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Magenta II

Zwischen Azeroth und Kalimdor
von

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Der Fluch der Elemente

Nahezu unbewegliche schwebte der Falke über der kargen Felslandschaft des Ödlandes. Auf der Suche nach Nahrung tasteten seine gelben Augen jeden kleinen Stein, jedes struppige Grasbüschel, jede Bodenunebenheit ab. Er trieb schon eine ganze Weile auf den warmen Aufwinden über der glutbackenen Ödnis und jetzt wurde sein Warten endlich belohnt. Eng legt er die Flügel an den hellbraunen Körper und stieß wie ein Stein aus der Luft herab auf seine ahnungslose Beute. Erst im letzten Moment entfaltete er die Schwingen wieder, bremste damit den rasanten Sturzflug ab und fuhr die messerscharfen Krallen aus.

Der Präriehund, in den sich die tödlichen Dolche bohrten, hatte keine Chance. Mit einem schwächlichen Fiepen hauchte er sein kurzes Leben aus, als der spitze Schnabel sich ins seinen Hinterkopf bohrte. Trotzdem zuckte und zappelte sein Körper noch, so dass der kleine Raubvogel Mühe hatte, seine üppige Beute festzuhalten. Mit ausgestreckten Flügeln kämpfte er um die Balance und sah daher nicht, wie ein Stück Landschaft hinter ihm lebendig wurde.

Mit einem großen Satz sprang die Kammjägerin vor und ihre Klauen schlugen sich in den Vogelleib. Flügel flatterten, Federn stoben zu allen Seiten, dann hing der leblose Körper des Falken im Maul der gelben Raubkatze mit den schwarzen Flecken. Normalerweise hätte die Jägerin ihre Beute zuerst in Sicherheit gebracht, aber sie war durch die schlechten Raubzüge der letzten Tage zu hungrig und begann daher sogleich die Federn über dem Brustfleisch des Vogels zu rupfen. Sie hatte jedoch kaum die ersten Bissen verschlungen, als ein heiseres Kläffen sie herumfahren ließ.

Die Raubkatze fauchte warnend und zeigte die spitzen Zähne in ihrer blutbesudelten Schnauze, als sie den Urheber des Geräusches sah. Von einer kleinen Anhöhe, auf der sie selbst gerade noch auf Beute gelauert hatte, stand ein graubraunes, wolfsartiges Tier. Es bellte noch einmal und seine Absicht war deutlich. Er wollte der Kammjägerin ihre Beute streitig machen. Normalerweise wäre es für die Raubkatze kein Problem gewesen, dem Kojoten eine Lektion zu erteilen ihn wahrscheinlich sogar zu töten, doch nach und nach tauchten weitere Köpfe über dem Hügel auf, bis schließlich nicht weniger als sechs Augenpaare auf die gefleckte Katze gerichtet waren. Dieser Überzahl war die Jägerin nicht gewachsen. Sie fauchte noch einmal wütend und suchte dann murrend ihr Heil in der Flucht.

Die Kojoten, die sich ihrer Beute bereits sicher glaubten, wollten schon zu dem toten Vogel laufen, als etwas mit hoher Geschwindigkeit auf sie zuraste. Es fiel mitten zwischen ihnen auf den Boden und explodierte mit einem lauten Knall. Donner dröhnte, Blitze zuckten und es roch nach verbrannten Hundehaaren. Jaulend nahmen die entsetzten Kojoten Reißaus und kurz darauf waren der tote Falke und seine ehemaliger Fang das Einzige, was noch von dem anschaulichen Beispiel von Fressen und Gefressenwerden zeugte.
 

Während sich die letzten Staubwolken legten, kam Bewegung in einen bis dahin recht unbeteiligt wirkenden Felsen, dessen Form entfernt an einen Zwerg erinnerte. Ein gedrungener Schatten fiel auf den getöteten Vogel, schwielige Hände langten nach der verlassenen Beute und kundige Augen begutachteten den mageren Fang. Einigermaßen zufrieden stopfte der Zwerg den leblosen Falken in einen staubbedeckten Tornister und schnallte sich das Gepäckstück wieder auf den Rücken. Er schickte einen missmutigen Blick zur erbarmungslos niederbrennenden Sonne, verfluchte den pfeifenden Wind, der an seinem braunen Bart zupfte und ihm den Sand in Augen und Ohren blies, und setzte sich dann in Bewegung.

Der hartgebackene Boden knirschte unter seinen Schritten, allerdings lärmte er bei Weitem nicht so sehr wie man es Vertretern seiner Rasse gerne andichtete. Es fehlte das typische Rasseln eines Kettenhemdes, das Scheppern eiserner Kampfstiefel und vor allem der grölende Gesang eines ordentlichen Zechgelages, den die meisten mit dem Begriff „Zwerg“ verbanden. Letzteres hing jedoch vermutlich damit zusammen, dass Schakal den letzten Rest seines Vorrats an Trinkbarem schon vor Stunden verbraucht hatte.

So langsam wird es Zeit, dass ich aus diesem Backofen herauskomme, dachte er bei sich und gedankenverloren über die leere Feldflasche an seinem Gürtel. Fast bereute er es, dem toten Agmond, einige Schläuche des kostbaren Nasses geopfert zu haben, als er dessen verwitterte Leiche beerdigt hatte. Allerdings nur fast. Ein Zwergenbegräbnis, auch wenn es nur darin bestand, einige Felsbrocken auf sonnengebleichte, abgenagte Knochen zu schichten, war nur eine halbe Sache, wenn dabei kein Bier floss. Und nach Schakals tagelanger Wanderung hatte das Gebräu ohnehin schon ziemlich schal geschmeckt.

Der Blick des Zwergs glitt über die rotbraunen Felsenformationen um sich zu orientieren. Große Meister seines Volkes waren in der Lage mit den Steinen zu sprechen, ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken und ihnen ihre wahre Form zu geben. Steinmetze waren es, die in gewaltigen Bildnissen und kunstvollen Fresken von vergangenen Schlachten und den dazu gehörigen Helden sprachen. Nicht wenige von ihnen waren im Nachhinein fast ebenso berühmt geworden wie diejenigen, deren Taten sie in Marmor und Granit gebannt hatten. Andere Zwerge waren meisterhafte Schmiede. Ob kraftvolles Breitschwert, donnernde Büchse oder wuchtige Streitaxt. Sie fertigten es ebenso wie sie alles taten: mit Ruhe und Kraft. Und nicht zuletzt brauten sie das beste Bier, das es in Azeroth gab.

Schakals Fähigkeiten und Neigungen hingegen waren, abgesehen vom Bier, auf andere Dinge gerichtet. Er bewunderte die atemberaubend großen Statuen und hatte Ehrfurcht vor der handwerklichen Kunst, die darin steckte, doch richtig erwärmen konnte sein Herz sich eher für funkelnde Edelsteine. Er schätzte einen guten Schmied, dessen Schwerter und Äxte noch den größten Oger fällten, doch ließ er sich von ihm lieber handlichere Waffen fertigen. Er mochte prachtvolle Rüstungen, trug allerdings selbst lieber leichtere Kleidung aus Leder, die ihm dabei half sich unbemerkt an ahnungslose Fremde heran zu schleichen und sie von ihrem Geschmeide und ihrem Gold zu trennen. Warum einen Kampf wagen und unnötig Aufsehen erregen, wenn man schon längst ganz woanders sein konnte, wenn der ehemalige Besetzer des Kleinode seinen Verlust bemerkte?

Irgendjemand hatte einmal in Schakals Gegenwart verlauten lassen, ein Zwerg, der sich anschleichen wolle, wäre dabei wohl ebenso erfolgreich wie eine Kartoffel bei dem Versuch Walzer zu tanzen. Derjenige suchte seit dem auf dem Grund der Kanäle von Stormwind nach dem legendären, weißen Krokodil, das dort irgendwo herumschwimmen soll. Vielleicht war es aber auch andersherum.

Es war nicht so, dass Schakal immer hatte ein Schurke, Dieb und Mörder hatte werden wollen. Eigentlich hätte er das Schusterhandwerk erlernen sollen, wie es schon sein Vater, seines Vaters Vater und dessen Vater vor ihm getan hatten. Doch durch einige denkwürdige Begegnungen und Schicksalswendungen hatten sich Ahle und Kneipmesser in seinen Händen zu Rapier und Dolch verwandelt und anstatt die Chemikalien im Schlaf herunterbeten zu können, die das Leder je nach Bedarf fest oder geschmeidig werden ließen, kannte er nahezu jede Pflanze und jedes Pülverchen, dass sein Gegenüber mehr oder weniger schmerzvoll mit Schlafes Bruder bekannt machte.

Denn es gab noch etwas, dass Schakal von einem typischen Zwerg unterschied. Er war ziemlich neugierig. Für einen Zwerg. Zwerge liebten Beständigkeit. Sie blieben zu hause, wenn es nicht einen sehr guten Grund gab, den Krieg vor irgendjemandes Haustür zu tragen, und kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Schakal jedoch wollte wissen, was hinter den Dingen war. Verschlossene Türen und Truhen reizten ihn, unentdeckte Geheimnisse forderten ihn heraus. So hatte er schon oft Bekanntschaften gemacht, die seinen weiteren Weg beeinflussten und sich mehr Schwierigkeiten eingehandelt, als es für einen achtbaren Zwerg gut war. (Nicht dass Schakal sich als einen solchen betrachtet hätte, aber es ging um das Prinzip eines achtbaren Zwergs.) Und so sehr er es auch versuchte, seine Neugier entwickelte immer wieder ein Eigenleben. So wie damals, als seine Neugier in der Untergrundbahn diese zerzauste junge Frau mit den roten Haaren entdeckt und sie angesprochen hatte, bevor Schakal sie hatte daran hindern können. Oder so wie jetzt, als seine Neugier ihn ziemlich nachdrücklich auf eine verdächtige Bewegung am Horizont hinwies und Schakals Versuche, das Etwas dort zu ignorieren, ebenfalls ignorierte. Aus den Umrissen und der Geschwindigkeit, mit der es sich fortbewegte, zu schließen, handelte es sich bei dem Etwas um einen Zwerg und Schakals Neugier hatte somit die besseren Karten in der Hand. Immerhin war es möglich, dass dieser Zwerg etwas zu trinken dabei hatte. Und wenn Zwerge von etwas zu trinken sprachen, meinten sie Bier.

„Ach verflucht.“, brummte Schakal, bedachte seine feixende Neugier mit einem bösen Blick und machte sich auf dem Weg zu dem dunklen Fleck, der scheinbar ziellos am Rande einer Schlucht umherwanderte.
 


 


 

Der Kreis der östlichen Bindung war lediglich ein weiterer Kreis der brüchigen Monolithen, der sich vor Magenta und Abumoaham aus dem ihn umgebenden Dunst schälte. Magenta wusste nicht, was sie erwartet hatte, als Prinzessin Myzrael sie aussandte um die Schlüssel zu ihrem Gefängnis zu suchen. Vielleicht eine finstere Höhle, einen verlassenen Friedhof oder gar eine Burg mit einem tiefen Wassergraben und Hunderten von Wachen. Doch was sie hier sah, war lediglich ein weiterer Steinkreis, wie es sie hier im Arathihochand zu Dutzenden zu geben schien. Noch dazu ein leerer Steinkreis, wenn man einmal von dem mittelgroßen Felsen in seiner Mitte absah. Ein dumpfes Pulsieren schien von dem Stein auszugehen, und weißes Licht wogte im Takt des Impulses in einer kleinen Aushöhlung hin und her. Es war nicht allzu schwer zu erraten, wo sie den Wappenschlüssel, wegen dem sie gekommen waren, finden würden.

„Mir nicht gefallen das.“, sagte Abumoaham und sah sich misstrauisch um. „Prinzessin gesagt, Schlüssel bewacht. Ich nicht sehen Wächter.“

„Vielleicht macht er Mittagspause.“, murmelte Magenta müde. Sie fühlte sich nicht besonders gut, ihr wurde abwechselnd heiß und kalt und in ihrem Kopf brummte es, als wäre ein besonders bösartiger Bienenschwarm darin gefangen.

„Du nicht besonders ernsthaft bei Sache.“, monierte der Magier und ließ sich vom Pferd gleiten. Ein wenig vorwurfsvoll sah er zu Magenta hinauf. „Und du suchen Streit mit Risingsun bei jede Gelegenheit. Ich nicht verstehen das.“

„Ich suche keinen Streit.“, fauchte Magenta sehr wohl im Bewusstsein, dass ihr Ton die Aufrichtigkeit dieser Aussage ad absurdum führte. „Der Streit findet mich einfach. Und außerdem ist sie selber schuld. Was ist sie auch so aufgeblasen und hochnäsig und blond.“

Abumoaham sah sie einen Moment lang verdutzt an, dann stahl sich ein nachsichtiges Lächeln auf sein Gesicht. „Du sein eifersüchtig.“

„Oh bitte!“, blaffte Magenta. „Diese Diskussion hatten wir schon und ich habe keine Lust darauf, sie noch einmal zu führen. Ich bin nicht eifersüchtig, aber es macht mich einfach wahnsinnig, wie alle um sie herumschlawenzeln, während ich behandelt werde wie…wie…wie.“

„Aber du sein wichtig. Für mich und für andere auch.“, warf der Magier ein

Magenta schnaufte nur abfällig und sprang ebenfalls von dem nervös herumtänzelnden Pferd. Sie wollte nicht einfach nur wichtig sein. Es sollte essentiell für die gesamte Gruppe sein, dass sie dabei war. Nichts sollte ohne sie geschehen. Sie sollte der Mittelpunkt von allem sein. Jeder sollte sich vor ihr verneigen und ihr mit Achtung entgegentreten. Sie vielleicht sogar fürchten. Fürchten, bei ihr in Ungnade zu fallen oder sie zu verärgern. Jeder Wunsch sollte ihr von den Augen abgelesen werden, jedermann ihr zu Füßen liegen und sie bewundern. Das war es, was sie wollte.

Eine gesunde Einstellung, pflichtete ihr Pizkol bei. Wie wäre es da, wenn du zunächst einmal deinen bedeutendsten Diener beschwörst. Damit wir dieses Projekt in Angriff nehmen können.

„Ich brauche keinen Dämon um mir zu helfen.“, sagte Magenta und kicherte immer noch in die Vorstellung ihrer berauschenden Macht versunken.

„Du sicher, es dir gut gehen?“, fragte Abumoaham besorgt. Sein gutmütiges Gesicht legte sich in sorgenvolle Falten.

„Oh, es geht mir blendend.“, lachte Magenta und schritt auf den leuchtenden Stein zu. Als sie den Steinkreis passierte, warf sie einen Blick über ihre Schulter „Siehst du, es passiert überhaupt nichts. Das mit dem Wächter war gelogen.“
 

In diesem Moment berührte ihre Schuhspitze die Wasserlache, die sich im den leuchtenden Stein gebildet hatte. Wellenförmige Bewegungen breiteten sich von der Stelle, an der Magentas Fuß die Oberfläche berührte, über die gesamte Wasserfläche aus. Weitaus mehr Wellen, als so eine kleine Berührung hätte auslösen sollen.

„Magenta! Vorsicht!“, rief der Magier, doch es war bereits zu spät.

Das Wasser um den Stein herum begann zu brodeln. Immer höher schäumten die Wellen, die Flüssigkeit stieg empor und überragte Magenta bald um das Doppelte. Aus dem schäumenden Wasser wuchsen Arme hervor, ein Kopf bildete sich und zwei gläsern wirkende Augen richteten sich auf die Hexenmeisterin. Ein Laut, der wie das Brüllen eines zornigen Wasserfalls klang, ertönte, dann richtete sich einer der Wasserarme auf Magenta. Noch bevor sie reagieren konnte, schoss ein gewaltiger Strahl eiskalten Wassers auf sie zu, hob sie von den Füßen und schleuderte sie mehrere Meter weit zurück. Sie verfehlte einen der Monolithen nur knapp und landete hart auf dem Rücken. Der Boden um sie herum verwandelte sich getränkt von den gewaltigen Wassermassen so gleich in eine riesige Schlammpfütze. Einer sehr bewegliche Schlammpfütze.

Mit Entsetzen sah Magenta, wie die aufgeweichte Erde um sie herum zu leben begann. Sie krabbelte an der Hexemeisterin empor, fesselte ihre Gliedmaßen an den Boden und kroch ihre Arme hinauf auf ihr Gesicht zu. Nicht lange, und der Schlamm würde Mund und Nase erreichen und sie ersticken. Die Hexenmeisterin schrie und tobte, doch gegen diese kriechende Bedrohung vermochte sie nichts auszurichten. Ein weiterer Wasserstrahl traf sie gegen die Brust und schleuderte sie mit dem Kopf auf die Erde. Sogleich klebte der Schlamm auch dort und sie fühlte, wie ihr schlammiges Wasser in die Ohren geriet und etwas an ihrem Hals emporzuklettern begann. Der Schlamm hatte eine Abkürzung gefunden.

Mit einem heiseren Schrei warf sich Abumoaham zwischen das Wasserwesen und die gefangene Hexenmeisterin. Er schleuderte einen Eisblitz auf den Elementar, der diesen fast zu einem Drittel einfror. Eilig wob der Magier einen neuen Zauber zwischen seinen Händen, als er mitten in der Bewegung verharrte. Ungläubig beobachtete er, wie sein Eiszauber von den schäumenden Wassermassen verschlungen wurde. Der gefrorene Teil des Elementars wurde nach innen gespült, stieg in der brausenden Wassersäule empor und wurde in einer gewaltigen Eruption nach vorne geschleudert. Gerade noch rechtzeitig reagierte Abumoaham und brachte sich mit einem Blinzelzauber in Sicherheit. Der Eisbrocken passierte die Stelle, an der der Magier gerade noch gestanden hatte, setzte seine Flugbahn ungebremst fort und walzte einen der riesigen Monolithen zu Boden, bevor er in tausende scharfer Splitter zersprang, die sich wie ein tödlicher Regen über die am Boden festgehaltene Hexenmeisterin ergossen.
 

Ein scharfer Schmerz durchzuckte Magenta, als einer der Eissplitter ihre Wange zerschnitt. Warmes Blut rann über ihre Wange und sie öffnete den Mund zu einem Schmerzensschrei. Darauf schien der Schlamm nur gewartet zu haben. Er schwappte an ihr empor und Sekunden später füllte sich die Mundhöhle der Hexenmeisterin mit zähem Erdbrei. Ihr Schrei wurde zu einem erstickten Gurgeln, dann verschloss der Schlamm auch ihre Nase. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte sie, sich zu befreien, doch ihre panischen Versuche verkamen zu einem jämmerlichen Zappeln. Es schien, als habe der Elementar gewonnen.

Im Schlamm versunken, durchgeweicht und kurz vor dem Ersticken wallte etwas in Magenta auf. Sie war so unheimlich wütend. Auf den Elementar, der sie in diese Lage gebracht hatte, auf Abumoaham, der alles nur noch schlimmer gemacht hatte, auf Risingsun, die wahrscheinlich nicht mit solch dämlichen Problemen zu kämpfen hatte, auf Schakal, der sich einfach aus dem Staub gemacht hatte, auf ihre Dämonen, die jetzt, das sie einmal gebraucht wurden, plötzlich alle schwiegen, und nicht zuletzt auf sich selbst, weil sie in diese allzu offensichtliche Falle getappt war. Es brodelte in ihren Adern, dämonische Kräfte tief in ihrem Inneren erwachten zum Leben und der Schlamm, der sich so eben mit einem schlürfenden Geräusch über der Hexenmeisterin geschlossen hatte, begann zu dampfen. Er brodelte und kochte, weiße Dampfschwaden zischten zum Himmel und schließlich brach der Kokon aus hartgebackenem Lehm mit einem Knall auseinander.

Magentas Leib brannte im versengenden Höllenfeuer, Rauchfäden begannen aus ihrer Kleidung aufzusteigen und kleine Flammen leckten unter ihren Füßen hervor. Ihre roten Haare hatten sich aus dem strengen Knoten gelöst und ringelten sich wie lebendige Schlangen um ihre Schultern. Ihre Augenhöhlen glühten in einem düsteren, rötlichen Licht und die Pupillen schimmerten gelb. Ein unmenschlicher Laut drang aus ihrer Kehle empor und verwandelte sich in ein hustendes Würgen, als ihre Schleimhäute feststellten, dass sich immer noch Spuren störenden Schlamm auf ihnen befanden.

„Du hast dich mit der falschen Hexe angelegt.“, keuchte Magenta weit weniger eindrucksvoll, als sie es vorgehabt hatte, und spuckte Erdbröckchen auf den Boden, „Nimm dies!“

Doch der Wasserelementar hörte der Hexenmeisterin überhaupt nicht zu. Seine Aufmerksamkeit hatte sich voll und ganz auf den Magier vor ihm gerichtet. Dass sich jemand aus der tückischen Schlammfalle befreien könnte, schien der Elementar nicht eingerechnet zu haben.

„Oh na schön.“, schnaufte Magenta. „Du hast es ja nicht anders gewollt.“ Murmelnd begann sie einen Zauber zu weben.
 

Abumoaham sprang mit wehender Robe zwischen den Monolithen umher und versuchte den todbringenden Wasserstrahlen auszuweichen, die die Erde um ihn herum bereits in ein Schlammfeld verwandelt hatten. Nicht mehr lange, und auch er würde entweder von einem der Strahlen getroffen werden oder aber - was wahrscheinlicher war - auf dem schlüpfrigen Untergrund ausgleiten. All seine Eismagie wurde von dem Wasserwesen restlos geschluckt und im schlimmsten Fall gegen ihn verwendet. Sein gewagter Plan, das gesamten Wesen einfach einzufrieren, hatte ihn bereits drei seiner größten Deckungen gekostet und zerschmetterte in diesem Augenblick den vierten und letzten Monolithen, der sich zwischen ihm und dem wutschäumenden Elementar befand. Um ihn herum war weit und breit nichts mehr, dass den Angriff des Wächters noch abwehren konnte und Abumoaham vor dem tödlichen Sturz in das Schlammfeld bewahren konnte.

Der gewaltige Wasserarm des Wesens hob sich und zielte genau auf den Magier. Das Brausen und Tosen der Wassermassen schien ihm einen letzten spöttischen Gruß zu erbieten, bevor der gesamte Elementar plötzlich in der Bewegung stockte und einfror. Ungläubig blinzelte Abumoaham ein paar Mal, doch der tödliche Angriff blieb aus. Vorsichtig näherte sich der Magier dem Wessen, streckte neugierig den Arm aus. Statt jedoch mit dem Arm durch das Wasserwesen hindurch zu gleiten, stießen seine Finger auf eine undurchdringliche Hülle, die den Elementar vor jeglichen Angriffen schützte, im Gegenzug jedoch auch verhinderte, dass er jemandem etwas zuleide tat. Abumoaham, der so etwas schon einmal gesehen hatte, lächelte und drehte sich um. Vor ihm stand eine wutschnaubende Magenta in einer leicht angesengten Robe, die Arme noch erhoben von dem Bannzauber, den sie um den Elementar gelegt hatte.

„Wer hat jetzt die Hosen an.“, rief sie und machte eine ziemlich unanständige Geste in Richtung des gefangenen Wasserelementars. Dann schritt sie hocherhobenen Hauptes auf den Stein in der Mitte dessen, was von dem Steinkreis übrig war, langte in die leuchtende Öffnung und zog einen silbrig glänzenden Schlüssel aus der Öffnung hervor. Triumphierend schwenkte sie ihn vor dem gebannten Elementar herum.

„Den nehmen wir mit, nur damit du´s weißt, du…du…“. Die Hexenmeisterin verstumme, als sich die glitzernden Augen des Elementars in der Verbannung hasserfüllt auf sie richteten. Ein unheilvolles Knistern lief über die Hülle, als versuche das Wasserwesen sich irgendwie einen Weg aus seinem Gefängnis zu suchen. Unter diesen Umständen hielten Magenta und Abumoaham es für angebracht, möglichst bald möglichst viel Abstand zwischen sich und den schäumenden Verbannten zu bringen. Sicher war sicher.
 

„Du wirklich gut gekämpft.“, sagte Abumoaham und rückte auf dem Rücken des Pferdes noch ein Stück näher an Magenta heran. „Ich dir nun verdanke mein Leben.“

„Ich dir meines nicht.“, gab Magenta patzig zurück. Die Schmerzen in ihrem Kopf waren inzwischen zu einem mörderischen Crescendo angewachsen so dass sie sich fast wünschte, dass sie sich nicht aus dem Schlamm befreit hätte. Das Feuer schien immer noch in ihrem Adern zu brennen und sie fühlte sich nach dem Kampf ausgelaugt, schmutzig und hundeelend. Abweisend zog sie den Mantel fester um sich und starrte stur geradeaus auf den Punkt, wo sich am Horizont bereits der Kreis der inneren Bindung abzeichnete.
 


 


 

Wie ein erstickendes Leichentuch hing der Geruch von Feuer und Tod zwischen den Felsen, die das Verbrannte Tal säumten. In den Überresten der verkohlten Bäume schwelten die letzten Brandherde und ein glutheißer Wind fegte die Asche der vergangenen Vegetation dahin. Funken stoben auf, wenn einer der letzten Soldaten der Waldarmee sterbend zusammenbrach und seinen Leib endgültig der Vernichtung preisgab. Flammende Elementare suchten in den Resten nach Nahrung und verschlangen gierig das bereits tote Holz. Schwarzgefärbte Treants irrten zwischen ihren einstigen Artgenossen umher und in ihren Augen glühte der Wahnsinn. Getrieben vom Schmerz gierten sie nach Rache und trachteten danach zu vernichten, was sie einst beschützt hatten. Die einzigen Lebewesen, denen das Feuer scheinbar nichts hatte anhaben können, waren dick gepanzerte Basiliskenechsen. Träge und schwer von all dem verbrannten Aas, an dem sie sich satt gefressen hatten, schoben sie sich dahin und hinterließen breite Schleifspuren auf der verbrannten Erde.

Als müsse er sich mit den eignen Sinnen von dieser Zerstörung überzeugen, glitt Easygoing von seinem Nachtsäbler. Der große Druide kniete sich in den unangenehm warmen Sand und zerrieb wie in Trance den Ruß, der daran haftete, zwischen seinen Fingern. Seine Kiefer mahlten angestrengt, doch der Rest seines Gesichts war eine Maske aus Stein. Unvermittelte ballte er die Hand zur Faust und ein tiefes, fast tierhaftes Grollen drang aus seiner Kehle.

„Wer immer das hier getan hat, wird dafür bezahlen.“

Ceredrian trat neben den am Boden kauernden Druiden. Mit seiner weißen Robe und den hellen Haaren wirkte er vor dem rußgeschwärzten Hintergrund fast ein wenig durchscheinend.

„Wir sind nicht hier, um Rache zu üben.“, sagte er sanft und wies auf die schwelenden Stümpfe der Bäume. „Rache wird diese dort auch nicht wieder lebendig machen. Aber aus ihrer Asche wird neues Leben entstehen. Wir müssen nur den Weg dafür ebnen.“

Easygoings finstere Miene hellte sich ein wenig auf und er verzog den Mund zu einem halbherzigen Grinsen. „Na also schön. Ebnen wir.“
 

Die Nachtelfen stiegen wieder auf ihre Reittiere und lenkten die großen Katzen zwischen den kahlen Felsen hindurch in das Tal. Während vom weichen Tapsen der Samtpfoten kein Laut zu hören war, konnte man das Scheppern der gnomischen Roboschreiters schon von Weitem hören. Sie waren noch nicht lange geritten, da zügelte Deadlyone seinen Nachtsäbler.

„Wir werden überhaupt nicht bis zum Grund des Tals kommen, wenn wir weiterhin so einen Lärm machen.“, nörgelte er und blickte vorwurfsvoll zu Emanuelle, die völlig versunken in einem Notizbuch herumkritzelte. Als hätte sie seinen Blick gespürt, sah die Gnomin auf.

„Was ist?“, fragte sie und etwas an dem Helm auf ihrem Kopf surrte leise. Dann klappte eine Art Trichter an einem Greifarm herunter und schob sich in ihr Ohr. „ Ich habe Euch nicht verstanden.“

„Ich sagte“, knurrte der Schurke, „Ihr seid zu laut.“

„Oh ach so.“, gab die Gnomin verblüffend unbeeindruckt zurück und Trichter und Greifarm verschwanden wieder in dem Helm. „Warum zu laut? Hier ist doch niemand.“

„Ihr habt Behüter Albagorm doch gehört.“, antwortete Easygoing an Stelle seines Bruders. „Das hier ist Harpyiengebiet.“

„Aha.“, erwiderte die Gnomin höflich und strahlte den Nachtelf gewinnend an. „Und was ist eine Harpyie?“

Jetzt war das Erstaunen auf Seite des Druiden. „Ihr kennt keine Harpyien?“

Emanuelle schüttelte den Kopf. „Was sind das? Sind es Tiere oder Pflanzen? Humanoide vielleicht? Sind sie klug? Wie sehen sie aus? Wo leben sie? Was fressen sie?“

„Hoffentlich Gnome.“, bemerkte Deadlyone frech, verstummte jedoch sofort, als ihn der strafende Blick seines Bruders traf.

„Harpyien sind humanoid.“, erklärte Easygoing und seine Zunge rollte das ungewohnte Wort wie einen Kiesel hin und her. „Es sind weibliche Wesen mit dem Körper einer Frau und den Gliedmaßen eines Vogels. Der Legende nach waren es einst Dienerinnen der ebenso schönen wie grausamen Nachtelfenkönigin Azshara. Eines Tages fielen sie in Ungnade und ein Fluch der Königin ließ ihre Füße zu Krallen und ihre Arme zu Schwingen werden. Seit dem sind sie eine Heimsuchung, denn wo immer sie auftauchen, muss das restliche Leben weichen.“

„Sie fressen es auf?“, vermutete die Gnomin, während sie sich eifrig Notizen machte.

„Nicht unbedingt.“, widersprach der Druide. „Ich meine, sie jagen so ziemlich alles ab der Größe eines Kaninchens, aber Harpyien verschmutzen ihre Umgebung so sehr mit ihren…Exkrementen, dass sich alsbald fürchterliche Krankheiten ausbreiten und die Vegetation dahinraffen, die Harpyien jedoch verschonen. Sind die natürlichen Ressourcen eines Nistplatzes ausgeschöpft, wandern sie weiter zum nächsten. Und sie werden immer mehr.“

„Wie kann das sein.“, staunte die Gnomin. „Ich meine, ihr sagtet, es wären alles Frauen gewesen. Wie sollten sie sich da vermehren. Handelt es sich dabei um Parthenogenese? Bei so einem komplexen Lebewesen? Hochinteressant!“

„Pa-was?“, unterbrache Deadlyone das Zwiegespräch. Es war offensichtlich, dass der Schurke sich langweilte und jemanden suchte, mit dem er Streit anfangen konnte.

„Par-tho-ge-ne-se.“, wiederholte Emanuelle noch einmal langsam und deutlich. „Vermehrung eines Lebewesen ohne Beteiligung eines andersgeschlechtlichen Partners.“

„Nun es gibt Gerüchte darüber, dass sich die Harpyien ab und an jemanden in ihr Nest holen.“, erklärte Ceredrian und lächelte hintergründig. „Es heißt, sie stellten alle möglichen, sehr speziellen Dinge mit dem armen Opfer an, bevor sie ihn dann als Nahrung für ihre Jungen verwendeten. Möglichweise sind das aber auch nur dumme Geschichten.“

„Also eventuell auch noch Hybridogenese! Wirklich aufschlussreich.“, murmelte Emanuelle und kritzelte weiter in ihrem Buch herum. Dabei warf sie einen zufälligen Blick auf Abbefaria, dem das ganze Thema höchst unangenehm war. Ein weiterer, mechanischer Arm ihres Helms klappte herunter und schob eine Linse vor ihr Auge.

„Wusstet ihr, dass Nachtelfen dunkelviolett anlaufen statt rot?“, frage sie in die Runde und erntete zunächst erstaunte Blicke, die dann einem schallenden Gelächter wichen.

„Wie könnten wir nicht.“, prustete Ceredrian und klopfte dem erwischten Druiden aufmunternd auf den Rücken. „Wir haben ja schließlich unseren Freund hier.“

„Sehr komisch.“, schnappte Abbefaria und rammte seiner Katze höchst unsanft die Fersen in die Flanken. Das große Tier maunzte empört, setzte sich dann aber gehorsam in Bewegung. Mit großen Sprüngen preschte es an den anderen Reittieren vorbei und war kurz darauf mit einem großen Satz über eine Felskante verschwunden.

„Der hat es aber eilig zu den Harpyien zu kommen.“, grinste Deadlyone und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. „Vielleicht sollten wir ihm noch einen Moment geben?“

„Unfug.“, brummte Easygoing. „Wir hatten unseren Spaß, aber jetzt sollten wir aufpassen, dass uns der Spaß nicht auf dem falschen Fuß erwischt, sonst fällt er uns noch in den Rücken und dann könnte dieses Abenteuer wirklich ins Auge gehen.“

„Möchtest du nicht noch ein paar Körperteile in deinen Metaphern unterbringen?“, frotzelte der Schurke und versuchte seinen Nachtsäbler ebenso elegant springen zu lassen wie Abbefaria. Er erntete ein böses Fauchen und eine Klaue, die seinen Oberschenkel nur um Haaresbreite verfehlte.

„Hör auf mit der Katze zu spielen und komm.“, knurrte Easygoing und folgte dem Rest der Gruppe hinunter in das Verbrannte Tal.
 

Schweigend ritten sie zwischen den kahlen Überresten der Bäume umher. Es schien tatsächlich, als hätten die Goblins beim Legen der Brände ganze Arbeit geleistet. Es war, wie so oft wenn Goblins ihre Hand im Spiel hatten, ein Werk vollendeter Vernichtung.

„Grauenhaft.“, sagte Abbefaria. Er hatte zunächst nicht gewusste, wie er der Gnomin gegenüber treten sollte, nachdem die anderen Nachtelfen ihn so vor ihr ins Lächerliche gezogen hatten. Doch da Emanuelle weiterhin damit beschäftigt war, jeden Zweig, an dem sie vorbeikamen, zu katalogisieren, wie sie es nannte, hatte er beschlossen, den Vorfall einfach auf sich beruhen zu lassen. Schlafende Drachen sollte man nicht kitzeln.

„Die Maschinen haben wirklich ganze Arbeit geleistet.“, bestätigte Easygoing. „Hier steht nicht ein Stein mehr auf dem anderen. Verbrannte Erde.“

„Das waren nicht die Maschinen.“, warf Emanuelle ein. „Eine Maschine ist immer nur so gut oder so schlecht wie derjenige, der sie bedient.“

„Sei es, wie es sei.“, brummte der Druide und hob schnüffelnd die Nase. „Wir nähern uns einem Harpyiennest. Ihr werdet hier auf uns warten, während wir uns anschleichen und die Lage auskundschaften werden.“

„Kommt überhaupt nicht in Frage.“, empörte sich Emanuelle laut und ignorierte sämtlich ihr in verschiedenen Tonlagen zugeraunten Zischlaute. Sie wedelte unbeirrt der nachdrücklichen Aufforderungen still zu sein mit ihrem Notizbuch vor der Nase des Druiden herum. „Ich werde nicht hier bleiben. So eine Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Noch dazu, wo sich hier einmal die Gelegenheit bietet, eine matriarchalische Gesellschaftsstruktur zu erforschen. Kommt nicht in die Tüte!“

„Oh bitte.“, knurrte der Druide und rollte mit den Augen. „Die ist keine Aufgabe für…“

„Für was?“, unterbrach Emanuelle ihn und ihre Augen funkelten gefährlich. Herausfordernd streckte sie ihm ihr Kinn entgegen. „Für eine Frau? Wolltet ihr das sagen?“

„Für einen Gnom.“, änderte der Nachtelf schnell seine Taktik. Diese Gnomin war ihm wirklich nicht geheuer. Er überlegte, ob sie mit ihrem Helm vielleicht auch Gedanken lesen konnte.

Entrüstet stemmte Emanuelle die Fäuste in die Hüften. „Aha. Jetzt werden wir also speziesistisch. Ist ja auch viel besser als mich wegen meines Geschlechts zu diskriminieren. Ist euch mal in den Sinn gekommen, dass ich in aller erster Linie Magierin sein könnte. Oder Wissenschaftlerin?“

„Ich…äh… gnhn“, gab Easygoing von sich und starrte die Gnomin wütend an. „Also schön, Ihr könnt mitkommen. Aber keinen Mucks. Und diese Maschine bleibt hier.“ Er wies auf den zitternden, rauchenden, klappernden, rappelnden Roboschreiter, der sich, aller Sinnhaftigkeit zum Trotz, die metallenen Flügel putzte und ein helles Zwitschern hören ließ, als er sich der Aufmerksamkeit der Anwesenden bewusst wurde. Zumindest sah es so aus, wie Abbefaria fand.

Plötzlich jedoch stieg Abbefaria ein Geruch in die Nase, die ihn jeden Roboschreiter sofort vergessen ließ. Er kannte diesen Geruch. Er war ihm vor langer Zeit schon einmal auf einem abgelegenen Ast des Weltenbaums begegnet. Der beißende Geruch, der an Ammoniak erinnerte, ließ ihn sofort an kugelige, in Bäumen hängende Nester denken. Und an die Besitzerinnen der Nester, die leider mit einem jungen Nachtelfen, der sich in ihr Revier verirrt hatte, überhaupt kein Mitleid gehabt hatten. Er fühlte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.

„Die Harpyien!“, rief er ohne sich noch besondere Mühe zu geben, leise zu sein. Dafür war es in diesem Moment eh viel zu spät. „Sie kommen!“
 


 


 

„Sturm, Erde und Feuer hört meinen Ruf…“, murmelte die umherwandernde Gestalt und fuchtelte dabei proklamierend mit den Armen. Dann kicherte sie. „Als wenn das funktionieren würde. Und das Wasser haben Sie auch vergessen. Elende Stümper. Wenn einer von ihnen auch nur einmal in der Wüste gewesen wäre, wüssten sie um die Kraft des Wassers.“

Die brabbelnde Gestalt sprach nun zu einem Kaktus und erklärte dem Wüstengewächs, es solle froh sein, noch nicht in der Wüste ertrunken zu sein. Er ahnte nicht, dass er von ein wenig weiter oben beobachtet wurde. Hinter einem großen Felsen, der mitten auf einem geröllbedeckten Abhang lag, saß Schakal und betrachtete den fremden Zwerg unschlüssig. Dabei versuchte er sich einen Reim auf das zu machen, was er sah und vor allem hörte, doch es wollte sich kein rechter Sinn ergeben.

Der andere Zwerg trug einfache Kleidung, graubraune Stoffhosen und ein ebensolches Hemd. Seine Füße steckten in hellbraunen Lederstiefeln und seine schwarzen Haare hatten ebenso wie der Bart bereits bessere Tage und vermutlich auch mehr von Schere und Bürste gesehen. Seine ganze Erscheinung war staubbedeckt und das ständige, zusammenhanglose Gestammel ließen Schakals Gegenüber leicht entrückt wirken.

„Sie werden Sie finden…oha ja, finden werden sie sie. Doch sie ist weggesperrt. Niemand wird sie bekommen. NIEMAND!“

Durch den plötzlichen Aufschrei des Zwergs überrascht, zuckte Schakal zusammen, ein Stein löste sich unter seinem Fuß, geriet ins Rutschen, sprang gegen einige weitere kleine Felsbrocken, purzelte der Schwerkraft folgend nach unten und blieb kurz neben fremden Zwerg zu liegen.

„Halt! Wer da?“

Der andere Zwerg wirkte mit einem Mal gar nicht mehr verwirrt. Seine Augen suchten akribisch jeden Zentimeter des Geröllfeldes ab und blieben schließlich an dem Felsen hängen, hinter dem Schakal saß.

„AHA!“, brüllte er. „Du kannst dich nicht verstecken. Komm heraus, Erdgeist! Ich weiß, dass du da bist.“

Schakal war schon eine ganze Menge genannt worden. Erdgeist war bis jetzt nicht dabei gewesen. Unruhig beobachtete er, wie der Zwerg vor ihm anfing, Runen in die Luft zu zeichnen und wilde Formeln zu murmeln. Wenn er Glück hatte, war es ebensolcher Unsinn wie das, was der Zwerg bis jetzt von sich gegeben hatte. Wenn er Pech hatte, sprengte ihn der magische Spruch mitsamt dem Felsen in die Luft. Schakal entschied, es nicht darauf ankommen zu lassen, und trat aus dem Schatten des Felsen hervor. Zumindest war das seine Absicht gewesen, doch als er an sich herunter sah, stand er immer noch mit den Füßen auf beschatteter Erde. Und was noch viel schlimmer war: Der Schatten wuchs.

„Weiche, Erdgeist!“, krakelte der Zwerg und fuchtelte hektischer. „Theldurin befielt es dir.“

Knirschendes Poltern antwortete dem Zwerg und das Etwas hinter Schakal, das den Schatten warf, geriet knirschend in Bewegung. Der Schurke überlegte nicht lange. Eine Hand zog den Dolch aus seinem Gürtel, die andere griff in eine der unzähligen, in seine Kleidung eingenähten Taschen und holte eine Faust voll Blendpulver heraus. Blitzschnell wirbelte er herum und blieb dann wie angewurzelt stehen. Ungenutzt rieselte das Blendpulver durch seine Finger und statt anzugreifen, starrte er sein Gegenüber lediglich an.

Wie ein lebendig gewordenes Stück Berg ragte ein riesiges Elementarwesen vor ihm auf. Es war ebenso hellbraun wie die Steine um ihn herum, sein Körper war aus einer enormen Felskugel geformt, an der wuchtige Arme in bronzenen Armschienen steckten. Unter der Felskugel bewegten sich unablässig kleine Steine, die den Körper des Elementars ähnlich dem Prinzip eines Dampfpanzers auf einer Geröllschicht vorwärts schoben. Oben auf dem Körper saß ein kleiner Kopf, aus dem zwei magisch glühende Augenhöhlen den Zwerg vor ihm anfunkelten. Schakal hatte nie geglaubt, dass Steine schlechte Laune haben konnten, aber dieser hier konnte.

Mit einem beherzten Sprung warf Schakal sich zur Seite und entging nur knapp dem wuchtigen Schlag der felsigen Arme. Wie eine kleine Lawine krachten sie haarscharf neben ihm auf die Erde. Staubwolken wirbelten auf und nahmen dem Zwerg die Sicht. Husten wankte er vorwärts, verlor auf dem abschüssigen Gelände den Halt und kugelte Hals über Kopf den Abhang hinab. Der Boden erzitterte, als der Elementar ihm folgte.

„WEICHE!“, kreischte da eine Stimme in den höchsten Tönen. Etwas krachte, es blitze und donnerte und eine Druckwelle raste über den am Boden liegenden Schakal hinweg. Es gab einen gewaltigen Donnerschlag und kurz darauf prasselte ein Regen aus kleinen Steinen hernieder und begrub den Schurken unter sich.
 

Als es endlich aufgehört hatte, Geröll zu regnen, wagte Schakal endlich, seine Gliedmaßen wieder zu bewegen. Er leichtert stellte er fest, dass er zwar einige blaue Flecken davon tragen würde, ansonsten aber unversehrt war. Husten und schniefend wühlte er sich aus dem Geröllhaufen. Braungelber Staub haftete an seinem gesamten Körper und zwischen seinen Zähnen knirschte der Sand. Er spucke aus und grub sich endgültig frei.

„Den Geschmack werde ich so schnell nicht wieder los.“, brummte er und sah sich nach dem zweiten Zwerg um, der ihn, so schien es zumindest, gerettet hatte. Er fand ihn einige Meter weiter auf einem Bein stehend, das Gesicht in die Sonne gerichtet.

Es tanz ein Gni-Gna-Gnomenmenn in unserm Haus herum, wiedebumm.“, sang er leise vor sich hin.

„Ähm.“, machte Schakal in Ermangelung einer adäquaten Erwiderung.

Der Zwerg öffnete die Augen nicht und streckte den Kopf weiter in richtig des gleißenden Himmelskörpers. „Wenn man das lange genug macht, muss man niesen.“, erklärte er ernsthaft. „Das ist lustig.“

„Das ist möglich.“, brummte Schakal und fragte sich ernsthaft, ob ihn der andere Zwerg nun auf den Arm nehmen wollte. „Ihr heißt Theldurin?“

Der Zwerg hörte auf in die Sonne gucken und sah Schakal stattdessen entgeistert an. „Wer hat Euch das gesagt? Erzählt rasch. Haben Sie Euch geschickt?“

„Wer soll… niemand hat mich geschickt. Ich habe mich…nun ja nicht gerade verlaufen. Aber mein Wasservorrat ist erschöpft und ich suche nach einer Quelle.“, erklärte Schakal bereitwillig.

„Eine Quelle soso.“, sagte Theldurin und musterte Schakal misstrauisch. „An Euch klebt das Blut der Erde. Wie soll ich so jemandem vertrauen.“

Zum Beweis streckte Theldurin den Finger aus, fuhr damit über Schakal Brustrüstung und hielt ihm den Staub unter die Nase. „Sagt nicht, das hier wäre nicht von einem der mächtigen Erdelementare. Oh, wenn Therazane herausfindet, dass ihr eines ihrer Kinder getötet hat. Ihr sollet aufpassen, dass Euch beim nächsten Mal nicht der Stollen über dem Kopf einbricht, kleiner Zwerg.“

„Aber Ihr habt den Elementar doch vernichtet.“, wandte Schakal ein und spuckte noch einmal aus, weil der Sand einfach nicht weichen wollte. „Ihr seid ja völlig verrückt.“

„Verrückt? Ja, das mag sein.“, entgegnete der Zwerg und sein Gesicht ließ jeden Anschein von Verrücktheit vermissen. „Aber wisst Ihr, manchmal ist Verrücktheit das Einzige, das einen davor bewahrt, vollends den Verstand zu verlieren.“
 

Schakal zwinkerte. Dann zwinkerte er noch einmal. Als er zum dritten Mal zwinkerte, war ihm immer noch nicht eingefallen, wie er mit diesem merkwürdigen Zwerg umgehen sollte. Außerdem hatte er immer noch Sand zwischen den Zähnen und seine Zunge klebte an seinem Gaumen. So beschloss er, zunächst einmal das dringlichere Problem zu lösen und die Befriedung seiner Neugier auf einen geeigneteren Zeitpunkt zu verschieben.

„Habt Ihr nun etwas zu trinken?“, fragte Schakal gerade heraus und deutete auf seine leere Trinkflasche. „Ich verdurste.“

„Ein häufiges Problem in trockenen Gegenden.“, erwiderte Theldurin ernst. „Wartet hier.“

Der schwarzhaarige Zwerg trat zu einem Felsen. Erst klopfte er vorsichtig daran, dann legte er sein Ohr auf die sandige Oberfläche. Er nickte zufrieden, bedeutete Schakal einen Schritt zurück zu machen und schlug dann unvermittelt mit seiner Faust auf den Stein. Blaue Blitze zuckten zwischen den Finger hervor, etwas rumpelte tief in der Erde und dann begann der Fels zu weinen.

„Wie habt Ihr das gemacht?“, fragte Schakal verblüfft und beäugte staunend die kleine Wasserfontäne, die inzwischen aus dem trüben Rinnsal erwachsen war.

„Einfache Elementar-Transmutation.“, erklärte der fremde Zwerg. „Trinkt, so lange der Zauber noch wirkt.“

Gehorsam holte Schakal seine Trinkflasche hervor, füllte sie bis zur Hälfte und kostete dann. Es schmeckte nach reinem Quellwasser. Kein Bier, aber durchaus geeignet um seinen Durst zu stillen. Er trank in tiefen Zügen und füllte dann die Flasche erneut. Als er fertig war, legte Theldurin seine Hand auf den Springbrunnen. Das Wasser versiegte augenblicklich und als er die Hand hob, war auf dem Fels nichts zurück geblieben als ein feuchter Fleck, den die Sonnenstrahlen gierig aufleckten.

„Ihr habt nun genug Wasser um bis nach Loch Modan zu kommen.“, sagte Theldurin. „Einen schönen Tag noch.“

Damit wollte er sich umdrehen und Schakal stehen lassen, doch dieser gab nicht so leicht auf. Eilig vertrat er dem schwarzhaarigen Zwerg den Weg. Dabei erhaschten seine Augen einen Blick auf ein Stück Pergament, das der andere vor ihm verbergen wollte. Mit einem geschickten Griff brachte er es an sich.

„Halt, gebt das wieder her.“, kreischte Theldurin und wollte nach dem Pergament greifen. „Ihr wisst ja nicht, was Ihr da habt.“

Schakal wich der zugreifenden Hand aus, tauchte unter den ausgestreckten Armen des anderen Zwergs weg und wedelte mit dem Pergament. Es waren Runen darauf, die er nicht lesen konnte. Sie schienen mit dunkelroter Tinte geschrieben worden zu sein und wirkten irgendwie boshaft.

„Richtig, ich weiß nicht was das ist.“, meinte er leichthin. „Vielleicht seid ihr so nett und erklärt es mir?“

„Ihr werdet sie noch anlocken.“, zischte Theldurin aufgebracht und sah sich furchtsam um. „Sie werden kommen und die Stücke finden. Alle Stücke. Und dann werden sie sie wiederholen.“

Ungeduldig wedelte Schakal mit dem Pergament. „Wer ist sie? Oder sind sie? Und wen holt wer woher wieder? Erklärt Euch gefälligst, sonst verbrenne ich Euer teures Pergament einfach.“

Die Augen seines Gegenübers wurden glasig. „Verbrennen.“, wisperte er tonlos. „Aber ja, das ist die Lösung. Wir müssen die Fetzen alle finden und sie verbrennen. Dann wird sie niemals wiederkommen. Wir wären frei.“

Schneller als Schakal es ihm zugetraut hätte, sprang Theldurin auf ihn zu und packte ihn an den Schultern. In den Augen des Fremden Zwergs glomm ein irres Funkeln, doch die Stimme, die Schakal eindrücklich beschwor ihm zuzuhören, war klar und was sie sagte klang nicht nach einer Lüge. Es klang nach einer Katastrophe. Als sie geendet hatte seufzte Schakal schwer.

„Das wird ein hartes Stück Arbeit.“
 


 

„Feuer.“, fluchte Risingsun und polierte den Brustpanzer ihrer goldenen Rüstung. „Alles andere, aber kein Feuer! Ich hätte wissen müssen, dass der brennende Schlüssel von Feuerelementaren bewacht wird. Alles voller Ruß und Dreck. Und wie heiß so eine Plattenrüstung da werden kann.“

Bladewarrior, der sich redliche Mühe gab, die spärlich bekleidete Paladina nicht allzu offensichtlich zu betrachten, nickte verständnisvoll.

„Ich hatte auch ganz schön mit diesen Luftelementaren zu kämpfen.“, warf er ein und wartete auf ein Lob. Als keines kam, da Risingsun schon wieder völlig in ihrer Polierarbeit versunken war, ihre nahm er seufzend seine Axt und trottete auf die Kuppe des Hügelrings, der den Kreis der inneren Bindung umgab. Ein kreisrunder Talkessel umgab die moosbewachsenen Monolithen, in deren Zentrum sich eine Säule aus Kristall befand. Violettes Licht umspielte den Kristall und die Prinzessin hatte dadurch zu ihm gesprochen, nachdem er sämtliche Felselementare zerschmettert hatte, die sich in dem Kreis befunden hatten. Sie hatte gesagt, er sei ihr tapfere Befreier, ihr großer Beschützer, ihr Held. Bladewarrior seufzte erneut. Er fragte sich, wie die Prinzessin wohl aussah. Ob sie hübscher war als Risingsun? Sicherlich nicht. Aber bestimmt war sie irgendwie netter.

„Blade?“, flötete Risingsun und der Krieger eilte, so schnell er konnte, zu ihr. „Würdest du so nett sein, und mir beim Schließen der Rüstung helfen?“

„Sicher.“, antwortete der junge Mann und begann die Schnallen zu lösen, die Vorder- und Rückenteil des Panzers über den Schultern zusammen halten würden. Vorsichtig zog die Paladina ihn über den Kopf, dann befestigte Bladewarrior die Riemen wieder an ihrem Platz. Zumindest versuchte er es, denn seine Finger zitterten merklich.

„Mir ist schleierhaft, wie du mit diesen Händen jemals ein Schwert führen willst.“, bemerkte Risingsun spitz, während sie ihren linken Handschuh überzog.

„Die Haare sind im Weg.“, murmelte der Krieger und war recht froh, dass die junge Frau mit dem Rücken zu ihm stand. So konnte sie wenigstens nicht sehen, dass er bis unter die Haarspitzen rot angelaufen war.

„Wenn es weiter nichts ist.“, lachte Risingsun, strich die blonde Mähne zur Seite und entblößte dabei ihren Nacken.

Schwitzend und mit der Unterlippe zwischen seinen Zähnen nestelte Bladewarrior an den störrischen Riemen, die sich einfach nicht festzurren lassen wollten. Er wollte zwar der Paladina nicht wehtun, aber inzwischen war er kurz davor, ihr den Panzer wieder vom Leib zu reißen um ein paar Mal darauf herum zu springen, damit das widerspenstige Ding endlich zuging.
 

„Stören wir?“, ätzte da plötzlich eine Stimme hinter ihm. Als hätte er sich verbrannt, ließ Bladewarrior Panzer und Riemen fahren und fuhr peinlich berührt herum.

„M-M-M-Magenta?“, stotterte er.

„Eben diese.“, knurrte die Hexenmeisterin und glitt vom Rücken des Rappen herunter. Sie war von oben bis unten mit Schlamm besudelt, aber das Funkeln in ihren Augen warnte jeden davor, sie darauf anzusprechen, wenn ihm sein Leben lieb war. Dummerweise konnte Bladewarrior auch in diesem Fall nicht besonders gut lesen.

„Woher der Dreck?“, wollte er wissen.

„Wir getroffen auf mächtigen Wasserelementar.“, erklärte Abumoaham und sprang ebenfalls vom Pferd. „Er beinahe besiegt uns, aber Magenta ihn aufgehalten.“

„Wie denn?“, grinste die Paladina. „Hat sie ihn mit ihrem Kleid aufgewischt.“

Lauernd sah sie zu der Hexenmeisterin hinüber. Die war neben den Überresten eines Felselementars zusammengesunken und rührte sich nicht. Ein wenig enttäuscht zuckte Risingsun mit den Achseln und lächelte dann gewinnend in die Runde. „Würde mir nun endlich mal jemand in meine Rüstung helfen?“

In seiner Ehre gepackt wollte der junge Krieger etwas sagen, doch bevor er reagieren konnte, war bereits Abumoaham zur Stelle um zu Ende zu bringen, was Bladewarrior angefangen hatte. Geschickt schloss der weißhaarige Mann die Ösen und Schnallen, befestigte die Halsberge, legte der Paladina die Schulterklappen an und umfasste zu guter Letzt die schlanke Taille um das Wehrgehänge daran zu befestigen. Dabei verzog er keine Miene und verbeugte sich zum Schluss galant vor der jungen Frau.

„Très charmant.“, kokettierte Risingsun und hielt dem Magier noch die Hand mit dem fehlenden Handschuh hin. Er ergriff sie, setzte einen flüchtigen Kuss darauf und zog dann die Verschnürung fest, die das Teil an den Unterarmschienen befestigten.

„Ich helfen gerne.“, lächelte er. „Und wir besser befreien Prinzessin. Ich denke, sie ungeduldig schon.“
 

„Ich habe Euch bereits erwartet.“, begrüßte der leuchtende Stein in der Mitte des Kreises die Abenteuer. „Wart Ihr erfolgreich und habt die drei Schlüssel erobert?“

„Wir sie haben hier.“, antwortete Abumoaham und streckte zum Beweis die Hand aus, auf denen ihre Beutestücke lagen.

Die Schlüssel waren nicht besonders groß, etwa so lang wie sein Zeigefinger, hatten einen gezackten Bart und jeweils einen anderen Kopf und eine andere Farbe. Der brennende Schlüssel war feuerrot und trug das Emblem einer lodernden Flamme. Der donnernde Schlüssel war aus Metall mit der dunkelblauen Farbe des Abendhimmels und hatte als Zeichen einen verästelten Blitz. Der Wappenschlüssel schließlich schimmerte silbrig und war mit einer stilisierten Welle verziert.

„Gut.“, hauchte der Stein und die violetten Schleier um ihn herum schienen schneller zu zirkulieren. „Jetzt gilt es den mächtigsten Stein von allen zu besiegen, den Stein der Inneren Bindung. Schiebt die Schlüssel gleichzeitig in die drei Öffnungen an seiner Seite und schließt ihn auf.“

Der Magier betrachtete die schimmernde Steinsäule. „Aber wohin wir sollen Schlüssel schieben? Ich nicht sehen Schlüsselloch.“

„Da!“ Risingsun zeigte auf einen Stein, der wesentlich unscheinbarer war als die leuchtende Marmorsäule in der Mitte des Kreises. Er fiel in den Trümmern der getöteten Felselementare fast überhaupt nicht auf, wenn man von den kleinen Löchern absah, durch die man in sein Inneres schauen konnte. Dahinter wogte dasselbe, violette Glühen, das auch die weiße Steinsäule umgab.

„Wir gefunden!“, jubele Abumoaham. „Sollen wir? Magenta?“

Ein undeutliches Stöhnen antwortete dem Magier. Als er jedoch zu seiner Liebsten hinübereilen wollte, fauchte sie böse: „Komm mir nicht zu nahe. Na los, befreit endlich diese blöde Prinzessin, damit wir weiter können.“

„Alles, was du wollen.“, gab Abumoaham mit einem besorgten Gesichtsausdruck zurück. „Aber du sicher, du nicht wollen…“

„NEIN!“, schrie Magenta. „Jetzt geh endlich.“
 

Immer noch etwas unsicher trat der Magier wieder zu den Anderen. Er warf noch einen Blick über die Schulter, dann wandte er sich wieder dem Stein der Inneren Bindung zu. Er verteilte die drei Schlüssel - Risingsun erhielt den brennenden Schlüssel zurück, während Bladewarrior den donnernden Schlüssel an sich nahm - und atmete mit dem Wappenschlüssel in seiner Hand tief durch.

„Ich zählen. Eins. Zwei… Blade was du tun denn?“

„Entschuldigung.“ Unglücklich blickte der Krieger auf das kleine Loch, in dem sein Schlüssel steckte. In seiner Aufregung hatte er vergessen, was nach der Zwei kam.

„Trottel.“, schnaufte Risingsun und schob mit einer entschlossenen Geste auch ihren Schlüssel in die passende Öffnung.

„Dann wir mal hoffen das Beste.“, sagte Abumoaham aufmunternd und steckte seinen Schlüssel ebenfalls in den Stein.

Zunächst schien es, als passiere überhaupt nichts. Wütend schlug Risingsun dem jungen Krieger in die Seite. „Das ist alles deine Schuld.“

„Wartet!“ Abumoaham deutete aufgeregt auf den Stein. „Ich glauben, etwas passieren da.“
 

Tief im Inneren des Steins begann etwas zu pulsieren. Ein Zittern lief durch den Boden, die Erde ächzte und stöhnte, als die magischen Bande, die die Prinzessin festhielten zersprangen. Wellenförmige Impulse wanderten unter den Gesteinsschichten umher, Felsen kullerten über den Boden und einer der Monolithen zersprang. Seine Bruchstücke verteilten sich in alle Richtungen und verschwanden in den meterlangen Rissen, die sich auf dem Boden gebildet hatten. Es gab ein letztes gewaltiges Rumpeln und die Welt stand wieder still.

Suchend sah Bladewarrior sich um. „Prinzessin? Prinzessin wo seid Ihr?“ Er erhielt keine Antwort.

„Na das ist ja toll.“, beschwerte sich Risingsun. „Erst hetzt sie uns quer durch´s Arathi und dann…“

„Ich danke Euch, Helden.“, erklang da die Stimme des Steins. „Durch Euch wurde der größte Teil meiner Fesseln gelöst. Ich spüre, wie meine Kraft zurückkommt.“

„Aber wo seid Ihr?“, fragte Bladewarrior erneut.

Ein Lachen, das klang, als würden Kieselsteine über eine Schieferplatte rutschen, ertönte. „Mein großer, starker Krieger. Ich bin leider noch nicht frei. Ein letzter Stein hält mich noch unter der Erde fest. Es ist der, vor dem Ihr jetzt steht, der Schlüsselstein. Erst wenn er zerbrochen ist, kann ich wieder auf Erden wandeln.“

„Noch ein Stein?“ stöhnte Risingsun. „So langsam frage ich mich, ob es die ganze Plackerei überhaupt wert war.“

„Ich versichere Euch, wunderschöne Paladina, wenn ich erst frei bin, wird meine Dankbarkeit Euch gegenüber die Erde erschüttern.“, antwortete der Stein schmeichelnd. „Doch um das zu schaffen müsste ihr noch ein letztes Abenteuer bestehen. Es gibt einen weiteren Wächter. Ein Bergriese mit Namen Fozruk. Findet ihn und nehmt ihm die Rute der Ordnung ab. Mit ihm werdet ihr die chaotischen Kräfte besiegen, die mich hier gefangen halten.“ Ein Laut wie ein steinernes Schluchzen war zu hören. „Es ist das letzte Schloss an meiner Freiheit.“

„Oh na also schön.“ Risingsun rollte mit den Augen. „Gehen wir also und erschlagen diesen Schlüsselwächter.“

„Ähm.“ Bladewarrior kratzte sich ein wenig unsicher am Kopf. In der Hand hielt er etwas, dass ein wenig wie ein Zauberstab aussah. An seiner Spitze funkelte und blitzte ein Diamant in allen Farben des Regenbogens auf.

„Die Rute!“, rief der Stein völlig außer sich. „Ihr habt sie gefunden.“

Verlegen trat der junge Krieger von einem Fuß auf den anderen. „Nun ja, da war dieser Riese und ich dachte mir. Bladewarrior, dachte ich, du musst ausprobieren, ob du auch einen Riesen töten kannst. Außerdem hatte er dieses Glitzerding. Ich hatte gedacht, es würde Magenta gefallen, wo doch ihr Zauberstab schon wieder weg ist.“

„Du sein unser großer Held.“, lachte Abumoaham und klopfte dem Krieger anerkennend auf die Schulter. „Magenta, schau, du können zerstören letzte Stein, damit Prinzessin sein endlich frei. Magenta?“
 

Die Hexenmeisterin lag zusammengekrümmt auf der Erde und schüttelte sich unter Krämpfen. Als Abumoaham nach ihr greifen wollte, zog er erschrocken die Hand wieder zurück. „Sie glühen wie Feuer.“

„Lasst mich sehen.“, sagte Risingsun und drehte die andere Frau vorsichtig auf den Rücken.

Magentas Züge waren verzerrt und ihre Atmung ging flach. Sie hatte die linke Hand um das Handgelenk der anderen Hand geschlossen und als Risingsun es vorsichtig entfernte, sahen sie auch die infizierte Bisswunde, die darunter verborgen war. Eitrige Wundränder umgaben das schwärende Fleisch und rote Linien zogen sich bereits über den gesamten Arm.

„Oh was für eine Unvernunft.“, fluchte die Paladina. „Los, helft mir, sie auszuziehen.“

„Was?“ Bladewarrior machte eine abwehrende Geste. „Das geht nicht.“ Zwei halbnackte, junge Frauen an einem Tag waren einfach zu viel für ihn.

„Es geht hier um ihr Leben.“, fauchte Risingsun. „Ich muss nachsehen, wie weit die Vergiftung noch vom Herzen entfernt ist. Und ich brauche Wasser. Und Feuer.“

„Ich besorgen Wasser.“, erklärte Abumoaham sofort.

„Und ich mache Feuer.“, rief Bladewarrior. Beide Männer sprangen auf und eilten davon um das Gewünschte zu bringen. Ein Lächeln glitt über Risingsuns Gesicht.

„Gut.“, lachte sie leise. „Dann kann ich nachher einen gepflegten Tee trinken. Und jetzt zu dir, du Dienerin des Bösen. Wollen wir doch mal sehen, was du zu meinem Heiligen Licht sagst.“
 


 


 

Abbefaria duckte sich unter einem Krallenhieb hinweg, rollte sich ab und suchte hinter einem schwelenden Baumstamm Deckung. Ein grellweißer Blitz durchschnitt die Luft und schlug in den toten Stamm ein. Wäre der Baum noch am Leben gewesen, hätte er jetzt vermutlich in Flammen gestanden. So aber zerbarst er mit einem trockenen Laut und sandte einen Regen aus glühenden Holzsplittern auf den Druiden.

„Ich zerfetze dich, Nachtelf.“, kreischte die Harpyie und sandte noch einen Blitz gegen den Druiden, vor dem er sich mit einem hastigen Sprung in Sicherheit brachte. „Komm heraus und spiel mit mir.“

„Ich denke gar nicht daran.“, zischte der Druide und musste schon wieder vor einem Blitz flüchten. Diese Windhexe brachte ihn wirklich gehörig ins Schwitzen. Sie beherrschte die Elemente meisterhaft und schleuderte sie dem Nachtelfen entgegen, als gäbe es nichts Einfacheres. Er hingegen hatte Mühe, sich überhaupt auf irgendeinen seiner Zauber zu konzentrieren. Stattdessen rannte er hakenschlagend zwischen den Bäumen umher und versuchte einen Schwachpunkt seines Gegners zu finden.

„Wo bist du?“, heulte die Harpyie, die ihn zu seinem Glück aus den Augen verloren zu haben schien. Schwer atmend lehnte der Druide sich gegen einen umgestürzten Baum und versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen. Als er wieder etwas freier atmete, spähte er vorsichtig hinter dem Stamm hervor um nach seiner Peinigerin zu sehen.

Die Harpyie schwebte zwischen den Bäumen auf und ab. Die ausladenden Flügel mit den schillernden, roten Federn hielten sie mühelos in der Luft und erzeugten bei jedem Schlag einen Windstoß, der die Asche auf dem Boden umher wirbelte. Scharfe Raubvogelaugen tasteten jeden Zentimeter ihrer Umgebung ab und suchten nach der entgangenen Beute. Ihr sehniger Körper war nur von wenigen, knappen Kleidungsstücken verdeckt, die mehr hervorhoben als sie verdeckten. Doch auch diese Tatsache konnte nicht von den gewaltigen, messerscharfen Krallen an ihren Füßen ablenken, die sich voller Ungeduld öffneten und schlossen. Wie gerne hätte die Harpyie sie endlich in weiches Fleisch gebohrt um sich an den Schmerzensschreien ihres Opfers zu berauschen. Aber dazu musste sie ihn erst einmal finden.

„Komm heraus, Elflein.“, lockte sie und versuchte ihre Stimme weich und verführerisch klingen zu lassen. „Wir können viel Spaß zusammen haben.“

Ein vierbeiniger Schatten flog von hinten auf die Harpyie zu. Er landete auf ihrem Rücken und drückte die kreischende Vogelfrau zu Boden. Zappelnd versuchte sie sich von der dunklen Raubkatze auf ihrem Rücken zu befreien, doch die verwandelte sich wieder in einen Nachtelfen und drückte ihre Flügel in den Sand.

„Spielen?“, raunte Abbefaria der gefangenen Harpyie ins Ohr. „Ich glaube, ich verzichte diesmal.“

Die Harpyie schrie unverständliche Verwünschungen. Zwischen den Schwungfedern ihrer Flügel knisterte die Magie und ihre Entladungen huschten über die Hände des Druiden, mit denen er die Harpyie am Boden hielt. Er fühlte das Kribbeln in seinen Fingern, die blauen Blitze, die über die violette Haut huschten, suchten einen Weg sich zu entladen und dann verschwanden sie plötzlich. Ungläubig starrte Abbefaria auf seine Hände und versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war. Ein fataler Fehler, wie er feststellen musste, als die Harpyie sich kreischend aufbäumte und versuchte den abgelenkten Nachtelfen von ihrem Rücken zu schleudern.

„Ich werde dir die Augen auskratzen.“, schrie sie außer sich. „An deinen eigenen Gedärmen werde ich dich vom höchsten Baum hängen und meine Jungen werden sich mit deinem Blut die Federn färben.“

„Ich fürchte deine Jungen, werden heute zu Waisen.“, keuchte Abbefaria, der Mühe hatte, die Gefangene in ihrem Blutrausch zu bändigen. „Möge Elune dich erleuchten.“

Er langte hinauf in die Nacht und fand sofort, wonach er suchte. Ein Strahl gebündelten Mondlichts fuhr in die Harpyie und das silberne Feuer ließ ihren Körper nahezu durchsichtig werden. Es drang aus ihren Augen wieder hervor und verließ zusammen mit einem letzten, erstickten Kreischen ihren Mund. Innerlich verbrannt sackte sie tot unter dem Druiden zusammen. Angewidert ließ er den toten Körper fallen und wischte sich die Hände an seiner Kleidung ab. Erst dann merkte er, dass sie voller Blut waren. Ob seines, ihres oder das ihrer zwei Schwestern, die Abbefaria bereits zuvor hatte töten müssen, wusste er nicht.

Erschöpft ließ der Druide sich auf den Boden sinken. Der Kampf mit den drei Harpyien hatte seinen Tribut gefordert. Zudem hatte er ihn von seinen Freunden getrennt und er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Die toten Bäume sprachen nicht mehr und er hatte keinerlei Orientierung, wohin er gehen musste um sie wieder zu finden. Seine Muskeln schmerzten und ein langer Riss auf seinem Schulterblatt zeugte von der unerfreulichen Begegnung mit den Krallen der ersten Harpyie. Ohne zu überlegen sprach er einen Heilzauber über die verletzte Stelle. Die heilende Energie legte sich wie ein weicher Verband über die verletzte Schulter doch das war nicht das einzig, was geschah.

„Was zum….“, murmelte Abbefaria und betrachtete mit gerunzelter Stirn seine Finger. Bläuliche Funken tanzten über die Haut und verschwanden dann urplötzlich wieder. Er hatte sie unbeabsichtigt zusammen mit dem Heilzauber freigesetzt. Aber woher kamen sie?

Und vor allem, wie stelle ich sie wieder ab? Er schüttelte seine rechte Hand und löste damit einen Funkenregen aus. Na das kann ja heiter werden.

Ein heiseres Kreischen ließ ihn aufhorchen. Offensichtlich war die Gefahr durch die blutrünstigen Harpyien noch lange nicht gebannt. Sie schienen ganz in der Nähe ein neues Opfer gefunden zu haben. Abbefaria zögerte nicht lange und stürzte sich auf vier Pfoten in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
 

Nicht weniger als sieben Harpyien kreisten über einer Lichtung, deren Ränder inzwischen nur noch aus schwarzen Mahnmalen bestanden. Sie lärmten und tobten, doch ihre Beute schien ihnen auch hier entkommen zu sein. Zumindest dachte Abbefaria das zunächst, bis er halb hinter einem verbrannten Stumpf verborgen ein Stück violetten Stoff aufblitzen sah Die zwei schwarzen Zöpfe, die auf der anderen Seite des Stamms hervorlugten ließen wenig Interpretationsspielraum, um wen es sich da handelte.

Sie hätte besser auf Easy gehört, dachte Abbefaria bei sich und kroch langsam über den Boden zum Versteck der kleinen Magierin. Wann immer eine der Harpyien über ihn hinweg flog, verharrte er still, bis er den Luftzug ihrer Flügel nicht mehr in seinem Nackenfell spürte. Zwar war er durch seine Fähigkeiten recht gut vor ihren scharfen Augen geschützt, doch wenn eine der Vogelfrauen, die jetzt dicht über dem Boden schwebten, ihn aus Versehen berührte, würden sie ihn womöglich doch noch entdecken.

Mit angehaltenem Atem überbrückte er die letzten Meter mit ein paar schnell Sprüngen und duckte sich neben die Magierin hinter den Baumstumpf. Sie begrüßte ihn freudestrahlend und leider ziemlich laut.

“Oh hallo.“, rief sie und ignorierte Abbefarias erschrecktes Maunzen. „Ich bin gleich fertig. Nur noch ein paar Striche, dann können wir los.“

Abbefaria sah, dass sie die Harpyien gemalt hatte. Mehrere Zeichnungen hielten Aussehen und Größenverhältnisse der Vogelfrauen fest, skizzierten den Aufbau der Schwingen und zeigten außerdem etwas, das verdächtig nach einem Gnom mit Flügeln aussah. Schnaubend sah er die Magierin an und fauchte vorwurfsvoll.

„Nun habt Euch nicht so.“, grinste sie und tätschelte dem Druiden den Kopf. „Ich muss das hier einfach studieren. Wenn wir sie getötet haben, werde ich sie wohl kaum mehr zu Fliegen bringen. Ich bin ja schließlich kein Nekromant.“

Sie brachte noch ein paar schnelle Striche auf das Pergament. „So, fertig. Wir können los.“

Noch ehe Abbefaria es sich versah, hatte sich die Gnomin auf seinen Rücken geschwungen und trieb ihm die kurzen Beine in die Seiten, wie er es noch vor kurzem mit seinem eigenen Reittier gemacht hatte. Er kam noch nicht einmal dazu, sich über diese Unverfrorenheit zu beschweren.

„Na los, vorwärts.“, jubelte sie ganz vergessend, dass sie immer noch in Hörweite der Harpyien waren. Ein vielfacher Aufschrei antwortete ihr.

„Da ist die Kleine!“

„Findet sie!“

„Mordet sie!“

„Reißt sie in Stücke!“

Mit Entsetzen sah Abbefaria, wie sich die Harpyien einem Schwarm Aasgeier gleich auf ihn und die Gnomin stürzten und so tat er das Einzige, was ihm noch übrig blieb: Er gab Fersengeld. Allerdings behinderte ihn die Gnomin auf seinem Rücken doch stärker, als er angenommen hatte…und sie war durchaus schwerer, als sie aussah. Es kam, wie es kommen musste. Ein Satz über einen Baumstamm hinweg, den Abbefaria allein mühelos geschafft hätte, wurde ihm zum Verhängnis. Er blieb mit der Hinterpfote an dem Stamm hängen und klatschte wie ein Stück nasser Stoff mit dem Bauch gegen das rissige Holz. Instinktiv versuchte er sich zusammen zu rollen, dabei verlor die Gnomin auf seinem Rücken den Halt und so kullerten die beiden in verschiedene Richtungen über den aschebedeckten Boden. Eine Gelegenheit, auf die die Harpyien nur gewartet hatten. Mit einem infernalischen Gekreisch stürzten sie sich auf ihre Opfer.
 

Und wieder duckte sich Abbefaria vor scharfen Klauen und zupackenden Krallen und hoffte, dass er irgendwie aus dieser Hölle voller Federn herauskommen würde. Er wollte sich gerade zurückverwandeln um sich endlich gegen die Biester zur Wehr zu setzen, als ein Stück neben ihm ein Rufen erklang.

„Hey ihr Schnepfen. Lasst gefälligst meinen Freund in Ruhe.“ Emanuelle stand grinsend auf einem kleinen Hügel.

„Warum legt ihr euch nicht mit jemandem in eurer Größe an.“, höhnte sie und winkte mit beiden Armen. „Na los, kommt her!“

Ist sie denn völlig wahnsinnig geworden? , dachte Abbefaria noch, da gingen die Harpyien bereits zum Angriff über. Gleich vier von ihnen flatterte auf die Gnomin zu und behinderten sich fast in ihrer Gier. Sie kamen näher und näher an die Gnomin, die ihnen freundlich zulächelte. Erst als sie nur noch wenige Meter von ihr entfernt waren, riss die Gnomin die Hände in die Luft und proklamierte einen Spruch.

Eine gewaltige Eruption aus Sand und Feuer schoss aus dem Boden hervor und hüllte die Harpyien ein. Schmerzenschreie mischten sich unter ihr Gekreisch und es stank nach verbrannten Federn. Drei der Getroffenen fielen sofort vom Himmel und waren bereits tot, bevor sie den Boden berührten. Die letzte, schwer verletzte Harpyie versuchte, sich mit erlahmenden Schlägen ihrer verkohlten Flügel in Sicherheit zu bringen, doch schließlich fiel auch sie wie ein Stein zur Erde. Wimmernd kroch sie noch ein paar Meter, dann erschlaffte ihr Körper und sie blieb regungslos liegen.

Die restlichen Harpyien sahen, was die Magierin ihren Schwestern angetan hatte. Unschlüssig schwebten sie auf und ab und warfen Emanuelle wilde Verwünschungen an den Kopf. Endlich wagte einen von ihnen einen Vorstoß. Sie stieß wie ein zupackender Raubvogel herab und fuhr ihre Krallen aus. Emanuelle reagierte sofort und warf mit einem Feuerball nach der Angreiferin. Diese wich dem Geschoss jedoch aus und ihre Krallen bohrten sich nur um Haaresbreite neben der Gnomin in den Sand. Die fackelte gar nicht lange und wob erneut einen Zauber. Es funkte ein wenig, ein neuer Feuerball glomm zwischen ihren Fingern auf…und dann erlosch die Flamme urplötzlich wieder.

„Oh oh, nicht gut.“, stellte Emanuelle fest und sprach erneu eine Zauberformel. Als nicht passierte, wich sie blitzschnell einem erneuten Flügelschlag der Harpyie, wuselte zwischen den zuschnappenden Krallen hindurch und rannte den Hügel hinunter genau auf Abbefaria zu.

„Tut etwas!“, schrie sie dabei panisch. „Meine Magie. Sie ist alle!“

WAS? , maunzte Abbefaria und beobachtete gelähmt vor Entsetzen, wie sich die drei verbliebenen Harpyien mit rasender Geschwindigkeit auf Emanuelle zubewegten. Vor seinem inneren Auge sah er die kleine Magierin schon in blutigen Fetzen auf der Erde liegen, bis ihm bewusst wurde, dass er ihre einzige Hoffnung war und dass er endlich in Bewegung kommen musste, wenn er die Harpyien noch rechtzeitig außer Gefecht setzen wollte. Aber wie sollte er so viele Gegner auf einmal aufhalten?
 


 


 

„Dass ist also die Rolle von Myzrael.“, sagte Schakal und nahm noch einen Schluck aus der Flasche in seiner Hand. „Sieht nicht besonders mächtig aus, wenn Ihr mich fragt.“

„Das liegt daran, dass Ihr keine Ahnung habt.“, meckerte Theldurin. „Außerdem ist ja auch nicht die Rolle das Mächtige, sondern das, was man damit hervorrufen kann.“

„Und das wäre?“ Abwartend lehnte sich Schakal auf dem Schemel zurück, auf dem er saß. Beinahe wäre er hintenüber gefallen und hätte sich den Kopf am Boden der Höhle gestoßen, die der schwarzhaarige Zwerg sein Zuhause nannte, wenn er nicht gerade wildes Zeug brabbelnd durch Ödland irrte. Es schien allerdings so, als habe der Inhalt der Trinkflasche, in der sich inzwischen nur noch ein geringer Anteil Wasser befand, eine positive Wirkung auf den Geisteszustand des Gelehrten, denn ganz im Gegenteil zu Schakal wirkte er hellwach und ziemlich nüchtern.

Mit einem Seufzen ließ Theldurin jetzt die vielen Pergamentfetzen sinken, die die beiden unzähligen Felselementaren abgejagt hatten sinken, und musterte den anderen Zwerg. „Na meinetwegen. Was wisst ihr über die Titanen?“

„Titanen, eh?“ Schakal fasste sein Gegenüber ein wenig empört ins Auge. „Wollt ihr mich hochnehmen? Jeder Zwerg weiß, was die Titanen sind. Immerhin hat einer von ihnen, Khaz’goroth, uns erschaffen. Uns und alles sonst, was so mit Bergen und Steinen zusammenhängt. Diese freundlichen Bergriesen zum Beispiel. Ich bin mal einem begegnet, Hatte eine schöne Singstimme.“

„Ich frage mich, wer hier eigentlich den Sonnenstich hat.“, brummte Theldurin und beschloss, seine Erklärung ganz einfach zu halten. „Ihr wisst also, was die Titanen sind. Nun hatte einmal einer von ihnen eine nicht so tolle Idee. Ich meine, auch so eine Kreatur mit göttlicher Macht kann ja mal einen schlechten Tag haben. Nun auf jeden Fall erschuf er Myzrael. Warum er diesem Elementarwesen aus den tiefsten Gesteinen der Erde die Form eines weiblichen Titanen gab, ist nicht ganz klar. Vielleicht war es sogar Khaz’goroth selber, der der Mutter aller Felselementare eine Freude machen wollte. Nicht, dass die Dame eine besondere Schönheit war, aber immerhin hatte er die Landschaften geformt, aus denen sie ihre Kinder großzog.“

„Soll das heißen, die hatten Kinder zusammen?“, empörte sich Schakal. „Unser Schöpfer und dieses Erdmonster?“

„Beleidigt nicht eine der mächtigsten und gütigsten Naturkräfte überhaupt.“, fauchte Theldurin. „Gütig im Gegensatz zum Rest zumindest. Elementare Kräfte sind immer chaotisch. Da ist es, was sie so mächtig macht. Die Kultisten des Schattenhammer-Clans versuchen seit jeher, sich diese Kräfte zunutze zu machen.“

„Woher wisst Ihr das?“, fragte Schakal.

„Ich war einer von ihnen.“

„Oh.“

„Wie dem auch sei, irgendwie ist bei dieser ganzen Sachen auf jeden Fall Prinzessin Myzrael entstanden.“, erklärte Theldurin weiter und fuhr dabei fort, die Pergamentfetzen wieder zu einem Ganzen zusammenzusetzen. „Leider hat sie eher das Temperament einer verletzten Wildsau, denn einer Prinzessin. Ich war einst dabei, als dieses gigantische Ungetüm das Arathihochland verwüstete. Sie hat alles in Schutt und Asche gelegt, die halbe Feste von Stromgarde einstürzen lassen, Menschen und Vieh gleichermaßen durch die Luft geschleudert und gelacht, als sie wieder auf die Erde fielen. Unter ihren gewaltigen Füßen starben Hunderte von tapferen Männern und Frauen, bis die Titanen endlich ein Einsehen hatten und Hilfe sandten.

Bergriesen fingen die wildgewordene Prinzessin ein und bannten sie tief unter die Erde. Sie legten ihr magischen Ketten an und vergaben die Wache über drei der Schlüssel zu diesen Ketten an die stärksten Elementarwesen des Feuers, der Wassers und der Luft, die sie finden konnten. Da diese Elemente in einem ständigen Kampf miteinander leben, waren sich die Bergriesen sicher, dass sie sich niemals verbrüdern würden um die schreckliche Gefahr wieder zu befreien. Den mächtigsten Schlüssel behielten sie jedoch für sich und ließen sein Schloss noch einmal von Elementaren bewachen, wobei sie diesmal das in ihren Augen stärkste Element wählten, um diesen ganz besonderen Ort zu schützen, die Erde.

Weil sie jedoch den Elementarwesen nicht trauten, legten sie einen weiteren Zauber über die magischen Schlüssel, um sie auch vor ihren Wächtern zu schützen, und versteckten sie tief im Inneren der Knochen der Erde. Auch diese Zugänge versiegelte sie mit einem starken Zauber. Den Stein jedoch, der die Schlüssel wieder freigeben konnte, zerbrachen die Bergriesen und gaben die Splitter in die Obhut eines tapferen Stammes von Kobolden, denen sie das Versprechen abnahmen, dass sie die Splitter mit ihrem Leben verteidigen würden. Seitdem ist die Prinzessin unter dem Arathihochland gefangen und wird dort hocken bis in alle Ewigkeit.“

„Na das nenn ich mal ein Gefängnis.“, platzte Schakal heraus. „Aber mal angenommen, jemand ließe sich einfallen, den Kobolden die Splitter wieder abzujagen. Und mal weiter angenommen, derjenige würde nun auch noch die Wächter überwinden und die ganzen Schlüssel finden. Was würde dann passieren.“

„Derjenige könnte Myzrael befreien.“, überlegte Theldurin. „Um sie jedoch an die Oberfläche zu holen, würde er diese Rolle hier brauchen, die wir, sobald ich sichergestellt habe, dass wir alle Fetzen zusammen haben, vernichten werden. Aber wer würde so dumm sein, Myzrael aus ihrem Gefängnis zu holen.“

Ein mulmiges Gefühl machte sich in Schakals Magen breit, das nichts mit dem Branntwein zu tun hatte, den er in sich hineingeschüttet hatte. Es hatte eher mit der Kombination der Worte Arathihochland und Prinzessin zu tun. Zusammen mit dem Wissen, dass sich ein gewisser, naiver, junger Menschenkrieger in dem Gebiet aufhielt, ergab sich eine höchst explosive Mischung.

„Mal angenommen, derjenige hätte die Rolle nicht.“, krächzte er voller unguter Vorahnungen. „Und er würde die Prinzessin trotzdem befreien. Was wäre dann?“

Theldurin überlegte einen Augenblick. „Nun, er würde die Prinzessin zwar befreien können, doch wäre sie vermutlich zu schwach um an die Oberfläche zu kommen. Es könnte Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis sie wieder erscheinen würde. Dann jedoch ließe sie sich nur noch mit Hilfe dieser Rolle aufhalten. Aber die werden wir ja gleich…“

„Halt!“ Schakal war aufgesprungen und alle Wirkung des Alkohols war schlagartig von ihm abgefallen. „Ich brauche diese Rolle.“, rief er atemlos. „Und ich muss sofort ins Arathihochland.“

Verwundert sah Theldurin den aufgebrachten Zwerg an. „Die Rolle ist fertig. Aber was wollt Ihr damit im Arathihochland?“

„Eine Katastrophe verhindern.“
 


 


 

Emanuelle rannte um ihr Leben „Hallo?“, schrie sie außer sich. Sie hatte nicht gedacht, dass der Nachtelf so begriffsstutzig war. „Hilfe? Jetzt?“

Abbefaria überlegte nicht lange. Er verwandelte sich zurück und griff mit einem Zauber tief in die Erde hinab. Als er fand, was er suchte, schossen mit einem Mal Wurzeln und Ranken aus dem Boden hervor. Eine der wutschnaubenden Harpyien, die ihre Krallen schon nach der Gnomin ausgestreckt hatte, wich ihnen noch gerade rechtzeitig aus und brachte sich mit ein paar Flügelschlägen außer Reichweite der zuschnappenden Pflanzen. Sie überschlug sich einmal in der Luft und nahm dann sofort wieder die Verfolgung auf. Abbefarias Spruch hatte sie nur noch wütender gemacht.

Endlich war Emanuelle so weit heran, dass sie ihren potentiellen Retter erkennen konnte. Als wäre sie in den Schlingpflanzen gefangen worden blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen und starrte Abbefaria aus großen Augen an.

„Heiliger Schraubendreher.“, stöhnte sie. „Das ist ja der Falsche.“

Irritiert brach der Druide den Zauber ab, den er so eben der Harpyien hatte entgegenwerfen wollen. „Was soll das heißen, der Falsche?“, wollte er wissen.

„Na ich dachte, ihr seid dieser Easygoing.“, erklärte Emanuelle ungeduldig. „Ihr wisst schon, der mit den Muskeln. Der, von dem ich dachte, dass er diese drei Furien da ohne Probleme erledigen könnte. Aber ihr seid ja nur der andere.“

„WAS?“

Ungeachtet der Tatsache, dass immer noch drei wütenden Harpyien auf ihn und die Magierin zuflogen und sich bereits Gedanken machten, welches seiner Körperteile sie wohl zuerst an ihre Brut verfüttern würden, ließ der Druide die Arme sinken. Er glaubte zuerst, sich verhört zu haben, doch Emanuelle schien das, was sie gesagt hatte, sehr ernst zu meinen. Anscheinend hatte sie sogar schon völlig mit ihrem Leben abgeschlossen, denn sie setzte sich einfach vor ihm auf die Erde und sah den heranstürmenden Harpyien gleichgültig ins Gesicht.
 

In Abbefaria gärte es. Es sollte nicht gut genug sein? Nachdem sie ihnen diesen ganzen Schlamassel eingebrockt hatte. Diese nichtsnutzige, vorlaute, prahlerische, magieverblendete, technikbessesene, qälgeistige Frau von der Größe eines zu klein geratenen Hausschweins? Ausgerechnet sie wagte es, ihn zu beleidigen? Das konnte er sich definitiv nicht bieten lassen.

Die fremde Magie, die er vorhin von der Harpyie aufgenommen hatte, knisterte zwischen seinen Fingern. Er konnte fühlen, wie sie in seinen Adern pulsierte und an die Oberfläche drängte. Würde er ihr nachgeben, würde sie vermutlich in ihrer zerstörerischen Wirkung nicht nur seine Gegner sondern auch ihn schwer verletzten. Oder aber so wie seine letzte Attacke im Nichts verpuffen. Er brauchte einen Zauber, der alle seinen Gegner traf und ihnen keinen Ausweg ließ. Mit einem tiefen Atemzug schloss er die Augen.

Ein Bild der Feuersäule, die die Magierin beschworen hatte, tauchte hinter seinen geschlossenen Lidern auf, doch er schob sie beiseite. Das war nicht, wonach er suchte. Der Zauber musste von oben kommen, damit die Harpyien ihm nicht ausweichen konnten. Donnergrollen mischte sich unter die Schrei der Vogelfrauen. Dunkle Wolken begannen sich über ihren Köpfen zu bilden und ein erstes Wetterleuchten ließ die Gebilde aus Dunst in einem ungesunden Gelbton aufflackern. Windböen zerrten an Abbefarias Kleidung und bläuliche Blitze liefen über seinen gesamten Körper. Doch noch wollte er diese Macht nicht entfesseln. Er musste die Energie erst in die richtigen Bahnen lenken, sonst würden sie wie der ungezügelte Zorn der Natur aus ihm hervorbrechen und alles verderben.

In seinem meditativen Zustand nahm er ganz am Rande wahr, dass sie Magierin nun doch aufgesprungen war und ihn mit großen Augen anstarrte…und dann ein Notizbuch hervorholte um darin herumzukritzeln. Fast wäre ihm sein Zauber wieder entglitten und ein erster Blitz zuckte aus den dunklen Wolken zu Erde. Er verfehlte die vorderste Harpyie nur knapp, brachte sie jedoch dazu ihren Kurs zu ändern und langsamer zu fliegen, was dem Druiden wertvolle Sekunden beschwerte. Dann endlich waren sie nah genug heran und er ließ das Inferno los, das er über ihren Köpfen zusammengebraut hatte.

Mit einem Donnerschlag entlud sich eine Flut von tödlichen Blitzen, zwischen denen es kein Entkommen gab. Die dürren Körper der Harpyien wurden von den Mächten der Natur geschüttelt und wie Spielzeug zwischen den gleißenden Strahlen hin und her geworfen. Ihre Flügel fingen Feuer und vergingen in einer stinkenden Rauchwolke. Eine nach der anderen stürzte tödlich getroffen wie eine lebendige Fackel zur Erde.
 

Auch nachdem das Blitzgewitter geendet hatte, rollte noch minutenlang der drohende Donner über den Himmel. Während sich die Wolken langsam wieder auflösten und schließlich den Blick auf den rötliche Himmel freigaben, trat der Druide zu den toten Harpyien. Als er ihre geschwärzten Gesichter sah, stieg ein ungutes Gefühl seine Kehle hinauf. Doch dann erinnerte er sich daran, dass sie mit ihm ebenso wenig Mitleid gehabt hätten. Er hatte schlichtweg keine Wahl gehabt, so sagte er sich und versuchte damit sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, doch so ganz wollte es ihm nicht gelingen.

„Das war großartig.“, lobte Emanuelle. „Ich habe noch nie einen Nachtelf gesehen, der zu so großer, arkaner Magie fähig ist.“

„Das war keine arkane Magie.“, schnappte Abbefaria immer noch aufgewühlt. „Das hier hatte nicht, aber auch gar nichts mit dem zu tun, was Ihr praktiziert. Wagt es nicht noch einmal, mich mit einem Magier auf eine Stufe zu stellen.“

Die Gnomin schwieg ein wenig betreten. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus und machte ein weiteres Wort mit jeder Sekunde unmöglicher. Es schien, dass dies das Ende einer beginnenden Freundschaft war.

„Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu beleidigen.“, sagte die Magierin schließlich leise. Dann grinste sie plötzlich. „Denen habt ihr es aber ganz schön gegeben.“

Abbefaria wollte schon wieder auffahren, aber im nächsten Moment sah er Emanuelle strahlendes Gesicht und sein Zorn verflog wieder. Er hatte sie und nicht zuletzt auch sich gerettet. Und waren sie nicht hierher gekommen, um die Harpyien zu töten? Denn wenn er ehrlich war, hatte er von Anfang an gewusste, dass sie sich nicht würden vertreiben lassen und dass es zu einem Kampf kommen würde. Er hatte es nur nicht wahrhaben wollen.

Er nickte der Gnomin zu. „Gehen wir.“
 

Sie fanden die restlichen Nachtelfen am Rande des Tals. Neben ihnen lagerten die großen Reitkatzen, die sich ebenfalls tapfer am Kampf gegen die Harpyien beteiligt hatten. Easygoing, dessen Brustrüstung einen tiefen Schnitt aufwies unter der sich frisch verheilte Haut abzeichnete, war gerade dabei, eines der Tiere zu beruhigen, damit Ceredrian seine Wunden versorgen konnte. Ein leicht zerzaust wirkender Deadlyone lehnte mit dem Rücken an einem der wenigen Bäume, die das Feuer nicht bis auf die Wurzeln niedergebrannt hatte, und reinigte seine Dolche. Nachlässig winkend hob er die Hand zum Gruß.

„Seht mal!“, rief er den anderen beiden zu. „Die Verlorenen sind wieder zurück.“

Sofort ließ Easygoing die Vorderpfote des Nachtsäblers los und kam zu ihnen herüber. Drohend baute er sich vor Abbefaria auf. Seine goldenen Augen fixierten den anderen Druiden, als wollten sie ihn auf der Stelle durchbohren.

„Was sollte das?“, zischte er. „Ich hatte eine Anweisung gegeben. Wenn ich sage, wir weichen nach links aus, dann gehen wir auch nach links. Und zwar alle!“

„Es war ja keine Absicht.“, murrte Abbefaria trotzig. Insgeheim hätte er Easygoing gerne gefragt, wer ihn eigentlich zum Anführer gemacht hatte, aber dann schluckte er die Worte hinunter.

„Wir hätten alle draufgehen können, weil du wieder deine eigenen Entscheidungen triffst.“, wetterte der große Druide weiter.

„Er hat sich Sorgen gemacht.“, übersetzte Deadlyone aus dem Hintergrund. Er erntete dafür einen vernichtenden Blick seines Bruders, den er mit einem übertrieben breiten Grinsen beantwortete. „Ja was denn? Ist doch so.“

"Darum geht es doch gar…“, begann Easygoing und starrte denn irritiert auf seine Hand, die energisch getätschelt wurde. Er war so überrascht, dass er nicht einmal auf die Idee kam, etwas dagegen zu unternehmen.

„Nun schimpft doch nicht so.“, zwitscherte Emanuelle und fuhr fort die Pranke des Druiden mit ihren kleinen Händen zu bearbeiten. „Immerhin hat Euer Freund mir das Leben gerettet. Wie ein Löwe hat er um mich gekämpft und schließlich sind wir beide entkommen. Das ist doch großartig.“

Easygoing warf dem anderen Druiden einen schrägen Blick zu und entwand der Gnomin endlich seine linke Hand. „Stimmt das?“

„Nun ja.“, stotterte Abbefaria und bemerkte gerade noch rechtzeitig das verschwörerische Zwinkern der Magierin. Fast unmerklich nickte er ihr zu. „Ja, das ist wohl richtig.“

„Also schön.“, grollte Easygoing. „Dann lassen wir es dieses Mal dabei bewenden.“
 

Ceredrian trat zu den beiden Druiden und legte ihnen je eine Hand auf die Schulter. Wie es schien war der Kampf an ihm nahezu spurlos vorbeigegangen. „Wenn ihr euren Streit nun beigelegt habt, sollten wir zu Behüter Albagorm zurückkehren und ihm berichten, dass wir die Harpyien zurückgeschlagen haben. Es wird eine Weile dauern, bis sie sich davon erholen werden. Dies Zeit ist kostbar und darf nicht ungenutzt verstreichen.“

„Wartet!“ Easygoing legte eine Hand über die Augen und spähte zu einer Ansammlung von Bäumen hinüber, an denen einige der kugelförmigen Harpyiennester hingen. „Zuerst müssen wir noch die Brut vernichten.“

„Ihr wollt die Babys umbringen?“, entrüstete sich Emanuelle „Das kann nicht Euer Ernst sein.“

Easygoing hob zu einer Antwort an, doch Ceredrian kam ihm zuvor. „Das ist nicht mehr nötig Ich habe mich dieser Angelegenheit bereits angenommen.“

Man hörte ein Klappern, als Deadlyone sein Dolch aus der Hand rutschte. Mit offenem Mund starrte der Schurke den Priester an. In diesem Augenblick entdeckte Abbefaria eine kleine, weiße Flaumfeder auf Ceredrians Schulter- Als er sich zu seinem Cousin umdrehte, schwebte sie sachte zu Boden.

„Ich sehe dich erstaunt, Freund.“, sagte er ruhig. „Einer von uns musste es tun, warum also nicht ich? Wenn wir die Eltern töten, wäre es grausam, die Jungen allein zurückzulassen. Sie würden elendig zu Grunde gehen. Und seht Euch das Tal doch an.“

Er hatte sich wieder an Emanuelle gewandt und wies mit einer ausladenden Geste auf die verbrannte Landschaft. „Hier ist kein Leben mehr möglich, weil es keine Nahrung, kein Wasser, keine Deckung mehr gibt. Hätten wir nichts getan, so wären die Harpyien ebenfalls dem Untergang geweiht gewesen. Es war unsere Pflicht einzugreifen, wo die Natur sich nicht mehr selber zu helfen vermag. Wir sind ihre Wächter und können nicht tatenlos zusehen, wie unsere Welt der Vernichtung anheim fällt. Deswegen werden wir stets danach streben, das Gleichgewicht zu bewahren, auch wenn das den Tod einiger weniger bedeutet. Für ein höheres Gut. Andu Falah-dor!“

„Andu falah-dor!“, antworteten die anderen Nachtelfen einstimmig.
 

Es war kein Ruf zu den Waffen, kein Schrei nach Vergeltung, keine Ankündigung eines Kampfes. Es war ein Versprechen. Ein Versprechen, das es einzulösen galt.



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