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Magenta II

Zwischen Azeroth und Kalimdor
von

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Vogelfrei

Einst hatte sich auf den sanft geschwungenen Hügeln im Silberwald nahe des Lordameresees die Hauptstadt des stolzen Königreichs Lordaeron befunden. Als ein Meisterwerk menschlicher Baukunst und administrativer Mittelpunkt eines blühenden und gedeihenden Reiches hatte sie vielen Zuflucht geboten, die den Schutz ihres starken und gütigen Königs gesucht hatten. Und sie hatten ihn gefunden, bis zu jenem schicksalhaften Tag, da der fast verloren geglaubte Sohn des Herrschers unter Glockengeläut und Jubelrufen der Menge heimgekehrt war. Heimgekehrt um seines Vaters Krone zu fordern...und sein Leben.

Heute war von der einstigen Hauptstadt nur noch eine Ruine übrig, in der schattenhafte Gestalten als eine ewige Mahnung an die Gräuel der Vergangenheit umherstreiften. Moos überwuchte die zerfallenden Steine und grüngraues Wasser schob sich zähflüssig durch die zerstörten Gartenanlagen. Der Thron, Schauplatz der unglaublichen Bluttat, war verwaist und nur noch ein leises Echo wisperte unablässig die letzten Worte des Sterbenden:

Was machst du da, mein Sohn?

Und ebenso geisterhaft antwortete das unsichtbare Abbild des Mörders:

Dich beerben, Vater.
 

Doch so nackenhaarsträubend dieses Schauspiel auch sein mochte, das wahre Grauen lauerte in diesen Tagen unter der Oberfläche.

Undercity, die Stadt unter der Stadt, beherbergte den größten Teil der untoten Verlassenen; jener Geschöpfe, die durch nekromantische Magie zu neuem Unleben wieder erweckt worden waren. Zunächst Teil der riesigen, untoten Armee des Ursupators hatten sie sich schließlich aus dessen Bann befreit und folgten jetzt ausschließlich der Stimme ihrer Banshee-Königin, Lady Sylvanas. Die ehemalige Waldläuferin war es, die sich als Erste den Zugriff des Tyrannen entzogen hatte. Sie war es, die die Fesseln der anderen Untoten sprengte. Und sie war es auch, die Undercity zu ihrem Herrschaftssitz auserkoren hatte. Eine ziemlich hirnverbrannte Wahl, wie Schakal fand.
 

In dieser ganzen, verdammten Stadt gibt es nicht ein trockenes Plätzchen, dachte der Schurke und fuhr sich mit der Hand über das mit Schweiß und andere Flüssigkeiten bedeckte Gesicht. Geschweige denn einen Ort, der nicht nach Tod und Verwesung stinkt. Man sollte hier mal ein paar Pinienzweige aufhängen, das würde den Gestank vielleicht ein wenig abmildern.

Angeekelt schlich Schakal über einen steinernen Untergrund, der mit einer undefinierbaren, glitschigen Schicht bedeckt war. Einmal glaubte Schakal so etwas wie einen Fußnagel zu erkennen - und zwar einen ganzen - so dass er daraufhin beschloss, einfach nicht mehr so genau hinzusehen. Was, wenn er womöglich als nächstes noch den dazu passenden Fuß fand? Schakal war an und für sich nicht zimperlich, was abgetrennte Gliedmaßen anging, solange sie frisch waren. Eine weitere Sache, die es in diesem verrottenden Labyrinth nicht zu geben schien, war ein Ausgang zur Oberwelt, den Schakal nun schon seit Stunden, wenn nicht Tagen vergeblich suchte. Dafür gab es allerdings jede Menge Wachen.

Mit einem mühsam unterdrückten Fluch drückte Schakal sich flach an die Wand, als er die behäbig stampfenden Schritte hörte, die das Heranrollen einer Monstrosität ankündigten. Diese zusammengeflickten Fleischberge, die Schakal immer an die Auslage eines Schlachters erinnerten, der es mit der Haltbarkeit seiner Waren nicht so genau nahm, waren für ihre Größe unglaublich flink und vor allem aber unglaublich stark. Sie waren allerdings auch unglaublich dämlich, so dass der Schurke ihnen bis jetzt entkommen war. Viel gefährlich waren dagegen die Verlassenen selbst, die trotz ihres zerfallenden Fleisches ein unglaublich gutes Gehör hatten. Er konnte von Glück sagen, dass hier alles so stank, sonst hätten sie ihn vermutlich auch noch gewittert.

Etwas tropfte von oben auf Schakals Kopf. Es fühlte sich kalt und schleimig an. Der Zwerg unterdrückte seinen Brechreiz, so gut es ging, und versuchte an angenehme Dinge wie Bier und Frischluft zu denken. Es gelang ihm, seine Magensäfte unter Kontrolle zu halten, bis der schwankende Wächter hinter der nächsten Biegung verschwunden war, dann sprang er nach vorn und fuhr sich mit der Hand über das Haar. An seinen Finger klebte grüner, zähflüssiger Schleim, der roch, als wäre eine Katze darin verendet…nachdem sie sich erleichtert hatte.

„Kies und Kupfererz, jetzt hab ich aber genug.“, brummte Schakal und linste nach dem Ursprung seiner ekelhaften Dusche. Der Schwall stinkenden Schleims war aus einem Rohr gekommen. Interessiert folgte Schakal dessen Verlauf mit den Augen. Trotz des trüben Dämmerlichts, das überall in den schimmelnden Katakomben herrschte, konnte der Schurke erkennen, dass das Rohr im schrägen Winkel nach oben führte. Es war somit durchaus möglich, dass es irgendwann einmal die Erdoberfläche erreichte oder Schakal zumindest ein ganzes Stück näher an sein Ziel heranbrachte. Ein Plan war geboren.
 

Der Zwerg trat einige Schritte zurück und nahm sorgfältig Maß. Dann wippte zweimal kräftig in den Knien, lief an und sprang. Während er anschließend am unteren Rand des Rohres baumelte und seine Finger langsam, aber sicher von der glibberigen Innenwand abglitten, wünschte Schakal sich zum ersten Mal in seinem Leben, doch ein kleines Stückchen größer zu sein.
 


 


 

Lange Schatten zeichneten sich auf dem hellen Sandboden ab. Wenn man den Sonnenstand mit einrechnete, ließ sich erkennen, dass diejenigen, die die Schatten warfen, an die zwei Meter groß sein mussten. Sie waren athletisch gebaut und von schlanken Wuchs. Aber selbst wenn man Größe und Körperbau nicht bemerkt hätte, so wären einem sicher die langen Ohren der Schatten aufgefallen, die einem unweigerlich verrieten, dass es sich, ungeachtet der Tatsache, dass es hellerlichter Tag war, um Nachtelfen handelt
 

„Das sieht nicht besonders gut aus.“, brummte Easygoing und starrte finster auf den Weg, der sie bis vor kurzem sicher und einigermaßen unbehelligt durch das Steinkrallengebirge gebrachte hatte. An dieser Stelle verbreiterte er sich aus den engen Gebirgsschluchten heraus zu einem Tal mit sanft geschwungenen Hügeln, die kurz darauf in die trockene Steppenlandschaft des Brachlandes übergingen. Die Nachtelfen wussten, dass es hier einen Grenzposten gab, der sich „Ehrenmal“ nannte. Diese spärlich bewachte Ansammlung von baufälligen Befestigungsanlagen wurde von der Horde gehalten und diente mehr schlecht als recht dazu, unerwünschte Besucher von der selbst gewählten Heimat der Orks und Trolle fernzuhalten. Zumindest war es das, was die Nachtelfen bis jetzt davon gehört hatten.

Was sich jetzt zwischen ihnen und dem Brachland befand war allerdings in keinerlei Hinsicht spärlich oder gar baufällig.

Massige Wachtürme ragten vor ihnen in den azurblauen Himmel hinauf, auf deren Plattformen Bogenschützen in Stellung saßen. Zwischen dem Versteck der Nachtelfen und dem Grenzposten gab es keinen Quadratzentimeter Erde, der nicht binnen Sekunden von ihren Pfeilen gespickt werden konnte. Angespitzte Holzpfähle waren zu einem wahren Labyrinth aus Schutzwällen in den Boden gerammt worden, zwischen denen bis an die Zähne bewaffnete Krieger auf und ab patrouillierten. Wer immer es schafften, die Bogenschützen zu überrumpeln, wurde hier von einer Mauer aus Holz, Muskeln und Metall erwartet. Durch diesen Grenzposten würde nicht einmal eine Maus hindurch kommen, ohne einen Passierschein vorzuweisen.
 

„Den Schilderungen der Späher zufolge sollte dies ein eher leicht zu überwindende Stelle sein.“, sinnierte Ceredrian und ließ seinen Blick über die Befestigungsanlage schweifen. „Ich frage mich, was sie dazu veranlasst hat, die Kontrollen zu verstärken.“

„Vielleicht haben sie einen der Späher erwischt.“, bemerkte Abbefaria.

„Blödsinn.“, antwortete Deadlyone, dessen Gesichtsausdruck den seines Bruders bis ins letzte Detail spiegelte. „Es müsste schon jemand wie ein Trampeltier hindurch geprescht sein, damit diese grünhäutigen Hohlköpfe davon etwas mitbekommen. Kein Nachtelf wäre so dumm oder ungeschickt.“

„Ein Nachtelf sicher nicht.“, sagte Easygoing und wechselte das Ziel seiner Unzufriedenheit von dem Hindernis auf ihrem Weg zu dem, was er im Stillen gern als Klotz am Bein bezeichnete.

Der „Klotz“ war gerade damit beschäftigt, seinen - oder besser gesagt ihren - Roboschreiter zu ölen. Damit, so hatte Emanuelle ihren Begleitern versprochen, würde er endlich aufhören, so einen infernalischen Krach zu machen. Allerdings wurde Easygoing das Gefühl nicht los, die Gnomin würde an dem Geräusch heimlich Gefallen finden. Anders ließ sich ihre beharrliche Weigerung, auf einem der Nachtsäbler mitzureiten, nicht erklären. Allerdings blieb für Easygoing so Einiges ein Rätsel, was diese kleine, impertinente Person mit dem übersprühenden Temperament anging. Zum Beispiel wie sie es geschafft hatte, ihn zu überzeugen, sie mitzunehmen.
 

Er und die anderen Nachtelfen hatten von Behüter Albagorm den Auftrag erhalten, durch das Brachland und die Region von Tausend Nadeln an die östliche Grenze von Feralas zu reisen um dort auf den Druiden Falfindel Waywarder zu treffen. Von ihm erhoffte sich der Hüter des Hains eine Hilfe bei der Wiedererweckung des Verbrannten Tals. Eile war geboten, denn selbst wenn dieser Druide so mächtig war, wie Behüter Albagorm erzählt hatte, würden sich die Harpyien bald wieder von dem Schlag erholen, den die Nachtelfen ihnen beigebracht hatten. Umso unverständlicher war es, dass die Freunde sich mit dieser Fremden belastete hatten. Easygoing verzog das Gesicht, als er sich an die Szene erinnerte, die zu diesem Umstand geführt hatte:
 

Mit dem Verblassen des letzten Sonnenstrahls hatten die Nachtelfen sich auf die Rücken ihrer Reitkatzen geschwungen, bereit zu ihrer gefährlichen Reise durch das Feindesland aufzubrechen. Emanuelle hatte neben ihrem Roboschreiter gestanden und den Vieren zum Abschied gewinkt. Die Magierin hatte bei Tagesanbruch in Richtung Theramore abreisen wollen, dem Sitz dem größten Allianzstützpunkte in ganz Kalimdor. Die steinige Halbinsel lag östlich der Marschen von Duskwallow, einem gefährlichen Sumpfgebiet, das im Südosten des Brachlandes einen breiten Küstenstreifen bedeckte.

Die Reiter waren noch nicht einmal außer Sichtweite des Gasthauses am Steinkrallengipfel gewesen, als Ceredrian seinen gestreiften Frostsäbler gezügelt hatte. Easygoing hätte ihm im Nachhinein gerne den dünnen Hals dafür umgedreht.

„Wir können sie nicht zurücklassen.“, hatte er gesagt und Easygoing eindringlich angesehen. „Sie muss in dieselbe Richtung wie wir um nach Theramore zu gelangen. Wir sind verpflichtet, sie zumindest auf einem Teil des Wegs zu beschützen.“

„Sagt wer?“, hatte Easygoing gegrollt und dann einen Fehler begangen. Er hatte zurückgeblickt.

Als sein Blick auf die kleine Gnomin gefallen war, die dort so tapfer im hohen Gras gestand hatte, die kleinen Händchen winkend erhoben und doch mit einer gewissen Traurigkeit in den großen, blauen Augen, hatte er seinen Nachtsäbler ebenfalls gezügelt. Er hatte gewusst, dass es ein Fehler war, als er einige Augenblicke später das Tier gewendet hatte um zurückzureiten und ihr zu sagen, dass sie sich beeilen solle. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte eine beharrliche Stimme ihm eingeflüstert, dass Ceredrian Recht hatte, dass er das Richtige tat und dass er seine Entscheidung sicher nicht bereuen würde.
 

Jetzt jedoch wünschte er, er hätte weder die Gnomin noch seinen schlangenzüngigen Cousin auf diese Mission mitgenommen. Wäre das der Fall gewesen, wäre dieses Bollwerk auf ihrem Weg nicht viel mehr als eine kleine Unannehmlichkeit gewesen, an der man sich getrost vorbei schleichen konnte. So jedoch waren sie gezwungen, einen anderen Weg ins Brachland zu finden. Einen, den auch eine Magierin und ein Priester beschreiten konnten.

„Ohjeohjeohje.“, machte etwas zu seinen Füßen und der große Druide fühlte sich von einer beharrlichen, kleinen Person beiseite geschoben. „Das sind aber viele. Orks, Trolle und die großen Kühe auf zwei Beinen da, das müssen Tauren sein. Die sind ja sogar noch länger als ihr. Aber meine Mutter hat immer gesagt, Erfolg ist keine Frage der Länge, es kommt allein auf die Technik an.“

Während Ceredrian sich auf die Unterlippe biss, um nicht laut loszulachen, und von Deadlyone ein vernehmliches Schnauben zu hören war, brachte Easygoing mit seinem Blick Steine zum Schmelzen. Zumindest versuchte er es ernsthaft.

„Ich wüsste nicht, wie uns Technik auf die andere Seite dieser Befestigung bringen sollte.“, knurrte er mit Eisbrocken zwischen den Zähnen.

„Nun es gibt Maschinen, die fliegen können.“, erklärte Emanuelle. „Wenn ich nur ein wenig mehr Material hätte, könnte ich uns eine bauen und wir wären in Nullkommanichts auf der anderen Seite.“

„Nur wenn wir Easy vorher fesseln und knebeln.“, spottete Deadlyone und ließ sich mit einem Grinsen gegen einen Felsen sinken. „Andernfalls dürfte sich die Maschine nur anderthalb Meter vom Boden erheben.“

„Maul halten!“, blaffte der Druide. „Keine Maschine wird uns irgendwo hin bringen. Wir werden uns einfach unseren Weg dort hindurch kämpfen. Die können doch nichts.“

„Ich weiß nicht, ob das klug wäre.“, warf Ceredrian nachdenklich ein. „Unser Angriff könnte schwerwiegende, diplomatische Verwicklungen zur Folge haben. Die Lage zwischen den Fraktionen ist angespannt genug ohne unser aggressives Eingreifen. Können wir nicht einfach über die Berge klettern?“

„Wenn du einen Zauber kennst, der uns senkrechte Felswände hinauf transportiert.“, sagte Abbefaria und wies auf die schroff abfallenden Hänge rechts und links des Wegs. Sie stellten ein ebenso unüberwindbares Hindernis da wie die offene Ebene, die von den Bogenschützen bewacht wurde. So lagen zwischen den Abenteurern und dem Brachland zwar nur einige, wenige hundert Meter, es hätte aber ebenso gut abertausende von Meilen sein können. Es schien, als bliebe ihnen wirklich nur der Kampf.
 

Vier leuchtende Augenpaare richteten sich auf die schwer bewaffneten Gegner, die noch nichts von der drohenden Gefahr bemerkt hatten. Muskeln spannten sich unter schwarzer Lederkleidung, ein lautloses Gebet bat die Mondgöttin um Schutz und Beistand und violette Haut überzog sich mit einem satt glänzenden Pelz. Die Luft verdichtete sich, wurde dickflüssig wie Öl, jeder Atemzug schien Äonen zu dauern, ein Herzschlag war eine Ewigkeit. Minutenlang bewegte sich nichts außer Deadlyones nervösen Fingern an den Griffen seiner Dolche und einem gelegentlichen Zucken von Abbefarias Schwanzspitze. Die Sinne zum Zerreißen gespannt standen sie da und warteten auf das Zeichen zum Angriff.
 

Hinter ihnen trippelte Emanuelle auf und ab und murmelte abwesend vor sich hin, während sie auf einem Stück Pergament herumkritzelte. Sie quadrierte, zog Wurzeln, logarithmierte und verkündete dann: „Ich weiß, wie wir rüberkommen.“

Als sie niemand beachtete, schnalzte sie ärgerlich mit der Zunge. Was dachten diese Blödmänner sich eigentlich? Sie arbeitete hier angestrengt an einer Lösung für ihr Problem und die standen einfach nur da. Ha! Diesen Langohren würde sie zeigen, dass mit Emanuelle Fizzlebolt-Shakletrunks nicht gut Mätzchen machen war.

„Das werden wir gleich haben.“, knurrte sie, schob die Ärmel ihrer Robe bis zu den Ellenbogen hinauf und wob dann einen Zauber, den Abumoaham ihr beigebracht hatte. Sie stellte dabei wieder einmal fest, dass ihr die Eismagie nicht besonders lag, aber ungewöhnliche Situationen erforderten eben ungewöhnliche Maßnahmen. Sie kicherte, als die Magie ihre Wirkung tat, wenngleich auch nicht ganz auf die Weise, wie Emanuelle es erwartet hatte. Trotzdem war die Magierin sich sicher, dass ihr bald Gehör geschenkt werden würde.
 

„Los!“, kommandierte Easygoing und verwandelte sich ebenfalls in seine Katzenform. Er sprintete los, wurde zu einem rasenden Blitz aus Fell und Krallen, preschte in vollem Galopp auf die Wehrtürme zu, als ihm plötzlich auffiel, dass er auf seinem Vormarsch ziemlich einsam war. Abrupt beendete den Angriff, indem er die Vorderpfoten in den Sand stemmte und noch aus derselben Bewegung heraus auf allen vier Tatzen herum wirbelte. Was er erblickte, war erbärmlich.

Dort standen Ceredrian, Deadlyone und Abbefaria immer noch an Ort und Stelle. Ihre Füße -beziehungsweise Pfoten - waren von einer kristallklaren Eisschicht bedeckt, die die unglücklichen Nachtelfen an Ort und Stelle festhielt. Ärgerliche maunzend kam Easygoing zurück getrabt.

„Wenigstens von dir hätte ich erwartet, dass du dich aus so etwas befreien kannst.“, fuhr er Abbefaria an.

Der andere Druide duckte sich. „Entschuldigung.“, murmelte er, dann verwandelte er sich wieder in seine Nachtelfenform zurück, was das Eis um seine Füße zum Bersten brachte. „Ich hab´s einfach vergessen.“

„Vergessen.“, fauchte Easygoing und zog es vor weiter eine Katze zu bleiben. „Nichtsnutze! Idioten! Ich bin von reiner Unfähigkeit umgeben. Man könnte meinen, keiner von ihnen hätte auch nur die geringste Kampferfahrung. Winselnde Welpen!“
 

„Aber, aber, wer wird sich denn so aufregen.“ zwitscherte da eine fröhliche Stimme direkt neben ihm und brachte durch ihre Unverfrorenheit selbst den tobenden Druiden aus dem Konzept. Es war schwer rechtschaffen wütend zu sein, wenn einen jemand liebreizend lächelnd zwischen den Ohren kraulte, auch wenn sich Easygoing doch ein wenig beherrschen musste, um der Gnomin nicht den Arm abzubeißen. Er widerstand auch dem Drang, sich leidenschaftlich mit der Hinterpfote hinter dem Ohr zu kratzen und verwandelte sich stattdessen zurück.

„Was sollte das?“, herrschte er die Magierin an. „Wir müssen da durch.“

„Falsch.“, erwiderte die Gnomin mit einem breiten Lächeln. „Wir müssen lediglich auf die andere Seite. Das bedeutet aber nicht, dass wir auch wirklich durch den Grenzposten müssen.“

„UND“, fügte sie schnell hinzu, als Easygoing zu einer geharnischten Antwort ansetzte, „wir müssen auch nicht darüber hinweg und gar drunter durch. Seht hier! Wir porten uns einfach auf die andere Seite.“

„Wir tun was?“ In Deadlyones Gesicht stand ebenso viel Unverständnis wie in allen anderen.

„Hier, ich hab das mal aufgemalt.“, verkündete Emanuelle und hielt den verdutzten Nachtelfen ein Stück Pergament vor die Nase. Was es ihnen zeigte, sah aus wie eine Art Hütte. Es hatte einen Fußboden und ein Dach, die jeweils aus einer runden Plattform bestanden. Dazwischen befanden sich mehrere Verstrebungen, die das Ganze fast wie einen Käfig wirkend ließen. An diesen Verstrebungen befanden sich…Dinge. Anders wussten die Nachtelfen die vielen Kabeln, Schalter und Hebel nicht zu benennen. Auch die Tatsache, dass Emanuelle mit einem himmelblauen Buntstift versucht hatte, eine Art Leuchteffekt auf ihrer Zeichnung darzustellen, trug nicht eben dazu bei, ihre Erfindung vertrauenserweckender erscheinen zu lassen. Was jedoch das Fass zum Überlaufen brachte, war die Tatsache, dass sich auf dem Dach der gezeichneten Hütte ein Metalldorn befand, neben den die Gnomin einen gezackte, gelbe Linie und das Wort „Kabumm!“ geschrieben hatte.
 

„Was bei allen…“, begann Easygoing und starrte das Pergament an, als wäre es ein giftiges Insekt. „Was ist das?“

„Das ist ein Transporter.“, erklärte Emanuelle mit stolz geschwellter Brust. „Man steigt hier hinein, programmiert dann die Zielkoordinaten ein, schickt einen Blitz in die Ladevorrichtung und schon ist man da, wo man hinwollte.“

„Ich rate mal, dass es so eine Erfindung war, die Euch hierher gebracht hat.“, sagte Ceredrian, der sich redlich um seine Fassung bemühte. Es war schwer angesichts so viel ausgemachten Unsinns noch höflich zu bleiben. „Ihr versteht sicher, dass wir dieser…Maschine etwas skeptisch gegenüber stehen? Sie hätte Euch immerhin fast das Leben gekostet.“

„Oh das, äh, na ja.“, stotterte die Gnomin. „Ja sicher verstehe ich das. Aber das war ja eine ganz andere Maschine. Nicht so gut entwickelt. Und sie war viel kleiner. Geradezu mickrig. Und mit weniger Knöpfen.“

„Knöpfen?“

„Knöpfen!“

Ceredrian zog die Augenbrauen hoch. „Und viele Knöpfe sind…gut?“

„Ja sicher.“, strahlte die Gnomin und gestikulierte wild vor der Nase des Nachtelfen herum. „Knöpfe sind überhaupt das Allerwichtigste an einer Maschine. Mit ihnen kommt alles in Bewegung. Außer wenn sie rot sind. Dann sollte man lieber die Finger davon lassen. Rote Knöpfe drückt man nicht, hat meine Mutter immer gesagt.“

„Mir scheint, Eure Mutter hat ein ähnlich ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis an den Tag gelegt wie Ihr.“, brummte Easygoing. „Wie dem auch sei, wir werden einen anderen Weg finden ins Brachland zu kommen. Denn selbst wenn Ihr diese Maschine bauen könntet, wo sollten wir Eurer Meinung nach einen Blitz herbekommen. Die wachsen schließlich nicht auf Bäumen. Oder habt Ihr auch eine Maschine, die das Wetter beeinflussen kann.“

Emanuelle legte ihre Stirn in nachdenkliche Falten. „Also jetzt wo Ihr es erwähnt, habe ich tatsächlich einmal daran gedacht, so etwas zu bauen. Aber wir brauchen so eine Maschine nicht. Euer Freund dort wird für die Blitze sorgen.“
 

Der ausgestreckte Arm der Gnomin wies auf Abbefaria. Als dem Druiden klar wurde, worauf die Gnomin hinauswollte, lief ihm ein heißkalter Schauer über den Rücken. Er musste unbedingt verhindern, dass die anderen etwas davon erfuhren, was geschehen war, als er und die Magierin den Harpyien gegenüberstanden. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, plapperte die Gnomin bereits los und schilderte, wie er mit einem Zauber die Blitze aus dem Himmel gerufen hatte. Nachdem sie geendet hatte, entstand ein langes Schweigen.

Abbefaria fühlte sich, als hätte er Steine verschluckt. Was er in den Gesichtern seiner Freunde las reichte von Erstaunen und Unglaube bis hin zu Abscheu und Enttäuschung. Er senkte den Blick und starrte auf den Boden ohne zu blinzeln, bis seine Augen brannten. Easygoing war es schließlich, der das Schweigen als Erster brach.

„Ich denke, wir sollten reden. Komm.“

Mit diesen Worten drehte sich der große Druide um und ging auf dem Weg zurück, auf dem sie gekommen waren. Abbefaria ahnte, wo er hinwollte. Sie hatten bei ihrer Suche nach einem Pass über die Berge eine kleine Seitenschlucht entdeckt, deren Eingang von der Hauptstraße aus nicht eingesehen werden konnte. Es war der richtige Ort für ein Gespräch unter vier Augen.

Mit einem mulmigen Gefühl folgte Abbefaria seinem Freund. Er hatte keine Angst vor dem anderen Druiden, aber er fürchtete sich vor dem, was er sagen würde. Dass er aussprechen würde, was Abbefaria selbst schon unzählige Male auf dem Weg hierher durch den Kopf gegangen war. Dass ein Druide, der über solche Macht verfügte, seltsam und widernatürlich war. Dass er einen Weg beschritt, der sich immer weiter von dem entfernte, an das die Nachtelfen durch ihre Geschichte zu glauben gelernt hatten. Einen Weg, der zu arkaner Magie führte.
 


 

Schakal mochte Städte. Städte waren etwas, das Sicherheiten versprach, wie die Sicherheit eines festen Dachs über dem Kopf, der Möglichkeit ein einigermaßen frisches Bier und etwas zu essen zu erstehen und der Gelegenheit, den einen oder anderen ihrer Bewohner um Teile seiner Barschaft zu erleichtern, sei es nun mit einem Dolch oder einem wohl präparierten Kartenspiel. Städte waren Schakals Zuhause. Er musste eine Stadt nur betreten, um sie sofort zu durchschauen, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und vor allem aber die Möglichkeit, auf der Flucht vor übereifrigen Gesetzeshütern spurlos in ihren Eingeweiden zu verschwinden.

Undercity hingegen war anders. Diese Stadt bestand nur aus Eingeweiden, die ein völlig durchgedrehter Erbauer in einem von Irrsinn heimgesuchten Fiebertraum entworfen haben musste. Und obwohl das bei dieser Kloake von einer Stadt unmöglich schien, verfügte auch sie noch über ein System unterhalb der Stadt. In diesem Gedärm der Gedärme kroch Schakal nun auf allen Vieren voran und kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an. Von seinem Mageninhalt hatte er sich schon nach wenigen Metern befreit und das Einzige, was sein Überleben sicherte, waren die Luftlöcher, die eine freundliche Hand in unregelmäßigen Abständen in die Wände der steinernen Röhre eingelassen hatte und für die der Schurke unendlich dankbar war.

Der Sinn und Zweck dieser Öffnungen erschloss sich Schakal allerdings nicht. Eine Kanalisation war schließlich dazu da, den Unrat von der Stadt fortzuschaffen und nicht, ihn gleichmäßig auf alle Viertel zu verteilen. Allerdings verschafften ihm diese Öffnungen nicht nur die benötigte Atemluft sondern auch Einblicke in alle möglichen Winkel der Stadt, die er mit der morbiden Faszination eines Verzweifelten beobachtete. Es blieb ihm schließlich auch nicht viel anderes übrig, wenn er irgendwann hier herauskommen wollte.
 

In der Mitte der Stadt erhob sich ein steinernes Monstrum, das gleichzeitig Handelsplatz und Stützpfeiler der unterirdischen Architektur war. Schakal konnte von seinem luftigen Aussichtsplatz nicht viel erkennen, aber es schien, dass auch Untote Handel trieben. Vermutlich schacherten sie um Ersatz-Augäpfel und neue Kniescheiben. Um diesen zentralen Handelsplatz herum floss ein zäher Fluss des allgegenwärtigen, grünen Schleims. Schakal hatte keine Ahnung, wozu er diente oder ob es das war, was Untote unter „behaglicher Atmosphäre“ verstanden, aber wenn er sich die restliche Dekoration in Form von Knochen, Totenschädeln und Spinnenweben so ansah, konnte das durchaus im Bereich des Möglichen liegen.

Der äußere Ring der Stadt, eine makabere Version dessen, was Schakal in Ironforge so liebte, wurde von vier unterschiedlichen Stadtteilen gebildet:

Da gab es das Kriegerviertel, in dem unzählige untote Streitkräfte in Ausbildung wie stumpfe Marionetten in Reih und Glied immer und immer wieder dieselben Kampfbewegungen wiederholten. Der Anblick ließ Schakal schauern. Mochte ein einzelner Untoter noch gefährlich oder gar lächerlich wirken - Schakal hatte beobachtet, wie ein Vertreter dieser Spezies, dessen Unterkiefer fehlte, versucht hatte, etwas bei einem Händler zu kaufen, was mehr als erheiternd gewesen war - so war diese perfekt funktionierende, niemals erlahmende, bis zum Verlust aller Gliedmaßen kämpfende Tötungsmaschinerie etwas, das in Schakal das nackte Grauen hervorrief.

Es folgte das Viertel der magischen Zünfte. Hier konnte Schakal Magier und Hexenmeister bei der Arbeit beobachten und was er sah, gefiel ihm nicht. In einem Beschwörungskreis holte eine Hexenmeisterin einem Dämon nach der anderen in die wirkliche Welt. Sie klärte die um sie herum stehenden Schüler bis in kleinste, magenerschütternde Detail über die Fähigkeiten der Höllenkreaturen auf und legte dabei besonders Wert darauf zu erklären, wie jede von ihnen einen Menschen verstümmeln, verbrennen, zermalmen oder in Stücke reißen konnte. Einige Magier hingegen übten sich darin, Feuer und Eis zu beschwören, um einer Übungspuppe den Garaus zu machen. Als Schakal erkannte, dass es sich bei der Puppe um die Überreste eines echten Menschen handelte, dessen Fleisch sich langsam von den Knochen schälte, suchte er schleunigst das Weite.

Der nächste Stadtteil schien, wenn man von den fauligen Wampen der Wachen einmal absah, größtenteils leer zu sein. Lediglich das Gefühl, dass sich in den allgegenwärtigen Schatten mehr bewegte als Ratten und Kakerlaken, ließ Schakal annehmen, dass es doch zu mehr diente, als nur die übrig gebliebenen Meter an verschlissenem, violettem Stoff, der die Wände bedeckte, loszuwerden. Ein ihm bekannter Geruch von Lethargiewurzel, Todeskraut und Waffenfett machte Schakals Überzeugung, sich hier im Schurkenviertel zu befinden dann perfekt. Schnell kroch er weiter durch die Abflussröhre, bevor noch jemand, der sich auf Tarnung verstand, ihn entdeckte.

Obwohl Schakal es nicht für möglich gehalten hatte, gab es in Unterstadt tatsächlich auch noch ein letztes Viertel, in dem der allgegenwärtige Gestank noch um einige ekelhafte Nuancen gesteigert wurde. Der Pesthauch lebensvernichtender Alchemie lag in der Luft und Schakal wusste, dass er die Heimstätte der berüchtigten Apotheker der Verlassenen gefunden hatte. Sie verstanden sich den Gerüchten zufolge ganz vortrefflich darauf, den Tod in Flaschen abzufüllen, um ihn dann meistbietend zu verkaufen. Durch die giftigen Dämpfe, die diesem Hexenkessel entstiegen, hatten sich in einem krankhaften Grüngelb leuchtende Kristalle in den Abflussröhren gebildet und Schakal achtete peinlich genau darauf, nicht mit ihnen in Berührung zu kommen.

Während er also versuchte, seinen nicht für diese Aufgabe gemachten Zwergenkörper durch die enge Abflussröhre zu schieben, fingen seine Ohren ein Geräusch auf, das sich von den bis dahin gehörten schleimigen, faulenden, von Gewalt strotzenden, nach allen Abarten der Untoten klingenden Geräuschen unterschied: das Weinen einer Frau. Es kam aus den Tiefen des Apothekariums, deren Zugang aus einem verschimmelten Kellergang bestand. Das Weinen klang verzweifelt, doch zweifelsohne lebendig. Minutenlang lag Schakal einfach nur da und starrte den Eingang zu den Gewölben an. Sein Herz sagte ihm, er müsse dort hinunter und nachsehen, wer die Unglückliche war und ob er sie befreien konnte. Sein Verstand jedoch brüllte ihm zu, ob er noch ganz bei Trost sei und dass er, wenn er dort runter ginge, am besten schon einmal seine Habseligkeiten beim Pförtner abgab. Von dort unten konnte es kein Zurück mehr geben.

Als dann jedoch eine dem Grabe entsprungene Stimme verkündete: „Ah jetzt geht es los. Nun muss Keifer diese Phiole testen und überprüfen, ob es funktioniert.“ war es um Schakals Zurückhaltung geschehen. Er warf seinem Verstand einen entschuldigenden Blick zu und ließ sich in einer unbeobachteten Ecke aus der Röhre gleiten. Wer immer auch dort unten festsaß konnte sich auf eine Überraschung gefasst machen. Immer bereit, sich auf einen entgegenkommenden Gegner zu stürzen folgte Schakal dem düsteren Abgang und gelangte schlussendlich in das Reich des Meister-Apothekers Faranell.
 

In dem Laboratorium in den tiefsten Gängen von Undercity fanden angehende Giftmischer die beste Ausbildung, wenn sie zwischen brodelnden Kesseln, dampfenden Schalen und rauchenden Tiegeln die absonderlichsten Zutaten miteinander mischten. In den voll gestopften Regalen türmten sich Pergamentrollen, staubige Folianten und längst vergessene Experimente. Auf wackeligen, halb verrotteten Labortischen huschten Dinge in Käfigen umher, deren Mutter sich bei ihrem Anblick die Augen aus dem Kopf gerissen hätte, und die Glücklicheren dieser armen Kreaturen hatten ihren Platz in großen Gläsern mit öligen, stinkenden Flüssigkeiten gefunden, aus denen sie auf ewig konserviert, anklagend auf ihre Peiniger herab blickten.

Von diesen stummen Vorwürfen völlig unbeeindruckt, liefen Untote in Roben zwischen den Tischen hin und her. Sie bereiteten etwas vor, dessen Zubereitung Faranell höchst persönlich angeordnet hatte. Keiner von ihnen kannte das ganze Rezept und jeder von ihnen war nur Handlanger der Figur, die auf einer Empore stand und die Szenerie überwachte.

„Mehr Hitze dort hinten.“, krächzte Faranell und deutete mit ausgestrecktem Knochenfinger auf einen der Assistenten. Sein fleischloser Arm ragte aus dem Ärmel einer schwarzen Samtrobe heraus. Die andere Hand ruhte auf einem knorrigen Eichenstab und am Gürtel des Apothekers hing neben einigen Beuteln mit Kräutern ein großer, schmiedeeiserner Schlüssel. Wann immer er sich bewegte umflutete ihn der süßlich-faulige Geruch des Todes und der Schlüssel klapperte leise gegen die knöchernen Oberschenkel seines Trägers.

„Ich habe gesagt, ihr sollt mit der Paste aufpassen. Muss ich denn alles selber machen? Man sollte euch die Köpfe herunterschlagen und als Suppenteller verwenden, dann wären sie wenigstens zu etwas nütze.“
 

Einer der Robenträger eilte den Worten des Meisters gehorchend die Treppe hinauf um den großen Blaseblag zu betätigen, der das Feuer unter dem Kessel anfachen würde. Fast wäre er dabei über Schakal gestolpert, der sich unter einem großen Tisch geduckt hatte, auf dem die scheußlichen Überreste einer zerstückelten Monstrosität darauf warteten, zu neuem Leben erweckt zu werden. Eilig zog der Zwerg seine Beine ein und die Füße des Untoten eilten mit einem klickenden Geräusch vorbei.

Schakal unterdrückte ein Aufatmen und robbte langsam weiter vorwärts. Er hatte nicht damit gerechnet, hier unten auf so eine Betriebsamkeit zu stoßen. Das Weinen, das ihr hierher geführt hatte, kam aus einem Raum, dessen Eingang genau auf der anderen Seite lag. Grauenvolle Laute drangen daraus hervor, so als würde jemandem das Innerste nach Außen gekehrt. Das Schluchzen der Frau verklang zu einem Wimmern, einem gestammelten Gebet und erstarb schließlich ganz. Kurz darauf kam ein weiterer Untoter aus der Kammer hervor. Er wischte sich eine grünliche Flüssigkeit von den Händen und verkündete:

„Das Experiment ist misslungen. Keever hat sich wirklich alle Mühe gegeben, aber der dumme Mensch hat sich geweigert zu gehorchen. Hat sich in alles Mögliche verwandelt und ist dann explodiert. Keever ist nicht erfreut. Keever wird ein neues Subjekt zum Testen seiner Lösungen brauchen.“

„Klappe Keever!“, schnappte Meister-Apotheker Faranell. „Siehst du nicht, dass wir Wichtigeres zu tun haben. Es gibt viel versprechendere Ansätze als deinen. Sobald die Morastschnauzentinktur fertig ist, werde ich unseren grünen Freund hier zu Lydon nach Tarrens Mühle schicken. Er hat frische Menschen, die geradezu nach einer guten Rezeptur schreien.“

Schakal folgte der Geste des Apothekers und wurde erst jetzt der Gestalt gewahr, die sich ein wenig unbehaglich gegen einen der Monstrositätentische drückte. Es handelte sich um einen Ork, der unter seiner grünen Haut leicht blass geworden schien. Trotzdem wartete er geduldig, bis der Meister-Apotheker ihm schließlich eine Phiole mit einer silbrig glänzenden Lösung unter die Nase hielt.

„Pass auf und hör zu.“, herrschte der Apotheker den Ork an. „Ich will, dass du das hier nach Tarrens Mühle bringst. Verschütte es nicht und lass dir nicht einfallen davon zu trinken. Lydon wird noch einige Zutaten brauchen, damit er die Mixtur vollenden kann. Meinst du, du kannst dir das merken, oder soll ich es dir aufschreiben. Du kannst doch lesen oder?“

Der Ork nickte zunächst, dann schüttelte er den Kopf. Seine Muskeln spielten unter seiner Haut und seine schwielige Hand zitterte etwas, als er nach der Phiole griff.

„Was nun ja oder nein? Ach du wirst es dir schon merken. Besorge ein starkes Trollblutelixier, Säbelflossenschuppen und Fetzenflossenaugen. Und wage es ja nicht mich zu fragen, woher du das alles bekommst. Na los jetzt! Was stehst du noch hier und starrst Löcher in die Luft? Die Dunkle Lady erwartet Ergebnisse.“

Der Ork nickte hastig und setzte zu einer Verbeugung an, bevor er es sich anders überlegte und lieber die Beine in die Hand nahm, um so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Im Stillen fragte er sich, wer ihn auf diese wahnwitzige Idee gebracht hatte, in einen Zeppelin zu steigen und ausgerechnet in das Land der Untoten zu fliegen. Es gab in seiner Heimat Durotar weit bessere und ruhmreichere Heldentaten zu bestehen. Er würde einen Windereiter besteigen, die Mixtur nach Tarrens Mühle bringen und dann auf dem schnellsten Weg wieder nach hause fliegen. Noch einmal würde er sich nicht von den Worten der Untoten einlullen lassen.
 

Schakal wäre ihm am liebsten gefolgt, doch aus dem Nebenraum hatte wieder das klagende Weinen eingesetzt. Ein Geräusch, das anfing an Schakals Nerven zu zerren. Entweder er würde die Frau aus ihrem Gefängnis befreien oder ihr eigenhändig die Kehle aufschlitzen. Ein richtiges Massaker würde das geben. Spritzendes Blut und an den Wänden verteilte Eingeweide, die so herrlich…

Benommen schüttelte Schakal den Kopf. Die süßlichen, schweren Dämpfe, die aus einer der Schalen drangen, die über einer Flamme langsam vor sich hin kochte, hatten eine höchst eigenartige Wirkung auf ihn. Er fühlte grenzenlose Wut in sich aufsteigen gepaart mit dem Wunsch etwas zu töten. War es das, was die untoten die ganze Zeit fühlten? Und wenn ja, warum kochten sie dann noch so ein Gebräu zusammen?
 

„Hört her!“ Meister-Apotheker Faranell hatte die Arme ausgebreitet und unter der dunklen Kapuze konnte Schakal das unstete Licht in seinen Augenhöhlen flackern sehen. „Ich habe etwas entwickelt, das Menschen zu rasenden Bestien macht. Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben stürzen sie sich in die Schlacht und morden alles um sie herum, bis sie schließlich zusammenbrechen. Ihr werdet jetzt als Erste Zeuge der Wirkung dieses wunderbaren Mittels werden, die schon bald aus den Reihen unserer Widersacher unsere neuen Verbündeten machen wird.“

Der Apotheker wendete sich dem Untoten zu, der immer noch am Eingang des Nebenraumes stand. „Keever, bring die beiden Frauen. Ich will sehen, wie sie sich gegenseitig die Haut in Fetzen herunterreißen.“

Keever stieß etwas aus, das wie ein kehliges Lachen klang. „Sehr wohl, Meister.“
 

Schakal beschloss, dass er genug gehört hatte. Die Wirkung der Dämpfe in seinem Kopf wurde immer schlimmer und wie es schien, war das Schicksal derer, die er hatte befreien wollen, ohnehin besiegelt. Das Einzige, was ihm jetzt noch zu tun übrig blieb, war seine eigene Haut zu retten. Halb besinnungslos und mit einem nebelhaften Kopfschmerz wankte er den Kellergang hinauf. Zu seinem Glück begegnete er wiederum niemandem. Er schleppte sich in eine dunkle Ecke und ließ sich ermattet gegen den glitschigen Fels sinken. Eine kleine Mauer würde ihn hier gegen die Entdeckung vor neugierigen Augen schützen, bis die Wirkung der Droge verklungen war. Bis dahin würde er die Augen zumachen. Nur für einen kleinen Moment.
 

Schakals Lider hatten sich jedoch kaum geschlossen, als ein beunruhigendes Geräusch sie wieder nach oben rucken ließ. Unfähig sich zu bewegen lauschte der Zwerg dem Rauschen und Gluckern, das von den Wänden widerhallte und ihn an irgendetwas erinnerte. Sein benebelter Verstand war jedoch nicht in der Lage sich zu erinnern, was es war. Er versuchte aufzustehen, doch seine Füße litten auf dem glatten Untergrund immer wieder weg so dass er schließlich mit dem Gesicht nach unten in dem Abwasserkanal lag…
 

Abwasserkanal?
 

Schakals matter Blick glitt an den Wänden entlang, an denen Reste des allgegenwärtigen, grünen Schleims klebten und langsam zählte sein Gehirn Zwei und Zwei zusammen. Es ergab Fünf und die Erkenntnis, dass er schleunigst von hier verschwinden sollte. Doch noch bevor diese Erkenntnis ihn dazu gebracht hatte, seine Gliedmaßen wieder zusammen zu sammeln, schoss eine grüne Flutwelle auf ihn zu.
 

„Oh Mist!“, war alles, was Schakal noch sagen konnte, bevor die Schleimflut über ihn hinweg schoss. Oben wurde unten, rechts und links trudelten durcheinander, während die grüne Welle den hilflosen Zwerg mit sich fortriss. Der versuchte gar nicht erst, die Richtung zu beeinflussen, in die der tosende Strom ihn trug. Er schaffte es lediglich noch, Nase, Mund und Augen, so gut es ging, zu verschließen und hoffte einfach darauf, dass das Rohr, durch das die grünen Schleimmassen ihn spülten, enden würde, bevor ihm die Luft ausging oder er so viel von der giftigen Brühe geschluckt hatte, das Atemluft sein geringeres Problem war.

Völlig orientierungslos wurde er von dem reißen Fluss durch die dunklen Kanäle getragen, bis seine Irrfahrt ebenso abrupt endete, wie sie begonnen hatte. In einer Kaskade grünen Schaums ergoss sich der stinkende Strom durch ein Rohr in ein Auffangbecken, das auf dem Grund einer natürlichen Höhle befand. Allerlei Unrat, darunter Knochen, Schädel und eine halbe Monstrosität lagen am Rand des Beckens. Ratten flitzten darüber hinweg und fauchten Schakal wütend an, als fürchteten sie, dass er ihnen ihr Festmahl streitig machen würde. Aber der Schurke hatte wenig Interesse an dem vermodernden Fleisch. Er schleppte sich aus dem Becken und sackte am Ufer zusammen. Grüner, stinkender Schleim klebte überall an seinem Körper, lief aus seinen Haaren, seinem Bart, seinen Ohren. Trotzdem hätte Schakal, als er den Blick hob, kaum glücklicher sein können. Vor ihm wand sich ein unregelmäßiger Gang aus der Sickergrube heraus in die Höhe. An seinen Wänden zeichnete sich ein heller Schimmer ab. Ein Schimmer, den üblicherweise die Sonne verbreitete, wenn sie sich gerade auf ihrem Nachmittagsspaziergang befand.

Es dauerte zwar eine ganze Weile, bis Schakal sich aufsetzen konnte und noch eine weitere Weile, bis er in der Lage war, wieder auf zwei Beinen zu stehen und dann noch einmal eine halbe Ewigkeit, bis er endlich den ersten Schritt machen konnte, doch er gab nicht auf. Irgendwo dort vor ihm war der Weg in die Freiheit und dieser Zwerg würde ihn gehen. Mit dieser Überzeugung machte Schakal sich an den langen Aufstieg.
 


 


 

Reisende kamen selten in das kleine, abseits gelegene Tal des Steinkrallengebirges und so hatte sich in der schmalen Spalte zwischen den zerklüfteten Felsen eine üppige Vegetation gebildet, die größtenteils aus mannshohen Farnen und einigen wenigen, windschiefen Bäumen bestand. Wasser rann aus einer unterirdischen Quelle die moosbedeckten Felsen herab und versickerte in den dicken Flechten, die den Boden bedeckten, ohne jemals einen Fluss zu erreichen. Spinnenweben, einige so dick wie Hanfseile, waren überall zwischen den Pflanzen gesponnen und ließen erkennen, dass das Tal nicht gänzlich unbewohnt war. Unzählige Augen folgten den Eindringlingen, als diese sich durch das Dickicht schlugen, doch was immer dort zwischen den Pflanzen lauerte, ließ die beiden Druiden ungehindert passieren.

An einem Platz, an dem das Moos besonders dicht gewachsen und von weniger Spinnenweben bedeckt war als anderswo, setzte sich Easygoing auf den Boden und bedeutete Abbefaria, dasselbe zu tun. Gehorsam ließ der sich neben ihn sinken. Er wusste, was Easygoing vorhatte. Sie hatte zu lange Jahre der Ausbildung miteinander geteilt, um nicht zu wissen, was dies zu bedeuten hatte. Es wurde Zeit einmal mehr in den smaragdgrünen Traum einzutauchen.

Das Wandern innerhalb des Smaragdgrünen Traumes, des Reiches von Ysera, dem grünen Drachenaspekt, war für einen Druiden viel mehr als ein einfaches Ausruhen, wie es die meisten Kreaturen zu irgendeiner Tages- oder Nachtzeit taten. Es war eine tiefe Meditation, eine Suche nach Frieden, nach einem Sinn und nicht zuletzt auch nach sich selbst. Wenn ein Druide träumte, dann wurde er eins mit der Welt und mit allem, was in ihr lebte. Am Anfang ihrer Ausbildung hatte stets ein Lehrer sie begleitet, denn der ungeübte Schläfer verlor sich leicht in der unberührten, grünen Landschaft, wenn er erst einmal das Stadium erreicht hatte, in dem er sie überhaupt betreten konnte.
 

Während Easygoings Atemzüge neben ihm gleichmäßiger und tiefer wurden, zögerte Abbefaria noch. Zu anderen Gelegenheiten war er es gewesen, der seinen Freund zu diesem Schritt gedrängt hatte, wenn dieser sich durch tagelanges Herumstreifen in einer seiner Tiergestalten zu weit von seiner Nachtelfenpersönlickeit entfernt hatte. Es war allerdings noch nie vorgekommen, dass Abbefaria selbst dieser Maßnahme bedurft hatte. Jetzt, wo es soweit war, verstand er Easygoings Zurückhaltung und den unter der Oberfläche spürbaren Groll, den er während dieser Sitzungen von dem anderen Druiden empfangen hatte. Es galt eine Schwäche zu überwinden, doch sie sich einzugestehen war nicht so einfach, wie es sich anhörte.
 

Abbefarias Herzschlag hämmerte durch seine Gedanken, während er sich bemühte, seine Atmung beruhigen. Es fiel im schwer, seinen Körper abzulegen um in die Traumwelt überzutreten. Zu viele Gedanken hatten zu wenig Platz in seinem Kopf und in seinem Herzen. Eine Hand legte sich unvermittelt auf Abbefarias Schulter und er fuhr erschrocken herum.

Ich dachte schon, du würdest nicht kommen.

Easygoing stand mitten auf dem, was das Abbild der kleinen Schlucht war, in der die Druiden ihre weltlichen Hüllen zurückgelassen hatten. Die Umgebung hatte sich nur unmerklich verändert und auch Easygoing sah aus, wie er immer aussah. Was sich verändert hatte, war seine Ausstrahlung. Die animalische Aura, die den Druiden im in der körperlichen Welt umgab, wurde hier im Smaragdgrünen Traum noch um ein Vielfaches verstärkt. Er strahlte eine Kraft und Wildheit aus, die Abbefaria fast den Atem nahm. Obwohl er immer noch die Form eines Nachtelfen hatte, schien er gleichzeitig Reißzähne und Klauen zu besitzen. Es war weniger etwas, das man sah, als das man es fühlte, fast so als säße man viel zu dicht an einem großen Lagerfeuer.

Unwillkürlich machte Abbefaria einen Schritt rückwärts. Auch er war inzwischen in seine Traumgestalt übergegangen. Er fühlte sich leichter und freier als vorher, doch seine Befürchtungen hatten ihn auch hier im Griff. Mit wachsamen Augen betrachtete er seinen Körper, ob dieser sich etwa verändert hatte.

Dir sind keine Hörner oder Hufe gewachsen, wenn dich das beruhigt, lachte Easygoing leise und trat näher.

Abbefaria empfing so etwas wie abwartende Neugier und mühsame Zurückhaltung. Er wusste, warum Easygoing ihn hierher geführt hatte. Zum einen wollte er wissen, ob der andere Druide den Smaragdgrünen Traum noch betreten konnte. Hätte die Magie, die er gewirkt hatte, ihn soweit vom Druidentum entfernt, dass er seine natürliche Verbindung zu dieser Traumwelt verlor, so hätte er diesen Weg vermutlich nicht beschreiten können. Es gab zwar Gerüchte, dass auch andere den Weg in die Traumwelt fanden, doch sie taten dies weniger bewusst und konnten das, was sie taten, nahezu nicht kontrollieren. Aber es gab noch etwas, dass den Smaragdgrünen Traum auszeichnete: Man konnte hier nicht lügen. Es war möglich, seine Gedanken und Gefühle vor dem anderen zu verschließen, sich in sich selbst zurückzuziehen, doch wenn man jemandem etwas übermittelte, so war dies eindeutig und ohne Missverständnisse, auch wenn man in der normalen Welt vielleicht nicht die richtigen Worte dafür fand.

Mit einem angedeuteten Nicken gab Abbefaria Easygoing die Erlaubnis, sich ihm zu nähern, Er wappnete sich für die überwältigende Persönlichkeit des anderen Druiden, doch was dann geschah war völlig anders, als er erwartet hatte. Anstatt ihn zu überfluten, strich Easygoings Geist fast zögerlich über den seinen. Er prüfte, tastete und berührte ihn so vorsichtig, wie man Neugeborenes halten würde. Amüsiert überlegte Abbefaria, ob der große Druide wohl Angst vor ihm hatte.

Hättest du wohl gern. Ich versuche lediglich, das Ergebnis meiner Untersuchung nicht zu verfälschen.

Verstehe. Und was siehst du?

Mhm…

Easygoing schwieg und Abbefaria empfing anstelle einer Antwort Bilder. Nicht von sich, sondern von verschiedenen Tieren, darunter viele Vögel, und sogar einigen Pflanzen. Die meisten von ihnen kannte Abbefaria, einige wenige waren ihm unbekannt. Für einen kurzen Moment blitzte sogar etwas auf, das wie eine Mischung aus verschiedenen Tieren aussah, doch ebenso schnell, wie es gekommen war, wieder verschwand. Nichts von all dem war von Dauer. Nichts davon war etwas, mit dem Abbefaria sich identifizieren konnte.

Blumenreiche Aussprache, bemerkte er trocken. Er hätte sich gerne ein Bild von sich gemacht.

Wenn du dein hässliches Gesicht sehen willst, guck in einen Spiegel, knurrte Easygoing und zog sich zurück. Ich weiß nicht, was an dir seltsam ist. Es scheint, als könntest du dich nicht entscheiden. Du schwankst hin und her wie ein Grashalm im Wind.

Und meine Magie?

Ungewöhnlich, aber ich kann nichts Schlechtes daran erkennen. Trotzdem solltest du diese Sache nicht übertreiben. Wir Druiden leben im Einklang mit der Natur und manipulieren sie nicht zu unserem Vorteil.

Ich weiß, seufzte Abbefaria. Was Easygoing ihm eröffnet hatte, beruhigte ihn ein wenig, konnte jedoch die Zweifel in seinem Inneren nicht völlig zum Stillschweigen bringen.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, fing er an, sich von Easygoing zu entfernen. Es war nicht nötig, dass er etwas erklärte. Er wusste, dass der andere Druide ihn auch ohne das verstehen und seinen Wunsch ein wenig allein zu sein respektieren würde.
 

Ziellos wanderte er durch die wilde, ursprüngliche Traumlandschaft. Das stetige Kreisen seiner Gedanken begann sich beim Anblick der grünen Vielfalt zu beruhigen und ebenso verflog langsam auch seine Angst. Er hatte das Gefühl freier zu atmen und die Last auf seinen Schultern, der er sich erst jetzt bewusst wurde, schien mit jedem Schritt leichter zu werden. Er erinnerte sich, was sein Lehrer ihm einst beigebracht hatte. Hier im Reich der Träume galten für einen Druiden nicht dieselben Beschränkungen wie in der realen Welt. Eine plötzlichen Impuls folgend stieß Abbefaria sich vom Boden ab und begann in die Höhe zu steigen. Er flog höher und immer höher, bis er ein weites Areal des Traums überblicken konnte.

So weit sein Auge reichte, umgab ihn eine reiche, grüne Landschaft bar jeder Kreaturen. Er hatte sich gewünscht allein zu sein und der Traum hatte diesen Wunsch respektiert. Doch jetzt wollte er sehen und auch diesen Wunsch erfüllte der Traum. Wo vorher noch leere Landschaften gewesen waren, tummelten sich jetzt alle Arten von Tieren. Große und kleine, junge und alte, wilde und friedliche, solche, die er kannte, und solche, die es in der realen Welt nie gegeben hatte und auch nicht geben würde. Er sah Feendrachen und Irrwische, Dryaden und Hüter des Hains und selbst die geisterhaften Gestalten andere Druiden, die ebenfalls in ihren Träumen hier wandelten, konnte er erkennen. Doch das genügte nicht. Er wollte mehr.
 

Manchmal genügt es nicht, nur zu wünschen.
 

Abbefaria zuckte zusammen. Die unbekannte, weibliche Stimme in seine Gedanken war mit einer eigenartigen Präsenz verbunden. Es fühlte sich anders an als alles, was er bisher gefühlt hatte. Er spürte ein unbeschreibliches Alter und eine Weisheit, deren Tragweite sein Geist sich weigerte zu begreifen. Suchend sah er sich nach der Sprecherin um und erntete dafür Erheiterung.
 

Den Realm der Träumerin zu betreten, ist manchmal mit Überraschungen verbunden.
 

Vor Abbefaria schwebte ein Vogel in der Luft. Seine Form ähnelte der einer Eule, doch wirkte er, als würde er aus einem einzigen Stück tiefgrüner Jade bestehen. Mit langsamen, ebenmäßigen Flügelschlägen umkreiste der Vogel den Druiden, der dem Tier mit den Augen folgte. Noch nie zuvor hatte er so etwas gesehen. Er fragte sich, ob…
 

Die Herrin schläft. Und träumt.
 

Natürlich. Wie hatte Abbefaria so vermessen sein können anzunehmen, einer der Dracheaspekte würde sich mit ihm abgeben. Oder ihn auch nur bemerken.
 

Es ist nicht falsch zu hoffen. Es ist nur falsch, sich allein in den Hoffnungen zu verlieren.
 

Die Jadeeule blieb nun bewegungslos in der Luft stehen und die scharfen, hellgrünen Augen hielten den Blick des Druiden fest.
 

Du bist auf einem Weg, den noch keiner vor Dir beschritten hat. Niemand weiß, wohin er Dich führen wird. Prüfungen warten auf Dich und ob Du sie bestehst, wird allein von Dir abhängen. Doch hüte Dich vor falschen Träumen. Manchmal ist das, was man sich wünscht, nicht das, was man wirklich braucht.
 

Mit diesen letzten Worten drehte die Jadeeule ab und verschwand mit kräftigen Schlägen der halbdurchsichtigen Flügel bald aus dem Blickfeld des Druiden. Nachdenklich sah er ihr nach. Er hätte noch so viel Fragen gehabt, die ihm jetzt, da die Gelegenheit sie zu stellen vergangen war, wieder in den Sinn kamen. Einen Moment lang war er versucht, der Jadeeule zu folgen, doch er wusste irgendwie, dass er sie nicht würde finden können.

Den Kopf voller grüblerischer Gedanken schickte Abbefaria sich an, wieder in die reale Welt zurückzukehren. Er merkte, wie seine Verbindung zum Smaragdgrünen Traum schwächer wurde. Die Farben um ihn herum verblassten, wurde rauchig und neblig und begannen sich auf zulösen. Noch einmal ließ er seinen Blick über die üppige, grüne Landschaft streifen, dann schloss er die Augen und die körperlose Leichtigkeit wurde von dem Gefühl von nassem Moos in seinem Rücken ersetzt. Er war zurückgekehrt.
 

Der junge Druide schlug die Augen auf und blinzelte angestrengt gegen das helle Sonnenlicht an.

„Das hat ja ewig gedauert.“, brummte Easygoing neben ihm und Abbefaria spürte, wie ihm ein Wasserschlauch in die Hand gedrückt wurde. Er nahm ihn und merkte im selben Moment, dass er tatsächlich durstig war. Der Intensität des Gefühls nach zu urteilen, mussten einige Stunden vergangen sein. Mit gierigen Schlucken ließ Abbefaria das Nass seine ausgetrocknete Kehle hinab rinnen.

„Du hast nicht zufällig auch etwas zu essen?“, fragte er, nachdem er den Schlauch fast gänzlich geleert hatte, und wies auf seinen Magen, der bereits verdächtige Geräusche von sich gab. „Ich glaube, da drin ist jede Menge Platz.“

„Vielfraß.“, grinste Easygoing.

„Musst du gerade sagen.“, konterte Abbefaria und sprang ein wenig schneller auf die Füße, als seine Verfassung es eigentlich erlaubte. Er unterdrückte den Schwindel und sah Easygoing auffordernd an. „Komm, ich verhungere.“

„Willst du mir erzählen, was du noch so lange gemacht hast?“

„Nein.“ Abbefaria war selbst erstaunt, wie leicht im diese Antwort über die Lippen kam. Noch erstaunlicher war allerdings, dass Easygoing seine Entscheidung ohne ein weiteres Wort akzeptierte. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass sein Magen ungefähr dreimal so laut knurrte wie der von Abbefaria. In gemächlichem Trab machten die beiden Druiden sich auf den Rückweg zu ihren Gefährten.
 


 


 

Hunger. Ewiger, unstillbarer, nagender Hunger trieb sie voran. Gierig sog sie die Luft ein, die geschwängert war vom Duft der Köstlichkeiten, nach denen sie sich so verzehrte. Doch sie blieben nicht stehen. Ständig entzogen sie sich ihrem Zugriff, immer wenige Meter voraus und doch unerreichbar. Sie lief und rannte, ihre Zunge hing ihr aus dem Maul, ihre Pfoten….Pfoten?

Magenta schreckte hoch und wäre beinahe vom Pferd gekippt. Nur ein beherztes Zupacken Abumoahams hinderte die Hexenmeisterin an einem höchst unrühmlichen Plumps in den Schlamm. Die Männer um sie herum schienen von all dem Nichts bemerkt zu haben, was vielleicht auch daran lag, dass sämtlich Reiter, die sie begleiteten, an den Lippen (oder anderen Körperteilen) von Risingsun hingen, die mit dem Anführer der Reiterschar an der Spitze des Zuges ritt. Die Männer waren auf Anordnung ihres Kommandanten, Leutnant Valorcall, zum Schutz der Reisenden eingeteilt worden. Zunächst hatte der eifrige Soldat darauf bestehen wollen, sie zu seinem Herrscher, Prinz Galen Trollbane bringen zu wollen, doch nach der beharrlichen Weigerung Abumoahams, auch nur einen Fuß in die Festung Trollbanes zu setzen hatten der Mann eingelenkt und lediglich darauf bestanden, ihnen eine angemessene Leibgarde an die Seite zu stellen. Die Anzahl an Freiwilligen war beeindruckend gewesen.
 

Vorsichtig schob der Magier seine Liebste wieder in den Sattel zurück und legte die Hand um ihre Taille. „Du in Ordnung?“

„Es ist nichts.“, beeilte sie sich zu versichern. „Ich habe nur nicht besonders gut geschlafen und bin wohl eingenickt.“

„Ich dich hoffentlich nicht langweilen mit meinen Vorträgen über Geschichte von Landschaft?“, fragte Abumoaham und zog die Augenbrauen hoch.

„Nein, nein, alles sehr interessant.“, murmelte Magenta, obwohl sie zugeben musste, dass ihr die Schädel von all den Fakten und Daten brummte, die ihr der Magier dagegen warf. Allerdings hielt ihn das auch davon ab, sich genauer nach Magentas Zustand zu erkundigen, was der Hexenmeisterin nur allzu Recht war. Hätte sie ihm gesagt, was sie wirklich beschäftigte, hätte er sich vermutlich große Sorgen gemacht und genau das wollte sie nicht. Und immerhin entsprach das, was sie ihm gesagt hatte, ja der Wahrheit: Sie hatte nicht gut geschlafen.

Seit sie das Abenteuer mit Prinzessin Myzrael beendet hatten, träumte die Hexenmeisterin des Nachts stets denselben, immer wiederkehrenden Traum. Einen Traum, der sie jetzt auch schon tagsüber verfolgte, was dazu führte, dass mit ihr so ganz und gar nichts in Ordnung war.

Fahrig strich sich Magenta die roten Haarsträhnen zurück. Sie fühlte sich schmutzig und konnte es nicht erwarten, dass sie endlich nach Southshore gelangten. Den Thoramdinswall, ein gigantisches, gemauertes Bollwerk, dass sich über Dutzende von Kilometern durch die Landschaft zog und dessen Steinen nun langsam aber sicher von Wind und Wetter geschliffen wurden, hatten sie bereits vor Stunden hinter sich gelassen. Auch an Burg Durnhold, jetzt nur noch eine geschichtsträchtige Ruine, in der einst Kriegshäuptling Thrall, der Anführer der Orks gefangen gehalten wurde, lag bereits jenseits ihres Weges.
 

Unmerklich hatte sich die Landschaft verändert. Immer mehr Bäume hatten sich in die Graslandschaft gemischt und die Erde war dunkler und fruchtbarer geworden. Sie hatten das Vorgebirge von Hillsbrad erreicht, die ersten Ausläufer des Alteracgebirges.

„Es sind nur noch etwa anderthalb Stunden Weg bis Southshore.“, verkündete der Anführer der Leibgarde. Er winkte einem der Männer voranzureiten und den Weg auszukundschaften. Seit sie Risingsun bei ihrer ersten Begegnung aus den Klauen einer Gruppe von Untoten befreit hatten, waren die Männer von Arathor noch aufmerksamer und das nicht ohne Grund.

Es ging etwas vor, zwischen Tarrens Mühle und einer herunter gekommenen Farm im Osten des Arathihochlandes. Von den Orks besetzt, die einst in einer großen Schlacht Hammerfall erobert und sich das die Festung umgebende Land angeeignet hatten, gingen nun abscheuliche Dinge auf dem Gelände der Farm vor sich. Niemand wusste bis jetzt, worum es sich genau handelte, doch die mysteriösen Vorfälle rund um Southshore häuften sich und wer immer die Straßen zwischen dem verdächtigen Hof und Tarrens Mühle bereiste tat gut daran, seine Augen überall und seine Waffe griffbereit zu haben.
 

„Alarm! Feind voraus!“

Der Ruf sprang wie ein Lauffeuer über. Metall kratzte auf Metall, als die Soldaten ihre Schwerter zogen und sich zu einem Halbkreis formierten. Der Reiter, der den Alarm gegeben hatte, reihte sich ohne zu zögern in die Formation ein und legte die Hand an seinen Helm.

„Sir, wir haben Sichtkontakt mit dem Feind.“

„Wie viele?“

„Einer, Sir, soweit ich erkennen konnte.“

„Gut, tötet ihn.“

Magenta glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, doch der Befehl des Kommandanten war eindeutig gewesen. Wie ein Mann gaben die Reiter ihren Pferden die Sporen und bildeten so eine undurchdringliche Wand aus wirbelnden Hufen und Klingen. Eine Wand, die sich direkt auf einen einzelnen Ork zu bewegte.

Die grünhäutige Kreatur war so eben dabei gewesen, einen Bärenkadaver zu zerteilen. In der einen Hand hielt er einen kleinen Beutel, die andere schwebte mit einem dampfenden Stück Fleisch, das fast aussah, als hätte der Ork dem Bär die Zunge herausgeschnitten, unschlüssig über dem Beutel. Angesichts der drohenden Gefahr sah der Ork sich jedoch gezwungen, seinen schwer verdienten Fang fahren zu lassen und die Flucht zu ergreifen. Er warf Beutel und Zunge von sich und nahm die Beine in die Hand.

Magenta hatte noch nie einen Ork im Kampf gesehen und die Geschichten, die sie über dieses Volk gehört hatte, waren wahrscheinlich halb erstunken und halb erlogen. Bei einem jedoch hatten die Geschichtenerzähler nicht gelogen. Ein Ork konnte fast ebenso schnell rennen wie ein Pferd. Aber eben nur fast.

Angewidert wandte Magenta sich ab, als die Reiter die grüne Kreatur erreichten und einfach niederritten. Der Ork kam zwar wieder auf die Füße und riss sogar einem der Angreifer die Waffe aus der Hand, doch dann streckten ihn gleich mehrere Klingen auf einmal nieder. Wie im Blutrausch, den man eigentlich dem Opfer nachsagte, hieben und stachen die Soldaten auf den Ork ein, auch als dieser längst tot zu Boden gesunken war. Erst, als die Leiche zur völligen Unkenntlichkeit entstellt und zerstückelt war, gab der Kommandant den Befehl zum Rückzug.
 

„War das wirklich nötig?“, platzte es aus Magenta heraus, bevor sie darüber nachdachte, was sie sagte „Einen einzelnen, wehrlosen Ork zu überfallen. Ihr hättet ihn ziehen lassen sollen.“

Der Anführer der Leibwache lachte freudlos auf. „Die Vorträge Eures Freundes haben wohl nicht gefruchtet. Ihr steht hier auf einem der blutgetränktesten Schlachtfelder der Geschichte und daran können auch die malerische Landschaft und der trügerische Schein-Frieden nichts ändern. Die Bewohner von Hillsbrad werden Euch sicher gern die eine oder andere Geschichte zu diesem Thema erzählen. Das hier ist umkämpftes Gebiet. Es geht hier um sie oder uns.“

„Aber was hätte ein einzelner Ork denn tun sollen?“ Magenta verstand nicht, wie man so verbohrt sein konnte.

„Mir scheint Ihr habt den Ernst der Lage tatsächlich nicht begriffen.“, knurrte der Kommandant. „Wo ein Ork ist, sind auch noch mehr und mit ihnen kommt der ganze Rest. Allen voran die untote Plage, die sich selbst die Verlassenen nennen. Sie überfallen unsere Farmen, plündern unsere Vorräte, metzeln unser Vieh nieder und entführen unsere Frauen und Kinder. Und da sagt Ihr, wir sollen auch nur eine dieser blutrünstigen Bestien ziehen lassen? Nein, das hier ist unser Land und niemand wird es uns wegnehmen.“

„Das Trolle sicher auch gesagt, bevor Allianz gekommen zu nehmen ihr Land.“, murmelte Abumoaham. Er war allerdings dabei nicht so leise, dass der Kommandant ihn nicht gehört hätte. Der Mann sah Abumoaham mit einem Ausdruck unglaublicher Abscheu an und spuckte vor ihm auf den Boden.

„Wusste ich es doch.“, rief er. „Ihr seid ein Sympathisant der Horde. Wir hätten Euch aufknüpfen sollen, anstatt Euch unser Geleit anzubieten.“

Die Soldaten, die ihre Waffen eben noch vom Blut des Orks gereinigt hatten, zogen diese jetzt erneut, bereit jedem Befehl ihres Kommandanten sofort Folge zu leisten. Abumoahams Züge verhärteten sich und ein eisiger Hauch umwehte ihn als Vorbote dessen, was der Eismagier zu entfesseln imstande war. Magentas Hände verkrampften sich um den Sattelknauf. Eine Konfrontation schien unausweichlich zu sein.
 

„Genug!“ Risingsuns Stimme hatte einen Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Kommandant, wir danken Euch daher für Eure Unterstützung und bitte Euch, zur Zuflucht zurückzukehren. Ihr sagtet selbst, dass in diesen Zeiten jeder Mann gebraucht wird. Wir sollten daher nicht unsere Zeit damit verschwenden, uns gegenseitig an die Kehle zu gehen. Seid versichert, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um den Vormarsch der Horde in diesem Gebiet zu unterbinden. Möge das Licht mit Euch sein.“

Die Paladina schlug ein Zeichen in die Luft. Der Kommandant warf Abumoaham einen letzten, finsteren Blick zu, dann senkte er seine Waffe und beugte das Haupt vor Risingsun. „Mylady, ich denke Euch für Euren Segen und Eure Versicherung. Eure Gegenwart ehrt uns und die eines jeden, rechtschaffenden Kriegers. Gehabt Euch denn wohl.“

Der Kommandant ließ sein Schwert in die Scheide gleiten und seine Männer aufsitzen. Ohne die restlichen Mitglieder der Abenteurer noch eines Blickes zu würdigen, formierten sich die Soldaten neu und ritten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.
 

Als sie hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden waren, atmete Risingsun hörbar auf. „Das hätte verdammt schief gehen können.“

„Sie haben angefangen.“, fühlte Magenta sich genötigt Abumoaham zu verteidigen.

„Aus gutem Grund.“, knurrte die Paladina und maß Magenta mit abschätzigem Gesichtsausdruck. „Weil sie Recht haben. Die Untoten werden in diesem Gebiet immer dreister und wenn ihnen nicht bald jemand Einhalt gebietet, wird wahrscheinlich etwas sehr, sehr Schlimmes passieren.“

„Was denn?“, fauchte Magenta. „Jetzt wirst du gleich noch behaupten, die würden mit Bärenzungen und Spinnenspeichel etwas zusammenbrauen, das alles Leben auslöschen und uns alle in Untote verwandeln kann. Merkst du eigentlich, wie lächerlich das klingt?“

„Merkst du eigentlich, wie naiv du bist?“ Risingsuns Augen blitzten gefährlich. „Untote sind das destillierte Böse und sie hassen alles, was lebt. Aber wahrscheinlich kann jemand, der mit Dämonen und anderem Gezücht paktiert, darüber nur dreckig grinsen.“

Magenta öffnete den Mund zu einer Antwort, doch als sie Abumoahams Blick auffing, klappte sie ihn wieder zu. In ihr kochte und brodelte es und sie hätte ihrem Zorn gerne ein Ziel gegeben, bevor sie daran erstickte. Die Tatsache, dass ihr mit jedem Augenblick, der verging und mit dem die roten Schleier vor ihren Augen sich lichteten, die Möglichkeit deutlicher wurde, dass Risingsun ganz, ganz eventuell ein klitzeskleines Stück näher an der Wahrheit sein könnte als sie, machte die Sache auch nicht viel besser.

Die Hexenmeisterin schnaubte. „Sehen wir lieber zu, dass wir nach Southshore kommen. Nicht dass sich Frau Paladina noch vor Angst ins Höschen macht, wenn es dunkel wird.“

„Getroffene Hunde bellen.“, war alles, was Risingsun noch bemerkte, bevor sie sich auf den Rücken ihres Streitrosses schwang und es antraben ließ. Bladewarrior, der die ganzen Geschehnisse bis jetzt stumm verfolgt hatte, blickte noch einmal zu Magenta hinüber, hob dann entschuldigend die Achseln und folgte der davongaloppierenden Paladina.

„Fein.“, fauchte Magenta und schaute sie den beiden mit steinernem Gesicht nach, bis ein Geräusch sie herumfahren ließ. Im schwindenden Licht der abendlichen Sonne, das zwischen den Bergen eigenartig diffus wirkte, sah sie jedoch nichts außer einer leeren Wiese. Sie hatte das Gefühl, dass etwas an diesem Bild nicht stimmte, doch sie konnten nicht genau sagen, was es war.

Ein Frösteln lief über ihren Rücken und ließ eine Gänsehaut ihre Arme hinaufkriechen. Irgendetwas war dort draußen und beobachtete sie, dessen war sie ganz sicher. Plötzlich hatte sie es ebenso eilig in die vermeintliche Sicherheit eines Gasthauses zu kommen, wie sie es Risingsun eben noch unterstellt hatte. So drängte sie Abumoaham zum Aufbruch und wenig später folgten sie den beiden Reitern auf die hell erleuchteten Fenster von Southshore zu.
 


 


 

Bei ihrer Rückkehr zum Ehrenposten erwartet die beiden Druiden eine Überraschung. Etwas abseits des Weges stand das „Ding“, das Emanuelle ihnen aufgezeichnet hatte. Es war windschief und einige Teile der Konstruktion schienen zu fehlen, doch im Großen und Ganzen hatte es einen hohen Widererkennungswert. Es passte sich nämlich mit seinen Drähten, Hebeln, Schaltern und Knöpfen so gar nicht in die natürliche Kulisse der Berglandschaft ein.

„Was bei Cenarius Geweih soll das?“ Mit wildem Blick sah Easygoing sich nach der Magierin um, doch die kniehohe Erbauerin dieser Höllenmaschine war nirgends zu sehen.

Vorsichtig gingen die beiden Nachtelfen af die Maschine zu, die bei näherem Hinsehen doch arg geflickt aussah. Wo Metallteile fehlten, hatte Emanuelle Holz und andere Dinge an seiner Stelle verwendet. Eines dieser Dinge hatte rosa Spitze und brachte Abbefaria dazu, schnell den Blick auf etwas anderes zu lenken.

„Wie hat sie nur…“ Der Druide unterbrach seine Frage, woher all die Materialien für das Gerät gekommen waren, als er am Fuß der Maschine ein kleines Schild sah, auf dem „Blinky“ stand.

„Toll nicht wahr.“, ätzte eine Stimme aus dem Schatten eines Baumes. „Unser kleines Genie. Da muss dir doch das Herz aufgehen, Easy.“

„Deadly.“ Easygoing überging den Kommentar seines Bruders einfach und wies auf die Maschine. „Wer hat das erlaubt.“

„Erlaubt?“ Die Stimme des Schurken war mit Rasierklingen gespickt und seine leuchtenden Augen glommen wütend auf. „Als wenn mich da jemand gefragt hätte. Nein, sie ist einfach losgegangen und hat gemacht, was ihr in den Sinn kam. Dreckige, kleine Teppichratte. Und als ich versuchte sie auszuhalten, hat dieser Verräter…“

Deadlyone ließ den Satz unbeendet. An seiner Statt mischte sich nun Ceredrian in das Gespräch ein, der bis dato ein Stück entfernt auf einem Felsen gesessen und meditiert hatte.

„Wen nennst du einen Verräter?“, fragte der Priester und zog eine seiner geschwungenen Augenbrauen nach oben. „Ich habe lediglich verhindert, dass du der Magierin einen Dolch zwischen die Rippen rammst. Dass sie dich dafür noch einmal in einen Eisblock verbannt hat, dafür konnte ich ja nun wirklich nichts.“

„Du hättest den Zauber lösen können.“, fauchte der wütende Schurke. Abbefaria fielen erst jetzt die nassen Flecken unterhalb des Astes, auf dem er saß, auf.

„Immerhin bin ich bei dir geblieben, damit dich in deinem Zustand niemand überfällt. Ein böser Schurke etwa. Du solltest wirklich dankbarer sein.“
 

Abbefaria befand, dass es an der Zeit war, das Thema zu wechseln. „Wo ist die Gnomin eigentlich?“

„Ich weiß nicht.“, antwortete Ceredrian. „Sie sagte, sie würde noch ein Teil für die Maschine holen. Sie nannte es Elfenbein.“

Deadlyone, der offensichtlich genug von seiner Astsitzung hatte, sprang vom Baum und ignorierte die fragenden Blicke seines Bruders auf seine tropfnasse Kleidung. Stattdessen wies er den Weg entlang, der zum Ehrenposten führte. „Ich habe gesehen, wie sie hinter der Biegung verschwunden ist. Sehr weit kann sie auf diesen kurzen Stummelbeinchen ja aber nicht gekommen sein, nachdem sie ihren Krachschreiter demontiert hat.“

„Du hast Recht.“, nickte Easygoing. „Suchen wir sie und dann brechen wir auf.“

„Und wohin gehen wir?“, wollte Ceredrian wissen.

„Zurück.“, antwortete der Druide. „Wir werden erneut durch das Verbrannte Tal gehen und uns dann durch Desolace nach Feralas begeben. Ein Umweg, aber es geht nicht anders.“
 

Die Nachtelfen nahmen ihre Siebensachen zusammen und wollten sich so eben auf die Suche nach der verschollenen Gnomin begeben, als Deadlyones Kopf nach oben ruckte. Die langen Ohren des Nachtelfen vibrierten und seine Augen waren auf den vor ihnen liegenden Weg fixiert. Es dauerte einige Augenblicke, bis auch die andere hörten, was er bemerkt hatte. Jemand kam mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu. Jemand, der nicht allein war.

„Versteckt Euch!“, rief Easygoing den anderen zu, doch bevor noch einer von ihnen reagieren konnte, kam eine kleine Gestalt hinter der Wegbiegung hervorgesaust. Zwei aufgelöste, schwarze Zöpfe wehten hinter ihr her und sie war ziemlich außer Atem, was sie allerdings nicht daran hinderte, ihre Schritte noch zu beschleunigen, als sie die Nachtelfen erblickte.
 

„Schnell!“, krähte Emanuelle. „Wir müssen hier weg.“

„Wo wart Ihr?“, schnaubte der Druide und baute sich vor der keuchenden Gnomin auf. „Und was ist passiert? Und was bei allen guten Geistern ist das da?“

Easygoing zeigte auf einen Gegenstand in Emanuelles Hand. Er war ungefähr so lang wie ihr Unterarm, von einem gelblichen Weiß und leicht gebogen. Hätte Easygoing es nicht besser gewusst, hätte er vermutet das sei ein…

„Ein Trollhauer.“, erklärte Emanuelle. „Ich brauche ihn, um die Trivialitässpule zu isolieren, damit der Refluxkondensator des Transporters nicht überhitzt.“

„Und wo habt Ihr den her?“, krächzte Easygoing, obwohl er die Antwort eigentlich schon wusste.

„Na von einem Troll.“, sagte Emanuelle und sah den Nachtelfen an, als sei er ein wenig beschränkt. „Wo sollte ein Trollhauer wohl sonst herkommen. Leider hat er ihn nicht freiwillig rausgerückt und als ich ihn dann endlich abgetrennt hatte, hat mich eine Patrouille überrascht. Naja und jetzt kommen sie.“

„Wer?“

„Na die Horde. Der ganze Stützpunkt hat versucht mich zu fangen. Ich muss sagen, ich hab den Blinzelzauber noch nie so gemocht wie heute. Aber jetzt müssen wir uns beeilen. Wo sind Eure Freunde? Wir brauchen die Energie des Blitzes und dann nichts wie weg von hier.“
 

Vor Easygoing Augen schien die Welt sich zu drehen. Sein gesamter Plan war durch diese nichtsnutzige Gnomin zunichte gemacht worden. Am liebsten hätte er sie genommen und ihr einen Fußtritt verpasst, der sie wieder zwischen die Reihen der aufgebrachten Angreifer beförderte. Doch das konnte er nicht tun. Allerdings konnte er sie auch ebenso wenig hier lassen. Die Gnomin würde vielleicht noch ein paar Meter hinter sich bringen, bis die Häscher der Horde sie zur Strecke brachten. Easygoing würde sich garantiert nicht im Schutz der Verstohlenheit davonschleichen und dabei zusehen, wie diese Viecher die kleine Frau zerfleischten. Zumal sie ihre einzige Fluchtmöglichkeit geopfert hatte, um ihm und seine Kameraden zu einem Weg ins Brachland zu verhelfen. Easygoing ballte die Hand zur Faust. Er hatte einen Entschluss gefasst und er hoffte sehr, dass er der richtige war.

„Abbe, du wirst uns einen Blitz zaubern.“, sagte er zu dem anderen Druiden.
 

Abbefaria schluckte. Dies war wohl kaum der passende Augenblick um zu erwähnen, dass er eigentlich gar nicht genau wusste, wie er das anstellen sollte. Er hörte die heranstampfenden Schritte der Krieger und sah, wie Emanuelle den Stoßzahn am oberen Teil der Maschine befestigte. Nur mühsam unterdrückte Panik kochte unter der Oberfläche und drohte aus ihm herauszubrechen. Mit aller Gewalt zwang er sich die Augen zu schließen und ruhiger zu atmen. Er musste es einfach schaffen.

Minutenlang stand der Druide einfach nur da und versuchte sich zu erinnern, was er getan hatte, um die Elemente zu entfesseln. Doch in seinem Kopf war nichts. Ein grenzenloses Nichts bar jeder Idee, wie er jetzt und hier einen Blitz herbeirufen sollte. Ein Schweißtropfen löste sich von sein seinem Haar und begann die Schläfe entlang zu wandern. Es kitzelte und trug nicht im Mindesten zu Lösung des Problems bei.

„Hier nehmt das.“

Abbefaria öffnete die Augen und starrte die Gnomin an. In ihrer Hand hielt sie eine kleine schwarz und weiß gestreifte Feder. „Was soll ich damit.“

„Das ist meine Glückfeder.“, erklärte Emanuelle. Sie wird Euch helfen, den Zauber zu finden. Und jetzt verratet mir, wie viel Ihr wiegt.“

„Was?“ Abbefaria war so überrascht, dass er die Feder entgegen nahm. „Was soll diese Frage?“

„Ich muss den Transporter programmieren, damit wir auch ja auf der anderen Seite im Brachland herauskommen. Also seid ehrlich, was Euer Gewicht angeht. Die Physik verzeiht keine Schummelei.“

„Aber ich habe keine Ahnung.“, antwortete Abbefaria. Hinter ihm wurde das Geräusch heranstampfender Füße immer lauter und mischte sich mit dem Geklirr von Waffen und Rüstungen. Die Wachen mussten jeden Moment hinter ihnen stehen.

„Dann muss ich eben schätzen.“, lächelte Emanuelle. „Und jetzt möchte ich einen schönen, hellen Blitz sehen. Strengt Euch an, Druide!“
 

Strengt Euch an, Druide. Die Worte hallten in Abbefarias Kopf wieder, als versuchten sie, die gähnende Leere hinter seiner Stirn zu füllen. Aber sie hatte Recht. Er war ein Druide, das war es, auf was er beim letzten Mal vertraut hatte. Dass die Natur seine Kräfte aufnehmen und verstärken würde. Dass die Mächte, die er um Hilfe bat, ihn erhörten und seine Feinde zerschmetterten. Diesmal war es im Grunde genommen viel einfacher. Er musste die zerstörerischen Energien nicht benutzen um zu Töten, sondern um Leben zu retten. Wie viel einfacher musste es doch sein, diesen Wunsch erfüllen zu lassen.

Abbefaria sah auf die kleine Feder in seinen Händen hinab. Die ihre feine Struktur erinnerten ihn vage an die Form eines Blitzes. Fast so, als wolle sie ihm ein Zeichen geben. Und hatte Emanuelle nicht gesagt, die Feder brächte Glück? Was also sollte jetzt noch schief gehen.
 

Der junge Druide atmete tief ein und konzentrierte sich auf das Muster. Eines nach dem anderen blendete er alle Umgebungsgeräusche aus und langte hinauf. Er spürte die Strömungen, fühlte die Ausgeglichenheit und wusste plötzlich, dass er, um sein Ziel zu erreichen, dieses Gleichgewicht würde stören müssen. In ihrem Versuch, sich wieder auszurichten, würden die Elemente wie von selbst das tun, was er von ihnen verlangte. So schob und rückte er, ließ Luft fließen und Wasser aufsteigen.
 

Wie aus dem Nichts begannen am Himmel dunkle Wolken aufzuziehen und ein erstes Donnerrollen mischte sich unter Getöse der heranstürmenden Horde. Immer tiefer wurde das Schwarz des Himmels, während der Wind auffrischte. Bald blies er Staub und trockene Grashalm über den Boden und brachte die ohnehin zerzausten Haare des Druiden noch mehr in Unordnung. Der hatte die Augen wieder geschlossen und murmelte leise, beschwörende Formeln, die die Wut der Natur über diese ungebührliche Störung in die richtigen Bahnen lenken würde. Die metallene Spitze am Kopf der Gnomenmaschine, das und Nichts anderes war ihr Ziel. So flüsterte der Druide unablässig, während die ersten Wachen die Wegbiegung erreichten. Allen voran ein ziemlich angeschlagen wirkender Troll mit Brandflecken auf der Kleidung, dem der rechte Stoßzahn fehlte.
 

„Ich halte sie auf!“, brüllte Easygoing. „Macht, dass dieses Ding funktioniert.“ Mit diesen Worten verwandelte er sich in einen Bären und stürmte seinen Gegnern entgegen.

Die Kampftruppe wurde größtenteils von breitschultrigen Orks gebildet, die kampfbereit Äxte schwangen, die einen Nachtelfen mit einem Schwung vom Kopf bis zu den Zehenspitzen zu spalten vermochten. Ein jeder von ihnen war mindestens so breit wie Easygoing in seiner Bärengestalt. Allerdings sollte der Druide sehr bald feststellen, dass nicht sie seine gefährlichsten Gegner waren.

Während er gleich drei heranstürmende Orks mit Knurren und Zähnefletschen zunächst auf Abstand hielt, brüllte der lädierte Troll unverständliche Befehle. Zwei seiner Artgenossen kamen daraufhin heran und zogen ein großes Netz hinter sich her. Sobald sie nahe genug waren, warfen sie es über den tobenden Bären.

Easygoings Pfoten verhedderten sich prompt in den starren Stricken und er wäre um ein Haar gestolpert. Jeder normale Bäre wäre jetzt vermutlich in Raserei ausgebrochen und hätte sich dadurch nur noch mehr in dem Netz verfangen. Der Druide hingegen verwandelte sich kurzerhand in seine Nachtelfenform zurück und befreite sich mit ein paar schnellen Handgriffen aus den tückischen Maschen. Eine Maßnahme, die genau so lange dauerte, dass die Orks sich von ihrer ersten Überraschung erholt und wieder zu ihren Waffen gegriffen hatten, als das Netz um ihn herum zu Boden fiel. Mit einem dreikehligen Kriegsschrei stürzten sich die grünen Gestalten auf den Druiden. Der entging nur knapp einem Hieb, der sein Bein vermutlich ohne große Mühen vom Rumpf getrennt hatte, wich mit einer Rolle einem zweiten Schlag aus und kam so vor dem dritten Ork zu liegen. Der grunzte etwas und hob seine Axt zum Schlag, bis ihn die geballte Kraft von Easygoings Füßen die Luft aus den Lungen trieb. Mit einem erstickten Laut kippte er nach hinten.

Ein zweiter Ork brach neben Easygoing zusammen. In seinem einen Auge steckte ein tödliches Rapier, das durch den Sturz nur noch tiefer in seinen Schädel gedrückt wurde. Ein grinsender Deadlyone hob seine Hand zu einem lässigen Gruß an seinen Bruder, bevor er ein neues, tödliches Wurfgeschoss auf die Reise schickte. Wie von selbst glitt Easygoings Blick zum Himmel, der inzwischen tiefschwarz gefärbt war. Hinter der dunklen Wolkenwand zuckten schwefelgelbe Lichter, doch ein Blitz wollte nicht erscheinen.

Streng dich an, verdammt, dachte Easygoing, bevor er sich wieder auf vier pelzigen Pfoten auf den verbleibenden Ork katapultierte und ihn mit einem gezielten Prankenhieb zu Boden schickte. Doch lange würde diese Sieg nicht vorhalten, denn es stürmten ständig neue Krieger auf die Nachtelfen zu. Wenn nicht bald etwas geschah, würde sie schlichtweg überrannt werden.
 

Mit einem Mal riss die Wolkendecke auf und ein vielfach verästelter Blitz fuhr aus den Wolkenmassen zur Erde herab. Seine ganze Macht entlud sich in der Konstruktion, die Emanuelle zusammen gebaut hatte. Metallteile schimmerten im Licht der Entladung auf, Funken sprühten in alle Richtungen es roch nach angesengtem Holz. Die Apparatur erwachte mit einem Knall zum Leben. Räder begannen sich zu drehen, Lampen leuchteten hell auf und ein Geräusch, das stark an die Trillern des Roboschreiters erinnerte, ertönte. Allerdings eines sehr großen, sehr wütenden Roboschreiters.

Im Inneren der Maschine begann ein Wirbel zu entstehen. Es schien, als flimmere die Luft an dieser Stelle, ein rauschendes Mahlwerk, das darauf wartete, jeden, der ihm zu nahe kam in seine kleinsten Teilchen zu zerlegen und sie dann in den Äther zu schleudern. Denn genau das bewirkte die Maschine. Emanuelle hatte es vorgezogen, es den Nachtelfen nicht so genau zu erklären. Sie war sich immerhin nicht ganz sicher, ob der Partikelfiltrator auch wirklich dafür sorgen würde, dass alle Teile am richtigen Körper landeten, wenn mehrere Personen gleichzeitig mit dem Transporter reisten. Allerdings würde ihnen wohl sowieso nichts anderes übrig bleiben, als dieses Risiko einzugehen, denn sämtliche Körperteile, die hier blieben, würden gewiss nicht unversehrt bleiben.
 

„Es geht los! Alle Mann an Bord!“, schrie die Gnomin gegen den heulenden Sturm an. Schwere Regentropfen klatschten hernieder und verwandelten den kahlen Boden innerhalb von wenigen Augenblicken in ein schlüpfriges Schlammbad. Die weniger wendigen Orks behinderten sich durch ihre pure Anzahl gegenseitig und stürzten in den Dreck, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Maschine erreicht haben würden.
 

Die durchnässten Körper der Nachtelfen drängten sich auf der kleinen Plattform aneinander, während die Entladungen der gefesselten Kraft des Blitzes durch das Gestänge liefen. Ein Holzstück, das bereits rauchte, fing plötzlich Feuer, doch der hernieder rauschende Regen erstickte die Flammen. Trotzdem würde die Konstruktion den Belastungen nicht mehr lange standhalten.

„Komm!“, rief Deadlyone seinem Bruder zu. Der Druide versuchte immer noch, die heranstürmenden Wachen aufzuhalten. Mit einem letzten, gewaltigen Hieb warf er einen der Krieger mitten in die Reihen seiner Kameraden, verwandelte sich zurück und hielt dann im gestreckten Lauf auf die Maschine zu. Emanuelle, die ihre Hand bereits an einen Hebel gelegt hatte, riss die Augen weit auf.

„Vorsicht!“

Doch die Warnung kam zu spät. Ein zielsicher geschleuderter Speer traf den Druiden in den Rücken. Heiße Schmerzen durchfuhren sein Rückgrat und er merkte, sie sich die metallenen Spitze der Waffe durch seine Eingeweide bohrte. Instinktiv tat er, was er in einer lebensbedrohlichen Situation wie dieser Situation immer tat: Er verwandelte sich in einen Bären…

Von seinem eigenen Schwung getragen, verstärkt durch die Wucht des Speers, stürzte der Bär auf die Plattform. In dem Gewirr auf Armen, Beinen und Pfoten kippte die Maschine nach hinten. Wenn sie aufprallen würde, das wusste Emanuelle, würde sie unweigerlich zerspringen und die freiwerdenden Energien würden alle, die sich in ihr befanden, in Abermillionen kleinster Teile zerfetzen. So tat auch Emanuelle das Einzige, was sie ihrem Verstand folgend in dieser Situation tun konnte: Sie legte den Hebel um.
 

Und die Welt um die Nachtelfen herum explodierte.
 

Abbefaria hatte das Gefühl in Stücke gerissen zu werden. Es tat nicht weh, denn so etwas wie Schmerzempfinden gab es in diesem Zustand nicht. Doch es war seltsam, widernatürlich und unangenehm, so durch die Wirklichkeit katapultiert zu werden. Es fühlte sich fast an, wie das Betreten des Smaragdgrünen Traums, nur in hundertfacher Geschwindigkeit und ohne das beruhigende Gefühl, das damit einherging. Hier war der Druide nicht Herr der Lage, sondern den Launen und Fügungen der Welt ausgesetzt wie ein Blatt im Sturm. Aber so plötzlich wie das Gefühl begonnen hatte, endete es auch schon wieder. Mit einem Mal hatte er wieder Arme und Beine und vor allem auch einen Körper, der nur noch einem einzigen Gesetz folgte: dem der Schwerkraft.
 

Der Druide stürzte vorwärts, landete hart auf sandigem Boden, kugelte haltlos noch anderthalb Umdrehungen weiter und blieb schließlich mit dem Gesicht im Sand liegen. Es knirschte zwischen seinen Zähnen, als er sich erhob. Er spuckte aus und sah sich um. Nicht weit von ihm waren seine übrigen Gefährten im Sand verstreut. Sie waren vollzählig und auf wunderbare Weise unverletzt. Selbst Easygoing, unter dem Abbefaria eine stetig größer werdende Blutlache erwartet hätte, die den Sand dunkel färbte, hatte nicht den geringsten Kratzer.

Niemand schien darüber jedoch gleichzeitig froh und verärgert zu sein wie Easygoing selbst. Er tastete nach seinem Bauch, doch wo eine blutige Speerspitze hätte sitzen müssen, zeigte sich violette Haut ohne einen Kratzer. Der Speer, der eigentlich im Körper des Druiden hätte stecken müssen, lag einige Meter neben ihm im Sand. Nichts daran deutete darauf hin, dass er zu irgendeiner Zeit einmal mit Blut beschmiert gewesen war.

„Was ist das für ein fauler Zauber?“, murmelte Easygoing und fuhr noch einmal prüfend mit der Hand über seinen Bauch.

„Die Maschine hat Euch sortiert.“, erklärte Emanuelle. Auch die Gnomin schien unversehrt und lediglich etwas derangiert. „Sie hatte Teile von Euch wieder zu Euch zusammengesetzt und Teile vom Speer sind eben wieder ein Speer geworden. Die Maschine hatte keinen Grund zur Annahme, dass sie die Molekül-Strukturen verbinden sollte. Nicht, dass das in diesem Fall etwas Schlechtes wäre.“

„Ich hab keine Ahnung, was das bedeutet.“, gestand Easygoing ehrlich. „Aber ich glaube, Ihr habt mir das Leben gerettet.“

Emanuelles Wangen erstrahlten in einem hellen Rotton. „War mir eine Ehre.“, hauchte sie und kicherte höchst mädchenhaft. Mit einem Augenaufschlag, der Eisberge zum Schmelzen gebracht hätte, strahlte sie den Druiden an, bis eine heisere Stimme sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückholte.
 

„Ich störe eure traute Zweisamkeit nur ungern, aber wo genau sind wir hier eigentlich?“, Deadlyone legte die Hand über die Augen und suchte die Umgebung ab. So weit sein Blick reichte, sah er nichts als Sand. „Das Brachland ist das hier nicht.“

„Ich fürchte, da hat er Recht.“, sagte Ceredrian. „Im Brachland gibt es Oasen, Tiere und Pflanzen. Hier jedoch ist nichts von alle dem. Wenn ich eine Schätzung abgeben sollte, dann würde ich auf Tanaris tippen.“

„Tanaris?“, erklang es aus vier ungläubigen Kehlen. Das klang zu absurd um wahr zu sein und zu plausibel, um es sofort als eine Lüge abzutun. Tanaris war das einzige Gebiet in ganz Kalimdor, in der man eine so weite Wüstenlandschaft fand.

„Tanaris…“, wiederholte Easygoing noch einmal ungläubig und blitzte Emanuelle wütend an. „Na das habt Ihr ja fein hinbekommen.“

„Es ist nicht meine Schuld.“, verteidigte sich die Gnomin und funkelte ebenso wütend zurück. „Ihr habt Euch doch unbedingt in einen Bären verwandeln müssen. Auf das zusätzliche Gewicht hat der Transporter eben empfindlich reagiert. In gravito veritas. Ihr habt die Wuchtität des Schwunges mit Eurem dicken Hintern verändert.“

Für einen Augenblick herrschte angespanntes Schweigen. Die Luft zwischen den beiden ungleichen Kontrahenten schien zu flimmern, bis Easygoing schließlich in schallendes Lachen ausbrach.

„Ihr könnte von Glück sagen, dass Eure Höllenmaschine nicht nur schlechte Nebenwirkungen hatte. Doch jetzt sollten wir schleunigst aufbrechen. Von hier aus ist es ein langer Weg nach Feralas.“

So sah man im Licht der untergehenden Sonne eine höchst eigenwillige Karawane aus vier schweigsamen Nachtelfen und einer schnatternden Gnomin in Richtung eines undeutlichen Punktes am Horizont laufen Es handelte sich dabei um Gadgetzan, die heimliche Hauptstadt der Goblins des Steamweedle Kartells, Heimat unzähliger Verrückter und Erfinder und Schauplatz der spektakulärsten Arenakämpfe, die Azeroth kannte. Kein schlechter Ort um zu leben, aber ein noch besserer um zu sterben.



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