Und nachdem meine ersten Bemühungen erfolglos geblieben waren und Sei sich davon eher verärgert als erfreut gezeigt hatte, verzichtete ich in seiner Gegenwart aufs Schäkern. Für eine Weile glaubte ich sogar, meine Gefühle würden sich abkühlen, aber da irrte ich mich gründlich. Ich verliebte mich ihn... leidenschaftlich und tief, und das ruinierte meine Selbstsicherheit. Bevor Seiryuu in Liebe zu mir entflammte und meine echten Gefühle entdeckte, mag er durchaus gedacht haben, ich sei nur darauf aus, ihn zu einem unter vielen zu machen."

„Ich begreife. Du hattest also auch Schwierigkeiten, dir deine Liebe einzugestehen."

„Zu Beginn... ja. Ein Casanova ist erfahrungsgemäß nicht daran gewöhnt, wirklich zu lieben. Das ist ihm zu kompliziert, zu anstrengend. Aber gegen die wahre Liebe ist man machtlos."

Der Russe erhob sich und berührte die Eismauer. „Suzaku... bitte hilf mir."

„... Hm. Mit dem größten Vergnügen!"
 

Der Prinz des Feuers entfachte ein Inferno glühendheißer Flammen, die auf den Wall einstürmten wie ein Heer feindlicher Soldaten. In wenigen Sekunden schmolz das Bollwerk zu einer riesigen Pfütze zusammen und sie konnten endlich Tysons Seeleninneres betreten. Es war stockfinster und fast unerträglich kalt, sodass beide als Lichtspender schwebende Feuerkugeln erschufen, die ihnen voraus leuchteten. Gegen die Kälte waren sie weitgehend resistent, so wie alle Feuerwächter. Sie wanderten eine Weile schweigend nebeneinander her, bis sie gedämpftes Schluchzen vernahmen. Inmitten der Dunkelheit hockte ein kleiner Junge in zu großgeratenen Kendogewändern und weinte. Er mochte etwa zehn Jahre alt sein und hatte einen saphirblauen Pferdeschwanz. Tyson!

Kai lief auf ihn zu und fasste ihn bei den Schultern. Das Kind hob den Kopf.

„Ty! Weine doch nicht! Ich bin jetzt hier! Ich werde rückgängig machen, was der Eis-Kuss dir angetan hat!"

„... Du willst mir helfen? Nein, das kann nicht sein! Lass mich los! Lass mich los!!!"

Er sträubte sich heftig, schlug mit seinen kleinen Fäusten gegen die Brust des Zwanzigjährigen, entwand sich schließlich seinem Griff und rannte davon.

„Tyson! Was soll denn das?! Halt an! Ich will dir nichts tun!"

„Das wird er dir nicht so ohne weiteres glauben. Vergiss nicht, dass der Eis-Kuss seine Gefühle betäubt oder verdreht hat. Diese Seele ist verletzt, ängstlich, einsam und fühlt sich wehrlos und ungeliebt. Er vertraut dir nicht mehr."

„Aber wie kann ich ihn dann erreichen?"

„Sag ihm, was Sache ist."

„Bitte?"

„Muss ich dir in Gefühlssachen eigentlich alles dolmetschen?! Gestehe ihm deine Liebe, verdammt nochmal! Also ehrlich, alles muss man einzeln in dein Hirn reinhämmern...!"

Kai hielt es für unter seiner Würde, darauf zu antworten. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm auch zum ersten Mal das Outfit seines Alter Egos bewusst - Lederstiefel, eine schwarze Hose aus irgendeinem sehr figurbetonenden Material, dazu ein Gürtel mit Phönixschnalle und darüber ein ärmelloser langer Mantel aus feuerrotem Lackleder, den er offen über seinem entblößten Torso trug. Die kurzen schwarzen Handschuhe komplettierten das Ganze.

„Wie kannst du in einer Situation wie dieser nur so geschmacklos herumlaufen?!"

„Na prima... jetzt fängst du auch noch an, mir deinen eigenen Sex-Appeal vorzuwerfen! Es ist nicht meine Schuld, dass du zu prüde bist, um sowas anzuziehen!"

„..." Der Russe warf ihm einen tödlichen Blick zu und lief dem flüchtenden Tyson hinterher. Der Junge hatte sich erneut am Boden zusammen gekauert und schluchzte. Er hob seine tränennassen braunen Augen zu den beiden Männern empor, als er sie kommen hörte.

„Ihr... seid noch da?"

„Warum sollten wir denn weg sein, kleiner Prinz?", lächelte Suzaku ihm entgegen und wuschelte ihm liebevoll durch die Haare. Das Kind schien diese Geste höchst erstaunlich zu finden und es fragte leise: „Wieso berührst du mich?"

„Warum sollte ich es nicht tun?"

„Man berührt nur jemanden, den man gern hat. Und mich hat niemand gern!"

„Was für ein Unsinn! Es gibt sehr viele Menschen, die dich gernhaben!"

Der Kleine musterte Dranzers Wächter mit sichtbarer Skepsis. „Das kann nicht sein! Wenn das so wäre, wüsste ich das! Man kann doch nicht vergessen, dass einen andere Menschen gernhaben. Oder dass man selbst andere Menschen gernhat. Das geht nicht!"

„Hast du denn jemanden gern?"

„Ich erinnere mich daran, dass ich mal jemanden sehr mochte. Aber ‚Er‘ will nicht, dass mir das wieder einfällt. Sobald ich eine schöne Erinnerung, einen schönen Gedanken oder ein schönes Gefühl in dieser Finsternis gefunden habe, taucht er auf und zerstört alles Schöne. Er will nicht, dass ich glücklich bin... deswegen macht er das Schöne kaputt!"

„Wer ist ‚Er‘?"

„Das ist der, vor dem ich mich fürchte.", erwiderte Ty-chan und seine Stimme zitterte. Es hingen noch Tränen in seinen Wimpern und sein Gesichtsausdruck war verschreckt und verzweifelt. „Er ist da irgendwo... in der Dunkelheit."

„Wie recht du doch hast, du klägliches Überbleibsel. Und du tust gut daran, dich vor mir zu fürchten, das kannst du mir glauben."
 

Das Licht, das die zwei Flammenkugeln spendeten, erhellte bekannte Züge. Es war Tyson in seiner tatsächlichen Gestalt als junger Erwachsener, komplett in Schwarz gekleidet und mit einem boshaften Grinsen versehen; Attribute, die ihm das Flair eines Ritters der Verdammnis verliehen. „Soso, Prinz Suzaku und seine Möchtegern-Reinkarnation beehren mich mit einem Besuch. Welch Glanz in meiner Hütte. Wie bedauerlich, dass ihr zu spät kommt. Die Kälte dieses gefrorenen Herzens wird bald auch den letzten Rest seines mittlerweile mickrigen Widerstandes brechen und dann werde ich in dieser Seele herrschen! Es ist sinnlos, sich einer Entwicklung entgegenzustellen, die fast abgeschlossen ist."

Die „Möchtegern-Reinkarnation" schob sich in den Vordergrund des Geschehens und legte beschützend die Arme um die Schultern des kleinen Tyson. Er machte sich unter dieser Berührung steif wie ein Brett, aber er stieß Kai nicht mehr von sich. Irgendetwas sagte ihm, dass er an der Seite dieses Menschen keine Angst haben musste.

„Lass ihn zufrieden! Du bist das Produkt des Eis-Kusses, ein Wesen, geschaffen aus Lügen und verzerrter Wahrnehmung. Du bist das Dunkle in ihm, und du ernährst dich von seinem Schmerz, seiner Furcht und seiner Einsamkeit! Aber sein echtes Ich ist noch da!"

„Dieses erbärmliche Kind? Zugegeben, das ist noch da. Es besitzt zwar keine konkreten Erinnerungen an das Gute und Schöne in seinem Leben, aber dieses Gefühl in ihm, diese Ahnung, dass es in seiner Existenz noch etwas anderes als Leid gibt, kann ich nicht ausrotten. Der dumme Bengel hält immer noch daran fest - und glaubt allen Ernstes, dass er einmal geliebt hat! Dabei ist er allein und wird es bleiben! Jeder wird allein geboren und jeder stirbt allein! Du solltest deine lächerlichen Illusionen endlich vergessen und kapitulieren!", wandte er sich an sein jüngeres Ebenbild, das vor ihm zurückwich. „Du bist wertlos und bedeutest keinem auch nur das geringste! Je eher du das merkst, umso besser ist es! Also bilde dir nicht ein, dass du jemals jemanden geliebt hättest! Das hast du nicht! Keiner hat dir Liebe geschenkt und du hast keine Liebe erwidert! Liebe ist Selbstbetrug! Sei doch ehrlich: Wer würde eine solche Jammergestalt wie dich schon lieben? Du bist schwach, klein, unwichtig, nutzlos, bedauernswert! Du wirst niemals geliebt werden!"

Ty-chan war in sich zusammengesunken und heulte. Er war ein Kind, das man auf grausamste Weise verletzt hatte. Nichts schmerzte schlimmer als die Wunden der Seele. Kai hielt das bebende Bündel umschlungen und drückte es fest an sich.

„Hör auf zu weinen.", sagte er ruhig und sanft. „Es ist nicht wahr, dass niemand dich liebt. Erinnere dich an Ray, Max und Kenny. Du bist ihnen ein unersetzlicher Freund und sie haben dich sehr gern. Erinnere dich an deinen Bruder und deinen Großvater. Sie lieben dich auch. Und erinnere dich... an mich."

„... an... an dich...?"

„An ihn solltest du dich besser nicht erinnern! Er war der Schlimmste von allen! Er hat dich am meisten gequält, hat dich betrogen und deine Gefühle mit Füßen getreten! Du warst ihm immer gleichgültig! Er interessiert sich nicht für dich und hat es nie getan! Ausgenutzt hat er dich, wenn es ihm in den Kram passte, aber du selbst warst ihm immer egal!"

Ty-chan betrachtete seinen Gegenüber in tiefem Schweigen, fuhr mit einem Finger seine Konturen nach, von der Stirn über die Nase, zu den Wangen und dem Kinn. Lange verharrte der Finger auf den blauen Dreiecken, die sich von der blassen Haut abhoben. Dann wanderte sein Blick hoch zu den rubinfarbenen Augen. Ja. Er kannte diese Augen.

„Stimmt es?", flüstere er zaghaft. „Stimmt es, dass du mir wehgetan hast? Stimmt es, dass du mich nur ausgenutzt hast?"

„Ich habe dich nicht ausgenutzt. Aber es stimmt, dass ich dir wehgetan habe. Ich habe keine Entschuldigung dafür, keine Rechtfertigung. Ich kann dich nur bitten, mir zu verzeihen. Das ist ziemlich anmaßend von mir, da ich selbst selten bis nie verzeihe, ich weiß. Einsamkeit, Angst, Schmerz... sie sind mir nicht fremd. Und über die Jahre hinweg, in denen man mir meine Hoffnung zertrümmerte und mir meine Gefühle austrieb, sind Hass und Bitterkeit in meinem Herzen gewachsen, bis es einfror. Es gab eine Zeit, in der auch ich glaubte, dass niemand mich je lieben könnte. Dass ich niemals lieben könnte. Tyson... wir beide haben Fehler begangen, aber noch ist es nicht zu spät, egal, was dieser Bastard dir einzutrichtern versucht. Wenn du mir nichts bedeuten würdest... wäre ich dann hier?"

„Du... hast mich gern? Wirklich?"

Kai lächelte. Es war ein zärtliches, inniges, besitzergreifendes Lächeln, das über jeden Zweifel erhaben war. Ty-chan wagte ebenfalls ein schmales Lächeln und umarmte den anderen. Sein Vertrauen zu diesem Menschen wurde größer.

„AUSEINANDER, SOFORT!!!"

Ein Zischen und ein Klirren hallten in der Finsternis wider. Der zweite Tyson hatte ein Schwert gezückt und sich angeschickt, die beiden mit einem brutalen Hieb zu trennen, doch Suzaku ließ das nicht zu. Die geheiligte Klinge erschien in seiner Hand und er wehrte die Attacke ab.

„Ich warne dich nur einmal: Rühr sie nicht an oder du wirst es büßen!"

„Denkst du, das beeindruckt mich? Prinz oder nicht, du bist kein Gegner für mich!"

„Ich gebe dir einen guten Rat: Giess kein Öl in die Flammen, sie könnten dich verbrennen! Es war schon immer gefährlich, mit dem Feuer zu spielen!"
 

Indessen hatte sich das schlechte Wetter über Tokyo nach wie vor nicht aufgelöst; der Wind, obgleich weniger eisig als bisher, tobte mit ungeminderter Stärke weiter und der Regen prasselte unablässig in dicken Tropfen hernieder. Ozuma kam gerade aus einer Telefonzelle.

»Zeo, dieser Drückeberger! Wo steckt der bloß?! Keiner geht ran, und das ist mein zehnter Versuch heute! Allmählich wird‘s langweilig! Puh, und dieses Sauwetter verbessert meine Stimmung nicht die Bohne! Diomedes hat sich auch nicht gemeldet und Kenny zu erreichen ist ein hoffnungsloses Unterfangen! Wo sind die alle?! Und warum sagt mir keiner was?! Mann, wie mich das nervt!!«

Er warf sich sein braunes Regencape über und stapfte missmutig durch die grauen Straßen der japanischen Metropole. Plötzlich hielt er inne. Sein Instinkt warnte ihn vor etwas Bedrohlichem, dem er keinen Namen geben konnte. Gleichgültige Gesichter hasteten an ihm vorüber, ahnungslos und unbeteiligt. Da....war jemand....er spürte ganz deutlich die Präsenz eines Magiebegabten, aber es war eine dunkle, verderbliche Magie. Der Jemand schälte sich aus der Menge und näherte sich ihm mit langsamen, bedächtigen Schritten. Seine Ruhe bildete einen seltsamen Kontrast zu der Hektik, die um ihn herum herrschte.

„Ich freue mich sehr, dich zu treffen, Würdenträger", erklärte der Fremde mit einer Stimme, die merkwürdig tief und dumpf klang, fast wie verfälscht. Er trug ein schwarzes Trenchcoat über gleichfarbigen Stiefeln, Pullover und Hose, ein breitkrempiger Hut verbarg sein Haar, das Gesicht war unter einer gespenstisch weißen Maske versteckt, die mit der Bemalung in Gold und Rot und mit der klassischen einzelnen Träne unter dem linken Auge jenen Masken glich, die man vom Karneval in Venedig her kannte.

„Wer... wer bist du?"

„Du darfst mich Phantom nennen. Ich bin der Soldat des Krieges und einer der vier Apokalyptischen Reiter - und ich bin gekommen, um dich zu töten!"

Seelenwanderung (Teil 2)

Tja, hier sind also Kapitel 36 und 37 - und danach wird diese FF pausieren! Ich weiß nicht, wann ich sie weiterschreiben werde, vielleicht werde ich mich auch erst einmal anderen Fandoms widmen, mal schauen. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich bei allen Lesern, die diese Story verfolgt und in ihre Favos aufgenommen haben: Vielen Dank. Vielleicht lesen wir uns bei einer anderen FF wieder! *verbeug*
 

Kapitel 36: Seelenwanderung (Teil 2)
 

In der Finsternis von Tysons Seele standen sich Suzaku, der Prinz des Feuers, und jenes Wesen gegenüber, das der Eis-Kuss durch Lügen, Verzerrungen und gnadenloses Offenlegen der dunklen Seite seines Opfers geschaffen hatte. Kai und der kleine Ty-chan beobachteten den Kampf, und der Russe konnte nicht umhin, eine gewisse Dankbarkeit für das schnelle Einschreiten seines Alter Egos zu empfinden. Im Licht der Flammenkugeln schimmerten die Klingen der beiden Schwerter geheimnisvoll und die Stille besaß etwas Plastisches, Greifbares, nur unterbrochen vom Klirren der Waffen.

„Du bist ein Dummkopf, ‚Hoheit‘! Hast du noch nicht kapiert, dass dieser Planet unserem glorreichen Herrscher gehören wird? Vor zehntausend Jahren mag dieser die Welt gewesen sein, die dem Schutz der Wächter oblag und dessen würdig war - aber jetzt? Die Menschen zerstören ihre eigene Heimat und sind zu blind, um es zu erkennen! Sie führen große Reden, oh ja, aber was wird sich letztendlich ändern? Gar nichts! Seit die Menschheit existiert, tritt sie ihr Paradies mit Füßen, schändet und missbraucht es! Lord Hades wird ihnen das geben, wonach sie verlangen - ein Dasein, in dem sie nicht selbst denken und handeln müssen, in dem ihnen ein anderer Wille befiehlt, ein anderer Wille sie führt! Die Menschheit erstickt an ihrem eigenen Müll, scheitert an ihrer eigenen Unfähigkeit, krepiert an ihrer eigenen Dummheit! Glaubst du wirklich, dass die Gier, die längst die Liebe aus dem Bewusstsein der Menschen verdrängt hat, zu besiegen ist? Mach dich nicht lächerlich! Diese wertlosen Kreaturen verdienen es nicht, gerettet zu werden! Sie verdienen Knechtschaft - und mein Fürst wird sie ihnen geben!"
 

Suzaku verzog angewidert das Gesicht.

„Du klingst wie Deimos. Genau wie er wirfst du alle Menschen dieser Welt in einen Topf und verdammst sie uneingeschränkt zum Elend! Sollte Hades regieren, wird dieser Planet endgültig sterben und seine gesamte Flora und Fauna dahinsiechen, bis nur noch Asche und Staub übrig ist! Und wenn er den letzten Tropfen Leben aus der Erde herausgepresst hat, wird er sie vernichten und sich auf die Suche nach einer neuen Welt machen, die er unterjochen kann! Er ist die personifizierte Zerstörung! Um seine Ziele zu erreichen, wird er vor nichts und niemandem haltmachen... bis sein Gift in jeden Organismus, jede noch so winzige Zelle gekrochen ist und sie von innen heraus auffrisst! Er ist reine, destruktive Gewalt - und du erwartest, dass der Hüter des Heiligen Phönix, der Inkarnation der Wiedergeburt und der Auferstehung, zurückweicht, wenn es zu kämpfen gilt?! Im Ernst... wer von uns beiden macht sich hier lächerlich?!"

Er holte aus und drängte Tyson mit kräftigen, rasch aufeinander folgenden Hieben in die Defensive.

„Alles, was Hades kennt, ist Hass! Wut! Rache! Schmerz! Angst! Verzweiflung! Er versteht weder das Konzept von Freundschaft noch das von Liebe; Geborgenheit, Glück, Frieden, Zusammenhalt, das sind für ihn nur abstrakte Begriffe, mit denen er nichts anzufangen weiß! Er ist völlig unfähig, zu beurteilen, was diese Werte einem Einzelnen bedeuten können! Ich werde nicht zulassen, dass dieses Monster den Sieg davonträgt!"

Mit einem mächtigen Schlag entwaffnete er seinen Gegner; das Schwert fiel zu Boden und der Blauhaarige hielt sich seine blutige Hand, die ein tiefer Schnitt zierte. Aber er wirkte in keiner Weise erschüttert, statt dessen begann er zu lachen.

„Mir ist der Witz wohl entgangen."

„Du bist hier der einzige Witz, Suzaku! Ein leichtherziger Playboy ohne Verantwortungsgefühl, notgeil, eingebildet und versoffen, hat tatsächlich den Nerv, sich vor mir aufzubauen und mir eine Predigt zu halten! Meinst du nicht auch, dass du nicht gerade der ideale Vertreter eines Moralapostels bist? In der Zeit, in der die anderen Prinzen einen einzigen langfristigen Lebensgefährten hatten, hast du mindestens zehn aufgearbeitet!"

Die geheiligte Klinge des Feuerwächters ritzte vorsichtig die Haut an seinem Hals, doch Tysons unverschämtes Grinsen verschwand nicht. Glutrote Augen fixierten schwarze, während sich die beiden Kontrahenten anstarrten.

„Du sprichst die Wahrheit. Ich tauge nicht zum Moralapostel. Ich liebe die Liebe und schöne Männer, bin alles andere als abstinent, schätze Feste und Turniere, und lasse gerne mal durchblicken, dass ich mir etwas auf mein Aussehen einbilde - im Vergleich zu Seiryuu, Genbu oder gar Byakko, die ihr Vergnügen in Maßen zu genießen verstanden, habe ich meistens übertrieben. Sie lebten weder im Zölibat noch waren sie Feierlichkeiten abgeneigt... aber sie fielen nie aus dem Rahmen, im Gegensatz zu mir. Ergo muss Dranzer sich geirrt haben, als er mich erwählte. Willst du ihm das unterstellen?"

Der Ton seiner Stimme wurde schärfer. „Du bist bedauernswert. Ebenso bedauernswert wie der Krieger des Todes. Du bist allein. Das einzige, was dir wirklich gehört, ist dein Hass, den du jedem ins Gesicht schleuderst, der sich dir nähert. In Edens Namen, ich weiß sehr wohl, dass ich nicht perfekt bin - wer ist das schon? Hast du je das Wunder der Schöpfung betrachtet? Die unermessliche Vielfalt, die sich in jedem noch so kleinen Teil dieses Meisterwerks ausdrückt? Nicht alles daran ist schön oder makellos... es gibt auch Hässliches und Grausiges. Aber in jedem Aspekt der Schöpfung steckt etwas ungeheuer Wertvolles..."

„Und das wäre?"

„Leben!!"
 

Das Schweigen, das darauf folgte, betraf nicht nur Tyson. Kai, dessen Hände immer noch auf den Schultern des Kindes ruhten, musterte sein Alter Ego, als hätte er es nie zuvor gesehen. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass dieses ihm vermeintlich so vertraute Antlitz von einer Reife geprägt war, die er sich noch nicht erworben hatte. Vergessen war das für die momentane Situation eigentlich unpassende, freizügige Outfit (das im Grunde nicht wesentlich extravaganter war als ähnliche Kleidungsstücke des Hüters), vergessen waren seine penetranten bis nervtötenden Sprüche und Avancen, und vergessen war auch seine bevormundende Art dem Russen gegenüber. Zum ersten Mal sah Kai das, was der Schutzgott und Seiryuu in ihm gesehen hatten.

»Eine reine, unbezwingbare Flamme... eine Flamme, die so stark und heiß in dir lodert, dass selbst der Heilige Phönix sie als eines Prinzen würdig erachtete... nein. Dranzer hat sich nicht getäuscht. Er hat gut gewählt. Sehr gut sogar.«

„Warum?", unterbrach eine leise Frage seine Gedanken. Ty-chan blickte zu ihm auf.

„Warum was?"

„Warum tut er das? Warum kämpft er mit ‚ihm‘? Fürchtet er sich denn nicht? Und er hat uns beschützt - dich... und mich! Wieso? Man beschützt nur Menschen, die man gern hat! Mich hat niemand gern! ‚Er‘ hat es gesagt! Ich bin nutzlos, unwichtig, schwach! Etwas so Erbärmliches wie mich kann niemand lieben!"

„Suzaku und ich haben dir doch erklärt, dass das nicht wahr ist. Du hast Familie und Freunde, denen du viel bedeutest und die sich um dich sorgen. Du hast mich. Wir alle wünschen uns, dass du zurückkehrst und ‚ihm‘ die Stirn bietest!"

Der Junge schrak zusammen und schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich bin nicht wie der da. Ich bin nicht stark oder mutig, ich kann auch nicht kämpfen und habe Angst. Ich bin klein und wehrlos. Was könnte ich schon gegen die... Finsternis ausrichten?"

Kai, nach wie vor kniend, hob das Gesicht des Kindes an und schluckte. Er war so lange davor geflohen, hatte seine Gefühle weggeschlossen wie etwas Verbotenes oder einen kostbaren Gegenstand, den zu besitzen ein Luxus ist... sein Stolz hatte ihn behindert. Seine Angst. Und jener abscheuliche, harte Eispanzer, der um sein Herz gewachsen war und den er gebraucht hatte, um zu existieren und nicht, um zu leben.
 

I‘m so tired of being here

Suppressed by all my childish fears

And if you have to leave

I wish that you would just leave

Your presence still lingers here

And it won‘t leave me alone
 

„Früher dachte ich auch, ich könnte nichts gegen die Finsternis ausrichten. Ich war müde und kraftlos, erschöpft. Ich gab nach außen vor, unberührbar und unnahbar zu sein, obwohl ich tief in meiner Seele nur ein verzagtes, furchtsames Kind war. Du hast dich allerdings nicht darum gekümmert. Du hast dein Leben genossen, konntest fröhlich, heiter, glücklich sein... manchmal war das nicht zu ertragen. Manchmal habe ich gehofft, du würdest einfach verschwinden und mich wieder allein lassen. Doch selbst wenn du fort warst, schienst du präsent zu sein - in meinen Erinnerungen, meinen Gefühlen. Es gelang mir einfach nicht, dich aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich verstand es nicht."
 

These wounds won‘t seem to heal

This pain is just too real

There‘s just too much that time cannot erase
 

„Die Wunden, die meine Vergangenheit geschlagen hat, wollen nicht heilen. Der Schmerz von damals ist immer noch meine Wirklichkeit. Ich kann... Boris... Hades... nicht verzeihen. Es gibt Dinge, die nicht einmal die Zeit auszulöschen vermag. Aber trotzdem hast du es geschafft, Licht in meine Dunkelheit zu bringen, langsam und unauffällig - so unauffällig, dass selbst ich es zunächst nicht bemerkte."

„Ich? Ich soll dir Licht gebracht haben? Das glaube ich nicht. Wie kann jemand wie ich so etwas Wundervolles tun?"

„Gar nicht!", erscholl die boshafte Erwiderung. Der Tyson in der Erwachsenengestalt bewegte sich nicht, da die Schwertschneide sich keinen Millimeter zur Seite verschoben hatte, während Suzakus brennender Blick ihn durchbohrte. „Wann begreifst du es endlich?! Diese beiden Möchtegernhelden spielen dir nur was vor! Dich liebt niemand! Und du hast es genauso wenig nötig, irgendwen zu lieben! Weshalb solltest du deine Gefühle an Menschen verschwenden, die dich verachten und heimlich über dich lachen? Gib deinen Widerstand auf und kapituliere! Es ist ohnehin nicht mehr viel von dir übrig!"

Der Zwanzigjährige spürte einen Stich. Er hatte einst ähnlich gedacht und so beschwor er Bilder jener Zeit vor seinem geistigen Auge herauf, da er als Mitglied der Bladebreakers dem, was man „Glück" nannte, ein winziges Stück nähergekommen war. Ray, Max und Kenny tauchten ebenfalls in diesen Bildern auf, aber ihre zentrale Figur blieb Tyson. Ein hyperaktiver Bengel. Ein Großmaul. Ein Fresssack. Ein Idiot mit wenig Hirn und zu viel Bauch. Ein ebenbürtiger Rivale. Die erstaunlichste Erkenntnis im Laufe ihrer ersten gemeinsam Zeit. Oder?

Nein. Die erstaunlichste Erkenntnis war, dass Tyson Kinomiya zwar gerne mal den Kopf in den Wolken hatte und sich in den Vordergrund zu drängen pflegte, aber hinter dieser Fassade verbargen sich ein starker Wille, Kampfkraft, Ausdauer... und ein echter Freund. Einer von denen, für die das Wort „Freundschaft" mehr als eine bloße Floskel ist und die daran glauben. Einer von denen, die für einen Freund durch die Hölle gehen würden und die mit ihm fühlen können. Bis zu jenem entscheidenden Tag auf dem zugefrorenen See hatte er das nicht begriffen. Und die Jahre danach? Was hatte ihn aufrechterhalten? Diese Hand. Der Gedanke an diese Hand, die man ihm entgegengestreckt hatte, um seinen Fall zu bremsen. Die Hand, die ihm der Japaner von sich aus dargeboten hatte. Die Hand, die ihn vor dem Sturz in endlose Schwärze bewahrte, als er gegen Brooklyn antrat. Nicht einmal eine reale Hand - in dieser einen, atemlosen Sekunde war es die pure Verkörperung eines Gedankens gewesen, der ihm neue Kraft verlieh. Sein Licht in der Finsternis. Ärgerlicher Teamkamerad. Respektabler Gegner. Vorlauter Angeber. Strahlender Optimist. Stures Kind. Treuer Freund. Tapferer Krieger. Einsamer Junge. Empfindsames Herz. Seine Natur war widersprüchlich, wie bei allen Prinzen.
 

When I cried you‘d wipe away all of my tears

When I‘d scream you‘d fight away all of my fears

And you held my hand through all of these years

And you still have all of me
 

You used to captivate me

By your resonating light

But now I‘m bound by the life you left behind

Your face, it haunts my once pleasent dreams

Your voice, it chased away all the sanity in me
 

»Ich kann es nicht leugnen... dein Licht hat mich gefangengenommen. Und jetzt stößt dort eine Person hasserfüllte Worte aus, die dein schönes Gesicht und deine Stimme hat und doch so anders ist als du... meine Vernunft und meine Logik helfen mir nicht, dich zu begreifen, es ist, als könnte mein Verstand keine Erklärung für dich finden. Wie bringst du es fertig, anmaßend und gütig, arrogant und liebevoll zugleich zu sein? Launenhaft und unberechenbar wie der Wind und wild und unbezähmbar wie ein Drache. Ich bin das Feuer. Du bist die Luft. Feuer muss ohne Sauerstoff ersticken. Es braucht die Luft. Ich... brauche... dich...«

„Tyson", wandte er sich an ihren Feind, den der Wächter des Heiligen Phönix immer noch im Schwitzkasten hatte, „du hast alles Gute und Lebenswerte in dieser Seele zerstört und willst auch den Rest vernichten. Verrate mir eines: Wie willst du weiterexistieren, wenn du das opferst, was dich ernährt? Du lebst von Ty-chans Angst und Verzweiflung. Was bleibt für dich übrig, wenn du ihm selbst den allerletzten Glauben an Glück und Liebe raubst und ihn aussaugst wie ein Vampir? Was wird dir bleiben?"

„Meine Macht über diese armselige Seele!"

„Falsch!", entgegnete der Prinz und diesmal rann ein schmaler Streifen Blut über die Kehle des Blauhaarigen. „Nichts! Gar nichts wird dir bleiben! Du wirst in deiner selbstgeschaffenen Finsternis vor dich hin vegetieren und dich nach dem kleinsten Hoffnungsschimmer verzehren, während dein Geist langsam zerrüttet wird! Bei Deimos ist es genauso! Der einzige Grund, weshalb er noch nicht komplett so geworden ist wie Hades, ist in den Gefühlen zu suchen, die er für Hiro zu entwickeln begonnen hat!" Er drehte sich zu dem Jungen um und winkte ihn heran. Zögernd, eine Faust in sein Kendooberteil gekrallt, machte er ein paar tapsige Schritte auf ihn zu, blieb stehen, sah sich nach Kai um, der ihm folgte, und postierte sich schließlich vor seinem älteren Ebenbild.

„Nicht du bist schwach, Ty-chan... er ist es, denn er hat aufgegeben. Für ihn zählt nur noch die Dunkelheit, die er hinnimmt, anstatt sie zu bekämpfen. Wer aufgibt, verliert automatisch. Du hast Familie und Freunde. Und du hast diesen emotional gehemmten Eigenbrötler da drüben, der sich meine Reinkarnation schimpft."

„Suzaku!!"

„...und der sich prompt darüber aufregt. Er liebt dich."

„SUZAKU!!"

„Was!? Es ist doch wahr!"

„Ist es das?" Das Kind musterte ihn mit großen Augen, skeptisch und neugierig. Der Russe ließ sich erneut auf die Knie nieder und schlang seine Arme um diese zarte Form. Ty-chan schmiegte sich an ihn und schwieg, versunken wie in einer Trance.

„Du bist warm... herrlich warm... hier war mir immer so kalt..."

„Mir war auch sehr lange kalt... viel zu kalt. Die Wunden in meinem Herzen werden nie vollständig heilen. Sie werden Narben zurücklassen, das ist mir klar. Aber ich kann lernen, zu leben... so wie ich gelernt habe, zu lieben."
 

These wounds won‘t seem to heal

This pain is just too real

There‘s just too much that time cannot erase
 

When I cried you‘d wipe away all of my tears

When I‘d scream you‘d fight away all of my fears

And you held my hand through all of these years

And you still have all of me
 

Es war fast gespenstisch still, nur das schwere Atmen des älteren Tyson war zu hören. Und dann fiel ein Satz. Ein einziger, simpler Satz, um den sich doch die ganze Welt drehen konnte.

„Ich liebe dich."

Der kleine Körper in seinen Armen erbebte und befreite sich aus der Umklammerung, braune Seelenspiegel betrachteten ihn ernst. „Glaubst du mir nicht?"

„Ich lese Schmerz in deinem Blick... es ist ein alter, tiefsitzender, stummer, grausamer Schmerz. Du hast sehr gelitten. Weit mehr als ich. Ich bin einsam gewesen, aber niemals so einsam wie du. Deine Gefühle haben dir immer Angst eingeflößt, nicht wahr? Du konntest sie selten verstehen und hast es vorgezogen, sie zu ignorieren, zu verstecken."

Während er sprach, bildete sich zwischen ihm und seinem Doppelgänger eine Verbindung aus mehreren Lichtfäden, die sie mit einem sanften Leuchten umgaben. „Ich ahne, welche Überwindung es dich gekostet haben muss, diese Worte zu sagen. Fürchtest du dich?"

„...Ja."

„Wovor?"

„Vor deiner Antwort. Ich habe dich mehr als einmal verletzt und unsere Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Vielleicht kommt meine Einsicht... zu spät." Er biss sich auf die Lippen, ein Schatten fiel auf sein Gesicht. „Vielleicht hat mich mein eigenes gefrorenes Herz von dem Mann entfremdet, der du geworden bist. Und doch kann ich mich ihm nicht entziehen. Ich... ich will dich zurück! Ich... brauche dich..."

„Hör nicht auf ihn!" Der zweite Tyson, dessen Gestalt dahin zu schmelzen schien, wohingegen die von Ty-chan nach und nach ihr tatsächliches Alter zurückeroberte, keuchte heftig, in einem Auflösungszustand befindlich, den er zu beenden beabsichtigte. „Er lügt! Er lügt, so wie er immer schon gelogen hat, um von dir zu kriegen, was er haben wollte! Hilfe, Verständnis, Trost, Kameradschaft, all das hat er sich von dir erschwindelt, weil du zu leichtgläubig und vertrauensselig warst, um seine Schlechtigkeit zu bemerken! Fall nicht auf sein albernes Getue herein! Er will dich nur wieder ausnutzen!"
 

„Nein. Er ist freiwillig hierher in meine Finsternis gekommen, freiwillig in die Kälte, die er sosehr hasst. Und du..." Er schoss herum, stürmte an Suzaku vorbei und packte den anderen am Kragen seines Mantels. „Du!! Du bist das Produkt eines teuflischen Banns, der meine Gefühle abtöten und mir eine falsche Liebe aufzwingen sollte! In dieser verdammten Dunkelheit hätte ich mich beinahe selbst verloren! Ich hätte beinahe alles weggeworfen, was mir wichtig war! Das muss und wird aufhören - und zwar jetzt!!"

Das Licht um die beiden nahm zu und hüllte sie ein. Die zwei strahlenden Silhouetten vereinigten sich langsam, bis sich ein Blitz entlud und in die Schatten, die über ihnen drohten, hinauf raste, wo er verschluckt wurde. Eine ganze Weile geschah gar nichts, bis die schwarze Welt um sie herum einen ersten Riss erhielt. Von außen drang ein schwacher Lichtschein ein, in dem verschiedene Stimmen mitschwangen. Je größer der Riss, umso lauter wurden sie, bis sie deutlich zu verstehen waren. Der Feuerwächter steckte sein Schwert ein und lächelte. „Was ist das?"

„Das sind besorgte, liebevolle Gedanken, Kai."

~~ Tyson, mein Junge? Bitte kehre zu uns zurück. Man vermisst dich sehr. ~~

~~ Tyson! Komm wieder zu dir, mein Freund! Wir hatten immer so viel Spaß zusammen, ich konnte auf dich zählen und du warst mir der beste Kamerad, den ich mir wünschen konnte! Gib nicht auf! ~~

~~ Wach auf, Tyson! Ich bitte dich! Ich will nicht, dass einer meiner besten Freunde stirbt, nur weil das Böse in ihn eingedrungen ist! Du bist stärker! ~~

~~ Komm zurück, kleiner Bruder. Ich habe Fehler begangen, ich weiß es. Aber ich liebe dich, auch wenn ich es dir nicht oft gezeigt habe. Verzeih mir. ~~

Die Finsternis wurde unterdessen von weiteren Rissen durchzogen, bis das gesamte dunkle Gebilde in unzählige Scherben zerbarst, die sich in Rauch verwandelten. Die zwei ehemals geteilten Gestalten hinterließen nur einen einzigen Körper, einen erwachsenen Tyson in einem blauen Kimono, der dalag wie schlafend. Der junge Russe wollte zu ihm eilen, als er einen unerwarteten Ruck spürte und von einem Sog ergriffen wurde, der ihn unbarmherzig in die Realität des Krankenzimmers zurückschleuderte.

„Kai? Kai!"

Er schlug mühsam die Augen auf und schaute sich um, zunächst orientierungslos und geblendet vom grellen Weiß der Wände. Er richtete sich auf und erkannte Mr. Dickenson, Max, Ray, Hiro und Bryan, die ihn erleichtert begrüßten.

„Wie geht es dir, mein Junge?", erkundigte sich der Zaubermeister vorsichtig.

„Mir dröhnt etwas der Kopf... und ich fühle mich ein wenig schwach in den Beinen, aber ansonsten ist alles in Ordnung... was ist mit Tyson? Tyson!!"

Er streichelte über die Wange des Schlafenden und stellte fest, dass seine Haut nicht mehr so kalt war wie vorher. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig im Rhythmus seiner Atemzüge. Er lauschte seinem selbstständigen, stetigen Herzschlag. Sein Gesicht bekam wieder Farbe. Der Hohepriester informierte den Arzt, der eine schnelle und professionelle Untersuchung durchführte und die Geräte als unnötig einstufte.

„Es ist mir ein Rätsel. Ganz offensichtlich hat sein Organismus das Problem mit dem erstarrten Herzen selbst gelöst. Wirklich ein außergewöhnlicher Fall, da ich noch nicht einmal eine Ursache für den Herzstillstand diagnostizieren konnte. Darf ich die Anwesenden bitten, für einen Moment das Zimmer zu verlassen? Die Maschinen können entfernt werden."

Man gehorchte und teilte den draußen wartenden Mitgliedern des Ordens von Eden mit, dass das Leben des Drachenhüters gerettet sei. Daichi nutzte diese glückliche Nachricht, um ein wildes Indianergeheul auszustoßen (ohne sich darum zu kümmern, ob das für die ehrwürdigen Hallen eines Hospitals das angemessene Benehmen war), die ernsten und bedrückten Mienen der anderen hellten sich auf. Max, dessen Anspannung endlich nachließ, begann leise zu schluchzen. Sein Liebster umarmte ihn zärtlich und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. Hiro hielt sich etwas abseits; er stand mit dem Rücken zu den übrigen Wächtern und sagte kein Wort, bis Kai ihn ansprach. Er drehte sich um, sein Gesicht war nass von Tränen. Die beiden Männer musterten sich, als begegneten sie sich heute zum ersten Mal.

„Vielen Dank", flüsterte der Ältere schließlich. „Ich danke dir, dass du ein so großes Risiko auf dich genommen hast, um meinen Bruder zu retten. Welchen besseren Liebesbeweis hätte ich mir wünschen können? Wenn irgend jemand ihn verdient, dann bist du es. Ich hoffe für euch, dass ihr zusammenfindet, nachdem ihr so viele Hürden überwinden musstet. Meinen Segen habt ihr... mein Freund."

Er reichte ihm die Hand und der Graublauhaarige ergriff sie.

„Danke, Hiro."
 

***
 

Das Gewitter hatte an Intensität verloren, aber der Regen ergoss sich immer noch erbarmungslos über der Stadt und ihren Bewohnern. Ozuma ballte seine Hände zu Fäusten.

„Bist du denn verrückt?! Du willst hier in einer belebten Straße mit mir kämpfen, vor aller Augen, willst Unschuldige mit hineinziehen in unsere Auseinandersetzung?! Das geht nicht! Diese ahnungslosen Menschen haben dir nichts getan! Lass sie da raus! Wenn du mich so gerne töten möchtest, würde ich es nicht vor so vielen Zeugen tun!"

„Dann sterben eben auch die Zeugen.", erklärte die unheimliche Stimme, die der Krieger „Phantom" sein eigen nannte.

„Hör zu, Diener des Hades, ich bin zu einem Duell bereit, wenn du damit einverstanden bist, einen entlegeneren Platz dafür zu suchen. Es hilft dir nicht, mich mit übersteigerten Grausamkeiten zu beeindrucken - denn ich bin nur sehr schwer zu beeindrucken. Also, was ist?"

„Deine Furchtlosigkeit ist interessant, Würdenträger. Du unterscheidest dich in der Tat von den meisten Menschen, die sich vor allem durch Egoismus, Ehrgeiz und Heuchelei auszeichnen. Du hingegen denkst an die anderen, willst sie nicht meiner Willkür aussetzen. Ungewöhnlich. Sehr ungewöhnlich. Normalerweise ist sich ja jeder selbst der Nächste... aber du weichst auf geradezu erfrischende Weise von dieser Regel ab. Das grenzt an Dummheit, ist aber nicht zu ändern. Und angeblich ist das Glück mit den Dummen. Vielleicht nützt dir das etwas... es dürfte die einzige Chance für dich sein, einen Kampf mit mir zu überleben!"

Er schleuderte einen Hagel magischer Shuriken auf Ozuma. Als einer davon im Boden einschlug, spaltete er die Pflastersteine und der Japaner erkannte die Gefährlichkeit dieser Waffe. Traditionelle Shuriken waren riskant genug... mussten die fiesen Typen immer übertreiben?! Er wich mit akrobatischen Sprüngen aus und schlüpfte in eine Seitenstraße. Phantom verfolgte ihn, doch er beeilte sich nicht. Gemächlich marschierte er hinterdrein, als mache er einen gemütlichen Spaziergang. Die übrigen Menschen schienen ihn gar nicht zu bemerken. Wie ein Schatten und ebenso unbeachtet bewegte er sich durch die Massen, hielt sich dicht hinter seinem Opfer und ließ sich von ihm ohne große Hektik zu einem Spielplatz führen, der etwas versteckt in einer Grünanlage aufgebaut worden und angesichts des miserablen Wetters heute völlig verlassen war. Ozuma war durch seinen Sprint ein wenig außer Atem, während sein Kontrahent sich gab, als amüsiere ihn das alles aufs höchste.

„Na, zufrieden? Hier ist niemand außer uns. Gestattest du es mir jetzt, dich zu töten?"

„Du kannst es versuchen."
 

Phantom legte die Hände zusammen, murmelte ein paar undeutliche Worte und eine schwarze Peitsche materialisierte sich vor ihm. Er packte sie und holte weit aus. Der Rothaarige rollte sich zur Seite, als sich die Peitsche plötzlich verlängerte und sich um seinen Hals wickelte. Die Leine spannte sich mit einem Ruck.

„Du hättest mich nicht herausfordern dürfen, Würdenträger. Es ist mehr als riskant, sich mit einem der vier Apokalyptischen Reiter zu messen! Krieg, Hungersnot, Pest und Tod. Das müsste dir bekannt vorkommen - die Menschheit hat es geschafft, all diese entzückenden Dinge auf ihrem Heimatplaneten zu verbreiten. Lord Hades ist ihnen dankbar... auch für ihre negativen Gefühle, wie etwa Hass, Neid, Hochmut, Angst, Zorn, Gier... so vielfältig und machtvoll. Ein unerschöpflicher Quell dunkler Energie! Wie wollt ihr das Böse besiegen, wenn es doch seit Ewigkeiten in den Herzen der Menschen wohnt? Es ist Teil ihrer Natur."

Er zog die Schlinge fester.

„Es gibt Menschen, bei denen das zutrifft, das gebe ich zu", würgte Ozuma hervor. „Die Söhne und Töchter Luzifers, wenn man so will. Sie werden schon so geboren. Sehr oft sind sie wunderschön, aber das Leben anderer bedeutet nichts für sie. Sie sind innerlich verfault. Für solche Kreaturen kämpfe ich nicht! Ich kämpfe für die, die es verdienen! Vielleicht sind das die wenigsten auf dieser Welt, das mag sein - aber sie sind es mir wert! Und meine Familie, meine Freunde?! Soll ich sie im Stich lassen, nur weil ein Teil der Menschheit verdorben ist?! Dieser Planet ist unsere Heimat, wie du selbst gesagt hast... unsere einzige Heimat!!"

„Du bist bemerkenswert edelmütig... und dämlich! Warum willst du dich für das Wohl eines Volkes aufopfern, dessen Mitglieder sich gegenseitig ausrotten? Soweit ich es beurteilen kann, seid ihr eine vom Aussterben bedrohte, körperlich wie seelisch degenerierte Rasse, die unfähig ist, zu erhalten, was die Natur ihr schenkt! Soll ich sie dir zeigen... die Wahrheit?!"

Er entfernte die Peitsche, wobei er seinen Gegner zu Boden schleuderte, wo er hastig nach Luft rang. Mit einem katzengleichen Sprung war er über ihm und presste ihm mit beiden Händen die Kehle zu. Der Japaner trat und schlug um sich, als in seinem Kopf eine Bilderflut hervorbrach, seine Gedanken überschwemmte und ihn fast betäubte. Er sah Soldaten, Kriegsmaschinen, schreiende Menschen, Explosionen, verstümmelte Leichen, weinende Kinder, strömendes Blut - und er fühlte in brutaler, erschreckender Deutlichkeit das Elend, den Schmerz, die lähmende Angst, die Verzweiflung, die sinnlose Grausamkeit... die Hoffnungslosigkeit. Die Eindrücke drohten ihn zu überwältigen. Sie sickerten in sein Herz und vermischten sich dort zu einem ekelerregenden Sumpf menschlicher Unmenschlichkeit. Von dort schienen Entsetzen und Widerwärtigkeit in jede einzelne Zelle seines Körpers zu kriechen und sein Bewusstsein wie unter einem schleimigen Sekret zu ersticken. Die Anstrengung, sich gegen dieses teuflische Eindringen in seinen Geist zu wehren, trieb ihm kalten Schweiß auf die Stirn, der Terror in seiner Seele Tränen in die Augen. Seine physische Kraft versiegte nach und nach, das Herz klopfte ihm rasend in der Brust, peinigend, hart, als wolle es seine Rippen sprengen. Alles in ihm verkrampfte sich, Atem zu schöpfen wurde mühsam, eine dumpfe, bittere Übelkeit sammelte sich in seinem Mund. Wie aus weiter Ferne hörte er die unheimliche Stimme von Phantom: „Siehst du nun die Wahrheit? Siehst du die Sünden der Menschen?"

Ozuma nickte hilflos. Es war zu viel für ihn. Er konnte es nicht mehr ertragen. Er war immer so stolz gewesen auf seine Stärke und seinen unbezwingbaren Willen, aber zu erleben, wie schwach und erbärmlich er in Wirklichkeit war, erschütterte ihn bis in die Grundfesten seines Wesens. Er konnte niemandem eine Hilfe sein! Er war völlig nutzlos, ein Angeber ohne echtes Rückgrat, den zu verachten das einzig Richtige war! Wie hatte er sich jemals einbilden können, für den Orden von Eden von Bedeutung zu sein? Seine Anmaßung kannte keine Grenzen. Wie verabscheuungswürdig und jämmerlich er doch war!

„Du bist bald am Ende, mein Freund. Es ist so einfach, vermeintliche starke Menschen wie dich zu zerbrechen! Ihr glaubt, mit allem fertigwerden zu können, und dabei seid ihr nur Schauspieler, denen echte Stärke fehlt! Ihr versteckt euch hinter einer Maske, um eure Verletzlichkeit und eure Furcht zu verbergen! Bedauernswerte Typen wie dich gibt es überall. Ich habe dich gewarnt, dich mit mir anzulegen. Die Gefahr fördert immer das wahre Gesicht zutage, der Krieg offenbart die tatsächliche Natur einer Rasse. Hör auf, ein Volk von Mördern zu verteidigen! Du weißt, dass das falsch ist!"

Der gnadenlose Würgegriff schloss sich wie eine eiserne Zange um den Hals des Rothaarigen, während die grässlichen Bilder weiter durch sein Bewusstsein jagten. Tränen rannen ihm über die Wangen und tropften auf Phantoms Finger. Er neigte sich zum rechten Ohr seines Opfers und flüsterte beinahe zärtlich: „Du wirst sterben, Würdenträger."
 

Kenny, der ebenfalls im Krankenhaus weilte, saß vor seinem Laptop und berichtete Dizzy von Tysons Zustand. „Man hat die Geräte entfernt, nun, da sein Herz wieder selbstständig schlägt. Ich bin so froh, dass er sich dank Kai vom Bann des Eis-Kusses befreien konnte. Er ist noch nicht wieder aufgewacht - extreme Erschöpfungserscheinungen des Organismus‘, sagt der Arzt - ...aber ich denke, dass er das Schlimmste überstanden hat. Trotzdem soll er zur Beobachtung noch ein oder zwei Tage hier bleiben."

„Das ändert aber nichts daran, dass du deine Prüfung ablegen musst", erklärte der Archivar ernst und der Achtzehnjährige seufzte. „Das Gleichgewicht der Elemente ist immer noch gestört und kann nicht allein durch die Tatsache, dass Tyson nicht mehr dem Eis-Kuss unterliegt, einfach wiederhergestellt werden. Feuer und Luft sind nach all diesen Strapazen äußerst geschwächt - zumal wir nicht vergessen dürfen, dass die Hilfe der Pfeiler von unschätzbarem Wert sein kann. Du kannst nicht vor deiner Verantwortung davonlaufen, Ken!"

Es war selten, dass sie ihn nicht mit seinem Spitznamen ansprach. Er wollte antworten, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. „Hiro! Hast du mich erschreckt! Was ist?"

„Nimmst du es nicht wahr? Diese Aura?"

„Diese... Aura? Wieso fragst du das mich?"

„Diomedes hat mir verraten, dass du einer der Auserwählten bist. Ich gestehe, dass ich das nicht erwartet hätte, aber ich vertraue auf das Urteil der Schutzgötter. Draciel ist es, der dich erwählte, und er wird wissen, warum. Aber es missfällt dir?"

Der Brünette starrte ihn mit seinen durchdringenden grünen Augen an und schwieg. Er wusste, dass es dazu nichts zu sagen gab. Daher konzentrierte er sich auf die magischen Schwingungen in seiner Umgebung und erschauerte plötzlich.

„Du hast recht! Ich spüre etwas... Bedrohliches. Es ist..."

„...einer von uns?"

„Ja. Seine Seelenenergie nimmt rapide ab. Etwas Böses, Zerstörerisches ist am Werk. Wirst du mich begleiten?"

„Du willst gehen?"

„Ich habe keine Wahl. Ich bin auserkoren." Es klang monoton, resigniert.

„Dann begleite ich dich. Mein Bruder ist in guten Händen und unsere Freunde wachen über ihn. Und Kenny... vergiss nicht, dass keiner von uns die Wahl hatte, auch die Prinzen nicht. Ich kann verstehen, dass du Angst hast. Du bist kein Kämpfer. Aber du besitzt Mut und einen scharfen Verstand. Ein Würdenträger braucht unsere Hilfe. Wirst du sie ihm gewähren?"

Einen Moment lang erwiderte der Jüngere nichts. Schließlich hob er den Blick, die Stimme fest und entschlossen: „Ja."

„Gut. Lass uns gehen."

Code Omega

Kapitel 37: Code Omega
 

Ozumas Bewusstsein, durchdrungen von grauenerregenden Bildern und erfüllt mit noch grausigeren Emotionen, schwamm in einem Meer aus Schmerz und Angst. Sein Widerstand war vollständig erlahmt. Die erbarmungslosen Hände, die ihn würgten, nahm er kaum mehr wahr. Mit seinen Tränen floss seine Seelenenergie aus seinem Körper, eine persönliche Technik des Soldaten „Phantom", der wie der Krieg, sein Attribut, hervorragend darin war, seine Gegner psychisch an ihre Grenzen zu führen und von innen heraus zu zermürben.

»Ich komme nicht gegen ihn an!« dachte er verzweifelt. »Er wütet in meinem Geist wie ein Berserker! Ich halte das nicht aus...!«

„Deimos hatte recht. Menschen sind hinreißend, wenn sie leiden! Du machst das sogar besonders gut. Ich hätte schon viel früher versuchen sollen, dich zu töten. Schade, dass ich deswegen so viel Spaß verpasst habe. Umso reizvoller ist es jetzt. Das ist dein Ende, Würdenträger!"

Er drückte zu, presste die Luftzufuhr endgültig ab. Einen Augenblick meinte Phantom, ein Geräusch gehört zu haben, doch er beachtete es nicht weiter. Er lachte leise, während Ozuma mit dem Tod rang.

Plötzlich verstummte er. Kalter Stahl lag an seiner Kehle, die Klinge eines Schwertes. Er drehte sich langsam um und erblickte Kenny und Hiro, die beide angestrengt keuchten, als hätten sie einen Dauerlauf hinter sich (was in gewisser Weise zutraf).

„Spuck‘s aus, du maskierter Bastard! Wer bist du?!"

„Ah, der Herr der Stürme persönlich... und in seiner Begleitung der Auserwählte von Draciel. Ich fühle mich geehrt, eure Bekanntschaft zu machen - besonders die deine, Hiro-san. Du hast den armen Deimos ziemlich durcheinandergebracht, das muss man dir lassen. Ich bin der erste, der dir neidlos zugesteht, dass du ihn um den kleinen Finger wickeln kannst. Wirklich, eine beachtliche Leistung. Umso mehr will er dich tot sehen!"

„Deimos kann mich nicht töten. Er hatte oft genug die Gelegenheit, aber er hat es nicht geschafft. Lass ihn aus dem Spiel. Es geht hier um dich. Also, ich wiederhole: Wer bist du und was hast du mit Ozuma gemacht?"

Der Druck der Schwertspitze nahm zu, bis sie die oberste Hautschicht ritzte. Phantom begriff, dass die Erzählungen seines Hauptmanns, die den älteren Bruder des Drachenhüters zum Inhalt hatten, durchaus der Wahrheit entsprachen - er konnte es sich nicht leisten, ihn zu unterschätzen, schon gar nicht jetzt, da er erwacht war. Die brutalen Hände ließen von dem Rothaarigen ab und falteten sich zu einer gebetähnlichen Geste. Die verfremdete Stimme murmelte irgendetwas vor sich hin; zischend und bedrohlich klang es. Im Sandkasten des Spielplatzes bildete sich ein Strudel aus schwarzer Energie, aus dem sich eine wilde Kreatur erhob. Sie besaß den Körper eines Löwen, den Schwanz eines Skorpions, das Gesicht eines Menschen und jeweils drei Zahnreihen in Ober- und Unterkiefer. Ihr Gebrüll glich dem des Königs der Tiere, doch es wirkte um einiges furchteinflößender, da es wie aus mehreren Lautsprechern zu kommen schien, so dröhnend und durchdringend war es.

„Was... was ist das?"

„Das ist ein Mantichor", erwiderte Kenny mit der ruhigen Sachlichkeit eines Wissenschaftlers, im selben Tonfall, als hätte er gesagt „Das ist ein Hund." Hiro warf ihm kurz einen schiefen Blick zu, dann beförderte er den überraschten Phantom mit einem harten Tritt von ihrem Kameraden hinunter und hielt sein Schwert in die Höhe.

„Luft!!"

Ein Windwirbel fuhr in Spiralen um ihn herum und verwandelte ihn. Der Mantichor ging sofort zum Angriff über und holte mit einer seiner Pranken aus. Der Silberhaarige nutzte die Antriebskraft seines Elements, um seine Geschwindigkeit zu erhöhen und wich dem Hieb mit einem akrobatischen Sprung aus.

„Warum müsst ihr bösen Jungs immer gleich eure Schoßtierchen rufen?"

„Weil es unfair ist. So macht es mehr Spaß."

„Von dieser Seite habe ich das noch nie betrachtet..."

Während der Soldat des Krieges amüsiert die Bemühungen des Herrn der Stürme beobachtete, den das Ungeheuer offensichtlich als seine nächste Mahlzeit einstufte, war Kenny zu Ozuma geeilt und untersuchte seinen Zustand.

»Er ist nicht tot, sondern nur bewusstlos... trotzdem ist sein Puls besorgniserregend schwach. Und auch seine Aura ist fast verschwunden. Ich glaube nicht, dass es unserem Feind um die rein physische Vernichtung geht. Er hat seine Seelenenergie förmlich aus ihm... herausgesogen! Was soll ich tun? Wenn ich doch nur schon ein Pfeiler wäre!«

Aber ungeprüft war er nur ein einfacher Mensch. Ein einfacher Mensch mit dem Potenzial zur Magie, ein Umstand, den er, wie die Heilige Schildkröte behauptet hatte, seiner starken Seele verdankte. Er hatte das nie recht geglaubt. Seine Steckenpferde waren Wissenschaft und Technik, also jene Dinge, die sich durch Vernunft und Logik begründen, erklären oder begreifen ließen, und zu denen er einen konkreten Bezug herstellen konnte. Der epische Kampf Gut gegen Böse, in den er hineingeraten war, hatte sein wohlgeordnetes Leben über den Haufen geworfen und forderte von ihm einen Einsatz, den zu erbringen er sich nicht bereit fühlte. Er war kein Feigling, aber dennoch hatte er Angst. Selbst seine überdurchschnittliche Intelligenz konnte ihm nicht helfen, wenn sie nicht mit irgendwelchen magischen Fähigkeiten oder kämpferischem Können einherging. Gegen Monster wie den Mantichor oder Typen wie diesen Phantom war er machtlos. Welche Stärke meinte der Schutzgott in ihm erkannt zu haben? Warum er? Er hielt nichts davon, im Rampenlicht zu stehen. Schon damals bei den Bladebreakers war es so gewesen. Er war der Ratgeber, der Mechaniker, der Stratege abseits der Arena - er war derjenige außerhalb der Duelle, der Beobachter. Eine Rolle, mit der er zufrieden war und die ihm lag.

»Was hat Draciel sich bloß dabei gedacht, mich auszuwählen? Meine Freundschaft mit Dizzeira macht mich noch lange nicht zu einem Wächter. Ich bin nicht so willensstark wie Tyson, so stolz wie Kai, so optimistisch wie Max oder so entschlossen wie Ray. Warum ich? Warum ich?!«

„Oho, ein Zweifler! Nein, das ist ja entzückend!"

Kenny fuhr auf und starrte die grausig weiße Maske mit den roten und goldenen Verzierungen an wie ein Gespenst. Obwohl sie an den Karneval von Venedig gemahnte, trug das aufgemalte Lächeln nicht dazu bei, ihn zu beruhigen, vielmehr verlieh es dem Ganzen etwas grotesk Überzeichnetes, Falsches, Verlogenes. Mit Augen wie Schlitzen und dem sehr breiten lachenden Narrenmund erinnerte es eher an Wahnsinn als an Fröhlichkeit. Er musste schlucken.

„Ich gebe zu, dass mir auch nicht ganz klar ist, weshalb der Schutzgott des Wassers ausgerechnet dich auserwählte, Bürschchen! Natürlich, die Schildkröte symbolisiert Wissen und Weisheit, folglich hat Draciel eine Schwäche für intelligente Jünglinge, aber welche Qualifikationen hast du sonst zu bieten? Eine starke Seele, heißt es. Nun, ich werde es erproben! Mach dich bereit!"

Er sprang ihn an wie ein Raubtier und packte zu, die erbarmungslosen Hände schlossen sich um den ungeschützten Hals wie eine Zange. Automatisch versuchte er, sich zu wehren, zerrte an den Armen seines Angreifers, rief um Hilfe. Hiro wirbelte herum, schlitzte dem Mantichor das linke Vorderbein auf und schickte sich an, Kenny zu befreien, als die Kreatur, nun verletzt und zornig, ihren riesigen Skorpionschwanz dazwischen warf und ihn zu Fall brachte. Der Ältere fluchte, rollte sich zur Seite, als der Schwanz mit hochgerecktem Stachel erneut ausholte und eine tiefe Kerbe in den Boden schlug und schleuderte der Bestie eine Ladung Shuriken aus Windströmen entgegen, die Stirn, Schultern und Rumpf trafen. Blut spritze hoch, die Wut des Mantichors steigerte sich zur Raserei.

Scheiße.
 

Inzwischen hatten die meisten Mitglieder der Zwölf das Krankenhaus verlassen, nur die Prinzen, Mr. Dickenson, Bryan und die übrigen Ersten Vasallen sowie Daichi waren geblieben. Tyson schlief tief und fest, ohne zu ahnen, dass Kai an seinem Bett saß. Der Sturm hatte nachgelassen, aber es goss immer noch wie aus Eimern. Das gleichmäßige Prasseln der Regentropfen war das einzige wahrnehmbare Geräusch, das die Stille störte. Der Russe stand auf, trat ans Fenster, blickte hinaus in die graue Außenwelt, drehte sich um, betrachtete das schlafende Antlitz und kehrte wieder zu dem Stuhl zurück, den er sich zurechtgerückt hatte. Seine Augen verblieben dabei unentwegt auf dem schönen Gesicht. Seine Hand näherte sich der Hand des Japaners, die regungslos auf dem Laken lag, hob sich, als mache sie Anstalten, sich um diese andere Hand zu schließen, doch dann sank sie neben ihr nieder, ohne sie zu berühren.

Und so saß er.

Mr. Dickenson und die übrigen hatten sich um den ovalen Tisch der ungemütlichen Sitzgruppe versammelt, die sich vor dem Korridor Richtung Krankenzimmer befand, schweigend, ernst, abwartend. Nicht einmal Daichi wusste etwas Auflockerndes beizusteuern; trotz der Erleichterung darüber, dass Tysons Leben gerettet war, belastete eine unerklärlich Anspannung die Atmosphäre. Als Max sich plötzlich erhob, schienen alle zusammenzuzucken.

„Airen? Wo willst du hin?"

„Ich habe jetzt die Gelegenheit, mit Tala zu sprechen."

„Du willst zu ihm?"

„Ja. Wo ist sein Zimmer, Bryan?"

„Es ist Zimmer 308, also im dritten Stock. Soll ich dich hinbringen?"

„Danke, nein. Ich finde es sicher allein."

Damit verschwand er. Ray sah ihm eine Weile nach und mit einem Mal überkamen ihn Erinnerungen an früher, an eine Zeit, als Beybladen das Größte für sie gewesen war und das Schicksal der Welt sie nicht bekümmert hatte. Er dachte an Max‘ strahlendes Lächeln, sein sonniges Gemüt, seine Unbeschwertheit... ein hilfsbereiter, freundlicher, herzensguter Junge, der jedoch auch zu einem echten Gegner werden konnte, den zu unterschätzen unklug war. Als er ihn damals kennenlernte, hatte er ihn sofort liebgewonnen. Aber aus irgendeinem Grund hatte er sich selbst während der sechs Jahre nach der Trennung des Teams nicht von dem Bild des jüngeren, kindlicheren, naiven Amerikaners lösen können, er hatte sogar außer Acht gelassen, dass Max ebenso wie er älter wurde. Warum, konnte er nicht genau sagen. Max war so, wie er war, ein Freund, vielleicht ein bisschen wie ein kleiner Bruder. Dass er sich verändern, reifen könnte, diese Idee hatte ihn nie auch nur gestreift. Ihre erste Begegnung anlässlich der neuen Weltmeisterschaft hatte ihn daher regelrecht umgeworfen. Er musste schmunzeln. Die Vorstellung von Max als kleinem Jungen war in seinem Gedächtnis so fest verankert, dass ihn jener attraktive junge Mann mit dem sprühenden Charme und dem schöngewachsenen Körper, der ihn am Flughafen begrüßt hatte, vollkommen aus dem Konzept gebracht hatte.

»Ich fühlte mich sofort zu ihm hingezogen, obwohl ich anfangs ganz und gar nicht damit einverstanden war. Schließlich war er einer meiner besten Freunde. Ich konnte mich doch unmöglich in einen von ihnen verlieben! Aber solche Dinge lassen sich nun einmal nicht beeinflussen. Es...«
 

Sein Gedankengang brach abrupt ab, als der Achtzehnjährige plötzlich zu ihnen zurück rannte, als wäre der Teufel selbst hinter ihm her. „Hades!" war alles, was er sagte, aber es genügte. Er eilte den anderen Wächtern und den beiden Zaubermeistern voraus zum Eingang der Station, wo normalerweise eine gewisse Betriebsamkeit herrschte, die diesmal nicht zu bemerken war - und das war kein Wunder, denn die Menschen wirkten wie erstarrt; eingefroren in ihren Bewegungen, als hätte jemand die Zeit angehalten. Hades, in einer riesenhaften Projektion seiner Selbst, umgeben von schwarzen Wolken und seltsamen blutroten Schwaden, trug eine reichverzierte Rüstung mit Umhang, auf seinem Kopf thronte ein Helm in Form eines Schlangenhauptes. Mr. Dickenson trat vor, der Schamanenstab erschien in seiner Hand.

„Was willst du hier, du wandelnder Alptraum?"

„Dies ist ein offizieller Besuch, Zaubermeister Diomedes." Seine kalte Stimme, magisch verstärkt, dröhnte beinahe schmerzhaft in ihren Ohren. „Die vier Apokalyptischen Reiter sind vereint. Sie werden meine Armeen in die Schlacht führen. Blickt also dem Unvermeidlichen ins Auge, Wächter von Eden: Hiermit... erkläre ich euch den Krieg!!"

An das Ende seiner Worte setzte er noch ein bösartiges, höhnisches Gelächter, bevor er in einem Schwall zuckender schwarzer Blitze verschwand. Sein Bann löste sich auf und das Krankenhauspersonal erwachte aus seiner Erstarrung, als wäre nichts geschehen. Mr. Dickenson stand nun seinerseits wie versteinert, die Hand, die den Stab hielt, zitterte heftig, seine Augen hatten sich vor Schreck geweitet.

„Es ist soweit...", murmelte er tonlos. Ihm wurden die Knie weich, er schwankte und Daichi sprang hinzu, um ihn zu stützen. Nachdem der alte Mann eine Weile tief ein- und ausgeatmet hatte, hatte er sich wieder in der Gewalt.

„Informiert mich, falls Tyson aufwachen sollte. Ich muss unverzüglich zum Tokyo Tower!"

Er verließ das Hospital so schnell wie seine Beine es ihm erlaubten, schlüpfte in eine Seitenstraße und teleportierte sich von dort direkt zum Wahrzeichen der Stadt.

„Was hat er vor, Daichi?", erkundigte sich Ray bei dem rothaarigen Priester in Ausbildung.

„Was glaubt ihr wohl?", entgegnete der Fünfzehnjährige ernst. „Hades hat seine Hauptleute zusammengerufen und seine Armeen gesammelt. Er hat uns offiziell den Krieg erklärt. Wir werden also dasselbe tun. Unsere Streitkräfte einen und mobilisieren."

„Du meinst... Code Omega?"

„Ja. Ich meine Code Omega."
 

Es war ein gewöhnlicher Wochentag und zudem erst zehn Uhr, daher war der Tokyo Tower nicht so überlaufen wie sonst. Die wenigen Besucher achteten nicht auf Mr. Dickenson, wofür er dankbar war. Er würde zwar hinterher ein paar Vergessenszauber anwenden müssen, aber das musste er in diesem Fall akzeptieren. Er stand direkt unter dem Turm und mit einem Wink seines Stabes verwandelte er sich in Zaubermeister Diomedes. Einigen Passanten fiel er aufgrund dessen nun doch auf. Jaja, Vergessenszauber... Er schloss die Augen, konzentrierte sich und richtete den Stab gen Turmspitze. Ein magischer Kreis mit allerlei verschnörkelten Symbolen zeichnete sich wie von Geisterhand in den Boden zu seinen Füßen, glühte rot auf und das Leuchten griff auf den Körper des alten Mannes über. Der Kreis veränderte sich langsam und nahm schließlich die Form des Buchstaben Omega an. Als der Buchstabe plötzlich verschwand, erschütterte ein Beben die nähere Umgebung und eine Art Druckwelle schien sich über die gesamte Stadt hinweg auszubreiten. Diomedes war zufrieden. Er hatte das Signal ausgesandt. Jetzt hieß es warten.
 

~~ Deutschland, Schwarzwald ~~
 

Robert Jürgen (eigentlich ‚von‘ Jürgen), Abkömmling einer uralten germanischen Familie, wohnhaft in einer fast ebenso alten Burg, die über Generationen hinweg weitervererbt worden war und sich einer farbenprächtigen persönlichen Geschichte erfreuen durfte, schlief gerade den Schlaf des Gerechten, als er höchst unsanft geweckt wurde. Sein Butler stand dicht neben seinem Bett, holte einmal tief Luft und schreckte seinen Herrn mit einem lautstarken „Euer Gnaden!!!" aus seinen Träumen auf. Robert gähnte herzhaft, versuchte, durch seine schlafverkrusteten Augen zu blinzeln und warf einen Blick auf die Uhr.

„Es ist zwei Uhr morgens, Alfred. Ich hoffe für Sie, dass Sie einen guten Grund dafür haben, mich zu dieser Unzeit aufzuscheuchen. Und wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie mich nicht ‚Euer Gnaden‘ nennen sollen..."

„Euer Durchla..."

„Und erst recht nicht ‚Euer Durchlaucht‘!!" Er gähnte erneut. „Also, was ist los?"

„Herr Baron..."

„Ja? So reden Sie doch, Sie zittern ja wie Espenlaub!"

„Es ist soweit, Herr Baron.", erklärte der treue Diener mit bewegter Stimme. Der 21jährige Adelige sah ihn ungläubig an, sprang im Bruchteil der nächsten Sekunde aus dem Bett, rannte aus seinem Zimmer und die Treppe hinunter, in den Großen Salon, in dem er bei Besuchen seine Gäste zu empfangen pflegte. Der beeindruckende Raum mit der hohen Decke und dem barocken Kamin war in ein rötliches Licht getaucht. Über dem Kamin hingen ein Schwert und ein versilbertes Schild mit dem Wappen der Familie, einem Hippogreif in Profilansicht, dargestellt als blaue Silhouette. Die Klinge und das Schild stammten noch aus der Zeit von Eden und gehörten traditionsgemäß dem amtierenden Baron. Über der Zeichnung des Hippogreifs war ein griechischer Buchstabe erschienen, von dem das Licht ausging.

„Omega...", flüsterte der Wächter erschüttert. Er ballte die Fäuste, ein entschlossener Ausdruck trat in sein markantes Gesicht. „Nun sind wir also im Krieg... ich wusste ja, dass es eines Tages soweit sein würde... alle Bluterben wussten es. Es ist unsere Bestimmung. Wecken Sie Griffolyon, Alfred. Sagen Sie ihm, es ist Zeit."
 

~~ Großbritannien, England, London ~~
 

Victoria Knight, Spitzname „Queen", las immer noch den überaus spannenden Krimi, den sie sich neulich gekauft hatte und nahm keinerlei Kenntnis davon, dass die Pendeluhr bereits ein Uhr morgens schlug. Plötzlich meinte sie, so etwas ähnliches wie ein Beben zu spüren und sah von ihrem Buch auf. Was war das? Der Eindruck war so flüchtig, dass sie beinahe glaubte, es sich nur eingebildet zu haben, als ein furchtbarer Verdacht in ihr aufstieg. Sie stürzte in das Zimmer ihres Bruders Arthur, der wieder einmal schnarchte wie ein ganzes Sägewerk.

„Arthur, wach auf!! Hörst du nicht?! Arthur, du sollst aufwachen!!"

Sie rüttelte ihn unsanft, doch er blinzelte nur kurz, murmelte irgendetwas Unverständliches und drehte sich auf die andere Seite.

„Verdammt nochmal, King!! Steh auf!!"

Arthur, der auf seinen königlichen Spitznamen reagierte wie Hunde auf Schinken, riss die Augen auf, erhob sich und fragte besorgt: „Was ist los, Schwesterherz?"

Sie antwortete nicht, sondern packte ihn an der Hand und zerrte ihn hinter sich her zum Büro ihres Vaters. Mr. Knight und seine Frau begegneten ihnen auf halbem Weg und gemeinsam stürmte die Familie in den Raum, in dem ein rötliches Licht glühte. Hinter dem imposanten Schreibtisch hing das Gemälde eines grauhaarigen Mannes mit Schnurrbart, der eine ungewöhnliche Uniform in einem dunkelbraunen Farbton trug. Neben ihm war seine Gemahlin abgebildet, ebenfalls in einer Uniform. Sie waren jenes Paar aus Eden, auf das die Familie Knight ursprünglich zurückging. Und auf diesem Gemälde prangte, feurig rot, der Buchstabe Omega wie ein Warnsignal. Die Geschwister verschränkten unwillkürlich ihre Hände miteinander. „Was wird jetzt geschehen... Vater?"

„Das, was immer unabwendbar für uns war, mein Sohn... Geht packen. Wir brechen heute noch auf!"
 

~~ Großbritannien, Schottland, Highlands ~~
 

Ruben McGregor und seine gesamte Sippschaft starrten zur selben Zeit auf denselben Buchstaben, der auf dem Boden der Eingangshalle erschienen war. Unter den Dielen befand sich in einer Kammer das Schwert von Rubens Vorfahren aus Eden, dem ersten Clanoberhaupt. Der Hüne betrachtete das leuchtende Symbol mit bemerkenswerter Ruhe, während Johnny, umringt von seinen älteren und jüngeren Geschwistern, Olivier an seiner Seite, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.

»Code Omega ist ausgerufen...! Natürlich habe ich damit gerechnet, aber nun, da es wirklich passiert ist, spüre ich meine alte Angst wieder hervorbrechen! Krieg bedeutet Töten und Sterben. Bisher waren wir mehr oder weniger unberührt von den Kämpfen in Tokyo, aber das ist jetzt endgültig vorbei. Die Zusammenkunft aller Wächter ist befohlen worden...«

„Johnny?", klang Oliviers leise Stimme an seine Ohren und zwei Arme schlangen sich um die Taille des Rothaarigen. „Du hast mir Mut gemacht und mir Trost zugesprochen, als ich Omega von mir weisen wollte, als ich mir einzureden versuchte, dass es nie soweit kommen wird. Du hast mir Kraft gegeben, obwohl du genausoviel Angst hattest wie ich. Nun bin ich an der Reihe. Ja, wir sind im Krieg, mon chér. Aber die Prinzen zählen auf uns. Unsere Familien zählen auf uns. Diese Welt zählt auf uns. Das Gleichgewicht der Schöpfung ist zerstört worden, doch wir können es vielleicht wiederherstellen, wenn wir den Ursprung dieser Zerstörung vernichten - und das ist Hades. Außerdem glaube ich an dich. Wirst du kämpfen?"

Der Hüter von Salamulyon musterte seinen Liebsten mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung. Die Züge des Franzosen waren ernst und gefasst, jede frühere Zartheit verschwunden. Er hatte sich offenbar entschieden. Was war mit ihm?

»Ich bin ein Feuerwächter. Ich gehöre zum Gefolge Suzakus. Als kleiner Junge wollte ich, mit einem großen Stock bewaffnet und einem Handtuch als Umhang, immer in die Schlacht ziehen und habe mir den Moment, da ich Seiner Hoheit gegenüberstehen würde, in meiner Fantasie ausgemalt und durchgespielt. Damals hatte ich noch nicht begriffen, dass Edens Geschichte Wirklichkeit war... und die Wirklichkeit ist etwas anderes. Ich könnte sterben. Ha...!«

Aus irgendeinem seltsamen Grund musste er plötzlich grinsen.

»...Aber welcher Feuerwächter würde schon aufgeben und davonlaufen, wenn es zu kämpfen gilt? Sich vor einer Herausforderung drücken? Vater würde mir die Hölle heiß machen, von dem ehrenwerten Schutzgott Dranzer gar nicht erst zu reden... und schließlich... habe ich mir nicht selbst versprochen, der Gefahr ins Auge zu blicken?«

Er wand sich aus der Umschlingung und drückte Olivier einen Kuss auf die weichen Lippen.

„Ja. Ich werde kämpfen."
 

~~ USA, Bundesstaat Georgia, Atlanta ~~
 

Sheila Connor saß auf der Couch im Wohnzimmer und zerknüllte mit nervösen Fingern ein Taschentuch. Ihr Gesicht war tränenlos, aber sie bebte an allen Gliedern. Ihr Schwiegervater, Owen Connor, von ebenso beeindruckender Statur wie sein Sohn Rick, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ihm fiel nichts ein, das sie hätte trösten können. Es war kurz nach zwanzig Uhr und auf der Kommode unter dem Fernseher, in dem Rick in einer Schachtel verschiedene Erbstücke aus Eden aufbewahrte (er bevorzugte dafür einen unauffälligen Ort), brannte groß und bedrohlich der Buchstabe Omega. Amelia Connor, die gerade ihre Enkelkinder ins Bett gebracht hatte, brach das bleierne Schweigen.

„Ist jetzt bald mal Schluss mit diesen Trauermienen?! Ihr tut gerade, als hätten wir das nicht von Anfang an gewusst! Du genauso, Sheila! Du bist keine Bluterbin, aber nichtsdestotrotz hast du Rick geheiratet! Warum?"

„Weil ich ihn liebe.", lautete die kaum hörbare Antwort.

„Ja! Er hat dich nie über unsere Aufgabe oder sein Schicksal belogen. Mein Liebes... ich weiß sehr gut, wie du dich im Moment fühlen musst. Aber jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, bringt nichts! Vertraust du ihm?"

„Natürlich! Aber... aber..."

„Kein Aber! Dann vertrau darauf, dass er sicher zu dir und deinen Kindern zurückkehrt! Unkraut vergeht nicht, nicht wahr? Und außerdem werden seine nicht mehr ganz so jungen Eltern dabei sein und auf ihn aufpassen! Meinst du etwa, das schaffen wir nicht?"

Sheila lächelte scheu. Die etwas joviale Herzlichkeit ihrer Schwiegermutter tat ihr wohl und befreite sie aus der nervösen Trance, in die sie gefallen war. Der Schreck, den ihr das unerwartete Auftauchen des Symbols versetzt hatte, ließ allmählich nach.

„Ihr beide werdet also gehen?"

„Ja, Liebes.", erklärte Owen sachlich. „Wir werden gehen."
 

In der Unterwelt ahnte man noch nichts von der Aktivierung des Codes Omega, zumindest hatte Hades es noch nicht für nötig befunden, seine neuen Soldaten darüber zu informieren, weshalb sie ein wenig untätig und gelangweilt im Beratungszimmer hockten, um einen rechteckigen Tisch herum, mit klarer Stirnseite, gekennzeichnet durch eine Art Thron und je zwei Stühlen links und rechts. Phantoms Platz war leer, daneben saß Deimos, der lässig seine Beine auf die Tischplatte befördert und seine Arme im Nacken verschränkt hatte. Die zwei Gestalten ihm gegenüber lagen im Schatten.

„Seine Majestät hat doch die Kriegserklärung ausgesprochen, oder? Warum ruft er uns nicht zu sich?", stieß eine der Gestalten verärgert hervor.

„Es ist nicht an uns, Seiner Majestät Vorschriften zu machen. Er wird uns rufen, wenn er es für angebracht hält.", erwiderte Deimos herablassend. „Ihr solltet lieber dankbar sein, dass er euch seine Gunst gewährt, anstatt euch zu Dämonenfutter zu verarbeiten."

„Aber Phantom wurde ausgeschickt, die Auserwählten zu töten! Warum lässt er das nicht mich erledigen? Ich würde leichtes Spiel haben mit diesen Möchtegern-Pfeilern!"

„Du hast absolut keine Ahnung. Hiro ist nicht irgendwer. Selbst wenn du ihm kampftechnisch überlegen wärst, würdest du dir an seiner Willenskraft die Zähne ausbeißen. Es ist mächtigeren Männern als dir so ergangen, also plappere nicht so einen Unsinn daher! Ich traue auch Ozuma und diesem Kenny nicht. Die Schutzgötter sind keine Narren. Sie irren sich selten. Phantom ist der Stärkste von uns - nach mir, versteht sich. Ihm könnte es viel eher gelingen als euch, die Auserwählten zu töten."

„Und warum hat Seine Majestät dann nicht gleich dich geschickt?", erkundigte sich die andere Gestalt mit einem boshaften Unterton.

„Weil ich erst die beiden Idioten, die hier sitzen, auf Vordermann bringen muss, bevor sie für den Dienst im Namen von Lord Hades würdig sind."

„So? Und es ist nicht etwa wegen deiner beklagenswerten Neigung zu diesem silberhaarigen Schwertschwinger? Vielleicht misstraut dir Seine Majestät inzwischen."

Der Krieger des Todes schoss aus seiner Position hoch, seine schwarzen Augen schleuderten Blitze. Nur mühsam zügelte er seinen Zorn. Seine Stimme war schneidend kalt.

„Neigung? Neigung!?! Wie kannst du es wagen?!"

„Nun, es ist doch recht seltsam, dass du es immer noch nicht geschafft hast, den Bruder des Drachenhüters zu beseitigen, obwohl es dir schon oft genug befohlen wurde. Du empfindest etwas für ihn, stimmt‘s?"

Deimos zuckte zusammen, als hätte man ihn geohrfeigt. Unweigerlich erinnerte er sich an all die Augenblicke, die er mit Hiro zugebracht hatte: Streitereien, Kämpfe, Berührungen... besonders der Kuss. Dieser verfluchte, erniedrigende, herrliche, grausame Kuss!! Diese Lippen auf den seinen, behutsam und doch gebieterisch, voller Leben und Wärme und Liebe... In jener Nacht nach der letzten Auseinandersetzung hatte er von Hiro geträumt und dieser Traum hatte ihn entsetzt bis in die Grundfesten seines Wesens. Sinnliche Träume hatte er zuvor auch durchlebt, ausgelöst durch seine Begierde - aber das war anders gewesen. Nicht nur, dass er lächerliche Dinge wie Küssen und Streicheln und ähnliche unerwünschte Zärtlichkeiten genossen hatte, nein, es war ein Traum über

seine Unterjochung gewesen, nicht die Hiros!

Eine Weile stand er zitternd da, dann zog er in einer raschen Bewegung sein Schwert und hielt es seinem Gegenüber an die Kehle. Er ritzte die Haut, bis ein feiner Streifen Blut am Hals hinunter rann.

„Solltest du diesen Satz jemals wiederholen....töte ich dich. Hast du verstanden?"

„J-ja, Sir Deimos..."

„Gut. Und vergiss es nicht."

»Sei verdammt bis in alle Ewigkeit, Hiro Kinomiya! Ich werde die niemals verzeihen, dass du mich geküsst hast! Du wirst dafür büßen, das schwöre ich!!«



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Von:  Nami1997
2015-10-05T23:00:25+00:00 06.10.2015 01:00
wooooooooooooooooooooooooo ist das nächste kapitel und wqrum zum teufel hast du abgebrochen, warum, warum nur
Von:  jyorie
2013-06-13T14:44:50+00:00 13.06.2013 16:44
Hallo ^_^

Die Geschichte hat mir gut gefallen, eine Interessante Welt die du hier erschaffen hast mit den Wächtern und den Prinzen und den ganzen Hintergründen und Bluterben. Sehr umfangreich. (Auch wenn ich immer noch Probleme mit dem zuordnen der Charas habe) Aber du hast es sehr schön geschrieben und mir hat es gefallen :D

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-12T15:15:33+00:00 12.06.2013 17:15
Hallo ^_^

das war so süß, wie der Eiskuss gebannt wurde und wie sich das Kind an ihn gekuschelt hat und dann selbst gegen das schwarze Ich vorgegangen ist :D

Aber wenn jetzt trozdem noch die Stüzen gebraucht werden, ist das Gleichgewischt schon ganschön arg aus dem Ruder gelaufen und dann kam noch ein weiterer der einen der Würdenträger fast schon besiegt hat. Irgendwie läuft das ganze immer und immer mehr auf einen Höhepunkt zu.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-11T15:11:25+00:00 11.06.2013 17:11
Hallo ^_^

das klingt spannend, das man trotz dem Eiskuss in das bewustsein dringen kann und wie es dort mit der Eiswand im inneren aussieht. Und wie sehr das Böse versucht die Reste zu vernichten, sie mit zweifeln und Lügen klein zu machen und alles was noch an gutem Übrig ist zu vernichten. Ich hoffe das die beiden es schaffen die Mauer einzureisen :D

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-10T14:50:59+00:00 10.06.2013 16:50
Hallo ^_^

Es gibt eine rettung für den Eiskuss? hm … das hört sich doch sehr gut an, aber so wie der Meister redet, kostet es einen hohen Preis und es scheint nicht sicher zu sein, das es wirkt … ich hoffe das es klappt.

*ggg* jetzt wird verraten was du mit dem Titel gemeint hast :D Die Stützen sollen das Gleichgewicht bewahren. Wow, nicht schlecht das es außer den Prinzen noch eine letzte Reisleine gibt – hattest du von anfang an, das so geplant.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-09T13:55:27+00:00 09.06.2013 15:55
Hallo ^_^

Hat Demos das nicht gewußt, mit dem Eiskuss, das er ihn 2x geben muss oder will er den 2. haben und das er ihm den “freiwillig” schenkt um nicht zu sterben? Das ist echt ein hammer – deshalb fühlt er sich auch schon die ganze Zeit so schlecht.

Die Methode mit den Erinnerungen zu quälen ist aufs höchste gemein, aber leider auch effektiv, hoffentlich knickt er nicht ein und kann sich behaupten.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-09T00:49:25+00:00 09.06.2013 02:49
Hallo ^_^

das war aber großes Glück für den Anwärter, das diese Schimere so stupiede vorgegangen ist und ihn an einem öffentlichen Platz angegriffen hat, sonst hätte er wohl nicht entkommen können. Und die Wetterereignisse sind auch Sorgenerregend, hoffentlich kann die Lektion die jetzt in der Trainingshalle erteilt wird etwas daran ändern, das sie Pinzen weiterhin zerstritten bleiben. und nich noch Hades erneut in die Hände gespielt wird.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-08T19:09:33+00:00 08.06.2013 21:09
Hallo ^_^

Wie schön, dass tala den inneren Kampf gegen iras gewonnen hat :)

Oh weh, wenn sich das soooo krass auf das Wetter auswirkt, wenn
sich zwei der Prinzen nicht mehr Grün sind, sollten sie sich schnell
wieder einbekommen! Ich bezweifle, das eine "Säule" da viel richten
kann ?!

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-07T14:14:15+00:00 07.06.2013 16:14
Hallo ^_^

Cool ein ganzes Kapitel mit Rückblick!

Sorry, ich hab die Namen und Rückblicke immer noch nicht drauf, deshalb fällt es mir etwas schwer da was zu schreiben, auch wenn mir die Geschichte mitlerweile gefällt :D

Das mit der Jagd und den vorbereitungen war schön beschrieben. Aber als der Prinz seinen Vasallen zusammengeschissen hat und dann der Satz “Unterbrich mich nicht beim zusammenfalten” das war schon klasse, aber als er es danach mit den Kopien gesagt hat *lacht* das war geniale Situationskomik!

*seuftz* Liebe macht Narren – da ist was wahres dran. Ein schönes Beispiel.

Sprechende Tiere? hm, das ist eine schöne vorstellung *seuftz*

Der Tanz den du zum Schluss beschrieben hast und wie die beiden ineinander versunken sind, *ttäumt* das war so richtig schön :D

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-06-06T14:42:30+00:00 06.06.2013 16:42
Hallo ^_^

oh, das letzte Kapitel auf ff.de … ich habs gestern erst bewusst wahrgenommen, das du auf mexx noch 8 weitere Kapitel hast … dann hüpfe ich jetzt als nächstes dort hin :D *schnüff*


die Nachforschungen in Schottland waren interessant, das in Eden und auf der Erde gegengleich diese 4 Königreiche existiert haben. Der innere Kampf von ist immer noch nicht vorbei, aber der wird wohl noch ganzschön schwer, vorallem wo du sagst, das er freiwillig gewechselt ist, und dann noch diese ganzen verletztungen die an dem bewustlosen auftauchen *seuftz*

Ich hoffe das die Prinzen sich wieder einbekommen. Wäre nicht auszudenken, wenn durch diese Sturheit der beiden der Kampf zu gunsten von Hades enden würde.

Liebe Grüße, Jyorie :)



Ps. ich hab jetzt angefangen den „Schwur der Göttersöhne“ zu lesen… (hattest du das mal empfohlen? … oder war das die „Fremde-Welten“, die du empfohlen hast?) In der Geschichte sind Seto & Yami & Joey auch so eine Art Wächter :D und können Elemente befehligen .. die ist auch cool :D



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