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Magenta II

Zwischen Azeroth und Kalimdor
von

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Schatten und Flamme

Eine Spur grünen Schleims zog sich über das vertrocknete Gras und verlor sich irgendwann zwischen den sterbenden Bäumen. Ein Stück weit entfernt vom Ende der Spur lag etwas auf dem Boden, das entfernt an einen nassen Kartoffelsack erinnerte. Ab und an bewegte sich der Sack und stöhnte. Um ihn herum huschte allerlei seltsames Gelichter durch das Unterholz und bereitete sich auf eine weitere, sehr dunkle Nacht in den Wäldern von Tirisfal vor. Blutsaugende Fledermäuse reckten in Anbetracht der nahenden Dämmerung ihre Flügel und schwangen sich in den rötlichen Abendhimmel. Schwarze Wölfe zogen in Gruppen von zwei oder drei Tieren umher und schnüffelten begierig nach Beute. Langbeinige Spinnen webten ihre Netze, die groß genug waren, um einen Ochsen darin zu fangen und glutäugige Dämonenhunde streiften auf den offenen Feldern herum auf der Suche nach irgendetwas, in das sie ihre messerspitzen Fänge schlagen konnten. Vermutlich würde es nicht allzu lange dauern, bis einer der Jäger die Kreatur entdeckte, die dort am Boden lag und deren einzige Verteidigung in ihrem unglaublichen Gestank bestand.

Plötzlich durchdrang ein Geräusch die hereinbrechende Nacht, die die meisten Kreaturen - mit Ausnahme der Spinnen, die nicht besonders gut hören konnten - aufmerken ließ. Ein Reiter näherte sich der Stelle, an der der Sack zusammengesunken war und wenn man dem Takt des Hufschlags Glauben schenken konnte, hatte er es eilig. Die letzten Strahlen der Sonne glühten über dem Horizont und brachten seine scharlachrote Rüstung mit dem rotweißen Wappenrock zum Erstrahlen. Es wirkte, als wäre der Reiter mitsamt seinem Ross in Blut getaucht worden.

Das Pferd setzte über einen umgestürzten Baumstumpf hinweg und wurde gerade noch rechtzeitig von seinem Reiter gezügelt, bevor seine Hufe den Sack in Grund und Boden stampften. Der Reiter, dessen Gesicht von einem massiven, roten Helm bedeckt wurde, sah ein wenig unschlüssig auf das ungewöhnliche Hindernis hinab. Seine Mission, die ihn durch diese dunklen Wälder geführt hatte, war dringend, allerdings nicht so dringend, dass sie nicht erlaubt hätte, einige Augenblicke zu opfern, um einen weiteren Untoten zur ewigen Ruhe zu betten. Kurzentschlossen ließ er die Zügel fahren, sprang von seinem Reittier und eilte sein Schwert aus der Scheide ziehend auf den Sack zu.

„Stirb untotes Gezücht!“, rief er und holte mit dem mächtigen Breitschwert zu einem Schlag aus, der den Untoten in zwei Hälften teilen würde, als dieser unerwartet die Hand ausstreckte.

„Haltet ein, Mann!“, keuchte der Angegriffene, der sich bei genauerer Betrachtung als Zwerg herausstellte. „Ich bin kein Untoter.“

Unter dem Helm verzog der Mann den Mund zu einem freudlosen Grinsen. „Vielleicht seid Ihr es, vielleicht auch nicht. Ihr riecht auf jeden Fall wie einer und deshalb werde ich sichergehen und Euch von Eurem Leiden erlösen.“

„Beim Bart meiner Großmutter!“, fluchte der Zwerg und erhob sich in eine sitzende Position, wo er leicht schwankend verharrte und den roten Rüstungsträger böse anstarrte. „Ich bin bestimmt nicht durch die Gedärme von Undercity gekrochen, habe mich durch Horden von Untoten geschnetzelt und unter Aufbietung meiner letzten Kräfte hierher geschleppt um mich dann von Euch einfach so abschlachten zu lassen. Unfassbar!“

Sein Gegenüber ließ seine Waffe nicht sinken, führte den angefangenen Schlag jedoch auch nicht zu Ende. „Ihr seid also kein Untoter?“

„Ich bin ein Zwerg.“, entgegnete der Zwerg, als sei dies eine Erklärung. „Ist Euch schon einmal ein untoter Zwerg begegnet?“

Der Mann überlegte einen Augenblick lang. „Eigentlich nicht. Aber die Untoten sind trickreich. Sie lauern überall.“

Für Schakal klang das ein bisschen paranoid. Andererseits: Das hier war Tirisfal, da konnten die Untoten wirklich überall sein. Und vielleicht war es auch nicht unbedingt die beste Idee, einen Streit anzuzetteln, wenn sein Gegner ein Schwert besaß, das fast so groß war wie man selbst.

„Vielleicht hatten wir einen schlechten Start.“, brummte er daher und versuchte einen versöhnlichen Ton an den Tag zu legen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Spitze des Schwertes immer noch auf ihn gerichtet war, streckte er die Hand aus und hielt sie dem Gerüsteten entgegen. „Mein Name ist Schakal. Und wie heißt Ihr?“

Der Rote zögerte sichtlich. „Was tut das zur Sache?“, knurrte er. „Ich will gar nicht wissen, wie Ihr heißt, woher Ihr kommt oder warum Ihr von dieser grässlichen, grünen Schicht überzogen seid.“

„Aye. Dann wird mich meine Geschichte, wie ich die Stadt der Untoten betrat und vor allem das Geheimnis, wo sich der versteckte Zugang dorthin befindet, wohl ins Grab begleiten. Euer Vorgesetzter wäre darüber sicherlich nicht erfreut, sollte das jemals rauskommen.“
 

Die Spitze des Schwertes zitterte kaum wahrnehmbar und Schakal wusste, dass er den Hebel am richtigen Fleck angesetzt hatte. Der Mann dort vor ihm mochte sprechen, als gehöre ihm die Welt, doch die Art und Weise, wie er sich in der schweren Rüstung bewegte, hatten Schakal sofort verraten, dass er diese noch nicht lange trug. Möglicherweise war es noch nicht einmal seine eigene. Leider war allein die vermeintliche Unerfahrenheit seines Gegners noch keine Garantie für den Ausgang dieser Begegnung dar. Die kleinste falsche Geste oder ein unbedachtes Wort konnte ihm immer noch zum Verhängnis werden. Schakal machte sich darüber keine Illusionen, denn der Aufzug des Mannes hatte ihn inzwischen ahnen lassen, mit wem er es zu tun hatte. Wenn dies tatsächlich ein Mitglied des Scharlachroten Kreuzzugs war, hätte Schakal ebenso versuchen können, sich mit einem tollwütigen Hund anzufreunden. Andererseits waren die Aussicht in seinem Zustand eine Nacht ganz allein in den Wäldern von Tirisfal zu verbringen ebenfalls nicht sehr verlockend.

„Aufstehen!“, blaffte der Scharlachrote nach einer Bedenkzeit und verlieh seinem Befehl mit einem Wink seines Schwertes Nachdruck. „Du begleitest mich. Captain Perinne wird wissen, was mit dir zu geschehen hat.“

Schakal seufzte lautlos und rappelte sich auf. Sein untrügliches Gespür für Unangenehmes sagte ihm, dass dies eine lange Nacht werden würde.
 


 

Magenta erwachte früh. So früh, dass man schon so weit gehen konnte, es noch spät zu nennen. Die Sonne war noch lange nicht aufgegangen und um sie herum herrschte die bläuliche Schwärze eines neuen Tages. Lauschend starrte sie in die Dunkelheit ihres Zimmers und hatte fast das Gefühl, dass die Dunkelheit zurückstarrte. Es fiel ihr nur zu leicht sich vorzustellen, wie lange Tentakel aus Finsternis unter dem Bett hervorquollen um nach ihr zu greifen.

Magenta schnitt eine Grimasse und schalt sich selbst eine dumme Pute. Anstatt darüber nachzugrübeln, ob nicht doch irgendetwas Eingebildetes unter ihrem Bett saß, sollte sie sich lieber darüber Gedanken machen, dass etwas höchst Reales sie geweckt hatte. Ein Geräusch, ein Poltern, irgendetwas, das nicht in ihre Traumwelt gehört hatte, so abstrus diese auch wieder gewesen sein mochte. Ein Geräusch, das verhinderte, dass sie sich einfach wieder unter ihre warme Decke verkroch und sich an Abumoahams Seite noch ein paar Stunden Schlaf gönnte. Ein Geräusch, von dem sie herausfinden gedachte, was es gewesen war.

So leise wie möglich schlüpfte die Hexenmeisterin aus dem Bett und in ihre Schuhe. Sie warf einen Umhang über ihr Nachthemd und öffnete dann vorsichtig die knarrende Tür. Mit leisen Schritten schlich sie die Treppe des Gasthauses hinunter und durch die rauchverhangene Gaststube, auf deren Tischen noch die Reste der abendlichen Zechgelage standen. Bald schon würde der Wirt sich ebenfalls aus den Federn schälen um mit der geschäftsmäßigen Freundlichkeit, die jedem dieses Gewerbes im Blut zu liegen schien, ans Werk zu gehen. Doch jetzt war niemand hier, der beobachten konnte, wie die junge Frau mit den unordentlichen, roten Haaren einem Dieb gleich aus der Schenke hinaus in die Dunkelheit glitt.
 

Vor der Tür atmete Magenta tief durch. Die feuchte, salzige Luft kündete vom nahen Meer und wenn man genau hinhörte, meinte man die Wellen an die Pfähle des Kais schlagen hören. Von weitem gesehen konnte man Southshore fast als idyllisch bezeichnen. An der flachen Küste von Hillsbrad gelegen war die kleine Stadt ein wichtiger Umschlagplatz für allerlei Handelsgüter. Die Früchte der umliegenden Felder und Erze aus den Minen verließen den kleinen Hafen in Richtung der großen Hauptstädte und brachten auf ihrem Rückweg Tuch, Waffen und Getreide für die hiesige Bevölkerung mit. Die Flüsse dieser Gegend wimmelten nur so von Schildkröten, deren Fleisch zu einer der Delikatessen gehörte, die ein wahrer Gourmet probiert haben sollte.

Doch nicht alles in Southshore war friedlich und nicht wenige Gefahren lauerten außerhalb der Stadtgrenze, die bei Tag und Nacht von zahlreichen tapferen Männern und Frauen bewacht wurde. Eine dieser Gefahren schien sich allerdings nicht an die „Ich muss leider draußen bleiben“ -Schilder gehalten zu haben und rumorte jetzt in einem der nahen Ställe herum. Magenta konnte die Pferde, ein weiteres von Southshores bekannten Handelsgütern, laut wiehern und schnauben hören. Mit Eisen beschlagene Hufe knallten unablässig gegen die hölzernen Verschläge und zeugten von der Panik der Tiere. Es hörte sich an, als würden sie jeden Moment die Wände einreißen.

Magenta zögerte. Sie wusste, dass sie nicht unbedingt die beruhigendste Wirkung auf Pferde hatte, ein Gefühl, das durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Noch dazu hatte sie wenig Lust unter den Hufen einer durchgedrehten Pferdeherde zu Tode getrampelt zu werden. Aber wenn sie weiter hier draußen im feuchten Gras herumstand, würde sie nicht nur einen Schnupfen bekommen, sondern außerdem an Neugier sterben. Sie musste einfach nachsehen, was da drinnen los war, bevor eine der Wachen ihr zuvorkam, deren Fackeln der Patrouille sie schon am anderen Ende der Hauptstraße erkennen konnte. Mit einem letzten sichernden Blick stahl sich die Hexenmeisterin durch die Stalltür und legte den Riegel von innen vor.
 

Warme, nach Pferd riechende Luft umfing sie und nahm ihr für einen Moment den Atem. Gleichzeitig drückte eine unheimliche Stille auf ihre Ohren. War hier drinnen eben noch die Hölle los gewesen, so war diese jetzt einer beunruhigenden Abwesenheit jeglicher Geräusche gewichen. Ohne lang zu zögern - denn sie befürchtete, es sich dann wieder anders zu überlegen - trat Magenta an die nächste Box, griff nach dem Riegel und öffnete das Gatter. Der Geruch nach Pferdeschweiß und Urin wurde beißender, doch wo sie einen warmen Körper mit zuckenden Ohren und weit aufgerissenen Augen erwartet hatte, klaffte einen gähnende Lücke. Mit einem Stirnrunzeln tappte Magenta durch die Dunkelheit zur nächsten Verschlag. Auch hier wiederholte sich das gleiche Schauspiel. Alles deutete auf ein Tier hin, das hier stehen und Heu fressen oder im Stehen schlafen sollte, doch keines von ihnen befand sich an dem dafür vorgesehenen Platz. Der Stall war wie ausgestorben.

Magenta spürte, wie ihr eine Gänsehaut über die Arme den Rücken hinunter lief. Sie hatten Darren, den Stallburschen über Berglöwen reden hören und gesehen, wie er einige Abenteurer für die Tötung der „teuren Bedrohung“, wie er sie nannte, bezahlt hatte. Konnte eines dieser Tiere in den Stall eingedrungen und die Pferde gerissen haben? Aber wenn das so war, wo waren dann die Kadaver? Um eine Anzahl Pferde dieser Größenordnung zu vertilgen, war schon ein ganzes Rudel wilder Löwen nötig.
 

Ein Geräusch ließ Magenta herumfahren. Irgendwo dort vor ihr in der Dunkelheit hatte sich etwas bewegt. Wider besseres Wissens, das ihr zurief, sie solle schleunigst die Beine in die Hand nehmen, tastete Magenta in der Dunkelheit nach dem Fackelhalter, der sich irgendwo in der Nähe der Tür befinden musste. Ihre feuchten Finger fanden die Fackel und irgendwie brachte sie es zustande, den mit Tran getränkten Stoff zu entzünden. Langsam hob die Hexenmeisterin die trübe Funzel und in ihrem flackernden Licht entfaltete sich ein Bild des Grauens: Der Stall war leer. Vollkommen leer.

Magenta wusste nicht, was sie erwartet hatte. Vermutlich, dass überall Blut von den Wänden tropfte und sich in einem zähen Rinnsal über den Boden ergoss. Doch was sich als Ausgeburt ihrer Phantasie entpuppte, war nicht im Mindesten beruhigender als die Realität. Wo waren die Pferde? Und wenn sie weg waren, was hatte sich dann in der Finsternis bewegt?
 

Die Hexenmeisterin hielt die Fackel höher, um besser sehen zu können und erstarrte. Im schwankenden Lichtschein saß eine alptraumhafte Kreatur nur wenige Meter vor ihr und starrte sie aus weißen, pupillenlosen Augen an. Schwarzweiße Rückenstacheln richteten sich drohend auf und ein tiefes, gutturales Knurren entwich durch die Reihen von messerscharfen Zähnen, während das Wesen seine Krallen in den von Streu bedeckten Boden bohrte. Alles an dem Teufelsjäger war bereit, sich auf die Hexenmeisterin zu stürzen. Das Einzige, das ihn daran hinderte, war der dicke, aufgedunsene Bauch, der wie ein Kartoffelsack über die Erde schleifte und jegliche Bewegung des sonst so agilen Jägers in ein schwerfälliges Tapsen verwandelte. Er wuchtete die Wampe einige Zentimeter nach vorne und sank dann erschöpft zu Boden. Die magiesaugenden Tentakel, die in seinem Nacken entsprangen, versuchten noch in Magentas Richtung zu kriechen, doch dann lagen auch sie wie vertrocknete Regenwürmer im Staub. Die Zunge aus dem Maul hängend japste die Höllenkreatur nach Luft und fiepte jämmerlich.

Magenta, die schon einen Augenblick lang geglaubt hatte, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen, wagte endlich wieder zu atmen. Sie trat vorsichtshalber einen Schritt zurück und betrachtete den aufgedunsenen Dämon genauer. So bewegungslos, wie er jetzt war, wirkte er gar nicht mehr so gefährlich und sein bettelndes Winseln ließ fast so etwas wie Mitleid in Magenta aufsteigen.

„Naja zumindest wissen wir jetzt, wo die Pferde geblieben sind.“, murmelte sie. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“

Der Teufelsjäger winselte erneute und tat etwas, dass Magenta nicht erwartet hatte: Er wedelte mit dem Schwanz. Die weißen Augen schienen Magenta förmlich zu durchbohren und sie bildete sich ein, so etwas wie eine Bitte darin zu lesen.

„Oh nein, mein Lieber.“, schnaubte die Hexenmeisterin und hätte beinahe laut aufgelacht. „Du hast versucht mich zu fressen. Du hast versucht meine Freunde zu fressen. Und jetzt, wo du einen gesamten Pferdestall samt Hufeisen verschlungen hast, kommst du an und erwartest, dass ich dich hinter den … äh Tentakeln kraule? Kommt überhaupt nicht in Frage.“
 

Während die Magenta noch überlegte, was sie jetzt mit dem Teufelsjäger anstellen sollte, erinnerten gedämpfte Stimmen vor der Tür des Stalls sie daran, dass sie nicht die Einzige war, die zu dieser frühen Stunde auf den Beinen war. Die Wachen hatten das Gebäude erreicht und den Lauten zufolge, die durch die hölzerne Wand drangen, waren sie im Begriff den Stall zu betreten. Und dort würden sie auf eine Hexenmeisterin in Begleitung eines Dämons treffen, der ihren gesamten Pferdebestand verschlungen hatte. Keine besonders reizvolle Vorstellung, wie Magenta befand. Sie musste schleunigst etwas unternehmen. Mit einem gemurmelten Fluch holte sie einen Gegenstand unter ihrem Umhang hervor und warf einen letzten, misstrauischen Blick auf den vollgefressenen Teufelsjäger.

„Hoffen wir mal, dass das funktioniert.“
 

Ein schwach beleuchtetes Rechteck öffnete sich in der nahezu vollkommenen Finsternis und dumpfe Wärme schlug den beiden Wachen entgegen. Es war eine willkommene Abwechslung der sonst recht kühlen Nacht, doch die Aussicht, in dieser schwitzenden Dunkelheit nach einer verdächtigen Geräuschquelle suchen zu müssen, dämpfte den Enthusiasmus der beiden deutlich.

„Geh du zuerst.“, sagte der ältere der beiden Wachen und deutete mit der Fackel auf die pechschwarze Öffnung in der Stallwand. „Ich werde hier draußen nach Spuren eines Einbruchs suchen.“

Der jüngere der beiden war sichtlich nicht begeistert von dieser Vorstellung, doch er getraute sich nicht, sich dem Befehl zu widersetzen. Mit einem finsteren Blick zog er sein Schwert und wagte sich hinein in die Schatten.

Das Gefühl der Wärme wurde stärker, als die Stallwände den rauen Seewind abfingen und ihn in windstille Lautlosigkeit tauchten. Vorsichtig mit dem Füßen nach Hindernissen suchend tastete er sich weiter nach vorne. Er stieß mit dem Knie gegen etwas und mit lautem Scheppern rollte einer der Futtereimer davon. Schweiß auf der Stirn stand der Soldat in der Dunkelheit und wartete darauf, dass das Echo des Geräusches zusammen mit dem verräterischen Klopfen seines Herzens verklang. Doch mit dem Abebben des Lärms mischte sich etwas Neues in die schwülwarme Schwärze. Etwas Süßes, wie der Duft von faulendem Fleisch, und ein Gefühl entspannter Gleichgültigkeit, das sich wie klebriger Honig auf seine angespannten Sinne legte. Ein paar magischer, blau glühender Augen tauchte vor seinem Gesicht auf und zog ihn in einen hypnotischen Bann.

„Du konntest wohl nicht widerstehen, was?“, hauchte eine rauchige Stimme ganz dich an seinem Ohr, bevor die bewusste Welt aus seiner Wahrnehmung verschwand.
 

Wenige Augenblicke später öffnete sich die Stalltür erneut und Magenta kam herein. Ihre Haare waren noch zerzauster und in ihrer Hand hielt sie eine Schaufel, die normalerweise zum Ausmisten der Pferdeboxen diente. Ihr Blick fiel auf den bewusstlosen Wachmann am Boden; den zweiten, den sie innerhalb von wenigen Augenblicken sah. Der erste schlummerte mit einer ziemlich großen Beule an seiner Stirn auf der Rückseite des Stalls unter einer alten Pferdedecke vor neugierigen Augen verborgen.

„Ich hoffe stark, dass er nicht tot ist.“, schnaufte sie und strich sich die widerspenstigen Strähnen aus der Stirn.

„Ich tat genau, was Ihr mir befohlen habt, Meisterin.“, antwortete Fierneth und stemmte kokett ihre Hand in die Hüfte. „Auch wenn etwas anderes mehr Spaß gemacht hätte.“

„Ja ja.“, murmelte Magenta und dachte lieber nicht darüber nach, was eine Sukkubus unter Spaß verstand. Ohne ein Abschiedswort entließ sie den weiblichen Dämon, der mit einem Schmollen wieder im wirbelnden Nether verschwand. Eine Beschwörungsformel später stand an ihrer Statt ein blaues, nebelhaftes Ungetüm vor der Hexenmeisterin, dass sie aus brennenden Augen ansah.

„Ich wünsche, dass du…“, begann Magenta und stockte dann. Sie warf einen Blick an ihrem Leerwandler vorbei auf den hölzernen Futtertrog, unter dem sie den Teufelsjäger kurzerhand verborgen hatte. Die Beine, der Schwanz und vor allem der Bauch des Dämons blickten noch darunter hervor und gaben ihm den Anblick einer sehr bizarren Schildkröte ohne Kopf. „Sorg dafür, dass der da mir folgt.“

Jhazdok starrte sie weiterhin nur wortlos an und dem rudimentären Gesicht war nicht zu entnehmen, ob der Dämon sie verstanden oder auch nur zu gehört hatte. Als Magenta sich jedoch langsam zum Ausgang des Stalls bewegte, kam Leben in die große, blaue Wolke und ein schmerzerfülltes Jaulen später folgte die eigenartige Dämonenschildkröte Magenta mit mühsamen, tapsigen Schritten.
 

Die Hexenmeisterin schob die Stalltür einen Spalt weit und spähte hinaus. Am fernen Horizont begann sich der herannahende Morgen abzuzeichnen und in das Schwarz und Blau des Nachthimmels mischte sich bereits ein sanfter, roter Schimmer. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihren Fang in Sicherheit bringen wollte. So schnell es die wackeligen Schritte des Teufelsjägers erlaubten, brachte Magenta die Bestie zu einem kleinen Gebäude, das ein wenig außerhalb der normalen Häuserreihe stand. Eigentlich war es weniger ein Gebäude denn ein geräumiger Bretterverschlag. Allerdings ein Bretterverschlag mit sehr stabilen Wänden.

Magenta öffnete die Tür.

„Hinein“, befahl sie und folgsam schwebte Jhazdok in die Bretterbude.

„Nein, nicht du!“, stöhnte die Hexenmeisterin und stellte wieder einmal fest, dass Jhazdok dazu neigte, ihre Befehle ein wenig zu wörtlich zu nehmen. Es war seine Art ihr zu zeigen, dass er sie nicht mochte. Zumindest vermutete Magenta das. „Bring ihn dazu, dort reinzugehen.“

Der Leerwandler warf ergeben die Arme in die Luft und richtete sie gegen den Trog. Ein Knurren antwortete dem Leidenszauber und Magenta musste feststellen, dass sich die Rundung des Bauches, der unter der Holzkante hervorlugte schon beträchtlich verringert hatte. Der Stoffwechsel des Jägers schien schnell zu arbeiten und wenn man die Mengen betrachtete, die er verschlungen hatte, konnte das Ergebnis nicht lange auf sich warten lassen.

Entschlossen packte Magenta daher mit beiden Händen zu und schob den Teufelsjäger mitsamt seinem Trog durch die Türöffnung. Bevor er noch reagieren konnte, hatte sie den Verschlag bereits wieder hinter ihm geschlossen und den Riegel vorgelegt. Aufatmend lehnte sie sich gegen die Tür mit dem kleinen, eingeschnitzten Herzchen. Jetzt musste sie nur noch dafür Sorge tragen, dass niemand die Tür wieder öffnete. Ob es helfen würde, wenn sie ein „Besetzt“-Schild an der Außenseite anbrachte? Was aber, wenn der Besucher, der mit einem Bedürfnis hierher kam, nicht lesen konnte. Oder schlichtweg…
 

Ein Geräusch von der Innenseite unterbrach Magentas Überlegungen. Es klang fürchterlich, war jedoch nichts im Vergleich zu dem Gestank, der kurz darauf unter der Tür hervor waberte und das Gras um den Verschlag herum gelb werden ließ. Magenta verzog das Gesicht. Es würde anscheinend nicht nötig sein, irgendjemanden von diesem Abort fortzuhalten. Der beißende Gestank, der ihren Magen rebellieren ließ, würde die beste aller Abschreckungen darstellen, dessen war sich die Hexenmeisterin zu hundert Prozent sicher. Nun musste sie nur noch überlegen, wie sie den anderen ihre neueste Errungenschaft in Sachen dämonischer Begleiter vorstellen wollte. Eine Aufgabe, die sich als schwierig erweisen sollte, als Magenta angenommen hatte.
 


 

Dösend sah Schakal auf die grob behauene Bretterwand, die sich im Takt des Fuhrwerks auf und ab bewegte und seit geraumer Zeit seine einzige Aussicht darstellte. Eigentlich hätte er sich darüber aufregen sollen, dass er hier in diesem dunklen Verschlag eingesperrt zu sein, doch im Moment empfand er alles, was seine Füße vom Laufen abhielt, als angenehm. Die Sonne musste inzwischen hoch am Himmel stehen, doch in Tirisfal bedeutete dies lediglich, dass der Himmel ein ein wenig helleres Graus annahm. Ansonsten war alles noch wie in der Nacht, in der Schakal von dem Scharlachroten Ritter durch ganz Tirisfal getrieben worden war.

Sie hatten zunächst einen schäbigen Wachturm besucht, doch der dort ansässige Wachhabende, Captain Perinne, hatte nicht entscheiden wollen, was mit Schakal geschah. Er hatte sie weiter geschickt zu einem dienstälteren Offizier, einem gewissen Captain Vachon. Nachdem sie nach einem mehrstündigen Gewaltmarsch an der verfallenen Festung angekommen waren, von welcher aus dieser die Truppen des Kreuzzugs befehligte, hatte der Mann zwar dem ersten Teil von Schakals Geschichte gelauscht, dann jedoch entschieden, dass dies einem weiteren Befehlshaber des Scharlachrote Kreuzzugs, Captain Melrache, vorgetragen werden musste. Es hatte bis zum Morgengrauen gedauert, bis Schakal und der Reiter endlich an dem rauen Küstenstreifen angekommen waren, auf dessen äußerster Landzunge sich der nördlichste Außenposten des Scharlachroten Kreuzzugs befand. In diesem entlegenen Winkel, den er mehr taumelnd denn gehend erreicht hatte, hatte Schakal schließlich seine Geschichte zum ersten Mal zu Ende erzählen können.

Captain Melrache, ein dunkelhäutiger Mann mit einer gewaltigen Glatze und einem noch gewaltigeren Schnurrbart, hatte Schakal zugehört und, als der Schurke geendet hatte, den Wachen gewinkt, die bereits am Ausgang des Raumes Stellung bezogen hatten.

„Fesselt ihn und schickt ihn dann in die Kathedrale. Wenn dieser Zwerg die Wahrheit spricht, muss Kommandant Morgraine davon erfahren. Und wenn nicht…“
 

Das Ende des Satzes war von einem gewaltigen Faustschlag verschlungen worden, der Schakal in den schwarzen Abgrund einer Bewusstlosigkeit geschickt hatte. Erwacht war er schließlich im Inneren einer großen Holzkiste, die offensichtlich sonst dazu diente, Vieh zu transportieren. Am Boden des schmutzigen Behelfsgefängnisses klebten noch Reste feuchten Strohs und ein undefinierbarerer Geruch nach Tierexkrementen mischte sich mit dem restlichen Aroma, das Schakal anhaftete und von dem der Zwerg argwöhnte, dass es bald eine eigene Persönlichkeit entwickeln würde, wenn er nicht bald Gelegenheit bekam sich zu säubern.
 

An der Neigung der Kiste erkannte Schakal, dass sich das Fuhrwerk bergauf bewegte. Durch die Ritzen der grob behauenen Holzlatten sickerte graues Tageslicht und als Schakal durch eine von ihnen hindurch spähte, konnte er am Wegesrand mehrere Wachen in roten Rüstungen erkennen. Keiner von ihnen verzog eine Mine, als der Wagen mit dem Gefangenen vorbeirollte. Mit stoischen Gesichtzügen bildete sich aus den patrouillierenden Wachen eine Art Leibgarde, die sich genau in dem Moment formiert am Eingang zur Kathedrale einfand, als das Fuhrwerk zum Stehen kam.

Die Kiste wurde geöffnet und trotz dem vorherrschenden Dämmerlichts musste Schakal blinzeln, als ungewohnt viel der trüben Helligkeit ins Innere der Kiste strömte. Grobe, mit eisernen Handschuhen versehene Hände griffen nach seinen Armen und zerrten ihn auf die Füße. Er schaffte es aufrecht stehen zu bleiben, obwohl seine Beine vehement gegen diese erneute Anstrengung protestierten. Schakal wollte sich allerdings nicht die Blöße geben, inmitten dieser roten Bastarde auf die Knie zu fallen.

Sein Blick irrte an den Mauern des Klosters empor und für einen kurzen Augenblick erahnte er, was für ein freundlicher Ort der Ruhe und Besinnlichkeit dies einst gewesen sein musste. Ein Kloster, dessen Türen jedem Fremden und Bittsteller offen stand, in dessen Gärten Medizin gegen allerlei Gebrechen wuchs, dessen Bibliotheken angefüllt waren mit Unmengen von Wissen und dessen Mönche sich darauf verstanden ein - für Menschenmaßstäbe - prächtiges Bier zu brauen.

Doch das war vor der Seuche gewesen.

Jetzt wehte an den Zinnen und Türmen der Gebäude das Banner des Kreuzzugs, ein blutrotes Schwert und ein ebensolches L auf weißem Grund; das Zeichen der Überlebenden Lordaerons.
 

Immer noch schweigend führte ein kleiner Trupp scharlachroter Soldaten Schakal einen düsteren Aufgang empor, der mit vielarmigen, tropfenden Kerzenleuchtern ausgestattet war. Am Ende der breiten Treppe angelangt, betraten sie eine Vorhalle, in der im Gegensatz zu dem erleuchteten Gang ein eigenartiges Halbdunkel herrschte. Vor sämtlichen Türen und Torbögen standen mindestens zwei Wachen und auf den Gängen zwischen den breiten Säulen liefen weitere Patrouillen auf und ab. Das Kloster wirkte auch hier viel eher wie eine Festung, denn wie eine Stätte des Glaubens.
 

An einem Torbogen angekommen, hinter dem ein düsterer Gang hinab in eine der Katakomben des Klosters führte, trat der Soldat, der rechts von Schakal stand, vor und salutierte vor der an dem Durchgang stehenden Wache.

„Ich bringe den Gefangenen.“

„Ich werde ihn melden.“

Kurze Zeit später kehrte die Wache mit einem weiteren Mann zurück, der Schakal schon beim ersten Anblick unangenehm war. Noch unangenehmer als der Rest seiner scharlachroten Gesellschaft. Der Mann trug neben der üblichen, roten Kettentracht eine blutfarbende Kapuze über dem Kopf, die seine Augen beschattete, nicht jedoch das sadistische Grinsen verdeckte, das sein Gesicht nahezu in zwei Hälften teilte.

„Sieh an.“, sagte er und seien näselnde Stimme klang unangenehm hoch in Schakals Ohren. „Wir haben also einen neuen Besucher. Was für interessante Geschichten er uns doch zu erzählen haben wird.“

Der Mann, der vorhin vorgetreten war, räusperte sich. „Lord Vishas? Der Gefangene ist geständig.“

Das Grinsen unter der Kapuze verlor einen Augenblick lang seinen Glanz.

„Geständig?“ Es war unüberhörbar, dass Schakals Gegenüber enttäuscht war. „Ich kenne diesen untoten Abschaum besser als jeder von Euch. Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, all ihre kleinen, schmutzigen Geheimnisse zu ergründen. Haben Methoden entwickelt, selbst ihnen, die nichts mehr empfinden, Schmerzen zuzufügen. Methoden, die ihre verwesenden Zungen lockern und sie blutige Tränen weinen zu lassen. Und jetzt bringt ihr mir einen von ihnen und behauptet, er sei GESTÄNDIG?“

Der Soldat hob abwehrend die Hände. „Es lag mir fern, Eure Arbeit in Frage zu stellen.“

„Das wäre auch eine Art von Subordination, die ich nicht dulden könnte.“, zischte Vishas und musterte den Mann genauer. „Andererseits müsste ich auf die Idee kommen, auch dir ein paar Fragen zu stellen. Wie war noch gleich dein Name?“

Der Soldat nahm Haltung an. „Mahegan, Sir.“

„Mahegan, eh? Warst du nicht derjenige, der den Zwerg hierher brachte? “

„Ja, Sir. Ich habe ihn in der Nähe der Ruinen von Lordaeron-Stadt gefunden.“

Nun endlich wusste Schakal, warum ihm die Stimme des Mannes so seltsam bekannt vorgekommen war. Ohne den Helm, der seine Stimme dämpfte, dafür mit kurzrasierten blonden Haaren und einem sorgfältig gestutzten Bart, wirkte der Scharlachrote jünger und eine Spur freundlicher. Aber vielleicht lag das auch nur an den neu gewonnenen Vergleichsmöglichkeiten.

„Ich werde mir dein Gesicht merken.“, lächelte Vishas mit dem Charme einer giftigen Viper. „Und jetzt schafft den Zwerg nach unten. Ich habe da ein paar sehr interessante, neue Gerätschaften entwickelt, die ich an ihm ausprobieren möchte.“
 

Ein grober Tritt beförderte Schakal den halben Weg der Treppe hinunter, den Rest der Stufen legte er halb stolpernd, halb kriechend zurück, während der Kapuzenmann ihm auf den Fersen folgte. Am Fuß der Treppe wurde Schakal von einer schwülen Wärme empfangen, die durchzogen war von dem Geruch nach Eisen, Blut und Schmerzen.

Ein düsterer Raum von den Ausmaßen einer geräumigen Taverne wurde nur schwach vom Schein einer großen Esse erhellt. Zwischen den glühenden Kohlen steckten eiserne Stäbe verschiedener Größe, doch der fehlende Amboss sagte Schakal, dass sie nicht dazu erhitzt worden waren, um etwas aus ihnen zu schmieden. Es gab Stühle, durch deren Sitzfläche Nägel getrieben worden waren, Klemmen, Zangen und Daumenschrauben. Eiserne Käfige hingen an den Wänden und auf einem der Tische war eine skelettartige Gestalt festgekettet. Erst als einer der Folterknechte an den Tische trat, um die dort angebrachten Streckschellen anzuziehen, kam für kurze Zeit Leben in den zerfallenden Körper. Die Gestalt stöhnte und ein unmenschlicher Laut drang aus ihrer Kehle, bevor sie den Kopf in die Richtung des Meisters der Folterkammer drehte.

“Vishas.“, hustete sie. „Du bist mehr Monster, als ich es je war. Mein Leben…“

„Dein Unleben wird noch sehr viel unangenehmer werden.“, beendete Lord Vishas den Satz und lachte. „Doch vielleicht wird auch dir bald Erlösung zuteil werden, Abschaum. Unser neuer Gast scheint viel versprechend zu sein. Er wird uns alle euren dunklen Geheimnisse erzählen.“

„Niemals wird einer von uns die Dunkle Lady verraten.“ Die Augen des Untoten glommen voller Hass auf. „Der Scharlachrote Kreuzzug wird untergehen.“

„Das du es wagst, unseren Namen zu besudeln, indem du ihn aussprichst.“, zischte Vishas und trat an den Tisch.“ Die Welt wird von den Untoten geläutert werden. Sie werden brennen im rechtschaffenen Feuer unseres Zorn. Denn das Licht leitet uns. Es schenkt uns Stärke diejenigen zu schützen, die den wahren Glauben haben und diejenigen zu vernichten, die sich gegen uns entgegenstellen. Für das Licht! Für Lordaeron! Für immer!“

„Für immer!“, echoten die anwesenden Scharlachroten und streckten, was immer sie grad in den Händen hielten zum Schwertgruß in die Luft.
 

In die danach eintretende Stille drang das leise Geräusch von applaudierenden Händen. Der Klang war gedämpft durch ein paar lange, rote Handschuhe, die sich bis zu den Oberarmen einer Frau zogen, die unbemerkt den Raum betreten hatte. Sie war, wie alle hier, in scharlachrot gekleidet. Weiche Stoffstiefel bedeckten ihre Beine bis zu den Schenkeln und eine reich bestickte Tunika, die den Rest ihres Körpers verhüllte, ließ dem männlichen Verstand gerade genug Spielraum, um sich Dinge auszumalen, die sich darunter verbergen mochten. Ihre Haut war hell, beinahe durchscheinend und ihr weißes Haar fiel unter einer Kopfbedeckung aus rotem Samt wie frisch gefallener Schnee auf ihre Schultern herab. Sie wirkte wie von einem inneren Feuer erfüllt, dessen Licht alle im Raum auf die Knie sinken ließ. Alle bis auf Schakal, der sich mit einem Mal in der für einen Zwerg ungewöhnlichen Lage sah, größer zu sein als alle anderen um ihn herum.

„Zwerg.“, sagte die Frau und der Klang ihrer Stimme war süß wie Honig. Es war Schakal unmöglich, den Blick von der Lichtgestalt abzuwenden oder auch nur zu zwinkern. Auf ihren blutroten Lippen lag ein nachsichtiges Lächeln, während sie auf ihn zukam und sich zum ihm herab beugte, wie eine Mutter es zu einem unartigen Kind tat. Ihr Atem streifte sein Ohr und er erschauerte, als sie ihm zuflüsterte: „Ich habe gehört, du hast Kunde von denen, die der Dunkelheit folgen. Zögere nicht, dein Gewissen zu erleichtern von all dem Schmutz, den Lügen und der Sünde. Gib dich dem reinigenden Feuer des Glaubens hin.“

Schakal spürte, wie unter dem Dreck, dem getrockneten Schleim und dem Bart eine Röte sein Gesicht überzog, das normalerweise nur unerfahrenen Jünglingen gut stand. Er schüttelte den Kopf ein wenig und brummte dann: „Also eigentlich würde ich dann doch lieber ein Bad nehmen, wenn es Recht ist.“

Für einen Moment lang sah ihn die Frau erstaunt an, dann trat wieder das Lächeln in ihr Gesicht. Jetzt jedoch kam Schakal nicht umhin den grausamen Zug um ihren rotbemalten Mund zu bemerken. Schakals Erfahrung mit Frauen beschränkten sich zwar auf einige wenige amouröse Abenteuer, doch eines war ihm sofort klar: Dies war keine Lady, der man zu einem Rendez-vous Blumen mitbrachte. Dieser Lady servierte man die Köpfe ihrer Feinde auf einem Silbertablett.

„Er soll bekommen, wonach er verlangt.“, befahl sie und richtete sich wieder auf. „Vishas, Ihr werdet das Nötige veranlassen!“

„Aber Sally…“ Der Foltermeister schien für einen Augenblick alles vergessen zu haben. „Ich meine, Lady Whitemane, er ist Dreck. Untoter Abschaum. Ein Nichts. Er muss verhört werden.“

Die Frau lächelte immer noch und Schakals Eindruck, dass sie vielleicht noch viel gefährlicher sein konnte als alles, was diese Folterkammer zu bieten hatte, verstärkte sich. „Wir werden ihn verhören, James, doch du weißt, was geschrieben steht. Das Licht wird sich denen gegenüber gnädig erweisen, die wahre Reue zeigen.“

Lord Vishas nickte und senkte ehrerbietig den Kopf. „Wie Ihr wünscht, Mylady. Ich werde ihn zu Euch bringen lassen, sobald er gewaschen wurde.“

„Gut. Ich erwarte Euch in einer Stunde im Kapellengarten.“

Momente später war die Dame verschwunden und mit ihr schien ein Teil des Lichtes den Raum verlassen zu haben. Vishas blickte auf Schakal herab und grinste. „Wenn ich du wäre, würde ich mir wünschen, du wärest hier geblieben.“

Sein hohes Lachen klang in Schakals Ohren nach, während ihn zwei der Folterknechte nach draußen schleppten, wo ein großer Bottich mit sehr, sehr kaltem Wasser auf ihn wartete.
 


 

„Wie KONNTEST du nur?“ Risingsun schäumte und bot dabei ein recht beeindruckendes Bild rechtschaffenen Zorns. Ihr Gegenüber zuckte zusammen, als die Faust mit dem goldenen Plattenhandschuh auf die Tischplatte knallte, und sank mit jedem ihrer folgenden Worte tiefer in sich zusammen.

„Mir ist noch NIE so viel Unvernunft begegnet. Wenn es wenigstens nur dich allein treffen würde, wäre ich vielleicht geneigt so etwas einfach zu ignorieren, aber DEINE Eskapaden auf UNSERE Kosten auszuleben, schlägt doch dem Fass den Boden aus,“

Abumoaham, der die Szene mit besorgtem Gesicht beobachtete, versuchte seine Hand auf Risingsuns Arm zu legen, doch die erboste Paladina unterband dieses Vorhaben mit einem funkelnden Blick, der jeden noch so hartgesottenen Mann erbleichen lassen würde.

„Und DU bist auch nicht viel besser.“, fauchte sie. „Magentas schlechte Angewohnheiten haben schon auf dich abgefärbt. Verschließe nur deine Augen vor jedem offenkundigen Übel. Mir reicht es jetzt. Diese Angelegenheit ist besser aus dem Weg geschafft, wenn ich von meiner Unterredung mit dem Magistrat zurückkehre.“

Magenta wollte noch etwas einwenden, aber Risingsun hatte schon nach ihrem Helm gegriffen und war aus dem Zimmer marschiert. Mit einem gewaltigen Krach schlug die Tür hinter ihr ins Schloss.

Ein neuerliches Stöhnen von einem Ort kurz unterhalb der Tischkante war die Folge.

„Wie kann man nur so grausam sein? Mein armer Kopf.“
 

Halb amüsiert, halb besorgt blickte Abumoaham auf den leidenden Bladewarrior hinab. Der junge Krieger bot ebenfalls ein eindrucksvolles Bild; zumindest wenn es darum ging die Folgen ausschweifenden Alkoholkonsums darzustellen. Mit halbgeschlossenen, dunkel umrandeten Augen klammerte er sich an die Tischplatte, als fürchte er, dass sie jeden Moment davon treiben könnte.

„Ich werde einmal sehen, was ich kann tun gegen deine Katzenjammer.“, bot der Magier hilfreich an. „Vielleicht ich haben irgendwo noch ein paar getrocknete Froschpillen.“

Bladewarrior gab einen erstickten Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Rülpsen und einem Schluckauf lag. Dann riss er plötzlich die Augen auf, stieß den Tisch beiseite und stürzte mit grünlich anmutendem Gesicht aus der Tür.

„Du bist gemein.“, empörte sich Magenta und rang mit einem Grinsen. Um etwas zu tun, trat sie ans Fenster und öffnete es. Hier drinnen herrschte nicht ur metaphorisch gesehen schlechte Luft.

„Warum gemein?“, lachte Abumoaham, trat hinter Magenta und legte die Arme um ihre Hüfte. „Während unser junger Freund sich lässt seine Genüsse des gestrigen Abends noch einmal gründlich durch den Kopf gehen, ich werden gehen zum Wirt und bezahlen seine Zeche. So sein ihm geholfen, Risingsun besänftigt und wir endlich können aufbrechen um wiederzubeschaffen diese alten Folianten, die zu holen ihn geschickt hat Meister Dibbs. Es wirklich erstaunlich sein, dass ausgerechnet Bladewarrior hat eine solche Leidenschaft für Bücher.“

Abumoaham schwieg und zog Magenta fester in seine Arme. Sie spürte, dass er lautlos lachte.

„Was ist?“

„Ach, ich nur gerade dachte daran, dass Bladewarrior neigt ganz offensichtlich dazu, zu entwickeln Leidenschaften für Dinge, die er nicht kann haben. Bücher, Schwerter… Risingsun.“

„Wie bitte?“ Magenta machte sich aus seinem Griff los und sah den Magier erstaunt an. „Du meinst er...“

„Oh das doch sein offensichtlich. Wer wäre wohl sonst so gute Märchenprinzessin in seiner Vorstellung.“

„Märchenprinzessin?“ Magenta schnaubte abfällig. „Das wäre in meinen Augen ungefähr so, als würde man die Jungfrau erschlagen um dann mit dem Drachen auszugehen. Nein halt, das wäre, als hätte man Prinzessin und Drachen in einer Person.“

„Dasselbe man könnte sagen auch über dich.“

Magentas Gesichtsausdruck warnte den Magier, dass er kurz davor war zu weit zu gehen. Er setzte ein einlenkendes Lächeln auf. „Aber du doch wissen, dass ich dich nicht würde hergeben um Nichts in Welt.“

„Ja, das weiß ich.“, murmelte Magenta und ließ sich erneut von Abumoaham in eine Umarmung ziehen. Es dauerte ungefähr drei Sekunden, bis ihr etwas einfiel.

„Oh verdammt.“, fluchte sie nicht besonders kreativ. „Der Abort. Blade. Ich muss los.“

„Wohin du wollen?“

„Ich…äh.“ Magenta geriet in Ermangelung einer Erklärung ins Stocken. „Ja weißt du, ich muss mal. Ganz dringend. Wohin. Bis gleich.“

Damit ließ sie den völlig verwirrten Magier stehen und eilte die Treppen hinunter. Sie stolperte fast über eine Wache in den Farben Stormwinds, entschuldigte sich hastig und stürzte nach draußen. Auf der Rückseite des Gebäudes fand sie nicht das, was sie erwartet hatte. Aber auch nicht das, was sie befürchtet hatte.
 

Vor den Trümmern eines völlig zerstörten „Stillen Örtchens“ stand ein recht blasser Bladewarrior und ein ziemlich roter Wirt, der schimpfend und keifend auf ihn einredete.

„…werdet Ihr mir ebenfalls bezahlen. Erst die Zeche prellen und dann die sanitären Einrichtungen demolieren. Jeder Troll hätte mehr Manieren als Ihr.“

„Aber ich habe doch gar nichts…“, begann Bladewarrior und gewann noch einen neuen Grad von Blässe. Fast befürchtete Magenta, dass er sich erneut ‚erleichtern’ müsste, als ihr bewusst wurde, dass sein Blick sich auf einen Punkt hinter ihr richtete. Es war nicht schwer zu erraten, wer dort stand.

„Ich fasse es nicht.“, murmelte Risingsun. Ihr Zorn war anscheinend gleichgültiger Resignation gewichen. „Mir sind ja schon einige hemmungslose Säufer begegnet, aber das hier übersteigt wirklich alle Grenzen dessen, was ich mir habe vorstellen können.“

Der Wirt, der weniger die metaphorische, denn die praktische Seite des Vorfalls sah, tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.

„Also, wer bezahlt nun den Schaden? Und die Zeche?“

„Das ich übernehmen werde.“ Abumoaham war inzwischen ebenfalls hinter das Gasthaus getreten und betrachtete den Schaden fachmännisch. „Wir nicht wollen Ärger und werden ersetzen alles. Auch wenn ich Euch muss darauf aufmerksam machen, dass dort auf die Holz Krallenspuren sind zu sehen. Unser junger Freund sich zwar vielleicht fühlen wie getretener Hund, er jedoch keiner sein.“

Magenta wurde bei diesen Worten zunächst heiß und dann eiskalt. Immerhin wusste sie, was jetzt wieder auf freiem Fuß durch die Gegend streifte. Sie musste diesen Teufelsjäger finden, koste es, was es wolle.
 

„Das waren bestimmt Murlocs.“, erklang da eine Stimme hinter ihnen. Die Anwesenden drehten sich um und Magenta erkannte den Wachmann wieder, den sie im Inneren des Gasthauses fast über den Haufen gerannt hatte. Er streckte die Daumen in den Gürtel und begann um die Ruine herumzustolzieren.

„Man sieht es ganz deutlich, denn was ihr, werter Magier, irrtümlich als Kratzspuren gedeutet habt, sind in Wahrheit das Werk dieser dreizackigen Waffen, die die Murlocs tragen.“

Alle starrten auf die Spuren, die ganz eindeutig zwei Rillen aufwiesen. Der Wirt fing sich als Erster wieder

„Leutnant Orinelle, seid mir nicht böse, aber warum sollten sie Murlocs unser Klohäuschen verwüsten?“, fragte er zweifelnd. „Ich meine, ich glaube nicht, dass diese Viecher überhaupt wissen, was so etwas ist. Die sch…ähm erleichtern sich doch ins Meer.“

„Biologische Kriegsführung.“, erklärte der Leutnant und machte ein wichtiges Gesicht. „Sie wollen, dass uns Krankheiten dahinraffen. Seuchen sich ausbreiten. Dass wir alle vergiftet werden.“

„Klingt nach Untoten.“, murmelte der Wirt. „Aber wer oder was auch immer es war, ich brauche ein neues. Wo kommen wir denn da hin, wenn alle ihr Wasser einfach so in der Landschaft verteilen.“

Leutnant Orinelle sah den Wirt an, als zweifele er an seinem Geisteszustand. „Ich spreche hier von der Murloc-Bedrohung, Anderson, und das Einzige, was Euch interessiert, ist Euer Abort? Schämt Euch!“

Der Wirt zuckte mit den Schultern. „Im Gegensatz zu Euch bekomme ich keinen Sold aus Stormwind dafür, dass ich den ganzen Tag im Wirthaus herumhänge. Ich muss dort nämlich arbeiten. Also warum geht Ihr nicht los, und tut, wofür man Euch bezahlt, Orinelle? Warum schlagt Ihr nicht diesen fischigen Bestien ein paar von ihren hässlichen Köpfen herunter?“

„Ich?“ Der Leutnant schien ernsthaft entsetzt. „Aber die sind so schleimig. Und sie riechen so streng. Und dann dieses Gegurgel. Das kann einen ganz krank machen. Und nie sind sie alleine. Immer sind gleich vier oder fünf von denen zusammen. Kaum hat man einen erwischt, flüchtet er und kommt mit seiner ganzen Familie zurück. Horden von Fischmonstern, die nur darauf warten, sich auf mich zu stürzen. Das Schlimmste sind aber noch Murlocs, die zaubern können. Ich weiß nicht wie diese glotzäugigen Missgeburten das gelernt haben, aber sie können es. Haben mir erst letztens meinen epischen Streitkolben angekokelt. Wenn diese Arbeit jemand für mich übernehmen würde, würde ich mich das sogar etwas kosten lassen.“
 

Der Leutnant sah erwartungsvoll in die Runde, doch anscheinend teilten alle seine Ansichten, was Murlocs angeht. Alle bis auf eine.

„Ich werde gehen.“, sagte Magenta und trat einen Schritt vor. „Ich habe selbst noch eine Rechnung mit diesen Kreaturen offen, da kann es nicht schaden, wenn ich Euch beim Bekämpfen der Plage ein wenig zur Hand gehe.“

„Wohl gesprochen!“, rief Leutnant Orinelle und schien zu überlegen, ob es angemessen war, Magenta anerkennend auf die Schulter zu klopfen. „Ihr findet die Biester am Strand westlich von hier. Erschlagt ein paar von ihnen und kehrt dann zu mir zurück. Aber wascht Euch vorher, wenn ich bitten darf.“

Damit schlug er noch einmal die Hacken zusammen und marschierte dann zurück ins Wirtshaus. Abumoaham sah ihm kopfschüttelnd nach und wandte sich dann an Magenta.

„Warum du wollen tun das? Ich gedacht, wir gemeinsam gehen in Alteracgebirge zu holen verschwundene Bücher.“

„Tut mir leid.“, antwortete Magenta und gab sich Mühe zerknirscht zu wirken. „Aber du hast gehört, was er gesagt. Diesen Murlocs muss Einhalt geboten werden. Außerdem haben wir bereits einen rechten Berg an Schulden angehäuft. Es ist nur recht und billig, dass ich meinen Teil dazu beitrage, ihn abzuarbeiten.“

Magenta musste an sich halten, um nicht breit zu grinsen, als sie sah, dass Risingsun zustimmend nickte. Wenn die Paladina sie unterstützte, konnte Magenta sich sicher sein, dass sie auf Murlocjagd gehen würde. Dass sie dabei nach etwas ganz anderem suchen würde, müsste sie den anderen ja nicht unbedingt auf die Nase binden.

„Dann ist es also beschlossen. Ihr drei geht die Folianten suchen, während ich Murlocs jagen gehe.“

„So das nicht gehen.“

„Völlig unmöglich.“

Abumoaham und der Wirt sahen sich an, dann bedeutete der Magier dem anderen Mann zu sprechen. Der räusperte sich etwas verlegen und erklärte dann:

„Ich zweifele wirklich nicht an Euren guten Absichten, werte Herren und holde Damen, und doch muss ich befürchten, dass Ihr Euch einfach aus dem Staub machen werdet und ich weder Zeche noch Häuschen je ersetzt bekommen werde. Ich schlage daher vor, Ihr bezahlt zunächst die Zeche und Euer Freund hier macht sich schon einmal daran, passende Balken für den Bau zu Recht zu sägen. Wenn Ihr mit meinem Geld zurückkommt, werde ich Euch den Rest der Arbeit natürlich gerne erlassen.“

Abumoaham wiegte den Kopf hin und her. „Das mir nicht sehr gefallen, ich jedoch verstehen kann eure Zweifel. Zudem Bladewarrior nicht aussehen, als ob er können reiten. Wir also werden es so machen. Ihr mir sagt, was wir Euch schulden für exzessives Trinkgelage von jungem Krieger.“

„Lasst mich nachsehen, Kelly hat es mir aufgeschrieben.“ Der Wirt kramte in seiner Westentasche und beförderte schließlich einen zerknitterten Fetzern Pergament zu Tage.

„Hier steht: Zwei Silber und 37 Kupfer.“

„Was?“

„Ja, Euer Freund hat zwei von dem schwächlichen, billigen Bier genommen, dass ich normalerweise an die Kinder ausschenke, wenn es draußen so richtig heiß ist. Und als ich ihm dann ein echtes Süderstader Starkbier angeboten habe, hat er dankend zugegriffen. Ich dachte mir nichts dabei, und schenkte ihm ein zweites ein. Von dem Humpen nahm er noch zwei Schlucke, dann ist er auf einmal unter den Tisch gesunken und dort geblieben, bis es Morgen wurde. Ich bin nur froh, dass ich ihm nichts von dem Kirschpunsch gegeben habe. Meine Frau fand die Mischung gestern ziemlich stark. Wer weiß, was dann passiert wäre.“

Abumoahams Mundwinkel zuckten. Auch Magenta, die ebenfalls nicht viel von Alkohol hielt, biss sich auf die Lippen, um nicht loszulachen. Die Einzige, die das Ganze kalt ließ, war Risingsun.

„Ich hoffe, dass ist dir eine Lehre.“, sagte sie streng und fixierte Bladewarrior mit einem bohrenden Blick. „Wer keinen Alkohol verträgt, sollte auch keinen trinken. Nicht einen Tropfen. Und jetzt hol dir eine Säge. Wir werden noch ein paar Vorräte zusammenpacken und dann aufbrechen.“
 

Während Risingsun davon ging, um die letzten Reisevorbereitungen zu treffen und Bladewarrior immer noch stark angeschlagen begann, nach einem Geräteschuppen zu suchen, blickte Abumoaham Magenta direkt ins Gesicht.

„Du mir versprechen musst, du passen auf dich auf.“, sagte er leise und strich sanft mit dem Zeigefinger über ihr Kinn. „Murlocs trickreich sind und nicht dumm. Du müssen sein sehr vorsichtig.“

„Ich werde an dich denken.“, versprach Magenta und kreuzte unauffällig zwei Finger hinter dem Rücken. „Daran, wie du mich das erste Mal vor diesen Viechern gerettet hast. Mein großer, starker Held. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“, antwortete Abumoaham und setzte eine zärtlichen Kuss auf ihren Mund, bevor er mit Risingsun gen Norden aufbrach und Magenta sich darauf vorbereitete, einen Teufelsjäger zu fangen.
 


 

Schakals Haut glühte mit der Kleidung, die man ihm gegeben hatte, um die Wette. Für seinen Geschmack hatte die Reinigungsprozedur, der man ihn unterzogen hatte, viel zu viele harte Bürsten und weitaus mehr Wasser, als es ein Zwerg vertrug, enthalten. Im Nachhinein musste er allerdings zugeben, dass er sich um Einiges wohler fühlte als noch vor ein paar Stunden. Er war sauber, man hatte ihm zu Essen und zu Trinken gegeben und ihn neu eingekleidet. Es gab jedoch auch Dinge, die ihm auf Äußerste missfielen:

Zunächst einmal war die Tracht, in die man ihn gehüllt hatte scharlachrot. Etwas anderes gab es in den Hallen des Klosters nicht, denn alles, was von außen kam, galt als verseucht. Aus diesem Grund war auch alles, was sich noch in seinem Besitz befunden hatte, vor seinen Augen verbrannt worden. Seine Kleidung, seine Waffen, selbst die Schriftrolle, mit der er Myzrael hatte beschwören, beziehungsweise bannen wollen, waren den Flammen übergeben worden. Dazu hatte ein Priester in einer roten Kutte feierliche Worte gesprochen, in denen von einer Abkehr von allem Bösen, dem Ablass von lästerlichem Tun und allerlei mehr die Rede gewesen war. Schakal hatte dem entrückten Ausdruck der anderen Teilnehmer entnommen, dass es sich hier um eine Art Aufnahmeritual handeln musste. Er fragte sich zwar, wann genau er eigentlich gesagt hatte, dass er Mitglied in diesem eigenartigen Verein hatte werden wollen, doch vermutlich tat er besser daran, eine Weile mit den Wölfen zu heulen.
 

Der Kapellengarten war eine weitläufig gebaute Anlage, die von drei lichtdurchfluteten Kreuzgängen umschlossen wurde. In einem großen Springbrunnen in der Mitte des Gartens spuckten moosbewachsene, steinerne Fische das Wasser in glitzernden Kaskaden in die Luft und auf den sorgsam getrimmten Rasenflächen blühten ausgesuchte Blumen. Eine Stätte, die augenscheinlich zum Lustwandeln und der Erholung diente, wären nicht auch hier die Spuren des Verfalls sichtbar gewesen, die sich innerhalb und außerhalb des Klosters allen Lebens bemächtigten. Das Gras wirkte bei genauerem Hinsehen schlapp und grau und die Blumen waren nicht nur ausgesucht sondern geradezu dürftig. Trotzdem war dies ein freundlicher Ort, wenn man ihn im Gegensatz zu der Folterkammer betrachtete, der Schakal gerade entronnen war.

An der letzten Seite des Gartens erhob sich das zentrale Gebäude des Klosters, die Kathedrale mit ihren drei Türmen, die wie ein drohendes Mahnmal über dem Kloster schwebte. Dorthin führten die Wachen, die Schakal begleiteten, ihn nun. An einer kleinen Bank, die direkt am Rand des Springbrunnens stand, salutierten sie noch einmal vor dem Zwerg und ließen ihn dann allein.

In Ermangelung einer besseren Beschäftigung ließ Schakal sich auf die Bank aus ehemals weißem Marmor sinken und atmete tief durch. Ein wenig beklommen sah er an den hoch aufragenden Türmen der Kathedrale empor und fragte sich, wie lange es wohl gedauert hatte, sie zu vollenden. Bauwerke wie dieses wurden nicht an einem Tag errichtet. Vermutlich war sie weit vor dem Beginn des dritten Krieges errichtet worden, so dass es ein Wunder war, dass sie die Schlachten so relativ unbeschadet überstanden hatte. Hier in Lordaeron, wo der Krieg am heftigsten getobt hatte, war andernorts kein Stein auf dem anderen geblieben.
 

„Sie ist wunderschön, nicht wahr?“, fragte eine weibliche Stimme neben ihm und holte Schakal aus seinen Gedanken. Er rappelte sich auf die Füße und sah Lady Whitemane fest ins Gesicht.

„Ziemlich schön.“, sagt er und versuchte sich nicht wieder von der augenfälligen Attraktivität der jungen Frau blenden zu lassen. Er musste einen klaren Kopf behalten, wenn er ihn noch irgendwie aus der Schlinge ziehen wollte, die sie bereits um seinen Hals gelegt hatte.

„Als Kind nahm mich mein Vater einst zu einer Hochzeit mit hierher.“, sinnierte Lady Whitemane und begann langsam auf die Kathedrale zuzugehen. Schakal beeilte sich ihr zu folgen. „Ich war damals sieben Jahre alt. Die Hochzeit war sehr prunkvoll und ganz Lordaeron schien gekommen zu sein. Wir durften nicht bis in die Kirche hinein, doch dank meines Vaters konnte ich ihn der ersten Reihe am Weg des Brautpaares stehen. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie die Braut aussah, und auch nicht, um wen es sich bei dem Bräutigam eigentlich handelte, doch ich erinnere mich noch genau daran, wie die Reihe von Ministranten, Diakonen, Kaplänen und Priestern an mir vorüber schritten. Weihrauch und feierliche Gesänge erfüllten die Luft. Es war ein Jauchzen und Jubilieren, das mich tief berührte. Ich weiß noch, dass ich dort stand und weinte vor Glück. Sie alle hatten ihr Leben dem Licht geweiht und brachten seine frohe Botschaft in die Herzen der Menschen. Dies war der Augenblick, an dem ich beschloss, eine von ihnen zu werden.“
 

Schakal und die Lady hatten inzwischen die Stufen zur Kathedrale erklommen und zwei Wachen eilten herbei, um die gewaltigen Torflügel vor ihnen zu öffnen. Sie schwangen weit auf und gaben den Blick frei auf den reich geschmückten Altarraum. Bänke boten Platz für viele Besucher und etliche Plätze waren von betenden Priestern und anderen Mitgliedern des Ordens besetzt. Der Staub, der im hereinfallenden Licht umher wirbelte, färbte sich gold und rot im Licht unzähliger Kerzen und ihrem Widerschein auf dem allgegenwärtigen roten Banner des Kreuzzugs. Die Schritte der Eintretenden wurden von einem dicken, roten Teppichboden gedämpft, so dass nur die gemurmelten Gebete der Gläubigen als leises Echo durch die Stille der Kathedralle hallten. Unwillkürlich verlangte es Schakal danach, seinen Hut abzunehmen und er bedauerte es ehrlich, dass er keinen aufhatte.

Langsam schritten sie zwischen den Reihen hindurch und wenn sie einen der Betenden passierten, blickte dieser auf und neigte seinen Kopf vor der Lady. Einer von ihnen sank sogar vor ihr auf die Knie und küsste ehrerbietig den Ring, den sie an ihrer linken Hand trug. Ein wenig verwundert nahm Schakal zur Kenntnis, dass er das Schmuckstück bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal bemerkt hatte. Ein Fehler, der dem Schurken sonst nie passierte.
 

Als sie den Altar erreichten, ließ sich die Lady auf die Knie sinken und richtete ihren Blick nach oben. Um nicht aufzufallen ließ Schakal sich neben sie sinken.

„Heiliges Licht.“, flüsterte sie und doch hatte Schakal das Gefühl, dass die Worte in der gesamten Kathedrale zu hören sein mussten. „Wir danken dir, dass du diesen neuen Streiter für das Gute zu uns geführt hast. Schenke ihm die Kraft zu tun, was nötig ist, damit die Welt in deinem Glanz erstrahle.“

„Amen.“, sagte Schakal, ohne darüber nachzudenken.

Die Lady lächelte. „Ich möchte dir etwas zeigen. Es gibt da jemanden, der deiner Hilfe bedarf.“

Sie führte Schakal zu einem Seitenschiff, wo weniger Gläubige saßen und öffnete eine mit schweren Riegeln versehene Tür. Dahinter lag ein kleiner Raum mit einer steinernen Bank und einem ebensolchen Tisch, auf dem mehrere Gefäße aus juwelengeschmücktem Gold standen. Ohne sie zu beachten ließ sich Schakal auf der Bank nieder, wie die Lady ihm bedeutete, und sah zu, wie sie zu einem an der Wand befestigten Kerzenhalter trat. Lady Whitemane zog die metallene Vorrichtung wie einen Hebel nach unten und in der Wand schwang eine geheime Tür zur Seite. Ein modrig riechendes Kellerloch öffnete sich dahinter und gab den Blick auf etwas frei, das Schakal hier nicht erwartet hatte.
 

Mit langsamen, schlurfenden Schritten trat ein Untoter aus der kleinen Kammer heraus. Er war in eine lange, rote Kutte mit goldenen Verzierungen gekleidet und auf dem Kopf trug er eine ebensolche Mitra. Er musste im Leben einmal sehr groß gewesen sein, doch jetzt beugte der Tod die bleichenden Knochen, über der die durchscheinende Haut wie brüchiges Pergament spannte. Strohiges, einstmals wohl braunes Haar klebte an dem ausgemergelten Schädel und unstet flackernde Augen starrten Schakal an ohne auch nur einmal zu blinzeln. Wenn der Schurke sich den Tod hätte ausmalen müssen, so kam diese Knochengestalt dem schon sehr nahe.

Zu seinem Erstaunen machte der Untote Anstalten, sich vor der Lady zu verbeugen. Die jedoch gebot ihm mit einer Geste Einhalt. „Nicht, doch Hochinquisitor. Schont euren zerfallenden Leib.“

„Hochinquisitor?“, krächzte der Untote und seine Stimme klang, als käme sie direkt aus einem Grab. “Ein Titel, den ich nicht mehr für mich beanspruchen kann. Nicht mehr, seit ihr ihn tragt, Mylady.“

„Wie Ihr wünscht, Fairbanks. Doch ich kam nicht, um mit Euch zu plauschen. Ich kam, um unseren neuen Freund zu zeigen, mit was er es zu tun hat.“

Lady Whitemane wandte sich wieder an Schakal. „Die Seuche macht auch nicht vor dem Treuesten halt. Sie verdirbt jeden und erschafft Monster wie dieses hier. Eingesperrt in einem verrottenden Körper ist die Seele verdammt bis in alle Ewigkeit auf Erden zu wandeln ohne Frieden zu finden. Und während sie das tut, bringt sie Leid und Verderben über die, die ihr einst teuer waren. Ist es nicht so, Fairbanks.“

Der Untote nickte stumm. In seinen Augen brannte ein Feuer unendlichen Hasses.

„Sagt Fairbanks, was würdet Ihr tun, wenn ihr es ungeschehen machen könntet? Wenn Ihr verhindern könntet, dass sich die Seuche eures Körpers bemächtigt und Eure Seele verdirbt.“

„Ich würde alles dafür tun.“, krächzte der ehemalige Hochinquisitor. „Und bevor Ihr weiter fragt: Ich würde auch alles darum geben, endlich zu sterben und meinen Frieden zu finden. Was gäbe ich nur dafür, wenn jemand sich rechtzeitig meiner angenommen hätte. Wohl dem, der die Seuche gleich im Kern auslöscht.“

Lady Whitemane kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts. Stattdessen richtete sie ihre nächsten Worte an Schakal.

„Um solche Verbrechen zu verhindern, müssen wir, wie Fairbanks so treffend ausführte, das Übel an der Wurzel packen.“

„Ich könnte Euch nach Undercity führe.“, erbot sich Schakal. Er sah noch einmal zu dem Untoten herüber, der mit unverhohlenem Hass zurückstarrte. Im Licht, dass durch die farbigen Fenster des Seitenschiffs fiel, sah die Gestalt noch unwirklicher aus, als sie es vielleicht in einem von Spinnenweben verhangenen Grabmal gewirkt hätte.

„Euer Mut ehrt Euch.“, lächelte die Lady. „Doch zunächst müssen wir sichergehen, dass uns die eigenen Leute nicht in den Rücken fallen. Diese Untoten sind trickreich. Es gab schon Fälle, da sahen diese Abnormitäten noch wie ganz normale Menschen aus. Dass sie keinerlei Gefühle mehr hatten außer dem Trieb, alles Lebendige auszulöschen, merkten ihre Opfer erst, als es schon längst zu spät war. Wir haben inzwischen Methoden entwickelt, derartige Spione zu erkennen. Manche von ihnen leugnen zwar bis zum Schluss, aber ich weiß, wenn sie es könnten, so würden sie um die Gnade betteln, erlöst zu werden. Einzig ihr vergifteter Geist lässt sie immer noch glauben, sie seien gesund. Nicht jeder hat einen so starken Willen wie Fairbanks, der selbst im Tod noch zu seiner Überzeugung für das Licht einsteht, auch wenn ihm der Zugang dazu verwehrt ist.“

„Wie schrecklich.“, murmelte Schakal, der seine Augen immer noch nicht von dem Untoten lösen konnte. Je länger er hinsah, desto mehr Scheußlichkeiten entdeckte er an der Kreatur. Er erkannte, dass dieses Schicksal keinen erwarten durfte. Ein schneller Tod war die einzige Gnade, die man ihm noch gewähren konnte.

„Warum lasst ihr ihn leiden?“, fragte der Schurke und wies auf den ehemaligen Hochinquisitor. „Wäre es nicht gnädiger, ihn ebenfalls zu erlösen.“

Lady Whitemane lächelte. „Das werden wir, sobald seine Aufgabe hier erfüllt ist. Bis dahin erhält er die Gelegenheit Buße zu tun für seine Sünden.“

Der Untote murmelte etwas, das Schakal nicht verstand. Lady Whitemanes Antwort bestand aus einem wütenden Schnauben. Blitzschnell trat sie zu Schakal, tippte mit dem Finger gegen seine Stirn und sprach einige eindringlich klingende Worte in einer fremden Sprache. Einen Moment lang war Schakal versucht nachzufragen, was sie damit bezweckte, doch dann wich dieses Verlangen ebenso schnell wieder, wie es gekommen war. Eine merkwürdige Taubheit erfüllte seine Glieder und seine Augenlider schienen mit einem Mal Tonnen zu wiegen. Das dringliche Bedürfnis zu schlafen fiel ihn an wie eine hungrige Raubkatze, die ihn zu Boden zerrte. Nur am Rande nahm er wahr, dass ein helles Licht allen Schatten aus dem Raum vertrieb und jemand gequält aufstöhnte.

Warum tut Ihr es nicht endlich? Seid Ihr zu feige? Dann ruf einen Eurer Hunde, der es für Euch tut. Herod und gar den jungen Morgraine selbst.

Ihr wisst, dass das nicht geht, Fairbanks. Ihr seid hier, weil Ihr nur so in Sicherheit seid.

Ihr meint, Ihr seid in Sicherheit vor dem, was ich der Welt verkünden könnte.

Wer würde Euch schon glauben.

Dann tötet mich endlich.

Nein. Nicht bevor Ihr uns verraten habt, was mit dem Ashbringer passiert ist.

Dann werdet Ihr ewig warten müssen.
 

Einige der kostbaren Gefäße polterten zu Boden, als Schakal auf den Steinfußboden sank. Mit einem weiteren Heiligen Feuer trieb die Hochinquisitorin den Untoten wieder zurück in seine düstere Kammer und verschloss sie sorgfältig hinter ihm. Dann machte sie einen langen Schritt über den Zwerg hinweg, ohne ihn weiter zu beachten, und ließ sich vor einem kleinen Altar auf die Knie sinken. Andächtig rezitierte sie das Gebet, dass in rotgoldenen Lettern in die Altardecke gestickt war:
 

„Reinige den Leib durch Arbeit.

Reinige die Seele durch Gebet.

Reinige deine Feinde durch Feuer.

Schmerz ist kein Feind, sondern ein Verbündeter.

Umarme ihn, halte ihn fest und bringe ihn gleichermaßen über den Gläubigen und den Ungläubigen.

Widerstand gegen das Licht ist ein Zeichen der Unreinheit und muss aus dem Fleisch der Gesellschaft herausgeschnitten werden.“
 

Immer wieder wiederholte sie die Worte, während draußen vor den bunten Glasfenstern die Sonne unterging. Sie betete, bis es Zeit wurde, den nächsten Schritt zu tun. Als der letzte Sonnenstrahl über dem Horizont erlosch, erhob sich die junge Frau und sah hinab auf den schlafenden Zwerg. Wieder teilte ein Lächeln die blutroten Lippen.

„Nun werden wir sehen, auf wessen Seite du stehst.“
 


 

Möwen kreischten über dem breiten Küstenstreifen, der sich westlichen von Southshore bis zu den Ausläufern des Alteracgebirges zog. Hartes, scharfkantiges Gras bedeckte weite Flächen des Strandes und nur am Wasser hatte sich die Flora dem Salzwasser geschlagen geben müssen, um einen schmalen Streifen braunen Kieses freizulassen. Dieser Kies war es, der jetzt unter Magentas Füßen knirschte, während sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck Richtung Westen stapfte.
 

Das ist Wahnsinn. Völlig unmöglich. Eine absolute Schnapsidee. So hirnrissig, dass nicht einmal der größte Schwachkopf auf so eine Idee kommen würde. Wirklich absoluter Wahnsinn.

„Deine Platte hat einen Sprung.“, murmelte Magenta. „Lass dir etwas Neues einfallen oder halt die Klappe, Pizkol.“

Ich sage noch mal, das ist Wahnsinn! Und sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte. Einen Teufelsjäger, der hier draußen herumschleicht, alleine zu suchen. Und was bringt dich überhaupt auf die Idee, er könnte hier irgendwo an diesem verlassenen Küstenstreifen herumlaufen?

Leutnant Orielle hat gesagt, es hätte die Murlocs zaubern sehen. Sie müssen also über eine magische Begabung verfügen. Der Teufelsjäger hat seine letzte Mahlzeit bereits verdaut und wird wieder hungrig sein. Andererseits gibt es eine Menge Wachen rund um Southshore und er ist bei Weitem intelligenter, als er aussieht. Ergo wird er eine sicherere Nahrungsquelle suchen und was wäre für so einen Magiefresser schmackhafter als ein paar knusprige Murloc-Orakel.

Du bist ja schon einen richtige Fachfrau, was dieses Biest angeht, unkte der Wichtel. Man sollte meinen, dass du mit allen Dämonen so gut umgehen könntest. Aber wie es aussieht, macht der blaue Windsack schon wieder, was er will.

Auf diesen Einwand hin blieb Magenta stehen und sah sich nach Jhazdok um. Der nachtblaue Dämon mit den edelsteinbesetzten Armschienen war erneut ein ganzes Stück zurückgeblieben. Seine verzögerte Ankunft war unter anderem dadurch begründet, dass er in scheinbar wahllosen Schlangenlinien über den Strandstreifen schwebte, wobei er immer wieder abrupte Haken schlug und die glühenden Augen fest auf den Boden gerichtet hatte.

Magenta stemmte die Hände in die Hüften.

„Das ist wirklich lächerlich.“, bemerkte sie kopfschüttelnd. „Ich meine, er ist groß und stark und berührt nicht einmal den Boden. Warum zum wirbelnden Nether hat ausgerechnet mein Leerwandler Angst vor Quallen?“

Als der Leerwandler heran war, schnippte Magenta ein paar Mal mit dem Finger, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. „Jetzt hör mir mal zu, du große, blaue Hohlnuss. Quallen können dir nichts tun. Sie bestehen nur aus jeder Menge Wasser und ein bisschen Glibber. Wo du herkommst muss es tausende von Dingen geben, die viel schrecklicher sind als Quallen. Also reiß dich jetzt zusammen und komm.“

Der Leerwandler starrte sie stumm an und reagierte nicht.

„Hast du mich verstanden?“

Der rudimentäre Kopf deutete so etwas wie ein Nicken an.

„Na also, es geht doch.“

Magenta schnaufte und legte die Hand über die Augen, um sie vor der Mittagssonne zu beschirmen. In einiger Entfernung konnte sie einige einfache Hütten erkennen. In Bauten dieser Art hausten normalerweise Murlocs. Magenta konnte jedoch keine Bewegung ausmachen. Kurzentschlossen raffte sie ihre Robe und trabte los, wobei sie dem Leerwandler noch einen warnenden Blick zuwarf. Die blaue Gestalt folgte ihr auf dem Fuß, wobei sie trotzdem sorgfältig darauf achtete, nicht über eine Qualle zu schweben. Diese Dinger, die so ein unbefriedigend leeres Gefühl zurückließen, wenn man versuchte, seinen Hunger an ihnen zu stillen, waren ihm irgendwie unheimlich.
 

Die ersten Hütten, die Magenta erreichten, waren leer. Zerbrochene Schüssel und zertretene Vorräte bedeckten den Boden der windschiefen Laube und man musste kein Meister im Spurenlesen sein, um dies als Folge einer heftigen Auseinandersetzung zu deuten. Zumal man überhaupt nicht umhin kam, den unübersehbaren, zweizehigen Abdruck in einer Schüssel mit Algenbrei zu bemerken.

„Der Teufelsjäger war hier.“, bemerkte Magenta überflüssigerweise und sah sich suchend um. Als sie einige Meter weiter eine Gestalt am Boden liegen sah, presste sie die Kiefer aufeinander. Äußerst vorsichtig und nach allen Seiten sichernd näherte sie sich dem am Boden liegenden Körper. Was sie sah, war beruhigend und erschreckend zugleich:

Es handelte sich um einen Murloc und ganz ohne Zweifel weilte er nicht mehr unter den Lebenden. Was in normalen Situationen ein Anlass zur Freude gewesen wäre, ließ Magenta hier erschrocken zurückweichen.

Das Fischwesen sah aus, als wäre er regelrecht ausgesaugt worden. Die gesamte Gestalt war eingefallen, die Höhlen der Glubschaugen leer und vertrocknet und das Maul mit dem messerspitzen Zähnen klaffte weit auseinander. Auf der Brust des Murlocs waren zwei sternförmige Abdrücke, von denen die Hexenmeisterin nur allzu leicht erraten konnte, wovon sie stammten. Dort hatten die Tentakel des Teufelsjägers gesessen, während er den magisch begabten Fischmann seiner Kräfte beraubt hatte. Unwillkürlich musste Magenta daran denken, dass ihr fast ein ähnliches Schicksal geblüht hatte. Ein beunruhigender Gedanke, der sie jedoch nicht davon abhielt, den Murloc Murloc sein zu lassen und weiter den Strand abzusuchen.

Je weiter sie ging, desto häufiger fand sie Anzeichen eines Kampfes. Blutspritzer, die den Sand an vielen Stellen dunkel gefärbt hatten, zerbrochene Waffen und weitere Leichen, die mehr oder weniger deutliche Spuren des Teufelsjägers zeigten. Einigen Murlocs war lediglich die Kehle herausgerissen worden, andere waren wie der erste saftigen Früchten gleich ausgepresst worden. Mit Schauern stellte Magenta sich vor, wie viel Macht der Teufelsjäger inzwischen schon in sich aufgesaugt haben musste. Andererseits waren die Murlocs keinen leichten Gegner. Wenn sie Glück hatte, hatte die Bestie eine Menge der angesammelten Kraft darauf verwenden müssen, überhaupt am Leben zu bleiben.
 

Mit einem Mal trug der Wind Kampfgeräusche heran. Das Klirren von Waffen und die gurgelnden Kampfschreie der Murlocs mischten sich mit dem Geräusch zuschnappender Kiefer und brechender Knochen. Der Geruch von Magie und verbranntem Horn lag in der Luft und ließ Magentas Magen Purzelbäume schlagen. So schnell sie konnte, eilte sie zu der Stelle, wo die ungleichen Gegner am Fuß einer flachen Klippe aufeinander getroffen waren.
 

Gleich vier Murlocs mit großen Speeren attackierten den um sich schnappenden Teufelsjäger. Mehrere Bolzen steckten in seiner Seite und nur wenige Meter von Magenta entfernt legte ein Murloc mit einer Armbrust bereits ein neues Geschoss vor die Sehne, dass er in einem günstigen Moment auf den Dämon abfeuern würde. Unterstützt wurden die fischflossigen Kämpfer dabei von zwei Murloczauberern, die in zweiter Reihe standen und magische Blitze auf den Teufelsjäger feuerten. Was sie im Gegensatz zu Magenta nicht bemerkten schienen, war, dass der Teufelsjäger fast jeden ihrer Angriff mit seinen Tentakeln aufsaugte und sich dadurch regenerierte. Während die Kräfte seiner Gegner so langsam zu erlahmen begannen, schlossen sich die Wunden des Dämons ebenso schnell wieder, wie die Murlocs sie schlugen. Über kurz oder lang würde der Teufelsjäger vermutlich gewinnen, wenn nicht…

Ein wütendes Gegurgel ließ Magenta herumfahren. Hinter ihr waren weitere Murlocs erschienen und sie waren offensichtlich nicht erfreut über einen weiteren Störenfried. Ein rostiger Dreizack richtete sich auf Magentas Kehle und ein weiterer, geschuppter Zauberer sammelte bereits Blitze in seinen Händen, um sie gegen Magenta zu schleudern.
 

Die Hexenmeisterin reagierte instinktiv. Mit einem Zauber, der ihren Leerwandler in Sekundenschnelle geschwächt in den Nether zurückschickte, erlangte sie ein großes Potential freier, magischer Energie, die sich wie ein schützendes Schild um sie legte. Sowohl der feindliche Zauber, wie auch die zustoßenden Waffen prallten nutzlos von dem unsichtbaren Hindernis ab.

„Haha, daneben.“, lachte Magenta und drehte den Fischmenschen eine lange Nase.

Sie hatte jedoch vergessen, dass sie das Schild zwar für eine Weile vor Angriffen von außen schützen würde, sie jedoch nicht davor bewahrte, selbst etwas Dämliches zu tun. Während sie also den verdutzten Murlocs aus dem Inneren ihres sicheren Magiekokons zuwinkte, trat sie mit dem rechten Fuß bedrohlich nah an die Kante des Abhangs. Das von See und Wind zermürbte Erdreich kam ins Rutschen und wo eben noch eine hohnlächelnde Hexenmeisterin gestanden hatte, gähnte mit einem Mal ein magentaförmiges Luftloch. Kreischend und sich überschlagend verschwand die junge Frau in der Tiefe und kam genau zwischen den Murlocs und dem knurrenden Teufelsjäger zu liegen.

„Autsch.“, machte Magenta und rappelte sich mühsam auf Hände und Knie. Der Schild hatte sie nicht gegen die Folgen des Sturzes geschützt und Sand knirschte zwischen ihren Zähnen und in ihren Haaren. Hustend und spuckend kroch sie über den Strand in Richtung des Teufelsjägers.
 

„Mmmrraaabbbbblllgggurrr?“ [1], fragte einer der Murlocs und wies mit ausgestreckter Flosse auf das Ding, das gerade vom Himmel gefallen war. „Rriiibblleeggrraaggrraa?“[2]

„Rrrrmmmblirrrrggrrrlll.“[3], antwortete sein Nebenmann und zuckte mit den Achseln. „Aaaaaughibbrgubugbugrguburgle!“ [4]

„AAAAAUGHIBBRGUBUGBUGRGUBURGLE!“
 

Magentas Kopf ruckte nach oben, als sie den Angriffschrei der Murlocs hörte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die Wand aus Flossen und Schuppen, sie einer Flutwelle gleich auf sie zurollte. Und als wäre das noch nicht genug gewesen, erklang hinter ihr ein beunruhigendes Geräusch, das irgendwo zwischen einem Schlürfen und einem Schmatzen lag. Ein Augenblinzeln später fühlte Magenta nur noch Leere um sich herum und ihr magisches Schild existierte nicht mehr.

„Oh na ganz toll.“, murmelte sie und wandte sich an den Teufelsjäger. „Hättest du nicht was anderes fressen können?“

Die Bestie wedelte mit dem dicken Schwanz und schien auf einen Nachtisch zu warten. Es fehlte nicht viel und sie hätte sich auf die Hinterpfoten gesetzt und Männchen gemacht. Doch wenn Magenta jetzt etwas nicht brauchen konnte, war das ein verspielter Dämon.

„Tu gefälligst was Nützliches. Greif an!“, rief sie ihm zu und griff nach dem nächstbesten Gegenstand, der ihr in die Hände kam.

Mit einem dumpfen Laut prallte der flache Stein gegen die Schnauze des Teufelsjägers. Erschrocken machte er einen Satz rückwärts und stieß ein fragendes Jaulen aus.

„Du sollst angreifen verdammt.“, schrie Magenta, denn die Murlocs waren schon fast heran. Ein fischiger Geruch lag in der Luft und nahm ihr fast den Atem. „Jetzt MACH ENDLICH!“

Ein weiterer Stein traf den Teufelsjäger genau zwischen die Augen und er machte erneut einen Schritt rückwärts. Ein leises Knurren entwich seiner Kehle und die weißen Augen blitzten auf.

Vielleicht solltest du aufhören…

„Ich. Hab. Gesagt. Du. Sollst. Angreifen.“, wetterte Magenta und mit jedem Wort traf ein weiterer Stein den zimperlichen Teufelsjäger. Die Bestie fauchte, machte jedoch keinen Versuch den Wurf geschossen auszuweichen. Als Magenta den letzten Stein in ihrer Reichweite warf, öffnete der Teufelsjäger sein Maul und fing den handtellergroßen Kiesel mit den Zähnen. Es knackte kurz und der Stein fiel in zwei Hälften zu Boden.

Magenta sah das und ließ ein Stück Treibholz, das sie bereits zum Wurf erhoben hatte, schlagartig fallen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ihren einzigen Verbündeten mit Steinen zu bewerfen. Vermutlich hätte sie sie lieber dazu verwenden sollen, um sich gegen die Murlocs zur Wehr zu setzen, die jetzt fast in Speerreichweite waren. Aber das Bedauern kam zu spät, ebenso wie die Erkenntnis, dass ihr die Wurfgeschosse ausgegangen waren. Sie war wehrlos.

Wehrlos? Pizkol schäumte vor Wut. Du bist eine Hexe verdammt. Zaubere IRGENDWAS!
 

„Hexe. Genau. Ich sollte etwas zaubern.“, brabbelte Magenta, doch sämtliche nützlichen Zaubersprüche beanspruchten Zeit. Zeit, die sie nicht hatte, denn binnen Sekundenbruchteilen würde sich die Spitze eines Dreizacks in ihre Seite bohren. Und selbst wenn sie dieser Attacke auswich, war da noch der wütende Teufelsjäger. Einer ihrer beiden Gegner würde sie erwischen, so viel war Magenta klar. Ihr blieb nur noch eine Möglichkeit:
 

Mit Inbrunst legte sie den Kopf in den Nacken und schrie aus Leibeskräften. Sie schrie aus Wut, aus Angst, aus Verzweiflung und aus dem Wunsch allem um sie herum in Stücke zu reißen. In ihr brodelte ein solcher Hass auf alles und jedes, dass sie glaubte, es würde sie zerreißen. Sie schrie so lange, dass ihr Hals begann trocken zu werden und klappte den Mund erst wieder zu, als ihr endgültig die Puste ausging. Schnaufend sah sie sich um und zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als sie den Strand wie leergefegt vorfand. Dafür stürzten in alle Richtungen furchterfüllte Murlocs davon, die liefen, als wäre der Teufels persönlich hinter ihnen her. Ein Vergleich, der vielleicht nicht einmal weit hergeholt war. All zu lange würde diese Panik jedoch nicht anhalten, und so sprang Magenta auf die Füße und wollte davon eilen, als ein Geräusch sie in der Bewegung gefrieren ließ.
 

Ein Knurren, das ebenfalls aus den tiefsten Höllendimensionen zu kommen schien, entwich der Kehle des Teufelsjägers. Dieser Mensch dort hatte ihn mit Steinen beworfen, er hatte seine empfindlichen Ohren beleidigt und zu guter Letzt noch sein Abendessen verscheucht. Es war an der Zeit, dass er diese magische Nuss endlich knackte, anstatt darauf zu hoffen, dass sie ihn häppchenweise fütterte. Die „nettes Hündchen“-Nummer war endgültig vorbei. Jetzt wurde gefressen. Der Teufelsjäger duckte sich und machte sich bereit zum Sprung.
 

Magenta wirbelte herum. Offensichtlich hatte der Furchtzauber seine Wirkung bei dem Teufelsjäger verfehlt. Und auch die Murlocs würden nicht ewig wegrennen. Allerdings sah es nicht so aus, als würde noch viel von Magenta übrig sein, wenn sie zurückkamen. In blinder Panik nestelte sie an ihrem Rucksack herum in der stillen Hoffnung, irgendwie an ihren Dolch heran zu kommen. Ihre Finger schlossen sich um einen länglichen Gegenstand und mit triumphierendem Blick zog sie ihn heraus und richtete ihn auf den Teufelsjäger.

Ihre Augen wurden groß, als sie sah, was sie da hervorgezogen hatte. Der runenbeschriebene Stab war nichts anderes als der klägliche Rest der Rute der Ordnung, den sie nach ihrer missglückten Beschwörung achtlos in den Tiefen ihres Gepäcks hatte verschwinden lassen. Jetzt stellte er die einzige Waffe dar, die sie gegen den Teufelsjäger noch zu ziehen imstande gewesen war, als dieser sich mit einem gewaltigen Satz auf sie stürzte. Aus purer Verzweiflung hielt Magenta das gesplitterte Ende der Rute in Richtung des auf sie zu fliegenden Dämons und schloss die Augen.
 

Es wäre zu viel gewesen, das Geräusch ein Krachen oder Knallen zu nennen. Genauer gesagt war es eher ein leises ‚Plopp’, das ertönte, als sich der Teufelsjäger mitten im Sprung in Nichts auflöste. Magenta, die zusammengesunken auf den Strand saß, blinzelte erst ein paar Mal, bis sie begriff, dass sich noch keine rasiermesserscharfen Fänge in ihr Gliedmaßen gebohrt hatten und kein tonnenschwerer Dämon dabei war, ihr das Fleisch von den Knochen zu lutschen. Langsam ließ sie ihren erhobenen Arm wieder sinken und sah sich ungläubig um. So weit ihr Auge reichte, sah sie nur leeren Strand. Nun ja, nicht völlig leeren Strand. In der Ferne konnte sie einige Punkte erkennen, die sich in einem watschelnden Galopp auf sie zu bewegten. Schnell auf sie zu bewegten: Die Murlocs kamen zurück.

Ohne lange zu überlegen, wo der verfluchte Dämon nun geblieben war und ob es irgendeine logische Erklärung für sein Verschwinden geben konnte, raffte Magenta ihr verstreute Habe zusammen, sprang auf die Füße und begann zu laufen. In die entgegengesetzte Richtung der Murlocs.
 


 

Schakal erwachte, als ihm jemand einen Schubs gab. Er stolperte ein paar Schritte auf eine vermummte Gestalt zu, die vor ihm auf dem Boden kauerte, und versuchte zu analysieren, wo er sich befand. Um ihn herum stand ein Kreis aus Menschen. Nicht wenige von ihnen hielten Fackeln und alle trugen die scharlachroten Rüstungen und Gewänder des Kreuzzugs. Er entdeckte die Hochinquisitorin unter den Zuschauern, neben ihr stand ein Mann in einer goldenen Rüstung. Auch er trug das Wappen des Kreuzzugs auf der Brust. Als Schakal ihn ansah, runzelte der Mann die Stirn und beugte sich zu Lady Whitemane herüber. Die schüttelte den Kopf und legte ihm die Hand auf den Arm. All das war zwar recht interessant, doch Schakal hatte keinerlei Ahnung, was es zu bedeuten hatte.

Plötzlich wurde er sich bewusst, dass er einen Dolch in der Hand hatte. Die Waffe hatte eine geschwungene Klinge und wurde zum Ende hin breiter. Die eigenartige Schneide bildete um die Mitte herum fast eine Art Widerhaken, der vermutlich große Löcher in einen Körper riss, wenn man versuchte, sie wieder herauszuziehen. So eine Waffe war nicht zum Töten gedacht; sie war gedacht um Schmerzen zuzufügen.

Der Gestalt vor ihm war der Kopf in einen Sack gesteckt worden und ihre Hände waren auf dem Rücken zusammen gebunden. Im Licht der Fackeln konnte Schakal zahlreiche, rote Striemen an den Armen und Handgelenken erkennen. Unter dem zerrissenen Stoff der roten Unterbekleidung begannen sich blaue Flecke und Schürfwunden abzuzeichnen. Einen der Arme zierte ein langer, blutender Schnitt. Offensichtlich hatte das Opfer seine Fesseln am Anfang nicht so bereitwillig akzeptiert und die momentane Bewegungslosigkeit war das schlichte Ergebnis reiner Resignation oder Erschöpfung.

Immer noch leicht benebelt versuchte Schakal die Puzzelteile zusammenzufügen. Ein Mann mit einem Sack über dem Kopf, viele Zuschauer und eine brutal scharfe Klinge ließen eigentlich nur einen logischen Schluss zu.

Die Augenbrauen des Zwergs schossen nach oben, als er begann zu verstehen, was hier vor sich ging. Er befand sich mitten in einer Hinrichtung und alles wartete auf den entscheidenden Streich des Henkers. Und dieser Henker war ganz offensichtlich niemand anderer als er selbst.
 

„Worauf wartest du?“, erklang die Stimme Lady Whitemanes hinter ihm. „Töte den Unreinen, auf das er geläutert werde von der Besudelung durch die Geißel.“

Schakal hatte keine Ahnung, wird oder was dort unter dem Sackleinen steckte, doch ein Untoter war es sicherlich nicht und wahrscheinlich war er weniger besudelt als Schakal es war. Immerhin hatte Schakal eine ganze Nacht in Undercity verbracht, während dieser Unglückliche…

Schakals Gedanken kamen ins Stocken, als er durch einen Riss in dem Sack ein paar blonde Haare zu sehen bekam. Jetzt wusste er, um wen es sich bei dem Vermummten handelte. Es war der Soldat, der es gewagt hatte, gegen den Kerkermeister aufzubegehren. Dieser kurze Moment der „Schwäche“ hatte seinen Tod besiegelt. Vielleicht war es auch die Tatsache gewesen, dass er Schakal nicht sofort getötet hatte, als er ihn fand, oder schlichtweg die Tatsache, dass es eben irgendeinen unglücklichen Tropf erwischen musste. Das Problem war nur, dass Schakal jetzt die Wahl hatte, irgendeinen nahezu Unbekannten, der vermutlich nicht einmal etwas davon mitbekam, mit einer brachialen Klinge zu durchbohren, oder selbst von einem wütenden Mob aufgebrachter Kreuzzügler gelyncht zu werden.

Schakals Bedenkzeit fiel länger aus, als er selbst erwartet hatte.

„Worauf wartest du?“, fragte die Lady erneut. „Du weißt, du musst es tun. Die Geißel muss ausgelöscht werden. Du tust ihm damit einen Gefallen.“

„Ich weiß.“

„Führe zu Ende, was du angefangen hast. Erlöse ihn endlich.“

Schakals Blick irrte zu der geschwungenen Klinge und er sah, dass Blut daran klebte. Offensichtlich hatte er die Waffe bereits eingesetzt. Vielleicht war er auch für die anderen Wunden verantwortlich, doch außer einem ziemlichen Schädelbrummen konnte er in seinem Kopf nichts finden, was darauf schließlich ließ. Und doch musste es so sein, denn die Größe und Heftigkeit der Verletzungen - vor allem aber auch die Höhe, in der die Verletzungen lagen - ließen darauf schließen, dass sie dem Mann von einem Zwerg zugefügt worden waren.

Fieberhaft begann Schakal zu überlegen. Es wäre leicht gewesen, den Mann zu töten, doch der Keim des Widerstands regte sich in ihm. Normalerweise wäre es kein Problem für ihn, jemanden um die Ecke zu bringen, aber ihm schmeckte nicht, dass er seines freien Willens beraubt und hierzu gezwungen worden war. Andererseits war seine Chance, diesen Ort lebendig zu verlassen gleich Null. Er würde Hilfe brauchen.

„Psst, kannst du mich hören?“, wisperte er und versuchte dabei die Lippen so wenig wie möglich zu bewegen. „Mahegan, so heißt du doch, oder? Pass jetzt gut auf, denn wir haben nicht viel Zeit. Ich will von hier verschwinden und wenn du schlau bist, schließt du dich mir an. Dazu müssen wir ebenso schnell wie gerissen vorgehen. Meinst du, du bekommst das hin?“

Die vermummte Gestalt stöhnte leise und Schakal meinte etwas wie ein „Warum?“ zu hören.

„Erklär ich dir später.“, flüsterte Schakal. „Pass auf, wenn ich jetzt mit dem Dolch aushole, lässt du dich nach links fallen. Das ist wichtig. Wenn du es vermasselst, können wir deine Gedärme vom Gras kratzen. Außerdem musst du deine Arme steif machen und die Hände, so weit es geht auseinander spreizen. Kriegst du das hin?“

Die Antwort war wieder ein dumpfes Murmeln, das Schakal beschloss als „Ja“ zu deuten. Eine andere Wahl hatte er auch nicht, denn schon waren zwei der Soldaten aus dem Kreis getreten und bewegten sich auf ihn zu.

„Stirb, untotes Gezücht.“, schrie Schakal aus vollem Halse und stieß mit dem Dolch zu. Dabei achtete er darauf, die Klinge in den schmalen Spalt zwischen Arm und Oberkörper des Opfers zu schieben. Mit einem schnellen Ruck zog er die Waffe zurück, bevor sich Schneide tatsächlich noch in den Arm seines neuen Verbündeten bohrte, und durchtrennte in derselben Bewegung die Fesseln zwischen den Armen. Mit einem dumpfen Laute traf der scheinbar leblose Körper auf dem Boden auf.

Die zwei Soldaten waren stehen geblieben. Unschlüssig irrte ihr Blick zu dem Mann mit der goldenen Rüstung. Der hob die Hand, um sie wieder auf ihren Platz zu weisen, als ihm jemand in den Arm fiel. Hochinquisitorin Whitemanes Gesicht war eine Maske mühsam unerdrückter Wut.

„Was soll das werden?“, zischte sie und all die Schönheit wurde vom Glühen ihrer mordlüsternen Augen verbrannt. „Diese Schmierenkomödie mag vielleicht die einfachen Gemüter täuschen, doch wo ist das Blut? Wo sind die Schmerzensschreie? Wo die klaffende Wunde?“

Die Frau griff nach einer Fackel und schwenkte sie wie ein Schwert in Schakals Richtung. „Wie kannst du es wagen, den Kräften des Lichts zu trotzen. Mit dem Blut des Unwürdigen hättest du dich reinwaschen können, Zwerg, doch du hast versagt. Jetzt soll Euch beide das Feuer läutern. Bezahlt die Strafe für Euren Verrat!“

„Jetzt wäre ein ziemlich guter Zeitpunkt, die Beine in die Hand zu nehmen.“, zischte Schakal und stieß den am Boden liegenden mit dem Fuß an. Der zögerte nicht, riss sich den Sack vom Kopf und sprang auf die Füße. Im zuckenden Fackellicht konnte Schakal erkennen, dass er ein blaues Auge von der Größe einer Zwergenfaust hatte.

Die Blicke der beiden trafen sich und es lag etwas darin, dass nur Männer verstanden, die schon einmal mitten in einer großen Schlägerei plötzlich festgestellt hatten, dass einer der Prügelnden eigenartigerweise auf derselben Seite stand wie man selbst. In dieser Situation schloss man einen Pakt, zu dessen Besiegelung nur noch ein paar gebrochene Nasenbeine auf Seiten der Gegner nötig waren, um zu einer lebenslangen Freundschaft zu führen…oder zumindest zu einem guten Saufgelage.

Schakal grinste. „Lasst uns ein paar Schädel spalten.“

„Mit Vergnügen.“, antwortete Mahegan und gemeinsam machten sie sich daran, den Mauern des Scharlachroten Klosters zu entkommen.
 


 

„Ihr sagt also, Ihr hättet Murlocs getötet.“ Leutnant Orinelle maß Magenta von Kopf bis Fuß mit einem langen Blick. Hätte die Hexemeisterin sich nicht sowieso schon total dreckig gefühlt, in diesem Moment wäre es soweit gewesen. „Und wo ist Euer Beweis?“

„Beweis?“ Magenta glaubte sich verhört zu haben. „Was denn für ein Beweis?“

„Ich weiß nicht, irgendwelche primitiven Götzen, ein paar ihrer Speere oder Messer, vielleicht sogar ein paar Köpfe. Im Moment seht Ihr nur so aus, als hättet Ihr Euch in Fischabfällen gewälzt. Marschall Redpath wird mir so niemals glauben, dass ich mich dieser Murloc-Plage angenommen habe.“

„Dass Ihr …“ Magenta verschlug es schlichtweg die Sprache vor so viel Arroganz. Das machte jedoch nicht den geringsten Unterschied, weil Leutnant Orinelle sich sowieso ziemlich glänzend mit sich selbst unterhielt. Der Mann nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Metkrug und richtete dann den Zeigefinger der Hand, die den Krug hielt, auf Magenta. Ein wenig von dem Getränk schwappte ihr vor die Füße

„Ich schlage also vor, Ihr geht noch einmal zum Strand und holt mir ein paar Köpfe von diesen übergroßen Fischen. Es soll auch Euer Schaden nicht sein.“

„Danke, aber nein danke.“

„Wie meinen?“ Orinelle hatte offensichtlich nicht mit dieser Antwort gerechnet.

„Ich bin diesen Fischen, wie Ihr sie nennt gerade erst mit knapper Not entkommen. Ich bin hungrig und müde und brauche ein Bad. Daher werde ich ganz bestimmt nicht losgehen um irgendwelchen verdammten Murlocs irgendwelche verdammten Köpfe herunterzuschlagen!“
 

Magenta war mit der Zeit immer lauter geworden und die letzten Worte hatte sie Orinelle nur so ins Gesicht geschrieen. Jetzt, da sie fertig mit ihrem Wutanfall war, wurde sie sich peinlich bewusst, dass fast die gesamte Gaststube sie anstarrte. Sofort bekam die Hexenmeisterin einen roten Kopf.

„Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt.“, nuschelte sie und stürzte wie vom wilden Wichtel gebissen sie Treppe hinauf. Oben angelangte stürmte sie in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Aufatmend ließ sie sich an dem Holz entlang zu Boden gleiten. Warum nur hatte sie nicht auf Abumoaham gehört? Warum nur war sie nicht einfach hier geblieben und hatte Bladewarrior beim Holzhacken zugesehen? Warum hatte die Welt sich nur gegen sie verschworen.
 

Während Magenta damit fortfuhr, die Liste an Ungerechtigkeiten zu verlängern, die es in ihrem Leben gab und der Fehler, die sie hätte vermeiden können, klopfte es mit einem Mal an die Tür. Erschrocken fuhr die Hexenmeisterin zusammen und krallte sich in ihren Rucksack.

„Ja?“, fragte sie zaghaft.

„Magenta?“ Bladewarriors Stimme klang immer noch etwas dünn, aber schon sehr viel kräftiger als noch am Morgen. „Kann ich dir irgendwie helfen.“

Für einen Moment schoss ein höchst interessantes Bild durch Magentas Kopf. Ein junger Krieger, der mit entblößtem Oberkörper und mit Schweißtropfen auf der Stirn einen Axt schwang und mächtige Baumstämme zu Kleinholz verarbeitete. Sie konnte förmlich sehen, wie die Muskeln unter der gebräunten Haut arbeiteten und stellte sich vor, wie es sein musste…

Entschlossen schüttelte Magenta den Kopf. „Nein, danke.“, antwortete sie und versuchte die unerwünschte Hitze in ihrem Gesicht zu ignorieren. „Ich glaube, ich werde mich ein wenig hinlegen.“

„Das klingt nach einer guten Idee.“, erklang es von draußen. „Ich glaube, das mache ich auch.“
 

Magenta hörte Schritte, die sich entfernten und das Klappen einer Zimmertür. Erst dann ließ sie den Atem, den sie die ganze Zeit angehalten hatte, wieder entweichen. Was bitte sehr war das gewesen?

Etwas wie ein Kichern und eine vertraute, klebrige Aura hüllten Magentas Gedanken für einen Augenblick ein.

„Oh verdammt, Fierneth.“, fauchte Magenta und stemmte sich vom Boden hoch. „Ich erlaube nicht, dass du das tust. Jetzt nicht, und auch in Zukunft.“

Sie erhielt keine Antwort außer einem spöttischen Lachen.

Verärgert stampfte Magenta zum Tisch und begann ihre Tasche auszupacken. Wahllos feuerte sie den Inhalt ihres Beutels auf den Tisch, bis sich ihre Hand um einen flachen Gegenstand schloss. In der Annahme, eines ihrer Lehrbücher in der Hand zu haben, wollte Magenta schon loslassen, als sie ein leises Wispern zu hören meinte.

„Fierneth. Ich sagte, hör auf damit.“

Wie zuvor wartete Magenta vergeblich auf eine Antwort. Gleichzeitig beschlich sie das ungute Gefühl, dass es nicht die Sukkubus gewesen war, die dort zu ihr gesprochen hatte. Wieder vernahm sie das leise Geräusch. Eilig ließ sie das Buch fahren und fuhr herum. Außer ihr war niemand im Zimmer. Allerdings war das Geräusch jetzt auch nicht mehr zu hören.

Magenta kniff die Augen zusammen und wandte sich wieder ihrem Beutel zu. Sie griff hinein und als ihre Finger erneut das Buch fanden, zuckte sie zusammen. Sobald sie das Buch berührt hatte, erklang wieder dieses unheimliche Geflüster. Magenta schluckte und zog das Buch aus ihrem Rucksack.
 

Es war alt, viel älter als die Bücher, die ihr ihr Lehrmeister gegeben hatte. Schimmel saß auf dem Einband und als sie es aufschlug stieg ein unverkennbarer Modergeruch zwischen den Seiten hervor. Er mischte sich mit einem kräftigen Fischaroma.

Man sagt, Murlocs, grausame Fischmenschen, hätten sich des Buches bemächtigt. Doch ich sage, es war genau andersherum.

Die Worte von Krom Starkarm wehten durch Magentas Gedächtnis. Plötzlich wusste sie, was sie dort gefunden hatte. Und sie wusste auch, woher die Murlocs auf einmal zaubern konnten. Es war so einfach, dass sie beinahe laut aufgelacht hätte. Die war der sagenumwobene Foliant der Kabale. Nun ja, zumindest der erste Teil davon.

Du hast wirklich mehr Glück als Verstand, behauptete Pizkol griesgrämig. Und was wirst du jetzt damit anfangen? Lesen wirst du ihn wohl kaum können.

Das war dummerweise die Wahrheit, denn selbst wenn die Seiten nicht von dieser grünlichen Schimmelschicht überzogen gewesen wären, hätten die fremdartigen Schriftzeichen auf den Seiten für Magenta keinen Sinn ergeben. Sie würde Krom Starkarm bitten müssen, es ihr zu übersetzen.

„Dann muss ich nur noch herausfinden, wie ich die anderen so schnell wie möglich wieder nach Ironforge bekomme.“

Und der Teufelsjäger?

„Oh, den werde ich schon irgendwie wieder finden. Immerhin läuft er jetzt nicht mehr hier herum und verspeist Unschuldige.“

Am Ende hat er Murlocs gefressen.

„Ach halt den Schnabel!“, murrte Magenta. Sie hasste es, wenn Pizkol Recht hatte. „Hilf mir lieber einen Plan zu ersinnen, der uns so schnell wie möglich wieder nach Ironforge bringt.“

Frag deinen Liebsten.

Ein Grinsen bemächtigte sich Magentas Gesicht und es war nicht freundlich. Der Wichtel hatte Recht. Mit Hilfe des Magiers würde sie schnell wieder nach Ironforge und von dort auf die andere Seite des Meeres gelangen. Dorthin, wo die zweite Hälfte des Buches auf sie wartete. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis beide Hälften wieder vereint waren und sie sich ihrer vollen Macht bedienen konnte. Und dann würde sie niemand mehr aufhalten können.
 

Immer noch lächelnd machte Magenta sich daran zu packen.
 


 

„Ich hätte wissen müssen, dass das nicht funktioniert.“, murrte die Gestalt in dem Käfig an der Decke des Kellergewölbes, der so klein war, dass sich der Kopf des Gefangenen unweigerlich zwischen seinen Knien befand.

„Aber wir mussten es versuchen.“, antwortete eine weitere Gestalt, die auf eine Streckbank gefesselt worden war. Die geringe Körpergröße des Unglücklichen machte das Gerät bereits zu einer Tortur, obwohl die Winde an ihrem Ende noch nicht einmal betätigt worden war. „Verdammter Schlafzauber. Verdammte Hexe.“

Schakal versuchte, die Wirkung des Foltergerätes, dass seine Gliedmaßen in alle Richtungen zog, irgendwie auszugleichen, doch egal, wie er sein Gewicht verlagerte, das Reißen und Zerren blieb immer gleich schmerzhaft. Zwerge waren hart im Nehmen, aber diese Tortur ging eindeutig in eine Richtung, die nicht nur seinen Körper sondern auch seinen Stolz verletzte. Was, wenn sie nun auch noch auf die Idee kamen, seinen Bart abzurasieren? Der Zwerg knurrte und rüttelte erneut an den Ketten.

„Gebt Euch keine Mühe.“, rief der Mann, den Schakal als Mahegan kannte, aus seinem luftigen Gefängnis herab. „Die Ketten würden eine Monstrosität an ihrem Platz halten. Vishas versteht etwas von seinem Handwerk.“

„Ja, aber er hat keine Ahnung von Zwergen.“, schnaufte Schakal und sammelte kurz seine Kräfte, um dann erneut an den Fesseln zu ziehen. Vielleicht würde irgendwann wenigstens das Holz nachgeben.

Minuten später lag der Zwerg erschöpft da und versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sein Leben hier ein vermutlich qualvolles Ende finden würde. Irgendwie hatte er sich nie Gedanken über den Tod gemacht, aber wenn, dann hätte er mit so etwas nicht gerechnet.
 

Das Geräusch leiser Schritte ließ Schakal aufhorchen, Jemand kam durch die leere Folterkammer geschlichen. Jemand, der nicht gesehen werden wollte. Kurz darauf spürte er, wie sich jemand an seinen Fesseln zu schaffen machte.

„Haltet still.“, flüsterte eine weibliche Stimme und kurz darauf waren Schakals Hände frei. Erleichtert setzte er sich auf und sah, dass seine Befreierin ihr Gesicht unter eine dunklen Kapuze verborgen hatte. Sie reichte Schakal den Schlüssel für die Fesseln und deutete dann auf die Winde, die Mahegans Käfig an der Decke hielt.

„Beeilt Euch.“, zischte sie. „Wir müssen ihn dort hinunter holen und dann schleunigst von hier verschwinden, bevor die anderen von der Segnung zurückkehren. Ich will nicht umsonst riskiert haben, dass man mein Fehlen bei der Zeremonie bemerkt.“

„Wer seid Ihr?“, wollte Schakal wissen, während er von der Streckbank stieg und Arme und Beine schüttelte, die vom Liegen bereits angefangen hatten steif zu werden.

„Mein Name ist nicht von Belang.“, erklärte ihre Retterin und schob Schakal auf die Winde zu. Gehorsam begann er, die Kette abzuwickeln. Doch die Tortur auf der Streckbank hatte seine Muskeln schwach werden lassen, so dass sie seine Finger entglitt und der Käfig mit voller Wucht auf den Boden krachte. Unmittelbar auf den Lärm folgte das Bellen mehrerer Hunde.

„Idiot!“, fauchte die Frau. Sie zog den stöhnenden Mahegan auf die Füße und dirigierte dann beide Geretteten zu einem Ausgang an der Rückseite des Gewölbes.

„Schnell, über den Friedhof seid Ihr im Nu draußen. Vor der Mauer erwarten Euch zwei Pferde. Reitet so schnell Ihr könnt Richtung Süden. Wenn Ihr Ambermill erreicht, habt Ihr es geschafft. Wenn nicht, möge das Licht Eurer Seele gnädig sein.“

„Wieso helft Ihr uns?“, fragte Schakal noch einmal und versuchte einen Blick unter die Kapuze zu werfen.

Die Frau drehte den Kopf zur Seite. „Ich hatte einst eine gute Freundin, ihr Name war Monika. Sie und ihr Mann Vorrel lebten am Ende der Straße und sie kümmerte sich um mich wie die große Schwester, die ich nie hatte. Doch plötzlich wurde unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Die Seuche kam und wir wurden getrennt. Ich kämpfte in den Reihen des Scharlachroten Kreuzzugs um das zu rächen, was sie meiner Familie antaten. Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist den Tod Eures Bruders mitanzusehen, nur um ihm kurz darauf im Kampf gegenüberzustehen, da er zu einem untoten Monster geworden ist?“

Die Frau wartete nicht ab, bis Schakal eine Antwort ersonnen hatte und fuhr fort:

„Vor einigen Wochen nun sah ich Vorrel wieder. Er kam hierher in die Folterkammer. Als Untoter. Sie verhörten ihn immer und immer wieder, doch das Einzige, was sie aus ihm herausbekamen, war der Name seiner geliebten Frau. Da nahm Vishas ihm das Einzige, was ihm noch geblieben war: seinen Ehering. Der Bastard verhöhnte Vorrel und sagte, dass er ihn höchstpersönlich seiner eignen Frau an den Finger stecken würde. Als ich das hörte, wusste ich plötzlich, wer in diesem Keller das wahre Monster war.“

Sie hielt einen Moment inne und sah Schakal dann direkt an. Für einen Moment glaubte er, lange, blonde Haare unter der Kapuze hervorschimmern zu sehen. „Versteht mich nicht falsch. Ich hasse die Untoten immer noch, aber ich sehe jetzt, dass blinder Gehorsam ihnen keinen Einhalt bieten kann. Nicht jeder, der unser Tun missbilligt, ist gleich unser Feind. Deswegen geht, aber schweigt über das, was hier geschah. Es wird der Tag kommen, da der Scharlachrote Kreuzzug für seine Sünden bezahlen muss.“

Schakal wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Niemand, der nicht dabei gewesen war, konnte nachvollziehen, was die Menschen in Lordaeron fühlten und was sie in die Arme des Kreuzzugs trieb.

„Ihr habt ein reines Herz.“, sagte er schließlich und nickte seiner Befreierin noch einmal zu.

„Möge das Licht mit Euch sein.“, gab sie zurück und lächelte. „Wer weiß, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“

„Ja, wer weiß.“, murmelte Schakal beeilte sich dann, Mahegan zu folgen, der bereits an der Friedhofsmauer auf ihn wartete. Gemeinsam bewältigten sie das moosbewachsene Hindernis und schwangen sich - wenngleich teilweise auch mit einigen Mühen - auf die Rücken der gesattelten Pferde. Hinter der Mauer wurden Rufe laut, Fackeln wurden angezündet und Waffenhörner geblasen, aber die zwei Flüchtlinge blieben unentdeckt und machten sich im gestreckten Galopp auf den Weg in die Freiheit.
 

Sie ritten eine ganze Weile, bis die Lichtern des verfluchten Scharlachroten Klosters hinter dem Horizont verschwunden waren. Dann erst zügelten sie ihre Reittiere und ließen sie in einen Kräfte sparenden Trab verfallen. Mahegan, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, blickte immer wieder zurück. Zuerst dachte Schakal, er würde sich nach eventuellen Verfolgern umdrehen, doch als für kurze Zeit das Mondlicht durch die geschlossene Wolkendecke brach, konnte der Zwerg erkennen, das etwas wie Bedauern die Gesichtszüge seines neu gewonnenen Kameraden trübte.

„Ihr habt doch wohl nicht etwa Heimweh?“, brummte der Zwerg. „Ich hätte jedenfalls keines, wenn ich an Eurer Stelle wäre.“

Der junge Mann schoss einen undefinierbaren Blick auf Schakal ab und ließ seine Augen dann wieder zu dem imaginären Kloster wandern, dass sich irgendwo hinter den Hügeln verbarg. An einer Wegkreuzung zügelte er schließlich sein Pferd.

„Es geht nicht.“, sagte er und machte sich daran, sein Reittier zu wenden. „Ich kann dieses Land und die Leute nicht im Stich lassen. Wir können Lordaeron nicht kampflos den Untoten überlassen.“

„Was redet Ihr da, Mann?“, fragte Schakal. „Wenn Ihr zurückgeht, werden sie Euch töten.“

„Der Tod bedeutet mir nichts.“

Schakal schnaufte wütend und zügelte nun ebenfalls sein Pferd. Es gehorchte widerwillig. Der schwere Reiter auf seinem Rücken, der seine Befehle lediglich mit einem Zerren an den Zügeln verständlich machten, irritierte das Tier. Schließlich hatte es sich aber so weit gedreht, dass der Tropf auf seinem Rücken den Reiter auf dem Rücken seines Kollegen ansehen konnte.

„Ihr sagt, der Tod bedeutet Euch nichts? Ha! Vielleicht bedeutet Euch dann ja das Leben etwas. Diese Frau dort hat alles riskiert, um Euch hierher zu bringen. Ganz zu schweigen davon, was ICH riskiert habe, indem ich euch nicht einfach den Dolch zwischen die Rippen gebohrt habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Das Leben von mindestens zwei Leuten wäre also sehr viel einfacher, wenn ihr tot wäret. Also reißt Euch gefälligst zusammen. Euch wurde zweimal das Leben geschenkt, jetzt macht gefälligst auch etwas daraus.“

Mahegan sah Schakal an und blinzelte überrascht. „Ich…ich hatte nicht erwartet…“

„Was? Dass es mal jemand wagt, Euch die Wahrheit zu sagen?“

„Nein, dass Ihr so ein flammender Redner seid. Ich dachte immer, Zwerge seine schweigsame Gesellen, deren einziges Interesses aus Steinen, Gold und Bier bestehe.“

„Nun, dann habt Ihr Euch wohl getäuscht.“ Schakals Blut begann langsam wieder abzukühlen. „Obwohl ein Bier jetzt nicht schlecht wäre. Ach Kiesel und Donnerkeil, Ihr bringt mich ganz durcheinander. Machen wir endlich, dass wir nach Ambermill kommen.“

„Nein.“

Jetzt war es an Schakal überrascht zu blinzeln. „Was meint Ihr mit Nein.“

„Wir gehen nicht nach Ambermill.“, erklärte Mahegan ruhig. „Ihr werdet nach Ambermill reiten. Ich hingegen werde mich auf den Weg in die Pestländer machen.“

„Aber warum?“, fragte Schakal, dem das Prinzip von Patriotismus noch nie sehr geläufig gewesen war.

„Weil mein Platz hier ist. Ich habe einen Eid geschworen, die Menschen Lordaerons zu beschützen. Der Scharlachrote Kreuzzug mag seine Fehler haben, doch das Ziel, das sie verfolgen, ist gut. Dieses Land braucht Beschützer und es erfüllt mich mit Stolz, einer von ihnen sein zu können.“

Schakal seufzte. Es schien, als würde er seinen Weg tatsächlich wieder allein fortsetzen. Er trieb sein Pferd vorwärts, bis es neben Mahegans stand und brachte es dann mit einiger Mühe zum Stehen. „Also schön, ich sehe schon, dass ich Euch nicht umstimmen kann. So gehabt Euch denn wohl, Mahegan Löwenherz.“

„Es heißt Wolfs herz.“, grinste sein Gegenüber und schlug in Schakals ausgestreckte Hand ein. „Und wo wir gerade bei dem Thema sind: Passt auf Euch auf, Zwerg. In den Wäldern Lordaerons wandeln mehr als Untote. Manchmal sind selbst die Menschen nicht das, was sie zu sein scheinen.“

„Ich werde es berücksichtigen.“, nickte Schakal und wendete sein Reittier. Für ihn stand fest: Nach Lordaeron würden ihn so schnell keine zehn Pferde mehr bringen, sobald er es irgendwie schaffte, auf diesem einen daraus zu entkommen. Nie wieder. Mit diesem Versprechen an sich selbst ließ er sein Pferd antraben und machte sich auf den langen Weg Richtung Süden und damit weit weg von allem, was irgendwie mit Untoten zu tun hatte.
 


 


 

Nerglisch:

[1] Was ist das da?

[2] Haben die nicht normalerweise zwei Beine?

[3] Keine Ahnung.

[4] Tötet sie alle!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-06-16T21:27:06+00:00 16.06.2009 23:27
Huhu ;) Also ich hab mich bis hierhin gelesen und bin auch bis jetzt sehr begeistert von der FF :D Auch wenn ich das Gefühl hab, dass die Zahl der Rechtschreibfehler angestiegen ist, konnte ich doch sehr lachen und finde deinen Schreibstil genial! Für mich beginnt jetzt ein sehnsüchtiges Warten auf das nächste Kapitel!


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